MARTINEAU IN SEINEM TOR
Widersprüchlichkeiten sind Luc Martineau, dem Torhüter der Chinooks, nicht fremd. Sein Privatwie auch sein Berufsleben sind so lange seziert und diskutiert und beschrieben worden, bis niemand mehr sicher sein konnte, was der Wahrheit entspricht und was nicht. Martineau selbst behauptet, der Großteil dessen, was über sein Privatleben veröffentlicht wurde, sei reine Erfindung und habe wenig mit den realen Tatsachen zu tun. Ob Tatsache oder Erfindung, er wird jedem, der ihn danach fragt, erklären, dass seine Vergangenheit nur ihn etwas angeht. Zurzeit konzentriert er sich voll und ganz auf das, was zwischen den Pfosten geschieht.
Als ich mich zu diesem Interview mit dem geheimnisvollen Torhüter zusammensetzte, stellte ich fest, dass er abwechselnd offen und verschlossen ist. Entspannt und verbissen. Kontraste, die diesen Conn-Symthe-Gewinner zu einem der besten Torhüter in der NHL machen.
Außer Frage steht, dass er vor zwei Jahren angeblich am Ende war, dass seine Tage in der NHL so gut wie gezählt wären. Oh, wie hatte man sich da getäuscht. Derzeit auf Platz zwei der Rangliste, führt Martineau in puncto Tore um 200 im Vergleich zum Durchschnitt. Flinke Hände und kühle Beherrschung sind die Markenzeichen dieses erstklassigen Torhüters. Er ist gut und sich dessen durchaus bewusst. Wenn er in seinem Tor steht, kann sein durchdringender Blick einschüchtern …
Während Kirk las, umspielte ein widerstrebendes Lächeln seine schmalen Lippen. Etwas wie Hochachtung, wenn auch ungern gezollt, glättete seine Falten ein wenig, und seine Laune veränderte sich schlagartig. Jane wollte angesichts des Umschwungs in Thorntons Einstellung ihr gegenüber nichts empfinden und sich auch nicht freuen. Sie tat es aber. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nicht geahnt, wie sehr sie sich freuen würde. Es strahlte auf wie ein Lämpchen in ihrer Brust und erfüllte sie mit Stolz.
Thornton warf einen Blick auf den Layoutplan. »Dieser Artikel erscheint in der übernächsten Sonntagsausgabe.«
Dann würde sie unterwegs sein. »Als Leitartikel, nicht wahr?«, fragte sie, um ganz sicherzugehen.
»Genau.«
Als Jane das Gebäude verließ, schien die Sonne, der Berg war zu sehen, und das Leben war richtig schön. Auf dem Weg die John Street entlang zu ihrem Honda gestattete sie es sich, einen Augenblick des Triumphs zu genießen. Ob die Jungs vom Sportteil es nun wollten oder nicht, sie mussten sie ernst nehmen. Zumindest konnten sie sie nicht mehr als die Ziege abtun, die die albernen Singlefrau-Episoden schrieb. Associated Press würde ein Interview mit Luc ganz sicher auch aufgreifen, und alle würden es erfahren. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass ihre Arbeit in der Redaktion dadurch einfacher würde. Vielmehr war das Gegenteil wahrscheinlicher, aber es störte sie nicht sonderlich. Sie hatte das Interview bekommen, für das so mancher von den anderen bereit gewesen wäre, einen Mord zu begehen.
Ja, heute war das Leben richtig schön. Was gestern war, war eine andere Geschichte. Gestern hatte sie zu Hause gesessen, das Telefon angestarrt und auf sein Klingeln gewartet wie eine Fünfzehnjährige. Als sie am Sonntagabend die Key Arena verlassen hatte, war sie überzeugt gewesen, dass Luc sie anrufen würde. Nachdem er sie in die Abstellkammer gezerrt und sie dazu gebracht hatte, ihren Entschluss, nie mehr Sex mit ihm zu haben, noch einmal zu überdenken, hatte sie stark damit gerechnet, dass er anrief oder plötzlich vor ihrer Tür stand. Sie hatte gedacht, sie wären sich persönlich näher gekommen, sie hätten über Bedeutungsvolles geredet, über Wichtigeres als ihre Dessous, und sie war sicher gewesen, dass er sich melden würde.
Er hatte sich nicht gemeldet, und als sie auf dem Sofa saß und auf dem Discovery Channel den Vögeln bei der Paarung zusah, war ihr eine Erkenntnis gekommen: Die Tatsache, dass sie sich in Luc verliebt hatte, war das Dümmste, was sie in ihrem ganzen Leben angestellt hatte. Wie dumm es war, hatte sie freilich schon Wochen, bevor es passierte, gewusst, doch sie war machtlos gegen ihre Gefühle gewesen.
Jane fuhr zum Waschsalon und stopfte ihre Wäsche in vier Waschmaschinen. Unter ihrem Hosenanzug trug sie einen Slip, auf den der Wochentag aufgedruckt war. Es war Dienstag, und sie hatte den Sonnabendslip angezogen. Unwichtig, sagte sie sich. Doch es warf ein gewisses Licht auf den Zustand, in dem sie sich zurzeit befand.
Während sie zusah, wie ihre Wäsche sich im Trockner drehte, rief Darby an und bat sie um Rat. Offenbar hatte auch er sich in eine Person verliebt, die für ihn unerreichbar war.
»Glaubst du, dass Caroline mit mir ausgehen würde?«, wollte er wissen.
»Ich weiß es nicht. Wie war es denn neulich, als ihr noch was trinken wart?«, fragte sie, obwohl Caroline gleich am Morgen darauf angerufen und ihr alle grausigen Einzelheiten berichtet hatte. Der Abend hatte sich recht gut angelassen, war dann aber irgendwann gekippt.
»Ich glaube nicht, dass ich Eindruck auf sie gemacht habe.«
»Du hast ihr von deiner Mitgliedschaft bei Mensa erzählt.«
»Und?«
»Davon habe ich dir doch dringend abgeraten. Wir durchschnittlich intelligenten Menschen hören nicht so gern von deinem Superhirn.«
»Warum nicht?«
Sie verdrehte die Augen. »Hörst du es gern, wenn Brad Pitt mit seinem guten Aussehen prahlt?«
»Das ist nicht das Gleiche.«
»O doch.«
»Nein. Brad hat es nicht nötig, mit seinem Aussehen zu prahlen. Jeder sieht es doch.«
Hm. Was Brad Pitt betraf, hatte er Recht. »Okay. Und wie steht’s mit einem Pornostar? Willst du hören, wie ein Pornostar mit seiner Riesenausstattung prahlt?«
»Nein.«
Sie wechselte den Hörer zum anderen Ohr. »Sieh mal, wenn du Frauen beeindrucken willst, ganz besonders Caroline, dann erzähl ihnen nicht, wie klug du bist. Lass es unbemerkt einfließen.«
»Zurückhaltung ist nicht meine Stärke.«
Da hatte er Recht. »Caroline ist zum Beispiel sehr beeindruckt, wenn ein Mann weiß, welchen Wein er zu welchem Menü bestellen muss.«
»Ist das nicht irgendwie schwul?«
Das Hemd mit den Flammen und Totenschädeln etwa nicht? »Nein. Führ sie richtig schick aus.«
»Und du meinst, dann klappt’s?«
»Schlag ihr ein echt vornehmes Lokal vor. Caroline donnert sich gern auf. Schon immer.« Sie überlegte kurz und fragte: »Bist du Mitglied im Columbia Tower Club?«
»Ja.«
Hatte sie es sich doch gedacht. »Lad sie in den Club ein. Dann hat sie einen Anlass, ihre neuesten Jimmy Choos zu tragen. Und wenn sie anfängt, über Schuhe und Mode zu reden, tu so, als wärst du brennend interessiert.«
»Ich stehe auf Designermode«, sagte er.
Jane lächelte. »Viel Glück.« Sie legte auf, dann rief sie Caroline bei Nordy an und teilte ihr mit, dass Darby anrufen würde. Verwundert nahm sie zur Kenntnis, dass ihre Freundin kaum etwas gegen ein Date mit Darby einzuwenden hatte.
»Ich dachte, er hätte dich mit seinem Mensa-Gerede auf die Palme gebracht«, erinnerte Jane ihre Freundin.
»Das schon, aber irgendwie ist er auch süß, so in der Art von Die Rache der Intelligenzbestien«, erklärte Caroline, und Jane hielt es für das Beste, sich aus dieser Sache herauszuhalten. Schließlich hatte sie, wie sie sich immer wieder erinnerte, genug eigene Probleme.
Am Abend, vor Beginn des Spiels der Chinooks gegen die Lightnings, beachtete Luc sie kaum, als sie ihn einen Dodo nannte. Er zog sie nicht auf und erinnerte sie auch nicht an die zusammen verbrachte Nacht. Im Tor war er nahezu perfekt, fing die Pucks mit seinen flinken Händen und seinem harten Körper ab. Das Spiel endete unentschieden, und hinterher fing er Jane nicht ab, um sie in eine Abstellkammer zu zerren und sie besinnungslos zu küssen.
Das tat er auch zwei Abende später nicht, als er gegen die Oilers sein sechstes Nullspiel der Saison verzeichnen konnte. Am folgenden Morgen, auf dem Flug nach Detroit, grüßte er sie kaum, als er an ihrem Platz vorbeiging, und es war nicht zu übersehen, dass er ihr so weit wie möglich aus dem Weg ging. Sie wusste nicht, was sie ihm Böses getan haben könnte, und ging ihre Unterhaltung im Abstellraum im Geiste immer und immer wieder durch. Der einzige Grund für seine offenkundige Nichtbeachtung schien der zu sein, dass er bemerkt hatte, was sie für ihn empfand. Und deshalb ergriff er die Flucht. Sie hatte nur für ihn roten Lippenstift aufgetragen und sich eine rote Bluse gekauft. Sie war geradezu rührend dumm. Er hatte gesagt, er hätte sich vorgestellt, sie inmitten von Dessertschälchen zu lieben, und sie hatte ihm geglaubt. Sie war dümmer, als die Polizei erlaubte.
Jetzt vermied er möglichst jeden Kontakt mit ihr, und es war erschreckend, wie sehr es schmerzte. Sie hatten miteinander geschlafen, und sie war der Meinung, sie hätten beide Spaß gehabt. Sie hatte keine Forderungen gestellt, und wenn überhaupt, dann hatte er, indem er sie in die Abstellkammer zerrte, sie glauben gemacht, er wolle mehr als einen One-Night-Stand.
Er hatte gesagt, er würde sie nicht mit den Groupies über einen Kamm scheren, und jetzt behandelte er sie, als wäre sie ein Luder der schlimmsten Sorte. Ein Groupie, um das er einen großen Bogen machen musste. Das tat nicht nur weh, es machte sie auch wütend. Mehr als wütend sogar, es weckte in ihr den Wunsch, ihm den Hals umzudrehen. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, den Job zu schmeißen, um nicht mehr seinem Desinteresse ausgeliefert zu sein. Doch das hatte sich rasch wieder gelegt. Sie hatte sich ermahnt, dass sie wegen eines Mannes niemals aufgeben würde. Auch nicht wegen eines Mannes, den sie mit der ganzen Kraft ihres wehen Herzens liebte. Auch nicht dann, wenn sie sich elend fühlte, sobald sie diesen Mann sah.
Später am Tag, in ihrem Zimmer, versuchte sie, einen ersten Entwurf für ihre neue Singlefrau-Episode zu Papier zu bringen, doch statt zu schreiben, blickte sie meistens nur aus dem Fenster über den Michigansee hinweg. Ihre Beziehung mit Luc wäre früher oder später sowieso zu Ende gewesen, versuchte sie sich zu trösten. Je früher, desto besser. So musste sie sich wenigstens wegen der Honey-Pie-Episode nicht schuldig fühlen. Pech, dass sie ihr Gewissen nicht überzeugen konnte.
Als das Telefon ein paar Stunden später immer noch nicht geklingelt hatte, versuchte Jane, sich einzureden, Luc wäre zu sehr im Team eingespannt, um sie anrufen zu können. So sehr, dass er nicht eine seiner Barbie-Puppen treffen könnte. Sie wollte ihn sich nicht mit einer anderen Frau vorstellen, konnte es aber doch nicht verhindern. Und der Gedanke, dass er eine seiner Frauen küsste und liebkoste, trieb sie an den Rand des Wahnsinns.
Abends um sechs Uhr traf sie Darby in einem der Hotelrestaurants. Beim Essen trank sie zwei Martinis und hörte seinen Ergüssen über Caroline zu.
Nach dem Essen gingen sie in die Sportlerbar des Hotels. Fünf Chinooks saßen an einem Tisch, aßen und tranken und schauten zu, wie Denver die Kings in Grund und Boden rammte. Luc war bei ihnen. Bei seinem Anblick wollte sich ihr Magen umdrehen vor bösen Vorahnungen und gleichzeitiger Erleichterung. Er hatte keine Barbie-Puppe bei sich.
»Hey, Sharky«, riefen die Spieler ihr zu. Alle außer Luc.
Seine zusammengezogenen Brauen und die kühle Musterung seiner blauen Augen verrieten ihr, dass er sich keineswegs freute, sie zu sehen. Ihr krankes Herz musste eine weitere Verletzung hinnehmen.
Sie setzte sich zwischen Daniel und Fish und gab sich Mühe, möglichst keinen Blickkontakt mit Luc aufzunehmen. Sie hatte Angst, dass jeder am Tisch erkennen würde, wie verliebt sie war. Und dass Luc es ebenfalls erkennen würde, sich noch mehr zurückzog, was im Grunde kaum möglich war.
Sie brachte es allerdings nicht fertig, ihn gänzlich zu ignorieren, und über den Tisch hinweg zog er ihren Blick immer mal wieder wie magisch an. Er saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl, die Hände an den Seiten, entspannt, locker. Abgesehen von seinem durchdringenden Blick, der den Eindruck erweckte, als wolle er um jeden Preis bis in den tiefsten Winkel ihres Bewusstseins schauen. Er griff nach seinem Glas und trank einen Schluck Wasser. Er sog einen Eiswürfel in den Mund, und ein Wassertröpfchen blieb an seiner Oberlippe hängen. Er zerbiss das Eis, und sie wandte sich ab.
»Ich habe deine letzte Singlefrau-Episode gelesen«, bemerkte Fish. »Ich finde, du hast wirklich Recht, dass nette Jungs immer zu kurz kommen. Ich bin ein netter Junge, und ich muss mein Haus auf Mercer meiner Exfrau abtreten.«
»Aber nur, weil sie dich mit einer anderen Frau erwischt hat«, erinnerte Sutter ihn. »So was kann die Alte echt vergrätzen. «
»Ja, was du nicht sagst«, brummte Fish und sah Jane an. »Worüber schreibst du im Moment?«
Ihr war noch nicht viel eingefallen. Jedenfalls nichts, worüber sie hätte reden mögen, trotzdem öffnete sie den Mund, und ungewollt platzte es aus ihr heraus. »Ob ein One-Night-Stand jemals eine gute Sache sein kann.« Im selben Augenblick wünschte sie sich, die Worte zurücknehmen zu können.
»Finde ich schon«, sagte Peluso vom anderen Ende des Tisches her.
»Ja.«
»Ich würde sagen, auf jeden Fall.«
»Es sei denn, man ist verheiratet«, fügte Fish hinzu. »Du planst doch nicht etwa einen One-Night-Stand, oder?«
Sie zuckte mit den Schultern und zwang sich zu einem kühlen, ausdruckslosen Tonfall. Distanziert. Wie ein Mann. »Ich spiele mit dem Gedanken. Einer von den Presseleuten aus Detroit ist echt scharf. Das letzte Mal, als wir hier waren, habe ich mit ihm gesprochen.«
Auf der anderen Seite des Tisches stand Luc auf, und Jane sah ihm nach, als er zur Bar ging. Ihr Blick wanderte an seinem blauweiß gestreiften Oberhemd herab bis zum Hosenboden seiner Levi’s.
»Falls du mal Hilfe mit deiner Kolumne brauchen solltest, könnten wir dir erklären, wie Männer denken«, fügte Peluso hinzu. »Wie es wirklich ist.«
Im Grunde wollte Jane gar nicht wissen, wie es wirklich ist. Es war viel zu beängstigend. »Vielleicht komme ich mal darauf zurück, wenn ich genauer weiß, in welche Richtung ich diese Kolumne fortführen will.«
»Toll.«
Jane hob den Blick, als Luc mit zwei Garnituren Darts zurückkam. »Du schuldest mir noch eine Revanche. Ich will meine fünfzig Dollar zurückgewinnen«, sagte er. »Es gelten die gleichen Regeln wie beim letzten Mal.«
»Lieber nicht.«
»O doch.« Er packte sie am Arm und zog sie vom Stuhl hoch. »Such dir die spitzesten Pfeile aus«, sagte er, ergriff ihren Arm und klatschte ihr die Darts in die Hand. Dicht an ihrem Ohr fügte er im Flüsterton hinzu: »Zwing mich nicht, dich zur Grenzlinie zu tragen.«
Er hatte die Brauen zusammengezogen, sein Blick war grimmig, als hätte er einen Grund, sauer zu sein. Schön. Es würde ihr gut tun, ihn abzuziehen. Da sie ihm körperlich nicht gewachsen war, würde sie ihn beim Dartsspiel fertig machen.
»Denk an die Regeln«, sagte er und prüfte die Spitzen. »Weinen wie ein Mädchen, wenn du verlierst, gilt nicht.«
»Du kannst mich nicht schlagen, nicht mal, wenn du in Topform bist.« Sie warf ihre Haare zurück wie ein Mädchen und reichte ihm die drei spitzesten Dartspfeile. »Das ist kein Sport für Zimperliesen, wie du sie gewöhnt bist, Martineau. Deine Kameraden können dir nicht helfen, und beim Dartsspiel kannst du dich auch nicht hinter Schutzpolstern und Helm verstecken.«
»Das ging unter die Gürtellinie, Sharky«, mahnte Sutter.
Sie vergaß, den Mund zu schließen. »Das ist ganz gewöhnliche Blödelei.«
»Das war wirklich fies«, fügte Fish hinzu.
»Beim letzten Mal habt ihr gesagt, ich wäre lesbisch«, erinnerte sie die Spieler. Alle zuckten mit den Schultern. »Hockeyspieler«, schnaubte sie und durchquerte den Raum, begleitet von Luc, bis zur Dartsscheibe. Ihre Schulter streifte seinen Arm, und sie spürte die Berührung am ganzen Körper. Sie rückte ein wenig von ihm ab.
»Wieso bist du mit ihm hier?«, fragte Luc, als sie an der Grenzlinie stehen blieben.
»Mit wem?«
»Mit Darby.«
»Wir haben zusammen gegessen.«
»Schläfst du mit ihm?«
Wäre sie nicht so wütend gewesen, hätte sie laut gelacht. »Das geht dich nichts an.«
»Was ist mit dem Reporter aus Detroit?«
Der existierte gar nicht, aber das würde sie ihm nicht verraten. »Was soll mit ihm sein?«
»Schläfst du mit dem?«
»Ich dachte, es wäre dir gleichgültig, mit wem oder wie oder in welcher Stellung ich es mit wem auch immer treibe.«
Er starrte sie an und stieß dann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Wirf endlich die verdammten Darts.«
Sie sah ihn an. Sah sein kantiges Kinn, die Augen, die blaue Blitze schossen, als hätte sich jemand erdreistet, einen Puck in sein Netz zu schießen. Er war eindeutig sauer. Auf sie. Er war verrückt. »Geh aus dem Weg«, sagte sie und machte sich zum ersten Wurf bereit. »Ich mach dich fertig.« Mit dem nächsten Wurf verdoppelte sie, nach dem dritten verzeichnete sie achtzig Punkte.
Luc erzielte vierzig Punkte und klatschte ihr die Darts in die Hand. »Die Beleuchtung hier drinnen ist erbärmlich.«
»Nein.« Sie lächelte und verkündete mit großem innerem Vergnügen: »Du bist erbärmlich.«
Er kniff die Augen zusammen.
Der Zorn und die Kränkungen vieler Wochen brachen sich Bahn, und sie sagte lauter, als sie beabsichtigt hatte: »Schlimmer noch – du bist eine Heulsuse.«
Ein kollektives Luftschnappen erregte ihre Aufmerksamkeit; sie drehten sich beide um und sahen die Jungs an, die aus ein paar Schritt Entfernung dem Kampf zusahen.
»Lucky zieht Sharky das Fell über die Ohren«, orakelte Sutter.
In schweigender Übereinkunft nahmen beide ihre Plätze in ihrer jeweiligen Ecke ein. Jane heimste fünfundsechzig Punkte ein, Luc vierunddreißig.
»Apropos: Warum nennen sie dich Lucky?«, fragte sie und streckte die Hand nach den Darts aus.
Er brachte sie außerhalb ihrer Reichweite, und ein träges, eindeutig geiles Grinsen trat auf seine Lippen. Ein Grinsen, das ihr verriet, dass er daran dachte, wie sie vor ihm auf den Knien lag und seine Tätowierung küsste. »Wenn du gründlich nachdenkst, wird dir die Antwort auf diese Frage bestimmt einfallen.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Manche Dinge sind einfach nicht erinnerungswürdig.« Sie streckte die Hand aus, und er legte ihr die Dartspfeile hinein.
Statt sich zu seinen Kameraden zu gesellen, blieb er neben ihr stehen und sagte: »Ich könnte es dir ins Gedächtnis rufen. «
»Nein danke.« Sie warf eine Triple-Acht und zielte auf die Triple-Zwanzig. »Einmal hat mir gereicht.«
»Wenn das stimmt«, sagte er, »warum haben wir’s dann dreimal getan?«
»Was ist mit dir?« Sie sah ihn über die Schulter hinweg an. »Verlangt dein Ego heute Abend so dringend nach Streicheleinheiten? «
»Ja. Unter anderem.«
Er hatte beschlossen, wieder mit ihr zu reden, und sie sollte ihm deswegen dankbar sein. Wahrscheinlich dachte er, sie würde auf die Knie fallen und noch einmal seine Tätowierung küssen. Keine Chance. »Kein Interesse. Such dir eine andere.«
»Ich will keine andere.« Seine Worte waren wie eine warme Liebkosung, als er hinzufügte: »Ich will dich, Jane.«
Ihr Zorn verflog, und was blieb, war das Gefühl tiefer Kränkung. Es rumorte in ihren Eingeweiden und drückte ihr das Herz ab. Bevor sie Gefahr lief, wie ein kleines Mädchen in Tränen auszubrechen, drückte sie ihm die Darts in die Hand. »Pech«, sagte sie, machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Bar. Sie schaffte es bis zu ihrem Zimmer im einundzwanzigsten Stock, bevor die Tränen ihr den Blick vernebelten. Sie würde nicht wegen Luc Martineau weinen, rief sie sich zur Ordnung und tupfte sich die Augen mit einem Papiertaschentuch ab.
Zehn Minuten nachdem sie ihr Hotelzimmer betreten hatte, hämmerte er an ihre Tür. Aus Angst, dass der Aufruhr die Sicherheitskräfte auf den Plan rufen könnte, öffnete sie.
»Was willst du, Luc?« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wich nicht von der Stelle.
Er trat trotzdem ins Zimmer und zwang sie, ein paar Schritte zurückzuweichen. »Dich«, sagte er und schlug die Tür hinter sich zu.
»Kein Interesse.« Er rückte ihr so nahe, dass ihre Unterarme seinen Brustkorb berührten. Absichtlich verletzte er ihre Grenzen, und sie durchquerte das Zimmer, um Abstand zu gewinnen, um sein Parfüm nicht riechen zu müssen. »Du hast gesagt, du würdest kein Groupie in mir sehen, aber du gibst mir das Gefühl, eines zu sein.«
»Das tut mir Leid.« Er zog die Brauen zusammen und senkte den Blick auf den Boden zwischen seinen Füßen. »Ich wollte nicht, dass du dich wie ein Groupie fühlst.«
»Zu spät. Du kannst nicht einfach mit mir ins Bett gehen und mich dann links liegen lassen, als wäre ich ein Nichts.«
»Ich habe nie gedacht, du wärst ein Nichts.« Er sah sie wieder an, und der Blick seiner blauen Augen war offen und ehrlich, als er sagte: »Ich habe über dich nachgedacht, Jane.«
»Wann? Als du mit anderen Frauen zusammen warst?«
»Ich war mit keiner Frau außer dir zusammen.«
Sie war erleichtert, aber immer noch stinksauer. »Hast du vielleicht über mich nachgedacht, als du dir solche Mühe gegeben hast, mich zu ignorieren?«
»Ja.«
»Und mir aus dem Weg zu gehen?«
»Ja. Immer dann, und auch zu jedem anderen Zeitpunkt.«
»Genau.«
»Ich denke an dich, Jane.« Er kam auf sie zu, bis nur noch wenige Zentimeter sie voneinander trennten. »Sehr oft.«
Sie hatte ihm geglaubt, als er ihr vor wenigen Wochen das Gleiche gesagt hatte. Aber dieses Mal glaubte sie ihm nicht. »Das habe ich schon einmal von dir gehört, und es ist nicht wahr«, sagte sie, doch ein verräterischer Teil ihres Herzens wollte ihm nur zu gern glauben. Sie trat einen Schritt zurück und stieß mit den Waden gegen die Bettkante.
»O doch, es ist wahr. Ob ich wache oder schlafe, du gehst mir einfach nicht aus dem Sinn.« Er packte sie bei den Schultern und drückte sie aufs Bett hinab. »Du bist eine Komplikation, die ich nicht gebrauchen kann.« Er folgte ihr, stützte die Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes auf und schob sein Knie zwischen ihre Schenkel. »Aber du bist auch eine Komplikation, die ich haben will. Und die ich bekommen werde.«
Sie stemmte ihre Hände gegen seine Brust, um ihn abzuwehren. Durch die Baumwolle seines Hemdes verströmte er Hitze wie ein glühender Ofen, und ihre Handflächen wurden warm. »Ich glaube, du weißt nicht, was du willst.«
»Doch. Ich weiß es. Ich will dich, und mit dir zusammen zu sein ist so viel schöner, als ohne dich zu sein. Ich will mich nicht mehr wehren.« Er gab ihr einen Kuss zwischen die Brauen. »Ich will mich nicht mehr gegen meine Gefühle wehren. Es ist ein aussichtsloser Kampf, und am Ende bin ich doch nur sauer.«
Seine Worte zerstreuten ihre Wut ein wenig, doch die Angst lastete immer noch schwer auf ihrem Herzen. »Was sind denn das für Gefühle?«, fragte sie, obwohl sie nicht unbedingt sicher war, dass sie es wissen wollte.
Mit den Lippen streichelte er ihre Stirn. »Es ist, als hättest du mir mit dem Hockeyschläger einen Hieb zwischen die Augen versetzt.«
Er sagte nicht, dass er sich in sie verliebt hätte, aber ein Hieb mit dem Hockeyschläger auf den Kopf war auch nicht schlecht. Statt ihn von sich zu stoßen, strich sie mit den Händen über seine Brust. »Ist das etwas Gutes?«
»Es fühlt sich nicht gut an. Du hast das totale Chaos in mein Leben gebracht.«
Schön, denn in ihrem eigenen Gefühlsleben herrschte ebenfalls Chaos. Sie gab sich Mühe, an ihrem Gekränktsein festzuhalten, während sie gleichzeitig das Hemd aus seiner Jeans zog. Sie sah ihm in die Augen, dann wanderte ihr Blick zu seinem Mund.
»Woher hast du die Narbe an deinem Kinn?«, fragte sie.
»Bin mit dem Fahrrad gestürzt, als ich ungefähr zehn war.«
»Und die Narbe auf deiner Wange?« Sie schob die Hände unter sein Hemd und berührte seine harten Muskeln und seine straffe Haut.
»Kneipenschlägerei, als ich dreiundzwanzig war.« Er sog tief den Atem ein. »Noch mehr Fragen, oder darf ich dich jetzt ausziehen?«
»Hat das Tätowieren wehgetan?«
»Das weiß ich nicht mehr.« Er senkte seinen Mund auf ihren. »Damals war ich ziemlich hinüber.« Alle weiteren Fragen verhinderte er mit einem Kuss, der unerträglich langsam immer intensiver wurde. Der Kuss war süß und sanft, doch Jane war nicht in der Stimmung für süße, sanfte Küsse. Sie wälzte Luc auf den Rücken und stieg auf ihn, als wäre er ein Berg, den sie schon einmal besiegt hatte und jetzt voller freudiger Erwartung erneut erforschen wollte. Sein Kuss wurde heißer, und sie knöpfte sein Hemd auf. Die Handgelenke über dem Kopf gekreuzt, beobachtete er Jane unter gesenkten Lidern hervor, während sie ihn mit Mund und Händen liebkoste. Als sie ihn in die Schulter biss, schob er ihr das Haar aus dem Gesicht und küsste sie abermals. Er rollte sie auf den Rücken und zog sie unter zahllosen kleinen Küssen aus. Wo immer seine Hand sie berührte, folgte ein Kuss: auf der Schulter, am Hals, auf der Brust. Nackt lagen sie in enger Umarmung, und als Jane es nicht mehr aushielt, streifte sie ein Kondom über seine heiße Erektion und setzte sich rittlings über ihn. Während sie sich niederließ, stieß er aufwärts tief in sie hinein.
»Jane«, keuchte er, »halte einen Moment still.«
Sie presste ihre inneren Muskeln um ihn zusammen, und tief aus seiner Brust kam ein grollendes Stöhnen. Er schloss die Augen, und als er sie wieder aufschlug, blitzte ihr unverfälschte Lust entgegen, heiß und berauschend. Er legte eine Hand in ihren Nacken, die andere an ihre Hüfte. Dann zog er ihren Kopf zu sich herab und hielt sie fest, während er unendlich sanft ihre Lippen küsste. Seine Zunge berührte ihre nur federleicht, und er schuf einen leisen Sog, als lutschte er den Saft aus einem Pfirsich. Als ob sie ihm sehr süß und sehr gut schmeckte. Er fuhr mit der Hand an ihrem Rücken und an ihrer Wirbelsäule hinauf, wieder zurück zu ihrer Hüfte, streichelte sie, schürte die innerliche und äußerliche Glut. Sie löste gewaltsam ihren Mund von seinem, als er das Tempo beschleunigte. Mit seinen blauen Augen, in denen Leidenschaft brannte, sah er sie an. Er flüsterte ihren Namen wie eine zärtliche Liebkosung. Die hitzige Spannung in ihr verschärfte sich und ballte sich zusammen, bis sie sich in heißen, unkontrollierbaren Wellen auflöste.
Ihr Orgasmus hielt ihn fest, und er grub die Finger in ihre Hüften, während er immer und immer wieder in sie hineinstieß, immer härter, bis er die gleiche Ekstase erreichte, die er ihr beschert hatte.
Jane sank über Luc in sich zusammen, und er hielt sie fest, schwer atmend. Er presste sie an seine schweißnasse Brust, als wollte er sie nie wieder loslassen.
»Mein Gott«, sagte er direkt an ihrem Ohr. »Das war noch besser als das letzte Mal. Und das war schon so fantastisch, dass es kaum zu ertragen war!«
Sie war ganz seiner Meinung, aber zu atemlos, um etwas sagen zu können. Da war eben etwas passiert. Etwas war anders gewesen. Noch besser irgendwie. Es ging über körperliche Lust hinaus. Es war etwas, das sie nicht genau benennen konnte.
»Jane.«
»Hmm?«
»Nichts.« Sie spürte, wie er ihr Haar küsste. »Ich wollte nur sichergehen, dass du noch bei Bewusstsein bist.«
Sie lächelte und barg ihr Gesicht an seinem Hals. Das, was anders war, bestand in der Art, wie er sie hielt, wie er sie berührte. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass es Liebe sein könnte. Aber da war was. Und das würde sie festhalten und mitnehmen, denn was immer es auch sein mochte, es war bedeutend besser als überhaupt nichts.