Bauchlandung

Auch in diesem Jahr kamen die Schausteller Mitte Mai zur Kirmes, aber diesmal durften sie nicht auf die Piazza, denn die wurde für die lokale Politik benötigt. Es brodelte in der ganzen Gegend, und das Programm der Agitatoren umfaßte eine lange Reihe wichtiger Versammlungen.

Die Schausteller mußten sich also mit der Wiese begnügen, auf der sonst der Viehmarkt abgehalten wurde. Ein wenig günstiger Ort, abgelegen, neben der Straße, die nach Molinetto führt.

Zum Ausgleich dafür hatten sie zwei absolute Neuheiten mitgebracht: eine riesige Skooterbahn und das Flugkarussell.

Das Flugkarussell war eine große Maschine aus Stahlrohren, die wie ein Schirmgestell angeordnet waren. Am Ende jeder Stange war ein Flugzeug angebracht, und wenn sich das Karussell drehte, konnte jeder sein Flugzeug mit Hilfe eines Hebels nach Belieben auf- und niedersteigen lassen.

Die Wiese, auf der die Schausteller ihre Buden aufgeschlagen hatten, lag hinter dem Pfarrhaus, etwa drei- bis vierhundert Meter entfernt, und jeden Abend, wenn Don Camillo in seinem Schlafzimmer im ersten Stock ans Fenster ging, um die Läden zu schließen, konnte er das Flugkarussell in Aktion sehen. Und er blieb ganze halbe Stunden stehen, um das Schauspiel zu bewundern.

Es ist ja wirklich nichts Ehrenrühriges oder Sündhaftes dabei, in ein Karussell zu steigen. Trotzdem darf sich ein Pfarrer ein solch legitimes Vergnügen nicht gönnen: Die Leute sehen es, und da sie zwar Augen, aber kein Hirn im Kopf haben, lachen sie, wenn sie entdecken, daß sich ein Pfarrer beim Karussellfahren amüsiert.

Don Camillo wußte das alles, und er bedauerte es sehr.

Natürlich machten die Riesenskooterbahn und das Flugkarussell am meisten Geschäfte. Das ging so weit, daß sie jeden Abend noch lang weiterfuhren, wenn die anderen Schausteller ihren Laden aus Mangel an Kundschaft bereits dichtgemacht hatten. Und selbst wenn die Skooterbahn ihre Lichter löschte, drehte sich das Flugkarussell immer noch eine ganze Weile.

Don Camillo war ein aufmerksamer Beobachter, und diese Tatsache entging ihm nicht. Und so ging er eines Tages hinunter, als er sah, daß die Skooterbahn zumachte, überquerte mit ruhigem und gleichgültigem Schritt das Luzernefeld, das sich hinter dem Pfarrhaus ausdehnte, und erreichte die Hecke entlang der Straße nach Molinetto. Hinter ihr bezog er Posten.

Auf der anderen Straßenseite lag der Platz mit dem Jahrmarkt. Die Schaubuden hatten ihre Lichter gelöscht und schliefen bereits in der Dunkelheit, während sich der Schirm des Flugkarussells immer noch im Mittelpunkt einer kleinen Lichtinsel drehte.

Don Camillos Plan war ganz einfach: Sobald die letzte Gruppe von Flugbegeisterten gelandet und heimgegangen wäre, würde er hinter der Hecke hervortreten, zum Karussellbesitzer gehen und ihn bitten, ihn eine Runde drehen zu lassen.

Don Camillo mußte nicht lange warten: Das Karussell hielt, die allerletzte Gruppe sprang aus den Flugzeugen, schwang sich auf die Motorroller und verlor sich lärmend in der Nacht.

Nun sprang Don Camillo über den Graben und schritt entschlossen auf sein Ziel zu.

Der Karussellbesitzer war in seine Bude gegangen und zählte die Einnahmen. Als er plötzlich eine große schwarze Masse vor sich sah, fuhr er erschrocken zusammen.

«Haben Sie noch nie einen Pfarrer gesehen?» fragte ihn Don Camillo.

«Doch, Hochwürden, aber nie nach Mitternacht. Kann ich etwas für Sie tun?»

Don Camillo zeigte aufs Pfarrhaus: «Ich schlafe da drüben, und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mir Ihre verdammte Musik auf die Nerven geht.»

«Das tut mir leid, Hochwürden», erwiderte der Karussellbesitzer. «Auf der anderen Seite wird jedes Karussell sterbenslangweilig, wenn es ohne Musik fährt. Ich versuche sowieso schon, am späteren Abend die Lautstärke zu drosseln, aber von einer gewissen Zeit an wird auch die leiseste Musik zum Lärm.»

«In Ordnung», erwiderte Don Camillo. «Doch wenn Sie mir jeden Abend soviel Ärger machen, dann sollten Sie sich verpflichtet fühlen, mir auch einmal einen Gefallen zu erweisen.»

«Gern, Hochwürden. Ich stehe zu Ihrer Verfügung.»

«Gut, dann lassen Sie mich doch mal eine Runde in Ihrem Karussell drehen. Schnell, beeilen Sie sich!»

Der Karussellbesitzer machte ein ehrlich betrübtes Gesicht: «Hochwürden, Sie müssen leider noch ein paar Minuten Geduld haben. Gleich kommt eine Gruppe, die ein paar Runden vorbestellt hat. Da ist sie schon!»

Don Camillo machte kehrt, um die Flucht zu ergreifen, aber da war es schon zu spät. Die Gruppe stand bereits hinter ihm, an ihrer Spitze Peppone.

«Oh, unser über alles geliebter Herr Pfarrer!» rief Peppone.

«Erklärt Ihr vielleicht dem Karussellbesitzer, daß auch das Fahren mit dem Flugkarussell eine Todsünde ist?»

«Ich habe ihm lediglich erklärt, daß die Musik seines Karussells anständige Menschen am Schlafen hindert.»

«Dann ist es ja nicht so schlimm», sagte Peppone grinsend.

«Ich dachte schon, die Musik ließe auch Euch nicht schlafen.»

Smilzo, Bigio, Brusco, Lungo und Fulmine, die ganze Horde also, hatten Don Camillo gar nicht beachtet, sondern jeder flegelte sich bereits vergnügt in seinem Flugzeug.

«Und Sie, Herr Bürgermeister, was machen Sie Schönes hier?» erkundigte sich Don Camillo. «Lassen Sie Ihre süßen Kleinen karussellfahren?»

«Chef, beeil dich!» rief der Smilzo.

«Gehen Sie, gehen Sie, Herr Bürgermeister», mahnte ihn lächelnd Don Camillo. «Die Kinder rufen Sie. Wie hübsch es doch sein muß, einen so dicken Bürgermeister in einem so kleinen Flugzeug fliegen zu sehen!»

Peppone sah ihn erbittert an: «Jedenfalls lang nicht so hübsch wie einen so dicken Pfarrer!»

«Die Sache ist nur, daß ich zwar den Bürgermeister fliegen sehen werde, Sie aber nicht den Pfarrer.»

«Dann viel Vergnügen, Hochwürden!» brüllte Peppone und ging zum Karussell. «Und morgen schreiben Sie dann einen schönen Hetzartikel für Ihre Wandzeitung.»

Peppone zwängte sich ebenfalls in ein kleines Flugzeug, und der Karussellbesitzer trat zu dem Schalthebel, der sich in der Kassenbude befand.

«Viel Vergnügen, Hochwürden!» wiederholte Peppone. «Erzählen Sie Ihren Marienkindern, daß die kommunistische Verwaltung in nächtlichen Ausschweifungen die Gelder der Steuerzahler verpraßt!»

Das Karussell setzte sich in Bewegung, und aus dem Lautsprecher ertönte in gemäßigter Lautstärke eine fröhliche Marschmusik. «Volles Rohr!» brüllte Peppone, als er an der Kassenbude vorbeiflog, «damit der Herr Pfarrer sein Schlaflied bekommt!»

«Halt den Mund, du Halunke!» schrie jemand in seinem Rücken. Peppone wandte sich um und sah, daß im Flugzeug hinter ihm Don Camillo saß.

Inzwischen drehte sich das Karussell auf vollen Touren, und ein paar Minuten lang machte die Sache allen richtig Spaß.

Dann empfand Don Camillo, vor allem aufgrund der kühlen und feuchten Abendluft, ein leichtes Unbehagen.

«Sag dem Mann, er soll einen Moment langsamer machen», schrie Don Camillo Peppone zu.

Peppone drückte auf seinen Hebel, und sein Flugzeug senkte sich. Als es an der Kassenbude vorbeiflog, wollte er etwas rufen, aber es gelang ihm nicht.

«Und? Was ist?» brüllte Don Camillo.

Peppone drehte sich um und rief irgend etwas Unverständliches, wobei er auf die Bude deutete.

Daraufhin reduzierte auch Don Camillo seine Flughöhe, und als er an der Kassenbude vorbeiflog, sah er, was kurz vor ihm Peppone gesehen hatte: drei junge Männer, jeder das Gesicht bis zu den Augen mit einem Tuch verhüllt und mit einer Pistole in der Hand.

Der Karussellbesitzer stand mit dem Gesicht zur Wand und hatte die Hände hochgehoben, und die drei Burschen drückten ihm ihre Pistolenläufe in den Rücken. Ein vierter Maskierter wühlte in der Kassenschublade und stopfte die Geldscheine in eine Tasche.

Das Flugkarussell drehte sich dabei immer weiter auf vollen Touren, mit Musikbegleitung.

Die Beute aus der Kassenschublade hatte die Ganoven nicht überzeugt, und zwei von ihnen begleiteten den Karussellbesitzer in seinen Wohnwagen, um den Rest der Einnahmen aufzustöbern. Kurz darauf kamen sie wieder zurück und ließen ihre Wut an dem armen Kerl aus.

«Das hat doch keinen Zweck!» protestierte der Mann. «Alles übrige Geld hab’ ich auf die Bank gebracht. Schaut im Geldbeutel nach, dann findet ihr die Quittung!»

Sie fanden die Quittung und zerrissen sie wutentbrannt. Inzwischen drehte sich das Karussell immer weiter. «Anhalten, ihr verdammten Kerle!» brüllte Smilzo, als er an den Banditen vorbeiflog.

Einer der Maskierten drehte sich um und fuchtelte drohend mit der Pistole. Daraufhin zogen alle Männer der Flugstaffel verzweifelt an ihrem Hebel, und die Karussellarme hoben sich.

Jetzt sah das Flugkarussell aus wie ein Schirm, den der Wind umgestülpt hat.

Die vier Burschen waren wütend über die geringe Beute, aber ihr Anführer zeigte sich als Mann von Ideen: «Rupfen wir die sieben Amseln da oben», sagte er.

Er schaute hinauf und schrie: «Alles Geld raus, das ihr in der Tasche habt, sonst lassen wir euch fliegen, bis euch das Hirn bei den Ohren rauskommt!»

«Geh zum Teufel!» rief Peppone als Antwort zurück.

Der Bandenchef erteilte seinem Stellvertreter einen Befehl, der trat in die Bude und packte den Hebel:

Das Karussell erhöhte seine Geschwindigkeit.

Die Flugstaffel fing an zu brüllen, aber der Vizebandenchef drehte den Lautsprecher voll auf, und die Musik übertönte die Schreie. Nach einem halben Dutzend Runden gab der Chef ein Zeichen, und der Vizechef brachte die Geschwindigkeit wieder auf den vorigen Stand zurück, ja sogar noch etwas darunter.

«Jeder knüpft sein Geld ins Taschentuch, und wenn er an der Bude vorbeifliegt, wirft er das Bündel hinein. Dreißig Sekunden Zeit!»

Als die halbe Minute vorbei war, gab der Chef den Befehl: «Der Schwarze da fängt an - los, Abwurf!»

Don Camillo warf als erster sein Bündel in die Bude. Die anderen folgten ihm. Der Anführer sammelte die Säckchen ein, knüpfte sie auf und überschlug die Summe.

«Zu wenig!» schrie er. «Werft die Geldbeutel mit dem Rest herunter, oder ich bring euch wieder auf Touren! Fünf Sekunden Zeit... Der Schwarze da fängt wieder an! Abwurf!»

Sieben Geldbeutel flogen dem Bandenchef vor die Füße; sie wurden ausgeleert und in eine Ecke der Bude geworfen.

Der Anführer wandte sich an den Karussellbesitzer: «Du hältst das Karussell erst an, wenn wir fünfzehn Minuten weg sind. Versuch ja nicht, uns reinzulegen: Wir kennen dich, und es könnte passieren, daß wir dir eines Nachts den Wohnwagen mit Benzin vollgießen und dich grillen!» Die vier rannten zu dem Auto, das an der Straße stand, und fuhren blitzschnell davon.

«Anhalten, verdammt nochmal!» brüllte die Flugstaffel dem Karussellbesitzer zu. Aber der Unglücksmensch war völlig verängstigt und stoppte die Maschine erst, als die fünfzehn Minuten vorbei waren. Das Karussell stand, und der Schirm schloß sich langsam.

Die sieben der Flugstaffel blieben zwanzig Minuten unbeweglich in ihren Flugzeugen hocken, bis sie genügend Kraft gesammelt hatten, um überhaupt aufstehen zu können. Schließlich fanden sich alle sieben zusammen mit dem Karussellbesitzer in der Kassenbude. Sie sammelten ihre leeren Geldbeutel wieder ein.

Keiner hatte bis zu diesem Augenblick etwas gesagt.

Als erster redete Peppone.

Er packte den Karussellbesitzer vorn an der Jacke: «Wenn du auch nur ein Wort von dem erzählst, was heut nacht hier passiert ist, dann schlag ich dir nicht nur den Schädel ein, sondern laß dich auch nicht mehr arbeiten, weder hier noch in irgendeiner anderen Gemeinde, in der wir das Sagen haben.»

«Und ich in keiner, in der wir das Sagen haben», setzte Don Camillo hinzu. Alle sieben nahmen den Weg über die Felder und trennten sich hinter dem Pfarrhaus.

«Alles in allem, Herr Bürgermeister, hatten wir doch einen schönen Abend», sagte Don Camillo.

Peppone antwortete ihm mit einem gebrüllten Fluch, der weithin durch die samtene Nacht hallte.