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Mein Freund bei der Verkehrspolizei von San Franzisko versprach mir, die gewünschten Informationen bis zu meiner Ankunft herauszusuchen.

Als ich ihn später vom Flughafen aus anrief, erfuhr ich, daß Lois Marlow einen Führerschein besaß, siebenundzwanzig Jahre alt war und in den Wisteria Apartments wohnte.

Das Mietshaus war typisch für San Franzisko: ein vierstöckiges Gebäude mit schmaler Fassade. Die Haustür war abgeschlossen. Neben den Klingelknöpfen hingen Namenschilder. Auch eine Sprechanlage war vorhanden.

Ich stellte fest, daß Lois Marlow in Nummer 229 wohnte, und drückte auf den Knopf.

Wenig später summte der elektrische Türöffner.

Lois war offenbar sehr demokratisch eingestellt. Sie fragte nicht nach dem Namen. Man klingelte, und es wurde einem aufgetan.

Eine Fünfzehn-Watt-Birne beleuchtete spärlich das Innere des Aufzugs, der vor kurzem erst renoviert worden sein mußte. Mit dem roten Plüschteppich und den Goldleisten an den Wänden wirkte er direkt pompös. Ich drückte auf den Knopf für den zweiten Stock. Die Tür schloß sich langsam, und der Aufzug ratterte in die Höhe.

Im zweiten Stock stieg ich aus und sah mich nach Nummer 229 um. Als ich die Tür gefunden hatte, drückte ich auf den Perlmuttknopf.

Die Frau, die mir öffnete, war eine Augenweide, und sie wußte es. Sie hatte honigblondes Haar und zarte leicht gebräunte Haut. Aus großen grauen Augen strahlte sie mich an.

»Kennen wir uns?« erkundigte sie sich mit einem Lächeln, das zwei Grübchen in ihre Wangen zauberte.

»Jetzt ja«, erwiderte ich.

»Ich fürchte, Sie haben sich in der Tür geirrt, wahrscheinlich sogar in der Hausnummer. Und ganz offensichtlich haben Sie sich falsche Vorstellungen gemacht«, erklärte sie. Doch sie ließ die Tür offen, und die Grübchen in ihren Wangen waren immer noch da.

»Kann ich hereinkommen und Ihnen erklären, worum es sich handelt?« fragte ich.

»Nein«, versetzte sie, immer noch lächelnd.

»Schön«, meinte ich friedfertig, »dann werde ich es eben hier zwischen Tür und Angel erklären. Mein Name ist Donald Lam. Ich bin ein Freund von Mr. Fisher. Sagt Ihnen der Name etwas?«

»Überhaupt nichts.«

»Barclay Fisher?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Erinnern Sie sich zufällig an die Tagung der Bootsfabrikanten? Außenbordmotoren...«

»Oh — Moment mal!« rief sie. »Wie hieß Ihr Freund noch?«

»Fisher. Barclay Fisher.«

Ein Aufblitzen der Erinnerung spiegelte sich in ihren Augen. »Was ist mit Barclay Fisher?«

»Kennen Sie einen Mann namens George Cadott?« fragte ich dagegen.

»Ach du lieber Himmel«, rief sie. Sie trat zur Seite und hielt die Tür auf. »Kommen Sie herein. Wie war Ihr Name?«

»Lam.«

»Und Ihr Vorname?«

»Donald.«

»Schön, kommen Sie herein, Donald. Nehmen Sie Platz, und sprechen Sie sich aus. Worum geht es?«

Es war eine hübsche kleine Wohnung. Mein Blick fiel auf das Sofa im Wohnzimmer. Dort hatte wohl Barclay Fisher damals die Nacht zugebracht. Eine halboffene Tür führte ins Schlafzimmer, und durch eine Schwingtür gelangte man in die kleine Küche. Die Wohnung war behaglich eingerichtet, vielleicht eine Spur überladen. Ein Hauch von Parfüm hing in der Luft.

Lois Marlow ließ sich in einem Sessel nieder und zeigte ihre wohlgeformten Beine.

»Hat George Dummheiten gemacht?« fragte sie.

»Er ist auf dem besten Weg dazu.«

»Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Das beste wäre wahrscheinlich Chloroform.«

»Barclay Fisher ist verheiratet«, bemerkte ich unvermittelt.

»Nicht so hastig«, bat sie. »Zunächst wollen wir doch mal eines klären: War Barclay Fisher der Rothaarige, der dauernd mit den Fingern knackt?«

»Das war er«, bestätigte ich.

Sie lachte kehlig und angenehm.

»Es hat den armen Kerl ganz schön mitgenommen, den Herzensbrecher zu spielen. Paßte gar nicht zu ihm.«

»Das kann ich mir vorstellen«, meinte ich. »Was geschah an dem Abend?«

»Er goß den Sekt hinunter wie ein Verdurstender, und das nach der Bowle. Das Gemisch vertrug er nicht.«

»Und was geschah dann?«

»Er verschwand im Badezimmer.«

»Und dann?«

»Müssen Sie alle Einzelheiten wissen?«

»Ja.«

»Er übergab sich.«

»Und dann?«

»Dann packte ich ihn aufs Sofa.«

»Sonst noch etwas?«

»Warum fragen Sie?«

»George Cadott hat ihm einen Brief geschrieben, in dem er ihm gewisse Bedingungen diktiert.«

»Typisch.«

»Ich bin Privatdetektiv«, sagte ich. »Hier ist meine Karte.«

Sie sah sich die Karte an und fragte: »Wer ist B. Cool?«

»B. heißt Bertha«, erklärte ich. »Bertha Cool ist ein hartgesottenes, mit allen Wassern gewaschenes und mitleidloses Flintenweib mit einem Lebendgewicht von einhundertsechzig Pfund. Sie ist so unangenehm und kratzbürstig wie eine Rolle Stacheldraht und sieht auch so ähnlich aus. Sie würde Ihnen gefallen.«

»Bezaubernd«, stellte Lois fest.

»Und wenn ich auch nicht so aussehe«, fügte ich hinzu, »so möchte ich Sie doch darauf aufmerksam machen, daß auch ich ziemlich unangenehm werden kann.«

Sie musterte mich mit abschätzendem Blick.

»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Sie wirken eher melancholisch, Donald. Bei Ihrem Anblick erwachen in jeder Frau die Mutterinstinkte. Sie haben bestimmt alle Mühe, sich gegen Ihre Verfolgerinnen zur Wehr zu setzen.«

»Wir sprechen hier nicht über mein Privatleben«, sagte ich.

»Warum nicht?« versetzte sie. »Über meines sprechen wir doch auch.«

»Meine Freunde schreiben aber keine Briefe«, entgegnete ich.

Sie lachte. Dann schlug ihre Belustigung in Ärger um. »Ich hätte dem Burschen längst den Kragen umdrehen sollen.«

»Wenn es ein Erpressungsversuch sein sollte«, erklärte ich, »wird Ihnen das binnen kurzem in der Seele leid tun. Sie werden nämlich keinen roten Heller bekommen, aber wahrscheinlich hinter schwedischen Gardinen landen.«

»Seien Sie nicht albern, Donald. Von Erpressung kann keine Rede sein.«

»Wovon denn sonst?«

»Das ist schwer zu erklären«, gab sie zurück. »Ich habe George gern. Er ist ein ernster und aufrichtiger Mensch, der eines Tages vielleicht etwas Großes leisten wird. Leider fühlt er sich auch zum Weltverbesserer berufen. Außerdem bildet er sich ein, mich zu lieben. Das geht schon seit einiger Zeit so.«

»Und was empfinden Sie für ihn?«

»Manchmal langweilt er mich zu Tode. Und manchmal fasziniert er mich mit seinen Gedanken. Er mißbilligt meine Lebensweise, aber er liebt mich.«

»Was treibt er so?«

»Er denkt.«

»Und womit verdient er seinen Lebensunterhalt?«

»Den braucht er nicht zu verdienen. Er hat geerbt. Er denkt nur.«

»Wieviel Geld hat er geerbt?«

»Einen Haufen.«

»Denkt er viel?«

»Nicht zuviel, aber genug.«

»Worin sieht er den Sinn seines Lebens?«

»Er wird eines Tages den großen amerikanischen Roman schreiben. Er wird malen. Er wird in die Politik gehen. Er wird Sauberkeit in diese korrupte Welt bringen.«

»Ist es nicht manchmal schwer, mit ihm auszukommen?«

Sie lehnte sich im Sessel zurück. Der leichte Spott in ihren Augen, das feine Lächeln um ihren Mund verrieten ihre Lebensphilosophie — leben und leben lassen.

»Donald«, sagte sie, »es gibt keinen Mann, mit dem sich tagein, tagaus gut auskommen läßt. Sie haben Ihre Karten auf den Tisch gelegt, also will ich das gleiche tun. Ich bin kein unbeschriebenes Blatt. Ich liebe das Leben und die Abwechslung. Doch allmählich werde ich der Abwechslung müde. Ich würde sehr gern eine kleine Boutique aufmachen. Ich weiß einen Laden, der zum Verkauf steht. George möchte ihn mir kaufen. Und wenn Sie, Donald, und diese B. Cool mir das Projekt verpfuschen, dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben. Ich kann nämlich auch unangenehm werden.«

»Und was verlangt George als Gegenleistung für den Kauf des Geschäfts?« fragte ich.

»Das weiß ich nicht«, versetzte sie schamhaft. »Er hat es mir nicht gesagt — noch nicht.«

»Heirat?«

»Große Güte, nein. Nicht noch einmal.«

»Wieso >nicht noch einmal<?«

»Ich war verheiratet. Die Ehe hat nicht lange gehalten.« Ihre Lider senkten sich.

»Was also erwartet George von Ihnen?«

»Er möchte die Vorrechte eines Verlobten zugestanden bekommen. Er möchte mich beschützen. Ich will aber gar nicht beschützt werden, ich will nur eine Boutique. George fürchtet, ich hätte einen Hang zur Promiskuität.«

»Wie lautet seine Definition für dieses schöne Wort?«

»Alle Männer haben für dieses Wort dieselbe Definition«, antwortete sie. »Was du mit mir machst, ist in Ordnung, was du mit anderen tust, ist unmoralisch.«

»Würde George Barclay Fisher in Schwierigkeiten bringen wollen?«

»Weiß der Himmel, was George alles fertigbringt.«

»Würden Sie mir seine Adresse geben?«

»Nein.«

Ich schüttelte den Kopf. »Schade, Lois. Ich werde ihn trotzdem aufsuchen.«

»Haben Sie ihn denn noch nicht gesprochen?«

»Nein.«

»Sie haben sich mir gegenüber fair verhalten«, meinte sie. »Ich will ihn anrufen. Von jetzt an wird er keine Dummheiten mehr machen.«

»Rufen Sie ruhig an, wenn Sie meinen, daß das etwas hilft.«

»Sie werden ihn trotzdem aufsuchen?«

»Genau. Ich bin Privatdetektiv und werde mit dem Mann reden. Um ihm einiges klarzumachen. Ich werde ihm mitteilen, daß er nichts zu lachen hat, wenn er Barclay Fisher noch einmal belästigt oder gar den Versuch macht, Barclays Frau in die Sache hineinzuziehen. Außerdem werde ich ihn darauf aufmerksam machen, daß es strafbar ist, Erpresserbriefe mit der Post zu schicken.«

»Sie wollen ihm also Angst einjagen?«

»Stimmt.«

»Da würde ich mitmachen, vorausgesetzt, daß es wirklich alles ist.«

»Wie erfuhr er eigentlich von Barclay Fisher?«

»Drei Türen weiter, in der Wohnung 216, wohnt ein Mann namens Dutton. Mit Vornamen heißt er Horace. Er ist mit einer Klatschbase namens Caroline verheiratet, und Caroline ist Georges Kusine. Sie erbte ebenfalls — auch vom Großvater. Mir wäre es am liebsten, wenn Horace und Caroline des Landes verwiesen oder meinetwegen vom Erdboden verschluckt würden.«

»Die beiden halten Sie wohl unter Beobachtung?«

»Horace Dutton ist mit George Cadott befreundet«, erklärte sie. »Er ist im Grund ein guter Kerl, aber er kann sich nicht entwickeln. Caroline gibt ihm keine Chance. Sie bemuttert ihn auf ihre tyrannische Art und gibt ihm ein monatliches Taschengeld. Horace malt. Er ist sehr eng mit George befreundet. Caroline ist mir ins Gesicht katzenfreundlich, und hinter meinem Rücken spuckt sie Gift und Galle. Sie ist ein intolerantes, wichtigtuerisches Geschöpf mit Haaren auf den Zähnen. Selbst das sonnigste Gemüt würde in ihrer Umgebung verkümmern. Horace Dutton nun sah Barclay Fisher aus meiner Wohnung kommen. Er teilte dies natürlich pflichtschuldigst seiner besseren Hälfte mit. Caroline wiederum hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihr Wissen an George weiterzugeben. George erschien daraufhin wutschnaubend bei mir. Er warf mir vor, daß ich die ganze Nacht einen wildfremden Mann in der Wohnung gehabt hätte, daß ich mein loses Leben wiederaufgenommen hätte, kurz, daß ich der Sünde verfallen sei. Ich ärgerte mich so, daß ich sogar meine Boutique vergaß. Ich sagte ihm gründlich Bescheid und erklärte ihm, daß ich mein Leben so einrichten wolle, wie ich es für richtig halte, daß er mich schließlich nicht besitze und daß ich auch gar nicht das Verlangen hätte, in seinen Besitz überzugehen.«

»Und dann?«

»Dann warf ich ihn hinaus!«

»Und dann?«

»Er fing an herumzuschnüffeln. Er machte jemanden ausfindig, der an der Tagung teilgenommen hatte, und stellte fest, daß ich mich Barclay Fisher gewidmet hätte.«

»Warum haben Sie das eigentlich getan?«

»Weil Carl Jensen mir zweihundertfünfzig Dollar dafür bezahlte«, antwortete sie. »Er schob mir Barclay Fisher zu,

weil Fisher an einer Firma beteiligt ist, die irgendein neues Boot herstellt. Jensen meinte, sein neuer Außenbordmotor würde sich mit dem Boot prächtig vertragen. Deshalb sollte ich Fisher unterhalten. Ich wünschte, ich hätte weder die zweihundertfünfzig Dollar noch den rothaarigen Fisher zu Gesicht bekommen. Er hat mir zwar Spaß gemacht, aber in erster Linie tat ich es des Geldes wegen.«

»Und später söhnten Sie sich mit George aus?« fragte ich.

»Nichts dergleichen. Ich habe ihn seit dem Tag, als ich ihn an die Luft setzte, nicht mehr gesehen. Ich spiele noch immer die Unerreichbare.«

»Sie sind überzeugt, daß er zurückkommen wird?«

»Bestimmt.«

»Und wenn er wieder erscheint, darf er Ihre Boutique finanzieren?«

»Genau. Aber erst wird er sich entschuldigen.«

»Wird er sich auch entschuldigen, wenn er erfährt, daß Sie sich dafür bezahlen lassen, die Teilnehmer an einer Tagung zu unterhalten?«

»Was soll das heißen — unterhalten?«

»Sie selbst gebrauchten das Wort.«

»Ich sorgte dafür, daß sein Glas stets gefüllt war, und ging ihm ein bißchen um den Bart.«

»Und dann?«

»Als Barclay anlehnungsbedürftig wurde, gab ich ihm Sekt zu trinken. Mir war nämlich ein betrunkener Barclay Fisher lieber als ein aufdringlicher. Es wäre mir peinlich gewesen, wenn er sich am nächsten Morgen bei Jensen darüber hätte beklagen müssen, daß ich ihm eine geklebt hatte.«

»Sie hätten ihm also einen Korb gegeben?«

»Kennen Sie Ihren Auftraggeber?«

»Ja.«

»Was würden Sie tun, wenn Sie eine Frau wären? Mit ihm ins Bett hüpfen, um sich das Knacken seiner Finger anzuhören?«

Ich lachte.

»Okay«, sagte sie. »Sie haben mir reinen Wein eingeschenkt, und ich habe das gleiche getan.«

»Wo finde ich George Cadott?«

»Meinetwegen können Sie suchen, wo Sie wollen. Ich wette allerdings, daß Sie ihn nicht finden. Ich werde nämlich dafür sorgen, daß er verschwindet.«

»Sie wußten nicht, daß er Barclay Fisher geschrieben hat?«

»Keine Spur. «

»Werden Sie ihn darüber unterrichten, daß Sie es jetzt wissen?«

»Kommt darauf an.«

»Worauf?«

»Auf verschiedene Dinge.«

»Würden Sie ihm ausrichten, daß ich in der Stadt bin und ihm die größten Schwierigkeiten entstehen werden, wenn er auch nur die geringsten Anstalten macht, etwas gegen Fisher zu unternehmen oder gar Fishers Frau zu informieren?«

»Das können Sie ihm selbst ausrichten«, versetzte sie.

»Wenn ich ihn finde.«

»Richtig.«

»Aber da Sie ihn ja vor mir warnen wollen, können Sie mir doch wenigstens diesen Gefallen tun.«

»Nein«, gab sie lächelnd zurück. »Auf diese Weise, mein lieber Donald, bringt man nämlich einen Mann nicht dazu, eine Boutique zu finanzieren. Und jetzt wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie verschwinden würden. Ich muß mein Bestes tun, um George die Dummheiten auszutreiben.«

»In Ordnung«, sagte ich und stand auf.

Sie begleitete mich zur Tür.

»Wiedersehen«, sagte ich. »Seien Sie schön brav.«

Sie schnitt eine Grimasse. »Das können Sie sich sparen. Es ist Georges Abgangswort.«