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Rowan sah auf die Uhr. Beinahe halb sechs. Ob es ihm gelang, einigermaßen pünktlich wegzukommen? Er hatte Heather versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen.
Er betrat den Diskont-Likörladen Sharman & Co. Ltd. Die Flaschen lagen in offenen Regalen. Die Kunden holten sich einen Drahtkorb, gingen den linken Gang entlang, luden Flaschen ein und kamen rechts bei der Kasse zum Ausgang zurück. Die Frau hinter der Kasse strickte. Als er sich vorstellte, schrie sie erschreckt auf und legte das Strickzeug weg.
»Wir sind auf der Suche nach kürzlich gestohlenem Whisky«, erklärte er.
»Hier werden Sie ihn nicht finden«, antwortete sie empört. Er lächelte, und für Sekunden lichtete sich seine griesgrämige Miene. »Das habe ich auch nicht unterstellt. Uns interessiert lediglich, ob Ihnen von irgendeiner Seite auffallend billiger Whisky angeboten wurde.«
»Wir beziehen ausschließlich vom Grossisten, dem dieser Laden gehört.«
»Vertreter kommen nie zu Ihnen?«
»Nein. Die besuchen das Warenhaus, aber nicht uns.«
»Führen Sie MacLaren-Highland-Whisky?«
»Der steht dort drüben auf dem Regal!«
Er ging zu dem Regal. In einem Fach lagen über zwei Dutzend Flaschen MacLaren-Whisky, die um einen Shilling billiger waren als die übrigen Whiskysorten. Das Etikett war durch die starke Fernsehwerbung überall bekannt geworden: Es zeigte eine liebliche schottische Landschaft mit dem Kintyreberg. Im Vordergrund stand ein Hirsch. Darunter war zu lesen: »Der Malzwhisky für Kenner.« Rowan nahm eine der Flaschen heraus. Fusil hatte gesagt, daß der gestohlene Whisky in der rechten Ecke des Etiketts den Aufdruck »Export« trug und in der linken drei Ziffern eingestanzt waren. Dieses Etikett jedoch war genausowenig gekennzeichnet wie die restlichen im Regal. Er trug die Flasche zur Kasse und bezahlte.
»Verkaufen Sie viel von diesem Whisky?« fragte er.
»Er wird immer häufiger verlangt.« Sie wurde etwas zugänglicher. »Die gewöhnlichen Kornwhiskys rührt mein Mann gar nicht mehr an. Dabei sind sie sogar etwas teurer.«
Die Flasche war für Fusil bestimmt. Er war versucht, eine zweite für Heather zu kaufen, aber er konnte sich diesen Luxus nicht leisten.
Er verließ das Geschäft und kritzelte auf der Straße den Namen des Ladens auf das Flaschenetikett. Dann zog er die Liste aus der Rocktasche und sah nach, wer als nächster an die Reihe kam.
Findren & Söhne war ein stockkonservativer Laden mit einem langen Mahagonipult, zwei Verkäufern in dunklen Anzügen und nur wenigen ausgestellten Flaschen. Die Firma war für die Qualität ihrer Weine berühmt, und da sie vor allem die wohlhabenderen Kreise belieferte und immer großzügig Kredit gab, hatten ihre Umsätze kaum durch die Diskontläden oder die Weinlokale gelitten. Praktisch bezogen alle guten Hotels und Restaurants in und um Fortrow ihre Spirituosen von Findren.
Rowan sprach mit dem großen, mageren Verkäufer – sein Kollege war klein und dick –, und erklärte, daß sie erfahren wollten, ob jemand gestohlenen Whisky zum Verkauf angeboten habe.
»Mit solchen Dingen haben wir nichts zu tun«, belehrte ihn der große, magere Verkäufer in einem Ton, der durchblicken ließ, daß es ihn nicht wundern würde, wenn andere, weniger anspruchsvolle Geschäfte es täten.
»Dann war also niemand bei Ihnen, der versucht hat, Sie für MacLaren-Whisky zu interessieren?«
»Natürlich nicht! Wo denken Sie hin.«
»Verkaufen Sie viel MacLaren-Whisky?«
»Immer mehr«, sagte der kleine Dicke, und machte damit zum erstenmal den Mund auf.
Der große Dünne schnaubte verächtlich. Herablassend erklärte er: »Die Leute sind so naiv. Sie nehmen die Fernsehwerbung wörtlich. Als könnten sie tatsächlich Kenner werden, wenn sie MacLaren-Whisky trinken! Dabei handelt es sich gar nicht um reinen Malzwhisky. Er ist genauso gemischt wie alle anderen, bloß enthält er eine Spur weniger Kornwhisky. Aber der durchschnittliche Whiskytrinker hat ja kein Unterscheidungsvermögen.«
Der Direktor kam aus seinem Büro herbeigeeilt, um zu erfahren, worum es eigentlich ging. Er war ein pedantischer, gepflegter kleiner Mann. Ein Blick auf Rowan und die Qualität seines Anzuges genügte, und er fragte hochnäsig: »Was gibt’s denn?«
Der große Verkäufer antwortete: »Das ist ein Kriminalbeamter, Mr. Pills. Er möchte wissen, ob wir gestohlenen Whisky gekauft haben.«
»Lächerlich!« zischte der Direktor. »Das sollte doch jeder einigermaßen intelligente Mensch ganz von selbst begreifen!« Stolz zog er sich in sein Büro zurück.
Rowan bezahlte eine Flasche MacLaren-Whisky und ging. Und wenn er das große Los gewinnen würde, er würde sich lieber die Hand abhacken, als auch nur eine Flasche Sodawasser bei Findren & Söhne zu kaufen.
Kerr fuhr durch die Hauptstraße des Industrieviertels nordwestlich von Fortrow. Hier war vor sechs Jahren noch freies Land gewesen. Das gesuchte Schild wies in eine Nebenstraße, und er kam zu einem rechteckigen Lagerhaus, das hinter einer drei Meter hohen Absperrung stand. Der fensterlose Ziegelbau hatte ein kräftiges Betondach. An den Eisentüren waren schwere Sicherheitsschlösser angebracht. Rechts vom Lager befand sich das Büro. Es war in einem eigenen niedrigen Holzbau untergebracht. Kerr parkte den Hillmann auf der Straße, ging an einem Aston Martin vorbei, der ihn mit wildem Neid erfüllte, und betrat das Büro. Er läutete die Klingel auf dem Pult und wartete.
Aus dem Hinterzimmer tauchte eine blonde Frau auf. Sie war Mitte Zwanzig und sah so phantastisch aus, daß Kerr einen leisen Pfiff ausstieß. Ihre Figur war genau an den richtigen Stellen gepolstert und ihr Kleid saß wie angegossen. Wenn er nicht verlobt gewesen wäre, wäre sie die Frau gewesen, mit der er am liebsten Schiffbruch erlitten hätte.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.
Was für eine Frage! Es gab kaum etwas, das sie nicht für ihn hätte tun können. »Wachtmeister Kerr vom hiesigen C.I.D.«, stellte er sich vor. Ihr kurzes Kleid ermöglichte ihm einen herzerfrischenden Blick auf ihre wohlgeformten Beine. Nur seine Verlobung hinderte ihn daran, sich gründlich daran zu weiden. »Ich möchte Mr. Sharman sprechen, wenn das möglich ist.«
»Sie wollen zu meinem Mann?« Sie lächelte. »Was hat er denn ausgefressen?«
»Nichts, soviel mir bekannt ist«, gab er lächelnd zurück. »Es handelt sich nur um eine Auskunft.«
Sie stützte die Ellbogen auf das Pult. Ihr Kleid war einladend ausgeschnitten, und Kerr registierte automatisch, wieviel interessanter der Einblick war, wenn sie sich vorneigte. Dann fiel ihm seine Braut ein, und er riß sich los.
»Mein Mann ist im Lager. Ich sage ihm Bescheid. Er hat nie etwas dagegen, von der Arbeit abgehalten zu werden.« Sie richtete sich auf, drehte sich um und verschwand. »Bin gleich wieder da.«
Ein Glück, dachte Kerr leicht schuldbewußt, daß Helen nicht in seinen Gedanken lesen konnte.
Die Außentür öffnete sich, und ein Mann trat ein. Er war groß und kräftig. Sein Gewicht schien sich um die hundertachtzig Pfund zu bewegen, trotzdem war er nicht dick.
Seine geschmeidigen Bewegungen ließen auf erstklassige Kondition schließen. Er hatte ein rundes, regelmäßiges Gesicht, ein eckiges, ausgeprägtes Kinn und lächelte freundlich. Trotz seiner schmutzigen grünen Arbeitshose und dem offenen Hemd strahlte er Autorität aus. »Sie sind von der Polizei, höre ich?« fragte er mit tiefer, wohlklingender Stimme.
»Wachtmeister Kerr von der Kriminalpolizei, Sir.«
»Sehr angenehm.« Sharman schüttelte ihm die Hand so kräftig, daß Kerr sich gehörig anstrengen mußte, den Druck ebenso stark zu erwidern. »Wo brennt’s denn?« Er setzte sich auf die Kante des Schreibtischs, zog ein silbernes Zigarrenetui aus der Tasche und bot es Kerr an. »Rauchen Sie?«
Kerr zögerte kurz, dann nahm er eine Zigarre. Man mußte die Feste feiern, wie sie fielen.
»Es geht eben doch nichts über eine Havanna, was? Keine hat so ein mildes Aroma«, sagte Sharman. »Aber Sie sind sicher nicht hergekommen, um sich mit mir über Zigarren zu unterhalten, was?«
Sharmans Ton war seltsam, aber seine Miene blieb unverändert wohlwollend und offen.
»Wir bemühen uns, einer gestohlenen Whiskyladung auf die Spur zu kommen. Hat man Ihnen vielleicht ein verdächtig billiges Angebot gemacht?« fragte Kerr.
Sharman schüttelte den Kopf. »Nein. Außerdem kaufen wir ausschließlich bei Grossisten, Brennereien oder Importeuren. Geht es um den ausgeraubten Lieferwagen?«
»Ganz recht. Vertreiben Sie viel MacLaren-Whisky?«
»Ja. Das Fernsehen hat ihn sehr populär gemacht. Ich will Ihnen mal was sagen.« Sharman zog an seiner Zigarre, dann stieß er den Rauch langsam und genußvoll aus. »Meine Frau und ich haben hier mit Null begonnen und uns natürlich erkundigt, wer uns den günstigsten Kredit gibt. Den brauchten wir. MacLaren hat uns zwei Monate Zeit und bessere Bedingungen für Großbestellungen geboten als alle anderen Firmen. Damals war der Whisky zwar noch nicht so beliebt wie heute, aber die Fernsehwerbung hatte bereits eingesetzt, und ich hatte Vertrauen dazu. Also riskierte ich es und habe mein Lager aufgefüllt. Etwas Besseres hätte ich nicht tun können. Jetzt verkaufen wir über vierzigtausend Flaschen pro Jahr, und der Umsatz steigt ständig an. Da klingelt die Kasse – für einen kleinen Geschäftsmann wie mich«, fügte er hinzu.
Kleiner Geschäftsmann, daß ich nicht lache! dachte Kerr. Hat einen Aston Martin und eine fabelhaft angezogene Frau, die schärfer aussieht als Chili con carne. Also von »klein« kann da keine Rede sein.
»In jüngster Zeit scheint ja sehr viel Whisky gestohlen worden zu sein«, sagte Sharman lässig.
»Der vierte Diebstahl innerhalb von zwei Jahren«, gab Kerr widerwillig zu.
»Da wird jemand reich dabei. Und Sie sind den Kerlen noch nicht auf der Spur?«
»So etwas dauert immer eine Weile«, antwortete Kerr rasch.
»Versteht sich.« Sharman glitt vom Schreibtisch und schlug Kerr gönnerhaft auf die Schulter. »Ich bin überzeugt, daß Sie und die zuständigen Stellen alles Menschenmögliche tun, um die Diebe zu fassen. Hoffentlich haben Sie bald Erfolg, sonst kommen Geschäftsleute wie ich noch auf den Gedanken, daß sich Verbrechen doch bezahlt machen, und probieren es auch mal.« Er lachte schallend.
Daß die Leute ein Verbrechen immer so erheiternd finden, dachte Kerr verärgert. Aber nur, bis sie selbst mal dabei draufzahlen.
Sharman stach mit der Zigarre in die Luft. »Nun, ich stehe Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung. Kommen Sie nur, wenn Sie Fragen haben.« Er schüttelte ihm kräftig die Hand. Dann ging er.
Kerr kehrte zum Wagen zurück. Er war schlechter Laune, ohne sagen zu können, weshalb. Er zog an der Zigarre, inhalierte und hustete heftig. Plötzlich begriff er, was ihn so verärgert hatte. Sharman hatte die Unterredung wie ein überlegener Lehrer beendet, der einen dummen Jungen entläßt.
Inspektor Fusil stand in Verleys Weinkeller, als er in den Hinterhof gerufen wurde. Ein unformierter Polizist deutete auf ein Holzfaß, in dem eine schmächtige Grünpflanze ihr Leben fristete. »Dort hinten liegt ein Wagenheber, Sir.« Fusil spähte hinter die Pflanze und sah sich den Wagenheber und den danebenliegenden langen Griff genau an. »Warum, zum Teufel, hat man den nicht schon eher gefunden?«
»Weiß nicht, Sir«, antwortete der Polizist stur.
»Der Mann, der die Untersuchung geführt hat, soll sich bei mir melden.« Fusil studierte den Wagenheber so gut er konnte. Das Gerät lag seitlich auf dem Boden. Der Stutzen war Fusil zugewandt. Seine Umrisse paßten haarscharf in die Abdrücke, die am Kellerfenstergitter festgestellt worden waren. Fusil befahl, den Wagenheber in seiner derzeitigen Lage zu fotografieren und ins Labor zu bringen, um eventuelle Fingerabdrücke zu sichern.
Fusil steckte die Pfeife in den Mund, ohne sie anzuzünden. Angenommen, der Brand war gelegt worden: warum? Ein Versicherungsschwindel, ein Racheakt, mutwillige Brandstiftung? Oder sollte damit ein Verbrechen getarnt werden? Bestand irgendein Zusammenhang zwischen diesem Feuer und dem Whiskydiebstahl? Oder erschöpfte er sich in dem unergiebigen Umstand, daß es sich in den beiden Fällen um Spirituosen handelte?
Fusil verließ das ausgebrannte Gebäude und drängte sich durch die Schar von Schaulustigen. Beim Einsteigen in den Wagen versuchte ein Zeitungsreporter, ihn auszufragen, aber er nannte ihm Zeit und Ort der Pressekonferenz und brauste los.
In seinem Büro ließ er sich in einen Stuhl fallen, gähnte, zog das Jackett aus und überlegte, ob er Josephine anrufen und darauf vorbereiten sollte, daß es heute wohl wieder spät werden würde.
Welland stürmte gut gelaunt ins Zimmer Fusil vertraute ihm beinahe iede Routinearbeit an, überließ ihm aber nicht gerne Aufgaben, die Intelligenz und Kombinationsgabe erforderten.
»Das Präsidium hat angerufen, Sir, und durchgegeben, was im Archiv zu finden war. Ich habe mitgeschrieben.« Er schob ihm ein maschinenbeschriebenes Blatt zu.
Wie immer hatte Welland eine Menge Tippfehler gemacht. Trotzdem ließ sich der Sinn erkennen. Über die Whiskydiebstähle war kaum etwas bekannt. Daß es sich bei den Überfällen um Berufsverbrecher handelte, war klar, aber wer sie waren oder was sie mit dem gestohlenen Whisky getan hatten, wußte niemand.
Welland stapfte aus dem Zimmer. Seufzend widmete sich Fusil den letzten Meldungen über neue Verbrechen. Dann trat Braddon ein. »Nun, was gibt es Neues?« fragte Fusil.
»So gut wie gar nichts, Sir.«
»Donnerwetter, irgend etwas müssen Sie doch ermittelt haben!« sagte Fusil scharf.
»Wir haben jeden Handbreit Boden abgesucht. Sogar mit einem Spürhund. Und Dabs hat sich den Lieferwagen vorgenommen, als wollte er Gold finden.«
Inspektor Fusil fluchte. Er kippte seinen Stuhl nach hinten, bis er an die Wand stieß. »Pete – wenn Sie Whisky für zehntausend Pfund gestohlen hätten –, wie würden Sie ihn losschlagen?«
»Ich würde damit nach London fahren.«
Das war die nächstliegende Antwort, fand Fusil. London konnte diese Menge jederzeit aufnehmen. Jede Kneipe konnte ein paar Flaschen kaufen, ohne daß man dahinter kam, und es gab derart viele Kneipen, daß die gesamte Lieferung auf diese Weise verhökert werden konnte.
Kerr meldete sich bei Fusil, als dieser eben nach Hause gehen wollte. »Ich war bei Sharman, Sir. Versuchte, mich schon eher bei Ihnen zu melden, aber Sie waren nicht hier. Sharman sagt, daß ihm niemand verbilligten Whisky angeboten hat und er nur von Brennereien, Grossisten oder Importeuren kauft. Er setzt etwa vierzigtausend Flaschen MacLaren-Whisky im Jahr um.«
»Das ist verdammt viel. Na gut, danke.« Fusil schichtete mehrere Schriftstücke aufeinander. Dann bemerkte er, daß Kerr sich nicht vom Fleck rührte. »Sonst noch was?«
»Gewissermaßen, Sir.«
»Was heißt das?«
»Das läßt sich nicht so leicht sagen.«
»Also was ist: ja oder nein? Sonst verschwinden Sie.«
»Nämlich … tja, also Sharmans Art«, sagte Kerr ungewohnt schüchtern. »Er sah fast so aus, als würde er mich die halbe Zeit über auslachen.«
»Überrascht Sie das?« fragte Fusil spöttisch. »Wie hat er denn gelacht?«
»Vielleicht rede ich Unsinn, aber ich hatte den Eindruck, als machte er sich heimlich über mich lustig«, sprudelte Kerr hervor.
Er wartete einen Augenblick, aber da Fusil nicht antwortete, ging er hinaus. Fusil griff nach einem Bleistift und spielte damit. Kerr war ein aufgeweckter Bursche und hatte einen guten Instinkt bei der Beurteilung seiner Gesprächspartner. Andererseits konnte er sich auch geirrt haben. Vielleicht hatte er sich nur besonders ungeschickt benommen, und Sharman, der in Fortrow als sehr tüchtiger Geschäftsmann bekannt war, hatte ihn einfach linkisch und komisch gefunden.
Fusil starrte in den leeren Kamin des Wohnzimmers und beachtete das Fernsehprogramm nicht, obwohl gerade die Nachrichten liefen, die ihn meistens interessierten.
»Bob«, sagte Josephine. Er sah auf. »Warum gehst du nicht zu Bett? Du siehst sehr müde aus, und das Fernsehprogramm schaust du dir auch nicht an.«
»Ich habe nachgedacht.«
Sie ließ die Näharbeit sinken. »Mußt du unbedingt so viel arbeiten?« fragte sie ruhig. »Warum kannst du nicht einen Teil deiner Arbeit abgeben?« Rascher fuhr sie fort: »Du kannst nicht alles selbst machen, Bob.«
Er lächelte flüchtig und faßte ihre Hand. »Keine Angst. Am Nachdenken ist noch keiner gestorben.«
»Was ist denn los?«
Seufzend ließ er ihre Hand los. »Das ist der vierte Überfall, bei dem Whisky gestohlen wurde. Jedesmal war es MacLaren-Whisky. Bei oberflächlicher Betrachtung spricht vieles dafür, daß die Diebstähle in der Brennerei im Norden selbst ausgeheckt wurden. Aus den Berichten über die vorangegangenen Überfälle geht aber klar hervor, daß auch die gründlichsten Untersuchungen in der Fabrik ergebnislos geblieben sind.« Er nahm die Pfeife aus der Tasche und rieb den Pfeifenkopf in seiner linken Handfläche. »Meiner Meinung nach wird eine vierte Ermittlung dort auch nichts ergeben. Ich habe eine andere Vermutung.«
»Und zwar?«
»Sie stützt sich auf die Tatsache, daß in den letzten beiden Jahren riesige Mengen MacLaren-Whisky in der Gegend südlich von London ausgeliefert worden sind. Einige Transporte waren bedeutend größer als die gestohlenen. Wenn die Diebstähle von der Fabrik ausgehen, würden sie sicherlich den größten Lieferungen gelten. Deshalb nehme ich an, daß der Whisky hier in Fortrow verschwindet. Eine kurze Nachprüfung hat gezeigt, daß der Whisky als Exportware deklariert wurde. Das muß aber noch lange nicht bedeuten, daß er tatsächlich exportiert wird. Genausogut kann er für die Passagiere auf einem Schiff mit ausländischem Zielhafen bestimmt sein. Ein Besatzungsmitglied, das weiß, wann eine Anlieferung fällig ist, kann die Ganoven rechtzeitig informieren.«
»Und wie willst du das feststellen?«
»Ich lasse die Namen aller Schiffe ermitteln, die zum Zeitpunkt der Diebstähle hier im Hafen lagen, und ebenso die Namen der Schiffe, die jetzt hier ankern. Gibt es ein Schiff, das zu jedem kritischen Datum hier war, wird die Sache interessant.«
Sie faltete ihre Näharbeit zusammen. »Manchmal jagst du mir richtig Angst ein, Bob.«
»Du liebe Zeit! Warum denn?«
»Weil du gerade ausgesehen hast, als würde es dir unerhörten Spaß machen, den Schuldigen zu erwischen.«
»Du hast eine zu lebhafte Phantasie!«
Sie schüttelte den Kopf. Sein Kampf gegen Verbrecher artete manchmal wirklich in persönliche Feindschaften aus.