Kapitel 23
Mascara stürzte auf den toten Gamal zu.
»Er hat es geschafft!«, schrie sie. »Dieser verdammte Hundesohn vom Stamm der Ait Yazza hat es geschafft!«
Derek Hammer hörte gar nicht zu. Er war an eines der Fenster gelaufen und warf einen Blick nach draußen. Die Angreifer befanden sich bereits innerhalb der Oase. Sogar im Haus wurde schon geschossen. Derek sah Feuer auflodern und in den Flammen die Schlangen der Mascara Snake verkohlen.
Schüsse. Ganz in der Nähe der Tür.
Derek hetzte vom Fenster weg. Er packte Mascara und warf sie hinter einen Diwan in Deckung.
Da flog die Tür auf. Zwei wild aussehende Berber stürmten in das Zimmer. Schnellfeuergewehre lagen in ihren nervigen Fäusten. Die Mündungen pendelten sich auf Derek Hammer ein.
Wie ein Panther sprang Derek die beiden an. Er hechtete flach über den Boden. Die Berber verloren das Gleichgewicht und kippten nach hinten. Ihre Kugeln fuhren in die Decke, wo sie faustgroße Löcher rissen.
Den rechten Kerl katapultierte Derek wieder aus dem Raum heraus, dem linken entwand er mit einem Judogriff das Gewehr.
Der Mann sprang ihn trotzdem an. Er lief in Dereks Schlag hinein. Der Lauf des Gewehres knallte gegen seinen Hals. Dereks Gegner verdrehte die Augen und legte sich schlafen.
Mascaras Warnschrei riß Derek Hammer herum. Zu spät.
Zwei Gewehrmündungen bohrten sich in seinen Rücken.
Derek ließ seine Waffe fallen, als wäre sie glühendheiß. Sekunden vergingen. Noch mehr Männer kamen. Drei finstere Gestalten starrten ihn an. Ein vierter hatte sich Ula gepackt. Der bißlose Vampir schlotterte vor Angst. Zwei andere hielten Mascara Snake umklammert. Die Spitze eines Messers ritzte ihren Hals.
Einer von Dereks Bewachern rief etwas in den Flur hinaus, was Hammer nicht verstand. Sekunden später jedoch wußte er, was oder wer gemeint war.
Ein Mann in einer weiten Djellabah tauchte auf. Die Kapuze des Mantels war nach hinten geschlagen. Er trug einen knallroten Fes auf dem Kopf und paßte mit seiner Statur kaum durch die Tür.
Derek Hammer brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, wen er vor sich hatte.
Ibn Idran, der Stammesfürst der Ait Yazza und Mascara Snakes Todfeind.
Mascara stöhnte auf. Sie war völlig hilflos. Die übriggebliebenen Schlangen waren geflüchtet. Jetzt herrschte Ibn Idran mit seinen Männern in der Oase.
Und er lachte. Es war ein böses, gemeines Lachen. Stolz schritt er auf Mascara Snake zu.
»Die Zeit der Abrechnung ist gekommen, Mascara«, sagte er. »Endlich!«
Er zog seinen Krummdolch aus der silbernen Scheide und ließ den Stahl vor Mascaras Augen aufblitzen. Dann holte er mit der anderen Hand ein Tuch hervor und grinste.
»Du weißt, was ich damit vorhabe?«, fragte er höhnisch.
Mascara schwieg.
Mit einer Handbewegung gab Ibn Idran seinem Mann zu verstehen, das Messer von Mascaras Kehle zu nehmen.
Der Berber gehorchte. Dann umschlang der bärenstarke Ibn Idran Mascara Snake mit einem Griff. Der Krummdolch schien an ihrer Kehle zu kleben. Mit der anderen Hand warf Idran einem seiner Männer das Tuch zu.
»Schminkt dieses Weib ab!«, befahl er.
Der Mann gehorchte. Er entfernte Mascaras magisches Augen-Make-up.
Jetzt war die Königin der Schlangen völlig hilflos ihrem Todfeind ausgeliefert.
»Fesseln!«, rief Ibn Idran.
Drei Männer stürzten sich auf Mascara. Sie fesselten sie geschickt und so, daß sie sich unmöglich befreien konnte.
Derek Hammer hatte nichts für Mascara tun können. Er spürte noch immer den Druck der Mündungen in seinem Rücken. Eine falsche Bewegung seinerseits, und die Kugeln würden ihn durchlöchern.
Im Haus wurde nicht mehr geschossen. In Ibn Idrans Gesicht konnte Derek lesen, daß er mit seinem Feldzug zufrieden war. Er stand mitten im Raum und blickte sich um. Als er Ula sah, begann er nur verächtlich zu grinsen, aber auf Derek Hammer blieb sein Blick haften.
»Wer bist du?«, fuhr er ihn an.
Ibn Idran sprach französisch, was auch Derek fließend beherrschte.
»Mein Name ist Derek Hammer.«
Ibn Idran deutete auf die gefesselte Mascara. »Gehörst du zu ihr?«
»Ja und nein.«
Die Brauen des Stammesfürsten zogen sich drohend zusammen.
»Was soll das heißen?«, fauchte er.
Derek hatte keine Lust, dem Mann die wahren Verhältnisse auseinanderzulegen. Er schwieg.
Ibn Idran faßte das Schweigen als Beleidigung oder Mißachtung auf. Plötzlich stand er vor Derek. Hammer spürte die Schneide des Krummdolchs an seiner Kehle.
»Du gehörst also zu ihr«, flüsterte Ibn Idran gefährlich leise. »Und weißt du, was ich mit Leuten mache, die meine Feinde sind?« Er lachte plötzlich böse und sagte mit schneidender Stimme: »Denen schneide ich die Kehle durch.«
Derek Hammer lief eine Gänsehaut über den Rücken. Dieser Ibn Idran sah aus, als würde er nicht bluffen.
»Halt!«, rief da plötzlich eine Frauenstimme. »Halt ein, Ibn Idran! Du darfst den Mann nicht töten!«
Idrans Kopf ruckte herum. Dabei bewegte sich allerdings die gebogene Schneide des Krummdolchs nicht einen Millimeter von Dereks Kehle weg.
Auch Hammer verdrehte die Augen.
Eine Frau stand in der Tür. Das rotblonde Haar hing ihr schweißnaß in die Stirn. Ihr lilafarbenes Kleid war zerrissen und schmutzig, aber in ihren Augen leuchtete ein fanatischer Wille.
Es war Telronja, Ibn Idrans Gattin.
»Was mischst du dich in unsere Angelegenheiten ein, Telronja?«, fuhr Ibn Idran seine Frau an. »Dieser Kerl gehört zu Mascara Snake, und er muß sterben. Er hat meinen Männern …«
»Er und der Mann dort in der Ecke«, , dabei wies Telronja auf den zitternden Vampir, »haben mich gerettet.«
Idran runzelte die Stirn. Er konnte nicht glauben, was seine Frau sagte. Zögernd nahm er die rasiermesserscharfe Klinge von Dereks Hals.
Hammer atmete auf.
Ibn Idran ging auf seine Frau zu.
»Das müßtest du mir erklären, meine Liebe«, sagte er.
Telronja nickte. Dann berichtete sie, daß Ula sie in dem Verlies besucht und ihr versprochen hatte, ein Zeichen an die Wand zu malen. Er selbst wäre allerdings nicht gekommen, sondern ein brennender Mann hätte ihr geholfen.
Ibn Idran schaute ziemlich ungläubig drein, hob aber dann die Schultern und meinte: »Inch' Allah. Sie sind frei, deine Freunde.«
Telronja lächelte. »Ich danke dir.«
Ibn Idran winkte ab.
Ula kam zu Derek Hammer gelaufen. Er lachte. »Daß wir das geschafft haben, kann ich immer noch nicht glauben. Ich sah mich schon mit abgehacktem Schädel irgendwo in der Wüste verfaulen.«
Derek winkte ab. »Nun übertreib mal nicht!«
Er fing einen Blick von Mascara Snake auf und sah darin die Angst leuchten. Ja, die Schlangenfrau hatte Angst. Man hatte sie ihres Augen-Make-ups beraubt, und nun war sie hilflos. Das schien auch Telronja zu wissen.
Heftig drängte sie Ibn Idrans Leute zur Seite, die ihr im Weg standen. Dann stand sie der gefesselten Mascara Snake gegenüber. Die beiden Frauen trugen einen stummen Kampf mit Blicken aus. Man glaubte den Haß zwischen ihnen knistern zu hören.
Plötzlich hob Telronja eine Hand und schlug Mascara Snake ins Gesicht. Der Schlag rüttelte die Schlangenfrau durch, und sofort begann ihre linke Wange anzuschwellen.
Den nächsten Schlag bekam sie auf die rechte Gesichtshälfte. Telronja lachte auf.
»Das war erst der Anfang«, sagte sie. »Bevor du zur Hölle fährst, wirst du noch alle Qualen durchgemacht haben. Das schwöre ich dir.«
Ibn Idran zog seine Frau weg.
»Laß sie!«, sagte er. »Wir werden sie mitnehmen und über sie zu Gericht sitzen. Sie wird ihre verdiente Strafe bekommen.«
»Hoffentlich wird es der Tod sein«, zischte Telronja.
Sie mußte Mascara bis auf den Grund ihrer Seele hassen.
Derek Hammer kam die Entwicklung gar nicht so gelegen. Er und Ula konnten sich zwar als freie Männer bewegen, doch daß Mascara gefangen war, schmeckte ihm nicht. Schließlich war sie das Verbindungsglied zu Magus und Lemuron. Derek hatte gehört, daß Mascara in das Lager der Ait Yazza geschleppt werden sollte. Er war von Magus und Lemuron in diesen Augenblicken weiter entfernt als bisher.
Ibn Idran schickte die Mehrzahl seiner Männer aus, um das Haus und die Oase gründlich zu durchsuchen. Was an Schlangen angetroffen wurde, sollte getötet werden. Telronja gab er in die Obhut eines Vertrauten. Sie ging nicht, bevor sie Mascara Snake noch einen haßerfüllten Blick zugeworfen hatte.
Mit zwei Männern blieb Ibn Idran zurück. Er wandte sich an Derek Hammer. Nahezu freundschaftlich legte er ihm eine Hand auf die Schulter.
»Wir reiten morgen früh weiter«, sagte er. »Wenn du und dein Freund mit uns reiten wollt – ich habe nichts dagegen. Ihr könnt euch der Karawane anschließen. Als freie Männer. Von uns habt ihr nichts zu befürchten.«
Derek lächelte. »Ich danke dir, Ibn Idran. Wir werden deinen Vorschlag annehmen.«
Ula, der die Worte gehört hatte, verzog das Gesicht. Der bißlose Vampir konnte Hammers Handeln nicht begreifen. Ihm war anzusehen, daß er so schnell wie möglich aus Marokko verschwinden wollte. Aber es ging ja nicht nach seiner Nase.
In den unteren Etagen durchsuchten die Männer das Haus. Man hörte Schreie, Flüche und auch mal einen Schuß.
Mascara Snake lag auf dem Diwan und hatte die Augen geschlossen. Es sah so aus, als hätte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden.
Dann betraten zwei Berber das Zimmer. Der erste trug eine Statue in der Hand.
»Sieh, was ich gefunden habe!«, rief er Ibn Idran zu.
Derek Hammer blieb fast das Herz stehen. Die Statue war ihm nicht unbekannt. Sie zeigte den Atlantischen Gott. Deutlich sah Derek das Nußknackergesicht mit dem aufgerissenen Maul und den spitzen Zähnen.
Auch Mascara Snake schreckte hoch. Sie und Derek sahen, wie Ibn Idran die Statue in die Hand nahm und sie betrachtete. Er zog den Mundwinkel nach unten.
»Was soll sie darstellen?«, rief er. Wie ein Kaufmann die Ware, so wog er die Statue in der Hand. »Ziemlich schwer«, murmelte er. »Na ja, egal, wir nehmen sie mit. Alles, was wir an Beute finden, wird zusammengepackt. Wenn Haduk mit den Kamelen kommt, könnt ihr aufladen.«
Die beiden Männer verneigten sich und verschwanden. Ibn Idrans Laune wurde immer besser. Er breitete die Arme aus.
»Meine Freunde«, rief er, »dieser Tag ist der größte in der Geschichte unseres Stammes! Wir werden ihn würdig beschließen – mit einem Fest, das ich zu Ehren meiner Frau Telronja gebe. Und ihr seid dabei.«
Überschwenglich drückte er Derek Hammer und Ula an seine breite Brust. Der Vampir mit den dritten Zähnen war begeistert, im Gegensatz zu Derek Hammer. Ihm gefiel die Entwicklung der Dinge überhaupt nicht. Er hatte zwar in Mascara Snake eine Verbündete gegen Magus und Lemuron gewonnen, aber mit einem gefangenen Partner ließ sich nicht viel anfangen.