Ankunft einer jungen Dame

Es stellte sich heraus, daß Monikas Vorsicht berechtigt war.

Am Abend des nächsten Tages traf Tante Elly ein. Sie fuhr in einem flotten Sportcoupe vor, das Peter und Liane sehr beeindruckte. Für Monika waren Autos nicht so interessant, sie hatte Tiere lieber.

Kaspar hatte bei ihrer Ankunft angeschlagen, und alle waren vor das Haus gelaufen. Tante Elly trug lange Hosen, eine Pelzjacke und hatte eine Krokodiltasche über den Unterarm gehängt. Bevor sie die Schmidts begrüßte, nahm sie noch einen langen Pelzmantel vom Nebensitz. Sie war eine sehr elegante junge Dame, und Liane hätte sich wohl gewünscht, so gekonnt aus einem schicken Auto zu steigen. Aber Monika mußte sich zu einem heiteren Gesicht zwingen. Sie dachte an die vielen Tiere, die für Tante Ellys Pelze und ihre Handtasche das Leben hatten lassen müssen. Natürlich wußte sie, daß das ein dummer Gedanke war, denn wieso sollte ein Nerz mehr Recht auf sein Leben haben als ein Kälbchen, dessen Fleisch sie selber durchaus nicht verschmähte. Aber trotz dieser Gedanken konnte sie ihr Mißtrauen der pelzbehängten jungen Dame gegenüber nicht überwinden.

Tante Elly hatte hellblondes Haar, das ihr wie eine Löwenmähne auf die Schultern fiel. Obwohl auch Liane und Frau Schmidt blondes Haar hatten, vermutete Monika, daß sie es bleichte. Ihre Zähne waren strahlend weiß, ihr Lächeln von großer Herzlichkeit, um die blauen Augen trug sie ein gekonntes Make-up, das sie noch größer und leuchtender erscheinen ließen.

„Sieht sie nicht fa-bel-haft aus?“ flüsterte Liane beeindruckt.

„Wie in den Farbtopf gefallen“, gab Monika respektlos zurück.

„Du hast eben noch keine Ahnung“, entgegnete Liane verächtlich. „Ich werde mir jedenfalls von ihr zeigen lassen, wie sie das macht!“

Tante Elly umarmte Herrn Schmidt mit — wie es Monika schien — übertriebener Innigkeit und küßte ihn erst auf die eine, dann auf die andere Wange, wobei — o Wunder! — keine Spur von Lippenstift zurückblieb.

„Oh, Max, wie freue ich mich, dich wiederzusehen! Zu süß, daß du in dieser Situation gleich an mich gedacht hast!“ Sie trat einen Schritt von ihm zurück, um ihn besser betrachten zu können. „Gut siehst du aus... ja, du bist wirklich immer noch ein sehr gutaussehender Mann, das muß man dir lassen. Ein bißchen Fett hast du ja angesetzt, aber das werden wir bald weg haben. Ich werde diät für dich kochen, einverstanden?“ Jetzt wandte sie sich den Mädchen zu. „Das ist deine Älteste, nicht wahr?“ Sie reichte Liane die Hand. „Durchaus schon eine junge Dame, wie ich sehe! Reizend!“

„Du kannst für mich auch diät kochen, Tante Elly!“ bat Liane, von dem Benehmen der Besucherin sehr eingenommen.

„Du bist zwar schlank genug, aber diät zu essen schadet ja nie. Ich selber lebe auch nach Diät... deshalb auch die Figur!“ Sie öffnete ihre Pelzjacke und vollführte eine kleine Pirouette. „Mutter ist auch nicht dick!“ rutschte es Monika heraus.

„Als wenn ich das gesagt hätte!“ Jetzt wandte Tante Elly sich ihr zu. „Ich habe doch nichts gegen deine liebe Mutti, im Gegenteil, wir sind gute Freundinnen...“

„Hilde kocht sehr vernünftig“, verteidigte Herr Schmidt seine Frau. „Wenn ich Speck angesetzt habe, dann kommt es vom Kantinenessen.“

„Genau dagegen werden wir etwas tun!“ Tante Elly lächelte Monika liebreizend zu. „Aber du, mein Schatz, bist wirklich dünn wie ein Bindfaden! Dich werde ich ordentlich mästen.“

„Damit werden Sie nicht viel Glück haben!“

„Aber Schätzchen, du darfst mich doch nicht siezen! Wir sind schließlich verwandt, ich bin fast deine Tante!“ Tante Elly beugte sich zu Monika herab und — hast du nicht gesehen — verpaßte ihr einen Kuß auf jede Wange; eine Wolke von Parfüm ging von ihr aus, und Monika mußte nießen.

„Ich esse gern Fleisch“, ließ Peter sich vernehmen.

„Sollst du kriegen, mein Junge!“ Tante Elly schüttelte Peter die Hand. „Ein werdender Mann muß kräftige Sachen futtern!“

„Mach dir nur nicht zuviel Mühe, Elly“, warnte Herr Schmidt, „so verwöhnt sind wir gar nicht.“

„Es wird mir Spaß machen!“ Sie drückte Peter den Autoschlüssel in die Hand. „Sei so lieb, hol meine Koffer aus dem Auto und bring sie in mein Zimmer. Sie sind ziemlich schwer, aber du wirst es schon schaffen.“

Peter stand, die Schlüssel in der Hand, verdattert da, und auch die anderen wußten nicht gleich etwas zu sagen.

Herr Schmidt faßte sich als erster. „Weißt du, das ist nämlich so, Elly, du wohnst gar nicht hier bei uns, wir haben dir...“

„Was?“ rief sie dazwischen. „Ich soll nicht bei euch wohnen?“

„Ganz richtig“, sagte Herr Schmidt unerschüttert, „wir haben dir ein schönes Zimmer in einem Bauernhaus besorgt.“

„In einem Bauernhaus?“ wiederholte Tante Elly mit einem Ausdruck, als wäre dies nun wirklich das Letzte vom Hintersten.

„Es ist ein wirklich schönes Zimmer“, kam Monika ihrem Vater zur Hilfe.

Tante Elly funkelte sie an. „Und ich dachte, ihr brauchtet mich!“

„Natürlich tun wir das Elly“, sagte Herr Schmidt beschwichtigend, „du mußt uns glauben, wir haben dir das Zimmer nur gesucht, weil wir wollten, daß du es gemütlich hast!“

„Und ruhig!“ fügte Monika hinzu.

„Aber kann es denn einen ruhigeren Platz geben als...“

Herr Schmidt faßte sie unter den Arm. „Jetzt komm erst mal herein, Elly, und laß dir erklären...“

Sie riß sich los. „Ich soll euch die Arbeit tun und ihr wollt mich spätestens am Feierabend los sein!“

„Davon kann nicht die Rede sein, Elly!“

„Das kommt mir aber doch so vor!“

„Du irrst dich!“

„Sollten wir nicht jetzt wirklich, bitte, hineingehen?“ mischte sich Liane ein. „Ich friere Stein und Bein!“ Sie klopfte sich auf die Oberarme.

„Ich will, daß meine Koffer ins Haus kommen!“

Peter gab nach. „Na gut, wenn du darauf bestehst...“

„Wenn du erst alles weißt, Tante Elly“, sagte Liane, „wirst du es dir bestimmt anders überlegen!“

„Das werden wir ja sehen!“

Die Schmidts waren gerade dabei gewesen, Waffeln zu backen. Monika fettete das Waffeleisen wieder ein, goß mit der Kelle Teig hinein und klappte es zu. Liane holte ein Gedeck für Tante Elly und schenkte ihr eine Tasse Tee ein. Als Tante Elly, die ihre Pelze aufgehängt und ihr Aussehen im Spiegel kontrolliert hatte, wiederkam, schob Peter ihr einen Stuhl zurecht. Alle waren von ausgesuchter Liebenswürdigkeit ihr gegenüber.

Tante Elly selber war wie umgewandelt. „Entschuldigt den Auftritt“, bat sie mit einem zuckersüßen Lächeln, „aber ihr werdet verstehen, ich hatte fest damit gerechnet...“

„Sicher, Elly“, sagte der Vater, „niemand nimmt dir das übel.“

„Ich hatte immer nur gehört, daß ihr ein großes Haus erworben habt. Hilde schrieb mir einmal sogar, erinnere ich mich, von einem Gästezimmer.“

„Das haben wir auch, Tante Elly“, bestätigte Liane, „bloß... es ist noch nicht eingerichtet.“

Tante Elly lachte erleichtert. „Wenn das alles ist, das können wir doch leicht ändern! Sicher habt ihr doch irgendwo ein Klappbett stehen?“

„Ja“, gab Monika zu, „auf dem schlafen unsere Freundinnen, wenn sie uns besuchen.“

„Na also. Dann wäre das schon geritzt. Und sicher gibt es auch ein paar alte Möbel auf dem Dachboden...“

„Die haben wir als Sperrmüll abholen lassen“, sagte Herr Schmidt.

„Das war schön dumm von euch. Heutzutage kann man ja noch den ältesten Plunder verkaufen. Es gibt Leute, die sind verrückt darauf.“

„Wir hatten unsere Gründe“, verteidigte sich Herr Schmidt.

„Aber sicher, Max!“ Tante Elly schenkte ihm einen großen Augenaufschlag und legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich bin weit entfernt, dir Vorwürfe machen zu wollen! Wie käme ich denn dazu!“

„Die Waffel ist für dich!“ Monika hatte das Eisen aufgeklappt, spießte die Waffel mit der Gabel auf und legte sie Tante Elly auf den Teller. „Die ist zwar nicht diät, dafür schmeckt sie.“

„Magst du Sahne oder Zitrone in den Tee, Tante Elly?“ fragte Liane.

„Nur Zitrone. Keinen Zucker, bitte! Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, ich weiß wieder. Ihr habt keine alten Möbel im Haus. Dann werde ich morgen eben nach München fahren und mir bei einem Trödler einen billigen Schrank kaufen, in den ich meine Kleider hängen kann, vielleicht auch noch einen Tisch und einen Stuhl... Ihr könnt euer Gästezimmer dann zur Erinnerung an mich das ,Tante-Elly-Zimmer‘ nennen.“

„Ich möchte nicht, daß du dir diese Ausgaben machst“, sagte Herr Schmidt, aber es klang nicht überzeugend.

„Das tue ich doch gern. Ich kann, ohne zu übertreiben, von mir sagen, daß ich eine gutverdienende Frau bin! Und was hätte es schon für einen Sinn, sein ganzes Geld auf die hohe Kante legen zu wollen? Verlaßt euch drauf, ich werde mir mein Kämmerchen schon gemütlich einrichten.“

„Es ist kein Kämmerchen“, widersprach Monika, „sondern ein sehr schönes Zimmer.“

„Um so besser. Wenn euch meine Einrichtung später nicht mehr gefällt und ihr es luxuriöser haben wollt, dann könnt ihr sie einfach wieder zum Sperrmüll geben.“ Tante Elly lächelte beifallheischend, trennte eines der Waffelherzen ab und biß mit gutem Appetit hinein.

Die Schmidts schwiegen betreten.

„Hm, hm, sehr gut“, sagte Tante Elly, „tut ihr da Zitrone hinein?“

„Geriebene Zitronenschale.“ Monika nahm sich ein Herz. „Tante Elly, es gibt einen Grund, warum wir nicht möchten, daß du hier wohnst.“

„Ihr möchtet nicht? Höchst interessant.“ Tante Ellys blaue Augen begannen gefährlich zu glitzern. „Sprich dich nur aus!“ Monika holte tief Luft. „Weil es bei uns spukt.“

Tante Elly, die wieder in ihre Waffel beißen wollte, blieb der Mund offen. „Es spukt?“ wiederholte sie fassungslos.

„Ja“, bestätigte Monika, die inzwischen das Waffeleisen wieder neu gefüllt hatte.

Tante Elly brach in ein schallendes Gelächter aus. Sie lachte so sehr, daß sie sich verschluckte und Herr Schmidt ihr lange auf den Rücken klopfen mußte, bis sie wieder richtig atmen konnte. „Das ist der beste Witz, den ich je gehört habe“, brachte sie endlich, immer noch keuchend, hervor.

„Nein, es ist kein Witz, Elly“, stellte Herr Schmidt richtig, „leider nicht.“

„Max! Ich traue meinen Ohren nicht! Willst du mir etwa auch diesen Quatsch weismachen!“

„Aber es ist kein Quatsch, Tante Elly“, sagte jetzt Liane. „In unserem Haus spukt es. Das ist wirklich wahr.“

„Das könnt ihr mir doch nicht erzählen!“

„Monika hat das Gespenst sogar schon gesehen“, sagte Peter. „So? Hat sie das?“ Tante Elly sah Monika gar nicht mehr freundlich an. „Du siehst zwar aus wie eine kleine Hexe, aber das sag ich dir gleich: Bei mir kommst du mit deinen Gespenstergeschichten nicht an.“

„Du glaubst, ich hätte mir das Gespenst nur ausgedacht?“

„Genau das, mein Schatz! Wahrscheinlich hast du auch noch ein bißchen Tripp-Trapp nachts gemacht, Sessel gerückt und mit den Topfdeckeln geklappert und dich daran gefreut, daß es dir gelungen ist, deine ganze Familie in Angst und Schrecken zu versetzen.“

„Du tust Monika unrecht, Elly“, sagte Herr Schmidt. „Ich muß zugeben, anfangs hatten wir sie auch im Verdacht. Aber wenn du mal einen von Amadeus’ Streichen erlebt hättest...“

„Amadeus?!“

„Ja, so nennt sich das Gespenst. Übrigens kannst du es dir an-sehen. Siehst du da drüben das Ölgemälde?“

Tante Elly stand auf und ging hin. „Dieser komische Knabe hier? Ein schlechtes Bild.“

„Aber so ähnlich sieht er aus. Nur ist er natürlich durchsichtig.“

Tante Elly wandte sich zu Herrn Schmidt um. „Und woher weißt du das?“

„Moni hat es uns erzählt.“

Daraufhin sagte Tante Elly nichts mehr, aber sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die deutlich zeigte, was sie von Monikas Erzählungen hielt.

„Wir waren dabei, wie Amadeus die Kartoffeln die Kellertreppe hat hinaufhüpfen lassen!“ berichtete Peter mit Nachdruck.

„Monika auch?“

„Ja“

„Telekinese“, erklärte Tante Elly kurz und bündig.

„Was ist denn das?“

„So nennt man die Fähigkeit, über die gewisse Menschen verfügen.“ Tante Elly warf Monika einen schrägen Blick zu. „Besonders in der Pubertätszeit. Sie können Dinge durch eine noch ungeklärte geistige Kraft in Bewegung bringen.“

„Aber Monika ist noch gar nicht in der Pubertät“, sagte Herr Schmidt. „Sieh sie dir doch an. Sie ist ja überhaupt noch nicht entwickelt.“

„Na und? Ich habe gesagt meistens, das muß doch nicht immer sein. Ich gehe jede Wette ein... gebt Monika aus dem Haus, und der ganze Spuk hat ein Ende.“

Alle sahen sie an, als hätten sie nicht richtig gehört.

„Jetzt bist du aber entschieden zu weit gegangen“, sagte Herr Schmidt endlich.

„Tut mir leid, ich bin nun mal ein sehr aufrichtiger Mensch“, entgegnete Tante Elly schnippisch, „ich sage, wie ich’s meine. Aufs Lügen und Beschönigen verstehe ich mich nicht.“

In diesem Augenblick fing das Ölgemälde, das angeblich Amadeus darstellte, sichtlich zu wackeln an.

„Und was sagst du dazu?“ riefen Liane, Monika und Peter im Chor.

„Telekinese!“ sagte Tante Elly.

Das elektrische Licht ging aus und wieder an.

„Ein Kurzschluß!“ rief die Tante.

Im Stock über ihnen polterte es dermaßen, als ob das ganze Haus zusammenbrechen wollte.

Tante Elly blickte Monika an. „Alle Achtung“, sagte sie, „das eine muß man dir lassen: Um Einfälle bist du nicht verlegen!“ Monika hob verzweifelt die Hände. „Aber glaub mir doch, ich habe mit diesen Erscheinungen gar nichts zu tun!“

Tante Elly lachte nur höhnisch.

„Es liegt wirklich nicht an Monika!“ beteuerte Herr Schmidt. „Wir wohnen inzwischen fast ein Jahr in diesem Haus. Du kannst uns also glauben, daß wir Bescheid wissen.“

„Eben nicht! Ihr habt euch ins Bockshorn jagen lassen.“ Tante Elly legte Herrn Schmidt die Hand auf den Arm und schenkte ihm einen betörenden Augenaufschlag. „Nun denk doch einmal nach: Soviel ich verstanden habe, ist Monika doch die einzige, die Amadeus je gesehen hat! Stimmt’s oder habe ich recht?“

„Ja, so ist es“, mußte Herr Schmidt zugeben, „sie hat das Gespenst gerufen, als wir alle einen Punkt erreicht hatten, wo wir die Störungen nicht mehr aushalten konnten!“

„Was für Störungen?“

„Du hast eben eine kleine Kostprobe von ihnen erhalten! Schlurfen, Stöhnen, ohrenbetäubendes Poltern, Klirren wie von zerschmetterndem Geschirr...“

„Alle möglichen Gegenstände flogen durch die Luft!“ erinnerte Peter.

„Und als Mutti eines schönen Sonntagmorgens die Betten, die sie gerade erst gemacht hatte, auseinandergerissen fand, da war es zuviel!“ berichtete Liane.

„Na und?“ gab Tante Elly unbeeindruckt zurück. „Ein Mensch mit telekinesischen Fähigkeiten kann so etwas durchaus anrichten, dazu braucht es kein Gespenst!“

In diesem Augenblick sah Monika, wie der Schöpflöffel, von unsichtbarer Hand bewegt, in die Schüssel mit Teig fuhr. „Tante Elly! Paß auf!“ rief sie warnend.

Zu spät! Der Löffel hatte schon seinen vollen Inhalt Tante Elly ins Gesicht geklatscht.

Sie sprang auf. „Das geht zu weit!“

„Amadeus! Benimm dich!“ rief Monika und drohte dem unsichtbaren Unruhestifter.

Peter mußte lachen. „Wenn du wüßtest, wie komisch du aussiehst, Tante Elly!“

Daraufhin rutschte Herrn Schmidt, der seine Kinder sonst niemals schlug, die Hand aus und landete auf Peters Wange.

„Aua!“ schrie der Junge empört.

„Entschuldige schon, aber ich bin ziemlich nervös“, sagte sein Vater.

„Das ist doch kein Grund!“ rief Peter beleidigt.

Liane hatte eine Schüssel voll lauwarmem Wasser und ein Tuch aus der Küche geholt. „Eine Tracht Prügel hättest du verdient!“ sagte sie böse. „Amadeus benimmt sich wieder einmal miserabel, und du lachst Tante Elly auch noch aus!“

Tante Elly stampfte mit dem Fuß auf. „Es gibt keinen Amadeus! Hört endlich auf mit diesem Gefasel!“

„Nun beruhige dich doch, Elly!“ bat der Vater.

„Setz dich bitte hin, damit ich dich säubern kann!“ drängte Liane. „Zum Glück ist noch nichts auf dein gutes Kleid getropft.“

„Keine Angst, das wird es auch nicht“, behauptete Monika. „Amadeus darf keine Sachen kaputtmachen, soviel steht fest!“

„Schon wieder Amadeus!“ schrie Tante Elly.

„Bitte stillhalten!“ bat Liane.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich alle beruhigt hatten. Aber endlich waren auch die letzten Spritzer von Teig aus Tante Ellys Gesicht entfernt. Dabei war auch ein Teil der Schminke abgegangen, aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie sah ohne die viele Farbe sympathischer und jünger aus. Monika hatte weiter Waffeln gebacken und frischen Tee eingeschenkt, und Amadeus schien sich, zufrieden mit seinem letzten Streich, zurückgezogen zu haben.

„So, jetzt ist es wieder friedlich!“ stellte Herr Schmidt erleichtert fest. „Aber du wirst doch zugeben, Elly, ob nun Amadeus oder wer auch immer dahintersteckt: es spukt in diesem Haus.“

„Das habe ich inzwischen gemerkt“, sagte Tante Elly grimmig und biß krachend in eine frische Waffel.

„Wenn du im Bauernhof übernachten würdest“, begann Monika, sehr vorsichtig jedes Wort abwägend, bevor sie es aussprach, „dann könnte ich wahrscheinlich dafür sorgen, daß tagsüber nichts passiert.“

Tante Elly blickte sie, die sorgsam gezupften Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammengezogen, prüfend an. „Soviel liegt dir also daran, daß ich nachts nicht hier schlafe?“

„Mir?! Aber überhaupt nichts!“

„Dann möchte ich wirklich wissen, warum du mir einen so sonderbaren Vorschlag machst.“

„Weil wir dich brauchen, Tante Elly“, sagte Monika entwaffnend, „und weil ich nicht möchte, daß du einen Nervenzusammenbruch bekommst wie Mutti.“

„Einen Nervenzusammenbruch?“ fragte Tante Elly erstaunt. „Ich dachte, sie hätte sich das Bein gebrochen.“

„Hat sie ja auch! Aber damals, als die Betten auseinandergerissen waren — wir haben dir doch gerade eben davon erzählt — da war sie ganz aus dem Häuschen!“

„Und wir wollen doch nicht, daß dir das gleiche passiert!“ fügte Herr Schmidt hinzu.

Tante Elly wandte ihm den Blick zu. „Du willst mich also auch nachts forthaben? Was geht hier vor?“

„Es spukt!“ rief Peter. „Hast du das denn immer noch nicht begriffen? Und tagsüber kann man einen Spuk gerade noch ertragen, wenn man sich daran gewöhnt hat, meine ich. Aber wenn man keine Nacht schlafen kann...!“

„Wir haben das mitgemacht, Tante Elly!“ sagte Liane.

„Ja, wir können ein Lied davon singen!“ unterstützte der Vater die beiden.

Wäre Tante Elly etwas weniger selbstsicher gewesen, so hätte sie sich sicher überzeugen lassen. Andere Frauen hätten in dieser Situation ihre Koffer gar nicht erst ausgepackt und wären gleich wieder auf und davon gegangen. Aber Tante Elly hatte, wie man so schön sagt, Haare auf den Zähnen.

„Ich werde mir einfach die Ohren zustopfen!“

„Das hilft nicht! A...“ Liane hatte Amadeus sagen wollen, stockte aber gerade noch rechtzeitig und verbesserte sich. „Er zieht auch die Bettdecken weg ..

„Wer?“

„Der Spuk.“

„Gut, daß du mich darauf aufmerksam machst. Ich werde meine Bettdecke festbinden.“

Herr Schmidt seufzte schwer. „Du bist also entschlossen, hier bei uns zu schlafen?“

„Ja. Und warum nicht? Was ihr könnt, kann ich schon lange.“

„Daran zweifelt ja niemand. Was wir dir klarzumachen versuchen... Gewöhnlich spukt es gar nicht so sehr, nur ein bißchen, in erträglichen Maßen möchte ich sagen...“

„Na also!“

„... aber niemand kann Voraussagen, was geschieht, wenn ein Fremder im Haus ist!“

„Erstens bin ich kein Fremder, sondern deine leibhaftige Verwandte, Max, und zweitens lasse ich mich aus Prinzip nicht vergraulen, von keinem Menschen...“, dabei sah sie Monika an, „... und schon gar nicht von einem Spuk.“

Herr Schmidt gab es auf. „Ganz wie du willst, Elly“, sagte er ergeben, „machen wir uns also gleich dran, das Gästezimmer so wohnlich wie möglich einzurichten.“

„Und morgen kaufe ich die fehlenden Möbel!“ trumpfte Tante Elly auf.

„Wer weiß, wie sie morgen darüber denkt“, flüsterte Monika ihrem Bruder zu.

Aber Tante Elly hatte es doch gehört. „Ich pflege meine Entschlüsse über Nacht nicht umzuwerfen“, erklärte sie hoheitsvoll.

Monika hätte einiges darauf zu sagen gewußt, aber sie zog es vor, den Mund zu halten.