VII
Als Randy in die Badewanne trat, war das Wasser so heiß, daß ihre Zehen schmerzten, aber sie brauchte die Wärme, brauchte die Hitze, um innerlich aufzutauen. Frank Taggert kam ihr vor wie ein Eisberg. Sie fragte sich, ob in ihm auch nur ein Funken menschlicher Wärme war, ob er je einen anderen Menschen geliebt hatte. Plötzlich kam er ihr vor wie einer der Helden aus ihren Liebesromanen: tiefverletzt durch eine rücksichtslose Frau, und nun schützte er sein empfindsames, liebebedürftiges Herz durch ein kaltes, abweisendes Äußeres.
Fast hätte sie bei dieser Vorstellung laut aufgelacht. Den ganzen Abend lang hatte er sie beobachtet, selbst wenn sie ihm den Rücken zudrehte. Er schien sie ein- und abschätzen zu wollen. Wie ein Buchhalter, der herausfinden wollte, in welcher Rubrik er eine Ausgabe zu verbuchen hatte.
»Leslie besaß zumindest Leidenschaft«, flüsterte sie vor sich hin und streckte sich in der Wanne aus. »Er log mit Leidenschaft, betrog mit Leidenschaft, arbeitete mit Leidenschaft. « Aber wenn sie diesem Frank Taggert in die Augen blickte, sah sie dort keine Spur von Leidenschaft - für nichts. Er würde einen nie darüber belügen, wo er die Nacht verbracht hatte, weil es ihm gleichgültig wäre, ob er sie durch seine Untreue verletzt oder nicht.
Und deshalb ist es besser, gar nicht weiter über Mr. Milliardär nachzudenken. Statt dessen dachte sie sehnsüchtig an Eli und Chelsea und fragte sich, was die beiden wohl gerade machten. Würde Eli in ihrer Abwesenheit auch ordentlich essen? Würde er irgendwann seinen Computer ausschalten und zu Bett gehen, wenn sie nicht da war, um es ihm zu sagen? Würde er...
Sie mußte aufhören, an ihren Sohn zu denken, sonst würde sie aus Sehnsucht nach ihm noch zu heulen anfangen. Plötzlich machte sie sich bewußt, daß sich derjenige, der Frank Taggert einen Streich gespielt hatte, auch mit ihr einen Scherz erlaubt hatte. Offenbar fand es jemand irrwitzig komisch, eine einfache, durchschnittliche Frau wie sie eine Woche mit einem reichen Mann wie Mr. Taggert verbringen zu lassen.
Sie trat aus der Wanne, trocknete sich ab und öffnete ihre Reisetasche, um ihr Flanellnachthemd und den alten Bademantel herauszuholen. Beim Anblick des Inhalts ergriff sie leichte Panik. Das waren nicht ihre Sachen. Als sie das Christian-Dior-Etikett an dem herrlichen rosafarbenen Nachtgewand entdeckte, wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Sie nahm es heraus und stellte fest, daß es aus feinster ägyptischer Baumwolle bestand, auf dem Oberteil waren winzige Seidenrosen appliziert. Das dazupassende Neglige war nahezu durchsichtig. Man brauchte nicht unbedingt Elis Superhirn, um zu erkennen, daß dies nichts war, was eine schlichte Haushälterin tragen sollte.
Sie wickelte sich in ein Frottiertuch, rannte aus dem Bad, vorbei an dem Bett, auf dem Frank Taggert saß, hinter die Deckenabtrennung und begann in ihrer anderen Reisetasche nach ihren eigenen Sachen zu suchen.
»Gibt es irgendein Problem? « erkundigte er sich hinter den Decken.
»Nein, selbstverständlich nicht. Was für ein Problem sollte es geben? « Fast verzweifelt wühlte sie in der Tasche, aber keins der Kleidungsstücke kam ihr bekannt vor. Wenn ein Filmstar der dreißiger Jahre eine Woche in den Rockies verbringen wollte, hätte er genau diese Sachen einpacken lassen. Aber Randy hatte noch nie Kleidungsstücke aus Cashniere, Seide oder Angorawolle getragen, die so weich war, das man sie als Puderquaste benutzen konnte.
Randy kannte sich als üblicherweise tolerante Frau. Schließlich hatte sie sich anhand von Leslies Mätzchen in Geduld üben können. Aber dies war zuviel.
Mit einer Hand teilte sie die Deckenwand, in der anderen hielt sie drei Cashmere-Pullover und streckte sie Frank Taggert entgegen. »Ich will jetzt endlich wissen, was hier vor sich geht. Warum bin ich hier? Wessen Sachen sind das? «
»Sind Sie eigentlich verheiratet, Mrs. Stowe? « Frank saß auf dem Bett und öffnete die Schnürsenkel seiner Stiefel.
»Geschieden. «
»Nun, dann beginne ich zu verstehen. Ich stamme aus einer großen Familie, die sich ständig vermehrt. Ich glaube, sie haben beschlossen, daß ich das endlich auch tun soll. «
»Sie... « Entsetzt ließ sich Randy auf ihr Bett fallen. »Sie haben... Sie meinen, sie wollen, daß wir... «
»Ja. Zumindest ist das meine Vermutung. «
»Ihre... Vermutung? « Sie schluckte trocken. »Eben dachte ich, daß es für Ihre Familie vielleicht sehr erheiternd sein könnte, eine Frau wie mich mit einem Mann wie Ihnen zusammenzubringen. «
Er tat nicht so, als würde er sie mißverstehen. Während sie sprach, fummelte er mit einer Hand an seinen Schnürsenkeln, bekam aber den Knoten nicht auf.
Ohne groß darüber nachzudenken, was sie tat und wie sie bekleidet war, kniete sich Randy vor ihm hin, lockerte die Schnürsenkel und zog ihm die Schuhe aus. »Ich möchte ja nicht neugierig sein«, meinte sie, zog ihm die Socken aus und massierte ihm schnell die Füße, wie sie es bei Eli tat und bei Leslie getan hatte. Das Frottiertuch begann zu rutschen. »Moment«, rief sie, lief ins Bad und streifte sich widerwillig das neue Nachtgewand nebst Neglige über. »Aber warum sind sie ausgerech-net auf mich verfallen? « fragte sie, als sie zurück war. »Mit Ihrem Aussehen und Ihrem Geld könnten Sie doch jede haben. «
»Vermutlich gefallen Sie ihnen. Sie sehen aus wie ein Bild der Fruchtbarkeit. «
Sie griff nach seinem Kragen und begann sein Hemd aufzuknöpfen. »Ein was? «
»Ein Symbol der Fruchtbarkeit. Eine Hymne auf die Mutterschaft. Ich wette, Ihr Sohn ist die Erfüllung Ihres Lebens. «
»Wäre das so falsch? « erkundigte sie sich schnippisch.
»Durchaus nicht, wenn es Ihr Wunsch ist. «
Sie zog ihm das Hemd aus. »Was wäre schöner für eine Frau, als sich ihren Kindern zu widmen? «
»Sie haben mehrere Kinder? «
»Nein«, erwiderte sie traurig und sah an seinen Augen, daß er fast »Das wußte ich« gesagt hätte. »Sie meinen also, Ihr Bruder hätte mich in der Hoffnung hierhergeschickt, daß ich... was, Mr. Taggert? «
»Beim Anblick Ihres Negliges würde ich sagen, daß es Mike war. Seine Frau Samantha ist die personifizierte Romantikerin. «
»Die personifizierte Romantikerin? «
»Ja. Ihr Lebensziel besteht darin, für Mike und ihre immer zahlreichere Brut sorgen zu können. «
»Offenbar sind Sie nicht mehr ganz auf dem laufenden. Wenn Sie gelesen hätten, was ich gelesen habe, wüßten Sie, daß die Heldinnen der Liebesromane sich ein eigenes Leben wünschen, eine Berufskarriere und... «
»Einen Ehemann und Kinder. «
»Vielleicht. Stehen Sie auf«, befahl sie und fing an ganz unbewußt an, seine Hosen zu öffnen. Sie hatte schon so viele Patienten entkleidet, daß sie sich gar nichts dabei dachte.
»Wie viele Ihrer Romanheldinnen sagten sich: Ich möchte zwar mit einem Mann schlafen, aber ich will nicht heiraten und Kinder bekommen? « fragte er.
»Verstehe. Vermutlich ist Normalität die Voraussetzung für eine Heldin oder einen Helden. «
»Und sich gegen eine Ehe und Kinder zu entscheiden ist unnormal? «
Sie lächelte ihn kühl an. »Ich bin zwar noch nie einem Mann wie Ihnen begegnet, würde aber annehmen, daß Siel nicht verheiratet sind und nie heiraten werden, daß Sie keine Kinder haben, und falls doch, Sie sie nur aufgrund eines Gerichtsbeschlusses besuchen würden. «
Sie hatte ihn bis auf Unterhose und T-Shirt entkleidet, und er war zweifellos in phantastischer körperlicher Verfassung, aber sie empfand für ihn nicht mehr als für eine Statue.
»Was bringt Sie auf den Gedanken, daß ich keine Frau habe? Ich könnte jederzeit heiraten. « Er hörte sich fast neugierig an.
»Davon bin ich überzeugt. Aber jede Frau würde Sie nur wegen Ihres Geldes heiraten. «
»Ich muß doch sehr bitten! «
Vielleicht war es nicht richtig von Randy, aber sie empfand Genugtuung darüber, ihn aus seiner unerschütterlichen Ruhe gebracht zu haben. »Sie sind nicht gerade der Mann, von dem eine Frau träumt. «
»Und wovon träumt eine Frau, Mrs. Stowe? «
Verträumt lächelnd schlug sie sein Bett auf. »Sie träumt von einem Mann, der ihr allein gehört, von einem Mann, dessen ganzes Sein sich nur um sie dreht. Er geht vielleicht hinaus in die Welt und löst deren Probleme, aber wenn er nach Hause kommt, legt er seinen Kopf auf ihren Schoß und versichert ihr, das alles hätte er ohne sie nie bewerkstelligen können. Und sie muß wissen, daß er die Wahrheit sagt, daß er sie braucht. «
»Verstehe. Ein starker Mann, der schwach ist. «
»Sie verstehen es offenbar nicht«, seufzte sie. »Müssen Sie eigentlich immer alles analysieren? Unter die Lupe legen und sezieren? Müssen Sie alles sortieren und verbuchen? « Sie musterte ihn streng. »Wofür scheffeln Sie eigentlich Ihre Milliarden? «
Sie hielt die Decke einladend hoch, und er schlüpfte ins Bett. »Ich habe viele Nichten und Neffen, und ich kann Ihnen versichern, daß mein Testament bereits geschrieben ist. Falls ich morgen sterben sollte... «
»Wer wird Sie vermissen, falls Sie morgen sterben sollten? Wer wird um Sie weinen? «
Plötzlich war sie sehr müde. Sie wandte sich von ihm ab, teilte die Deckenwand und stieg in ihr eigenes Bett. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Vielleicht lag das an Elis Gerede davon, aufs College gehen zu wollen, vielleicht an den Andeutungen dieses Mannes, daß sie eigentlich viele Kinder haben sollte. Wenn Eli sie verließ, würde sie allein sein, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß irgendein hinreißender Fremder auf einem schwarzen Hengst vor ihre Tür geritten kam, und...
Dann dachte sie nicht mehr, sondern schlief ein.
Sie wußte nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als eine Männerstimme sie weckte.
»Mrs. Stowe. «
Verblüfft starrte sie zu Frank Taggert auf. Nur mit seiner Unterwäsche bekleidet, den Arm bis zur Schulter in Gips, blickte er ernst auf sie herunter. Schwacher Feuerschein aus dem Kamin erleuchtete den Raum.
Ich wette, daß er genau diesen Augenausdruck hat, wenn er eins seiner Millionen-Dollar-Geschäfte abschließt, dachte sie und fragte sich, was er von ihr wollte.
»Ja? «
»Ich habe Ihnen etwas vorzuschlagen. Eine Art Fusion. «
Sie richtete sich halb auf und lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes, völlig unbewußt, daß sich unter dem Nachthemd jede Kurve ihres Körpers abzeichnete. Auch Frank schien es nicht zu bemerken.
»Normalerweise«, begann er, »wären Ihre Worte ohne jede Wirkung auf mich geblieben. Das - und mehr - haben mir
meine Angehörigen schon häufiger gesagt. Aber es will mir scheinen, wenn ein Mann das vierzigste Lebensjahr erreicht hat... «
»Und seine erste Milliarde«, warf sie ein.
»Nun ja, dann kommt der Zeitpunkt, an dem ein Mann anfängt, über seine Sterblichkeit nachzudenken. «
»Midas«, erinnerte sie ihn knapp an den legendären König, der alles, auch sein Kind, in Gold verwandelt hat.
»Wenn Sie meinen. « Er zögerte. Flüchtig huschte sein Blick über ihre Brüste. »Aber im Gegensatz zu dem, was die Leute von mir denken, bin auch ich nur ein Mensch. «
Hastig zog Randy die Bettdecke bis zum Kinn. Sie war nicht der Typ für ein schnelles Abenteuer. Sie lehnte sogar Liebesromane ab, in denen die Heldin eine Vielzahl von Liebhabern hatte. »Mr. Taggert... «, begann sie.
Aber er streckte beruhigend die Hand aus. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich bin kein Wüstling. «
Randy ließ die Bettdecke los. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie eine Frau war, die Männer zu unkontrollierter Lust trieb. »Und was wollen Sie mir nun eigentlich sagen? «
»Ich möchte Sie fragen, ob Sie unter Umständen in Erwägung ziehen könnten, mich zu heiraten. «