Zuviel Rennerei mit einem dicken Kopf
Ich rief als erstes
Alex an. Er schien nicht sehr erfreut über meinen Anruf. Es war
zehn Uhr Montag morgen. Er erklärte sich bereit, sich in einer
Stunde mit mir im Büro zu treffen. Mein Bett stank nach Tequila.
Ich duschte mich und nebelte mich mit Love’s Baby Soft ein. Ich zog
mich an — ein Tag wie geschaffen für Jeans und Turnschuhe — und
ging raus. Die Sonne blendete mich. Ich hatte einen fürchterlichen
Kater.
Während der U-Bahn-Fahrt legte ich mir meine Verteidigungsrede zurecht. Alex und ich gingen uns einfach gegenseitig auf die Nerven. So was passiert halt schon mal bei einem harten Fall. Ich übte meinen Part laut ein, was zur Folge hatte, daß die Fahrgäste mich mitleidig bis genervt anglotzten. Ich saß auf meinem Lieblingsplatz gleich neben der Tür — wir Schnüffler sind immer gerne möglichst nahe am Ausgang.
Die Sonne knallte genau auf das Fenster, als der Zug über die Manhattan Bridge ratterte. Ich wandte geblendet den Blick ab und schaute durch das Fenster in den nächsten Wagen. Plötzlich sah ich ihn — denselben Schlapphut, der mich schon seit Tagen durch die ganze Stadt verfolgte. Ich machte mich ganz klein in meinem Sitz, in der Hoffnung, daß er mich nicht sehen würde. Im selben Moment wurde mir bewußt, daß es kein Zufall sein konnte, daß er in demselben Zug war wie ich — daß er mich also eh gesehen haben mußte. Ich richtete mich also wieder auf und beschloß, in die Offensive zu gehen. Belle hatte mir immer gepredigt, ich solle mich meinen Ängsten stellen.
Ich wartete, bis der Zug an der Grand Street in China-town hielt, und ging hinüber in seinen Wagen. Eilige Asiaten ergossen sich laut schwatzend in den Wagen. Der Schlapphut schaute nicht in meine Richtung. Ich ging den Mittelgang hinunter, über Einkaufstüten und ausgestreckte Beine steigend. Mit der einen Hand hielt ich Mama in meiner Handtasche, mit der anderen hielt ich mich an der Haltestange über den Sitzen fest.
Ich stand direkt vor ihm, als der Zug sich mit einem Ruck in Bewegung setzte. Ich taumelte zurück. Mit einer blitzschnellen Bewegung hielt er mich am Handgelenk fest und bewahrte mich so vor einem Sturz. Mama fiel aus meiner Handtasche und schlitterte unter seinen Sitz. Eine alte Chinesin kreischte auf. Alle Augen im Wagen richteten sich auf meine Pistole. Der Griff des Mannes wurde fester. Ich versuchte mich von ihm loszureißen. Er langte unter seinen Sitz und angelte nach Mama. Ich sah, wie er sie zu fassen bekam und sein Finger sich um den Abzug legte. Ich schloß die Augen und bekam einen Schwindelanfall.
Er schüttelte mich und sagte: »Hey, Baby. Wach auf.« Er zog mich auf den Sitz neben ihm. Er sagte: »Du hast deine Knarre fallen lassen.« Ich musterte ihn aus nächster Nähe und entschuldigte mich. Die Fahrgäste wandten sich wieder ihren Zeitungen zu. So etwas gibt es nur in New York. Das kommt davon, wenn man zuviel säuft, dachte ich. Ich hätte besser meine Brille aufgesetzt.
Als ich schließlich auf der 42. Straße ankam, war ich wieder sicher auf den Beinen. Ich spurtete hinüber zu Do It Right. Alex würde schon da sein und auf mich warten. Ich mußte als erstes zwei Dinge mit ihm klären: erstens, daß ich ihn für den Fall Belle Beatrice wollte, und zweitens, daß ich ihn für mich wollte. Ich bin nicht sicher, wann ich mir über das letztere klargeworden war. Ich nehme an, daß ich es schon eine ganze Weile gewußt habe. Und wenn er tausendmal eine Freundin hatte und mein Kollege war! Unsere Unterhaltung würde etwa so ablaufen:
Er würde auf dem Klientensessel sitzen. Ich würde reinkommen und sagen: »Hi, Alex. Als erstes muß ich dir sagen, daß es mir leid tut und ich mich bei dir entschuldigen möchte.«
Er würde abwehrend die Hand heben und sagen: »Nein, Wanda. Ich muß mich entschuldigen.«
Darauf würde ich sagen: »Alex, Alex. Immer nimmst du die Schuld für meine Taktlosigkeiten auf dich. Aber diesmal laß ich das nicht zu. Es stimmt, ich habe Candies Nummer aus deiner Brieftasche genommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie fürchterlich schäbig ich mich fühle, daß ich dich angelogen habe. Und daß ich das Risiko eingegangen bin, dein Vertrauen zu verlieren. Ich weiß nicht, ob ich das verkraften kann.« Zu dem Zeitpunkt würde ich mir noch keine Tränen abquetschen.
Er würde sagen: »Wanda...«
Ich würde abwehrend die Hand heben und sagen: »Nein, laß mich ausreden. Ich habe auch gelogen, als ich sagte, mein Kuß wäre platonisch gewesen. Ich will, daß du weißt, daß er es nicht war. In der ganzen Zeit, seit wir uns kennen, bin ich niemals auch nur im entferntesten auf die Idee gekommen, daß wir mehr als Freunde sein könnten. Als ich dann plötzlich merkte, daß ich das wollte, daß ich mehr als einen Freund in dir sah, da wußte ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Vielleicht habe ich dich deshalb so schlecht behandelt, weil ich so durcheinander war. Du mußt das verstehen. Außerdem war ich ziemlich fertig wegen Belles Tod und dem ganzen Drumherum. Ach, und übrigens, Skip bedeutet mir überhaupt nichts. Er ist lediglich ein Lustventil und ein Barscheck für mich. Mehr nicht. Ich will dich. Und das hab’ ich erst kapiert, als es zu spät war. Ich habe mich so beschissen dir gegenüber verhalten — ich habe dich sowieso nicht verdient.«
»Wanda, sprich nicht so von dir.«
»Alex, ich muß endlich damit anfangen, ehrlich zu mir selbst zu sein. Ich komme mir einfach schlecht vor, wenn ich daran denke, wie egoistisch ich gewesen bin. Bitte versuch’ jetzt nicht, das irgendwie abzuschwächen. Das ist lieb von dir, aber es bringt mir im Endeffekt nichts. Ich kann nur hoffen, daß du mir verzeihen kannst. Weil, wenn du das nicht tust, weiß ich echt nicht, was ich machen soll.« Dann würden die Tränen fließen.
»Natürlich vergebe ich dir. Ich liebe dich doch«, würde Alex dann sagen.
»Du bist viel zu gut für mich.«
»Nichts ist zu gut für dich.« Dann würden wir uns küssen, und zwar richtig auf den Mund, nichts mit platonisch oder so. Alles würde wieder okay sein, und wir würden weitermachen können mit unserer Suche nach dem Killer.
Alex hatte andere Pläne. Genau wie ich es vorausgesehen hatte, saß er auf dem Klientensessel, als ich reinkam. Ich sagte: »Alex, als allererstes möchte ich mich bei dir entschuldigen.«
Er sagte: »Spar’ dir das. Du hast mit meinen Gefühlen gespielt und mein Vertrauen mißbraucht. So schlicht und einfach ist das. Aber wir haben einen Mord aufzuklären, und es hängt eine Menge Geld für uns beide drin. Ich nehme doch an, daß du vorhast, Belles halbe Million mit mir als deinem Partner zu teilen?« Hatte ich richtig gehört?
Ich fing noch einmal an: »Alex, als erstes möchte ich mich bei dir entschuldigen.«
»Ich weiß, was du vorhast, Mallory. Du hast dir eine schöne, wohlklingende Rede zurechtgebastelt und erwartest von mir, daß ich sie mir anhöre und dann vor Rührung zerfließe. Genau so, wie du es bei Belle vorhattest, an dem Tag, als sie starb, genau so, wie du es in jeder emotional heiklen Situation in deinem Leben machst. Ich werde dein Spielchen nicht mitspielen und mich von dir einsülzen lassen. Und ich habe schon gar keine Lust darauf, eine heuchlerische Entschuldigung anzunehmen. Also vergiß deine Rede. Ich will kein Wort davon hören. Weil du nicht ein Wort davon ehrlich meinst.«
Die schreckliche Wahrheit war, daß ich wirklich das meiste so meinte. Ich rang nach Worten. Das Telefon rettete mich; ich ging hinüber und nahm den Hörer ab. Es war der obszöne Anrufer. Er sagte: »Ich beobachte dich.« Ich knallte den Hörer auf die Gabel und erstarrte.
»Wer war es?« fragte Alex.
»Mal wieder die >arme Sau<, die gestern zufällig zweimal aufs Geratewohl meine Nummer gewählt hat«, sagte ich. Bevor er etwas erwidern konnte, klingelte das Telefon erneut.
Alex nahm den Hörer ab und sagte: »Hör mal zu, du Arschloch!«
Ich betrachtete ihn. Er sah an diesem Montagmorgen besonders gut aus. Er hatte irgendwas mit seinen Haaren gemacht. Es war — ich weiß nicht — irgendwie glänzender als sonst.
Er sagte ins Telefon: »Entschuldige, Herb. Ich dachte, es wär’ jemand anders... Okay. Wir kommen sofort rüber.« Er legte den Hörer auf und sagte: »Wichsballon Nummer zwei beim Midnight.«
»Für wen?«
»Cheryl.«
»Gehen wir.«
Wir gingen zum Midnight und fuhren direkt rauf zum neunten Stock. Yolanda brummte mir ein kurzes Hallo zu und ließ uns durch die Glastür. Herb erwartete uns schon. Er sagte: »Schön, daß ihr da seid. Ihr zwei habt gestern abend eine tolle Fête verpaßt. Cheryl ist auf der Damentoilette. Vielleicht kannst du ihr ein bißchen helfen, Wanda.«
Ich sagte: »Ich und Cheryl helfen? Das wird ihr aber gefallen.« Ich ging den altvertrauten dunkelrosa Flur hinunter zum Klo. Cheryl stand in ihrem Rock und ihrem drahtverstrebten Altjungfern-BH vor dem Waschbecken und spülte ihren Donna-Karan-Sweater unter dem Wasserhahn aus. Ich setzte mich auf das Waschbecken daneben und sagte: »Ich hab’ einen Kater, und ich hab’ einen harten Morgen hinter mir. Ich habe weder den Nerv noch die Energie, mit dir rumzuzanken. Erzähl’ mir bloß, was passiert ist.« Ich kramte eine Zigarette aus meiner Handtasche, steckte sie an und warf die Handtasche in das übernächste Waschbecken.
Sie war fix und fertig. Haarbüschel ragten aus ihrem straffgezurrten Dutt wie Borsten aus einer alten Klobürste. Sie schaute nicht auf. »Hier ist Rauchen verboten«, sagte sie und zeigte auf das Schild.
»Du wirst es überleben.« Ich nahm einen Zug.
Sie tunkte ihren Sweater in das Waschbecken und sagte: »Schau, Wanda. Du weißt, daß ich nicht gerade dein größter Fan bin. Und ich weiß, daß du nicht gerade mein größter Fan bist. Und wenn ich nicht total verzweifelt wäre, hätte ich Herb bestimmt nicht gebeten, dich anzurufen.« Sie hielt inne. »Irgendein abscheulicher Mensch hat mir heute ein Paket geschickt. In dem Paket war ein Ballon.«
»Auf dem Ballon stand mit Filzstift >Pieks mich< geschrieben. Du hast den Ballon zum Platzen gebracht, und herausgespritzt kam eine Mischung aus Wasser und Sperma.«
Sie hörte auf, ihren Sweater durchzurubbeln, und sagte: »Woher zum Teufel weißt du das? Ich hab’ Herb extra gesagt, er soll keine Einzelheiten verraten.«
»Warum hast du ihn zum Platzen gebracht?«
»Was glaubst du wohl? Weil es darauf stand.«
»Belle hat an dem Tag, als sie umgebracht wurde, genau so einen Ballon gekriegt. Wußtest du das nicht?«
»Nein, das wußte ich nicht. Könnte das bedeuten...«
»Es könnte. Es könnte auch nicht. War ein Zettel in dem Ballon?«
»Ja«
»Was stand darauf?«
»>Ich bin gekommen, um dir zum Geburtstag zu gratulieren.<. Und das Eigenartige dabei ist, ich habe heute gar nicht Geburtstag. Was stand denn auf dem Ballon von Belle? Das gleiche?«
»Wer hat das Paket für dich bei Yolanda abgeholt?«
»Ich selbst.«
»Nicht deine Assistentin?«
»Ich habe keine Assistentin. Sie hat aufgehört.« Ich zog an meiner Zigarette und wartete, daß sie weitererzählte. Sie fing wieder an, ihren Sweater auszuwaschen, und sagte: »Ich hab’ alle eine Stufe höher geschubst, als ich den Laden übernommen habe. Bis auf meine Assistentin. Sie wollte etwas machen, wobei sie mehr Kreativität entwickeln kann, aber jetzt, seit ich Herausgeberin bin, habe ich viel mehr Korrespondenz und Termine. Und sie war in diesen Dingen, Organisation, Terminplanung und dieser ganze Kram, unheimlich gut.«
»Daß du immer die besten Leute verjagen mußt«, sagte ich.
Sie wurde rot im Gesicht. »Ich will jetzt keine alten Geschichten aufwärmen, Wanda. Du hast nichts mehr mit dieser Zeitschrift zu tun, und die Dinge, die hier vorgehen, gehen dich nichts an.« Ihr Busen wogte.
»Nun, dann geh’ ich wohl jetzt besser.« Ich ließ mich von dem Waschbecken runtergleiten. Cheryl hielt mich am Arm fest.
»Du kannst jetzt nicht einfach hier rausgehen und zulassen, daß ein wahnsinniger Killer mich jagt wie ein hilfloses Kaninchen im Wald, so wie Belle. Bitte, Wanda — und ich muß dir wohl nicht sagen, wie schwer es mir fällt, das zuzugeben — ich brauche deinen Schutz. Ich muß diese Sache klein halten — mein Ruf steht auf dem Spiel. Und du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der mir helfen kann.«
»Wenn du ein hilfloses Häschen bist, dann bin ich Betty Boop«, sagte ich.
»Du wirst es doch nicht wagen, mich dazu zu bringen, daß ich dich anbettle.«
Ich wollte, daß sie vor mir kroch. Ich zuckte mit den Wimpern. »Ich weiß nicht. Ich kann nicht gerade behaupten, daß du in all den Jahren besonders nett zu mir gewesen wärst.«
Sie sagte nüchtern: »Ich kann dir helfen, Belles Mörder zu finden.« Ich schob mich auf das Waschbecken zurück und hörte zu. Sie sagte: »Belle bekam an dem Tag, an dem sie getötet wurde, einen Ballon geschickt, richtig? Wenn die Person, die ihn geschickt hat, der Mörder ist, dann bedeutet das, daß ich die nächste bin.«
»Möglich.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß ich ausgerechnet mit dir um mein Leben feilsche.« Sie zog den Stöpsel raus und wrang ihren Sweater aus. Sie untersuchte ihn nach Flecken. Sie fand einen, drehte das heiße Wasser wieder auf und tauchte den Sweater erneut ein.
Ich sagte: »Der Ballon könnte ein völlig harmloser Scherz sein. Herb erzählte mir, die Leser würden euch alle möglichen Sexgags schicken. Wie zum Beispiel diese Gurkenskulptur auf seinem Schreibtisch.«
»Sicher. Lederklamotten zum Beispiel, oder faustförmige Vibratoren und so’n Zeug. Aber niemals Körpersäfte, die mit ansteckenden Krankheiten infiziert sein könnten. Bitte, Wanda. Ich flehe dich an. Bleib’ die nächsten vierundzwanzig Stunden bei mir. Wenn du mich beschattest, erwischst du dabei vielleicht den Killer.«
»Ehrlich gesagt, Cheryl, ich glaub’, ich könnte es nicht einen ganzen Tag mit dir aushalten. Und schon gar nicht heute.«
»Können wir unsere persönlichen Differenzen nicht ausnahmsweise einmal hintanstellen? Es geht schließlich um mein Leben, und für dich geht es immerhin um 500 000 Dollar.«
»Und wenn ich Pech habe, verliere ich dadurch einen ganzen Tag Zeit.«
»Du hast doch eine Pistole, nicht?«
»Ja.«
»Und du kannst auch damit umgehen?«
Ich nahm Mama aus meiner Handtasche — der Perlmuttgriff schimmerte in fluoreszierenden Licht der Neonlampe. Ich entsicherte sie, zielte und drückte ab. Ich traf mein Ziel, und der Tamponautomat an der Wand spuckte scheppernd seinen Inhalt aus. Ich blies theatralisch in den Lauf und steckte Mama zurück in meine Handtasche. Ich sagte: »Und ob ich damit umgehen kann.«
Sie schaute mir direkt in die Augen und sagte. »Du bist ernsthaft gestört.«
»Ich laß niemals eine dramatische Gelegenheit aus.«
»Dies muß ein böser Traum sein«, sagte sie düster. »Beschütz’ mich, und es soll dein Schaden nicht sein.«
Bingo. Genau das wollte ich hören. »Okay, Cheryl«, sagte ich. »Ich hab’ noch ein paar Dinge zu erledigen. Verlaß für den Rest des Tages auf keinen Fall mehr das Büro. Ich bin um sechs wieder zurück.«
»Aber ich muß gleich bei einem ASME-Lunch sprechen.« (Das ist der amerikanische Zeitschriftenverlegerverband.)
Ich sagte: »Wenn du den Lunch heil überstehst, sehen wir uns um sechs Uhr wieder.« Sie sagte, sie würde es absagen. Ich hob ein paar von den Tampons vom Boden auf, steckte sie ein und ging.
Ich fand Alex in Herbs Büro. Herb erkundigte sich nach dem Stand der Ermittlung, aber ich wollte ihm nicht zu viel sagen. Er fragte, ob Cheryl wieder okay sei. Ich sagte, ja. Herb spielte mit der Gurkenplastik auf seinem Schreibtisch. Ich fragte ihn, ob er sie wirklich von einer Leserin geschickt gekriegt hätte, oder ob sie ein Geschenk von Larry sei.
Herb lachte und gestand: »Belle hat sie mir zum Valentinstag geschenkt.«
Wir verabschiedeten uns von ihm. Auf dem Weg nach draußen blieben wir kurz bei Yolanda stehen und plauderten einen Moment mit ihr. Sie sagte, Stan hätte das Paket raufgebracht, wie schon beim ersten Mal. Wir gingen raus zum Aufzug.
Als wir auf den Aufzug warteten, kam Ginger Jones vorbei, wie immer in eine Wolke von Lilienduft gehüllt. Sie sah wie immer heiß aus. Sie trug einen braun-gelben Strickpullover, der hervorragend zu ihrem langen karamelfarbenen Haar paßte. Sie lächelte mich an und sagte: »Hallo, Wanda.«
»Hallo, Ginger.«
Sie streckte aufreizend die Hüfte vor. Alex machte Kulleraugen. »Ich höre, du machst eine Story über Belle für Skip Giddy vom Shinola«, sagte sie.
In keiner Szene wird soviel getratscht wie in der Zeitschriftenverlagszene. Ich sagte: »Stimmt. Ich arbeite daran.«
»Skip soll ja ein sehr aufmerksamer Redakteur sein, wie ich hörte.« An ihrem Lächeln konnte ich sehen, daß das nicht alles war, was sie gehört hatte.
Ich sagte: »Er ist okay.« Alex schnitt eine Grimasse.
»Wie ich hörte, soll er noch mehr als okay sein«, sagte sie mit einem wollüstigen Lächeln.
Endlich kam der Aufzug, und Alex und ich stiegen hinein. Ich sagte: »Du bist doch so eine gute Reporterin, Ginger. Warum findest du’s nicht einfach selbst raus?«
Als die Türen zugingen, hört ich, wie sie sagte: »Vielleicht tu’ ich das auch.«
Stan lehnte am Botentisch in der Lobby. Seine weiße Uniform brauchte dringend mal wieder eine Reinigung. Er richtete sich auf, als er uns kommen sah. Ich sagte: »Hallo, Stan.«
Er sagte: »Mallory, richtig? Ich erinnere mich an dich von letzter Woche.«
»Du hast heute wieder ein Paket zum Midnight raufgebracht. Gleiche Größe und Verpackung wie letzte Woche. Erinnerst du dich diesmal, wie der Bote ausgesehen hat, der es gebracht hat?«
Er kratzte sich am Kopf und sagte: »Es war wieder dasselbe wie letzte Woche. Ich war auf der Toilette. Als sich zurückkam, sah ich das Ding auf meinem Tisch stehen. Genau hier.«
»Genau hier?«
»Genau so. Und ich hab’s sofort zu Yolanda raufgebracht, weil ich keinen Zettel dafür gekriegt hatte. Ich wollte sichergehen, daß Cheryl es sofort kriegt.«
»Du hast also bemerkt, daß es an Cheryl adressiert war?«
»Ich hab’ schließlich Augen im Kopf. Der Name war ja nicht zu übersehen.«
Ich sagte: »Natürlich. Aber eins find’ ich komisch, Stan. Als ich letzte Woche hier war, hab’ ich dich da nicht gebeten, mich sofort anzurufen, wenn dir noch irgendwas einfallen würde oder wenn so was Ähnliches noch mal passieren sollte?«
»Das hast du wohl«, sagte er. »Aber ich hab’s vergessen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, seit Cheryl den Laden übernommen hat... die ganzen Blumenlieferungen und alles. Totaler Streß, sag’ ich dir.«
»Wirst du daran denken, wenn es noch einmal vorkommen sollte?«
»Ja.«
»Du hast nicht zufällig heute einen großen Mann mit einem Schlapphut und einem Überzieher hier rumhängen sehen?«
Er sagte: »Nee, hab’ ich nicht.« Ich schrieb die Nummer von Do It Right auf die Liste für die Eingänge. Er würde keine Ausrede haben, wenn es ein nächstes Mal geben sollte.
Alex und ich gingen auf direktem Wege zu Gladmans Büro, um uns mit Martha über ihre Gesichtslotion-Kollektion zu unterhalten. Sie schien beim Midnight schwer Furore zu machen. Während wir die Sixth Avenue zu BG 8c B raufliefen, erzählte ich Alex, daß Cheryl Stingon mich angefleht hatte, Babysitter für sie zu spielen. »Aber während ich sie vor dem verrückten Sperma-Ballonisten beschütze, wer beschützt mich da vor ihr?« fragte ich. Alex lachte. Es war ein nettes Lachen, so echt, wie ein Lachen nur sein kann. Und dann beschenkte er mich mit einem wunderbaren Lächeln.
»Du sprichst also wieder mit mir?« fragte ich.
»Ich hab’ nie nicht mit dir gesprochen, Wanda.«
Ich beschloß, einen erneuten Anlauf mit meiner Rede zu machen. Ich sagte: »Alex, erst einmal möchte ich dir sagen, daß es mir leid tut und daß ich mich bei dir entschuldigen möchte.«
»Du gibst auch nie auf, was?«
Ich stellte mich doof. »Was geb’ ich nie auf?«
»Zu versuchen, dich mit netten Worten aus dem rauszuwinden, was du angerichtet hast.«
»Ich versuche nur, ehrlich zu sein.«
»Sag’ Bescheid, wenn dir dein Versuch geglückt ist. Dann reden wir drüber.« Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, aber Alex warf mir einen Vergiß-es-Blick zu. Ich war sauer, sagte aber nichts. Er sagte: »Konzentrieren wir uns jetzt erst einmal auf den Fall, ja? Auf uns können wir dann später zurückkommen.« Ich nickte. Er legte den Arm um meine Schulter. Mein Herz hüpfte. Ich schielte verstohlen zu ihm rüber. Er lächelte und schaute auf seine Schuhe. Es gibt kaum etwas, das so irritierend ist wie ein Mann, der es versteht zu warten.
Wir drehten eine Weile Däumchen in Gladmans eichenholzgetäfeltem Büro. Eine Sekretärin sagte uns, er hätte gerade eine Besprechung mit einem seiner Partner; in Wirklichkeit warteten wir darauf, daß Martha von der Mittagspause zurückkam. Während wir dasaßen und warteten, beschloß ich, mit Gladman über eine Fristverlängerung zu sprechen. Wir hatten nur noch anderthalb Tage. Beim bloßen Gedanken daran fing mein Schädel wieder an zu pochen. Ich fühlte mich hundeelend. Das einzige, was noch schlimmer ist als ein Tequila-Kater, ist ein Tequila-Kater, der gepaart ist mit Menstruationskrämpfen.
Gladmann kam rein und sagte mit falscher Freundlichkeit: »Ms. Mallory. Mr. Beaudine. Es ist mir wie immer ein Vergnügen. Ich sehe, Sie haben es sich bereits bequem gemacht.« Wir saßen auf den zu stramm gepolsterten französischen Stühlen. Er nahm hinter seinem klotzigen Schreibtisch Platz.
Alex sagte: »Diese Stühle sind sehr bequem, danke.«
Gladman sagte: »So hart gestopft wie eine Banane in der Schale. Nun, was kann ich heute für Sie tun?«
»Der Fall ist komplizierter, als wir dachten«, begann ich.
»Tut mir leid, das zu hören, Ms. Mallory.«
»Wir brauchen noch einen Tag mehr.«
Gladman lächelte mich an. »Ich hatte gestern ein reizendes Gespräch mit Pete Hamill.«
Verdammt. Ich sagte: »Und wie geht’s Pete?«
»Es geht ihm ausgezeichnet.« Gladman hob ruckartig den Kopf — er hatte seinen Trumpf gut ausgespielt. Er sagte: »Wenn ich Sie dann bitten dürfte, meine Herrschaften — ich erwarte einen wichtigen Anruf von der Küste.«
Ich sagte: »500 000 sind eine Menge Geld. Ich kann mir nicht vorstellen, das alles für mich allein zu behalten.« Ich konnte mir das verdammt gut vorstellen, aber das Schnüffelbusiness ist ein Geschäft, in dem man hin und wieder Kompromisse machen muß.
»Ich bin sicher, Sie werden einen Weg finden«, sagte Gladman.
»Ich wußte gar nicht, daß Sie so ein ehrenhafter Mann sind.«
»Ich bin sicher, es gibt eine Menge Dinge, die wir voneinander nicht wissen, Ms. Mallory.«
Das war es also. Kein Deal. Keine Verlängerung. Ich sagte: »Wir wollen mit Martha sprechen.«
Gladman sah mich mit großen Augen an. Höflichkeit ist nicht gerade meine starke Seite.
Alex sagte: »Wanda will damit sagen, Sir, wir hoffen, daß es Ihnen nicht ungelegen ist, wenn wir noch warten, bis Martha von ihrer Mittagspause zurückkommt.«
Gladman sagte: »Geht es schon wieder um diese Schuhe? Ich schlage vor, daß Sie sie später am Nachmittag anrufen. Ich habe sie zur City Hall geschickt, um einige Recherchen für mich zu machen. Sie wird frühestens in einer Stunde zurückkommen.« Wir dankten ihm und gingen.
Unser nächstes Ziel war Do It Right. Es war später Nachmittag, und ich hatte rasende Kopfschmerzen. Ich haßte diese verdammte Deadline. Ich guckte, ob der Mann mit dem Schlapphut sich wieder vor der Imbißstube herumdrückte, aber er war nirgends zu sehen. Ich fragte mich, ob er womöglich nur in meiner Einbildung existierte. Die Herren Leutnants Dick O’Flanahey und Bucky Squirely lungerten mal wieder in meinem Büro rum. Es schien mal wieder ein echter Horrortag zu werden. Dick zwirbelte seinen Schnäuzer und sagte: »Wurde auch langsam Zeit. Arbeitet ihr Typen eigentlich nicht?« Bucky war damit beschäftigt, Fussel aus seinen Hosentaschen aus dem Fenster zu werfen. Ich ging an ihnen vorbei und setzte mich auf meinen Stuhl. Alex folgte meinem Beispiel.
Ich formte ein Zelt mit meinen Hände. Meine Herren, womit kann ich ihnen behilflich sein?«
»Herren?« sagte Bucky.
Dick sagte: »Komm schon, Tom. Es schadet doch nichts, wenn einem ab und zu mal ein bißchen wohlverdienter Respekt entgegengebracht wird.«
»Wohlverdient?« fragte Alex.
Dick sagte: »Das meint jedenfalls unser Boß. Er ist der Meinung, und wir übrigens auch, daß wir den Fall Beatrice abhaken können. Und« — er setzte ein selbstgefälliges Schmunzeln auf — »Leutnant Squirely und ich werden befördert. Aber das könnt ihr alles morgen in der Zeitung lesen, nach der Pressekonferenz.«
Ich sagte : »Ihr habt Johann eingebuchtet?«
Bucky sagte: »Ganz recht.« Er nickte heftig.
Ich sagte: »Und es stört die Herren im Department wohl gar nicht, daß Johann nicht der Mörder ist.« (Er konnte es sehr wohl sein, aber ich dachte ja gar nicht daran, die beiden Weggehen zu lassen, ohne sie nicht wenigstens verunsichert zu haben.)
Dick sagte: »Wonach riecht das hier?« Er reckte seinen Riechkolben vor und schnüffelte. »Riecht ihr das nicht? Riecht wie saure Trauben.«
»Das einzige, was ich rieche, ist euer Schweiß«, erwiderte ich.
Dick sage: »Du hältst dich wohl für eine ganz Schlaue. Aber du kannst von mir aus sagen, was du willst, Zuckerpuppe. Für das New York Police Department ist der Fall abgeschlossen. Während wir uns hier unterhalten, kassieren ein paar Uniformen gerade Johann Pesto ein. Und das dürfte bedeuten, daß der Fall auch für dich abgeschlossen ist. Ich fürchte, du wirst keinen Cent von der Beatrice-Kohle sehen. Und das dürfte wohl bedeuten, daß du diesen lächerlichen Saftladen hier dichtmachen kannst. Zu schade auch.«
»Gott sei Dank«, fügte Bucky hinzu.
»Und was für Erkenntnisse haben nun letztendlich zur Lösung des Falls geführt?« fragte Alex.
»Das würdet ihr wohl gerne wissen«, sagte Bucky grinsend.
Alex sagte: »Ach eigentlich nicht. Wenn der Fall abgeschlossen ist, was bringt das dann noch? Ist eh Wurscht. Wir geben uns geschlagen. Wir stellen unsere Ermittlungen ein.«
Ich sagte: »Den Teufel werden wir tun.«
Alex sagte: »Doch, Wanda, wir hören auf. Die Polizei hat den Fall gelöst.« Er warf mir einen Tu-mir-den-Ge-fallen-Blick zu. Dick fing ihn auf.
Dick sagte: »Da hat er recht, Schätzchen. Laß den Jungen reden. Ist doch richtig gekonnt, wie er das macht, wie er versucht, Informationen aus uns rauszukitzeln.« Alex zuckte mit den Achseln.
Ich sagte: »Wenn ihr hierhergekommen seid, um uns zu verarschen, dann habt ihr euer Soll jetzt erfüllt. Wie wär’s, wenn ihr jetzt die Fliege machen würdet?«
»Ich wollte euch gerade erzählen, wie wir mit brillanter Kombinationsgabe den Fall gelöst haben«, beschwerte sich Dick. »Aber wenn ihr die Geschichte nicht hören wollt, dann gehen wir wohl besser.«
»Dann haut endlich ab. Worauf wartet ihr noch? Auf die Wiedergeburt Christi?«
»Dann willst du also nicht hören, wie wir mit sagenhafter Weisheit und phantastischem Scharfsinn den Mörder zur Strecke brachten«, nölte Dick.
Ich sagte: »Nicht einmal der Dalai Lama könnte mich dazu überreden, euch zuzuhören. Weil das, was ihr mir zu erzählen habt, eh nur gequirlte Scheiße sein kann. Weil Johann nämlich nicht der Mörder ist. Und ich hab’ jede Menge Beweismaterial, um das zu untermauern«, log ich. Dicks Gesicht hinter dem Schnäuzer glühte.
Bucky sagte: »Ach ja? Zum Beispiel?«
»Das würdest du wohl gerne wissen.«
Dick brüllte: »Diese Frau redet nur Mist.«
Ich sagte: »Dann wollt ihr also nicht die Story meiner sagenhaften Weisheit und meines phantastischen Scharfsinns hören?«
Dick zwirbelte seinen Schnäuzer, nur mit Mühe seine Wut im Zaum haltend. »Da haben wir’s schon wieder. Keine Achtung vor dem Arm des Gesetzes. Und du weißt, wie sehr mich das auf die Palme bringt. Ich gebe dir jetzt die Chance, deiner Pflicht als Staatsbürgerin nachzukommen und uns über alles zu unterrichten, was du weißt. Sonst könnte es sein, daß du und dein Partner diese Ermittlung von einem Krankenbett aus zu Ende bringen müßt.«
Ich sagte: »Aber ich rede doch nur Mist, schon vergessen?« Dick kam auf mich zu. Eine Sekunde lang befürchtete ich, zu weit gegangen zu sein. Aber im letzten Moment beherrschte er sich und machte auf dem Absatz kehrt. »Komm, wir gehen«, sagte er zu Bucky. Sie gingen hinaus. Ich brüllte ihnen durch die offene Tür nach: »Ich werde morgen bei dieser Pressekonferenz dabeisein. Wir werden ja sehen, wer in die Zeitung kommt.«
Sie kamen zurückgestürmt. Alex sprang neben mich und hob abwehrend den Arm. Dick hielt drohend den Finger vor meine Nase und brüllte: »Der Fall ist abgeschlossen. Hast du gehört?« Ich nickte, und sie gingen.
Das Telefon klingelte. Es war der obszöne Anrufer. Er sagte: »Heute krieg’ ich dich.«
Das hatte mir noch gefehlt zu meinem Glück. Ich warf mich über meinen Schreibtisch. Alex legte die Hand auf meine Schulter. Für eine Mikrosekunde überlegte ich, wie schlimm es wohl auf der Uni sein mochte. Alex holte mich zurück.
»Irgendwas wird sich schon ergeben, Wanda«, sagte er. »Irgendwas muß sich ergeben.« Ich schaute ihn an. Im Licht der Nachmittagssonne, das durch das Fenster hereinfiel, wirkte sein Gesicht wie Bronze. Ich glaube nicht, daß er jemals besser ausgesehen hatte. Neben seinem Talent, immer das Offensichtliche zu bemerken, hat er auch noch das Talent, immer das Richtige zu sagen.
Ich sagte: »Hab’ ich dir in der letzten Zeit eigentlich mal gesagt, daß du schwer in Ordnung bist?«
»Nein«, sagte er mit einem charmanten Lächeln.
Ich sagte: »Dann erinner’ mich bei der nächsten Gelegenheit dran.«
Ein paar Stunden später versuchten wir, BG & B anzurufen. Martha war noch nicht zurückgekommen, und Gladman klang besorgt. Ich legte auf und sagte Alex, ich würde Martha suchen gehen. Alex wollte mitkommen, aber ich sagte ihm, er solle lieber zur Polizeiwache gehen und Johann interviewen. Ich dachte mir, daß Johann bereit sein würde zu reden, wenn ihn die Bullen erst mal eine Weile in der Mangel gehabt hatten.
Meine erste Station war Marthas Wohnung. Aber auf mein Klingeln hin tat sich nichts, weder bei ihr noch bei Johann. Ich schaute bei Stephanopoulos rein, ob Cosmos vielleicht da war, aber er war nicht da. Martha war auf der Flucht — fragte sich nur, wovor. Die Sonne war bereits untergegangen, und die Abendluft war kühler als an all den Tagen zuvor. Ich steuerte eine Bar in der Nähe von Johanns und Marthas Wohnung an. Das einzige Mittel, wie ich jetzt meine verdammten Kopfschmerzen loswerden konnte, war, was zu trinken.
Ich fand einen freien Hocker, und der Barkeeper fragte mich, was ich haben wollte. »Das Fell des Hundes, der mich gebissen hat.« Er zog eine Augenbraue hoch. Ich sagte: »Ein Margarita mit Eis wär’ nicht schlecht.« So viel zu meiner Im-Dienst-nur-Wodka-Regel. Ich kippte den Drink runter und machte die Biege.
Der Alk half. Es war draußen eiskalt geworden. In der Agentur hatte ich einen Pullover in meiner Schreibtischschublade. Ich winkte mir ein Taxi und fuhr zurück zu Do It Right, um nachzusehen, ob Martha vielleicht eine Nachricht für mich hinterlassen hatte.
Ich stieg am Broadway aus. Auf dem Weg zur Agentur begutachtete ich mich in einem Schaufenster. Meine Haare waren eine Nummer zu wüst. Im Gehen flocht ich mir einen Zopf. Die Straße war voll, wie üblich um halb zehn abends an einem normalen Wochentag. Ein Kribbeln lief mir den Rücken hoch wie ein Affe an einem Kletterseil. Ärger lag in der Luft. Ich fuhr herum. Ich erkannte niemanden, als ich die Straße rauf und runter blickte. Ich setzte meine Brille auf und guckte noch mal. Nichts.
Ich nahm wie immer die Abkürzung über die Baustelle an der 43. Straße. Sobald ich von der Straße runter war, wurde die Nacht still. Ich fühlte mich sicherer so. In meiner Hast stolperte ich über einen Holzbalken. Ich fluchte und rappelte mich wieder hoch. Eine Stimme sagte: »Ich hoffe, dir ist nichts passiert.« Ich drehte mich um und sah niemanden.
»Wer ist da?« fragte ich.
Er sagte: »Ich hab’ dir ja gesagt, heute krieg’ ich dich.« Der Mann mit dem Schlapphut war hinter einem Stahlträger hervorgetreten. Es war zu dunkel, um sein Gesicht zu erkennen. Mein Herz klopfte wie wild. In der Eile hatte ich Mama im Büro vergessen.
»Wer sind Sie?«
Er sagte: »Dein Haar gefällt mir offen besser.« Ich wich so unauffällig zurück wie möglich. Mein Knöchel tat weh. Ich guckte zur Straße rüber. Kein Mensch kam vorbei.
»Es hing mir ständig im Gesicht rum.« Ich wich weiter zurück.
Er sagte: »Noch einen Schritt, und ich bring’ dich um.« Ich blieb stehen. Er kam näher. Ich überlegte, ob ich wegrennen sollte, aber ich wußte nicht, ob er eine Knarre in der Tasche hatte. Er sagte: »Du bist sehr hübsch heute abend.« Er kam noch einen Schritt näher. Das Licht einer Straßenlaterne fiel auf sein Gesicht. Es war Cosmos.
Ich sagte: »Schau, Cosmos, ich hab’s eilig. Ich hab’ eine Verabredung.«
Er sagte: »Ich verlier’ meinen Job wegen dir.«
Ich schluckte hart. Ich sagte: »Das tut mir leid. Ich helf’ dir morgen einen neuen suchen.«
»Ich will keine Hilfe.«
Ich sagte: »Dein Hut gefällt mir. Du trägst ihn oft, nicht? Hast du ihn Donnerstagabend nicht auch aufgehabt? Als du eine Frau mit langen braunen Haaren gegenüber von der Imbißbude überfallen hast? Ich weiß alles darüber, Cosmos. Ich kann dir helfen. Komm, wir gehen rauf in mein Büro und reden, okay?«
»Nein!« schrie er. »Ich will nicht mit dir reden. Du redest zuviel. Du hast mich neulich total blamiert. Und ich wollte bloß tanzen gehen.«
Mit einer blitzartigen Bewegung packte er meine Handgelenke und drückte mich gegen einen Sägetisch. Er sagte: »Wir tanzen jetzt.« Er hob mich hoch und warf mich auf den Tisch. Etwas Spitzes, Hartes drückte sich in meinen Rücken. Ich schrie auf. Ich versuchte mich aufzurichten, aber er preßte mir eine Hand auf die Rippen und drückte mich runter, und mit der anderen hielt er meine Handgelenke umklammert.
»Ihr Amerikanerinnen meint immer, ihr wißt so viel«, murmelte er. »Ihr meint immer, ihr könnt alles. Dann guck’ dich doch jetzt mal an.« Obwohl ich mich mit aller Kraft wehrte, schaffte er es, meine Jeans aufzuknöpfen und sie mir bis zu den Knien runterzuzerren. Dabei kullerte das harte Ding, das mir in den Rücken piekste, unter mir weg und blieb direkt neben mir auf dem Tisch liegen. Es war ein dicker, verbogener Nagel. Cosmos riß mir den Slip runter. Er machte seine Hose auf und zerrte seinen Schwengel raus. Ich bäumte mich auf dem Tisch auf und strampelte mit den Beinen. Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Er hielt seinen Schwanz in der Hand. Er sagte: »Jetzt siehst du, daß es stimmt, was sie über die griechischen Männer sagen.« Ich hörte auf zu zappeln und schaute hin. Ich versuchte, mich so weit zu beruhigen, daß ich klar denken konnte. Ich mußte irgendwie hier raus. Ich sagte: »Es stimmt.« Er lächelte. Ich sagte: »Er gefällt mir.« Er sagte: »Ich wußte, daß er dir gefällt. Die Amerikanerinnen lieben starke Männer.«
»Laß mich ihn anfassen.«
»Ich sag’ dir schon, was du machen sollst.«
»Sag’ mir, daß ich ihn anfassen soll.«
»Faß ihn an«, sagte er. Er ließ meine Hände los. Ich streichelte ihn sanft mit einer Hand. Mit der anderen tastete ich im Dunkeln nach dem Nagel. Ich hatte ihn schon fast in der Hand, als Cosmos plötzlich zurückzuckte. Er schlug mir ins Gesicht und stieß mich zur Seite weg. Er sah den Nagel. Er hob ihn auf, schlug mir wieder ins Gesicht und drehte mich auf den Bauch.
Er sagte: »Wie gefällt dir das?« Ich spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Hinterbacke. Er hatte mich mit dem Nagel gestochen. Blut lief an meinem Bein runter. Und Finger drängten sich in mich hinein. Das ist also Angst, dachte ich.
Plötzlich war Cosmos von mir weg. Ich sprang von dem Tisch runter. In der Hektik hatte ich vergessen, daß ich meine Jeans noch um die Knie hängen hatte. Ich fiel der Länge nach hin. Langsam hob ich den Kopf. Was ich sah: Cosmos lag auf dem Boden, eine Zwanzig-Zentimeter-Klinge an der Gurgel. Ich rappelte mich auf und zog meine Hose hoch. Meine Beine waren total verkratzt, und ich hatte mir bei dem Sturz das rechte Knie aufgehauen. Mein Knöchel tat höllisch weh. Ich setzte mich auf den Tisch und steckte mir eine Zigarette an. Ich sagte: »Ich dachte, du wärst im Knast.« Johann blickte nicht sofort auf. Er ließ die Messerspitze langsam zu Cosmos’ entblößten Genitalien runtergleiten. Cosmos wimmerte. Johann sagte: »Ich hatte mich in der Orchid Lounge versteckt. Was für ein Glück, daß ich dich über die Straße gehen sah. Ich wollte zu dir, um mit dir zu sprechen.«
»Ich hatte diesen Kerl genau da, wo ich ihn haben wollte«, log ich.
»Wenn du ihn da haben wolltest, wo er war, dann kann ich dir eine gute Therapeutin empfehlen.«
»Doch nicht unsere Freundin Deb aus der Orchid Lounge?« fragte ich.
»Genau die.«
»Ich hätte gar nicht gedacht, daß wir irgendwelche gemeinsamen Freunde haben — außer Belle natürlich.« Johann bugsierte Cosmos auf die Beine. Ich schnippte meine Kippe weg und humpelte zu ihnen. Ich machte Cosmos die Hose wieder zu und rammte ihm herzhaft das Knie in die Eier. Er knickte vornüber. Johann hielt ihn an den Haaren fest.
»Was willst du mit ihm machen?« fragte Johann.
»Bringen wir ihn zu Do It Right. Und Johann — vielen Dank auch.«
Er lächelte. Hab’ ich eigentlich schon erwähnt, daß Johann ein supernetter Typ ist? Wir machten uns auf den Weg zum Büro, ich humpelnd, Johann den heulenden Griechen hinter sich herschleifend. Ich wollte Antworten von Cosmos. Aber Hut oder nicht, ich hatte inzwischen entschieden, daß er nicht der Kerl war, der Martha überfallen hatte. Der Würger war anders vorgegangen. Nicht ein einziges Mal während des Vergewaltigungsversuchs war Cosmos mit seinen Händen auch nur in die Nähe meines Halses gekommen.