Der Glanz der Claudia
21.48 Uhr
Wir haben in den letzten Tagen von Fisch gelebt. Auf einem der größeren Boote am Schwimmsteg fand ich einen Propankocher, so dass wir endlich auch mal Fleisch braten konnten. Jetzt ernähren wir uns anders. William und ich haben uns heute auf die Insel gewagt. Wir sind mit der Bahama Mama am Ufer entlang nach Westen gefahren, um Proviant aufzutreiben. Laut meiner Karte ist Matagorda Island ungefähr vierzig Kilometer lang und drei bis vier Kilometer breit. Ich überlegte, ob wir einen ferngesteuerten Krachmacher basteln könnten, der die Untoten ablenkt und an eine bestimmte Stelle der Insel lockt, so dass wir uns in anderen Gegenden umschauen können. John arbeitet daran.
William und ich haben heute etwas Interessantes entdeckt. Wir waren vielleicht fünfundzwanzig Kilometer die Küste entlanggefahren, als hinter den Bäumen an Land etwas auftauchte. Es sah aus wie ein Turm. Als wir uns näherten, erkannten wir einen Inselleuchtturm. Ein hoher schwarzer Turm, der ungefähr fünfundvier-zig Meter in die Luft ragte. An der Spitze befand sich ein großer verglaster Raum. Vor dem Leuchtturm stand ein Haus, vermutlich das des Wärters. Das Gebiet wirkte zwar abgelegen, aber ich wusste, dass unser Motorengeräusch die Untoten in unsere Richtung locken würde.
Drei Meter vor der Küste warfen wir Anker. Ich sprang ins knöcheltiefe Wasser. Es war warm. Diese Gegend war viel ländlicher als das Gebiet, aus dem wir kamen. Der Vorteil war, dass weniger Bevölkerung auch weniger Untote hervorbrachte. Der Nachteil war, dass die Bäume, die den größten Teil des Hauses umgaben, unsere Sicht behinderten.
William war in den letzten Tagen mit der .22er viel besser geworden. Wir hatten jedoch nur noch 700 Schuss für seine Waffe, und ich besaß noch 450 vom Kaliber .223 (da ich ebenfalls ein paar Zielübungen absolviert hatte). Wir pirschten zu der bewaldeten Gegend hoch, die den Leuchtturm umgab. Irgendwas lärmte dort. Je näher wir dem Bauwerk kamen, umso lauter wurde der Krach. Konstantes, regelmäßiges Klopfen. Noch gab es keine sichtbaren Anzeichen für Untote. Wir standen auf der Lichtung. Der Leuchtturm sah sehr alt aus. Ich weiß noch genau, dass seine schwarze Farbe an einer Stelle glänzte. Jahre voller salziger Luft und Regen hatten Spuren hinterlassen. Das mit dem unteren Teil des Turms verbundene Haus kam mir moderner vor. Auf dem Hof wuchsen seit drei Monaten Gras und Unkraut. Das Klopfen kam eindeutig aus Richtung des Leuchtturms.
Wir betraten den Hof. Ich signalisierte William, unsere Flanke zu kontrollieren, um einen möglichen Angriff von hinten abwehren zu können. Peng ... Peng ... Peng ... Der Lärm setzte sich fort, etwa im Tempo eines Sekundenzeigers. Wir gingen am Rand des Hauses und des Leuchtturms entlang. Wir schienen uns der Quelle des Geräuschs zu nähern. Die Kellertür an der Hausrückseite bebte jedes Mal, wenn das Klopfen ertönte. Ich war mir zwar nicht hundertprozentig sicher, aber mir schwante, was da unten los war.
Ich wusste, dass die (aus irgendeinem komischen Grund von außen verschlossene) Tür nicht aufgehen und das, was sich dort unten festhielt, erst freigeben würde, wenn sie aus den Angeln faulte oder wir sie öffneten. Wir gingen zum Hauseingang. Die Tür war nicht abgeschlossen, aber die Fenster waren mit Brettern vernagelt, was ich ums Verrecken nicht verstand. Ich drehte vorsichtig den Türknauf und öffnete. William und ich sprangen zurück und hoben unsere Waffen. Wir müssen ziemlich dämlich ausgesehen haben.
Das Haus roch nach verwesendem Menschenfleisch. Das war nicht gut. Ich hätte am liebsten »Scheiß drauf« gesagt und für den Rest meines Lebens von Fisch gelebt, aber wir waren nun mal hier und benötigten Nahrung und andere Dinge. Der Boden der Küstenbehausung war alt und hölzern. Jedes Knarren klang wie ein Donnergrollen. Wir waren im Wohnzimmer. »Glaubst du, vom Haus aus führt eine Tür in den Keller?«, fragte ich leise. William war sich nicht sicher. Ich hoffte, dass es im Haus keine Kellertür gab. Auf dem Boden entdeckte ich getrocknetes Blut. Es lief durch den Korridor. Blutige Handabdrücke waren überall zu sehen. Es sah so aus, als hätte sich jemand in den Korridor geschleppt.
Ich ging voraus. William folgte mir. Als wir um die Ecke in den Korridor bogen, merkte ich, dass die Blutspur in einen Raum führte, den ich für das Schlafzimmer hielt. Ich folgte ihr. Mein Herz schlug heftig. Ich schwitzte und hatte Angst. Ich kam an die Tür, zu der die Blutspur führte. Sie war verschlossen. An der unteren Hälfte waren viele Handabdrücke zu sehen. Ich lauschte und streckte die Hand nach dem Türknauf aus. Nichts war zu hören. Ich drehte den Knauf vorsichtig und schob die Tür einige Zentimeter weit auf. Verwesungsgestank drang in meine Nase. Auf einem Bett sah ich zwei in schmutzige Jeans gekleidete Beine. Ich trat ein. Ich sah etwas, das meiner Meinung nach die Überreste eines Mannes waren. Sein kariertes Hemd und seine Hosen waren voll von getrocknetem Blut; sein Kopf war von der Nase aufwärts verschwunden. In dem halben Schädel wimmelten Maden. Ich konnte erkennen, wie sich seine Haut aufgrund der darunter befindlichen Larven bewegte.
Eine Zwölfkaliber-Schrotflinte lag auf seinem Brustkorb. Als ich die Waffe aus seiner Hand zog, fiel mein Blick auf einen gelben, mit schwarzer Tinte beschriebenen Zettel.
Ich gab William den Zettel. In den nächsten Minuten sprach keiner von uns ein Wort. Die Schrotflinte war ein schöner Fund, und dies galt auch für die drei vollen Patronenschachteln auf der Frisierkommode. Wir durchsuchten die Kommode und fanden in einer vollen Sockenschublade einen .375er Smith & Wesson- Revolver sowie eine Schachtel mit fünfzig Patronen. Dann nahmen wir uns die Küche vor. Die Konserven, das Bratöl, die Gewürze und alles Unverderbliche nahmen wir mit. Es waren nicht so viele Lebensmittel, wie ich erhofft hatte. Das pausenlose Klopfen ging derweil gnadenlos weiter. Claudia gab nicht auf.
Mir fiel ein, an der Kellertür eine Schubkarre gesehen zu haben. Ich holte sie, und William belud sie mit unserer Beute. Dann teilte ich ihm mit, was ich von der Angelegenheit im Keller hielt - und dass es da unten vielleicht noch mehr Lebensmittel und Waffen gäbe. Wir stimmten überein, die Tür zu öffnen und uns um Claudia zu kümmern.
William meldete sich freiwillig als Türöffner. Ich sollte schießen. Er zog vorsichtig das Windeisen aus den Griffen der Doppeltür. Das Klopfen hörte nicht auf. Claudia wusste nicht, dass wir hier waren. Sie wusste nur, dass sie hungrig war und rauswollte. Mir graute vor dem Gedanken, sie anschauen zu müssen.
William packte einen Griff und wollte gerade ziehen, als ich ihn zurückhielt. Mir fiel eine Methode ein, die sicherer war. Ich bat ihn, im Haus nach einer Schnur oder einem Seil zu suchen. Minuten später kam er mit einem Garnknäuel zurück. Er hatte es im Gästezimmer gefunden. Ich ließ es ihn doppelt nehmen, an den Griff binden und vier, fünf Meter zurücktreten. Dann gab ich ihm ein Zeichen. Er riss an dem Garn, die Tür flog auf.
Da war sie. Scheußlich, verfault und böse. Ihre verwesenden milchigen Augen stierten uns an, und das, was von ihren Lippen noch übrig war, fletschte sich über gelben, schartigen Zähnen. Ihre Hände waren vom wochenlangen Klopfen an die hölzerne Kellertür nur noch blutige Klumpen. Sie stürzte sich auf uns. Beim Versuch, über die Schwelle zu treten, stolperte sie über die oberste Stufe und fiel mit dem Gesicht nach vom zu Boden. Ich nutzte die Gelegenheit, ihr den Frieden zu geben, den Frank ihr nicht hatte geben können. Ich schoss ihr aus nächster Nähe in den Hinterkopf und schickte sie dorthin, wo ihr Ehemann bereits auf sie wartete.
Der Keller war finster und kündete von Unheil. Ich schaltete die Lampe auf meiner Flinte an. Das helle LED Licht erfüllte den Treppenabgang. Ich wartete, bis meine Augen ans Dunkel gewöhnt waren und malte mir aus, welche Schrecken vielleicht in den Eingeweiden des alten Leuchtturms auf uns lauerten. Ich drang in die Finsternis vor, fand aber weder Lebende noch Tote. Claudia war die Einzige gewesen. Ich rief nach William. Da unten standen zahllose Einmachgläser mit grünen Bohnen, Süßkartoffeln und sonstigem Gemüse. Des Weiteren fand ich eine ansehnliche Sammlung von Weinflaschen und noch mehr Konserven.
Offenbar hatten sich Frank und Claudia ursprünglich da unten verbarrikadiert, denn wir entdeckten ein Bett, einen Herd, einen Kühlschrank und in einer Ecke ein 7-mm- Remington- Jagdgewehr mit Zielfernrohr. Auf dem Kühlschrank lagen zwei Schachteln 7-mm Munition. Wir nahmen so viel Lebensmittel mit, wie wir tragen konnten, und das Jagdgewehr natürlich auch.
Wir stopften unsere Rucksäcke mit Nahrung, Waffen und Munition voll. Den Großteil unserer Beute transportierten wir mit der Schubkarre. Ich legte meinen Rucksack ab und sagte, ich sei gleich zurück. Dann ging ich zum Leuchtturm. Ich wollte der besseren Aussicht wegen ganz nach oben, um zu erfahren, ob wir mit Gesellschaft rechnen mussten. Ich ging eine endlos lange Wendeltreppe hinauf und erreichte schließlich die Turmspitze.
Oben angekommen schaute ich mir die Umgebung an. In der Richtung, aus der wir gekommen waren (Osten), sah ich etwa zwanzig Untote auf unseren Standpunkt zugehen. Der Bootsmotor und der Schuss hatten sie angelockt.
Ihre momentane Geschwindigkeit gab uns meiner Ansicht nach genügend Zeit zu verschwinden. Ich lief die Treppe hinunter. Dann wechselten William und ich uns mit der Schubkarre ab und brachten alles zum Boot. Wir beluden die Bahama Mama und fuhren ab. Es war unser Glückstag.
Ich habe soeben einen CB- Funkspruch aufgefangen. Der Sprecher behauptet, Abgeordneter des Staates Louisiana zu sein und hundertfünfzig Kilometer nördlich von New Orleans in einem sicheren Bunker zu sitzen. Seine Stimme klang heiser und müde. Außerdem behauptet er, viele Soldaten der Nationalgarde Louisianas seien bei ihm. Der Grund seiner Bekanntmachung: Er will alle möglichen Überlebenden vor der Bedrohung warnen, die der Strahlung ausgesetzte Untote darstellen. Anscheinend wurde New Orleans bei dem strategischen Bombardierungsfeldzug mit Atomwaffen vernichtet.
Der Abgeordnete hat mit Dosimetern und Geigerzählern ausgerüstete Späher ausgeschickt, um den Schaden, den New Orleans erlitten hat sowie die Anzahl der Untoten zu ermitteln. Von den zehn Spähern, die er fortgeschickt hat, sind sechs zurückgekehrt. Sie haben gemeldet, dass die verstrahlten Untoten kaum Anzeichen von Zersetzung aufweisen und sich schneller und koordinierter bewegen als ihre unverstrahlten Genossen. Die Strahlung scheine sie irgendwie zu konservieren. Ein Soldat behauptet sogar, er hätte eine Kreatur ein einfaches Wort sprechen hören. Von den vier ums Leben gekommenen Spähern starben zwei, als sie von Dutzenden verstrahlter Untoter auf der Interstate vor New Orleans überrannt wurden. Die beiden anderen starben an den Folgen der Strahlung, weil sie eine Nacht unwissentlich in einem verstrahlten Feuerwehrfahrzeug verbracht hatten. Die anderen schliefen einen Meter unter der Erde in einem Betonabflussrohr.
Der Abgeordnete behauptet, er hätte über eine begrenzte Hochfrequenz- Telex- Verbindung Kontakt mit einem Stützpunkt, der über Staffeln von Prototyp- UAVs und Lagerhäuser voller erstklassiger Militärgranaten verfügt.
Laut seinem Funkspruch haben EMP- Explosionen einen Großteil der nicht abgeschirmten Elektronik im Umkreis der vernichteten Städte unbrauchbar gemacht. Die Späher hatten kein Glück beim Kurzschließen von Autos und keine bergenswerten Funkausrüstungen gefunden. Das muss ich mir unbedingt für den Fall merken, dass mein Pech mich in eine Gegend innerhalb des Explosionsradius' führt.
John versuchte zu antworten, aber unser kleiner Sender hat dafür nicht genug Saft. Vielleicht gelingt es an einem weniger bewölkten Tag. Aber nicht heute. Schon wieder was, worüber man sich Sorgen machen muss.
22. März
18.45 Uhr
Tara ist eine interessante Frau. Sie hat überlebt. Ich kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, welche Gefühle sie bewegten, als sie in dem Mittelklassewagen saß, dem tagelangen Klopfen der Untoten an die Scheibe zuhören musste und wusste, dass sie verloren war. Sie sagt, sie habe einen ganzen Tag damit verbracht, die Meute auf eine Seite des Wagens zu locken, um einige kostbare Sekunden lang etwas Luft hereinlassen zu können. Ich habe sie noch nicht zusammenbrechen und weinen sehen, aber das ist eine natürliche Sache und kommt bestimmt noch.
Laura befindet sich mit Annabelle und ihrem Teddybär in ihrer eigenen kleinen Welt. Ich fürchte schon jetzt den Tag, der unweigerlich kommen wird. Den Tag, an dem wir weiterziehen. Irgendwie fühle ich mich für die anderen verantwortlich. Obwohl ich weiß, dass die Statistik uns irgendwann einholen wird, ist mir der Gedanke unerträglich, einen meiner Freunde zu verlieren. Mittlerweile bin ich ein ganz passabler Schachspieler und gewinne gegen John jede zweite Partie.
William ist gestern Nacht gegen 2.00 Uhr aufgewacht. Ich war noch auf und studierte die Landkarte. Er erzählte, gerade von unserem Ausflug zum Leuchtturm und zu Claudia, der Frau im Keller, geträumt zu haben. In seinem Traum war sie nicht ausgerutscht. Ich dachte darüber nach, was er damit sagen wollte, versuchte die Sache dann aber zu verdrängen. Seit dem Ausflug habe ich keinen Untoten mehr gesehen. Wir haben sie mit unserem Boots- und Schießlärm erfolgreich verwirrt.
Haben weder gestern noch heute Funksprüche aus Louisiana gehört. Wir achten darauf, dass sich mindestens einer von uns immer in Hörweite des Funkgeräts befindet. Seit dem Leuchtturm hat mein Kampfgeist nachgelassen, deswegen habe ich beschlossen, mich zu rasieren, damit er wieder zunimmt. Erstaunlich, wie eine gute Rasur einem das Gefühl größerer Menschlichkeit vermitteln kann.
Ich denke oft darüber nach, wie viele sie wohl sind. Ich frage mich, inwiefern sie uns zahlenmäßig überlegen sind und wie viele Berufssoldaten noch leben. Ich erinnere mich an die letzte Volkszählung. Sie fand im Jahr 2000 statt und erbrachte, dass in den USA dreihundert Millionen Menschen leben. Man kann unmöglich in Erfahrung bringen, wie viele überlebt haben, aber ich bin sicher, dass die Untoten die Mehrheit bilden. Vielleicht hat der nukleare Feldzug ein paar Millionen (inklusive der Lebenden) ausradiert. Ich glaube aber auch, einfach nicht über genug Daten und Fakten zu verfügen, um auch nur eine halbwegs akkurate Schätzung vornehmen zu können.
Sprühregen beherrscht das Sichtbare. Der Frühling steht vor der Tür, und mit ihm die Stürme.
23. März
Wir haben wieder einen Funkspruch aus Louisiana aufgefangen. Er war diesmal ziemlich konfus. Die Stimme am anderen Ende behauptet, jede Kommunikation mit der NORAD sei verstummt. Man hat die Theorie aufgestellt, dass die NORAD kollabiert ist. Man versucht eine Bildübertragung aus dem Kommandozentrum nördlich von New Orleans zur NORAD hinzukriegen. Bisherige Versuche waren jedoch erfolglos.
John skizziert noch immer Pläne für einen »Ablenkungsmechanismus«, den wir gegen die Untoten einsetzen wollen. Ich habe ihn gebeten, sich eine clevere Methode auszudenken, um »gestorbene« Batterien aufzuladen, da ich den Eindruck habe, dass viele Autobatterien auf dem Festland so tot sind wie ihre Besitzer. Wir arbeiten ebenfalls an Flucht- und Ausweichplänen. Wohin sie führen, weiß niemand.
24. März
Der radioaktive Niederschlag hat uns verschont. Wir müssen auf jeden Fall die ehemaligen Großstädte meiden, weil dort, da bin ich sicher. hohe Strahlendosen existieren. Die Meldungen der nun toten Späher haben das bestätigt. Dann ist da noch die Sache mit der anderen Information, die wir vor ein paar Tagen aus Louisiana erhalten haben. Ich höre sie stöhnen. Der Wind trägt ihr Ächzen heran. Es klingt, als stünden sie genau vor dem Fenster. Ich weiß zwar, dass es nicht so ist, aber allein die Vorstellung zerrt an meinen Nerven. Das Gestöhn ist nicht menschlich. Es klingt tief und kehlig, leise und unnatürlich. Ich muss die nähere Umgebung überprüfen.
26. März
Untote können zwar nicht schwimmen, aber durchaus im Wasser »existieren«. Heute war es klar draußen. Die See war ruhig. Wir wollten auf die Pier hinaus, um etwas Sonne zu tanken. Ich nahm meine Büchse mit, um auf unserem kleinen Ausflug die Sicherheit zu gewährleisten. Die blasse Klein- Laura hatte ein wenig Sonnenlicht bitter nötig. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich sie nie nach draußen ließ. Ich stand da und behielt das Ufer im Auge, während die anderen die Schuhe auszogen und die Beine über den Rand des Piers ins Wasser baumeln ließen.
Während ich das Ufer mit Blicken absuchte, sah ich -abgesehen von den geplagten Kreaturen im Hotelzimmer gegenüber - nirgendwo eine Bewegung. Ich schaute hinter mich. Alle schienen sich des Lebens zu freuen. Wir waren leise, denn wir wussten von den Gefahren, die in dem uns umgebenden urbanen Gebiet lauerten. Ich schaute aufs Wasser hinaus und bemerkte etwas Dunkles, das sich unter der Oberfläche bewegte. Das dunkelgrüne Meerwasser beeinträchtigte meine Sicht.
Ich rief John zu mir. William wies ich an, bei den anderen zu bleiben, sie im Auge zu behalten und ihnen zu sagen, sie sollten die Füße aus dem Wasser ziehen. Am Schwimmsteg hingen ein Rettungsring und eine lange Stange mit Haken, mit der man Menschen aus dem Wasser fischen kann. Ich sah zuerst zur Stange, dann zu John. Er holte sie, und ich stierte weiter in die grüne Tiefe. Da war es wieder. Unter der Oberfläche bewegte sich eindeutig irgendwas Großes.
Damit ich nicht umfiel, hielt John mich an meinem Gürtel fest. Ich tauchte die Stange ins Wasser. Ich spürte, dass der Haken den Gegenstand berührte. Nach einigen Minuten des Ziehens und Zerrens hatte ich ihn endlich erwischt. Als ich das verrottende Ding nach oben zog, dachte ich mit einem Gefühl der Übelkeit an all die Fische, die sich, bevor wir sie verzehrt hatten, möglicherweise an diesem Leichnam gütlich getan hatten. Der Untote schlug um sich, sein Mund klaffte auf, er knirschte mit den Zähnen. Als er den Mund aufriss, um ein Stück aus mir herauszubeißen, sah ich, dass abgestandenes Wasser aus seiner durchlöcherten Kehle strömte. Es erzeugte ein leises Gurgeln.
Das Ding hatte keine Augen mehr, die Fische hatten sie gewiss schon vor Wochen verzehrt. Es hatte lange im Wasser gelegen. Ich zog es auf den Pier. Als der Torso auf dem Trockenen lag, sah man, dass die Beine fehlten. Da es noch immer gefährlich war, beschloss ich, es mit einem Messerstich in die linke Augenhöhle zu erledigen. Ich hielt den Kopf mit dem Haken fest, schob die Klinge vorsichtig hinein und neutralisierte das jämmerliche Elend.
Es dauert bestimmt lange, bis ich mich wieder entschließen kann, mich aus Gründen der Entspannung in ein Gewässer zu begeben. Ich zog die Gangway mit dem Flaschenzug an Land. Mit dem Hakenstab schleifte ich das Ding über die Straße. John deckte mich mit dem Gewehr. Als Laura mich die Leiche fortschleppen sah, fing sie an zu weinen. Ich fühlte mich schlecht, und als ich die grässliche Masse über den Boden zog, hasste ich das Ding noch mehr. Als der schleimige Torso über den von der Sonne erhitzten Gehsteig schrammte, hinterließ die Leiche auf dem Boden schwarze Schlieren.
27. März
Draußen heult der Wind. Das Ächzen der Untoten scheint mit jedem Tag lauter zu werden. Jetzt sind es mehrere Dutzend, die vor dem Schwimmsteg am Ufer entlangpatrouillieren. In jeder Sekunde, die sie dort sind, muss ich mich ermahnen, nicht rauszugehen und sie umzunieten. Heute Nacht werde ich mir wieder 9mm- Patronen in die Ohren stecken, denn der Lärm ist einfach unerträglich. Obwohl eine neue Nacht hereinbricht, kann ich die Schleifspuren des Untoten am Ufer noch sehen, den ich gestern ausgeschaltet habe.
Wir sind alle der Meinung, dass es Zeit für einen Umzug ist. Wir haben uns ein Zieldatum von einer Woche gesetzt. Bis dahin wollen wir weitere Vorräte organisieren und einen passenden Ort aussuchen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass der, der nicht umzieht, sterben muss. Und wenn man nicht stirbt, wird man einer von ihnen. Das ist schlimmer.