6. Kapitel
Es waren zwei Tage vergangen, seit dem erotischen Erlebnis im President Plaza Theater. Zwei Tage, in denen sie sich über einiges klar werden musste. Alex hatte versucht, sie zu erreichen, aber sie ging ihm aus dem Weg. Denn sie musste erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen. Der Sex mit Alex war unbeschreiblich, doch die Gewissensbisse danach nagten an ihr.
Lily wusste, dass das einfach nicht richtig war. Nach einer aufregenden ersten Nacht folgte gleich darauf ein weiteres sexuell erregendes Erlebnis. Nun musste sie durchatmen und zu sich kommen. Wollte sie das so weitermachen? Wollte sie sich weiter in die sexuellen Fänge des Alexander Willoughby begeben? Denn sie wusste, wenn sie so weitermachte, würde sie irgendwann nicht mehr stark genug sein, um ihm widerstehen zu können. Dann würde ihr Körper die Kontrolle über ihren Geist übernehmen und nach immer mehr erotischen Erlebnissen lechzen.
Die Lady Charlotte würde nun noch sieben Tage auf hoher See sein, bevor sie in Rio de Janeiro ankommen würden. In dieser Zeit musste sie Enthaltsamkeit walten lassen. Vielleicht würde sie zu einem Abendessen mit Alex gehen, aber selbst da bestünde die Gefahr, dass er einfach wieder unwiderstehlich sein würde. Daher war jeder Tag, an dem sie ihn nicht sah, ein Gewinn ihres Geistes.
Es war bereits Nachmittag. Am Morgen hatte sie zwei Stunden im Fitnessstudio verbracht und zwei im Wellnesstempel. Nun war es wieder an der Zeit, am Oberdeck die Sonne zu genießen und sich auszuruhen. Sie hatte einen roten Bikini mit zarten Farbabsetzungen an und eine große Sonnenbrille auf. Sie legte sich auf das Handtuch auf ihrer Liege und genoss die Wärme der Sonne.
Es musste wohl eine Stunde vergangen sein, da wurde sie angesprochen.
»Ich dachte schon, du bist über Bord gefallen«, sagte Elijah Bennett.
Lily schmunzelte und nahm die Sonnenbrille ab. Gleich mit dem ersten Satz hatte er wieder ein gutes Gefühl bei ihr geweckt. Sie sah den freundlichen Mann mit einem Lächeln an. Er trug ein blaues Shirt der New York Yankees und weiße Shorts, die ihm bis zu den Knien reichten.
»Nein, das Meer hätte mich sicher gleich wieder ausgespuckt. Ungenießbar.«
Elijah lachte. »Darf ich mich zu dir setzen?«
»Gerne«, sagte Lily und klopfte mit der Hand auf die Liege, die neben ihr stand.
Elijah nahm die Einladung gerne an.
»Was hast du denn die letzten Tage so gemacht? Ich habe dich ja seit unserem Shopping-Marathon nicht mehr gesehen.«
Lily wurde wieder leicht rot im Gesicht, da ihr sofort die erotischen Erlebnisse mit Alex in den Sinn kamen. Elijah, das würdest du nicht wissen wollen, dachte sie.
»Ich habe die Annehmlichkeiten der Lady Charlotte genossen. Dazu wird wohl auch keine Weltumrundung ausreichen, um all das auszuschöpfen, was das Schiff zu bieten hat«, sagte Lily.
»Da hast du wohl Recht. Von den Bahamas nach Rio haben wir ja jetzt mit die längste Zeit, die wir nur auf See sind. Elf, zwölf Tage, glaube ich. Dann sind wir ja immer nur ein paar Tage unterwegs, bevor wir wieder anlegen.«
»Wenn wir an jedem Hafen anlegen würden, dann würden wir die Umrundung in drei Monaten wohl auch nicht schaffen.«
»Das stimmt«, sagte Elijah.
»Und du, was hast du getrieben?«, fragte Lily und kam sich dabei unanständig vor, denn Elijah hatte in den letzten Tagen sicher nicht solchen Sex gehabt wie sie.
»Ich habe das Fitnessstudio besucht, meine Boule-Qualitäten verbessert, die Schiffs-Bibliothek ausführlich besucht und ansonsten an Bord faul in der Sonne gelegen.«
»Das hört sich doch alles sehr gut an«, sagte Lily. Sie wollte eigentlich auch die Bibliothek besuchen. Bisher hatte sie das nicht getan. Das würde sie die nächsten Tage nachholen. Bis Rio hatte sie dazu noch etwas Zeit.
»Wie gefällt dir deine geschenkte Reise bisher?«, fragte Lily.
Elijah lächelte. »Super! Da gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Und du? Hat dein Geist schon angefangen, sich zu entspannen?«
Von wegen seelischer Entspannung, dachte Lily. Das war der ursprüngliche Plan, doch nun herrschte in ihr große Aufruhr. Elijah machte auf sie einen sehr netten Eindruck. Sollte sie ihm etwas von ihrer Gefühlswelt erzählen?
»Geht so. Ich bin etwas durcheinander.«
»Das hört sich ja nicht danach an, als ob du im Erholungsmodus wärst.«
»Das ist etwas schwierig im Moment.«
»Was beschäftigt dich denn so?«, fragte Elijah.
»Ich weiß nicht, ob ich darüber mit dir reden kann«, sagte Lily und zuckte mit den Schultern.
»Wir haben uns ja schon ein bisschen kennen gelernt. Du kannst mir gerne alles erzählen, was dich bedrückt, bei mir ist es so sicher wie in einem Bankschließfach hinter einer meterdicken Stahltresortür.«
»Einer meterdicken Stahltresortür? Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen«, sagte Lily mit einem Lächeln.
»Nein, garantiert nicht.«
»Mir ist etwas passiert, mit dem ich nicht gerechnet hatte und das, wenn ich nicht aufpasse, bald außer Kontrolle gerät.«
»Das hört sich sehr kryptisch an. Aber okay, dann lass uns die Situation mal analysieren. Wenn du jetzt noch die Möglichkeit hast, Kontrolle über die Situation zu gewinnen, solltest du diese wahrnehmen. Denn wenn einmal etwas außer Kontrolle gerät, können schlimme Dinge passieren. Ich weiß, wovon ich spreche«, sagte Elijah. Sein freudiger Gesichtsausdruck war gewichen.
»Danke für den Rat. Ich werde mich daran halten. Versprochen! Ich will ja eine schöne Zeit verbringen, davon gerne auch ein bisschen mit dir.«
Oh, was hat sie dummes Schaf da nun gesagt? Das wollte sie doch gar nicht. Zeit mit Elijah verbringen. Warum sagte sie sowas? Lag es daran, dass Elijah so war, wie er war? Er hörte zu, er gab Ratschläge, sie fühlte sich wohl bei ihm und sie konnte Spaß mit ihm haben. Das alles war ihr Eindruck, aus den Stunden, die sie bisher mit Elijah verbracht hatte. Er war das genaue Gegenteil von Alex. Und bei der Liebes-Numerologie schnitt er ja auch nicht so schlecht ab.
»Ähm, ja, also gerne«, sagte Elijah.
»Habe ich dich wieder durcheinander gebracht?«
»Ja, aber wie. Ich würde mich freuen, wenn ich Zeit mit dir verbringen könnte und du mir noch mehr von dir erzählst«, sagte Elijah. »Ich fange gleich mal damit an. Warst du schon einmal richtig verliebt?«
»Du legst aber gleich richtig los. Ja, ich war schon mehr als einmal richtig verliebt. Zumindest dachte ich das. Leider wurde ich immer wieder enttäuscht.«
»Möchtest du mir davon erzählen?«, fragte Elijah.
Lily überlegte kurz und begann mit der Beziehung, die am meisten düstere Schatten bei ihr hinterlassen hatte. Die Beziehung zu James Richards.
Sie erzählte Elijah, wie sie James bei der Geburtstagsfeier ihrer besten Freundin kennen gelernt hatte und wie es mit ihrer Beziehung gelaufen war.
»Das hört sich doch bis hierher alles sehr romantisch an«, sagte Elijah.
»Es war schön, ja, aber ich habe nach einigen Monaten einfach gemerkt, dass James ein Mann ist, der nur auf den ersten Metern alles gibt. Sobald eine Beziehung läuft, dachte er, muss er dafür nichts mehr weiter tun. Ein bisschen Zeit verbringen, ein paar schöne Stunden abholen, fertig.«
»Das hört sich wiederum nicht nach der großen Liebe an.«
»Ich dachte, sie in ihm gefunden zu haben. Aber ich wurde bitter enttäuscht und nicht nur das.«
»Wieso?«
»Ich habe herausgefunden, dass er fremdging.«
»So ein Mistkerl!«, sagte Elijah zornig. »Oh, entschuldige.«
»Nein, du hast ja Recht. Genau das war er. Ich wollte mich von ihm trennen. Aber was dann kam …«
»Was passierte dann?«
Lily erzählte Elijah, wie es weiterging, als sie James den Brief in ihrer Wohnung hinterlassen hatte, mit der Bitte, aus ihrer Wohnung innerhalb einer Woche auszuziehen.