14
»Man versehe mich mit Luxus, auf alles andere kann ich verzichten.«
Ich habe vergessen, wer das gesagt hat – irgendein Philosoph oder so – aber ich finde sein Lebensmotto so gut, dass ich es der Einfachheit halber gleich übernommen habe.
Ich liege auf dem vorderen Sonnendeck der Scene it, schlürfe eisgekühlten Chablis – der Verduzzo ist leider aus – mit Diätkräuterlimo und arbeite auf passive und höchst angenehme Weise daran, mich Bodo farblich anzugleichen. Dafür trage ich einen raffiniert geschnittenen, hellblauen Bikini von Hermès, von dem ich weiß, dass er meine Beine länger wirken lässt, und einen weißen Sonnenhut plus dunkler Brille, hinter der ich voller Zufriedenheit die Blicke der anderen Jachtbesitzer registriere. Die tun zwar so, als hätten sie gerade irgendetwas extrem Wichtiges auf ihren Booten zu erledigen, ich bin aber auch nicht doof und habe natürlich mitbekommen, dass sie mich in Wahrheit mehr oder weniger unauffällig beobachten. Das macht mir aber nichts aus, ehrlich. Sollen sie ruhig. Nichts stärkt das weibliche Ego so sehr wie begehrliche Männerblicke, da können die Emanzen behaupten, was sie wollen. Ich jedenfalls fühle mich im Moment ausgesprochen wohl in meiner Rolle.
Ich bin auf meinem Hotelzimmer gewesen, habe gebadet, mich umgezogen und meinen Kopf mit einer halben Packung Aspirin wieder in die schmerzfreie Zone gebracht. Danach habe ich erfolglos versucht, Sepia und Sonja wach zu kriegen, sie reagierten jedoch weder auf meine Anrufe noch auf exzessives Hämmern an ihrer Tür. Also bin ich wieder alleine zum Hafen hinuntergeschlendert, habe beim Le Shangri-La eine große Pizza gekauft und Bodo damit überrascht. Er hat sich darüber gefreut wie ein kleiner Junge, und nachdem wir sie gemeinsam verdrückt hatten, bin ich aus meinem Kleid geschlüpft, unter dem ich schon den Bikini anhatte, und Bodo hat gebührend darauf reagiert: »Ehrlich, Heidi, du hast eine Hammerfigur, weißt du das?«
Das ging runter wie Öl, ist es doch schon einige Zeit her, dass ich so etwas zu hören bekommen habe, umso mehr freute ich mich über das Kompliment.
Wobei ich jedoch insgeheim auch Sorge hatte, dass er das missverstehen könnte und versuchen würde … na ja … jedenfalls habe ich mir ein paar Ausreden zurechtgelegt, nur für den Fall, aber zu meiner Verwunderung waren die gar nicht nötig. Bodo machte keinerlei Anstalten, sich mir zu nähern, im Gegenteil hat er sich später sogar ganz verzogen, weil er schon wieder ein paar dringende Sachen zu erledigen hatte.
Wodurch ich jetzt gewissermaßen der Kapitän bin. Oder heißt das Kapitänin? Was weiß ich, jedenfalls räkle ich mich auf dem Sonnendeck wie ein waschechter Hollywoodstar und mache bei der Gelegenheit gleich meine Umgebung ein bisschen verrückt. Aah, herrlich ist das …
Aber zugleich auch ziemlich warm.
Die Mittagssonne brennt inzwischen gnadenlos herunter, und trotz der leichten Brise, die vom Meer hereinweht, stehe ich knapp davor zu schwitzen, was bei mir nur selten vorkommt.
Ich rapple mich hoch und überlege. Mein Getränk würde inzwischen auch schon als Weihnachtspunsch durchgehen, und einen Moment lang schwanke ich, ob ich mich noch für ein paar Minuten auf den Bauch drehen soll, damit die gut betuchten Voyeure auch meine Kehrseite begutachten können, oder mir stattdessen lieber ein paar frische Eiswürfel holen gehe.
Während ich noch mit dieser schwierigen Entscheidung kämpfe, sticht mir auf einmal ein Boot ins Auge, das in einem Abstand von vielleicht zwanzig Metern an der Scene it vorüberfährt. An sich nichts Besonderes – in einem Hafen fahren andauernd Boote an anderen vorbei –, aber das ist kein normales Boot, sondern ein Kajak. Seltsam genug, würde man so ein Ding doch eher in einem reißenden Gebirgsbach vermuten als im Hafen von Monte Carlo, aber mehr noch interessiert mich der Mann, der darin hockt.
Der kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich kann sein Gesicht zwar nur von der Seite sehen, und er hat ein Käppi auf, aber ich bin mir sicher, dass ich ihn schon irgendwo gesehen habe. Unter seinem weißen T-Shirt zucken sehnige Muskeln im Takt des Paddels, und wie es scheint, steuert er auf die Hafenausfahrt zu. Plötzlich dreht er den Kopf und sieht zu mir herüber, und als ich sein Gesicht von vorne sehe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen.
Das ist der Mann aus meinem morgendlichen Deckenfresko!
Also habe ich mir das doch nicht eingebildet, dieser Typ war echt! Als er merkt, dass ich ihn wiedererkannt habe, dreht er schnell den Kopf wieder weg und verstärkt seine Paddelschläge. Aha, der Herr hat also ein schlechtes Gewissen und sucht jetzt schnell das Weite.
Ein Verdacht keimt plötzlich in mir auf. Ob es am Ende gar kein Zufall ist, dass er ausgerechnet hier vorbeipaddelt?
Aber warum sollte er mich beobachten, ausgerechnet mich?, frage ich mich dann. In Monaco gibt es doch jede Menge Frischfleisch, und ich bin mir sicher, dass die meisten von denen leichter zu haben wären als ich.
Dabei fällt mir wieder ein, dass ich ja noch nicht einmal weiß, von wo aus er mich beobachtet hat. Am Vormittag habe ich ganz darauf zu achten vergessen, nachdem mich Bodos Riesen … äh … Dings völlig aus dem Konzept gebracht hat.
Ich sehe mich schnell um und überlege. Die Kabine, in der ich aufgewacht bin, befindet sich im rückwärtigen Teil, und zwar auf der linken Seite. Was bedeutet, dass er bei uns an Bord gewesen sein muss, um durch die Luke spähen zu können.
Oder vielleicht doch nicht?
Kurz entschlossen marschiere ich nach hinten und begutachte das Heck der Scene it. Entlang der Seitenlinie gibt es eine ganze Reihe von kleinen Fenstern, und ich versuche mir vorzustellen, welches davon zu meiner Heckkabine gehören könnte. Da es meines Wissens hinter der Kabine nichts mehr gibt außer vielleicht einem Maschinenraum, können es eigentlich nur die letzten beiden Fenster sein, überlege ich. Ja, das würde passen, eines für die Kajüte, und das andere für die Nasszelle. Beide liegen etwas tiefer, vielleicht einen Meter über der Wasserlinie, und wie ich jetzt feststelle, ist es gar nicht möglich, bei diesen Fenstern hineinzublicken, wenn man an Bord der Scene it ist.
Bleibt also nur die andere Möglichkeit: Der Mann ist auf dem anderen Boot gewesen, auf diesem Segler, der gestern neben der Scene it angelegt hat. Genau, so muss es gewesen sein.
Sepias Worte fallen mir wieder ein, und spontan muss ich ihr recht geben. Auf diesen Segelschiffen befindet sich anscheinend wirklich nur das billige Volk, und dieser eine Typ ist noch dazu ein Spanner.
Alles klar. Dagegen müssen wir auf jeden Fall schleunigst etwas unternehmen. Ich werde mit Bodo reden, der muss dem Kerl bei nächster Gelegenheit die Leviten lesen. Übung hat er darin ja schon. Bleibt allerdings zu hoffen, dass der Spanner nicht auch einen Bodyguard mithat, sonst gehen dem armen Bodo noch die Augen aus, durch die er gucken kann.
Durch meine Nachforschungen ist mir jetzt gleich noch wärmer geworden. Ich brauche dringend eine Abkühlung. Wasser, das ist das Zauberwort, und zwar möglichst kühl. Da die Brühe im Hafenbecken jedoch nicht gerade vertrauenerweckend aussieht, muss ich wohl oder übel mit einer Dusche vorlieb nehmen. Bodo hat vorhin etwas von einer Dusche an Deck der Scene it erwähnt, und tatsächlich finde ich nach einigem Suchen am hintersten Ende eine Klappe, unter der sich ein ausziehbarer Duschschlauch samt Brausekopf befindet.
Gerade als ich das kühle Nass über meinen Körper rinnen lasse, höre ich auf einmal: »Also, falls du mich scharf machen wolltest, dann ist dir das gelungen!«
Es ist Bodo. Sehr gut. Ich habe ihn gar nicht kommen sehen. Er steht mit vollen Einkaufstüten an der Pier und betrachtet mich mit einem breiten Grinsen.
»War nicht meine Absicht«, sage ich, »aber wo du schon mal da bist, Bodo: Wir haben ein Problem. Weißt du, ich hasse Spanner, und …«
»Dafür kann ich doch nichts, wenn du gerade jetzt eine Dusche nimmst«, rechtfertigt er sich schnell.
»Nein, doch nicht du! Ich meine den Kerl, der mich heute früh in meiner Kabine begafft hat.«
»Welcher Kerl denn?«, fragt Bodo verwundert.
Ich erzähle ihm von der ganzen Geschichte, während ich mich abtrockne und er seine Tüten auspackt. Zwischendurch zaubert er auch zwei frische Hotdogs hervor.
»Ich komme an diesen Buden einfach nicht vorbei, ohne etwas mitzunehmen. Du willst doch auch?«, sagt er und reicht mir eines.
»Sehr gerne, danke«, sage ich und nehme einen herzhaften Bissen. Es schmeckt köstlich, und jetzt erst merke ich, dass ich schon wieder ziemlich hungrig war.
»Und du hast da nur in deinem Höschen gelegen?«, kommt er dann auf meine Geschichte zurück.
»Ja«, antworte ich zwischen zwei Bissen.
»Das wusste ich gar nicht, interessant«, meint er kauend. »Und BH hattest du auch keinen an? Hattest du ihn ausgezogen, oder trägst du gar keinen?«
»Nein … also, gestern zumindest … das tut jetzt gar nichts zur Sache. Tatsache ist jedenfalls, dass der Typ mich angeglotzt hat«, behaupte ich trotzig.
»Vom anderen Boot aus, sagst du?«, wiederholt er.
»Ja.«
»Hm.« Er betrachtet das Segelboot und scheint nachzudenken. Wahrscheinlich überlegt er, ob er auf der Stelle rübergehen und gleich Klartext reden soll, oder vielleicht doch erst später …
»Also, ganz ehrlich verstehe ich gar nicht, weshalb du dich so aufregst«, sagt er stattdessen. »Es ist zwar nicht unbedingt die feine Art, in die Kajüte des Nachbarn zu gucken, aber wenn man so knapp nebeneinander im Hafen liegt, ergibt sich das manchmal ganz von selbst. Und jetzt mal ehrlich, Heidi, wenn ich dich so daliegen sähe, würde ich wahrscheinlich auch einen Blick riskieren.«
Wie bitte? Ich glaube, mich verhört zu haben. Ergreift er jetzt auch noch Partei für den Spanner?
»Aber der hat mich regelrecht angestarrt«, sage ich empört. »Und falls dir das noch nicht reicht: Gerade eben ist er auch noch mit einem Kajak an mir vorbeigefahren, während ich mich sonnte.« So, das hat jetzt wohl gesessen.
Doch Bodo lacht dazu nur reichlich unpassend auf. »Ja, und? Vielleicht wollte er Sport machen, hast du daran schon gedacht? Was kann er denn dafür, dass du in der Sonne liegst? Außerdem, Heidi, die anderen hier im Hafen können dich genauso beobachten, was ist schon dabei?«
Ich hole spontan Luft für eine scharfe Entgegnung, doch dann zögere ich.
Also, genau betrachtet … Was Bodo sagt, klingt irgendwie logisch, und von seinem Standpunkt aus wäre dann ja eigentlich alles harmlos gewesen. Was dann bedeuten würde …
Na, so was. Habe ich etwa überreagiert? Ich meine, Bodo hat schon recht, wenn ein Mann zufällig einen Blick auf das Nachbarboot wirft und da kugelt eine halb nackte Frau herum, dann ist es wohl natürlich, dass er einen Blick riskiert, nicht wahr? Von einer Sekunde auf die andere komme ich mir reichlich naiv vor.
»Ja, wenn du das so siehst«, lenke ich widerstrebend ein. »Aber es war nicht gerade angenehm, so auf dem Präsentierteller dazuliegen, das kann ich dir sagen.«
»Das verstehe ich, aber du solltest das nicht so ernst nehmen.« Dann setzt er wieder sein spitzbübisches Grinsen auf. »Übrigens, wenn du das nächste Mal wieder so in deiner Kabine liegst, gib mir Bescheid, damit ich dem Nachbarn einen Besuch abstatten kann.«
Das kam so überraschend, dass ich losprusten muss. »Ihr Männer seid doch alle gleich«, schüttle ich den Kopf.
Auch Bodo stimmt in mein Lachen ein. »Und wenn schon, sei doch froh! Stell dir vor, du liegst nackt herum und keiner guckt, das wäre dann ein Problem.«
»Jemand an Bord?«, werden wir in diesem Moment unterbrochen.
Es sind Sepia und Sonja. Ich gucke auf meine Uhr.
»Kaum zu glauben, noch nicht mal Mittag rum, und ihr seid schon wach? Respekt«, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen.
Sie balancieren an Bord und lassen sich in die Polster fallen.
»Du hast gut reden«, seufzt Sonja. »Ihr seid ja schon früher gegangen. Wir beide hatten leider keinen Bodo, der uns auf seine Jacht schleppt, was, Sepia?« Sepia nickt, während ihr Blick lauernd zwischen Bodo und mir hin- und herzuckt. »Aber sagt, was war denn gestern los mit euch? Wir haben es nicht mitbekommen, aber Jean-Luc hat erzählt, dass es Streit gegeben hat. Wow, was ist denn mit dir passiert, hat dich ein Bus gestreift?«, sagt sie dann erschrocken zu Bodo, als der seine Sonnenbrille abnimmt und sie sein geschwollenes Auge sieht.
»Bodo hat mich gerettet«, antworte ich an seiner Stelle. »Jemand hat versucht, mich zu begrapschen, als ich … ähm, ein kurzes Nickerchen machen wollte, aber zum Glück kam Bodo dazu. Und das blaue Auge hat er nur, weil die anderen zu zweit waren.«
Die beiden reißen die Augen auf, und Sepia nickt beeindruckt. »Sieh mal einer an, Bodo, der Retter in der Not. Ich werde Heinz davon erzählen, damit er dem Typen Hausverbot gibt. Oder heißt das Jachtverbot?«
»Wer ist Heinz?«, frage ich.
»Heinz ist der Besitzer der White Cloud. Er ist Österreicher, du kennst ihn übrigens, vom Casino«, antwortet Sonja.
»Vom Casino? Ich wüsste nicht dass wir da jemanden kennengelernt hätten.«
»Na ja, kennengelernt ist vielleicht übertrieben. Aber gesehen hast du ihn, am Roulettetisch. Heinz war der Typ, der in Rekordzeit so viel Geld verspielt hat, weißt du noch?«
»Heinz ist der haarige Bauch?«, entfährt es mir.
»Der was?«, kommt es erstaunt zurück.
»Das war das Erste, was ich von ihm gesehen habe: sein haariger Bauch«, erkläre ich schnell. »So etwas vergisst man nicht so schnell, glaubt mir.« Mich fröstelt allein bei der Erinnerung daran. »Und dem gehört die White Cloud? Kaum zu glauben.«
»Ist aber so. Übrigens ist der ganz nett«, behauptet Sepia. »Ein bisschen schrullig, aber nett. Und ich habe bei ihm einen besonderen Stein im Brett.«
»Echt? Wieso das denn?«
Ist Heinz etwa schwul und hält Sepia für einen Transvestiten?
»Er mag meine direkte Art«, erklärt sie. »Ich habe ihn gefragt, warum er sich anzieht wie ein Idiot, und das hat ihm imponiert. Er ist das nicht gewohnt, die meisten kriechen ihm lieber in den Hintern, anstatt ihm die Meinung zu sagen, weil er so reich ist.«
Damit hat sie ihm imponiert? Also, dass er aussieht wie der Alm-Öhi, das hätte ich ihm auch sagen können. Vielleicht sollte ich das in mein Programm aufnehmen, als eine Art Domina-Nummer für verwöhnte Millionäre.
Und dann fällt bei mir plötzlich der Groschen. Genau das ist doch mein Ziel, Leute wie Heinz zu beraten …
»Und, wirst du ihn wieder treffen?«, frage ich eine Spur zu hastig.
»Nicht nur ich, wir«, verkündet sie stolz. »Er hat uns für heute Abend zum Essen eingeladen … ach ja, und Bodo kann natürlich auch mitkommen.«
»Hat er das gesagt?«, fragt Bodo.
»Nicht direkt, aber er hat gemeint, wir könnten Freunde mitbringen.«
»Danke, ich verzichte«, winkt Bodo sofort ab. »Wahrscheinlich will er in so einen Schickimicki-Laden, das ist nichts für mich.«
»Ach, komm schon, Bodo«, versuche ich ihn umzustimmen. »Sei kein Spielverderber!«
»Bin ich doch gar nicht, ihr könnt ruhig gehen«, meint er. »Es macht mir nichts aus.«
»Wirklich nicht?«, frage ich nach.
»Nein, ehrlich, ich mag nur diese Nobelschuppen nicht«, behauptet er. »Aber vielleicht hast du Lust, später bei mir vorbeizuschauen, dann könnten wir ja noch in eine gemütliche Bar gehen oder so«, schlägt er vor.
»Ja … okay«, antworte ich zögerlich. Dann wende ich mich wieder meinen Freundinnen zu: »Wo wollt ihr überhaupt hin?«
»Wissen wir noch nicht«, antwortet Sepia. »Wir treffen uns um sieben auf der White Cloud, und alles Weitere können wir dann ausmachen.«
»Bleibt uns also noch der ganze Nachmittag«, meint Bodo. »Wollt ihr was trinken?«
»Au ja, ein Mineralwasser wäre toll, ich muss dringend Elektrolyte auffüllen«, sagt Sonja. »Und hast du auch Kaffee?«
»Sicher, was für einen willst du?«
»Einen Espresso, wenn möglich?«
»Geht klar.«
Auch ich habe Lust auf einen Kaffee, jetzt, wo ich wieder abgekühlt bin. Ich helfe Bodo in der Kombüse, dann sitzen wir auf dem hinteren Deck und halten Kriegsrat.
»Okay, und was unternehmen wir heute Nachmittag?«, frage ich, nachdem ich an meinem Cappuccino genippt habe.
Sonja und Sepia wechseln einen verschwörerischen Blick. Anscheinend haben sie schon etwas geplant.
»Wir dachten an eine Bootsfahrt«, rückt Sepia heraus.
»Eine Bootsfahrt?«, sage ich überrascht. Genau, stimmt ja, mit diesen Dingern kann man ja auch fahren und nicht bloß darauf herumsitzen. Merkwürdig eigentlich, dass ich noch nicht selbst darauf gekommen bin. »Gute Idee! Was meinst du, Bodo?«
Bodo scheint jedoch nicht sonderlich begeistert zu sein.
»Ich weiß nicht«, sagt er widerstrebend. »Es ist ein ziemlicher Aufwand, bis man aus dem Hafen raus ist, und ich schätze, von euch hat auch keine Erfahrung mit Ab- und Anlegemanövern, oder?«
»Wir meinten doch nicht deine Jacht«, schüttelt Sonja den Kopf. »Sepia und ich sind vorhin an einem Büro vorbeigekommen, in dem man Schiffsfahrten buchen kann.«
»Aber wieso sollen wir eine Schiffsfahrt buchen, wenn wir doch selbst eine Jacht haben?«, bringe ich als Gegenargument vor. Kaum habe ich das ausgesprochen, kommt es mir auch schon merkwürdig vor, hat es doch so geklungen, als würde die Scene it auch mir gehören. Glücklicherweise scheint es niemandem aufgefallen zu sein.
»Aber bei diesen Ausflugsbooten kann man unter Wasser sehen«, erklärt Sonja ganz begeistert. »Die haben Fenster im Bug, durch die kann man sich die Unterwasserwelt ganz bequem aus der Moby-Dick-Perspektive angucken.«
»Ach, so was meint ihr.« Mir sind die Plakate auch schon aufgefallen, aber besonders viel verspreche ich mir ehrlich gesagt nicht davon.
Seltsamerweise ist Bodo jedoch von diesem Vorschlag auf einmal ziemlich angetan.
»Das ist eine super Idee. Diese Fahrten sind echt interessant, das solltet ihr unbedingt machen«, schwärmt er regelrecht und nickt mir dabei aufmunternd zu.
»Wieso ihr? Kommst du nicht mit?«, frage ich verwundert.
»Nein, das geht leider nicht. Ich würde ja gerne, aber ich muss am Nachmittag noch ein paar wichtige Telefonate führen, geschäftlich, du verstehst?«, betont er mit ernster Miene.
Oh, darum geht es. Also, damit habe ich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, ich habe sogar vollstes Verständnis dafür. Irgendwie muss man seine Millionen schließlich auch verdienen, nicht wahr, und besonders wichtig ist dabei, dass der Partner das auch akzeptiert. Mit mir gäbe es diesbezüglich absolut keine Probleme, ich betrachte das sogar als einen wesentlichen Grundstein für eine harmonische Beziehung.
»Also gut, dann kümmere du dich mal schön um deine Geschäfte«, lächle ich betont großmütig. »Und wir sehen inzwischen zu, dass wir Neptun vor die Linse kriegen.«
Was natürlich nicht wörtlich gemeint ist.
Umso überraschter bin ich, als wir kurze Zeit später genau dazu Gelegenheit bekommen.
Sardinen haben es gut in ihren Dosen.
Die haben vergleichsweise viel Platz, weil die Erzeuger von Fischkonserven die Nettofischeinwaage niedrig halten, indem sie ihre Dosen größtenteils mit Pflanzenöl auffüllen, zudem werden sie von ihren Sitznachbarn nicht vollgelabert, weil die erstens tot und zweitens Fische sind, und drittens: Fische schwitzen nicht und haben keinen Mundgeruch.
Also nicht so wie der voluminöse Mann, der mich derart vehement an die Seitenwand des Ausflugsbootes quetscht, dass ich fürchte, die würde jeden Augenblick nachgeben. In meinem Oberstübchen beginnt sich ein hartnäckiger Gedanke festzusetzen: Ein Boot ist bekanntlich so konstruiert, dass es dem Wasserdruck von außen standhalten kann, aber haben die Konstrukteure auch an den Fettdruck von innen gedacht?
Das Übel dabei ist, dass ich einen Außenplatz erwischt habe. Im ersten Moment ein Glück, für das ich auch neidische Blicke kassierte, aber im Nachhinein hat sich das als eine echte Falle entpuppt. Ich habe zwar ein wunderbares Panoramafenster direkt neben mir, durch das ich bequem alles beobachten kann, was sich unter der Wasseroberfläche der Côte d’Azur so abspielt, bloß, mein Nachbar will genau dasselbe, und deswegen drängt er sich jedes Mal, wenn der Reiseführer irgendwohin zeigt, mit seiner ganzen Masse gegen mich, um näher an diese verdammte Scheibe heranzukommen.
Ich verfluche Sonja und Sepia für ihre Idee, mit diesem bescheuerten Dampfer zu fahren, der auch noch den beziehungsvollen Namen Neptun trägt. Zudem haben die beiden das Glück, in einer Reihe mit jungen Mädchen zu sitzen, die anscheinend einer Selbsthilfegruppe für Bulimiekranke angehören, dünn, wie sie sind, umso mehr Platz bleibt jetzt meinen Freundinnen.
Und ich hatte es schon geahnt: Die Fahrt ist wirklich nicht besonders aufregend. Durch die Fenster sehen wir in der Hauptsache düsteres Wasser und dann und wann ein paar Fische, deren Art und Gattung der Reiseleiter übertrieben ausführlich in drei Sprachen beschreibt, und irgendwann kommen wir zum Hafen von Fontvieille, wo wir uns einen elendslangen Vortrag über künstliche Landgewinnung und Hafenerweiterung und dergleichen anhören dürfen. So bin ich heilfroh, als die Neptun nach einer guten Stunde endlich wieder Kurs auf unseren Heimathafen nimmt, und ich nehme mir vor, auch die paar Minuten noch durchzuhalten, ohne den Dicken mit dem Tragegurt seiner Digitalkamera zu erwürgen.
Doch dann, wir sind schätzungsweise noch einen halben Kilometer vom Hafen entfernt, erschüttert plötzlich ein neuerlicher Rammstoß meinen Körper, diesmal ungleich heftiger als zuvor, und das, obwohl der Reiseleiter kein Wort von irgendeiner Attraktion gesagt hat.
Der Dicke stößt ein paar begeisterte Laute aus, gleichzeitig reißt er seine Kamera hoch und drückt auf den Dauerauslöser.
Aber zu meiner Verwunderung hat nicht nur ihn die Begeisterung erfasst, sondern auch durch die übrigen Fahrgäste geht in diesem Moment ein Raunen. Also drehe ich den Kopf in dieselbe Richtung wie sie, und dann sehe ich, was das allgemeine Interesse erweckt: Links von uns liegt eine Jacht im Wasser, dem gewaltigen Rumpf nach ein Riesending, und von der springen in diesem Augenblick mehrere Menschen ins Wasser, Männer und Frauen, bunt gemischt, und allesamt nackt, wie Gott sie geschaffen hat. Insgeheim kann ich die Begeisterung meines Banknachbarn sogar verstehen, denn die sind wirklich hübsch anzusehen, jung, sportlich und gut gebaut, und obwohl sie die Neptun gesehen haben müssen, tummeln sie sich völlig ungeniert im Wasser und treiben neckische Spiele miteinander.
Sepia und Sonja haben natürlich auch alles mitbekommen, und Sepia dreht sich zu mir um.
»Was meinst du, Heidi, das könnten wir auch machen, falls wir mal mit Bodo oder Heinz rausfahren«, ruft sie lachend.
»Ich will mir lieber nicht ausmalen, wie das von hier unten aussieht, wenn Heinz nackt ins Wasser springt«, gebe ich zurück, konzentriere mich dann aber gleich wieder auf die appetitlichen Körper im Wasser, um das Bild von Heinz als nacktem Schwimmer aus meinem Kopf zu vertreiben.
Als die übermütige Badetruppe wieder aus unserem Blickfeld verschwunden ist, lehnt sich der Dicke zurück und zwinkert mir dabei zu, und jetzt bin ich froh über seinen dicken Bauch, weil ich so wenigstens nicht sehen muss, was sich bei ihm auf der unteren Etage abspielt.
Als wir in den Hafen zurückgekehrt sind, ist mein sehnlichster Wunsch eine erfrischende Dusche auf der Scene it, aber da Bodo erwähnt hat, dass er noch zu arbeiten hätte, will ich ihn fürs Erste nicht stören.
»Na, Heidi, schon wieder einen Freund gefunden?«, zieht Sepia mich natürlich gleich auf.
»Du musst reden«, gebe ich grinsend zurück. »Im Vergleich zu deinem Heinz würde der Dicke glatt als Model durchgehen.«
»Er ist nicht mein Heinz«, korrigiert Sepia mich schnell.
»Aber sagtest du nicht dass du bei ihm gepunktet hast, oder so was Ähnliches?«, frage ich überrascht.
»Ja, schon, aber das bedeutet noch lange nicht dass da was läuft zwischen uns«, belehrt sie mich. »Und ganz unter uns: Optisch könnte ich mir allerdings was Besseres vorstellen als ihn.«
»Ja, das dachte ich mir«, nicke ich. »Aber ich nahm an, nach der Einladung heute …«
»Dummerchen, das heißt doch nicht dass ich etwas mit ihm anfangen will«, schüttelt sie den Kopf. »Aber davon mal abgesehen finde ich ihn recht unterhaltsam.«
»Und Sepia und ich haben dabei auch noch an etwas anderes gedacht«, mischt sich Sonja auf einmal ein.
»Ach ja, und an was?«
»Na, an dich. Heinz wäre doch der ideale Kunde für dich, Heidi. Er kennt die ganze Prominenz hier, und wenn wir ihn erst einmal auf Vordermann bringen, spricht sich das garantiert blitzschnell herum.«
»Ihr habt dabei an mich gedacht? Das ist ja so lieb von euch!« Ich bin ganz gerührt. Spontan nehme ich sie in die Arme und drücke sie fest.
»Schon gut, das versteht sich doch unter Freunden«, schiebt Sepia mich mit einem Anflug von Verlegenheit wieder von sich weg.
»So, und jetzt sollten wir erst mal was trinken«, schlägt Sonja vor.
Wir setzen uns in die nächste Snackbar und bestellen Eistee.
»War doch interessant, die Fahrt, nicht wahr?«, nimmt Sonja das Gespräch wieder auf, nachdem die Kellnerin uns bedient hat.
»Sicher, falls man darauf steht, platt gequetscht zu werden«, meine ich sarkastisch.
»Zugegeben, du hattest Pech mit deinem Platz«, räumt sie ein. »Aber die Badetruppe war nicht schlecht, das musst du zugeben.«
»Ging so! Also gut, was machen wir als Nächstes?«, wechsle ich dann das Thema.
Es ist erst zwei, also bleibt uns noch eine Menge Zeit, um dem Tag etwas Sinnvolles abzugewinnen.
Sonja hat den Taschenreiseführer mit. Sie beginnt, darin zu blättern.
»Wie wär’s mit dem Botanischen Garten?«, schlägt sie vor.
»Was gibt’s da zu sehen?«
»Pflanzen, Kakteen hauptsächlich, den Bildern nach.«
»Hm.« Ich sehe Sepia fragend an. »Was meinst du?«
»Nee, keinen Bock«, antwortet die. »Kakteen kann ich mir auch bei meiner Oma ansehen, die hat die ganze Wohnung voll davon. Was gibt’s sonst noch?«
Sonja blättert weiter.
»Das Musée Océanographique. Das hört sich interessant an.«
»Was gibt’s da?«, frage ich.
»Na, was wohl? Fische«, vermutet Sepia mit verächtlich gekräuselten Lippen.
»Ja, aber ziemlich interessante Arten, und außerdem eine Ausstellung über Jacques Cousteau«, liest Sonja vor.
»Jacques wer?«, fragt Sepia.
»Jacques Cousteau, der berühmte Meeresforscher.«
»Na, so berühmt kann der auch wieder nicht sein, sonst hätte ich schon von ihm gehört«, meint Sepia mit einer abfälligen Handbewegung »Aber ein bisschen Bewegung könnte uns eigentlich nicht schaden, sehen wir’s uns also an.«