Anja
Meine Freundin und ich haben uns zum monatlichen Bummel durch die Hamburger City verabredet. Friseur, Shopping und einen Cocktail im ehemaligen Alster Pavillon trinken. Nach einem anstrengenden Schaufensterbummel durch Hamburgs Einkaufspassagen warte ich schon eine halbe Stunde auf ihr Eintreffen und genehmige mir bereits den zweiten Caipirinha in praller Sonne. Ich befürchte schon, dass ich volltrunken mit dem Taxi allein nach Hause fahren muss, weil sie sich kurzer Hand dazu entschlossen hat, beim Star Coiffeur ihre Haarfarbe zu wechseln.
»Der Colorist hat überraschend einen Termin frei. Da konnte ich nicht widerstehen. Trink einen Kaffee auf meine Kosten. Ich verspäte mich nur um eine Stunde«, schreibt sie mir in einer SMS. Ich antworte ihr gerade »Alles zum Wohl der Schönheit«, als mich jemand fragt, ob er sich dazu setzen darf. Ich nicke selbstverständlich und schaue meinen Tischnachbarn erst an, als er mir gegenüber sitzt.
»Sag nicht, das wäre ein Zufall«, schimpfe ich gleich in Martins Gesicht.
»Doch, ich war hier mit einem Kunden zur Kurzbesprechung verabredet.«
»Lüg nicht schon wieder. Wir haben uns jahrelang nie zufällig getroffen. Also warum gerade jetzt?«
»Vielleicht, weil ich es mir seit Tagen so sehnlich wünsche. Ich vermisse dich, Charlotte. Sag doch was!«
»Zahlen!«, rufe ich dem Kellner zu, aber der Blödmann ignoriert mich. Martin will mich zum Essen einladen. Er meint, auf Dauer nur Cocktails zu trinken, könne nicht gesund sein.
»Und du solltest mal eine Mahlzeit auslassen! Übergewicht ist bei Männern in deinem hohen Alter ein ernstzunehmender Risikofaktor.«
»Du sorgst dich um meine Gesundheit?«
»Ich sage dir, dass du zu fett bist. Selbst bei deiner Köpergröße von über 2 Metern bist du stark übergewichtig.!«
»Ich bin 1,99 und du hast Recht. Ich habe zugelegt. Geht es dir jetzt besser, nachdem du mich so beleidigt hast?«
»Nur wenig!«
»Dann tu dir keinen Zwang an und sage mir, was dich noch stört.«
»Dafür bist du mir nicht wichtig genug!«
»Oh, das war aber ein böser Verstoß gegen Regel zwei! Eine faustdicke Lüge. Ich bin dir nämlich nicht egal. Ich kann es an deinen funkelnden Augen sehen. Diesen Blick kenne ich nur zu gut. Also komm endlich runter und sei wieder zahm.«
»Zahm? Wenn du zahm suchst, dann bist du bei mir aber völlig falsch.« Erst jetzt merke ich, dass er mich nur provozieren wollte und ich ärgere mich darüber, dass ich es nicht rechtzeitig erkannt habe.
»Du willst mit mir spielen? Als gut. Wir spielen Verstecken und du zählst bis hundert.« Ich lege zwanzig Euro auf den Tisch und verlasse ohne Abschiedsgruß das Lokal.
Wutentbrannt fahre ich nach Hause. Auf Anjas Mailbox hinterlasse ich die Nachricht, dass unser Treffen ausfällt. Als ich vor meiner Haustür stehe, entdecke ich ein Paket. Der schwarze Lackkarton trägt keine Aufkleber. Weder von der Post noch von den einschlägigen Paketdiensten. Ich glaube nicht, dass mir jemand eine Briefbombe schickt und rufe nicht die Polizei oder den THW an, sondern reiße neugierig den Deckel hoch. Meine Augen starren gebannt auf eine Lederjacke im Biker Stil der Größe 38. Feinstes, schwarzes Nappaleder. Und auch noch von meinem Lieblingslabel. Das ist doch die Jacke aus dem Schaufenster von heute Morgen! Das super teure Teil, für das ich ein halbes Monatsgehalt investieren müsste. Wer schenkt mir ein so kostbares Kleidungsstück? Ich suche nach einer Karte und werde unter dem dünnen Seidenpapier fündig. Völlig verblüfft lese ich die handgeschriebenen Zeilen.
Für den Müll ist diese Jacke zu schade, oder? Umtausch bei Nichtgefallen nur in meiner Gegenwart. Ich küsse dich. MS
Ich schaue noch einmal die Straße hinauf, aber ich kann Martins Wagen nicht entdecken. Bei King Kong ist auch niemand zu Hause. Die Nachfrage, ob er etwas beobachtet hat, kann ich mir sparen. Ich gehe ins Haus und noch im Flur ziehe ich die Jacke über. Sie ist federleicht und passt wie angegossen. Auf nackter Haut fühlt es sich an, als wenn mich Martins Hände streicheln würden. Woher wusste er? Wann hat er das Paket vor die Tür gelegt? Ich bin drauf und dran ihn anzurufen und mich zu bedanken. Aber mein Verstand siegt und befiehlt mir, das sündhaft teure Geschenk nicht anzunehmen. Mit einem leichten Seufzer ziehe ich die Jacke wieder aus und lege sie zurück in den Karton.
»Wenn du sie nicht willst, dann gebe sie mir. Ich hätte keine Skrupel, sie zu tragen«, sagt Anja, als sie mir stolz ihre neue Frisur vorstellt. Ehrlich gesagt, finde ich, dass sie genau wie vor dem Friseurbesuch aussieht.
»Eine neue Farbe kann ich auch nicht entdecken. Und dafür hast du extra hundert Euro mehr ausgegeben?«
»Was hast du denn vermutet? Dass ich mich von dunkelbraun in Pumuckel rot umfärben lasse. Genau das macht einen guten Coloristen doch aus, dass die Farbe natürlich wirkt. Sonst hätte ich mir auch eine billige 5 Euro Tube aus dem Drogeriemarkt kaufen können.« Ich habe das Thema Haare schon längst abgehakt und denke darüber nach, wie ich die Jacke wieder loswerden kann, ohne mit Martin zusammen zu treffen.
»Ich werde sie morgen mit der Post an die Firma schicken. Per Einschreiben und Rückschein.«
»Dir ist ja nicht zu helfen«, sagt sie und verschwindet in ihre Haushälfte.
Den Nachmittag verbringe ich im Schatten meiner Terrasse. Schließlich will ich das rapide Zellsterben meiner bald fünfzigjährigen Haut nicht noch weiter beschleunigen. Mit einem guten Buch habe ich es mir auf den Korbstühlen gemütlich gemacht. Erst als Kurt schwanzwedelnd zur Pforte rennt, blicke ich auf. Martin tritt in den Garten und ruft mir schon von weiten zu
»Mein Geschenk hat dir also nicht gefallen?«
»Was willst du hier?«
»Dir Benehmen beibringen! Wenigstens ein kurzes Dankeschön per SMS wäre doch wohl angebracht gewesen, oder?«
»Ich nehme die Jacke nicht an!«
»Gefällt sie dir nicht?«
»Woher wusstest du ....? Hast du mich etwa heute beim Bummeln beschattet?«
»Das hätte ich gern gemacht. Aber vielleicht erinnerst du dich daran, dass ich ein Unternehmen leite und mir die Zeit fehlt, dir auf deiner Shopping Tour heimlich zu folgen.«
»Dann sage mir, woher du wusstest, dass mir die Jacke gefällt. Und wie konntest du sie so schnell herbringen? Ich bin doch sofort nach Hause gefahren.«
»Sie gefällt dir also doch!«
»Weiche mir nicht aus. Also?«
»Den Tipp mit der Jacke hatte ich von Anja. Geliefert hat sie ein Kurier. Und nun sprich mir nach!« Er kniet sich dicht vor meinen Stuhl und schaut mir listig ins Gesicht. »Wenn man ein Geschenk bekommt, sagt man Danke. Wenn man Besuch bekommt, bietet man seinem Gast einen Platz an. Man sagt auch nicht in aller Öffentlichkeit zu einem Mann, der einen so gern hat, dass er alt und fett ist.«
»Das hat dich getroffen, oder?«, stelle ich mit gewisser Genugtuung fest.
»Es trifft mich viel mehr, dass du nicht zu deinen Gefühlen stehst.«
»Ich eigne mich nicht zu einer heimlichen Geliebten! Soviel Menschenkenntnis wirst du doch wohl besitzen, um das allein zu erkennen.«
»Wie kannst du das behaupten, ohne es vorher ausprobiert zu haben? Du machst es schon wieder! Statt einen Anfang zuzulassen, startest du gleich in der Mitte. Du hast deine Ungeduld nach fast zwanzig Jahren noch immer nicht im Griff. Das ist zwar niedlich, aber in unserem Fall völlig kontraproduktiv.«
»Und wie hast du es dir vorgestellt? Du triffst dich zwischen zwei Terminen für einen Quickie mit mir. Vielleicht hältst du einmal im Monat einen halben Tag in deinem Timeplaner für mich frei. Ab und zu darf ich dich auf eine Geschäftsreise begleiten. Aber wenn mich jemand fragt, dann bin ich deine Assistentin? So etwa? Sag schon! Du wirst doch sicherlich schon praktische Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt haben.«
»Zweimal falsch. Keine Quickies und praktische Erfahrung habe ich auch nicht. Lotte, gib uns doch die Chance, uns näher kennenzulernen. Wir werden dann doch sehen, wohin uns das führt. Und antworte mir möglichst rasch, denn ich bekomme gleich einen Krampf und meine Knie schmerzen, wenn ich hier noch länger in dieser Haltung verharren muss.«
»So, Arthrose hast du also auch schon. Na, da hab ich ja einen Fang gemacht!«, lache ich ihn aus.
»Dein Humor ist überaus grenzwertig!«
»Komm, steh schon auf, du alter, morscher Fettsack und begleite mich ins Haus. Ich will dir meine neue Jacke vorführen.«
»Guten Morgen, Judas«, begrüße ich die heimliche Verbündete meines Geliebten. Anja grinst über das ganze Gesicht und meint, ich sollte mich lieber bei ihr bedanken. Ich finde, ich habe mich in den letzten Stunden bereits ausreichend für die schöne Jacke bedankt.
»Er ist über Nacht geblieben. Erst gegen sechs Uhr habe ich seinen lauten Porsche abfahren hören. Im Übrigen, King Kong hält ihn für deinen Zuhälter.« Ich zeige ihr meinen Stinkefinger und gehe die heutigen Bestellungen durch.
»Wir sollten künftig keine Brote mehr anbieten. Die schweren Säcke Mehl gehen mir eindeutig zu sehr auf die Knochen.« Anja verzieht das Gesicht.
»Wir können auch ganz schließen, wenn dir die Arbeit zu schwer wird und du deine letzte Kraft für deinen Martin brauchst.«
»Kann ich auch mal ein ernstes Gespräch mit dir führen, ohne dass du gleich alles ins Lächerliche ziehst? Ja, mir wird die körperliche Arbeit zu anstrengend. Ich wuchte hier ständig mit 20 und 50 kg schweren Säcken umher. Und das alles für einen lächerlichen Gewinn von fünfhundert Euro im Monat und zwar vor Steuer.«
»Seit wann sind 500 Euro lächerlich für dich? Du bist nicht Frau Seibert, meine Liebe. Du bist nur sein Gspusi!« Das hätte sie nicht sagen dürfen. Alles, aber das nicht!
»Verzieh dich heute aus meiner Küche und komm erst wieder, wenn du bereit bist, dich zu entschuldigen. Das war unterste Schublade!«
Wir sprechen schon seit einer Woche kein Wort mit einander. Täglich stelle ich ihr meine Sachen vor den Lieferwagen und gehe wortlos in meine Haushälfte zurück. Lena hat versucht, zwischen mir und ihrer Mutter zu vermitteln. Aber ohne Erfolg. Es gab in den vergangen Jahren schön öfter mal Streit zwischen uns, aber nie haben wir über Tage hinweg nicht miteinander gesprochen. Mein Festnetzanschluss klingelt und ich freue mich auf das Gespräch, denn ich erkenne die lange Nummer aus Memphis, USA.
»Guten Morgen, Elvis«, begrüße ich meinen Sohn und er lacht. Er teilt mir mit, dass er nicht zu meinem Geburtstag kommen kann.
»Tut mir wirklich leid, Mum. Aber diesen Termin kann ich unmöglich verschieben. Aber Larissa und die Kinder kommen. Schließlich ist es dein .....« Ich unterbreche ihn und bitte ihn, diese Zahl nicht immer so explizit zu betonen. Er fordert mich auf, ihm an diesem Tag kräftig die Daumen zu drücken. Wenn alles klappt, wird er den Posten des Europa Managers bekommen und fortan nur noch in den Staaten arbeiten und leben.
»Und Larissa ist einverstanden?«
»Hat sie eine Wahl?«, lacht er und ich bin erschüttert über sein egoistisches Verhalten. Ich beschließe, meine Schwiegertochter anzurufen.
»Klar kommen wir zu deinem Geburtstag. Und nein, ich werde mit den Kindern hier bleiben. Ein Leben als einsame Manager Gattin in den USA kommt für mich nicht in Frage. Wir haben in Frankfurt unser Zuhause. Dort sind unsere engen Freunde, liebe Nachbarn und hier fühlen wir uns wohl. Wenn Julian die Karriere wichtiger ist als seine Familie, dann soll er gehen. Aber allein.« Ich seufze laut auf. Genau diese Reaktion habe ich vorhergesehen.
Ich bin noch ganz in Gedanken versunken, als das Telefon erneut klingelt.
»Frau Charlotte Talbach?«, fragt eine aufgeregte Frauenstimme und ich bejahe. »Hände weg von meinem Mann, sonst lernen Sie mich kennen!« Mir rutscht das Herz in die Hose, denn ich weiß sofort, mit wem ich spreche. Trotzdem stelle ich mich blöd und frage
»Wer sind Sie? Und was wollen Sie von mir?«
»Mein Name ist Ute Buchwald und es hat sich ausgelottet!« Ich breche in schallendes Gelächter aus und bitte Buches Madame, sich erst einmal locker zu machen, um im Sprachgebrauch ihres Mannes zu bleiben. »Streiten Sie es nicht ab. Sie wurden gesehen. Und dann auch noch in meinem Haus.«
»Ja, Frau Buchwald ich war in Ihrem wunderschönen Haus. Und Thea und Steffi haben mich gesehen. Aber ich bin nur eine alte Kollegin Ihres Mannes, die ihn davor bewahrt hat, sich vor Kummer ins Unglück zu stürzen. Wenn Sie an weiteren Details interessiert sind, dann fragen Sie Lutz.« Madame beruhigt sich langsam und fragt nach meiner Adresse. Sie möchte mich kennenlernen und bittet mich um ein Treffen. Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll, denn ich mische mich grundsätzlich nie ein, aber ich stimme ihrem Wunsch zu.
Martin schmunzelt, als ich ihm abends von Utes Anschuldigungen berichte.
»Das geschieht dir Recht. Hoffentlich hat sie dir deine schönen Hammelbeine langgezogen. Ich fand auch, dass dein Trösten ein wenig zu weit ging.« Storchenbeine, Hammelbeine. Da sieht man mal, wie unterschiedlich die Betrachtungsweisen der Männer sind. Ich setze mich auf, stütze mich auf seinen nackten Oberkörper und spreche leise, so als wenn ich ihm ein streng gehütetes Geheimnis anvertrauen würde.
»Im ersten Moment hatte ich eine Scheißangst, dass es deine Corinna ist, die mir den Marsch bläst.«
»Keine Angst, Lotte. Sie würde dir nicht den Marsch blasen, sondern eine außerordentliche Gesellschafterversammlung einberufen und mich an den Eiern packen.«
»Wie meinst du das?«
»Themawechsel! Sie war es nicht und damit gut!« Ich schätze es gar nicht, wenn er ein Gespräch auf diese Weise beendet. Fehlt nur noch, dass er »Basta« sagt.
Ich erzähle ihm, dass Julian nicht zu meinem Geburtstag kommt.
»Planst du eine große Feier?«
»Bisher haben wir es immer so gehalten, dass ich Anjas Feste organisiert habe und sie meine Feiern ausgerichtet hat. Aber zwischen uns herrscht Funkstille und ich werde auf keinen Fall den ersten Schritt auf sie zu machen.«
»Sturkopf!«
»Mir steht sowieso nicht der Sinn danach, diesen runden Geburtstag zu feiern. Am liebsten würde ich mich den ganzen Tag unter der Bettdecke verkriechen.«
»Wunderbare Idee. Ich leiste dir Gesellschaft.«
»Daraus wird nichts. Meine Schwiegertochter und die Enkelkinder reisen aus Frankfurt an und bleiben über Nacht.«
»Dann werden wir beide reinfeiern. Warte, ich muss nur ein, zwei Termine verlegen und dann machen wir es so.«
»Du verlegst tatsächlich für dein Gspusi wichtige Termine?« Martin schüttelt den Kopf. Er hält mir vor, gar nicht zu wissen, wovon ich rede. Mit seinem Iphone öffnet er die Website vom Duden und liest mir laut vor
»Gspusi oder auch Liebste, Schatz, Auserwählte, Angebetete.....«
»Ja, diese Stellenbeschreibung finde ich eindeutig besser.«
»Was wünscht du dir von mir zum Geburtstag. Womit kann ich dir eine Freude machen?« Ich überlege nicht lange und sage »Ich möchte wieder einmal neben dir aufwachen. In dein verquollenes Gesicht schauen. Gemeinsam mit dir ausgiebig frühstücken, dich dann zur Arbeit schicken und mich danach noch einmal für zwei Stunden faul aufs Ohr legen, ohne dass ich von Motorengeräuschen oder Knoblauchgeruch gestört werde.« Ich kann selbst nicht glauben, dass ich das gesagt habe. Was war denn das für ein Seelen Striptease, den ich gerade vor meinem Liebsten, Schatz, Auserwählten und Angebeteten hingelegt habe.
»Diesen Wunsch erfülle ich dir gleich morgen früh. Ich gehe nur rasch über die Straße und ziehe die Zündkabel aus King Kongs Wagen.«
»Du bleibst bis zum Frühstück?«
»Ja. Es sei denn, du hast vor, mich mit deinem fettfreien Diät Müsli abzuspeisen.«
»Komm her, mein Dickerchen. Die beste Methode, abzunehmen, ist immer noch körperliche Ertüchtigung. Und diesmal strengst du dich an und ich liege gemütlich auf dem Rücken!«
»Gemütlich? Gemütlich wird es bestimmt nicht. Das ist ein Versprechen!«
Es ist sechs Uhr morgens. Der Himmel ist strahlend blau und es scheint ein schöner Sonnentag zu werden. Durch das geöffnete Fenster ertönt wildes Vogelgezwitscher und der Duft frisch gebackener Croissants durchströmt schon das ganze Haus. Ich betrachte schon länger als 15 Minuten Martins Gesicht. Als er endlich die Augen aufschlägt, flüstere ich »Frühstück ist gleich fertig.«
»Seit wann bist du schon wach?«
»Nicht lange genug, um mich an dir satt sehen zu können.«
»Eine Nettigkeit aus deinem Mund noch vor dem Aufstehen? Lotte, du verwirrst mich!«
»Das ist gut. Das hält deinen Kreislauf in Schwung.«
»Glückwunsch, du hast es geschafft, innerhalb einer Minute das Gleichgewicht zwischen Freundlichkeit und Frechheit wiederherzustellen.«
In der Küche zeigt er sich erstaunt und beeindruckt zugleich.
»Du hast heute Morgen schon für uns gebacken? Und was sind das für viele verschiedene Marmeladen. Hast du die etwa auch alle selbst gemacht?«
»Ja, aber nicht heute Morgen. Also schau her, Heidelbeere-Vanille, Pfirsich-Mango, Zwetschge-Zimt, Erdbeer-Rhabarber, Kirsche-Amaretto und Kiwi-Limette. Das ist die im grünen Glas, die könnte einen Tick zu sauer ausgefallen sein. Oder magst du es lieber bitter? Ich glaube ich habe noch Orangenmarmelade im Magazin. Oder Gelée? Apfel und Birne müssten auch noch da sein.«
»Stopp Lotte, das reicht! Ich hab noch nie so viele bunte Konfitüren auf einem Frühstückstisch gesehen.«
»Mein Slogan! Treiben Sie es bunt... schon beim Frühstück.«
»Talent als Werbetexterin hast du also auch, mein Liebling.«
»Wie nennst du mich?« Jetzt habe ich ihn mit meiner Frage verunsichert und es tut mir sofort leid.
»Liebling! Weil ich dich lieb hab.«
Ich krabbel rasch auf seinen Schoß und lege meine Arme um seinen Hals. Nach einem langen Seufzer flüstere ich »Ich dich auch.« Ich soll es aussprechen. Er will den ganzen Satz von mir hören. Laut und deutlich soll ich es sagen, fordert er mich auf.
»Danke, dass du mich überredet hast.«
»Gern geschehen, aber das meinte ich nicht. Du weißt, was ich von dir hören will.« Ich schnaufe und mache ein Schmollgesicht.
»Ich hab... dich... auch..... lieb«, stottere ich leise.
»War das nun so schwer?«
»Ja, ziemlich! Im Zeigen bin ich besser.« Martin lacht laut und gleitet mit seiner Hand unter mein Shirt und streichelt über meinen nackten Rücken.
»Stimmt. Darin bist du unschlagbar. Überhaupt ist es kaum zu glauben, dass du übermorgen....«
»Wehe, du sagst die Zahl!«, unterbreche ich ihn. Er sagt sie nicht, sondern bietet sich an, mit Kurt die Morgenrunde zu machen.
»Als kleines Dankeschön für deine viele Mühe. Und du kannst jetzt wieder in die Falle gehen, so wie du es dir gewünscht hast.« Ungläubig schaue ich den beiden nach. Das ist ja wie Urlaub, denke ich und beschließe, statt wieder ins Bett, erst unter die Dusche zu gehen. Kurz darauf setze ich mich im Bademantel auf die Terrasse und trinke noch eine zweite Tasse Kaffee, als ich Martins Stimme höre. Er ist nebenan bei Anja und redet ihr gut zu.
»Ich mische mich in euren Streit nicht ein. Macht das bitte unter euch aus. Aber ich werde nicht dabei zusehen, dass Lotte keine Geburtstagsfeier bekommt. Gerade in diesem Jahr.«
»Wie kommst du auf die absurde Idee, ich könnte den Geburtstag meiner besten Freundin vergessen. Das Fest plane ich schon seit Monaten. Nur hat sie mir den Zugang zu ihrer Küche untersagt. Diese empfindliche Mimose! Jetzt findet das Fest bei Gerald statt. Im Restaurant zur Alten Mühle. Aber verrate es ihr noch nicht. Es soll eine Überraschung sein.« Zu Tränen gerührt gehe ich auf Zehenspitzen wieder hinein.
Als es an der Tür klingelt, drücke ich nur die Klinke herunter und sage »Nimm nächstes Mal den Schlüssel mit.« Ich warte darauf, dass Kurt durch den Flur stürmt und wie nach jedem Spaziergang erst einmal zu seinem Trinknapf läuft. Aber es ist kein Hund zu sehen. Erstaunt drehe ich mich zur Haustür um.
»Ich kriege einen eigenen Schlüssel? Das ist aber nett von dir«, höre ich eine Männerstimme sagen und es ist nicht Martin.
»Buche? Was machst du so früh hier?«
»Ich muss mit dir über meine Madame sprechen. Wo ist denn dein Hund?« Ich sage es so, als wäre es die absolute Selbstverständlichkeit der Welt, dass Martin mit ihm draußen ist. Buche grient.
»Was machst du hier so früh am Morgen? Hast du keinen Job?« Die unfreundliche Stimme gehört meinem Schatz, der durch den Garten ins Haus zurückgekommen ist.
»Ich habe Urlaub! Und du solltest dich langsam auf den Weg machen. Deine Aktien fallen gerade ins Bodenlose. Habe ich gerade auf nt-v gesehen.« Ich beende den kurzen Hahnenkampf und sage, dass Buche nur wegen Utes Anruf gekommen ist.
»Sie hat dich schon angerufen? Wann?«
»Gestern.«
»Und was hast du ihr gesagt?«
»Ich habe gesagt, dass wir beide ungeschützten Sex hatten und ich nun befürchten muss, von dir schwanger zu sein.«
»Lotte!«, sagt Martin und findet es gar nicht komisch.
»Hast du ihr wenigstens gesagt, dass der Sex einvernehmlich war und dass du Luder es warst, die mich nach allen Regeln der Kunst verführt hat?«
»Genau diese Worte habe ich gewählt.«
»Hättest du ihr nicht sagen können, dass du mich gezwungen hast. Dann hätte ich jetzt weniger Probleme.«
»Da musst du jetzt durch und sag nicht, es hätte sich nicht gelohnt!« Buche und ich biegen uns vor Lachen und Martin verabschiedet sich mit den Worten »Ihr seid beide nicht ganz dicht!«
Ich erzähle ihm den wortgetreuen Inhalt des Gespräches und erwähne auch, dass Ute den Wunsch hat, mich zu besuchen.
»Am besten du klärst eure Situation in einem aufrichtigen Gespräch mit deiner Frau und ihr kommt beide übermorgen zu meinem Geburtstag. O.J. und die Bienenkönigen werde ich auch noch einladen.«
»Vergiss es. Er wird nicht kommen, wenn er das mit dir und Martin erfährt.« Ich verstehe nicht und frage nach dem Grund.
»Es hat weniger mit dir zu tun. Das ist eine Sache zwischen ihm und Martina.«
»Weil Maja ohne Rücksicht auf Spatzl sofort zum Großkapital überwechseln würde?«
»Das ist es nicht. Frag O.J. selbst oder spreche mit Martin. Vielleicht irre ich mich ja auch und er freut sich über deine Einladung.« Die vielen unfreundlichen Blicke die ich von ihm in letzter Zeit empfangen habe, sprechen eher dagegen. Mein Morgengast will nach einem Kaffee aufbrechen. Ich bin ihm nicht böse, denn ich hab noch etwas Wichtiges vor. Aussöhnung mit meiner besten Freundin. Den »Sturkopf« will ich nicht auf mir sitzen lassen. Vor dem Haus werden wir von King Kong beobachtet. Ich flüstere Buche leise zu, dass er von ihm für meinen Freier gehalten wird. Ein böser Fehler! Denn nun nutzt er die Gelegenheit und brüllt lauthals über die Straße »1000 Euro die Nacht. Aber sie ist jeden Cent wert.« Ich schlage ihm laut kreischend auf die Schulter und sage »Martin hat vollkommen Recht. Du bist nicht mehr ganz dicht!«
»Er hat von uns beiden gesprochen. Also immer schön bei der Wahrheit bleiben!«
Unser lautes Gejuche hat Anja auf den Plan gerufen. Sie geht zu unserem Lieferwagen und schaut mich nicht an, sondern blickt stur auf den Boden.
»Wieder vertragen, du blöde Kuh?«, rufe ich ihr zu. Mit breit ausgestreckten Armen läuft sie auf mich zu.
»Ja, Lotte. Unbedingt. Ich bin schon ganz krank wegen unserem Streit. Bitte verzeih mir den blöden Spruch. Ich habe es nicht so gemeint.«
»Geschenkt!« Endlich! Endlich ist alles wieder gut.
Martin druckst am Telefon herum. Er kann sein Versprechen, mit mir reinzufeiern nicht einhalten. Ein wichtiger Termin ist ihm dazwischen gekommen.
»Bitte nicht böse sein. Ich komme morgen in die Alte Mühle, versprochen. Dann lerne ich auch deine Schwiegertochter und die Enkel kennen.« Ich bin ihm nicht böse. Schließlich bin ich nicht naiv und wusste, mit wem ich mich einlasse. Weil O.J. nicht auf meine Einladung reagiert hat, frage ich Martin nach dem möglichen Grund.
»Was ist das zwischen dir und Ottmar? Buche hat so eine Andeutung gemacht. Warum seid ihr euch nicht mehr Grün?« Ich erfahre, dass sich das Verhältnis der beiden schon vor über zehn Jahren abgekühlt hat. Zum Zeitpunkt als Martin einen Teil der Gesellschaft in eine AG umgewandelt hat. Er hatte O.J. angeboten mit einzusteigen. Aber er lehnte ab.
»Ich habe ihn drei Mal gefragt und er hat drei Mal Nein gesagt. Auf unserem Höhenflug wollte O.J. dann doch mit an Bord. Aber da war es zu spät. Das war seine eigene Dummheit und nicht meine Schuld. Vermutlich kann er sich seinen Fehler noch immer nicht verzeihen.«
Das ist eine plausible Erklärung, aber kein Grund, meine Einladung auszuschlagen. Ich mache einen letzten Versuch und rufe ihn an. »Hör mir zu, mein Lieber! Es ist mein Geburtstag, mein Fest und meine Einladung. Ich werde halbe Hundert und ich erwarte dich und Maja pünktlich. Und übe bis dahin ein freundliches und charmantes Lächeln, so wie ich es früher von dir gewohnt war. Verstanden? Schön, also dann bis morgen.«