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Der Lastwagen scherte auf halber Anhöhe aus und überholte eine Limousine.

»Fahr vorsichtig, Ginger«, befahl Abe Stretley. »Sonst hält uns ein Polyp noch wegen zu schnellem Fahren an.«

»Keine Angst«, murmelte Ginger Playford, der hinter dem Lenkrad saß.

»Fahr langsam, habe ich gesagt«, wiederholte Abe Stretley barsch, der auf dem Boden des Führerhauses hockte.

Ginger Playford zog den Fuß vom Gaspedal. »Wir hätten den Lieferwagen längst einholen müssen.«

Lachend warf Ed Finnigan, der auf dem Beifahrersitz saß, ein: »Vielleicht wartet eine tolle Biene auf den Fahrer, und er hat deshalb so ein Renntempo vorgelegt.«

Ein Jensen hupte ungeduldig und schoß ohne Rücksicht auf die Geschwindigkeitsbeschränkung an ihnen vorbei.

Ed Finnigan stieß einen Pfiff aus. »Habt ihr die Puppe in dem Auto gesehen? Tolle Person, alles dran.« Er kannte nur zwei Gesprächsthemen: Frauen und Hunderennen.

Sie erreichten den Kamm des Hügels. Danach senkte sich die Straße wieder sanft. Hinter einer scharfen Rechtskurve wurde ein Lieferwagen sichtbar.

»Ist das unser Wagen?« fragte Ginger Playford mit erhobener Stimme.

Keiner antwortete. Auf diese Entfernung ließ sich das nicht erkennen.

Ed Finnigan begann zu pfeifen. Mitten in der Melodie brach er ab. »Wißt ihr was? Wenn wir unseren Wagen abgestellt haben, passen wir auf, wer ihn holt.«

»Nein«, herrschte Abe Stretley ihn an.

»Aber auf diese Weise kassieren wir mehr.«

»Wir warten nicht«, brüllte Stretley.

Finnigan fluchte und grinste plötzlich. Er war ein hübscher Draufgänger-Typ, dem man seine Unbeherrschtheit ansah. Sie brauchten acht Minuten, um den Lieferwagen einzuholen. Jetzt konnten sie die Inschrift auf der Zeltplane lesen: E. Phillpot & Co. Es war nicht der gesuchte Wagen. Ginger Playford gab Gas und überholte.

Abe Stretley packte einen Kaugummi aus, schob ihn in den Mund und begann, kräftig zu kauen. Er war der älteste von den dreien und hatte ein grobes, gemeines Gesicht. Er war dreimal vorbestraft. Sie fuhren unter einer Eisenbahnbrücke durch. »Noch fünfzehn Kilometer«, sagte er beunruhigt. Seiner Meinung nach hätten sie den Lieferwagen schon bei der Abzweigung nach Barstone einholen müssen. Hinter der Peston-Kreuzung war die Straße aufgerissen, der Eisenbahnverkehr verursachte eine Stockung. Die Ampel wurde so rasch geschaltet, daß jeweils nur wenige Autos fahren konnten. Sie mußten warten, und Ginger Playford fluchte. Immer wieder sah Abe Stretley auf seine Uhr. Nur Ed Finnigan schien die Verzögerung kalt zu lassen.

»Ich habe euch gleich gesagt, wir hätten früher losfahren müssen«, knurrte Playford.

»Jetzt geht’s weiter«, sagte Stretley gereizt, als der Wagen vor ihnen zu rollen begann.

Immer wieder schielte Stretley auf seine Uhr. Sie hätten den Lieferwagen längst einholen müssen. Dann wären sie vor ihm auf dem Parkplatz des Rasthauses gewesen. Damit schien es jetzt nichts mehr zu werden. Vielleicht hatte der Lieferwagen das Rasthaus schon hinter sich gelassen und war bereits in Fortrow. Dann adieu, tausend Pfund.

»Vielleicht war der Tip faul«, sagte Ginger Playford plötzlich.

»Bisher hat es noch jedesmal gestimmt.«

»Für alles gibt es mal einen Anfang«, meinte Ed Finnigan ungerührt.

Auf der Gegenfahrbahn kam ihnen ein weißer Streifenwagen entgegen. In kindischer Wut stieß Playford Verwünschungen aus. Dann sah er vor sich zwei Lieferwagen und gab Vollgas. Schlingernd holte er die beiden ein. Der Richtige war wieder nicht dabei.

Stretley kurbelte das Fenster aus und spuckte seinen Kaugummi aus. Verdammt noch mal, dachte er, holen wir uns am Ende wirklich kalte Füße? Er hatte seinen Anteil an den tausend Pfund bitter nötig. Seine Wettschulden ließen sich nicht länger aufschieben.

»Da ist das Kaff«, sagte Playford plötzlich und bremste.

Der Herzbube war eines der beliebtesten Rasthäuser an der Straße von London nach Fortrow. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend standen Lieferwagen und auch vereinzelte Personenautos auf dem Parkplatz.

»Fahr rein!« befahl Stretley.

Playford bog in den Parkplatz ein und fuhr an einem beschrifteten Lieferwagen, der mit Kisten für Sydney vollgepackt war, an einem Molkereiwagen und einem Möbeltransporter vorbei. Schon wollte er auf den runden freien Platz zurücksteuern, als Finnigan plötzlich rief: »Da ist er!«

Ein mittelgroßer, ziemlich neuer Lieferwagen parkte mit dem Heck gegen die Absperrung. Die über die Ladung gespannte Segelleinwand trug den Aufdruck: McLaren, Branntweine, Machrihanish.

Playford trat auf die Bremse, aber Stretley befahl: »Fahr weiter.«

»Wieso, wir …«

»Du sollst weiterfahren, habe ich gesagt.« Stretley wollte ganz sicher gehen, daß der Wagen nicht bewacht wurde oder die Polizei durch einen Wink alarmiert worden war und auf sie lauerte.

Sie fuhren den Halbkreis bis zur Straße und der zweiten Einfahrt aus, ohne daß Stretley irgend etwas Verdächtiges entdecken konnte. »In Ordnung«, sagte er.

Playford schwenkte auf die Straße, fuhr an dem grob gemalten Schild mit dem Herzbuben vorbei und bog durch die erste Einfahrt erneut auf den Parkplatz ein. Vor dem Lieferwagen aus Machrihanish hielten sie an.

Sie überprüften nochmals ihre Handschuhe, obwohl sie sich schon vorher davon überzeugt hatten, daß keiner zerrissen war. Außerdem waren sie neu. Finnigan und Stretley trugen breitkrempige Hüte, die ihre obere Gesichtshälfte verbargen und ölverschmierte Schlosseranzüge mit der Aufschrift Dunlop.

Playford blieb hinter dem Lenkrad des Lasters sitzen. Er bemühte sich, den Unbekümmerten vorzutäuschen, spielte aber ständig nervös mit dem Schalthebel. Finnigan schob seine Tür zurück und stieg aus. Stretley, der einen Werkzeugkasten trug, kletterte über den Sitz und folgte ihm. Auf jeder Seite ihres Lastwagens prangte die Aufschrift: Bowen & Co., Reparaturwerkstatt für Schwerlaster. Telefon: Fortrow 29 16 98.

Sie näherten sich dem Lastwagen von beiden Seiten. Immerhin konnte der Fahrer noch drin sitzen. Sie waren darauf gefaßt, notfalls auch Gewalt anzuwenden, aber das Führerhaus war leer.

Stretley legte sich auf die Erde und schob sich rücklings unter den Motor und das Führerhaus. Im Schein einer kleinen Taschenlampe suchte er nach den Drähten einer Alarmanlage, die mit der Tür des Führerhauses verbunden war, aber es gab keine. Er kroch zurück, stand auf und nickte.

Finnigan kam zur Stirnseite des Lieferwagens und stellte sich zwischen Stretley und das L-förmige Rasthaus. Die Autos standen so eng nebeneinander, daß sie ihnen gute Deckung boten.

Stretley zog einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und probierte die Schlüssel der Reihe nach durch. Der letzte paßte. Er schloß das Führerhaus auf und kletterte hinein.

Am Lenkrad hing ein Sicherheitsschloß. »Meißel«, befahl er.

Finnigan zog eine kräftige Bolzenschere aus seinem Werkzeugkasten und reichte sie ihm. Stretley versuchte, die Metallwelle senkrecht zu durchschneiden, aber der Stahl hielt allen Bemühungen stand. »Ausleger.«

Finnigan reichte ihm die beiden Ausleger, die in die Bolzenschere paßten. Stretley drehte die Schere, bis er die beiden Ausleger ansetzen konnte. Beide wußten, wie gefährlich dieser Augenblick war. Niemand, der sie bei ihrer Arbeit beobachtete, würde glauben, daß sie eine Reparatur durchführten. Langsam biß die Bolzenschere in den Zapfen, bis sie ihn mit einem letzten Ruck durchtrennte.

Finnigan entfernte die Ausleger und legte sie samt der Bolzenschere zurück in den Werkzeugkasten. Dann beugte er sich ins Führerhaus und tat, als sei er eifrig mit Reparaturarbeiten beschäftigt. Stretley leuchtete mit der Taschenlampe unter das Armaturenbrett und entdeckte mehrere verdächtige Drähte. Er schnitt sie sicherheitshalber durch, weil er überzeugt war, es sei eine Alarmanlage. Finnigan machte Platz.

Stretley startete den Wagen. Der schwere Dieselmotor erwachte zum Leben. Er fuhr zurück und wendete. Dabei streifte er den nebenstehenden Lastwagen. Metall kreischte. Er fluchte, bremste und fuhr nochmals zurück. Diesmal kam er glatt vorbei.

Vor der Einfahrt zur Straße hielt er an und sah in den Rückspiegel. Alles war ruhig geblieben. Playford und Finnigan folgten ihm mit dem Lastwagen, also bestand kein Grund zur Aufregung. Stretley schwenkte in die Straße ein und bog nach links.

Nach einer Viertelstunde erreichte er eine Kreuzung. Links wies ein Schild zur Lungenheilstätte, die aus mehreren Gebäuden auf halber Höhe des Hügels bestand und von der Straße aus kaum zu sehen war. Stretley bog in die Nebenstraße ein, die sich bald zu einem schmaleren Weg verengte, so daß die Seiten des Lieferwagens ständig gegen die überhängenden Bäume stießen. Zweimal mußten entgegenkommende Autos an den flachen Ausweichstellen warten, um den Lieferwagen vorbeizulassen.

Auf der Anhöhe war eine Kreuzung. Er wandte sich nach rechts und gelangte nach einem halben Kilometer zu einer Baumreihe mit einem natürlichen Rastplatz, von dem ein holpriger Weg in den Wald führte. Hinter einer Biegung war der Weg von der Straße aus nicht mehr zu sehen. Dann hörte er plötzlich vor einer Wand wuchernder Farne, Himbeersträucher und Unterholz auf. Stretley stellte den Motor ab und sprang aus dem Wagen. Er ging den Weg zurück und sah auch schon Finnigan, der ihm mit zynischem Grinsen entgegenkam.

»Saubere Arbeit«, sagte Finnigan.

»Was willst du?« stellte Stretley ihn zur Rede.

»Das habe ich dir doch schon gesagt – ich bleibe hier, weil ich wissen will, wer der Kerl ist, der die vielen Lappen kassiert.«

»Sei kein Dummkopf.«

»Tausend Pfund sind nicht viel, wenn man sie unter drei Leute aufteilt. Wir könnten …«

»Geh zum Wagen zurück.«

»Nein«, sagte Finnigan. Er grinste verschlagen.

Stretley fluchte, aber er sah ein, daß er machtlos war, wenn er nicht Gewalt anwenden wollte. Nach kurzem Zögern drängte er sich grob an dem anderen vorbei.