Zwölftes Kapitel
In dem die Frage nach dem Lebensglück
in einer Gesellschaft ohne Moral
gestellt wird
Ich ließ meinen Blick durch das Boxstudio streifen. Alles daran war mir vertraut. Der Ring, der Geruch, das schwächliche Licht. Die Sandsäcke, der Punchingball, die Hanteln. Die vergilbten Wände mit ihren Plakaten. Alles war so, wie wir es am Abend verlassen hatten. Die auf der Bank abgelegten Handtücher, die über das Reck gehängten Bandagen.
Ich hörte die Stimme von Takis, Mavros' Vater.
»Na los, Kleiner, komm schon!«
Wie alt mochte ich gewesen sein? Zwölf vielleicht, als Mavros mir sagte: »Mein Vater wird dich trainieren.« In meinem Kopf über-schlugen sich Bilder von Marcel Cerdan. Mein Idol. Auch das von meinem Vater. Boxen war mein Traum. Aber Boxen, Boxen lernen, hieß auch und vor allem meine körperlichen Ängste überwinden, Schläge einstecken und zurückgeben lernen. Sich Respekt verschaffen. Auf der Straße war das lebenswichtig. So hatte meine Freundschaft mit Manu begonnen: mit Faustschlägen. In der Rue du Refuge im Panier-Viertel. Eines Abends, als ich meine schöne Cousine Gélou nach Hause begleitete. Er hatte mich als Itaker beschimpft, dieser Idiot von Hispano! Ein Vorwand. Um einen Streit vom Zaun zu brechen und Gélous Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Na los, schlag zu!«, sagte Takis.
Ich hatte zaghaft ausgelangt.
»Kräftiger! Verdammt. Kräftiger! Nur zu, ich bin daran gewöhnt.«
Er hatte mir seine Wange hingehalten, damit ich zuschlug. Ich hatte es ihm gegeben. Und gleich noch mal. Eine wohl platzierte Gerade. Takis Mavros war zufrieden gewesen.
»Nur weiter so, mein Junge.«
Ich hatte noch einmal zugeschlagen, mit Schwung diesmal, aber er war ausgewichen. Meine Nase war hart gegen seine feste, muskulöse Schulter geprallt. Das Blut begann zu laufen, und ich hatte leicht benommen zugesehen, wie es in den Ring tropfte.
Der Ring war voller Blut.
Ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden. Verflucht, Georges, dachte ich, wir haben uns noch nicht einmal die Zeit genommen, uns ein letztes Mal einen richtigen Kampf zu liefern!
»Montale.«
Hélène Pessayre legte ihre Hand auf meine Schulter. Die Wärme ihrer Handfläche strahlte durch meinen ganzen Körper. Das tat gut. Ich drehte mich zu ihr um. Aus ihren schwarzen Augen sprach ein Hauch von Traurigkeit und viel Wut.
»Wir haben miteinander zu reden.«
Sie sah sich um. Im Saal wimmelte es von Leuten. Ich hatte die beiden Flics aus ihrem Team erkannt. Alain Béraud hatte mir zugewinkt. Eine freundschaftlich gemeinte Geste.
»Da lang«, sagte ich und zeigte auf den kleinen Raum, der Mavros als Büro gedient hatte.
Sie hielt schnurstracks darauf zu. Sie trug heute Morgen meergrüne Jeans und ein großes, schwarzes T-Shirt, das ihr bis über die Oberschenkel reichte. »Heute muss sie bewaffnet sein«, dachte ich.
Sie öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. Hinter sich zog sie die Tür wieder zu. Für den Bruchteil einer Sekunde musterten wir uns. Wir waren fast gleich groß. Ihre Ohrfeige erwischte mich mitten im Gesicht, bevor ich auch nur eine Kippe hervorholen konnte. Überrascht von ihrer Heftigkeit, ließ ich mein Päckchen Zigaretten fallen. Ich bückte mich, um es aufzuheben. Vor ihren Füßen. Meine Wange brannte. Ich richtete mich wieder auf und sah sie an. Sie zuckte nicht mit der Wimper.
»Dazu hatte ich große Lust«, sagte sie kalt. Dann, im gleichen Ton: »Setzen Sie sich.«
Ich blieb stehen.
»Das ist meine erste Ohrfeige. Von einer Frau, meine ich.«
»Wenn Sie wollen, dass es die letzte war, erzählen Sie mir alles, Montale. Vor dem, was ich von Ihnen weiß, habe ich Achtung. Aber ich bin nicht Loubet. Ich kann meine Zeit nicht damit vergeuden, Ihnen zu folgen oder Hypothesen über die Dinge aufzustellen, die Sie wissen. Ich will die Wahrheit. Wie ich Ihnen gestern gesagt habe, graut mir vor der Lüge.«
»Und dass Sie mir nicht verzeihen würden, wenn ich Sie belüge.«
»Ich geb Ihnen eine zweite Chance.«
Zwei Tote, zwei Chancen. Die letzte. Wie ein letztes Leben. Unsere Blicke begegneten sich. Noch herrschte kein Krieg zwischen ihr und mir.
»Da«, sagte ich.
Und ich legte die fünf Disketten von Babette auf den Tisch. Den ersten Satz Kopien, den Cyril mir am Abend gemacht hatte. Er hatte darauf bestanden. In der Zwischenzeit spielten Sébastien und die anderen mir die neuen Marseiller Rap-Gruppen vor. Meine Kenntnisse endeten bei IAM und Massilia Sound System. Ich hinkte hinterher, wie es schien.
Sie spielten mir die Fonky Family vor, junge Leute aus dem Panier und Belsunce – die bei den Bad Boys aus Marseille mitgemacht hatten –und die Band Troisième Œil, die direkt den nördlichen Vierteln entsprungen war. Rap war wahrhaftig nicht mein Ding, aber ich war immer wieder verblüfft, was er zu erzählen hatte. Die treffsicheren Worte. Die Qualität der Texte. Sie sangen von nichts anderem als dem Leben ihrer Kumpel auf der Straße oder im Knast. Auch davon, wie leicht es sich starb. Und von den Jugendlichen, die in der Psychiatrie endeten. Eine Wirklichkeit, mit der ich jahrelang zu tun gehabt hatte.
»Was ist das?«, fragte Hélène Pessayre, ohne die Disketten anzu-rühren.
»Die Anthologie der Aktivitäten der Mafia auf dem neuesten Stand. Genug, um von Marseille bis Nizza alles hochgehen zu lassen.«
»So weit«, antwortete sie bewusst ungläubig.
»So weit, dass es Ihnen schwer fallen wird, wenn Sie sie gelesen haben, sich danach im Polizeihauptquartier in den Fluren aufzuhalten. Sie werden sich fragen, wer Ihnen in den Rücken schießen wird.«
»Stecken Polizisten mit drin?«
Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ich weiß nicht, woher sie die Kraft nahm, aber nichts schien sie erschüttern zu können. Wie Loubet. Das Gegenteil von mir. Vielleicht war es mir deshalb nie gelungen, ein guter Flic zu werden. Ich war zu empfindlich.
»Da stecken jede Menge Leute mit drin. Politiker, Industrielle, Unternehmer. Sie können ihre Namen lesen, wie viel sie kassiert haben, in welcher Bank sie ihre Kohle deponiert haben, die Konto - nummer. All das. Was die Flics betrifft ...«
Sie hatte sich hingesetzt, und ich tat es ihr nach.
»Bieten Sie mir eine Zigarette an?«
Ich reichte ihr meine Packung und Feuer. Sie legte ihre Hand leicht auf meine, damit ich mit dem Feuerzeug näher rankam.
»Was die Flics betrifft?«, nahm sie den Faden wieder auf.
»Man kann sagen, es läuft gut zwischen ihnen und der Mafia. Der Informationsaustausch.«
Der Gangsterboss Jean-Louis Fargette, berichtete Babette in ihrer Dokumentation über das Departement Var, hatte seit Jahren von Polizeibeamten die telefonis che Überwachung gewisser Politi ker gekauft. Nur um sicherzugehen, dass sie sich auch an die Provi— sionen hielten, die ihm zustanden. Damit er Druck auf sie ausüben konnte, falls nötig. Denn einige dieser telefonischen Überwachun— gen bezogen sich auf ihr Privatleben. Ihr Familienleben. Ihre ab— normen sexuellen Neigungen. Prostitution. Pädophilie.
Hélène Pessayre sog ausgiebig an ihrer Zigarette. Wie Lauren I Bacali. Und mit Natürlichkeit dazu. Sie hatte mir ihr Gesicht I zugewandt, aber ihre Augen blickten weit in die Ferne. In ein Irgendwo, wo sie zweifellos ihre Gründe hatte, Flic zu sein.
»Was noch?«, fragte sie und brachte ihren Blick zu mir zurück.
»Alles, was Sie immer wissen wollten. Hier ...»
Ich hatte einen weiteren Auszug der Nachforschungen vor Augen, mit deren Zusammenfassung Babette begonnen hatte. »Legale und illegale Geschäfte sind immer mehr miteinander ver schränkt und führen so zu einem grundlegenden Wandel der Strukturen des Nachkriegskapitalismus. Die Mafiosi investieren in legale Geschäfte, und umgekehrt lassen sie diese Geldmittel in die kriminelle Wirt -schaft fließen. Dazu bringen sie Banken oder Geschäftsunternehmen unter ihre Kontrolle, die mit Geldwäsche oder kriminellen Orga -nisationen zu tun haben.
Die Banken geben vor, in gutem Glauben zu handeln. Ihre Direk-toren wollen nichts von der Herkunft der eingezahlten Gelder wis-sen. Die großen Banken lassen sich nicht nur gegen saftige Kommissionen auf Geldwäsche ein, sie geben den kriminellen Mafiosi auch Kredite zu erhöhten Zinssätzen, sodass die produktiven Investitionen in Industrie oder Landwirtschaft zu kurz kommen.
Es gibt eine direkte Verbindung zwischen der weltweiten Verschuldung, illegalem Handel und Geldwäsche. Seit der Schuldenkrise Anfang der Achtzigerjahre sind die Rohstoffpreise gesunken, was dramatische Einbußen für die Entwicklungsländer zur Folge hatte. Als Auswirkung der von internationalen Gläubigern vorgeschriebenen Sparmaßnahmen werden Beamte entlassen, nationale Unternehmen zu Schleuderpreisen verkauft, öffentliche Investitionen auf Eis gelegt und Kredite für die Landwirtschaft und die Industrie gekürzt. Mit der schleichenden Arbeitslosigkeit und Niedriglöhnen steckt die legale Wirtschaft in einer Krise.«
So weit war es gekommen, hatte ich mir an dem Abend gesagt, als ich diese Sätze las. Zu diesem menschlichen Elend, das sich schon auf allen Feldern breit machte, die wir Zukunft nannten. Wie hoch war die Geldstrafe jener Familienmutter gewesen, die im Super -markt Steaks geklaut hatte? Wie viele Monate Gefängnis hatten die Straßburger Jungs für zerschlagene Bus-oder Haltestellenscheiben der Stadt aufgebrummt bekommen?
Fonfons Worte kamen mir in den Sinn. Eine Zeitung ohne Moral ist keine Zeitung. Ja, und eine Gesellschaft ohne Moral ist keine Gesellschaft mehr. Oder ein Land ohne Moral. Es war einfacher, Arbeitslosenkomitees von der Polizei aus den Arbeitsämtern ver -scheuchen zu lassen, als das Übel an der Wurzel zu packen. Diese Verruchtheit, die die Menschen bis auf die Knochen zermürbte.
Der Genfer Staatsanwalt Bernard Bertossa erklärte am Ende seines Gesprächs mit Babette: »Wir haben vor über zwei Jahren Gelder aus dem Drogenhandel in Frankreich einfrieren lassen. Die Verant -wortlichen sind verurteilt worden, aber die französische Justiz hat trotz unserer wiederholten Hinweise noch immer keinen Heraus -gabeantrag vorgelegt.«
Ja, so weit war es gekommen, bis zu diesem Punkt null der Moral.
Ich sah Hélène Pessayre an.
»Es würde zu lange dauern, das zu erklären. Lesen Sie sie, wenn Sie können. Ich habe bei der Namensliste aufgehört. Mir fehlte einfach der Mut, den Rest zu erfahren. Ich war mir nicht sicher, ob ich danach noch Glück empfinden könnte, wenn ich von meiner Terrasse aufs Meer sehe.«
Sie hatte gelächelt.
»Woher haben Sie diese Disketten?«
»Von einer Freundin. Einer befreundeten Journalistin. Babette Bellini. Sie hat die letzten Jahre mit diesen Nachforschungen verbracht. Sie war wie besessen davon.«
»Was hat das mit dem Tod von Sonia de Luca und Georges Mavros zu tun?«
»Die Mafia hat Babettes Spur verloren. Sie wollen sie wieder in die Hand bekommen. Um gewisse Dokumente wiederzuerlangen. Gewisse Listen, nehme ich an. Auf denen die Banken und persön-liche Kontonummern vermerkt sind.«
Ich schloss die Augen für eine halbe Sekunde. Zeit genug, um Babettes Gesicht und ihr Lächeln wieder vor mir zu sehen. Dann fügte ich hinzu: »Und sie anschließend umzulegen, natürlich.«
»Und wo kommen Sie da rein?«
»Die Killer haben von mir verlangt, dass ich sie finde. Zur Ermunterung bringen sie Leute um, die ich liebe. Sie sind bereit, weiterzumachen, bis hin zu den Menschen, die mir wirklich sehr nahe stehen.«
»Haben Sie Sonia geliebt?«
Jede Härte war aus ihrer Stimme gewichen. Sie war eine Frau, die mit einem Mann sprach. Von einem Mann und einer anderen Frau. Fast komplizenhaft.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich wollte sie wiedersehen.«
»Ist das alles?«
»Nein, das ist nicht alles«, antwortete ich trocken.
»Was noch?«
Sie hakte nach, aber ohne Bosheit. Sie zwang mich, von meinen Gefühlen an jenem Abend zu sprechen. Mein Magen drehte sich um.
»Es war mehr als die Lust, die eine Frau entfachen kann!«, sagte ich mit erhobener Stimme. »Verstehen Sie? Ich glaubte, zu spüren, dass sich eine Möglichkeit zwischen ihr und mir auftat. Zusammen leben, zum Beispiel.«
»An einem einzigen Abend?«
»Ein Abend oder hundert, ein Blick oder tausend, das macht keinen Unterschied.«
Jetzt hätte ich heulen können.
»Montale«, murmelte sie.
Und das beruhigte mich. Ihre Stimme. Der Klang, den sie in meinen Namen legte und in dem alle Freuden und alles Lachen ihrer Sommer in Algier mitzuschwingen schienen.
»Das weiß man sofort, glaube ich, ob das, was zwischen zwei Menschen passiert, nur ein Schuss in die Luft ist oder ob sich da wirklich etwas aufbaut, oder?«
»Ja, das glaube ich auch«, stimmte sie zu, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Sind Sie unglücklich, Montale?«
Scheiße! Stand mir das Unglück ins Gesicht geschrieben? Sonia hatte es gerade erst Honorine gegenüber erwähnt. Jetzt sagte Hélène Pessayre es mir auf den Kopf zu. Hatte Lole jegliche Glücksnischen aus meinem Körper so weit getilgt? Hatte sie wirklich all meine Träume mit fortgenommen? Meinen ganzen Lebenssinn? Oder lag es an mir, verstand ich ihn einfach nicht mehr in mir zu suchen?
Nachdem Pascale gegangen war, hatte Mavros mir erzählt: »Sie hat die Seiten mit wahnsinniger Geschwindigkeit umgeblättert, ver-stehst du. Fünf Jahre Lachen, Spaß, manchmal Streit, Liebe, Zärtlich -keit, Nächte, Erwachen, Siestas, Träume, Reisen ... All das bis zum letzten Wort. Das sie selbst mit eigener Hand geschrieben hat. Sie hat das Buch mitgenommen. Und ich ...«
Er weinte. Ich hörte zu, schweigend. Hilflos vor so viel Schmerz.
»Und ich, für mich hat das Leben keinen Sinn mehr. Pascale war die Frau, die ich am meisten geliebt habe. Die einzige, Fabio, die einzige, verdammt noch mal! Jetzt tue ich die Dinge ohne Lei den -schaft. Weil sie halt getan werden müssen. Weil das Leben daraus besteht. Dinge tun. Aber in meinem Kopf ist nichts mehr. Und in meinem Herzen auch nicht.« Er hatte mit dem Finger an seinen Kopf und sein Herz getippt. »Nichts.«
Ich hatte nichts zu antworten gewusst. Nichts, eben. Weil es darauf keine Antwort gab. Ich hatte das herausgefunden, als Lole mich verlassen hatte.
An jenem Abend hatte ich Mavros nach Hause gebracht. Nach einer Menge Zwischenaufenthalte in den Hafenkneipen. Vom Café de la Mairie bis zur Bar de la Marine. Auch mit einem langen Zwischenstopp bei Hassan. Ich hatte ihn auf die Couch gelegt, meine Flasche Lagavulin in Reichweite.
»Gehts so?«
»Ich hab alles, was ich brauche«, hatte er gesagt und auf die Flasche gezeigt.
Dann hatte ich mich an Loles Körper geschmiegt. Warm und weich. Mein Glied an ihren Schenkeln. Und eine Hand auf ihrer Brust. Ich hielt mich daran fest wie ein Kind, das schwimmen le rnt, an seinem Schwimmreifen. Verzweifelt. Durch Loles Liebe w ar es mir gelungen, den Kopf im Leben über Wasser zu halten. Nicht unterzugehen. Mich nicht vom Strom mitreißen zu lassen.
»Sie antworten nicht?«, fragte Hélène Pessayre.
»Ich möchte einen Anwalt.«
Sie brach in Gelächter aus. Das tat mir gut.
Jemand klopfte an die Tür.
»Ja.«
Es war Béraud. Ihr Mitarbeiter.
»Wir sind fertig, Kommissar.« Er starrte mich an. »Kann er ihn identifizieren?«
»Ja«, sagte ich. »Ich werde es tun.«
»Noch ein paar Minuten, Alain.«
Er machte die Tür wieder zu. Hélène Pessayre stand auf und ging in dem engen Büro auf und ab. Schließlich baute sie sich vor mir auf.
»Wenn Sie Babette Bellini finden, sagen Sie mir Bescheid?«
»Ja«, antwortete ich, ohne zu zögern, und sah ihr gerade in die Augen.
Ich stand meinerseits auf. Wir standen uns gegenüber, wie eben, bevor sie mich geohrfeigt hatte. Die entscheidende Frage lag mir auf der Zunge.
»Und was dann? Wenn ich sie finde?«
Zum ersten Mal spürte ich eine leichte Unruhe in ihr. Als wenn sie die Worte erriet, die folgen würden.
»Sie stellen Sie unter Polizeischutz. Richtig? Bis Sie die Killer fest-nehmen, wenn es Ihnen gelingt. Und was dann, danach? Wenn andere Killer kommen. Und wieder andere.«
Das war meine Art, Ohrfeigen zu verteilen. Auszusprechen, was Flics nicht hören konnten. Machtlosigkeit.
»Bis dahin werden Sie nicht nach Saint-Brieuc versetzt werden, wie Loubet, sondern nach Argenton-sur-Creuse!«
Sie erbleichte, und ich bedauerte, dass ich mich hinreißen lassen hatte. Mich so schäbig mit einigen bösen Worten für ihre Ohrfeige zu rächen.
»Verzeihen Sie.«
»Haben Sie eine Idee, einen Plan?«, fragte sie kalt.
»Nein, nichts. Nur Lust, dem Typ, der Sonia und Georges umgebracht, gegenüberzustehen. Und ihn umzulegen.«
»Das ist wirklich idiotisch.«
»Vielleicht. Aber eine andere Gerechtigkeit gibt es für diese Dreckskerle nicht.«
»Nein«, präzisierte sie, »es ist wirklich idiotisch, dass Sie Ihr Leben riskieren.«
Der Blick ihrer schwarzen Augen legte sich sanft auf mich.
»Es sei denn, Sie wären dann nicht mehr so unglücklich.«