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Ich wußte nicht, wieviel Zeit mir blieb, doch ich wußte, daß jede Minute kostbar war. Meiner Schätzung nach war eine Stunde die äußerste Grenze. Spätestens dann mußte ein Zimmermädchen den toten Cadott entdecken. An Hand der Zulassungsnummer seines Wagens ließ sich die Identität des Toten leicht feststellen; dann würde die Polizei eingreifen.
Der dritte Schlüssel an dem Bund, den ich im Motel gefunden hatte, paßte in das Schloß zu Cadotts Wohnung. Ich trat ein.
Ein muffiger Geruch schlug mir entgegen, als wäre die Wohnung tagelang nicht gelüftet worden.
Ich sah mich rasch um.
Auf einem Regal standen mehrere Bücher über Metaphysik: Das Rad des Schicksals, Die Philosophie des Fernen Ostens, Sühne und Karma.
Der Schreibtisch war abgeschlossen. Ich zog den Schlüsselbund heraus und fand ohne Mühe den Schlüssel, der zum Schreibtisch gehörte.
Ich öffnete die verschiedenen Schubladen. Hier herrschte peinliche Ordnung. Die eine Schublade enthielt Hefter, dem Alphabet nach gestellt, in der nächsten fand ich Kohlepapier, Schreibpapier, Umschläge und Briefmarken. Auf der Schreibtischplatte stand eine Reiseschreibmaschine.
Ich zog den Hefter mit dem Schildchen »F« heraus und fand darin, wie erwartet, eine Kopie des Briefes, den Cadott an Fisher geschrieben hate. Und dann entdeckte ich etwas, das mich erstarren ließ. Es war der Durchschlag eines Briefes, der zwei Tage zuvor an Mrs. Barclay Fisher geschrieben worden war.
Ich las ihn aufmerksam.
»Sehr geehrte Mrs. Fisher, ich darf zunächst darauf hinweisen, daß es mir fernliegt, mich in anderer Leute Angelegenheiten zu mischen. Ich bin ein Mann, der sein Leben der Aufgabe gewidmet hat, diese Welt schöner und besser zu machen.
Lois Marlow, die im Wisteria-Apartmenthaus in dieser Stadt wohnt, ist im Grunde ein anständiges Mädchen, doch sie liebt das leichte Vergnügen und die Frivolität und hat es noch nicht gelernt, die ewigen Wahrheiten zu begreifen und zu würdigen.
Ich habe mich ihr gewidmet, habe mir alle Mühe gegeben, sie zu der Einsicht zu bringen, daß wir Menschen ernten, was wir säen. Denn das Gesetz des Karma ist unbeugsam.
Vor fünf Jahren heiratete ich Lois. Sie war ein liebenswertes, unschuldiges Geschöpf, aber wir verstanden einander nicht. Sie ging nach Reno und ließ sich scheiden.
Seit dieser Zeit ist sie tiefer und tiefer gesunken. Sie denkt nur an Vergnügen und Abenteuer. Sie besitzt den Körper einer reifen Frau, aber den Geist und die Psyche einer Halbwüchsigen.
Sie bedeutet mir zuviel — ich kann das nicht ruhig mitansehen.
Ich komme nun zum Grund meines Schreibens. Ihr Mann verbrachte die Nacht mit Lois, als er anläßlich einer Tagung hier in San Franzisko war. Ich fühle die moralische Verpflichtung, Lois vor ihr selbst zu schützen.
Unter gewöhnlichen Umständen würde ich nicht daran denken, ihn allein für das Geschehene verantwortlich zu machen. Doch meine Nachforschungen haben ergeben, daß er an einem verwaisten kleinen Mädchen Vaterstelle vertritt. Mein Gerechtigkeitsgefühl verlangt, daß dieser Sache nachgegangen wird. Es muß den Behörden überlassen bleiben festzustellen, ob Ihr Mann die moralischen Voraussetzungen besitzt, einem Kind Vater und Leitbild zu sein.
Ich kann jetzt beweisen, daß Carl Jensen, ein Großfabrikant, mit voller Überlegung Erotik und Sex in seine Verkaufstaktik miteinbezieht. Junge Frauen werden dafür bezahlt, sich zu erniedrigen, damit Jensen seine Motoren verkaufen kann.
Ich habe Jensen gewarnt. Ein zweitesmal werde ich das nicht mehr tun. Dieser Mann ist ein Schandfleck der Gesellschaft.
Ihr Mann hat gesündigt. Und er hat einen anderen Menschen zur Sünde verführt.
Ihm muß Gerechtigkeit widerfahren.
Hochachtungsvoll, George Cadott.«
Ich faltete die Durchschläge der Briefe zusammen und steckte sie ein. Nach einem flüchtigen Blick auf meine Uhr sah ich auch die anderen Schubladen des Schreibtisches noch durch. Ich wußte, daß ich ein Risiko einging, doch hin und wieder mußte man etwas riskieren.
Ich fand ein ledergebundenes Tagebuch, das ich ebenfalls einsteckte. Dann machte ich rasch wieder Ordnung und verließ die Wohnung.
Im nächsten Lederwarengeschäft kaufte ich mir eine Aktentasche und steckte das Tagebuch, die Briefkopien und den Schlüsselbund hinein.
Dann nahm ich ein Taxi und ließ mich zu dem kleinen Bahnhof an der 3. Straße Ecke Townsend Street bringen. Dort verstaute ich die Aktentasche in einem Schließfach, steckte den Schlüssel dazu in einen Briefumschlag und bat eine Kellnerin an der Imbißtheke, den Umschlag gegen einen Dollar Trinkgeld für mich aufzubewahren, bis ich zurückkehrte.
Jetzt hatte ich nichts mehr zu fürchten. Wenn man mich durchsuchen sollte, würde man nichts finden.
In einem Taxi fuhr ich zu den Wisteria Apartments.
Ich wollte Lois Marlows Gesicht sehen, wenn sie erfuhr, was geschehen war.
Auf Zehenspitzen schlich ich mich an Duttons Wohnungstür vorbei. Der starke Duft frischen Kaffees drang durch die Türritze. Ich vermutete, daß die Duttons ein spätes Frühstück einnahmen.
Ich drückte auf den Klingelknopf neben Tür 229.
»Wer ist da?« rief Lois Marlow hinter der geschlossenen Tür.
»Donald Lam«, erwiderte ich.
Es blieb einen Moment still. Dann hörte ich das Geräusch der Sicherheitskette, die Tür öffnete sich.
Lois Marlow trug einen leichten Morgenrock, kleine Pantöffelchen und im Gesicht einen Ausdruck nachsichtiger Freundlichkeit. Sonst nichts.
»Der Detektiv aus der Flasche«, bemerkte sie. »Sie halten wohl nichts davon, einer Frau genug Zeit zu lassen, damit sie sich anziehen kann?«
»Sie sind angezogen.«
»Ich bin nicht angezogen. Ich bin notdürftig verhüllt.«
»Wollen wir uns hier im Korridor unterhalten, wo jeder zuhören kann, oder würden Sie mich freundlicherweise hereinbitten?«
»Es gibt noch eine Alternative.«
»Die wäre?«
»Daß wir uns gar nicht unterhalten.«
Ich lächelte nur und sagte: »Ich wollte meine Wettschuld bezahlen.«
»Welche Wettschuld?«
»Sie wetteten doch, daß ich George Cadott nicht finde. Ich wettete dagegen.«
»Sie haben ihn also nicht gefunden?«
»Würde ich sonst vielleicht bezahlen?«
»Worum haben wir gewettet?«
»Ich weiß es nicht mehr«, versetzte ich. »Ja, worum haben wir eigentlich gewettet?«
»Kommen Sie herein«, forderte sie mich auf. »Ich habe schon immer eine Schwäche für Männer gehabt, die freiwillig
Wettschulden bezahlen wollen. Ich bin nämlich sehr gewinnsüchtig, wissen Sie. Wie also wollen Sie Ihre Schuld begleichen?«
»Ich könnte Sie zu einem Drink einladen«, sagte ich.
Die Tür zu ihrem Schlafzimmer stand offen. Ich sah, daß das Bett noch nicht gemacht war. Sie ging zur Tür und schloß sie. Dann ließ sie sich auf dem Sofa nieder, schlug die Beine übereinander und blickte zu mir auf. Sie nahm sich eine Zigarette und steckte sie an.
»Sie sind wohl Frühaufsteher und treiben sich schon seit Stunden draußen herum?« meinte sie und blies mir eine Rauchwolke ins Gesicht.
»Nein, ich bin noch gar nicht so lange auf.«
»Wollen Sie eine Tasse Kaffee?«
»Gern.«
»Okay, wenn ich die Zigarette fertiggeraucht habe, setze ich das Wasser auf. Jetzt möchte ich erst einmal in aller Ruhe darüber nachdenken, was Sie wirklich hierher geführt hat.«
»Meine Wettschulden«, versetzte ich. »Das sagte ich Ihnen doch.«
»Ja«, meinte sie. »Ich weiß. Das war der erste Zug.«
»Wenn ich bei der Bezahlung meiner Schuld nicht kleinlich bin, sagen Sie mir vielleicht, wo George Cadott sich verkrochen hat.«
»Das weiß ich nicht. Ich riet ihm nur zu verschwinden.«
»Und er verschwand?«
»Ich nehme es an.«
»Sie haben recht. Er verschwand. Mich wundert nur, daß er Ihrem gewiß wohlgemeinten Rat so prompt und gehorsam gefolgt ist.«
»Ich erklärte ihm, daß ein Privatdetektiv hinter ihm her ist.«
»Und das beunruhigte ihn?«
»Ganz recht.«
»Sie wußten das?«
»Ich dachte es mir.«
»Könnten Sie mir vielleicht verraten, weshalb?«
»Donald, ich möchte gern in Ruhe meine Zigarette rauchen. Ich will ausspannen, ehe ich mit Ihnen geistige Klingen kreuze. Danach möchte ich Kaffee trinken, und wenn Sie ein netter Mensch sind, können Sie inzwischen Rührei und Schinken machen. Nach dem Frühstück können wir uns dann zusammensetzen und reden.«
»Es gibt eine Reihe von Fragen, die ich gern beantwortet hätte«, erklärte ich.
»Sie sind zu neugierig.«
»Na schön«, meinte ich. »Rauchen Sie Ihre Zigarette und lassen Sie sich von mir nicht stören. Eine Frage allerdings müssen Sie mir beantworten, ehe Sie den Kaffee auf setzen.«
Sie lehnte sich zurück, inhalierte tief und sah mich fragend an.
»Wie lautet die Frage?«
»Was veranlaßte George Cadott, plötzlich den Weltverbesserer zu spielen?«
Sie lächelte. »Das ist die Gretchenfrage, nicht wahr?«
»Es scheint so.«
Sie drückte ihre Zigarette aus. »Ich setze jetzt den Kaffee auf«, bemerkte sie und stand auf. Sie schritt an mir vorüber in die kleine Küche. Ich hatte Gelegenheit, mir den Morgenrock von hinten anzusehen. Er fiel sehr gefällig.
Ich hörte das Wasser in der Küche rauschen, hörte, wie sie das Gas anzündete, dann kam sie zurück.
»Ich trinke am liebsten Filterkaffee«, bemerkte sie.
»Ich auch.«
»Also gießen Sie den Kaffee langsam auf, sobald das Wasser kocht. Ich ziehe mir inzwischen etwas an.«
Sie verschwand im Schlafzimmer und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Sie fiel nicht ins Schloß, sondern blieb halb angelehnt. Lois schien das nicht zu kümmern. Ich spähte verstohlen um die Ecke, sah den Morgenmantel zu Boden fallen und den Widerschein der Morgensonne auf leicht gebräunter Haut.
»Passen Sie auf den Kaffee auf, Donald?« rief sie durch die Tür.
»Das Wasser kocht noch nicht.«
Sie öffnete die Tür. Im Unterrock stand sie vor mir. Die Konturen ihres Körpers hoben sich dunkel gegen das strahlend helle Licht aus dem Schlafzimmer ab.
»Machen Sie sich an die Arbeit, Donald. Es ist Zeit für die Rühreier und den Schinken.«
Ich ging hinaus und wusch mir die Hände. Dann öffnete ich die Tür des Eisschranks und holte Eier und Schinkenspeck heraus. Ich gab die Schinkenscheiben in die Pfanne und ließ sie über niedriger Flamme brutzeln. Dann schlug ich ein halbes Dutzend Eier in eine Schüssel und begann sie mit der Gabel leicht zu schlagen. Als der Schinken fast gut war, goß ich das Fett ab, ließ ihn noch ein Weilchen braten und nahm ihn dann heraus. Ich breitete drei Papierhandtücher aus und legte die Schinkenscheiben darauf, so daß das restliche Fett aufgesogen wurde.
Ich gab ein wenig Sahne zu den Eiern, schlug noch einmal leicht durch und goß die Mischung dann in die Bratpfanne.
Als die Eier dick zu werden begannen, erschien Lois Marlow und blickte mir über die Schulter.
»Wie geht’s?« fragte sie.
»Sehr gut. Ich bin ein altgeübter Frühstückskoch.«
»Wunderbar.«
»Wollen Sie ein bißchen Paprika zu den Eiern?«
»Gute Idee.«
»Und einen Tropfen Worcestersauce?«
»Hab’ ich noch nie probiert.«
»Es wird Ihnen schmecken.«
»Salz und Pfeffer?« fragte sie.
»Schon dran. Mit dem Pfeffer war ich sparsam, weil ich die Paprika schmecken möchte.«
»Der Schinken wird kalt.«
»Wenn ich die Eier herausnehme, werfe ich den Schinken noch einmal einen Moment in die heiße Pfanne, da wird er wieder warm.«
»Sie müssen verheiratet sein, Donald.«
»Nein.«
»Wieso sind Sie dann so ein guter Koch?«
»Ist das etwa das Erkennungszeichen des verheirateten Mannes?«
»Fast jeder verheiratete Mann muß doch lernen, ein anständiges Frühstück zu kochen, Donald. Die bessere Hälfte braucht ihren Schlaf am Morgen, sie bekommt Kopfschmerzen und schlechte Laune, wenn sie ihren Kaffee missen muß. Was bleibt dem lieben Ehemann da schon anderes übrig, als seine Talente in der Küche zu erproben? Und wenn er schon einmal am Kaffeekochen ist, kann er ja auch für die Eier und den Schinken sorgen.«
»Wirklich bequem.«
»Ja.«
»Aber George würden Sie wohl das Kochen nicht beibringen wollen?«
»Kommt darauf an.«
»Wie entwickelte sich bei George dieser Komplex?«
»Das möchten Sie gern wissen, nicht wahr?«
»Genau.«
Die Eier waren fertig. Ich lud sie auf eine Platte. Dann nahm ich den Schinkenspeck vom Papier und warf ihn in die heiße Pfanne. Ganz kurz drehte ich die Flamme auf groß und legte die Schinkenscheiben dann auf den Rand der Platte mit dem Rührei.
»Wenn ich es Ihnen verraten würde«, bemerkte sie, »würden Sie aus allen Wolken fallen.«
»Klingt ja sehr vielversprechend«, gab ich zurück. »Wollen Sie Toast?«
»Ja, bitte.«
»Da steht der Toaströster«, sagte ich. »Jetzt arbeiten Sie mal zur Abwechslung.«
Lachend steckte sie vier Scheiben in den Toaster, schaltete das Gerät ein und musterte mich nachdenklich, während sie wartete.
Ich blieb in der Küche, bis der Toast fertig und gebuttert war. Dann stellten wir alles auf ein Tablett und setzten uns im Wohnzimmer zum Frühstück hin.
Sie schenkte den Kaffee ein.
Ich nahm nur wenig Ei und aß langsam.
»Sie scheinen nicht sehr hungrig zu sein«, stellte sie fest.
»Das ist mein zweites oder drittes Frühstück heute.«
»Ich wußte ja, daß Sie ein Frühaufsteher sind.«
Sie trank einen Schluck Kaffee und machte sich dann mit gesundem Appetit an Eier und Schinken.
»Bravo, Donald«, sagte sie. »Sie wären der ideale Ehemann.«
»Ich fürchte, das ist eine Täuschung«, versetzte ich. »Ich bin nämlich ein Rohling. Ich würde meine Frau an den Haaren aus dem Bett zerren, wenn es sein müßte, und ihr bei- bringen, daß es Aufgabe der Frau ist, das Frühstück zu machen.«
»Das würden Sie nicht tun«, widersprach sie. »Wenn Ihre Frau sich Mühe gäbe, würden Sie sich auch Mühe geben.«
»Vielleicht.«
Sie schwieg einen Moment und musterte mich.
»Haben Sie sich denn Mühe gegeben in Ihrer Ehe mit George?« fragte ich unvermittelt.
Klirrend setzte sie die Kaffeetasse nieder und starrte mich an.
»Sie sind wirklich ein Detektiv.«
»Haben Sie George geliebt?«
Sie holte tief Atem. »Ich bildete es mir wenigstens ein.«
»Und was geschah?«
»Er änderte sich.«
»Und was führte zu dieser Veränderung?«
Sie sah mir forschend ins Gesicht.
»Bitte«, sagte ich. »Was führte zu der Veränderung?«
Noch immer ruhte ihr Blick nachdenklich auf mir.
»Er ermordete seinen Großvater«, sagte sie dann.
Ich wollte keine Miene verziehen, doch das gelang mir nicht.
»Ich wußte ja, daß Sie platt sein würden.«
»Bringen wir einmal Ordnung in dieses Durcheinander«, meinte ich. »Caroline Dutton ist seine Kusine?«
»Ja.«
»Und sie und George erbten von ihrem Großvater?«
»Richtig. George erbte doppelt soviel wie Caroline.«
»Beide zogen jedoch Nutzen aus dem Tod des Großvaters?«
»Genau.«
»Und Sie glauben, er wurde ermordet?«
»Ja.«
»Wie steht es mit Caroline? Weiß sie davon?«
»Würde sie den Mund halten, wenn sie es wüßte?«
Ich war so verwirrt, daß ich mich verplapperte. »Sie ist ganz der Typ — ich meine«, verbesserte ich mich, »wenn sie der Typ ist, wie Sie sie beschrieben haben...«
»Jetzt schlägt’s dreizehn!« rief Lois Marlow.
»Was ist los?« fragte ich.
»Donald, Sie hinterhältiges Subjekt! Das müssen Sie gewesen sein.«
»Wovon sprechen Sie überhaupt?« fragte ich, obwohl ich wußte, daß ich in der Patsche saß.
»Caroline und Horace sind gestern abend bei mir vorbeigekommen«, berichtete sie. »Sie waren beide voll wie die Strandhaubitzen und unheimlich aufgeregt. Horace hatte eines seiner Gemälde an einen echten Kunstkenner verkauft und — Sie Scheusal, Donald! Das waren Sie!«
»Was war ich?«
»Der Kenner, der das Gemälde gekauft hat. Keine Ausflüchte! Sie haben sich vorhin verplappert, als Sie über Caroline sprachen. Und Ihr Gesicht verrät Sie auch. Sie wollten mich nicht wissen lassen, daß Sie Caroline schon kennen. Donald, das war ein ganz gemeiner, niederträchtiger Trick. Horace schwebt praktisch im siebenten Himmel vor Wonne.«
»Das ist doch herrlich«, meinte ich. »Ein Maler kann viel schöpferischer arbeiten, wenn er Ansporn hat. Ein Künstler zieht nur Vorteil daraus, wenn er merkt, daß sein Werk Anklang findet. Und jetzt sagen Sie mir mal, wie Sie auf den Gedanken kommen, daß George seinen Großvater umgebracht haben könnte.«
»Moment mal!« rief sie. »Kein Ablenkungsmanöver. Wenn Sie der angebliche Kunstkenner waren — und davon bin ich überzeugt — und wenn Horace erfährt, daß Sie in Wirklichkeit Detektiv sind und sein Gemälde nur gekauft haben, um herauszubringen, wo George sich aufhält, dann wird der arme Horace eine entsetzliche Enttäuschung erleben.«
»Dann ist es wohl am besten, wir verraten es ihm nicht, Lois.«
»Richtig. Wären Sie einer solchen Gemeinheit fähig, Donald?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.
»Tun Sie nicht so. Ich habe Ihnen alles über George gesagt. Jetzt ist es an Ihnen, mir reinen Wein einzuschenken.«
»Na schön«, sagte ich. »Ich war es.«
»Ich hasse Sie«, sagte sie. »Sie können mir jetzt noch beim Abspülen helfen, aber dann setze ich Sie an die Luft. Ich will Sie nie Wiedersehen.«
»Nicht so hastig! Es ist ja nichts Schlimmes geschehen.«
»Was soll das heißen?«
»Ich habe Horace Aufschwung gegeben«, erklärte ich,
»sozusagen einen moralischen Tritt ins Hinterteil. Er wird wie ein Verrückter zu malen anfangen. Ich habe ihm sogar einige Sujets vorgeschlagen.«
Sie ließ sich das durch den Kopf gehen.
»Ja«, meinte sie dann, »er sagte mir gestern abend, er hätte eine ganz neue, originelle Idee. Er wollte gleich heute morgen an die Arbeit gehen.«
»Na also«, sagte ich. »Wenn Sie ihm nicht verraten, was wirklich dahintersteckt, kann es ihm bei seiner Malerei höchstens nützen.«
»Aber er meint doch, Sie wären ein Kunsthändler oder ein Sammler, der nicht erkannt werden will.«
»Vielleicht bin ich das.«
»Vielleicht sind Sie es aber auch nicht.«
»Detektive haben Kunstverständnis«, erklärte ich.
»Gelang es Ihnen, von Horace zu erfahren, wo George steckt?«
»Nicht direkt.«
»Aber irgendwie haben Sie ihn dazu gekriegt. Sie haben wohl so lange auf ihn eingeredet, bis er in seiner Seligkeit George angerufen hat?«
»So ungefähr.«
»Sie Schweinehund!«
»Sie drücken sich aus wie Bertha Cool.«
»Ach? Das ist wohl Ihre mütterliche Beraterin und Stütze, was?«
»Sie ist nicht mütterlich. Sie haßt mich.«
»Oh!«
»Kommen wir wieder auf George und seinen Großvater.«
»Ich hätte das nicht sagen sollen, Donald.«
»Aber Sie haben es nun einmal gesagt. Sie können nicht auf halbem Weg haltmachen.«
»Das glauben Sie!«
Es klopfte laut an die Tür.
»Wer will mir denn jetzt wieder die Tür einschlagen?« meinte sie gereizt und stand auf.
»Ein ungeduldiger Freund«, versetzte ich.
»Ich habe keine Freunde, die um diese frühe Morgenstunde schon ungeduldig sind.« Sie öffnete die Tür.
»Kennen Sie einen George Cadott?« fragte eine Männerstimme.
»Honigkuchen!« meinte sie und wollte die Tür zuschlagen.
»Augenblick, meine Dame«, rief der Mann. »Sehen Sie sich das mal an.«
»Oh!«
»Also, was wissen Sie über George Cadott?«
»Er geht mir auf die Nerven.«
»Damit ist es jetzt vorbei«, sagte der Mann. »George Cadott ist tot.«
»Was?« schrie sie.
»Lassen Sie mich jetzt herein«, verlangte der Mann. »Was machen Sie gerade? Frühstücken Sie?«
»Ja.«
»Da können Sie mir auch eine Tasse Kaffee anbieten«, sagte er und drängte sich an ihr vorbei.
Ich trank mit größter Gelassenheit meinen Kaffee aus.
»Sieh mal einer an!« meinte er. »Wer ist denn Ihr Freund?«
»Geht Sie das was an?«
»Sehr viel sogar.«
»Hören Sie«, sagte Lois. »Ist das mit George wirklich wahr?«
Der Mann trat zu mir.
»Wer sind Sie und was tun Sie hier?« fragte er.
Er griff in seine Tasche und hielt mir einen Dienstausweis unter die Nase.
»Immer mit der Ruhe, mein Bester«, versetzte ich. »Mein Name ist Donald Lam. Ich bin Privatdetektiv aus Los Angeles. Hier ist meine Karte, hier mein Ausweis.«
Ich warf die Sachen auf den Tisch.
»Was machen Sie hier?«
»Ich habe mich nach George Cadott erkundigt.«
»Warum?«
»Ich wollte mit ihm reden.«
»Worüber?«
»Das ist jetzt unwichtig, da er ja tot ist.«
»Hören Sie mal, mein Lieber«, sagte der Polizeibeamte. »Hier in San Franzisko machen wir kurzen Prozeß mit Privatdetektiven, die uns ins Handwerk pfuschen. Und Privatdetektive aus Los Angeles sind hier ganz besonders unbeliebt.«
Ich stieß meinen Stuhl zurück. »Mir soll’s recht sein«, erwiderte ich. »Mir ist es völlig schnuppe, ob Sie mich mögen oder nicht. Ich habe meine Lizenz vom Staat erhalten. Ich habe einen Auftrag zu erledigen. Sie haben mich etwas gefragt, ich habe Ihnen geantwortet. Wenn Sie mir weitere Fragen stellen, muß ich mich allerdings weigern zu antworten. Die Angelegenheiten meines Auftraggebers kann ich hier nicht ausposaunen. Ich habe mich bemüht, Ihnen behilflich zu sein, aber jetzt reicht’s mir. Ich kann mir jederzeit einen Anwalt kommen lassen.«
»Regen Sie sich nicht auf«, sagte er.
»Das würde ich Ihnen raten«, entgegnete ich.
»Wie lange sind Sie schon hier, Lam?« fragte der Beamte.
Ich sagte es ihm.
»Wo wohnen Sie in San Franzisko?«
Ich gab ihm den Namen des Hotels.
»Und wie bewegen Sie sich fort?«
»Ich habe einen Mietwagen.«
In seinem Gesicht regte sich Interesse.
»So, so«, meinte er. »Jetzt eine andere Frage. Haben Sie schon einmal vom Roadside Motel in Vallejo gehört?«
»Ist das so wichtig?«
»Heute morgen fuhr jemand in einem Mietwagen zum
Roadside Motel hinaus. Wir würden sehr gern feststellen, wer das war.«
»Warum?«
»Weil der Fahrer des Wagens wahrscheinlich auch George Cadotts Mörder ist.«
Ich verzog keine Miene.
Der Beamte musterte mich forschend.
»Das ist Ihnen nicht sehr angenehm, was, Lam?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr Mangel an Gastfreundschaft so weit geht, einem ortsfremden Detektiv einen Mord in die Schuhe zu schieben.«
»Keine Angst, das ist nicht der Fall. Wenn Sie uns nichts verheimlichen, haben Sie nichts zu befürchten. Hier oben bei uns geht alles nach dem Gesetz. Wir lassen uns nur nicht gern an der Nase herumführen. Das verstehen Sie wohl?«
Ich nickte.
Die Türglocke bimmelte.
Lois Marlow sprang auf. »Das sind wahrscheinlich meine Nachbarn«, verkündete sie.
»Die will ich mir gleich mal ansehen«, erklärte der Beamte. »Und das Reden überlassen Sie gefälligst mir. Kommen Sie, Lam, bleiben Sie schön bei mir, damit ich Sie im Auge behalten kann.«
»Sie brauchen mich nicht im Auge zu behalten«, versetzte ich. »Ich weiß, was ich tue, und werde nicht aus der Rolle fallen.«
»So ist’s recht«, sagte er. »Mein Name ist Mortimer Evans. Wir bearbeiten den Fall gemeinsam mit der Polizei von Vallejo. Wenn Sie uns unterstützen, werden wir uns revanchieren. Wenn Sie uns ins Handwerk pfuschen...«
Lois Marlow öffnete die Tür.
»Lois«, sagte Caroline Dutton, »ich störe dich ja nicht gern so früh am Morgen, aber ich habe kein Körnchen Zucker mehr im Haus. Horace malt wie ein Wilder, und ich
habe ihm gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt. Ich wollte fragen... Oh, Mr. Billings, was machen Sie denn hier?«
»Ich hole den Zucker«, sagte Lois.
Evans blickte erst mich an, dann Caroline Dutton.
»Billings?« echote er.
»Ja, natürlich«, versetzte sie. »Mr. Billings. Ein Kunsthändler oder ein Sammler... Ich glaube es jedenfalls. Er hat ein Gemälde meines Mannes gekauft.«
Lois Marlow kehrte mit einer Tasse Zucker aus der Küche zurück.
»Was hat er?« fragte sie.
Evans griff wieder in seine Tasche und zog den Dienstausweis heraus. Er klappte das Lederetui auf und hielt es Caroline Dutton hin.
»Kommen Sie herein«, forderte er sie auf. »Nehmen Sie Platz, und erzählen Sie mir mehr über diesen Billings hier.«
»Wir wissen nicht viel über ihn«, erwiderte sie. »Er hat ein Gemälde meines Mannes erworben. Die >Sonne über der Sahara<.«
»Wie heißt Ihr Mann?«
»Horace Dutton.«
Evans wandte sich an Lois Marlow.
»Gute Nachbarn?« fragte er.
»Sie ist George Cadotts Kusine«, gab Lois zurück.
»Aha«, murmelte Evans. »Und dieser Mann ist Ihnen unter dem Namen Billings bekannt?«
»Was ist denn los?« wollte Caroline wissen.
»George ist tot, Caroline«, sagte Lois Marlow.
»Moment mal«, rief Evans und drehte sich rasch um. »Ich sagte Ihnen doch, Sie sollten mir das Reden überlassen. Setzen Sie sich bitte alle. Ich möchte ein für allemal feststellen, daß ich hier die Fragen stelle. Und keinerlei Zwischenbemerkungen, bitte.«
Dann wandte sich Evans wieder an Caroline Dutton. »Wenn ich recht verstanden habe, kaufte dieser Mann hier Ihrem Gatten ein Gemälde ab. Er behauptete, sein Name wäre Billings und ließ Sie in dem Glauben, daß er ein Kunstmaler sei. Ist das richtig?«
»Was ist George zugestoßen?« fragte sie.
»Kam dieser Mann in Ihre Wohnung?«
»Ja. Bitte, was ist mit George? Was ist geschehen?«
»Darauf komme ich gleich.«
»Er wurde ermordet«, sagte Lois Marlow.
»Sie sollen den Mund halten«, fuhr Evans sie an. »Das hier ist meine Sache.«
»Während dieser Mann in Ihrer Wohnung war«, wandte er sich wieder an Caroline, »wurde da von George Cadott gesprochen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Worüber sonst?«
»Über die Malerei meines Mannes. Mr. Billings fand die Arbeiten sehr gut. Er kaufte das eine Bild und erklärte sich praktisch bereit, noch ein zweites zu erwerben. Er hat wirklich eine Ahnung von moderner Kunst. Meinem Mann hat er für seine Arbeit einige Hinweise gegeben, die Horace unglaublich anregten.«
»Und George Cadott wurde nicht erwähnt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Bat dieser Mann hier Ihren Gatten, sich mit George Cadott in Verbindung zu setzen?«
»Nein. Er unterhielt sich mit ihm über seine Malerei und seinen Stil. Mein Mann hat zwar mit George Cadott gesprochen, aber nicht auf Mr. Billings’ Vorschlag hin.«
»Ah, das wollen wir doch mal festhalten«, rief Evans. »Ihr Gatte hat gestern abend mit George Cadott telefoniert?«
»Ja.«
»Und dieser Mann war zugegen?«
»Ja.«
»Hat er zugehört?«
»Er schien nicht sonderlich interessiert. Er sprach unterdessen mit mir, doch er konnte natürlich hören, was mein Mann sagte.«
»Und was sagte Ihr Mann?«
»Er erzählte George von dem Verkauf seines Gemäldes.«
»Ihr Mann wußte also, wo George Cadott sich aufhielt?«
»Ja, natürlich.«
»Woher?«
»George sagte es ihm.«
»Und wo hielt George Cadott sich auf?«
»Im Roadside Motel in Vallejo. Er schrieb sich unter dem Namen Chalmers ein.«
»Da seid ihr schön auf den Leim geführt worden«, rief Lois Marlow. »Das ist doch der Detektiv...«
»Mund halten«, fauchte Evans sie an. »Ich sperre Sie ins Badezimmer, wenn Sie sich nicht still verhalten.«
»Dürfen Sie das?« erkundigte ich mich.
»Darauf können Sie sich verlassen, Sie Schlaumeier. Diese Ermittlungen werden von mir geführt.«
»Sie meinen«, mischte sich Caroline ein, »dieser Mann, dieser Mr. Billings, ist in Wirklichkeit der Privatdetektiv aus Los Angeles, der...«
Lois Marlow nickte nachdrücklich.
Mit haßerfülltem Gesicht wandte sich Caroline Dutton mir zu.
»Sie schmutziger...! Sie...!«
»Genug jetzt«, unterbrach Evans. »Überlassen Sie das mir.« Er sah mich an. »Heraus mit der Sprache!«
»Ich dachte, wir sollten Ihnen das Reden überlassen?«
»Jetzt nicht.«
»Bitte reden Sie ruhig weiter«, versetzte ich. »Sie haben schon ganz nette Verwirrung angerichtet. Machen Sie ruhig so weiter.«
Sein Gesicht lief rot an. Er trat zu meinem Sessel und holte aus.
Ich blieb ungerührt sitzen.
»Sie wußten also die ganze Zeit, wo George Cadott war«, schnaubte er.
»Lois Marlow ebenfalls«, versetzte ich. »Und auch Horace Dutton und seine Frau.«
»Schlagen Sie ihn!« kreischte Caroline. »Er verdient’s!«
»Er wollte mich gar nicht schlagen, Mrs. Dutton«, sagte ich. »Das ist nur Getue. Er denkt, damit bringt er mich eher zum Sprechen.«
»Tatsächlich?« rief Evans höhnisch und ballte die Hand zur Faust. »Ich könnte...« Er brach ab.
»Ich gehe jetzt zurück ins Hotel«, verkündete ich.
»Wenn Sie sich da nur nicht täuschen«, entgegnete Evans.
»Sie können mich natürlich in Gewahrsam nehmen, wenn Sie wollen, und ich kann Sie dann wegen ungesetzlicher Festnahme verklagen.«
»Ihre Einstellung paßt mir nicht.«
»Die Ihre paßt mir auch nicht, obwohl Sie offenbar Ihr Bestes tun. Mit mir kämen Sie allerdings wesentlich weiter, wenn Sie etwas freundlicher wären, anstatt hier den starken Mann zu spielen. Aber jeder nach seiner Fasson.«
»Ganz recht. Ich halte nichts davon, um andere herumzuscharwenzeln. Und wenn ich mich das nächstemal mit Ihnen unterhalte, Lam, werden wir das unter vier Augen tun.«
»Soll mir recht sein«, versetzte ich. »Auf Wiedersehen.«
Ich schritt zur Tür und ließ Mortimer Evans mit den beiden Frauen allein.
Auf dem Weg zum Aufzug klingelte ich bei Dutton. Während ich wartete, blickte ich zurück, um festzustellen, ob mir jemand folgte.
Die Tür zu Lois Marlows Wohnung blieb geschlossen.
Beim zweiten Läuten riß Horace Dutton die Tür auf. Sein Gesicht verriet Ärger.
»Was soll das?« rief er. »Ich habe zu tun... Oh! Guten Morgen, Billings.«
Die letzten Worte klangen wie die eines Kindes bei der Weihnachtsbescherung.
Ich ließ mir geduldig die Hand schütteln.
»Kommen Sie herein, kommen Sie herein«, sagte er und legte mir den Arm um die Schulter. »Ich male schon daran.«
»Woran?«
»An >Konflikt<. Es wird eine Sensation werden. Eine Bombe!«
»Wunderbar«, gab ich zurück. »Ich heiße nämlich gar nicht Billings, sondern Donald Lam. Ich bin der Privatdetektiv, der George Cadott suchte. Er hatte sich vor mir verkrochen. Ich habe mich an Sie herangemacht, um George Cadott zu finden. Jetzt ist George ermordet worden.«
Seine Hand wurde schlaff. Sein Arm glitt von meiner Schulter. Offenen Mundes starrte er mich an.
»Und außerdem«, fuhr ich fort, »wollte ich Ihnen noch sagen, daß Sie ruhig an >Konflikt< Weiterarbeiten sollen. Es wird bestimmt ein Meisterwerk — zumindest was moderne Kunst anbelangt. Ich persönlich kann mit dem Zeug nichts anfangen. Der Mord an George Cadott wird einen Riesenskandal machen. Hier wird’s von Presseleuten wimmeln. Da kriegen Sie genug kostenlose Publicity. Vielleicht wird sogar jemand das Gemälde kaufen. Auf Wiedersehen.«
Ich ging und ließ ihn stehen.