Spritziges Verspritztes

Männer, die eine Sünde wert wären, gibt es überall. In einer Warteschlange am Geldautomaten, auf Hockern in Coffeeshops, in Buchläden mit Krimis in der Hand. Rudelweise fahren sie mit der Subway. Man erhascht flüchtige Blicke. Einen Oberschenkel oder ein Lächeln. Laserblickkontakt. Wenn Lust eine Krankheit wäre, dann müßte New York eine Leprakolonie sein. Die zirka hundertmal, die ich zu diesen Süßen »Hallo, wie geht’s?« sagen wollte, hatte ich immer gezögert. Drei Gründe: Angst vor Zurückweisung, Angst vor beidseitiger Unzulänglichkeit und schlicht und einfach Angst davor, daß das Scheusal ein axtschwingender Mörder sein könnte oder, durch einen grausamen Zufall, jemand, dem ich Geld schulde. Die Leute sagen, New York ist ein schlechter Ort, um Männer kennenzulernen. Ich müßte da widersprechen. Ich sehe dauernd Leute, die sich verlieben. Wahre Liebe existiert wirklich, aber ich glaube nicht, daß es sie für mich gibt. (Maestro, den Klang Tausender kleiner Violinen, bitte.)

Man stelle sich vor, ich, umgeben von Männern, die mich erwartungsvoll und neugierig anglotzen und sich wundern, ob ich all das bin, was ich zu sein scheine. Die meisten sind jung und kraftvoll und tragen schwarze Schuhe. Wenn ich mich nur mehr wie ein bikinibekleideter Cheer Leader fühlen würde, die sich in Kürze in den Umkleideraum des Gewinners begibt, und weniger wie eine Verbrecherin. Ich steh’ sowieso nicht auf Männer in Uniform. Und vor allem nicht auf Bullen.

Unter dem Haufen, der an diesem Dienstagnachmittag im Outhouse eingefallen war, befanden sich meine alten Rivalen Detective Dick O’Flanehey und Tom »Bucky« Squirrely, die beiden Co-Leiter der Mordkommission des New York City Police Department. Meine Abneigung gegenüber den staatlichen Schnüfflern wurde durchaus erwidert: Sie lehnen mich ab, weil ich ein neunmalkluger (weiblicher) Detektiv bin, die schon so manchen Beitrag dazu geleistet hat, die beiden bloßzustellen. Ich bin jedesmal empört, wenn sie es als ihre Pflicht betrachten, im Namen einer Pseudo-Gerechtigkeit meine Arbeit bzw. die anderer Privatdetektive zu hintertreiben. Man muß ihnen aber zugute halten, daß sie einen Mörder genauso ungern wie ich auf freiem Fuß herumlaufen sehen.

Dick hatte wie üblich ein Teilchen unter seinen Raubritterschnurrbart geklemmt. Als er mich sah, sagte er: »Schätzchen! Mal mit einer netteren Sorte Leute unterwegs. Endlich mal ein paar neue Freunde. Das freut mich aber.«

Bucky, so nach seinem Mutantenüberbiß benannt, sagte: »Gib’s ihr ordentlich, Dick.«

Ich freute mich außerordentlich, die beiden zu sehen.

Bevor sie angekommen waren, war das Kasino wie durch Zauberei in eine Bar verwandelt worden. Die Würfelspiel- und Rouletteaufbauten waren mit Pingpongtischplatten belegt worden, und weinrote Tücher bedeckten den Blackjack-Filz. Nachdem die Vorhänge aufgezogen worden waren, wusch das graue Licht, das durch die Fenster einfiel, den blutrünstigen Farbton des Raumes weg. Es war eine willkommene Abwechslung. Strom sagte mir, daß das Outhouse im Hinblick auf solche schnellen Umänderungen entworfen worden war, um sich vor überraschenden Razzien zu schützen.

Detective Dick spulte seine Show ab. Er schickte die Uniformierten los, um die Drecksarbeit zu machen. Sie fotografierten den Tatort, malten Kreidezeichen, versiegelten irgendwas. Strom, Crip, Lars und ich saßen an einem der Pokertische und warteten auf den Ausbruch des Sturms. Ich versuchte, meine Rolle hier einzuschätzen. Ich gehörte hier zu keinem. Loyalitäten gab’s nur mir selbst gegenüber. Strom und Crip waren offensichtlich beunruhigt, daß die Bullen mich mit Namen kannten. War nun mal nicht zu ändern. Nach einigen Minuten entschloß ich mich, es mit Strom zu halten, obwohl mein gesunder Menschenverstand mich davor warnte. Was auch immer der gesunde Menschenverstand ablehnt, ist auf jeden Fall interessant.

Der Schwarm blauer Uniformen schwirrte im Büro um Flush herum. Ich mache mir genauso viel draus wie jeder andere Unbeteiligte auch, wenn ich zufällig einer Leiche begegne. Es ist etwas, an das man sich nie gewöhnt, nicht nur wegen des Geruchs. Meine detektivische Neugier wollte wissen, wer sie war und wer sie umgebracht hatte. Ich fragte mich, ob Strom für eine Ermittlung in Sachen Mord mehr zahlen würde. Ich fragte mich außerdem, ob ich mich aus der Sache heraushalten sollte, solange das noch irgend möglich war.

Die Bullen glotzten mich an, als ob sie mich verabscheuten. Ich rief mir in Erinnerung, daß ich nichts Falsches getan hatte. Endlich kamen die Männer in Weiß. Sie entfernten Flush, was immerhin die Spannung aufhob, die so gewichtig wie der Leichensack gewesen war. Ich lockerte meine Schultern und ließ meinen Hals auf beiden Seiten knacken.

Die Uniformen marschierten eine nach der anderen hinaus. Dick, nunmehr alleine mit Bucky und uns, stellte sich in Position. Mit einigem Selbstbewußtsein sagte er: »Ich bin ganz hin und weg, daß Sie die Notrufzentrale angerufen haben, Mr. Bismark. Schaffen Sie nicht sonst Ihre Leichen immer nach Fresh Kills?« Fresh Kills ist eine Mülldeponie auf Staten Island, die größte und verseuchteste an der ganzen Ostküste — eine eher dubiose Besonderheit. »Du kriegst ’ne Fleißmarke dafür, daß du mal das Richtige gemacht hast, selbst wenn du Regenwurmscheiße bist. Ich müßte dich erschießen und dann mich, wenn du jemals meine Tochter anrührtest. Wobei wir heute noch mal davongekommen sind, scheint mir«, sagte er fröhlich. »Ich habe keine Tochter.«

Bucky fügte dem höflich hinzu: »Er redet mit den Kerlen, Wanda.«

»Das habe ich auch schon mitbekommen«, sagte ich.

»Ich könnte’s ja versuchen und dich’n bißchen aufziehen, bis ich Blut speie, aber ich weiß, daß du keine Angst vor mir hast. Schwanzlutscher, Schwanzlutscher. Das könnte ich vertonen und ein Tänzchen dabei machen, und Ihr Herrschaften würdet nicht mal mit der Wimper zucken.« Dick zwirbelte seinen Schnurrbart. Er stellte sich hinter Strom. Der saß mit gekreuzten Armen und gespreizten Beinen da, mit derselben Bin-auf-alles-vorbereitet-Lässigkeit, die ich vorhin schon in Do It Right bemerkt hatte. Dick legte seine Hände auf Stroms Schultern und massierte ihn. Stroms Körper spannte sich an. »Wie geht’s Ihnen, Herr Bismark? Fühlen Sie sich wohl?«

Strom sagte: »Es ist mir schon mal besser gegangen.«

»Mir geht’s auch nicht so gut.«

»Siehst auch nicht besonders gut aus.«

»Ich war gerade dabei, mein Frühstücksteilchen zu Ende zu essen, als ich einen Anruf kriegte, es gäbe einen toten Teenager zu checken. Im Outhouse, man höre und staune. Das ist mir wohl auf die Verdauung geschlagen.«

»Um die Ecke ist ein Drugstore«, sagte Strom.

Bucky sagte: »Das war aber komisch, du harter Typ.« Er lehnte sich gegen einen der Tische. Er nahm einen Zahnstocher, den er in seiner Tasche gefunden hatte, heraus und pulte damit in seinen fast horizontalen Schneidezähnen herum. Dick und Bucky lassen meistens die Guter-Bulle-schlechter-Bulle-Nummer ablaufen. Zumindest machen sie das immer mit mir. Diesmal, und ich denke mal, das wußten sie auch, kamen sie damit nicht durch. Für Verbrecher sind Bullen einfach wie Mücken im Gelee, die darauf warten, totgeschlagen zu werden.

Dick sagte: »Ich stell’ mir die Situation vor: Der Killer weiß, daß ihr montags und dienstags geschlossen habt. Aber das weiß natürlich jeder — sogar ein echter, aufrechter Polizist mit Kennmarke wie ich. Der Killer brachte seine junge Beute an einem freien Tag hierher, wenn keiner hier rumlungert. Hat sich geärgert oder hat sich gerächt, was auch immer. Hat ihr auf dem Schädel herumgekloppt mit Gott weiß was für ’nem Ding. Hat sie umgebracht. Nach dieser Theorie ist er ein Insider mit Zugang zum Outhouse. Das könnte irgendeiner von euch sein.

Ein Einbruchs-Szenario, das euch allen sicherlich mehr Zusagen würde, könnte ungefähr so aussehen. Sie war unglücklicherweise in der Nähe oder hier drin, als ein Einbrecher hier zugange war, und sie bezahlte dafür mit ihrem Hirn. Der Typ ist schnell mit einem Rammbock dabei, oder was immer er benutzt hat, um das Kid da zu zerdetschen. Aber warum gerade sie? Und warum diese Nachricht in Blut? Wer will, daß du ihm den Schwanz lutschst, Strom, dein Freund?«

Strom, Augen geradeaus, reagierte ein paar Takte lang nicht, »Alles, was ich weiß, ist, daß ich von einem Ausflug zurückkam und sie gefunden habe. Ich habe den Notruf angerufen, um das Verbrechen zu melden.« Er war noch nicht einmal herausfordernd, nur eisglatt.

»Wie jeder vorbildliche Bürger das eben tut.« Dick ging um den Tisch herum. »Und was ist mit dem Rest von euch? Dieselbe Story, jede Wette.«

Crip sagte: »Jenau wie Strom. Wie er’s gesagt hat.«

Ich sagte: »Werden wir jetzt festgenommen oder nicht?«

»Bist du verspätet für deinen monatlichen Hennatermin, oder was?« Das war Bucky.

Lars, fürchterlich in seinem Schweigen, kratzte sich Schmierfett aus seinen Fingernägeln.

Dick seufzte und sagte: »Scheint, als ob sie ihre Story hingekriegt haben. Sie müssen auf uns vorbereitet gewesen sein.«

»Müssen sie wohl.«

»Vielleicht sollten wir unsere Strategie ändern.«

»Die alte Röhren-schmieren-Nummer?«

»Die Röhren schmieren, was heißt das?« fragte Crip. »Das klingt eher nicht bekömmlich.«

»Sollten Sie vorhaben, irgendeine Form von ungesetzlicher Nötigung anzuwenden, muß ich Sie dem Staatsanwalt melden.« Das war ich. Ich versuche, wann immer es irgend geht, offiziell zu klingen. Das beeindruckt die Kunden.

Dick sagte: »Schnauze, Schätzchen.«

Er ging hinter die Bar aus Kastanienholz. Er zog mit dem Finger über die Flaschen. Er sagte: »Das ist ja eine wunderschöne Bar, Strom. Du mußt ja einigen Spaß in diesem >Gesellschaftsraum< haben. Was soll’s, laßt uns mal ’n bißchen locker werden. Wir haben ja alle einen Schock hinter uns.« Er kam zurück und stellte vorsichtig eine Vier-Liter-Flasche Agaventequila in die Mitte unseres Tisches.

»In einigen Religionen ist der Tod Anlaß für eine Feier. Eine Feier des Lebens.« Er knallte jedem von uns ein Schnapsglas hin. »Also, als Tribut an diesen armen doofen toten Teenager, laßt uns das mal anständig machen und uns eine Fete gönnen.«

»Das kann doch nicht legal sein«, sagte Strom.

»Ihr trinkt nach jeder falschen Antwort«, gab Bucky Anweisungen. »Wir schauen zu.« Strom blinzelte. Ich machte mir eine geistige Notiz: Zu keinem Zeitpunkt war ich bisher überzeugter von Stroms Unschuld gewesen. Er war erschöpft, wie wir alle, von dem Horror von Flushs »lebensechter« Nachahmung einer Imbißbudenpizza. Es bestand kein Zweifel, daß Strom am meisten unter diesem Tod zu leiden haben würde (außer Flush natürlich) — das Outhouse würde geschlossen werden (und er wäre dann um sehr benötigte Piepen ärmer), er würde polizeilich überwacht und stündlich zur Befragung abgeholt werden, und man würde annehmen, daß er zu seinem Image als Ganove zurückgekehrt sei. Die selbstlose Tat, die Polizei zu rufen und sich damit willentlich in einen Überwachungssumpf zu stürzen — wo es doch einfacher gewesen wäre, Flush nach Fresh Kills, so scheußlich das war, zu karren war beruhigend. Vielleicht hatte sich Strom Bismark ja wirklich verändert.

Dick sagte: »Als erstes möchte ich, daß ihr alle eure Namen und den Grund eurer Anwesenheit hier angebt. Im Uhrzeigersinn. Wanda, du fängst an.«

»Wanda Mallory, Freundin Stroms.«

»Strom Bismark, Pächter.«

»Crip Beluga, Freund und Kollege von Strom.«

Lars sagte gar nichts. Er goß sich einen Schnaps ein und kippte ihn weg.

Dick und Bucky sahen sich an und zuckten mit den Schultern. Strom sagte: »Lars ist taubstumm. Ich werde für ihn die Antworten übernehmen müssen. Er ist mein Leibwächter.«

Das war ein Fehlstart. Die wußten, daß Lars reden konnte. Also tranken wir eine Runde. Die Methode war schlau, auch wenn sie an Studentenverbindungen erinnerte und eher barbarisch war. Die lockerste Zunge ist in Tequila eingelegt, und Dick und Bucky rechneten wahrscheinlich damit, daß daraus was werden würde. In kürzester Zeit hatten wir den größten Teil der Flasche erledigt, indem wir Fragen falsch beantworteten, die da lauteten: »Wie viele Elektronen befinden sich in einem Kohlenstoff-Ion?«, »Was ist der durchschnittliche Niederschlag in Bangladesch?«, »Was ist die Schwangerschaftsperiode von Känguruhs?« (eine Trickfrage, da Känguruhs Beuteltiere sind) und »Welche Farbe hatte das Kleid von Cher, als sie letztes Jahr zu den Academy Awards ging?« (Das wußte ich nun — eine fuchsienfarbene Kreation von Bob Mackie. Besoffen kreischte ich die Antwort heraus, sehr zum Erstaunen meiner Mitbefragten. Für diese überschwengliche Zurschaustellung mußte ich gleich zwei Runden übernehmen.) Nachdem wir alle hinlänglich breit waren, kamen Dick und Bucky wirklich zur Sache.

Dick sagte: »Wer war sie?«

»Ein Niemand. Sie arbeitete hier.« Das war Strom.

»Niemande werden nicht wie eine Wassermelone aufgebrochen.«

»Alles, was ich weiß, ist, daß ich von einem langen Ausflug hierher zurückkam und sie auf dem Boden gefunden habe.« Strom schwankte in seinem Stuhl.

Dick sagte: »Das erwähntest du bereits. Was weißt du über sie?«

»Nichts.«

»Diese Nachricht an dich. Der Killer muß gedacht haben, daß ihr Tod dich bestürzen würde. Wollte 'ne alte Rechnung begleichen.«

»Meine Feinde sind schon tot.«

Bucky, der auch mal mitmachen wollte, wandte sich an Crip, der ganz offensichtlich wankte. Er sagte: »Du warst doch ihr Vorgesetzter. Wer war sie? Wie hieß sie?«

Crip lallte: »Sie konnte Pferdeäppel nicht von Blackjack unterscheiden, als sie hier ankam. Aber sie konnte sie wahrhaftig gut einfangen, die Jungs. Süßes kleines Ding, hast du's bemerkt? Langes schwarzes Haar. Ist doch o.k., ihren Namen zu sagen, Strom? Sie lief unter Flush Royale.«

Bucky fragte: »Irgendwas an Familie, von der man weiß?«

Crip nuschelte: »Ich muß ma’ auf’n Topf.«

»Beantworte mir die Frage.«

»Sie war eine Waise«, bot Strom an.

»Wie praktisch. Hatte sie irgendwelche Feinde? Hatte sie irgendwelchen Ärger?«

Crip sagte: »Sie war ein anständiges Mädchen. Hat nie irgendwas angefangen mit einem Typen. Hat immer erzählt, wie gut sie aussieht, wie gut sie sich fühlt. Ein glückliches kleines Ding, Gott hab’ sie selig. Sagte immer guten dies und guten das. Guten Abend, Herr Beluga. Gute Nacht, Herr Beluga.« Er wischte sich eine Träne von der Wange. Ich konnte nicht feststellen, ob sie Flush, dem Tod, der guten Show oder ihm selbst galt. »Sie war so jung, und so süß. So, wie sagt man doch gleich, so rein und GUT.«

»Also, du behauptest, sie war gut?« fragte ich.

Crip schwenkte seinen Kopf zu mir. Er sagte: »Wer zum verdammten Teufel bis’ du eigentlich?« Er schlenkerte ihn zu Strom: »Wer zum Teufel ist sie?«

Strom legte seine Hand auf meine Wange. Es brannte köstlich. Als ich meinen Kopf dagegenlehnte, nahm er sie weg. Er sagte: »Hab’ ich dir schon gesagt. Sie ist meine Freundin.«

Riesiges Pah von Crip. »Auf ein Mädel wie die würdest du nie stehen. Die trägt noch nicht mal Make-up. Die ist so normal.« Ich hatte befürchtet, er würde »pummelig« sagen. »Seit wann hast du eigentlich jemals ’ne feste Freundin gehabt, hä?«

Strom rümpfte die Nase und spuckte auf den Boden.

»Und schon dieser Name — Wanda. Hab’ ich schon mal gehört. Ich hab jemanden über sie reden hören. Was für eine Frau hat Bullenfreunde? Ich sage dir, die ist irgendeine Art Petze. Irgendeine Art Drachen, ’ne Petze, die nur Ärger macht. Hat rote Haare wie der Teufel, und es ist mir egal, ob es ihr zwischen den Beinen dampft. Schaff sie weg. Die wird das ganze Ding zum Platzen bringen.«

Strom sagte: »Du beleidigst da meine Freundin, Crip.«

Bucky fragte: »Welches ganze Ding zum Platzen bringen?«

»Frag doch die Petze da drüben«, sagte Crip. »Ich muß mal auf n Topf.«

Dick fragte: »Was machst du eigentlich wirklich hier, Schätzchen?«

Ich zirpte: »Ich bin Stroms Puppe. Kannst du nicht die kinetischen Liebesvibrationen sehen, die wie Blitze zwischen uns hin und her gehen?«

»Zwischen euch beiden ist nix als Luft«, konstatierte Crip.

Dick zwirbelte seinen Schnurrbart. Strom hielt sich zurück, Crip zu erwürgen. Crip packte die Tischkante, um sich aufrecht zu halten. Lars bediente sich mit noch einem Schnaps und kippte ihn wie Wasser herunter. Bucky fing wieder an.

»Wie lange hat Flush hier gearbeitet?«

»Weiß ich nicht«, sagte Strom.

»Crip, du hast sie eingestellt.«

Crip zählte es in Zeitlupe an seinen Fingern ab, wobei er die meiste Zeit danebenhaute. »Drei Monate und zwei Wochen. Drei Monate und zwei Wochen reinsten Glückes und Schönheit.«

»Klär mich doch auf, wenn ich mich irre, aber ich krieg das Gefühl, du hattest was mit ihr.« Das war Dick.

»Bei mir kommen die Frauen die Feuerleiter hochgeklettert, um ein Stück von diesem Texanischen Kuchen abzukriegen.« Er griff sich an die Eier und schüttelte seinen Sack, stöhnte dann aber auf, nachdem ihn die Aktion an seine volle Blase erinnert hatte. Er gab klein bei und nahm es zurück: »Sie wollte sowieso nix von mir wissen.«

»Wie konnte sie dir nur widerstehen?« witzelte Bucky.

Crip nuschelte: »Also, da gab es einen Typen, den sie mochte. Den hat sie angelächelt und hat sich so über ihn gelehnt, hat so ihre süßen runden Titten — Pardon, Madame.« Die galt mir. »Sie saß auf seinem Schoß und zappelte da so rum, und wenn er zu aufgeregt wurde, dann schob er sie runter, und sie kicherte wie’n kleines Mädchen, weil sie ihn geneckt hatte.«

»Kennst du ihn?«

»Alles, was ich weiß, ist, daß mein Blut langsam gelb wird.«

Dick sagte: »Du bemerkst aber auch ’ne Menge, nicht wahr, Crip?«

»Klar doch. Meine Mama da unten in Dallas hat immer gesagt, daß ich ein Auge habe für solche Sachen.«

»Ich hab’ zwei«, sagte ich. Niemand lachte.

»Die ist aber komisch, dafür, daß sie ’ne Petzenhexe ist.«

»Sag uns, was du noch gesehen hast«, gab Dick das Stichwort an Crip.

»Manchmal hing sie noch nach Schluß hier rum. Ich glaube, die nippte ganz gerne mal ein Schnäpschen. Und sie schrieb ihrem komischen Freund da dauernd Zettel.«

Strom gab Crip unter dem Tisch einen Tritt.

Crip brüllte: »Was denn? Ich sag’ doch gar nix. Du hast meinem verdammten Bein weh getan.«

Dick seufzte und faßte zusammen: »Niemand weiß was über sie, niemand macht sich was aus der armen toten Flush. Ist das eine treffende Einschätzung der Situation?«

Crip sagte, indem er sein verletztes Schienbein rieb: »Och, verflixt. Ich hab’ mir schon was aus ihr gemacht. Sie hatte so ’ne wilde Art, aber das war nur, weil sie nicht wußte, wann sie ihre Klappe halten soll. Aber ich hab’ mir was aus ihr gemacht.«

»Dann hilf uns, ihren Mörder zu finden.«

Aus Versehen mit Absicht schmiß Lars die Tequilaflasche um. Sie fiel vor seinen Füßen zu Boden. Als Reflexreaktion sprang er aus seinem Stuhl auf (was bei Lars eher ein Hochwanken war) und knallte mit seinem Ellenbogen auf Crips Nase. Crip schrie auf: »Au, meine Nase.« Er griff sich ins Gesicht und heulte wie ein verhungerter Hund auf dem Schrottplatz.

»Ich hab’ einen eignen Verstand, Strom«, blubberte der Großstadtcowboy. »Vergiß das nicht, auch wenn du es eilig hast.«

Ich beobachtete Crip in dem Moment nicht. Ich habe festgestellt, daß die wirklich wesentliche Information in der Reaktion zu finden ist, und nicht in der Aktion. Also hielt ich meine Guckis auf Strom gerichtet. Zum ersten Mal während der Vernehmung hatte er seine glatte Gelassenheit verloren. Seine Kinnmuskeln dehnten und spannten sich, und er rieb seine Dolchtätowierung so fest, als ob er sie zum Verschwinden bringen wollte. Ich war mir nicht sicher, was passiert war oder warum Strom sich dermaßen aufregte — meine Tequilaschutzbrille verrutscht immer. Aber indem ich Stroms Gesichtsausdruck begutachtete, konnte ich viel feststellen. Ob Crip überhaupt einen Verstand hatte, würde sich noch erweisen. Ob er allerdings noch eine Chance bekommen würde, das unter Beweis zu stellen, war nicht sicher.

Die staatlichen Schnüffler ließen uns bald danach die Treppe runterstolpern. Sie mußten wohl gefunden haben, was auch immer sie gesucht hatten. Es war kälter geworden als vorhin. Ich fror sogar mit meinem Designerkamelhaarmantel (ein runtergesetztes Ausstellungsstück, kein Grund, beeindruckt zu sein). Immerhin half mir die Kälte, wieder nüchtern zu werden. Strom ging auf geradem Weg in das B-&-I-Hauptquartier auf der anderen Seite der Straße, Lars im Schlepptau, der wiederum Crip mitschleifte. Strom wollte, daß ich mitkäme, aber ich sagte, ich müßte noch mit den Bullen reden. Er sagte »Prima«, ohne eine Sekunde zu zögern, und wies mich dann an, sofort, wenn ich mit ihnen fertig sei, hinüberzugehen. Dick und Bucky brachten gerade ein polizeiliches Siegel an der Eingangstür des Outhouse an, als ich auf sie zuging.

Ich sagte: »Hallo, Jungs.«

Dick sagte: »Das hier ist mal was Scheußliches, Schätzchen.«

»Ich bin mittendrin.«

»Was ist denn mit dir?«

»Strom hat mich heute morgen angestellt. Er hat was verloren und will, daß ich es ihm wieder finde.« Ein Windstoß fegte die Straße herunter, und Müll flog über den Asphalt wie Herbstblätter.

»Ich kann mir kaum vorstellen, daß du uns erzählen würdest, was er verloren hat?«

»Tut mir leid. Vertrauliche Kundensache.«

Bucky fragte: »Und wieso ausgerechnet du?«

»Was, wieso ausgerechnet ich?«

»Strom Bismark ist einer der mächtigsten Männer auf der East Side. Er hat eine Armee von hirnlosen menschlichen Maschinen, die töten, wenn er nur mit dem Finger winkt. Er könnte jeden einstellen, und er nimmt dich?«

»He, ich hab’ einen guten Ruf.«

Dick lachte schallend. »Typen wie er interessieren sich einen Scheißdreck dafür, wieviel untreue Ehemänner du schon aufgespürt hast. Glaub mir das, Schätzchen. Strom Bismark geht nicht die Gelben Seiten durch. Der ist hinter irgendwas her. Wir können uns doch gegenseitig helfen. Informationen austauschen. Hier ist nichts verlorengegangen, Mallory. Ein Mädchen ist tot, und Strom muß damit etwas zu tun haben. Denk mal drüber nach. Wenn du das hier im Alleingang machst, landest du — jede Wette — im Leichenschauhaus.«

»Das ist aber wirklich nett, so was einer Dame zu sagen, die du gerade besoffen gemacht hast.«

»Der macht dich nieder, und du hast es noch nicht einmal kommen sehen.«

Er schien das ernst zu meinen. Ich traute dem nicht. Ich sagte: »Seit wann kümmert’s dich, was ich mache?«

»Mich kümmert Strom Bismark. Die Polizei ist seit Jahren hinter ihm her. Das letzte, was wir brauchen können, ist irgendeine naive, verknallte Privattante, die alles vermasselt.«

»Verknallt? Ich würde dich sogar lieber küssen«, log ich.

»Hoffentlich meinst du das ernst, Schätzchen.«

Sie stiegen in ihr Polizeiauto. Bucky rollte das Beifahrerfenster herunter und sagte ernsthaft: »Er ist ein Lügner, Mallory. Glaub ihm nichts.« Nach diesem Ratschlag sausten sie die First Avenue hoch und ließen mich besoffen und bibbernd im Wind stehen, voller gefährlicher Ideen.

Das Gebäude des Blood-&-Iron-Hauptquartiers hatte — es war einmal — eine rote Backsteinfassade gehabt. Die Strorn-B-tef-I-Ära. hatte für das Äußere des Gebäudes gewisse Innovationen durch das moderne Medium der Sprühdose bedeutet. Die gesamte Fassade war damit bedeckt — manche besonders unternehmungslustige Rocker-Brutolskys mußten sich da ein Gerüst hingestellt haben. Die Sprüche erinnerten mich an das Baumhaus meiner Nachbarn in New Jersey: ZUTRITT FÜR ZIVILISTEN VERBOTEN, ZUGANG UNTER ANDROHUNG SCHAUERLICHER STRAFEN UNTERSAGT, UNBEFUGTE WERDEN VERSPEIST. Des weiteren fanden sich Variationen des Sujets RETTET DIE MÄUSE — LUTSCHT EINE MUSCHI. Jede Menge B-&-I-Logos. Die Farben sahen schön aus. Die vordere Tür war rot wie zwei riesige Lippen. Ich ging auf sie zu, als die Ampel grün wurde. Während ich näher kam, öffnete sich quietschend die Tür. Lars stand dahinter. »Folge mir«, sagte er, und das tat ich.

Das Innere hatte schwarze Wände und noch mehr Graffiti vorzuweisen, manche zogen sich über — dem Ort angemessene — Wandmalereien von Fledermäusen und höllischen Monstern mit Flügeln hin. Ein schwerer Kerzenleuchter hing von der Decke. Es gab hinten sowohl eine Treppe als auch einen Aufzug. Irgend etwas war nicht in Ordnung. Obwohl zig Maschinen sich auf dem wilden Parkplatz drängten, war das Hauptquartier still, fast feierlich, wie eine Kirche. Ich fragte Lars, ob Blood & Iron über alle drei Etagen verfügte. Er nickte und machte mir ein Zeichen, unter einem Bogen in der östlichen Wand nach links zu gehen. Über dem Bogen war das Konterfei des Satans selbst gemalt, mit einer großen blonden Perücke und falschen Wimpern geschmückt. Eine Zigarettenspitze war zwischen seine klauenartigen Finger geklemmt. Er lächelte Rauch.

Kurze Abschweifung: Es gibt zwei Arten von Leuten auf der Welt — Standortmenschen und Nichtstandortmenschen. Die ersteren verändern sich in ihrer Persönlichkeitsstruktur in Abhängigkeit von dem Ort, an dem sie sich befinden. Dies unterstützt die Theorie, daß Orte Seelen besitzen wie Menschen auch und daß eine Bude, die für Standortmenschen ungemütlich ist, auch von einem bösen Geist besetzt ist (das habe ich im New Age Journal gelernt). Ich bin eigentlich nicht ein dermaßen differenzierter Typ Mensch. Wo ich mich aufhalte, ist eigentlich gleich für mich — jedwede Abweichung meiner Gemütsverfassung hängt eher davon ab, wo ich mich gerade in meinem Monatszyklus befinde. Tief in den Eingeweiden des Hauptquartiers fing ich allerdings an, mich zu fragen, ob ich mit zunehmendem Alter sensibler wurde. Aus gar keinem besonderen Grund konnte ich diesen Laden nicht ausstehen.

Wir traten in einen Raum ein, den Lars Bibliothek nannte, in dem aber kein einziges Buch zu sehen war.

Das Zimmer war dunkel und riesig und entsprach dem, was sich ein Vortortvillenbubi unter einem Geisterhaus vorstellen würde. Ein riesiger Schreibtisch und einige Stühle standen auf einem Perserteppich herum. Es gab einen Kerzenleuchter an der Decke, der aber nicht angezündet war. Leuchter mit elektrischen Kerzen säumten die eine Backsteinwand, und zwei hohe Fackeln dräuten hinter dem Schreibtisch. Die anderen Wände waren durch bodenlange Vorhänge verdeckt, die alle eventuell vorhandenen Fenster verbargen, genau wie im Outhouse. Lars sagte mir, ich solle mich auf eine Couch setzen, die mindestens drei Meter lang war und an den Seiten Troddeln hatte. Rot natürlich. Rot war hier überall. Lars lehnte sich in eine Ecke und kreuzte seine Arme über der Brust wie ein ägyptischer Sklaventreiber. Ich konnte nicht anders, als in den riesigen gerahmten Spiegel an der gegenüberliegenden Backsteinwand zu schauen. Meine Haut schien durchsichtig, und meine Haare sträubten sich vor elektrischer Spannung. Auf jeden Fall gruselte ich mich.

Strom schritt mit einem Koffer herein, seine Springerstiefel polterten dabei über den Boden. Er setzte sich hinter den Schreibtisch und riß das Telefon an sich. Er zeigte mit einem Finger auf mich und sprach in den Hörer, ohne vorher gewählt zu haben. Ich war sicher, daß ich es nicht hatte klingeln hören. Er sagte: »Ich hoffe, das ist kein Problem... Du weißt, wie sehr ich das zu würdigen weiß... Natürlich erinnere ich mich ah unser Gespräch... O.k., prima.« Mein Kopf schwamm noch vom spontanen Trinkwettkampf. Die intensive Hitze des Zimmers half auch nicht gerade. Ein Heizkörper rasselte irgendwo, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Strom hängte ein und machte mir ein Zeichen, zu ihm zu kommen. Ich rührte mich nicht von der Stelle. »Wo ist Crip?« fragte ich.

Strom sagte: »Er kotzt im Badezimmer. Wenn du das auch mußt, kannst du das oben benutzen.«

»Was zum Teufel geht hier vor, Strom? Du hast mich angestellt, um dein Geld zu finden, und ich finde mich plötzlich dabei wieder, über Mädchen mit verspritzter Hirnmasse zu stolpern.«

»Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«

»Nein, du solltest dir mal lieber Sorgen machen, weil ich nämlich nicht für irgendeinen kaltschnäuzigen Rockerarsch arbeite.« Ich meinte, was ich sagte. Strom hatte Flush gekannt, und er war in dieser Sache obercool. Wenn ihn schon ein Mord nicht anrührt, was würde es dann tun?

»Ich glaube nicht, daß ich gezwungen bin, zu beweisen, wie außer Fassung oder in der Fassung ich bin. Flush war jemand, den ich kannte. Ich werde mit ihrem Tod auf meine eigene Weise fertig werden. Ich habe Schwierigkeiten damit, meine Gefühle zu zeigen. Vor allem gegenüber Frauen.« Er blinzelte. »Und Wanda«, sagte er, »nimm das nicht persönlich.«

Ich schwitzte. Die Hitze wurde mir zuviel, und so « streifte ich meinen Kamelhaarmantel ab. Sofort ging es j mir besser. Eigentlich wollte ich auch meine Treter ausziehen, aber nein, das wäre nicht damenhaft gewesen. Ich sagte: »Hübscher Kerzenleuchter.«

»Wir warten auf den Elektriker.«

»Zwanzig Typen, die ein Bataillon Panzer basteln können, sind nicht in der Lage, ein Kabel, das im Arsch ist, zu reparieren?«

»So habe ich das noch nie gesehen.«

Ich fragte: »Wie viele Rocker braucht man, um eine Glühbirne einzuschrauben?«

Er sagte: »Mit einer Leiter nur einen.« Er hatte es nicht kapiert. »Wanda, komm mal hier rüber. Ich will dir was geben.«

Meine weichen Knie machten das nicht mit. Ich sagte: »Dieses Sofa ist ganz schön bequem.« Daraufhin schlichen Strom und seine Beine herüber und setzten sich neben mich. Er stellte den Koffer neben meine Füße.

Er sagte: »Das ist deine Uniform.«

»Ich ziehe einen Koffer an?«

»Das, was drin ist. Wenn du keine Karten austeilen willst, dann ist das Rouletterad am einfachsten zu bedienen — das bringe ich dir bei. Du fängst morgen abend um zehn Uhr an. Du triffst mich im Outhousebüro um neun. Bis dahin ist es aufgeräumt.«

»Ich werde noch nicht einmal versuchen zu fragen, wie du es geschafft hast, das alles zu organisieren.«

»Du mußt noch andere Fragen haben«, sagte er, unterbrach mich aber, bevor ich welche stellen konnte. »Warte bis morgen abend.« Strom lehnte sich näher und flüsterte: »Du hast doch den Bullen nichts über das Geld gesagt?«

»Keinen Ton.«

»Ich habe die Bezahlung für den ersten und zweiten Tag in den Koffer getan.« Strom berührte meine Haare. Er sagte: »Du mußt etwas für mich tun, was ich dringend brauche. Du mußt dir für mich das hier schwarz färben.«

Mir schoß das Mal, als ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, durch den Kopf — eine Bitte meines damaligen Freundes. Der erste Monat war eine Qual, und ich fing sofort wieder damit an, als wir uns trennten. Damals schwor ich es mir. »Kommt nicht in Frage«, sagte ich. »Ich werde mich für keinen Mann verändern.«

»Nur zeitweilig.« Ich schüttelte den Kopf. »Es ist Bestandteil deiner Tarnung.«

»Warum gerade schwarz?«

»Ich find’s toll.« Ich antwortete nicht. Er sagte: »Ich bitte dich nicht, irgend etwas Kriminelles zu tun. Du wirst derselbe Mensch bleiben.«

»Aber meine Haare. Ich liebe mein Haar.« Ich klang wie eine Fünfjährige — nicht gerade der Gipfel an Professionalität. »Wie wär’s mit einer Perücke?« fragte ich.

»Perücken fallen einem im Bett vom Kopf«, sagte er in seiner üblichen flüssigen Art, was meinen Widerstand brach wie eine Pfanne einen Schädel. Ein plötzlicher Flash: Strom und ich in der Badewanne zusammen, wie wir uns die Haare waschen, schwarze Bäche zwischen meinen Brüsten. Wir lachen.

Er sagte: »Ich habe eine Schachtel Farbe in den Koffer getan und einen Zettel. Sieh dich vor, wenn du jetzt mit all dem Geld nach Hause gehst.« Ein Stichwort, die Biege zu machen. Ich kämpfte mich wieder in meinen Mantel. Strom beobachtete mich und küßte mir galant die Fingerspitzen, langsam an jeder Hand, und an den kleinen Fingern saugte er sanft. Meine Knie wurden noch schwächer. Er traf meinen Blick mit seinen grünen Augen und sagte: »Du warst großartig heute. Ich könnte mich an eine Frau wie dich gewöhnen.« Und dann ging er von mir weg. Das Wort saugen rotierte wie Sirenengeheul in meinem Kopf herum. Ich ignorierte es. Lars, mein bulliger Retter, schmiß mich und den Koffer raus. Ich winkte mir ein Taxi heran. Während der Fahrt nach Brooklyn kam ich darauf, was mich in diesem Zimmer so gestört hatte: Vorhänge sollten eigentlich keine Schuhe haben.

Meine Wohnungstür in Park Slope war unverschlossen. Ich fürchtete das Schlimmste, und das fand ich dann auch vor. Santina rührte in einer Sauce, schmachtete »Summer Wind« und knallte im Rhythmus eine Olivenölflasche auf die Theke meiner Küche. Meine vierbeinige Lebensgefährtin Otis sprang mich mit liebevoll herausgestreckten Klauen an, als ich hereinkam. Ich ließ den Koffer mit einem Rums zu Boden fallen, um sie aufzufangen, was Santina dermaßen erschreckte, daß sie einen Holzlöffel in den Topf voller Tomatensauce plumpsen ließ. Meine Küchenwände hatten sowieso Hunger. Sie sagte: »Ach, du bist’s. Mein Herz hat zwanzig Schläge lang ausgesetzt. Du siehst widerlich aus. Ich krieg’ das nicht auf. Komm her und hilf mir.« Sie hielt mir das Olivenöl hin.

Ich sagte: »Santina, was machst du hier?« Als Hauswartsfrau im Gebäude hat sie einen Schlüssel. Als meine Ersatzmutter nimmt sie sich einiges heraus.

»Es ist dein Geburtstag, und ich möchte, daß du glücklich bist, ist das etwa zuviel verlangt? Daß ich dich glücklich mache? Dir ein warmes Abendessen koche? Dir deinen Trübsinn wegschwatze? Wenn’s zuviel ist, dann gehe ich. Ich bin dann nicht verletzt. Du hast mich seit Wochen nicht in deine Nähe gelassen. Ich bin nicht beleidigt. Was weiß ich, wenn du unglücklich sein willst, dann sei eben unglücklich.« Kochen kann sie einigermaßen, aber was Schuldgefühle angeht, ist sie ein Drei-Sterne-Zubereiter.

»Ich bin glücklich, o.k.? Ich bin so glücklich wie ein Schwein in der Scheiße.« Ich hatte glatt meinen Geburtstag vergessen.

»Solche Ausdrücke stehen dir überhaupt nicht, Wanda. Mit diesem Gossenmundwerk wirst du nie die richtige Sorte Mann finden.« Sie probierte ihre Sauce und machte leckere Geräusche. »Schieb’ mal deinen Hintern hier rüber und versuch das. Ich halt’s bald selber nicht mehr mit mir aus, ich bin mit Oregano einfach brillant.« Santina Epstein ist um die Fünfzig, eine halb italienische, halb jüdische Kosmetikerin. Sie arbeitet in Adrienne Argolas Friseurladen an der Upper East Side, wo sie das Strohhaar reicher alter Damen in gesponnenes Gold verwandelt. Ihre eigenen Haare hat sie in einer blonden (gefärbten) toupierten Hochfrisur arrangiert, und sie zieht sich besser an als ihre ach so feinen Kundinnen. Sie ist eine ehemals überzeugte Junggesellin, die sich erst vor kurzem mit ihrem Freund und Mitbewohner Shlomo Zambini verlobt hat. Er ist Arzt. Sie begegneten sich in der Notaufnahme des Mount-Sinai-Hospitals, als sie sich durch eine versaubeutelte Maniküre eine Nagelbettentzündung geholt hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich ließ Otis auf den Boden fallen, überquerte das von Möbeln freie Wohnzimmer und gelangte in meine Durchgangsküche. Als ich nah genug herangekommen war, sagte Santina: »Herrgott, du stinkst ja zum Himmel.«

»Arbeitsrisiko.« Sie schaute mich finster an. Sie haßt es, daß ich ein pistolenschleppender Schnüffler bin, und würde es lieber sehen, wenn ich beim Jurastudium auf Bleistiften herumkauen würde, als Blei zu schlucken. Ich probierte die Sauce, sie war göttlich. Ich erinnerte mich daran, daß ich Hunger hatte. Es war nach drei Uhr.

Meine Wohnung, groß für die Verhältnisse in Manhattan, ist für Brooklyn eher durchschnittlich. Die vier Meter hohe Decke und der Dielenboden machen die Bude zu einem wahren Fund. Sie ist eine Eisenbahntrasse — alle Zimmer gehen von einem langen Flur ab, inklusive mein Bad mit Badewanne und mein Schlafzimmer, von einem besonders enthusiastischen Exfreund »Liebesnest« getauft. Der ganze Laden ist meistens ziemlich unordentlich (ein anderer Ex sagte mal, es sähe immer so aus, als sei ich gerade kurz davor, auszuziehen), aber so mögen Otis und ich das. Wenn sie eine Gelegenheit wittert, kommt Santina aus ihrer Wohnung runter und räumt auf. Ich habe versucht, sie zu bremsen, aber sie sagt: »Was, glaubst du etwa, ich will deine Kakerlaken oben bei mir haben?«, und damit halte ich’s Maul. Bei ihr ist es immer einfacher, den Mund zu halten.

Ich dachte mir, eine Dusche und neue Klamotten könnten mir was Gutes tun, und so zog ich mich ins Bad zurück. Das Wasser war heiß und dampfte. Es half, den Tequilageruch und den mittäglichen Kater wegzuwaschen, aber nicht die anhaltenden Strom-Phantasien. Lust — manchmal denke ich darüber nach und kriege es mit der Angst zu tun. Das Verlangen, das allein in meinem kleinen Körper entsteht, könnte die Beleuchtung für Bagdad sicherstellen. Ich trat aus der Dusche heraus und wischte ein Loch in den Dampf am Spiegel, um mein Aussehen zu überprüfen. Nicht schlecht. Eine neue Aussicht hat immer schon Feuer durch mein Fleisch gepumpt. Und ich sah dünner aus — immer was Gutes. Ich hatte letzthin nicht viel Zeit vor Spiegeln verbracht. Eitelkeit tritt bei mir phasenweise auf.

Ich wand ein Handtuch um meine Hüften und ein anderes als Turban um den Kopf. Santina saß auf meinem Bett, als ich herauskam. Sie hielt das bißchen, das wohl meine neue Uniform sein mußte, in die Höhe: schwarzer Ledermini mit Seitenreißverschluß und Bustier. Die Netzstrümpfe lagen verschrumpelt über ihrem Schoß. Mal wieder war sie durch meine persönlichen Sachen gegangen. Ich war zu müde, um mit ihr darüber zu streiten.

»Die Gebrauchsanweisung schlägt dazu schwarze Pumps vor«, sagte sie.

»Wie wär’s mit meinen Joan-&-David-Schuhen?«

»Das hier ist ordinär und ekelhaft«, sagte sie und warf das Outfit mit Schwung hinter sich. »Nette Männer, Rechtsanwälte, Banker, Ärzte, die mögen Baumwolle und Leinen. Am liebsten: Seide. Dieses Lederzeugs ist nichts für dich. Da kenn ich mich aus.«

»Es ist von Gaultier inspiriert, Santi. Sehr modern. Sehr aktuell.«

Sie schnalzte ihre Abscheu. »Ich mag das hier nicht im Geringsten. Was für ein zwielichtiger, schmieriger Typ hat dir das überhaupt mitgegeben?«

»Niemand Besonderes. Nur so’n gesetzloser Rocker. Er ist selber auch ziemlich scharf.«

Sie blinzelte mich an. Sie konnte nicht feststellen, ob ich log. Sie sagte: »Hör mal, Frau So-tough-wie-Rohleder, provozier mich hier mal nicht. Ich hab’ selber genug Probleme, wo du dein Leben und deine Gesundheit aufs Spiel setzt, indem du dich in diesem Loch am Times Square, das du Büro nennst, verkriechst. Ich mach’ mir Sorgen um dich. Du bist verletzbar, man hat dir weh getan. Du könntest in etwas hineingeraten, das du nicht mehr kontrollieren kannst.« Sie zeigte ihre Zähne. »Diesen Alex könnte ich umbringen...«

»Santina, halt sofort die Klappe, oder ich schwör’s dir, ich könnte dir weh tun.«

»Und das hier«, sie schnalzte, während sie die Billighaarfarbe aus dem Koffer zupfte. Sie hielt die Packung mit zwei Fingern, als wäre vorher Fisch drin gewesen. »Benutz das, und es wird aussehen, als ob jemand deinen Kopf lackiert hat. Laß ja dein Haar in Ruhe. Solch eine natürliche Schönheit — schau dich doch mal an. Millionen von deprimierten Frauen kommen ins Argola und verlangen genau deinen Ton Rot.« Sie schmiß die Farbe in den Mülleimer am andern Ende des Zimmers. Sie landete einen Treffer — zwei Punkte.

»Schwarz ist dramatischer.«

»Du bist dramatisch genug. Du trägst eine Pistole, um Himmels willen. Aber«, gab sie nach, »wenn du das schon machen mußt, dann laß mich es wenigstens richtig machen. Hör mir mal zu, hörst du überhaupt zu? Ich gehe in den Laden und hol da was. Mein Geburtstagsgeschenk für dich. Wir werden Spaß haben. Essen, reden, färben. Wenn du eine Schlampe sein willst, bitte, ich werde dich billiger aussehen lassen als den Wühltisch bei Woolworth’s.«

»Das wäre einfach genial«, sagte ich. Ich machte es ihr schwer, aber Santina, Nervensäge, hat alles im Griff. Sie düste raus, ganz aufgeregt vor lauter Zielbewußtsein, voller Energie, nachdem sie nun gebraucht wurde. Sie hatte mir gar keine Schlacht geliefert, überhaupt keine schwitzkastenartig-dezenten Überredungsversuche. Das sah ihr an sich nicht ähnlich.

Endlich allein. Es kam mir bekannt vor. Ich preßte die winzigen Fetzen Leder über meine Brust und Hüfte. Knapp, wie Strom vorausgesagt hatte, war der richtige Begriff. Die Netzstrümpfe deprimierten mich zutiefst. Ich würde jetzt jeden Tag meine Beine rasieren müssen — nicht meine Art. Ich legte mich aufs Bett und schloß die Augen. Ich schlief ein und träumte vom Riesenrad auf Coney Island.

»Dinge, die ich nicht verstehe, beunruhigen mich«, ließ Santina mich wissen, während sie meinen Kopf unter den Wasserhahn meines Waschbeckens im Bad schob. »Computer, Zellulartelefone, digitale Öfen. Und du, Wanda, du beunruhigst mich.« Schwarze Rinnsale an Farbe strömten mir die Wangen herunter. »Dieser Detektivkram. Was ist daran so toll? Was gibt es daran Gutes? Du bist die ganze Zeit pleite, du bist einsam. Du triffst keine netten Leute. Und dann ist da dieses ganze Desaster mit Alex.«

»Ich krieg’ hier was ins Auge.«

»Ich habe neulich einen netten jungen Mann getroffen. Er kam mit seiner Großmutter in den Salon, arme Frau, jedesmal, wenn ich sie sehe, hat sie schon wieder fünfzig Millionen Haare verloren. Jedenfalls, ich sag’ zu ihm, ich sag’: >Hab’ ich ein Mädchen für Sie.< Ich hab’ ihm alles von dir erzählt, und er war ganz angetan. Ich hab’ ihm deine Telefonnummer gegeben.«

»Du hast was?«

»Er ist Investmentbanker. Bei Bear & Stearns. Süßer als der süßeste Käfer, vertrau mir.« Santina in solchen Dingen zu trauen wäre wie, nackt auf einer Gefängnisfete zu tanzen. Keine gute Idee.

Ich sagte: »Wenn er überhaupt anruft, dann ist es wahrscheinlich nur deshalb, weil du mich als einfach rumzukriegen dargestellt hast.«

»Bist du das denn nicht?«

»Nein, bin ich nicht. Wieso ist eigentlich immer die Frau einfach zu haben? Typen sind einfach. Du mußt nur ihren Arm mit einer Titte streifen, und sie wälzen sich auf dem Boden.«

»Das liegt daran, daß sie eimerweise Hormone ausschütten.«

»Und warum sind sie dann nicht unsere Sklaven?«

Sie reichte mir ein Handtuch. »Vorsichtig auftrocknen.« Ich trocknete vorsichtig auf.

»Ist es was geworden?« Sie hatte eine teurere Tönung benutzt — rabenschwarz.

»Es ist was geworden. Du siehst aus wie Morticia Ad-dams. Es ist immer noch naß. Nicht anfassen.« Ich folgte ihr in die Küche.

Sie steckte ihren Kopf in die Ofentür, um nach der Lasagne zu sehen. Es roch so gut wie eine Ganzkörpermassage. Ich setzte mich auf einen der Barhocker, die um die Arbeitsplatte mitten in meiner Küche herumstanden. Ich zündete mir eine Zigarette an.

Sie probierte, ob das Essen schon fertig war. Ich sagte: »Mit deinem Loser da gehe ich nicht aus.«

»Dann geh eben nicht mit ihm aus. Kümmert’s mich? Er ist ein netter Junge, ich hab’ ihm deine Nummer gegeben. Also geht ihr vielleicht mal aus, amüsiert euch? Seht euch ein bißchen häufiger, hüpft in die Kiste, macht euch gegenseitig glücklich, was auch immer. Das Leben ist schon schwer genug, stimmts? Du brauchst mich nicht, um dir zu helfen.«

»Stimmt, brauche ich auch nicht.«

»Du brauchst überhaupt niemanden.«

»Otis ist nett.«

»Also, was willst du. Du brauchst trotzdem immer jemanden. Ist mir doch egal, ob du einsam bist und deprimiert. Was versteh’ ich schon davon? Sei unglücklich.« Sie zog die Schüssel aus dem Ofen und schnitt in die Pasta hinein. »Ich geb’ dir nur ein kleines Stück. Bei deinem Hintern.« Sie plusterte ihre Backen auf.

Ich zog lange an meiner Zigarette. Santina macht es sich in ihren eingefahrenen Bahnen gemütlich. Sie legt sich flach hin und weigert sich, einen Zentimeter davon abzuweichen. Vor einigen Monaten wollte sie unbedingt, daß ich Jura studiere. Nachdem das völlig außer Frage stand, hatte mich ihre Tirade nicht besonders gestört. Dieses Verabredungsherumgetobe, das störte mich allerdings. Ich wollte zum Verrecken einen Themawechsel. Ich sagte: »Was weißt du über Roulette?«

»David Niven.«

»Ein kleiner Ball auf einem großen Rad, wir sprechen doch noch dieselbe Sprache?«

»David Niven war in irgendeinem Film, irgendeinem Glücksspielfilm. Oder vielleicht war es Gary Cooper. Jedenfalls, er war angezogen zum Niederknien — Smoking, wunderschöne Schuhe aus Lackleder. Innerhalb von Millisekunden würde ich Shlomo für so einen Mann rausschmeißen. Hältst du’s noch mit mir aus? Ich bin so treulos.«

»Das Spiel, Santina.«

»Je höher das Risiko, desto höher der Gewinn. Und um so höher die Chance, daß man verliert. Es ist immer am besten, kleine Beträge zu plazieren. Schwarz, rot, gerade, ungerade. Du allerdings, Fräulein Korinthenkacker-Besserwisserin, wirst natürlich nur hochriskante Wetten abschließen — Männer, die die Bedeutung des Ausdrucks verbindliche Gefühle nicht verstehen. Und deswegen, meine Liebe, sind Männer nämlich nicht deine Sklaven.« Sie befingerte einen Klumpen Sauce und leckte sich die Finger. »Also wirst du jedesmal verlieren«, sagte sie. »So ist das Rad aufgebaut.«

»Die Leute gewinnen auch.«

»Wenn sie Wetten mit geringem Risiko abschließen. Wie zum Beispiel dieser nette Bankerjunge.«

»Lieber würde ich für den Rest meines Lebens auf Verabredungen verzichten, als so langweilig zu werden.«

Sie sagte: »Sag nicht so was. Denk es noch nicht mal. Und der Junge ist nicht langweilig. Er ist nur einfach kein Tier wie die meisten anderen Typen, mit denen du ausgehst.«

»Alex war kein Tier.« Außer in der Bumse.

»Alex war Hundefutter. Er hat dich reingeritten und hat dir nicht wieder rausgeholfen.«

»Er war der perfekte Freund.«

»Perfekte Freunde hauen nicht ab«, sagte sie in einer Anwandlung von brutaler Klarheit. Das verdaute ich erst einmal und machte meine Zigarette aus.

Santina schob eine winzige Scheibe Lasagne in meine Richtung — meine Geburtstagszuteilung. Ich nahm den Turban ab. »Deine Haare sehen fürchterlich aus«, tröstete sie mich. »Iß jetzt.«