missing image

Was hilft, wenn man trotz allem früh aufstehen muss

 

Wer zu spät zu Bett geht und früh heraus muss, weiß, woher das Wort Morgengrauen kommt.

Robert Lembke

In diesem Kapitel erfahren Sie, was Sie tun können, wenn sich an den Arbeitszeiten nicht rütteln lässt oder Ihre Kinder Sie um den wohlverdienten Schlaf bringen. Sie können an Ihrer inneren Uhr drehen (oder es zumindest einmal probieren). Denn Schlafenszeit und Aufwachzeit werden von bestimmten Zeitgebern getaktet (dazu mehr im Interview mit Till Roenneberg ab Seite 59). Gönnen Sie sich etwa bei einem Spaziergang oder einer Radtour zur Arbeit eine Extraportion Licht und Bewegung. Statten Sie Ihr Schlafzimmerfenster mit blickdichten Rollos und Ihre Wohnung mit bunten Farben aus. Oder legen Sie sich in der Mittagspause, statt mit den Kollegen nach dem Essen noch ein Schwätzchen zu halten, einfach ein paar Minuten aufs Ohr und vermeiden Sie es, abends noch Sonne zu tanken, den Kreislauf beim Sport noch einmal hochzujagen oder sich eine dicke Mahlzeit aufzutischen. Mit diesen Maßnahmen kann es gelingen, die innere Uhr umzustellen und sich damit ein wenig an die brutalen Bedingungen des Frühaufsteherlebens anzupassen.

Dabei gilt es natürlich, den inneren Schweinehund zu überwinden. Denn für Eulen, die ihren Tag-Nacht-Rhythmus um einige Zeit nach vorne verschieben wollen, gilt: Morgens Gas geben, abends runterschalten!

Eine harte Ansage, aber es kann sich für einige lohnen. Auch weil es einem die Chance eröffnet, ohne lebensentscheidende Veränderungen seinen Alltag angenehmer und möglicherweise auch anders zu gestalten. Denn Eulen sind ja offener für neue Ideen und Experimente – so gesehen unter Umständen auch für die Reize des Frühaustehens. Vielleicht sind Eulen sogar die besseren Lerchen, wenn es sein muss …

Schlafen Sie bei jeder Gelegenheit

Zu den noch eher schwächeren Maßnahmen gehört das Powernapping, die trendigere Variante des guten alten Mittagsschlafs. »Wer schläft, sündigt nicht«, sagt ein altes Sprichwort – aber wer traut sich schon, während der Arbeitszeit ein Nickerchen zu halten, ohne die Tür des Büros hinter sich zu verriegeln oder sich heimlich zum Auto zu schleichen, um dort auf der Rückbank ins Reich der Träume abzurutschen. Denn in einer Arbeitskultur, in der permanente körperliche und geistige Präsenz gefordert wird, in der man mit rühriger Aktivität die Chefs beeindruckt, eine Maskerade des Gut-Drauf-Seins die Karriere befördert und in der in endlosen Brainstormings Geistesblitze einschlagen müssen wie bei einem Sommergewitter, gilt ein müder Mensch als träge, trüb und tatenlos.

Initiativen für mehr Mittagsschlaf gehen deshalb immer noch in Spott und Häme unter. Frank Käthler, Sprecher der niedersächsischen Stadtkommune Vechta, berichtet über die Bösartigkeit, mit der die Kommune besonders vom Privatfernsehen angegangen wurde, nachdem sie den Mitarbeitern ermöglicht hatte, zusätzlich zu der 30-minütigen Mittagspause noch für 20 Minuten eine Schlafmatte im Büro auszurollen: »Für die war das ein gefundenes Fressen.«[42] Schlafende Beamte zwischen Akten und Ordnern – es war die Wiederbelebung des deutschen Michels, dem Prototyp des verschnarchten Staatsdieners, der, durch lebenslange Anstellung gesichert, sich einen feuchten Dreck um die Belange der Bürger kümmert. Selbst die Beamten fürchteten um ihr Ansehen. Der Beamtenbund Sachsens verklagte den Stadtdirektor, der dieses Projekt initiiert hatte, sogar auf Rufschädigung.

Dabei verrieten die Zahlen das Gegenteil. In keiner anderen Kommune wird vergleichsweise so viel Arbeit von so wenig Personal erledigt, der Krankenstand liegt deutlich unter dem Durchschnitt, der Zufriedenheitspegel dafür weit darüber.

»Powernapping« heißt der Schlüssel zu mehr Wohlbefinden, aber auch Produktivität. Das Wort leitet sich vom englischen »Power«, das für »Kraft« oder »Energie« steht, und von »nap« für »Nickerchen« ab. Damit wird ein Kurzschlaf bezeichnet, der außerhalb der nächtlichen Hauptschlafphase, meist am Nachmittag, gehalten wird. Alteingeführte Begriffe wie »Mittagsschlaf« oder »Siesta« sind nicht ganz das gleiche, denn ein »Powernap« ist kurz. Er dauert maximal dreißig Minuten, während zum Beispiel eine klassische Siesta in südeuropäischen Ländern die Stunden überbrückt, in denen die Hitze der Mittagssonne Körper, Geist und Sinne lähmt.

In der Kürze liegt die Würze. Das haben mehrere Schlafstudien renommierter Institute belegt. Die Medizinerin Clare Anderson, Professorin der britischen Loughborough-Universität, hat die Wirkung von Mitteln untersucht, mit denen das Leistungsloch, in das die meisten Menschen zwischen 13 und 14 Uhr fallen, gewöhnlich bekämpft wird. Ihr Ergebnis lautet: Gegen das Biorhythmustief mit aller Anstrengung anzukämpfen bringt nichts. Mit Kaffee lässt sich die Ermattung zwar vertreiben, seine sofort einsetzende aufputschende Wirkung verfliegt aber nach zwei Stunden – mit dem Effekt, dass man sich danach noch müder fühlt als zuvor. Ein Kurzschlaf wirkt laut Anderson hingegen bei Testpersonen nachhaltiger als eine Tasse Kaffee: »Wir haben herausgefunden, dass ein Nickerchen wesentlich effektiver ist … Die Verbesserung ihres Zustandes war stark, trat sofort ein und hielt bis zu einem Test an, den wir um 19.45 Uhr angesetzt haben.«[43]

Ein Ergebnis, das auch durch eine Studie der NASA bestätigt wird. Im Auftrag der US-Raumfahrtbehörde untersuchte die medizinische Fakultät der Universität Pennsylvania unter der Leitung von David Dinges die Auswirkungen des Kurzschlafs.[44] Dabei wurden verschiedene Vergleichsgruppen diversen Wissens-, Konzentrations-, Reaktions- und Aufmerksamkeitstests unterzogen. Es zeigte sich, dass diejenigen, denen es erlaubt war, mittags ihre Batterien mit einem Schläfchen aufzuladen, deutlich mehr leisten konnten als die Vergleichsgruppe: Die Reaktionsgeschwindigkeit war um 16 Prozent höher als bei der Vergleichsgruppe, die Fehler, die aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit unterliefen, konnten um 30 Prozent gemindert werden, und die Fähigkeit, in Entscheidungssituationen richtig zu handeln, erhöhte sich sogar um 35 Prozent. Seitdem wird auch bei der NASA mittags geschlafen.

Dass ein kleiner Schlummer am Mittag nicht nur im All, sondern auch auf der Erde hilft, um die Energiereserven aufzufüllen, bezeugt zudem eine Studie des Forscherteams um Alan Hobson, Robert Stickgold und Sara Mednick von der Harvard-Universität. Sie fanden heraus, dass man mit einem Powernap nicht nur das Mittagstief nach dem Mittagessen überwinden, sondern sich auch über Frustrationen, Überforderung und Irritationen durch die tägliche Informationsflut hinwegretten kann, weil der Schlaf die Nerven stärkt. In den meisten Fällen war es sogar so, dass die Testpersonen danach genauso ausgeruht und frisch waren wie zu Beginn des Tages.[45] Eine Erfahrung, die auch der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill bekundete, der jeden Tag im Pyjama einen Mittagsschlaf abhielt: »Zwischen Mittagessen und Abendessen muss man schlafen, denken Sie bloß nicht, dass sie weniger Arbeit schaffen, wenn Sie am Tag schlafen. Das ist eine dumme Idee von Leuten ohne Vorstellungsvermögen. Sie werden sogar mehr bewerkstelligen. Sie bekommen zwei Tage in einem – nun, mindestens eineinhalb, da bin ich mir sicher.«[46]

Dennoch machen sich die Kraft des Mittagsschlafs hierzulande erst wenige Firmen zunutze. Die Angst, als verschlafen zu gelten, ist unter Arbeitnehmern hoch. Das weiß auch Mario Filoxenidis sehr gut. Mit seiner Wiener Firma Siesta-Consulting berät er Firmen, die ihren Angestellten die Möglichkeit bieten wollen, sich mittags aufs Ohr zu hauen. Seine Kunden findet er insbesondere in der sogenannten Kreativbranche, bei kleineren Unternehmen, die in der Werbung, der IT-Branche oder der Kommunikationsbranche tätig sind und international operieren müssen. Aber Namen darf er keine nennen, denn »die Firmen haben Angst um ihren guten Ruf.«[47] Die Angestellten anscheinend ebenso: Beim ADAC gibt es nur zehn Liegen für 2500 Mitarbeiter, im Forschungszentrum des Münchener Autoriesen BMW gibt es für rund 7000 Mitarbeiter sogar nur zwei – und diese werden, so BMW-Pressesprecherin Heike Stegert, »wenig genutzt.«[48] Eine ähnliche Zurückhaltung zeigt sich beim Chemiekonzern BASF. Die Unternehmensleitung lud die Mitarbeiter der Standorte Ludwigshafen und Limburgerhof zu Powernappingkursen ein. Von den rund 345 000 Mitarbeitern nahmen lediglich 300 das Angebot wahr. Die Befürchtung, als Schlafmütze zu gelten, war offenbar höher als der Wunsch, neue Entspannungstechniken zu lernen.

Insgeheim freilich scheint die Bedürfnislage eine andere zu sein. In einer Studie zur Produktivität, die an der Universität Krefeld erarbeitet wurde, gaben vier von fünf Befragten an, ihre Mittagspause am liebsten zu verschlafen. Kaffeetrinken (16 Prozent), einmal um den Block gehen (12 Prozent) und ein Schwätzchen mit den Kollegen halten (11 Prozent) lagen weit dahinter.

Das Thema Mittagsschlaf ist in Deutschland also ein schwieriges – sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber fürchten sich vor Imageverlust. Jürgen Zulley, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Universität Regensburg und Verfechter des kurzen Mittagsschlafs, vermutet, dass dieser in Deutschland als eine Art Arbeitsverweigerung angesehen wird.[49] Wie sehr man um seinen guten Ruf fürchtet, zeigt die verschleiernde Wortwahl, mit der den Mitarbeitern zuweilen doch ein Schläfchen zugestanden wird. Beim IT-Riesen IBM in Stuttgart spricht man von einem »Well-being-Konzept«, beim Softwaregiganten SAP vom »Work-Life-Management«, beim Callcenter der Bausparkasse Schwäbisch Hall und bei Unilever in Hamburg immerhin deutsch von »Ruheräumen«.

Weniger Albträume ob eines verschlafenen Images haben die Unternehmen in den USA. Schon immer Vorreiter für Wellness- und Fitnesstrends und interessiert an allem, was das Bruttosozialprodukt steigert, gehört es in vielen Firmen bereits zum Standard, den Mitarbeitern Ruheräume einzurichten, in denen bequeme Liegen und heruntergelassene Rollos zu einem Nickerchen einladen. An der Wall Street oder am Flughafen in Vancouver steigen gestresste Manager und Mangerinnen sogar in kokonartige Kugelsessel, die nach dem Einstieg individuell geneigt werden können, so dass der Rücken entlastet wird. Die Innenpolsterung ist dunkel, eine Blende schirmt vor neugierigen Blicken ab und plätschernde Musik sorgt für Entspannung. Geweckt wird man durch ein sanftes Vibrieren.

Vorausblickend in Sachen Schlaf und Leistung ist man hierzulande nur in wenigen Unternehmen – allen voran bei der Lufthansa. Schließlich ist nicht nur das Bodenpersonal mit stressigen Schichtdiensten konfrontiert, sondern auch die Bordcrew mit den Auswirkungen des Jetlags. Wenn die großen Maschinen über den Atlantik oder nach Asien fliegen, driften nicht nur die Fluggäste ins Reich der Träume ab, sondern auch die Pilotinnen und Piloten. Damit alles an Bord unter Kontrolle bleibt, wird nach einem ausgeklügelten Wechselsystem geschlafen/geruht. Doch was Gästen im Cockpit Furcht einflößt, sollte in Wahrheit ihre Gemüter besänftigen. Denn das strategische Schläfchen zielt darauf ab, Fehler, die durch Müdigkeit entstehen, zu vermeiden. Ein intelligentes »Fatigue Risk Management« – so die korrekte Bezeichnung – gegen menschliches Versagen.

Soweit die Theorie. Doch was können Sie tun, damit auch Sie vom Schlafintermezzo profitieren? Hier ein paar praxiserprobte Tipps für ein ausgeschlafenes Leben:

     
  • Nur zu. Vergessen Sie Ihr schlechtes Gewissen! Wer mittags schläft, sollte sich nicht mehr verstecken. Wenn schon die US-Weltraumbehörde auf ausgeschlafene Mitarbeiter setzt, müssen Sie sich von ihren Kollegen nicht als Schlafmütze beleidigen lassen. Denken Sie daran: Sie sind Avantgarde und die anderen nur schnöde Ignoranten. Mit Powernapping können B-Typen, wie Eulen in der Fachwelt genannt werden, die ihr Leben in einem permanenten Jetlag verbringen, gezielt den Schlaf nachholen, der ihnen morgens geraubt worden ist. Machen Sie sich frei von inneren Zwängen und lassen Sie Häme an sich abperlen oder kontern Sie mit lässigen Repliken. Denn gerade A-Typen, wie Frühaufsteher in der Forschung bezeichnet werden, arbeiten ab Mittag nur noch auf den Feierabend hin, weil bei ihnen die Leistungskurve rapide abfällt. Zu diesem Zeitpunkt sind Eulen ohnehin bereits im Vorteil – und mit einer Mütze Schlaf gedopte Eulen erst recht.
  •  
  • Wer? Grundsätzlich gilt: Powernapping gibt allen Menschen verbrauchte Energie sofort zurück. Das wussten schon große Geister: Winston Churchill zog sich, wie erwähnt, mittags im Pyjama vom politischen Tagesgeschäft zurück. Johannes Brahms ließ seine Feder und Leonardo da Vinci seine Pinsel ruhen, um ein Mittagsschläfchen einzulegen. Napoleon Bonaparte tankte seinen Akku selbst mitten im Schlachtengetümmel kurz auf seinem Feldbett auf, um anschließend die nächste Attacke zu reiten. Allerdings zeigen Erfahrungswerte, dass ausgerechnet Personen, die besonders unter Druck stehen, nur schwer abschalten können, eben weil der Körper es gewohnt ist, permanent auf Hochtouren zu laufen. Da hilft nur langsames Eingewöhnen und behutsames Training. Sowohl A-Typen (Lerchen) als auch B-Typen (Eulen) profitieren von einem Schläfchen am Mittag: A-Typen machen sich fit für die zweite Tageshälfte, B-Typen holen das Schlafdefizit der Nacht auf. Selbst für Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, kann ein Powernap hilfreich sein, auch wenn das widersprüchlich klingt und in vielen Ratgebern ausdrücklich vor einem Mittagsschlaf gewarnt wird. Schlafforscher haben jedoch beobachtet, dass Personen, die am Tag für ein paar Minuten ins Reich der Träume abdriften, ihre Einschlafprobleme leichter überwinden können, denn sie trainieren mit dem Interimsschlaf das Loslassen und Entspannen. Natürlich kann ein Powernap den langen Nachtschlaf nicht ersetzen. Nur in den langen Tiefschlafphasen können sich Körper, Geist und Seele vollständig regenerieren. Wer also öfter die Nacht zum Tag macht, der sollte darauf achten, dass er bis mittags schläft. Sonst drohen gesundheitliche Schäden.
  •  
  • Wie lang? Ein mittägliches Schlafintermezzo sollte ungefähr eine halbe Stunde, höchstens aber 40 Minuten dauern. Denn wer länger schläft, riskiert nicht nur, dass Kreislauf- und Körperfunktionen völlig runterfahren und nur mit viel Mühe wieder auf Touren gebracht werden können, sondern auch Ärger mit dem Chef, weil man die Arbeitszeit wortwörtlich verpennt. »Im Grunde genügen 15 Minuten zur Regeneration«, meint Jürgen Zulley, denn »womöglich ist der Einschlafprozess das eigentlich Erholsame.«[50] Aber auch einfach mal die Augen schließen und Abschalten hilft, um sich für die Anforderungen des Arbeitsalltags zu stärken. Siesta-Consultant Filoxenidis rät Nickerchen-Neulingen, sich einen Wecker zu stellen oder sich einen altbekannten Fernfahrertrick zunutze zu machen: den Kopf statt aufs Lenkrad einfach auf die Tischplatte legen und dabei die Arme baumeln lassen. Wenn sich das Blut in den Händen staut, wacht man automatisch auf.
  •  
  • Wann? Sowohl bei A-Typen als auch bei B-Typen geht nach dem Mittagessen die Leistungskurve in den Keller. In der Umgangssprache heißt dieses Tief nicht umsonst »Suppen-Koma«. Es bietet sich also an, nach dem Essen auf einen Schwatz am Kantinentisch zu verzichten und stattdessen bei einem Powernap Energie für den Nachmittag zu tanken. Nach einer kurzen Nacht hilft auch ein Neustart durch ein Nickerchen um zehn Uhr – wenn die Kollegen in die Raucherpause verschwinden. Wer für Familie und Freunde frisch sein möchte, legt sich zu Hause für eine Viertelstunde hin. Mittagsschläfer können übrigens die Wirkung von Koffein und Schläfchen geschickt miteinander kombinieren, indem sie vor dem Einschlafen einen Espresso, Cappuccino oder grünen Tee trinken. Da das Koffein erst nach 20 Minuten wirkt, hilft es, die kurze Trägheit nach dem Aufwachen zu überbrücken.
  •  
  • Wo? Powernapping funktioniert im Grunde überall, wo man es sich erlaubt. Manche ziehen sich gerne kurz in eine Toilettenkabine zurück, andere schleichen sich in ihr Auto und lehnen sich dort, wie die erwähnten Fernfahrer, über das Lenkrad. Eine andere Methode ist die, seinen Kopf einfach auf die Tischplatte zu legen. In Japan ist es sogar üblich, ein Kissen unter dem Kopf zu platzieren. Wichtig ist es, für eine ungestörte Umgebung zu sorgen. Das heißt: Telefon, Blackberry oder iPhone ausstellen. Hilfreich sind einlullende Musik oder monotone Geräusche von Wellen, Wind oder Wasser, die man vom Rechner abspielen lassen kann.

Am besten ruhig und dunkel

Grundsätzlich gilt für jeden, der noch schlafen will, wenn der Rest der Menschheit bereits erwacht ist, seine Wohnung sorgsam auszuwählen. Als ungeeignet erweist sich dabei ein Zuhause in der Nähe von stark befahrenen Straßen oder großen Supermärkten, die ab sieben Uhr ihre Warenlieferungen erhalten. Und trotz aller Liebe für den Nachwuchs: Auch Kindergärten können in dieser Hinsicht störend sein. Wie die Nachbarn ticken, kann man bei der Besichtigung einer Wohnung nur teilweise klären. Man sollte sich auf jeden Fall beim Vermieter erkundigen, ob die zukünftigen Nachbarn kläffende Hunde halten oder gar Posaune üben.

Je weniger Wohnungen an die Ihrige angrenzen, desto besser. Die Münchener Moderatorin Tina Kaiser, die durch diverse Nachtformate im Fernsehen führt und berufsbedingt oft erst gegen vier Uhr morgens nach Hause kommt, empfiehlt das Dachgeschoss – kein Wunder, denn da trampelt wenigstens niemand über ihrem Kopf herum.

Der beste und individuell bestimmbare Schutz gegen Lärm sind Ohrstöpsel, ganz gleich ob aus Wachs oder Silikon. Denn ob ein brummender Kühlschrank, nervige Nachbarn, eine gluckernde Heizung oder das Schnarchen des Partners – nichts beeinträchtigt einen gesunden Schlaf mehr als Lärm. Nun erleben sich viele Menschen als hilflos, wenn sie mit Ohrstöpseln schlafen sollen, da sie glauben, bei Gefahr keine Kontrolle über die Situation zu haben – ein Reflex aus der Urzeit, der in der modernen Welt nicht mehr angebracht ist. Denn weder Tiger noch Löwen haben uns in der Stadt auf ihrem Speisezettel, und Mammuts waren ohnehin Vegetarier. Und keine Sorge, die wirklich wichtigen und entsprechend eindringlichen Signale – Telefonanrufe, Alarmsirenen und auch der Wecker – dringen auch durch die Stöpsel ans Ohr.

Aber nicht nur Lärm, auch Licht stört die Nachtruhe. Das Einschlafen wird zur Qual, wenn Reflexionen von Straßenbeleuchtung, Leuchtreklamen, Flutlichtern oder gar Skybeamern, die tanzende Kegel in den Himmel projizieren, durch die Fenster dringen. »Lichtverschmutzung« nennt man die optische Aufhellung der natürlichen nächtlichen Dunkelheit durch elektrische Lichtquellen, ein gesundheitsschädigender Seiteneffekt der Industrialisierung, der nicht nur Auswirkungen auf den Tag-Nacht-Rhythmus der Menschen, sondern auch auf den Hormonhaushalt hat. Im Jahr 2008 konnte ein israelisches Forscherteam etwa eine Wechselwirkung zwischen der Stärke nächtlicher Kunstbeleuchtung und dem Risiko von Brustkrebserkrankungen feststellen.

Statten Sie also Ihr Schlafzimmer mit dicken Vorhängen, blickdichten Rollos oder Außenjalousien aus. Wen die wuchtigen Gardinen zu sehr an Omas muffige Wohnung erinnern, kann sich mit einer Schlafbrille behelfen. Sie garantiert nicht nur blickdichte Träume, sondern verleiht – allerdings nur Frauen! – den zauberhaften Charme einer Audrey Hepburn in Frühstück bei Tiffany.

Tagsüber hingegen benötigt der Langschläfer, der erst weit nach Sonnenaufgang aufsteht, eine lichte Umgebung. Gegen Gemütsverstimmungen, die auf einem Mangel an Sonnenlicht beruhen, hilft eine helle, freundliche Umgebung. Anhänger der Lichttherapie gehen dabei davon aus, dass bestimmte Farben auf die menschliche Psyche einwirken und diese auch verändern können. Christa Muths, die in ihren Büchern die Farben als Schlüssel zur Seele beschreibt, empfiehlt Orange. »Orange ist eine ›soziale‹ Farbe, die Freude, Spaß, Offenheit und Freude an Geselligkeit ausdrückt.«[51] Lilli Eberhard rät wiederum zu gelben Räumen. Die Wissenschaftlerin, die sich 50 Jahre lang in der Farb- und Lichtforschung verdient gemacht hat, erwähnt zudem den Effekt, den getöntes Licht auf die Tierwelt hat. In Untersuchungen, in denen die Brutstätten der Hühner mit gelbem Licht bestrahlt wurden, legten diese mehr Eier.

Nun ist man als Langschläfer ja zum Glück nicht gezwungen, Eier zu legen. Es reicht schon, wenn man morgens aus den Federn kommt und dabei einigermaßen gute Laune behält. Helle Kissen, farbenfrohe Bilder an der Wand oder ein Strauß bunter Blumen können helfen, die Lust aufs tägliche Leben zu steigern. Vor allem, wenn der Frühaufsteherpartner die Blumen zusammen mit den Frühstückscroissants besorgt …

Tanken Sie täglich Licht

Licht an, Licht aus – da der Tag-Nacht-Wechsel eng mit den natürlichen Dunkel- und Hellphasen verbunden ist, hilft nichts besser als Licht, um am Zeiger der inneren Uhr zu drehen. Licht wird von der Wissenschaft nicht zufällig auch als »Zeitgeber« bezeichnet, denn es taktet neben anderen Faktoren die Rhythmen der Natur und hilft, die innere Uhr zu stellen.

Was passiert, wenn gar kein Licht leuchtet, hatten die deutschen Physiologen Jürgen Aschoff und Rütger Wever in dem bereits erwähnten Bunkerexperiment Mitte der 60er Jahre erforscht und dabei festgestellt, dass die meisten Menschen einen inneren 25-Stunden–Rhythmus besitzen. Wie gelingt es dem Menschen also, sich an die 24-Stunden-Phase der Erdrotation anzupassen? Die Antwort lautet: durch das Tageslicht. Die im Bunker vorhandenen Glühbirnen waren mit ihren höchstens 500 Lux zu schummrig, um den Tag-Nacht-Rhythmus zu beeinflussen. Deshalb lief die innere Uhr der Versuchspersonen in ihrem natürlichen 25-Stunden-Rhythmus. Erst ab 2000 Lux synchronisiert sich der menschliche Körper mit dem 24-Stunden-Tag der Erde.

Wer also an der inneren Uhr drehen will, sollte seinem Gehirn und Körper die passenden Signale liefern, um sich dem jeweiligen gewünschten Rhythmus anzupassen. Die Faustregel lautet: Wer die Uhr – wie etwa Eulen – um eine oder gar ein paar Stunden vorstellen möchte, der sollte gleich nach dem Aufstehen Licht tanken, denn dann tickt die innere Uhr schneller. Entweder läuft man zur Arbeit oder schwingt sich auf’s Fahrrad.

Wichtig bei allen sportlichen Aktivitäten ist, dass man sie an der frischen Luft ausübt. Eine Sonderstellung hat dabei das morgendliche Joggen. Man bekommt dadurch nicht nur eine Extraportion Sonne, die einem hilft, in den Tag zu kommen, sondern durchläuft quasi ein allumfassendes Gesundheitsprogramm. Einer Langzeitstudie des britischen Stanford University Medical Centers mit 500 Läufern zufolge mindert regelmäßiges Laufen den Alterungsprozess und das Risiko, an Krebs zu erkranken. Es belebt außerdem die Hirnfunktionen, beugt Knochenschwund vor und hilft, die Figur zu halten. Zudem regt es die Ausschüttung von körpereigenen Endorphinen und Serotonin an, die die Stimmung aufhellen und gute Laune machen.

Abends hingegen sollten Eulen, die vorhaben, ihre innere Uhr zu beschleunigen, körperliche Anstrengung meiden. Denn da schlägt der gewünschte Effekt ins Gegenteil um: Man ist aufgeputscht und kommt nicht ins Bett.

Eine weitere, etwas kostspieligere Methode wäre, das Frühstück unter einer Tageslichtlampe einzunehmen. Diese Methode hilft besonders im Winter, wenn sich der Sonnenaufgang bis in die späten Morgenstunden verschiebt, auch über das saisonale Stimmungstief hinweg, von dem viele heimgesucht werden. Tageslichtlampen imitieren das Lichtspektrum des natürlichen Sonnenlichtes und stammen, wen wundert’s, aus dem von kurzen Wintertagen geplagten Skandinavien.

Abends heißt es für Eulen dann: Rollos runter! Mit der Dunkelheit empfängt der Körper das einschläfernde Nachtsignal. Wer sich als Langschläfer im Sommer abends draußen aufhält, sollte also unbedingt eine Sonnenbrille aufsetzen.

Treiben Sie Ihren Melatonin-Spiegel in die Höhe

Eulen ticken langsamer als Lerchen. Ihr Tag-Nacht-Rhythmus schickt sie später zu Bett und lässt sie auch länger darin liegen bleiben, wenn sie dürfen. Die meisten freilich reißt morgens der Wecker aus dem Schlaf. Das bedeutet, dass sie den ganzen Tag unter Stress stehen. Forscher der Londoner Westminster-Universität wiesen bei Testpersonen, die vor 7.20 Uhr aufstehen mussten, bedeutend höhere Werte des Stresshormons Cortisol nach als bei Langschläfern. Dem entgegenwirken könnten Eulen, indem sie früher zu Bett gingen. Ihre Tragik ist jedoch, dass sie nach der Tagesschau einfach noch nicht müde sind und ihre Lider erst nach Mitternacht schwer werden. Das körperliche Problem ist Folgendes: Langschläfern fehlt zu diesem Zeitpunkt noch das Schlafhormon Melatonin, das die Müdigkeit verstärkt und einen in die Federn treibt. »Mela« kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet »schwarz«, Melatonin bedeutet also soviel wie »Schwarzmacher«. Experten bezeichnen es auch als den chemischen Ausdruck der Dunkelheit. Wenn der Körper das Melatoninsignal erhält, schaltet er auf Nachtbetrieb um: Die Körpertemperatur fährt herunter, das Hirn mäßigt seine Aktivität auf ein Mindestmaß und meldet: Ab in die Falle!

Die Produktion von Melatonin ist eng mit dem Tag-Nacht-Rhythmus und dem Sonnenlicht verknüpft. Fällt Licht ins Auge, wird die Melatoninproduktion eingestellt; bleibt die Sonneneinwirkung aus, wird das Hormon freigegeben und kann seine einschläfernde Wirkung entfalten. Gerät dieser Rhythmus aus dem Takt, kann eine kleine Menge Melatonin in Tablettenform wieder Gleichklang herstellen – Globetrotter etwa können damit ihren Jetlag in den Griff bekommen, auch Schichtarbeiter können ihren durcheinandergebrachten Rhythmus damit wieder ausgleichen. Im Winter, wenn die Menschen in den gemäßigten Breitengraden wegen des Mangels an Sonne an der sogenannten saisonal abhängigen Depression, vulgo Winterdepression, leiden, hilft der natürliche Schlafwirkstoff ebenso. Eine Zusatzdosis bringt sozusagen das Melatonin-Fass endlich zum Überlaufen – und den Menschen damit zum Einschlafen.

Extreme Langschläfer sind in einer ähnlichen Situation; vielleicht wirken sie auch deswegen auf andere träge, abgeschlafft und energielos oder fühlen sich selbst so. Dadurch, dass sie meist erst aufstehen, wenn die Sonne lange aufgegangen ist, haben sie unterm Strich zu wenig lichte Stunden am Tag, zumal, wenn sie einem Bürojob nachgehen, der sie in die ewige Dämmerung zwingt. Denn Kunstlicht macht zwar unabhängig vom natürlichen Tag-und-Nacht-Wechsel, verdammt einen aber zu einer Existenz im biologischen Dunkel. Das heißt, auch beim Langschläfer bleibt der Melatoninpegel dann auf einem hohen Stand. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht ist aus dem Takt. Der Schlafimpuls kann durch eine Zusatzdosis des Hormons ausgelöst werden, das dann die ersehnte Nachtruhe bringt.

In den USA, wo Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich ist, werden dem Stoff zusätzlich verschiedene (Wunder-) Wirkungen zugesprochen: Angeblich regt er das Immunsystem dazu an, sogenannte »freie Radikale« zu bekämpfen und damit Oxidationsschäden in den Zellen entgegenzuwirken; er verlangsamt den Alterungsprozess, verhindert Haarausfall, schützt vor Schlaganfall und beugt sogar Krebs vor. 1995 gingen im sonnendurchfluteten (!) Kalifornien mehr Melatonin- als Aspirin-Packungen über den Tresen.

Die Nebenwirkungen dieses Wundermittels allerdings sind noch weitgehend unerforscht, Langzeitstudien liegen noch nicht vor. In Deutschland ist Melatonin ohnehin verschreibungspflichtig, und auch wenn man sich eine Packung als Souvenir aus den USA mitgebracht hat, ist in jedem Fall der Rat des Apothekers oder Arztes gefragt.

Legale Drogen zur Beruhigung oder Stimmungsmache

Wie Melatonin kann auch Johanniskraut dem Langschläfer, zumindest dem der gemäßigten Sorte, dabei helfen, seinen Tag-Nacht-Rhythmus ein wenig mit den misslichen Vorgaben der Umwelt in Einklang zu bringen. Das Heilkraut gibt es in Drogerien und Supermärkten zur inneren Anwendung als Dragee, Tablette, Kapsel oder Tee sowie zur äußerlichen Anwendung als Öl. Höhere Dosierungen sind apothekenpflichtig, und die Einnahme ist, wie bei Melatonin, am besten mit dem Arzt abzusprechen, denn es könnte zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen.

Johanniskraut in kleinen Dosierungen fördert aber nicht nur den Schlaf weil es entspannt, sondern erleuchtet im Wortsinne den Tag. Denn es erhöht die Sensibilität gegenüber UV-Licht. Das hat besonders im Winter den Vorteil, dass das wenige Sonnenlicht vom Körper intensiver aufgenommen wird und damit dem lähmenden Melatoninüberschuss Einhalt geboten werden kann. Man fühlt sich am Tage wacher und benötigt nur einen kleinen körpereigenen Melatoninkick, um in den dämmernden Nachtmodus umzuschalten. Allerdings muss man etwas Geduld haben: Der stimmungsaufhellende Effekt von Johanniskraut setzt bei regelmäßiger Einnahme erst nach vier Wochen ein.

Da Langschläfer aufgrund ihres verschoben getakteten Schlaf-Wach-Zyklus eigentlich täglich die gleiche Situation vorfinden, die A-Typen nur im Winter zu schaffen macht, können sie ihren Mangel an natürlichem Licht durch Johanniskraut dauerhaft verringern. Das bringt Sonne ins Herz und verscheucht die Müdigkeit – eine Wirkung, die schon seit Jahrhunderten bekannt ist, denn Johanniskraut ist ein Heilmittel mit langer Tradition. Schon in der Antike schätzte man seinen aufhellenden Effekt auf das Gemüt, und in der christlichen Heilkräuterkunde, wie sie die Benediktinermönche und Hildegard von Bingen pflegten, gilt es quasi als heilig. Sein Name rührt von Johannes dem Täufer her; der rote Saft der Pflanze soll an das Blut seiner Enthauptung erinnern. Einer anderen Überlieferung zufolge sollen die Anhänger die Pflanze, die um Jesus’ Kreuz herum wuchs und mit seinem Blut benetzt war, gesammelt und an Gläubige verschenkt haben, um sie über dessen Tod hinweg zu trösten. Daher nennt man das Öl des Johanniskraut auch »Blut Jesu Christi«.

In der Volks- und Naturheilkunde gilt Johanniskraut dementsprechend als Mittel gegen Melancholie, nervöse Verstimmungen, die den Schlaf rauben, Trübsinn und Depressionen. Maria Treben, deren Kräuterheilkundebuch in einschlägigen Kreisen den Status einer Bibel hat, schreibt, die Pflanze könne »bei Nervenleiden, Nervenentzündungen, Neurosen, Schlaflosigkeit und Nervenschwäche erfolgreich angewendet« werden, ebenso bei »unruhigem Schlaf, … Nachtwandeln, … Bettnässen und Depressionen.«[52] Eine Metastudie aus dem Jahre 2008, in der 29 Untersuchungen mit insgesamt mehr als 5000 Patienten zum Zusammenhang zwischen Johanniskraut und Depressionen ausgewertet wurden, gibt der kultigen Kräuterfrau recht. Johanniskraut hellt nachweislich die Seele auf.

Doch die photosensible Wirkung hat auch seine Nachteile. Im Sommer reagieren dünnhäutige Menschen besonders stark auf die künstlich provozierte erhöhte Sonneneinwirkung: Es kann wie bei einem Sonnenstich zu Magen-DarmErkrankungen, Benommenheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und allergischen Hautreaktionen kommen. Wer also seinen Tag-Nacht-Rhythmus mit Johanniskraut in Balance halten will, sollte starke Sonne, aber auch Solarien und Strandurlaube, bei denen man sich stundenlang in der Sonne aalt, meiden. Wer das nicht kann oder will, der sollte die Einnahme von Johanniskraut spätestens zwei Wochen vor Urlaubsbeginn beenden.