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Blume

 

Den Akku eines Handys aufzuladen ist die einfachste Sache der Welt – wenn man über das dazugehörige Ladekabel verfügt und es nicht, wie ich in meinem Gefühlschaos, bei der Abreise schlicht und einfach vergessen hat.

Das Problem an der Sache ist, dass es unzählige Handymarken mit noch mehr unterschiedlichen Ladekabeln gibt, und weder Sepia noch Sonja noch die hilfsbereiten Menschen vom Hotel haben dasselbe doofe Modell wie ich. Bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als mich in Geduld zu üben – und vielleicht kennt ja Bodo irgendwo in der Stadt einen Handyshop, den ich morgen aufsuchen kann.

Da ich jetzt aber wenigstens weiß, dass ich von Gerhard nichts Schlimmes zu befürchten habe, tut das meiner guten Laune keinen Abbruch. Denn die Wahrheit ist: Ich habe Wichtigeres zutun.

Mein Verhältnis zu Bodo abzuchecken zum Beispiel.

Um dafür eine optimale Ausgangslage zu schaffen, bade ich erst mal ausgiebig, dann mache ich mir eine raffinierte Hochsteckfrisur und schminke mich sorgfältig. Als Bekleidung wähle ich diesmal ein weißes Ensemble, bestehend aus einem kurzen Rock und einer weit geschnittenen Bluse, die nicht allzu aufdringlich ist und dennoch nicht alles verbirgt, was einen Mann interessieren könnte.

Als ich Sonja und Sepia von ihrem Zimmer abhole, muss ich feststellen, dass ich mir wegen Sepia auch diesmal keine Sorgen zu machen brauche – sie trägt eine hautenge Lackhose zu einem Top aus Leopardenfellimitat –, aber Sonja wieder einmal umwerfend aussieht in ihrem figurbetonten, lachsfarbenen Kleid.

»Du erinnerst dich noch, was wir wegen Bodo ausgemacht haben?«, frage ich sicherheitshalber nach.

»Ist doch Ehrensache, Heidi. Ich habe mir auch extra etwas Schlichtes angezogen, damit Bodo nicht auf falsche Gedanken kommt«, lächelt Sonja.

»Wir schnappen doch einer guten Freundin nicht den Kerl weg«, ergänzt Sepia gönnerhaft, und wir sehen ihr einige Sekunden lang wortlos zu, wie sie mit ihren sehnigen Händen den nicht vorhandenen Busen nach oben zu schieben versucht.

Es ist schon nach sechs, als wir den Hafen erreichen, und ich bemerke sofort, dass neben Bodo eine Segeljacht festgemacht hat, die am Vormittag noch nicht da gewesen war.

»Die sieht ja vielleicht niedlich aus«, meint Sonja. »Irgendwie antik, findet ihr nicht?«

»Du kannst ja mal anfragen, ob der Kapitän noch zu vergeben ist«, scherze ich.

»Nein, nein, Segelboote könnt ihr vergessen«, schiebt sich Sepia sofort dazwischen. »Mit denen fahren meistens arme Schlucker, die die Boote bei Charterfirmen mieten und sich den Sprit für eine Motorjacht nicht leisten können.«

»Und woher willst du das wissen?«, frage ich.

»Bekannte von mir fahren regelmäßig Törns«, klärt sie uns auf. »Glaubt mir, das sind alles arme Würstchen.«

Okay, wenn sie das sagt. Mir kann’s ja egal sein, wartet doch schon der Besitzer einer Motorjacht auf mich.

»Da seid ihr ja endlich. Ich dachte schon, ihr versetzt mich.« Bodo sitzt bereits an Deck vor einem Bier und wirkt regelrecht erleichtert, als er uns sieht.

»Keine Angst«, beschwichtige ich ihn. »Solange du genug Verduzzo an Bord hast, wirst du mich nicht los.«

»Ein bisschen was habe ich noch«, grinst er. »Aber das ist hoffentlich nicht der einzige Grund, weshalb du mich besuchst. Gebt Acht mit der Passarella«, mahnt er dann.

»Ich weiß, es soll Leute geben, die da manchmal daneben treten«, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen, und mit ein paar schnellen Schritten bin ich drüben bei ihm.

Bodo begrüßt mich mit zwei Wangenküsschen, und unpassenderweise macht er dasselbe auch bei Sonja und Sepia. Ich schlucke meinen Ärger schnell hinunter und unterziehe ihn dann einer unauffälligen Musterung. Er trägt kakifarbene, kurze Hosen, dazu legere Flip-Flops und ein weißes Hemd, das seine tiefe Bräune zusätzlich betont. Ich muss schon sagen: Richtig gut sieht er aus.

»Setzt euch doch«, sagt er dann. »Was wollt ihr trinken?«

»Heidi erwähnte vorhin einen sagenhaften Weißwein, den du an Bord hast«, meint Sepia.

»Verduzzo Friulano, das dachte ich mir schon«, sagt Bodo überschwänglich. »Wollt ihr mit runterkommen und das Boot von innen besichtigen?«

Was für eine Frage. Wer würde das nicht wollen? Im Inneren kann man erst ermessen, wie groß so ein Ding in Wirklichkeit ist. Dieses hier verfügt über einen geräumigen Salon mit einer komfortablen Sitzecke aus cremefarbenem Leder, dazu eine separate Essecke samt voll ausgestatteter Küche inklusive Kühlschrank, Backofen und Mikrowelle.

»Wow, hier könnte man ja sogar einen Kuchen backen«, staunt Sonja.

»Ja, könnte man, wenn man könnte«, witzelt Bodo.

»Sag bloß, du kannst nicht kochen«, sage ich.

»Jedenfalls keine Kuchen. Ich gehöre mehr zur deftigen Fraktion, wisst ihr.«

Damit deutet er vielsagend auf den Kochtopf, der auf dem Herd steht.

»Was ist da drinnen?«, frage ich überrascht.

»Ratet mal!«

Schon beim Herunterkommen ist mir ein eigentümlich bekannter Geruch aufgefallen. Wir schnuppern andächtig.

»Jetzt sag bloß, du hast Würstchen gekocht«, lacht Sepia auf.

»Würstchen wäre wohl ein bisschen zu einfach«, lehne ich mich ein bisschen weiter aus dem Fenster. »Das sind Weißwürste, stimmt’s?«

Bodo nickt anerkennend.

»Gut geraten, Heidi. Ich dachte mir, dass ihr den mediterranen Fraß wahrscheinlich satthabt und zwischendurch auch mal was Ordentliches wollt. Ihr mögt doch Weißwürste?«

Also, falls er die Hotdogs und Hamburger vom Le Shangri-La meint, die fand ich gar nicht so mediterran, aber ich verkneife mir einen Kommentar dazu.

»Hast du auch Apfelkren?«, frage ich stattdessen.

»Ist der Papst katholisch?«, kommt es prompt zurück.

»Perfekt. Fehlt nur noch Weißbier«, meint Sonja.

Auf dieses Stichwort scheint Bodo gewartet zu haben. Er hechtet förmlich hinüber zum Kühlschrank, und als er ihn öffnet, leuchtet uns eine ganze Batterie von Flaschen entgegen.

»Erdinger!« Bodo strahlt, als würde er uns den Heiligen Gral präsentieren. »Ich hoffe, das mögt ihr.«

Okay, ich hatte an diesem Wochenende ja mit vielem gerechnet, aber auf einer Jacht in Monaco Weißwürste zu essen und Weißbier zu trinken, darauf wäre ich nicht gekommen.

»Falls du uns überraschen wolltest, ist dir das gelungen. Ich für meinen Teil freue mich jedenfalls riesig«, sage ich. »Welche Geheimnisse verbirgst du sonst noch auf deinem Dampfer?«

»Keine Geheimnisse. Bloß noch die Kajüten.«

»Kajüten? Das sind die Schlafzimmer, oder?«

»Ja, so kann man es auch nennen. Hier, das ist die Kapitänskajüte.«

Er öffnet eine Tür im vorderen Bereich, und ein breites Doppelbett wird sichtbar.

»Ist das Seide?«, fragt Sonja.

»Die Laken, meinst du? Äh, ja, denke schon, sie sind jedenfalls ziemlich weich«, antwortet Bodo, während er sich an der Stirn kratzt.

Er denkt? Also ehrlich, diese Millionäre muss man erst mal begreifen. Umgeben sich mit Luxus und wissen noch nicht einmal, woraus der besteht.

»Das ist ja die reinste Lasterhöhle«, staunt Sepia. »Hast du auch Fernsehen an Bord?«

»Klar, mit Satellitenempfänger und DVD«, tönt Bodo stolz und klappt einen Bildschirm von der Decke herunter. »In jeder Kajüte, und im Salon auch, versteht sich.«

»Nicht schlecht, der Kahn. Aber sag, wieso hast du sie eigentlich Scene it getauft?«, fragt Sepia.

Der seltsame Name ist mir auch schon aufgefallen, und da er Filmproduzent ist, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich um ein raffiniertes Wortspiel aus den englischen Wörtern für »Szene« und »gesehen« handelt.

»Äh, keine Ahnung, es hat mir einfach gefallen«, antwortet Bodo zu meiner Überraschung.

»Hat es vielleicht was mit diesem Spiel zu tun, da geht es doch auch um Filme, nicht wahr?«, rät Sonja.

Jetzt scheint es auch Bodo wieder einzufallen. »Ja, genau, du sagst es.«

»Und wo geht man hier aufs Klo?«, fragt Sepia mit unverblümter Offenheit.

Bodo grinst. »Auch dafür ist gesorgt. Jede Kajüte verfügt über eine eigene Nasszelle.«

»Eine was?«

»Eine Dusche mit Toilette.«

»Und wie viele Kajüten gibt’s hier?«

»Die Kapitänskajüte im Bug und hinten im Heck noch zwei, falls man Gäste an Bord hat, oder eine Crew. Obwohl, die braucht man bei dieser Größe eigentlich gar nicht, so eine Jacht kann man auch bequem alleine steuern.«

»Wie groß ist sie überhaupt?«, will ich wissen.

»Das ist eine Vierundsechziger«, kommt es zurück.

»Soll das heißen, dass sie vierundsechzig Meter lang ist?« Der Gedanke macht mich ehrlich gesagt ein bisschen fassungslos.

»Nein, damit sind Fuß gemeint. Sie ist vierundsechzig Fuß lang.«

»Geht’s auch einfacher, in Metern zum Beispiel?«

»Das brauchst du nur durch drei zu dividieren.«

»Durch drei? Das wären dann ja immer noch mehr als zwanzig Meter!«

»Stimmt.«

Wow. Wenn man die Scene it im Wasser liegen sieht, käme man niemals auf die Idee, dass sie die Länge eines stattlichen Einfamilienhauses hat.

Und Sonja kommt dann auch noch zur Kernfrage: »Und was kostet so etwas?«

»In der Ausstattung, mit GPS, Radar und dem ganzen Kram, so an die zwei Millionen«, antwortet Bodo locker.

»Euro?«, entfährt es mir.

»Klar, was denn sonst? Nettes Sümmchen, was?«

Während er das sagt, steht er mit in den Hosentaschen versenkten Händen da und grinst ganz lässig. Ein Weißwurst kochender Millionär, der noch dazu ziemlich süß aussieht, und ich habe ihn entdeckt! Meine Freundinnen geben sich zwar alle Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich weiß ganz einfach, dass sie neidisch sind.

»So, wollen wir dann essen?«, fragt er schließlich.

»Wie isst man die denn jetzt wirklich?«, fragt Sonja, als Bodo uns an Deck die dampfenden Köstlichkeiten auf die Teller legt.

Eine Frage, so alt wie die Weißwurst selbst. Manche meinen, man müsse sie ganz einfach schälen und dann in Scheiben schneiden, andere wiederum behaupten, man solle an der Oberseite einen Längsschnitt platzieren und dann Scheibe um Scheibe herauslösen, und echte Hardliner beharren darauf, dass man sie aussaugen müsse. Bodo ist einer von ihnen.

»In den Mund nehmen, mit den Lippen zusammendrücken und dann feste saugen«, erklärt er, dann wartet er darauf, dass wir seinen Rat befolgen.

Ja, das hätte er wohl gern.

Ich jedenfalls entscheide mich für die Oberseiten-Chirurgenschnitt-Lösung, auch auf die Gefahr hin, dass er mich für prüde hält. Er macht dann auch tatsächlich ein enttäuschtes Gesicht, und ich bin nur froh, dass Sonja ebenfalls darauf verzichtet und stattdessen ganz manierlich zu Messer und Gabel greift. So ist Sepia die Einzige von uns Frauen, die lustvoll an ihrer Wurst saugt, was aber in Sachen Konkurrenz nicht weiter ins Gewicht fällt, weil dabei die Adern an ihrem Hals Furcht einflößend hervortreten.

Jedenfalls schmeckt es hervorragend, und nachdem wir uns vollgestopft haben, versinken wir zufrieden in den weichen Sitzpolstern. Wir sind von Bier auf Verduzzo umgestiegen, und nachdem er eingeschenkt hat, wirft Bodo eine Süßstofftablette in sein Glas und schwenkt es ein paar Mal hin und her.

»Was machst du denn da? Ich dachte, das ist ein ganz besonderer Edelwein und von Natur aus süß«, wundert sich Sonja.

»Ja, gerade deshalb«, nickt er, dann erklärt er mit Kennerblick: »Um die Süße geht es dabei gar nicht, weißt du, sondern um die Aromastoffe. Der Süßstoff bringt sie erst richtig zur Geltung, die … Flavone … und die Fungizide und … äh, die ganzen anderen sowieso. Deshalb machen das neuerdings alle Experten so«, fügt er überzeugt hinzu.

Sonja und Sepia starren erst ihn an und dann mich, während ich gerade Diätcola in meinen Wein gieße.

»Was seht ihr mich so an?« Ich erwidere herausfordernd ihre Blicke. »Mir war das schon lange bekannt.«

Sonja setzt zu einer Frage an, aber Bodo hat jetzt seine Beine weit von sich gestreckt und sieht aus, als hätten Alkohol und Kalorien ihn vertrauensselig gemacht. Eine gute Gelegenheit also, um mehr über ihn zu erfahren.

»Erzähl uns doch lieber etwas über deinen Beruf«, wechsle ich daher schnell das Thema. »Wie macht man das überhaupt, Filme produzieren?«

Täusche ich mich, oder blinzelt er schon wieder überrascht? »Eigentlich möchte ich im Urlaub gar nicht über meinen Job reden«, versucht er auszuweichen.

Was natürlich nicht geht, sind wir doch drei Frauen. Bedeutet: personifizierte Neugierde mal drei.

Sonja nimmt meinen Ball prompt auf.

»Ach, komm schon, Bodo, so gemein kannst du doch nicht sein«, säuselt sie. »Im Filmgeschäft sein und uns nichts davon erzählen, das wäre seelische Grausamkeit.«

»Genau«, hakt auch Sepia mit etwas weniger Feingefühl ein. »Also raus damit: Was für Filme machst du so?«

Bodo beginnt sich jetzt regelrecht zu winden. Ich fasse es nicht.

»Na ja, alles Mögliche, von Kinofilmen bis hin zu Fernsehserien«, sagt er zögernd.

»Zum Beispiel?«, setzt Sonja nach.

Endlich scheint er sich einen Ruck zu geben.

»Verliebt in Berlin, zum Beispiel, und Gute Zeiten, schlechte Zeiten, und einige andere.«

»Echt, das machst du? Wahnsinn!«, sagt Sepia beeindruckt.

Bodo hebt sofort beschwichtigend die Hände.

»Nicht dass ihr euch das jetzt falsch vorstellt. Bei den großen Produktionen sind immer mehrere Firmen beteiligt. Dahinter stehen meistens eine ganze Reihe von Finanzierungsunternehmen, nun, und an so einem Unternehmen ist meine Firma beteiligt.«

»Aha.« Wir lassen uns das für ein paar Sekunden durch unsere Köpfe gehen. »Und Kinofilme hast du noch keine gemacht?«

Er denkt ein bisschen nach, dann fällt ihm ein: »Doch, ja, King-Kong zum Beispiel, daran war meine Gruppe auch beteiligt.«

»Ich werd verrückt! Dann kennst du auch Naomi Watts?«, kreischt Sonja begeistert auf.

»Nicht persönlich«, winkt Bodo zu ihrer Enttäuschung schnell ab. »Wie schon gesagt, ich bin nur an einer Finanzierungsfirma beteiligt, und die wiederum ist an verschiedenen Filmprojekten beteiligt. Das ist der ganze Zauber. Noch jemand Wein?«, versucht er dann ansatzlos das Thema zu wechseln. Kaum zu glauben, da investiert der Mann in der weltbesten und interessantesten Branche überhaupt und will nicht darüber reden! Mir ist das ganz einfach unbegreiflich.

»Ja, gern.« Ich halte ihm mein Glas hin, lasse ihn aber noch nicht vom Haken: »Aber wie kommt man überhaupt in dieses Geschäft? Ich meine, es ist ja wohl nicht so, dass man eines Morgens aufwacht und denkt, ich werde Filmproduzent, oder?«

»Nein, natürlich nicht. Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich vor ein paar Jahren durch eine Erbschaft zu ein bisschen Geld kam, und zufälligerweise hatte ich einen Freund, der Kontakte zum Filmbusiness hatte und gerade Investoren suchte. Und so ergab sich das dann fast von selbst.« Bodo zuckt die Schultern und lacht verlegen, als müsste er sich für irgendetwas entschuldigen.

»Keine üble Idee. Und wie man sieht, lebt sich’s davon ganz gut«, stellt Sepia fest. »Aber irgendwelche Promis musst du doch kennen. Erzähl, wie sind die denn so privat?«

»Also, wirklich gut kenne ich die ja nicht, allenfalls von Partys und diversen Preisverleihungen, und da halte ich mich meistens im Hintergrund«, wiegelt Bodo sofort ab. »Aber eines kann ich euch verraten: Die sehen in natura nicht halb so gut aus wie in den Filmen, da wärt ihr echt enttäuscht. Da seht ihr alle drei besser aus als die meisten dieser Stars, das garantiere ich euch.«

»Danke, das hört man gern«, sagt ausgerechnet Sepia. »Macht ihr auch andere Filme, du weißt schon, für Erwachsene?«, fragt sie dann plötzlich.

»Was meinst du mit für Erwachsene?«, fragt Bodo irritiert zurück.

»Na, Sexfilme. Pornos!«, präzisiert Sepia gnadenlos.

Als sie das sagt, krampft sich schlagartig mein Magen zusammen.

Ach, du je. Das wäre die perfekte Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten. Was heißt perfekt, es wäre natürlich die allerschlimmste Erklärung!

Hat Bodo etwa deswegen so herumgewürgt bei seinen Antworten? Was, wenn er einfach nur primitive Pornos produziert?

Eine Gänsehaut legt sich auf meine Arme, und übergangslos geht meine Phantasie mit mir durch. Vielleicht war er bloß deshalb so zugänglich. Möglicherweise ist er ständig auf der Suche nach neuen Darstellern und hat in uns nur willkommene Opfer gesehen. Wenn man sich die Titel dieser Filme so ansieht, würde sich für jede von uns sofort die geeignete Rolle finden. Wer weiß, vielleicht hat er mich schon für die Titelrolle in Wenn die Lederhose kracht, Teil siebenundvierzig vorgesehen – wegen meines Vornamens –, und Sonja für Die total versaute Oberlehrerin, und Sepia wäre dann wahrscheinlich das Zugpferd von So ein Transenpo, der macht uns richtig froh!

»Ach, das meinst du.« Bodo kriegt ein bisschen Farbe im Gesicht und lehnt sich grinsend zurück. »Nein, nein, daran ist gar nicht zu denken, das würde nicht funktionieren. Sobald du mit der Szene in Berührung kommst, kannst du nie mehr normale Unterhaltung machen. Mit so was bist du blitzschnell unten durch, das könnt ihr mir glauben.«

Er sagt das so spontan und überzeugt, dass es keinen Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussage gibt. Ich atme innerlich tief durch, heilfroh, dass mein Traum vom unschuldigen reichen Kerlchen nicht zerplatzt ist.

»Noch Wein?«, fragt Bodo wieder.

Wir nicken, und als er einschenkt, fällt ihm auf, dass die Flasche schon wieder leer ist. Es ist bereits die zweite.

»Ich gehe Nachschub holen«, sagt er und verschwindet nach unten.

Als Bodo wieder da ist, prosten wir uns zu, und insgeheim stelle ich fest, dass wir uns ganz automatisch anders verhalten, sobald neugierige Touristen an uns vorbeipilgern. Wir reden dann plötzlich furchtbar gestelzt, und beim Trinken spreizen jetzt plötzlich alle ihre kleinen Finger ab.

Und Moment mal, seit wann verwendet Sepia überhaupt eine Zigarettenspitze? Also bitte, das ist doch lächerlich!

Ich überlege, ob ich sie darauf ansprechen soll, doch dann horche ich in mich hinein, und dann dämmert es mir: Ich finde das irgendwie … cool! Nicht Sepias Zigarettenspitze, die sieht ganz klar bescheuert aus, aber der Umstand, dass die Leute uns für reich und prominent halten, das hat eindeutig was.

Es ist inzwischen nach acht geworden, die Dämmerung bricht langsam herein, und nach und nach gehen die Lichter der Stadt an. Es ist ein gänzlich unwirkliches Panorama, und ich beginne mich seltsam schwerelos zu fühlen – was aber natürlich auch am vielen Wein liegen könnte, den ich inzwischen intus habe.

»Und was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?«, dringt Sepias laute Stimme plötzlich in meine Glückseligkeit. »Was haltet ihr davon, wenn wir in einen dieser angesagten Klubs gehen?«

»Da bin ich sofort dabei«, nickt Sonja eifrig. »Bodo, du kennst dich hier doch aus, was würdest du vorschlagen? Jimmy’z Disco soll ziemlich angesagt sein, habe ich gehört.«

Aber Bodo winkt schnell ab. »Ohne mich. Dort ist es bloß sauteuer und laut, und um diese Jahreszeit gerammelt voll mit hohlköpfigen Angebern. Außerdem wäre es ein ziemlicher Fußmarsch, das liegt ganz drüben bei Larvotto.«

Sonja ist enttäuscht, und ich, ehrlich gesagt, auch ein bisschen. »Ja, meinst du? Hm, was schlägst du sonst vor?«

»Hinten im Stadtkern gibt es ein paar nette Bars, da gehe ich meistens hin, wenn ich mich unterhalten will«, erklärt er. »Wir können uns damit aber Zeit lassen, jetzt ist da noch nicht viel los«, fügt er hinzu.

»Alles klar, dann trinken wir hier noch einen«, sage ich fröhlich, um die Stimmung nicht kippen zu lassen.

»Worauf du wetten kannst«, nickt Bodo. »Oh, schon wieder leer. Entschuldigt, bin gleich wieder da.«

Nanu. Als er aufsteht, bewegt er sich wie unter schwerem Wellengang. Bloß, dass es den hier im Hafen gar nicht gibt.

Währenddessen sehe ich aus den Augenwinkeln einen Mann in mittleren Jahren die Pier entlangschlendern. Ich halte ihn für einen Touristen und beachte ihn in würdevoller Herablassung nicht weiter, als er plötzlich auf unserer Höhe stehen bleibt und etwas zu uns herüberruft.

»Was will er?«, raune ich Sonja zu.

»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er hat etwas von einer Party gesagt«, antwortet sie. Sie tauschen ein paar Worte aus.

»Und?«

»Also, wenn ich ihn richtig verstanden habe, will er uns zu der Party einladen«, sagt Sonja.

»Echt?«, sage ich verblüfft. »Wo denn?«

Sonja wechselt wieder ein paar Sätze mit dem Mann, dann deutet er auf eine der Jachten an einer anderen Pier.

»Auf der White Cloud«, übersetzt Sonja, »und wenn mich nicht alles täuscht, ist das die große Jacht da hinten.«

»Er lädt uns zu einer Promiparty ein?«, zischt Sepia zwischen mühsam zusammengepressten Lippen hervor. »Haben wir ein Schwein!«

»Ja, sieht so aus«, meint Sonja halblaut zu uns. Und dann wieder irgendetwas auf Französisch zu dem Mann.

Er lächelt, winkt noch einmal lässig und geht dann wieder.

»Und, was hast du gesagt?« Sepia platzt fast vor Neugierde, und mir geht es nicht viel anders.

»Na, was wohl? Dass wir kommen, natürlich!«

»Das ist ja der Wahnsinn«, jubelt Sepia. »Ist euch überhaupt bewusst, was das bedeutet?«

»Nein, was denn?«

»Na, dass wir die Promileiter hochklettern!«, erklärt sie begeistert. »Überlegt doch mal: Wir sind erst zwei Tage hier und sitzen schon auf dieser Jacht, was an sich schon toll ist. Und jetzt: Runter von der kleinen Jacht, rauf auf die große. Und dafür mussten wir noch nicht einmal mit jemandem schlafen!«

»Habe ich was versäumt?« Es ist Bodo, der gerade wieder mit einem vollen Tablett hochkommt. »Wer will hier mit jemandem schlafen?«

»So war das nicht gemeint«, bremse ich. »Gerade war so ein Typ da und hat uns auf eine Party eingeladen.«

Bodo zieht eine Augenbraue hoch. »Eine Party? Wo denn?«

»Da drüben auf der White Cloud.«

»Auf der White Cloud? Die ist ein ziemlich dicker Brummer«, meint er erstaunt.

»Also ist es wirklich die große Jacht da hinten. Und wem gehört sie?«, fragt Sonja.

»Keine Ahnung, aber sie fährt unter österreichischer Flagge. Seltsam, mich haben die noch nie eingeladen«, kratzt er sich dann hinter dem Ohr.

»Das liegt wahrscheinlich an deiner Körbchengröße«, vermute ich.

»Und daran, dass du keine Stringtangas trägst«, ergänzt Sonja.

»Ihr meint, denen fehlen bloß ein paar Weiber?«, begreift Bodo.

»Ich schätze, ja.«

»Dann werdet ihr mich hier im Stich lassen?«, fragt er missmutig.

»Nein, ganz sicher nicht«, beeile ich mich zu sagen. »Ich weiß nicht, wie ihr das haltet, aber soweit es mich betrifft, gehe ich nur mit Bodo rüber. Das sind wir ihm schuldig, nachdem er so gastfreundlich war, abgesehen davon wissen wir nicht, auf welche Leute wir dort treffen.«

»Heidi hat vollkommen recht«, pflichtet Sonja mir bei. »Bodo muss auf jeden Fall mitkommen. Wäre doch unfair, würden wir ihn nicht an unserem gesellschaftlichen Aufstieg teilhaben lassen.«

Bodo macht ein säuerliches Gesicht. »Lieb von euch.« Dann erhebt er sein Glas. »Die angebrochene Flasche trinken wir aber noch aus. Zum Wohl!«

Als wir eine halbe Stunde später zur White Cloud hinübermarschieren, stelle ich fest, dass auch ich bereits mächtigen Wellengang unter den Füßen habe. Als ich Bodo darauf anspreche, erklärt er: »Das ist ganz normal, Seefahrer nennen es die Landkrankheit. Wenn man sich längere Zeit auf einem schwimmenden Untersatz befindet, gewöhnt sich der Körper an die schaukelnden Bewegungen, und später auf dem Festland versucht sie der Körper dann immer noch auszugleichen. Daher auch der wiegende Gang von Seeleuten, weißt du?«

Sieh mal einer an, was es doch alles gibt. Wobei, so besonders toll geschaukelt hat es gar nicht auf der Scene it, und wirklich lange drauf gewesen sind wir auch nicht.

»Liegt es auch an der Landkrankheit, wenn man sich mit dem Sprechen schwertut?«, kichert Sonja plötzlich hinter uns.

Ich kichere mit, denn ich weiß, was sie meint. Das, woran wir leiden, hat nämlich nicht das Geringste mit der Seefahrt zu tun, das kann auch der wasserscheuesten Landratte widerfahren, und die korrekte Bezeichnung dafür lautet: mittelschwere Alkoholisierung.

Auf der White Cloud geht schon richtig die Post ab, als wir an Bord kommen. Der Typ, der uns eingeladen hat, erspäht uns sofort. Er heißt Jean-Luc, und aus der Nähe kann man erkennen, dass er schon an die fünfzig sein muss. Er begrüßt uns mit Wangenküsschen – fairerweise auch Bodo, woraufhin der ziemlich große Augen macht – und versorgt uns dann sofort mit Champagner. Anschließend führt er uns ein bisschen herum und erklärt uns die Jacht, wobei ich wieder nicht viel verstehe, aber das ist auch gar nicht nötig.

Denn was ich sehe, reicht völlig.

Die White Cloud ist keine Jacht, sondern ein ausgewachsenes Schiff. Sicher dreimal so groß wie die Scene it, mit drei Decks – eines davon mit Whirlpool –, einem Salon, der halb im Freien liegt, und eines, das größer ist als meine gesamte Wohnung, ich schwör’s. Und von den Kajüten will ich jetzt erst gar nicht anfangen, denn davon hat sie mehr, als ich in meinem Zustand überhaupt zu zählen in der Lage bin, und selbstredend sind alle top ausgestattet.

»Träume ich das hier gerade? Und falls ja, kneif mich bloß nicht!«, schreit Sepia mir zwischendurch ins Ohr. Die Musik dröhnt so laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstehen kann.

»Ja, der Wahnsinn!«, schreie ich zurück, und das kann man jetzt schön langsam wörtlich nehmen.

Immer mehr schickes Publikum trudelt ein, und trotz des Durcheinanders scheint alles perfekt organisiert zu sein. Eine ganze Reihe von Serviermädchen schwirrt herum, und sogar einen livrierten Kellner entdecke ich, und die laute Musik und die verschiedenen Drinks, die einem ständig gereicht werden, tun ihr Übriges, dass sich bei mir schön langsam alles zu drehen beginnt.

Mein Gefühl für Zeit und Raum geht nach und nach verloren, und sicherheitshalber halte ich mich an Sonja und Sepia, bis die auf einmal verschwunden sind, ohne dass ich mitbekommen hätte, wohin. Mit zunehmender Schwere in meinen Beinen mache ich mich auf die Suche nach Bodo, laufe stattdessen jedoch Jean-Luc in die Arme. Der zerrt mich lachend auf die Tanzfläche, wo er sich eng an mich schmiegt und mir unverständliche Sachen ins Ohr flüstert. Dann taucht zu meiner Erleichterung plötzlich Bodo auf, dem das ziemlich gegen den Strich zu gehen scheint. Daraufhin tanze ich mit ihm, und zwar wesentlich enger als mit Jean-Luc, was Bodo wiederum sehr zu gefallen scheint, aber als er sich danach auf die Toilette verzieht, wird mir so schwindelig, dass ich in den unteren Salon wanke. Hier ist es wenigstens ein bisschen leiser, und erleichtert lasse ich mich auf eine Couch fallen. Dann scheine ich in einen völlig absurden Traum hinüberzudämmern, denn plötzlich beugt sich dieser haarige Bauch vom Casino über mich und glotzt mich durch seine zentimeterdicke Brille an, und ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube noch mitzubekommen, dass plötzlich eine Hand auf meinen Schenkeln ist, und dann auch auf meinen Brüsten. Und dass ich sie abwehren will, dazu aber nicht mehr in der Lage bin.

Dann falle ich in ein tiefes, schwarzes Loch, und ab da weiß ich überhaupt nichts mehr.