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Karen lehnte sich in die breiten Polster der Business Class zurück und nippte an ihrem Glas Orangensaft. Neben ihr steckte McAllister Taggert wie schon auf dem Flug nach New York bereits wieder die Nase in Geschäftsunterlagen aus seiner Aktentasche.
Und wenn er keine Papiere las, telefonierte er. Er aß mit einer Hand, Unterlagen in der anderen. Als sie in Washington auf dem Dulles Airport gelandet waren, reichte er ihr drei Einhundert-Dollar-Noten, sagte »grüne Kofferschilder« und nickte in Richtung Gepäckfließband. Karen war versucht, dem Gepäckträger einen der Geldscheine als Trinkgeld zu geben, bezahlte die fünf Dollar aber statt dessen aus eigener Tasche und machte sich auf die Suche nach Taggert. Sie fand ihn, Autoschlüssel in der Hand, und schnell liefen sie durch die Kälte zum Mietwagen.
In der Wärme des Autos kam es ihr fast intim vor, mit ihm allein zu sein, und sie suchte nach einem Gesprächsthema. »Wenn ich mich als Ihre Verlobte ausgeben soll, müßte ich dann nicht wenigstens etwas über Sie wissen?«
»Was wollen Sie denn wissen?« fragte er so abweisend, daß sie ihm einen verächtlichen Blick zuwarf.
»Eigentlich nichts. Ich nehme an, eine Frau braucht nur zu wissen, daß Sie reich genug sind.«
Karen hatte vermutet, ihn mit dieser Bemerkung zu einem Lächeln oder einer ironischen Entgegnung zu bewegen, aber so war es nicht. Statt dessen blickte er mit gerunzelter Stirn auf die Fahrbahn hinaus. Für den Rest der Fahrt hüllte sich auch Karen in Schweigen. Sie nahm sich vor, mit »Unterhalt« auf die mögliche Frage zu reagieren, warum sie die Absicht hatte, Mr. J. Taggert zu heiraten.
Er fuhr mit ihr über die Autobahnen von Virginia nach Alexandria, dann durch eine Waldlandschaft und vorbei an wundervollen Häusern, bis er an einer Kiesstraße scharf nach rechts abbog. Minuten später kam ein Haus in Sicht, von dem sich alle kleinen Mädchen erträumen, dort Weihnachten feiern zu können: zwei Stockwerke hoch, mit hohen Säulen an der Vorderfront und perfekt angeordneten Fenstern. Fast erwartete sie, von George und Martha Washington begrüßt zu werden.
Der Rasen vor dem Haus und das, was sie von den hinteren Gärten sehen konnte, wimmelten von Menschen, die Touch-Football spielten, Reisig sammelten oder einfach nur dahinschlenderten. Und buchstäblich überall schienen Kinder zu sein.
Sobald sie das Auto erblickten, schienen sich alle wie ein Vogelschwarm auf sie zu stürzen, rissen die Tür auf und zerrten Karen heraus. Sie stellten sich als Laura und Debora vor, als Larry und David, als ...
Ein sehr gut aussehender Mann packte sie und küßte sie hörbar auf den Mund. »Oh!« war alles, was Karen hervorbrachte.
»Ich bin Steve«, bot er als Erklärung an. »Der Bräutigam. Hat denn Mac nichts von mir erzählt?«
»Taggert redet selten mit mir. Es sei denn, er will etwas von mir«, platzte Karen ohne nachzudenken heraus und sah sich dann entsetzt um. Diese Leute waren seine Freunde, was sollten sie nur von ihr halten?
Zu ihrer Verblüffung brachen sie in Lachen aus.
»Mac, endlich hast du eine Frau gefunden, die dein wahres Ich kennt«, rief Steve über das Autodach hinweg, während er einen Arm um Karens Schultern legte. Eine hübsche Frau legte von der anderen Seite ihren Arm um Karen, und gemeinsam führten sie sie ins Haus.
Sie gingen mit ihr an herrlichen Räumen mit riesigen Kaminen vorbei, in denen anheimelnde Feuer flackerten, dann eine breite Treppe hinauf und über zwei Flure zu einer weißen Tür. Steve stieß sie auf. »Er gehört ganz Ihnen«, sagte er lachend, schob sie ins Zimmer und zog die Tür hinter ihr zu.
Taggert befand sich bereits im Raum, ihre Koffer lagen auf Gepäckablagen, und es gab nur ein Bett. »Das ist ein Irrtum«, sagte Karen.
Mit gerunzelter Stirn blickte Mac das Bett an. »Ich habe mich schon um etwas anderes bemüht, aber erfolglos. Das Haus ist voll. Jedes Bett, jede Couch, jedes Gitterbettchen ist bereits in Beschlag genommen. Aber falls Sie befürchten, ich könnte Sie nachts überfallen, kann ich versuchen, ein Hotelzimmer für Sie zu bekommen.«
Er hatte etwas an sich, das sie immer wieder zu ungewohnten Reaktionen veranlaßte. »Wenn das Haus voll ist, werden meine Schreie wenigstens gehört.«
Er lächelte sie schief an und begann sich das Hemd aufzuknöpfen. »Jetzt sollte ich wohl erst einmal unter die Dusche. Der Probelauf für die Hochzeit beginnt in einer Stunde.« Er sah sie an, als wäre sie die Heldin eines viktorianischen Romans, die schon bei der Vorstellung, ein Mann könnte sich entkleiden, fluchtartig den Raum verließ. Aber sie dachte gar nicht daran, sich von ihm einschüchtern zu lassen. »Dampfen Sie bitte den Spiegel nicht so ein«, sagte sie und tat so, als würde es ihr nichts ausmachen, das Zimmer mit einem fremden Mann zu teilen.
Schmunzelnd verschwand er im Bad und ließ die Tür einen Spaltbreit offenstehen, damit der Dampf entweichen konnte.
Als er außer Sicht war, atmete Karen tief durch und blickte sich erst einmal um. Der Raum war ganz in grüner Seide gehalten und mit Möbeln aus der Zeit des Bürgerkriegs eingerichtet. Als sie die Dusche rauschen hörte, machte sie sich ans Auspacken. Zu spät bemerkte sie, daß sie aus reiner Gewohnheit auch gleich Taggerts Koffer geleert hatte. Sie stellte seine Schuhe in den Schrank neben ihre und wäre fast in Tränen ausgebrochen. Es war schon so lange her, seit sie Männerschuhe neben ihre geparkt hatte.
Als sie sich umdrehte, stand da Taggert mit feuchten Haaren und in einem Frotteemantel. Und er beobachtete sie. „Ich ... äh, ich wollte Ihren Koffer gar nicht auspacken, aber ... äh, reine Gewohnheit«, stotterte sie, bevor sie im Bad verschwand und die Tür fest hinter sich schloß.
Sie ließ sich möglichst lange Zeit und stellte tief befriedigt fest, daß er nicht mehr da war, als sie das Bad endlich verließ. Schnell zog sie sich an und eilte die Treppe hinunter, um sich der Hochzeitsgesellschaft anzuschließen, die bereits die Autos bestieg, um für die »Generalprobe« zur Kirche zu fahren. Auf dem Weg zur Kirche nahm ihre Verärgerung über Taggert zu. Wenn sie schon seine Verlobte spielen wollte, müßte er ihr dann nicht zumindest ein wenig Aufmerksamkeit widmen? Statt dessen setzte er sie vor dem Portal ab und überließ es ihr, sich unter all den Fremden allein zurechtzufinden.
Aber dann ging alles ganz glatt, bis zu dem Punkt, als Taggert das Gotteshaus wieder verlassen sollte. Er sollte auf Karen zugehen, ihr den Arm reichen, um dann mit ihr über den Mittelgang hinauszuschreiten. Vielleicht hatte er nicht richtig hingehört, jedenfalls lief er allein los, ohne Karen. Das war zuviel für sie. »Man weiß ja, wie Taggert ist«, sagte sie, »er hält sich selbst für seinen besten Partner.« Jedermann lachte schallend. Taggert drehte sich um und erkannte seinen Fehler. Mit geheuchelter Galanterie kam er zurück, verneigte sich und bot Karen den Arm.
»Wollen Sie mir die ganzen Überstunden am Wochenende heimzahlen?« flüsterte er ihr zu.
»Ich zahle Ihnen Ihr Verhalten gegenüber all den Frauen heim, die zu schüchtern waren, sich gegen Sie zu wehren«, lächelte sie mutwillig.
»Ich bin nicht das Ungeheuer, für das Sie mich halten.« »Dazu würde ich gern Elaines Meinung hören. Wann kommt sie eigentlich?«
Ein Blick in sein Gesicht ließ Karen ihre Frage bereuen.
»Am ersten Feiertag«, sagte er leise, als sie die Kirchentür erreicht hatten, und wandte sich von ihr ab.
Das Dinner wurde zu einer sehr geräuschvollen Angelegenheit, bei dem alle zur gleichen Zeit über Ferien redeten, die man zusammen verbracht, oder Orte, die man gemeinsam besucht hatte. Zunächst konzentrierte sich Karen auf ihr Essen und beteiligte sich nicht an der Unterhaltung der Menschen, die einander so gut kannten. Taggert saß am anderen Ende des Tisches, und auch er war sehr ruhig. Dann und wann blickte Karen zu ihm hin und dachte, er würde sie ansehen, aber er wandte so schnell die Augen wieder ab, daß sie sich nicht sicher sein konnte.
»Karen«, fragte eine der Frauen, und plötzlich wurde es ganz still am Tisch, »wo ist eigentlich Ihr Verlobungsring?« Sie zögerte keine Sekunde. »Taggert hat den gesamten Bestand des Juweliergeschäftes ausgekauft, daher müssen sie auf eine neue Lieferung Diamanten warten. Er kauft sie immer im Dutzend, müssen Sie wissen.«
Die Fenster des Restaurants erbebten vor dem Gelächter, und selbst Mac lachte, als ihm Steve auf die Schulter schlug.
»Die solltest du aber behalten«, wurde gerufen und: »Sieht ganz so aus, als hätte sich dein Geschmack in puncto Frauen verbessert.«
Für den Rest des Essens hatte Karen keine ruhige Minute mehr. Die beiden ihr gegenüber sitzenden Frauen wollten unbedingt wissen, welchen Beruf sie ausübte, wo sie aufgewachsen war, ob sie Geschwister hätte und so weiter. Als sie ihnen erzählte, daß Mac ihr Chef war, wollten sie unbedingt wissen, wie es war, für ihn zu arbeiten.
»Einsam«, entgegnete sie. »Er braucht eigentlich niemanden von uns - nur hin und wieder, um einen Brief zu tippen.«
Zu alldem sagte Taggert kein einziges Wort, aber Karen spürte seine Blicke auf ihr, und selbst wenn sich Steve vorbeugte, um etwas zu ihm zu sagen, ließ er sie nie aus den Augen.
Erst als sie wieder in »ihrem« Zimmer waren, kam Karen der Verdacht, daß sie vielleicht doch ein wenig zu weit gegangen sein könnte. »Übrigens«, begann sie, als er aus dem Bad kam. »Ich hätte heute abend vielleicht nicht...« „Bekommen Sie es jetzt vielleicht doch mit der Angst zu tun?« erkundigte er sich, und sein Gesicht war ihr sehr nahe. Er hat tatsächlich einen wundervollen Mund, dachte. Karen unlogischerweise. Dann riß sie sich hastig zusammen. »Nein, natürlich nicht.«
»Gut. Aber was haben Sie eigentlich mit meinen Jogginghosen gemacht?«
»Ist es jetzt nicht ein wenig spät für sportliche Betätigung?« fragte sie ohne nachzudenken. Schließlich ging es sie nichts an, was er wann machte.
Mac lächelte sie schief an. »Wenn Sie nicht wollen, daß ich nackt schlafe, sind sie die einzige Alternative.«
»In der dritten Schublade links«, sagte sie und huschte ins Bad. Als sie in einem züchtigen knöchellangen Baumwollnachthemd wieder herauskam, lag er bereits unter der Decke, und ein Polster markierte die Mitte des Bettes. »Wo haben Sie das denn her?« fragte sie, als sie die leere Seite des Bettes okkupierte.
»Gestohlen.«
»Also muß irgendein Unglücklicher auf einer Couch ohne Rückenpolster übernachten.«
»Sol ich es wieder zurückbringen? Sie können sich auch gern an mich schmiegen. Oder, noch besser, wir können eine ernsthafte Diskussion über diesen Behälter anfangen, in den ich Ihren Wünschen entsprechend meinen ...« »Gute Nacht«, unterbrach sie ihn energisch und wandte ihm den Rücken zu, mußte aber lächeln.