12
Marlon
Da wir nicht daran gedacht haben, die Vorhänge zuzuziehen, weckt mich das erste Licht des Tages. Ich blinzle zur Uhr und stelle missmutig fest, keine drei Stunden Schlaf gefunden zu haben. Indem ich die Augen wieder schließe, versuche ich, meinen Körper zum erneuten Einschlafen zu zwingen. Doch es hilft nichts. Die hereinfallenden Sonnenstrahlen in Verbindung mit Alex’ Atemgeräuschen sorgen dafür, dass ich hellwach werde. Wäre ich allein, würde ich nun laut seufzen, aber ich will Alex nicht wecken. Deshalb begnüge ich mich damit, sie zu beobachten. Sie liegt auf dem Rücken, das Haar steht ein wenig wirr vom Kopf ab, ihr Mund ist leicht geöffnet. Zunächst betrachte ich bloß ihr wunderschönes Gesicht. Die feinen Züge, die süße Nase. Da sie nach unserem Sex nackt eingeschlafen ist, muss ich die Decke nur ein kleines Stück wegziehen, um ihren Busen bewundern zu dürfen.
Ich lächle über mein eigenes Verhalten, für das es lediglich eine Erklärung gibt: Zum ersten Mal seit langer Zeit bin ich im Begriff, mich ernsthaft zu verlieben.
Umso größer ist meine Angst, dass Penelope alles daransetzen wird, um mir dieses Glück zu verderben.
Eine Frage drängt sich mir auf: Warum hat sie eine Frau engagiert, um mich zu beschatten? Hatte sie Alex nicht als Konkurrentin wahrgenommen? Was eigentlich dumm wäre, denn ich habe keinen favorisierten Frauentyp, weil es meiner Meinung nach die Ausstrahlung ist, welche die Attraktivität des weiblichen Geschlechts bestimmt. Oder hätte sie bei einem männlichen Schnüffler befürchten müssen, dass dieser sich mit mir solidarisiert? Und sie verrät? Schadenfroh erfreue ich mich an dem Scheitern ihres Planes. Penelope hat mir eine atemberaubende Frau auf dem Silbertablett serviert. Jetzt muss ich irgendwie einen Weg finden, unsere Liebe zu beschützen.
»Worauf wartest du?«, erklingt plötzlich eine amüsierte Stimme.
Ertappt springt mein Blick zu ihren Augen. »Wovon redest du?«
»Wenn du schon so schamlos meine Titten angaffst, könntest du sie ja auch ein bisschen verwöhnen.«
»Ich wollte nicht einfach über ein schlafendes, wehrloses Mädchen herfallen«, verteidige ich meine Selbstbeherrschung.
»Schade. Diesem schlafenden, wehrlosen Mädchen hätte das nämlich garantiert gefallen.«
Mit provozierender Lässigkeit schlägt sie die leichte Sommerdecke zurück, sodass ich den kompletten Körper betrachten kann. Dann spreizt sie die Beine und die rechte Hand wandert zu ihrem Unterleib.
»Muss ich wieder alles selbst machen«, beklagt sie sich.
Ich packe ihr Handgelenk. »Vergiss es!«
Meine Lippen umschließen eine der Brustwarzen und saugen vorsichtig daran. Ein Stöhnen verdeutlicht mir, wie sehr es ihr gefällt. Ihre wohligen Geräusche werden lauter, nachdem ich mich weiter nach unten vorgearbeitet habe und sie mit der Zunge befriedige. Als sie ihre Finger in meinem Haarschopf verkrallt und aufschreit, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Aber statt mich in sie eindringen zu lassen, übernimmt Alex nun die Kontrolle. Ich lege mich auf den Rücken und genieße ihren Rundumservice.
* * *
»Wollen wir uns heute mal Frühstück in die Kabine bringen lassen?«, schlage ich vor, während Alex angekuschelt an meiner Schulter liegt.
Ihr Kichern irritiert mich allerdings.
»Was ist?«
»Wir befinden uns in meiner Suite«, weist sie mich auf diese Tatsache hin.
»Na und?«
»Also würde Penelope den Extraservice bezahlen müssen.«
Endlich verstehe ich ihren Einwand. »Klingt nach einem guten Plan«, erwidere ich amüsiert.
»Ob sie mich darauf ansprechen wird?«
»Du kannst dich ja herausreden, dass du die besonders enge Beschattung bevorzugt hast. Damit ich keinen Unfug anstelle.«
»Oh ja. Das Argument wird sie bestimmt akzeptieren.«
»Bewahrst du die Servicebroschüre in deinem Schreibtisch auf?«, erkundige ich mich. Da ich an Bord noch keine Mahlzeit bestellt habe, fehlt mir das Wissen, wie das Ganze funktioniert.
»Hab sie dort nicht weggenommen.«
Zu meiner Überraschung erhebt sich Alex jedoch vor mir.
»Was tust du?«, frage ich.
»Du kümmerst dich um unsere Nahrungsaufnahme, ich mich um deine psychopathische Ex. Ich will wissen, ob sie geantwortet hat.«
Nackt laufen wir die Treppen hinunter. Alex deutet zur Schublade, in der sich die Broschüre befindet. Nachdem ich sie aufgeschlagen habe, stelle ich enttäuscht fest, dass die Spontanität der Dienstleistungen an Bord überschaubar ist.
»Schade! Wir hätten eine Frühstücksbestellung bis zweiundzwanzig Uhr des vorherigen Abends aufgeben müssen. Blöd.«
»Scheiße!«, flüstert sie entsetzt.
»Hey, so schlimm ist das jetzt nicht. Gehen wir halt ins Restaurant«, beruhige ich sie.
»Ich bin so dumm.«
Offenbar meint sie etwas anderes als den fehlenden Roomservice. »Was ist los?«
»Penelope hat geschrieben.«
»Liest du’s mir vor?«
»Ihre Nachfrage erstaunt mich. Wir hatten besprochen, dass ich die Reise als Geschenk gebucht habe. Insofern weiß ich selbstredend, welche Häfen Sie ansteuern. Sind Sie noch bei der Sache, oder amüsieren Sie sich auf meine Kosten und haben den Sinn des Auftrags vergessen?«
»Puh«, entfährt es mir. »Mürrische Zicke! Was hattest du ihr denn geschickt?«
»Wahrscheinlich was ziemlich Idiotisches«, antwortet sie resigniert. »Ich habe die Nachricht gestern Nacht verfasst, kurz bevor du zu mir gekommen bist. Hätte wohl mehr über die Formulierungen nachdenken müssen.«
»Spann mich nicht so auf die Folter.«
Mit Grabesstimme trägt sie ihren Text vor. »Hat sie das misstrauisch gemacht? Sei ehrlich. Du kennst sie besser als ich.«
Für einen Moment schwanke ich zwischen der Wahrheit und einer Notlüge, um Alex nicht total zu beunruhigen. Einen paranoiden Menschen wie Penelope muss die in der Mail gestellte Frage tatsächlich skeptisch machen. Doch Alex wirkt so, als würde sie schwer an ihren Schuldgefühlen zu knabbern haben, wenn ich ihr das gestehe.
»Nein«, behaupte ich.
»Weswegen reagiert sie dann so?«
»Weil ihr deine Antwort grundsätzlich nicht gefällt. Sie will sich nicht vorstellen, wie ich Reiseführer wälze, sondern benötigt es zur Selbstkasteiung, dass ich mich mit Frauen vergnüge. Was ich ja zweifelsfrei tu.« Ich zwinkere ihr aufmunternd zu, wodurch ich jedoch lediglich ein müdes Lächeln ernte.
»Feilst du mit mir an einer passenden Erwiderung?«
»Fick dich, Bitch!«, lautet mein erster Vorschlag.
Endlich grinst sie. »Mir schwebt eine etwas diplomatischere Variante vor.«
»Feigling!«
Gemeinsam überlegen wir, welcher Wortlaut Penelope besänftigen könnte. Am Ende entscheiden wir uns für die einfachste Lösung. Alex entschuldigt sich, diese Einzelheit vergessen zu haben, und führt ihre vermeintliche Seekrankheit als Erklärung an.
* * *
Am späten Vormittag beschließen wir, das schöne Wetter in Gesellschaft nutzen zu wollen. Das Schiff befindet sich den ganzen Tag auf hoher See, weshalb die Plätze am Pool knapper werden. Trotzdem haben wir Glück und finden zwei freie Sonnenliegen.
»Was möchtest du trinken, Baby?«, frage ich Alex, nachdem wir unseren Platzanspruch mit Handtüchern zum Ausdruck gebracht haben.
»Ein Wasser reicht mir. Danke, Süßer.«
Auf dem Weg zur Poolbar begegnet mir die Frau, die ich neulich recht kühl habe abblitzen lassen. Ihr freundliches Nicken signalisiert mir, dass sie mit meiner Partnerwahl einverstanden ist.
»Hübsche Begleitung, die in den Genuss deiner Ausdauer kommt«, raunt sie, als wir aneinander vorbeilaufen.
»Da kann ich nicht widersprechen.«
Ich schlurfe an meinem alkoholfreien Cocktail, als ich das unverkennbare Geräusch zerbrechenden Glases höre. Im nächsten Moment folgt ein spitzer Schmerzensschrei.
»Aua«, sagt Alex mitfühlend.
Wir schauen in die Richtung, aus der der Schrei gekommen ist. Zwei Reihen vor uns hat eine Passagierin ihr Bierglas beim Aufstehen offenbar zunächst so ungeschickt umgekippt, dass es zersplittert ist, und ist danach in eine der Scherben getreten. Nun beklagt sie dieses Missgeschick, und wenn ich mich nicht irre, spritzt zu allem Überfluss ein wenig Blut aus der Wunde.
»Oh Gott«, stöhnt sie gut hörbar. »Ich brauche einen Arzt.«
Ich bemerke, wie eine der Angestellten rasch zu dem Pechvogel läuft. Es ist Marks Auserwählte. Lena stützt die anscheinend angetrunkene Passagierin und bittet sie, sich zu setzen.
»Was soll das bringen?«, ertönt die lautstarke Antwort.
»Ich möchte mir die Wunde ansehen.«
»Sind Sie Ärztin?«
Von meiner Position sieht es so aus, als würde Lena mit leichtem Druck nachhelfen und die Passagierin endlich nachgeben. Anschließend fallen mir zwei Dinge gleichzeitig auf: Einige der Mitreisenden haben mittlerweile ihr Handy gezückt und fotografieren die Szene. Außerdem greift Lena zu ihrem Walkie-Talkie und spricht hinein.
Ich beuge mich zu Alex hinüber. »Guck dir diese Gaffer an«, weise ich sie flüsternd darauf hin.
»Hab ich schon bemerkt«, entgegnet sie ebenso leise. »Ekelhaft. Wie muss man drauf sein, um so einen Zwischenfall als Urlaubserinnerung zu dokumentieren?«
Durch die Empörung in ihrer Stimme sammelt Alex weitere Pluspunkte bei mir.
Zum Glück für die scheinbar schwerverletzte Urlauberin naht zügig Rettung in Form meines alten Schulfreundes Dr. Mark Sievers. Er kommt an den Pool gerannt, betrachtet das Dilemma und öffnet dann seinen Erste-Hilfe-Koffer. Unterdessen zieht sich Lena ein Stück zurück, statt ihm zur Hand zu gehen. Ich deute das als untrügliches Zeichen dafür, dass er keinen Schritt vorwärtsgekommen ist in seinen Plänen, mit der Chefhostess reinen Tisch zu machen. Wenigstens beherrscht er jedoch die Kunst, die aufgebrachte Patientin zu beruhigen. Nachdem er sie verarztet hat, wirkt sie total entspannt und kichert sogar verlegen. Lena verdreht daraufhin die Augen und erteilt übers Funkgerät eine neue Anweisung. Kurz darauf erscheint eine Reinigungskraft am Pool, die die Scherben entfernt und die Blutspritzer wegwischt.
»Mark!«, rufe ich, während er sich auf den Weg macht.
»Hey, ihr Turteltauben!« Er tritt zu uns, begrüßt Alex mit Wangenküsschen und mich mit einem kräftigen Händedruck.
»Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt«, verspotte ich ihn ein wenig.
»Und zwar einer der besten«, erwidert er lachend.
»Hast du gerade Sprechstunde?«
»Nein, sonst wäre ich nicht so schnell hier gewesen. Fliegen kann selbst ich nicht. Ich war an der Rezeption, als Lenas Durchsage kam. Da muss ich jetzt auch den Koffer wieder hinbringen.«
»Gibt es was Neues zwischen dir und der Kleinen?«
Mürrisch verzieht er den Mund. »Wonach hat es für dich ausgesehen?«
»Sie schien deine Nähe zu meiden.«
»Du bist ein guter Beobachter.« Genervt fährt er sich durch die dunklen Haare.
»Hast du sie um ein Gespräch gebeten?«, will ich wissen.
Bevor er antwortet, schaut er sich um. Offenbar will er vermeiden, dass die Chefhostess etwas von der Unterhaltung mitbekommt.
»Tja, im Gegensatz zu dir bin ich leider kein Frauenversteher. Vorgestern hatte ich mich nach dem Dienst betrunken. Ausgerechnet dann sind wir uns beinahe in die Arme gelaufen. Ich fürchte, sie fand meinen vorwurfsvollen Ton nicht sonderlich angemessen.«
»Oh weh«, seufze ich.
Mark zuckt mit den Achseln. »Nicht zu ändern. Wenigstens habe ich nun jede Hoffnung aufgegeben und fühle mich ... freier.«
Ich verzichte darauf, ihm zu erklären, dass er keineswegs einen befreiteren Eindruck macht.
»Und bei euch? Ihr seht verliebt aus.«
»Sind wir«, gestehe ich. »Beziehungsweise ich. Alex muss das für sich selbst entscheiden.«
»Spinner!« Übermütig streckt sie mir die Zunge heraus. »Dein alter Schulfreund ist ein toller, aufregender Mann.«
»Hört, hört«, sagt Mark anerkennend und grinst breit. »Freut mich. Soll schließlich nicht jeder wie ein Trauerkloß herumlaufen. Jetzt müsst ihr mich entschuldigen. Ich war gerade in einer internen Dienstbesprechung. Wir sehen uns.«
Er hebt die Hand zur Mütze und verabschiedet sich mit einem zackigen Gruß. Kaum ist er außer Hörweite, beugt sich Alex zu mir.
»Los! Erzähl!«
»Was?«, frage ich überrumpelt.
»Na alles.«
Zugegebenerweise verstehe ich nur Bahnhof. »Wovon redest du?«
Ungeduldig verdreht sie die Augen. »Männer! Setz mich ins Bild über die Lena-Sache. Dein Freund scheint ziemlich unglücklich zu sein.«
»Endlich kapiere ich, worauf Alex hinauswill. Damit die um uns herumliegenden Passagiere nichts von Marks trauriger Liebesgeschichte mitbekommen, bemühe ich mich, leise zu sprechen. Trotzdem lasse ich keines der Details aus, an die ich mich erinnern kann. Nachdem ich mit ihr meinen Wissensstand geteilt habe, wirkt sie geradezu euphorisch.
»Das ist doch mal eine Aufgabe«, murmelt Alex.
»Schatz, sorry, aber irgendwie kann ich dir nicht folgen.«
»Ich werde die beiden verkuppeln«, erklärt sie total überzeugt.
»Lena und Mark?«
»Wen sonst?«
»Obwohl Mark keine Hoffnung mehr hat?«
»Quatsch! Ihr Männer tendiert dazu, Zeichen falsch zu deuten. Wenn er Lena egal wäre, hätte sie sich vorhin anders verhalten. Dann wäre sie ihm sehr wohl zur Hand gegangen.«
»Sicher?«
»Hundertprozentig.«
Ihre Aufgeregtheit entlockt mir ein Grinsen.
»Lachst du über mich?«
»Ich lächle dich an. Du wirkst so süß enthusiastisch. Warum dieser Eifer?«
»Seitdem ich weiß, dass ich auf Penelopes Tour reingefallen bin, frage ich mich, wie viele meiner Klientinnen mich ebenfalls getäuscht haben. Ehrlich gesagt fürchte ich, zu häufig Paare auseinandergebracht zu haben, weil ich Vorkommnisse fehlinterpretiert habe.«
»Sorgst du dich um schlechtes Karma?«
»Zumindest wäre es mal ganz schön, ein Paar zu verkuppeln, statt immer bloß der Auslöser für eine Trennung zu sein.«