Phils Boss bei der Security-Firma ließ ihn ziehen, oh-
ne auf eine Kündigungsfrist zu pochen, was er ziemlich
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rücksichtsvoll fand; Phil hatte genug Zeit auf das Be-
wachen von Stoffballen und Garnrollen verschwendet.
Den restlichen Abend verbrachte er damit, seine Sa-
chen in seinem neuen Zimmer in Old Lady Cranes
Gästehaus auszupacken. Der Umzug war kein großer
Aufwand gewesen: Er hatte einen Lastwagen für seine
Möbel angemietet und den Rest sorgfältig in Kartons
verpackt. Dann war er unterwegs, raus aus der lebhaf-
ten Großstadt, in der er die letzten zehn Jahre seines
Lebens verbracht hatte.
Wieder zurück nach Crick City.
Das Zimmer war nicht gerade der Buckingham Pa-
lace, würde es aber fürs Erste tun. Der Rest seines Ge-
sprächs mit Mullins früher am Tag hatte sich auf das
Geschäftliche konzentriert. Sie hatten noch ein paar
letzte Details geklärt.
» Cody Natter dealt mit PCP?«, fragte er ungläubig.
»In Crick City?«
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»Richtig«, sagte Mullins. »Und darum brauch ich
dich, denn du besitzt Erfahrung. Außerdem hab ich
keinen anderen.«
Bei diesem Kommentar fühlte Phil sich nicht unbe-
dingt wie der Polizist des Jahres, aber er verstand Mul-
lins’ Argumentation. »Was ist mit meinem Ruf bei der
Metro?«, fragte er.
»Du hast gekündigt, bist niemals angeklagt worden.
Ist mir scheißegal, was da in deiner Akte steht. Er-
schieß nur keine Kinder mehr mit Quad-Munition.«
»Moment mal, Chief.« Phil fühlte sich verpflichtet,
das zu kommentieren. »Lassen Sie uns eines klarstel-
len: Ich habe niemals irgendwen mit Quads oder ande-
rer illegaler Munition erschossen. Das wurde mir an-
gehängt. Ein Typ namens Dignazio hat mich reinge-
legt, weil er meinen Job wollte. Zur Hölle, die einzigen
Kugeln, die ich verschossen habe, hab ich über den
Kopf des Jungen gefeuert. Dignazio hat den Jungen
erschossen und es hinterher so aussehen lassen, als wä-
re ich’s gewesen.«
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»Ja, sicher«, sagte Mullins schnell. »Wie auch im-
mer.«
»Sie glauben mir nicht, oder?«
»Aber natürlich glaube ich dir«, sagte der Chief lä-
chelnd. »Und selbst, wenn du’s getan hättest, wär’s mir
egal. Was denn, soll es mich wirklich jucken, dass du
irgendein degeneriertes Gettokid umgepustet hast, das
für ’n Drogenlabor Schmiere stand? Wenn du mich
fragst, hätten sie dir ’nen Orden verpassen sol en. Ich
weiß nur, dass Cody Natter denselben Stoff in meiner
Stadt verkauft. Und wenn ich mich nicht darum küm-
mere, dann stempeln wir beide bald die Uhr in der
Bettlakenfabrik. Also willst du den Job, oder nicht?«
»Ja«, sagte Phil, ohne auch nur eine Sekunde nach-
zudenken. Eigentlich gab es auch nichts, worüber er
nachdenken musste. Das mickrige Gehalt, das er hier
verdiente, war immer noch höher als das eines Wach-
manns, und er würde zumindest wieder als Cop arbei-
ten.
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Doch es war weniger der Job als die erwähnte Krise,
die den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben
hatte. Phil hatte ein großes Problem mit Drogen. In
der Großstadt hatte er gesehen, was das Zeug bei den
Leuten anrichtete und aus ihren Körpern, ihrem Ver-
stand, ja, ihrem gesamten Leben machte. Es war das
Böse in reinster Form, schlimmer als er es sich je vor-
gestellt hatte. Mein Gott, diese skrupellosen Mistkerle
verkauften den Stoff an Sechsjährige auf dem Spiel-
platz. Je jünger sie waren, desto besser, denn dann
konnten sie die Kinder Schnapsläden ausrauben oder
sie auf der Straße anschaffen lassen.
Es war ein Geschäft, das die ständige Abhängigkeit
zementierte, und die verdammten Gerichte machten
sich in aller Regel mehr Sorgen um die Rechte der
Dealer als um die unschuldigen Leben, die sie zerstör-
ten. Crack, Heroin, PCP – die Art der Droge war egal.
Sie waren alle unterschiedlich und doch alle gleich.
Teil derselben Maschinerie, welche die Schwächen der
Menschen ausnutzte und sie aussaugte, bis nichts mehr
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von ihnen übrig war. PCP ganz besonders. Sie ver-
schnitten das Zeug mit industriellen Lösungsmitteln,
um es billiger zu produzieren. Jeder Zug verursachte
Hirnschäden, trieb einen dem Wahnsinn ein Stück
weiter in die Arme. Phil dachte sich, wenn es über-
haupt ein sinnvolles Ziel in seinem Leben gab, dann
war es, einen dieser bösartigen Hurensöhne auf ewig in
den Knast zu schicken. Und hier saß Mullins und bot
ihm dafür eine zweite Chance …
»Ja«, wiederholte Phil. »Ich nehme den Job. Wann
soll ich anfangen?«
»Sofort«, sagte Mullins und schüttete einen weiteren
Schluck von dem ekelhaften Kaffee in seine NRA-
Tasse.
»Chief, ich kann diesen Security-Job nicht einfach
von jetzt auf gleich hinschmeißen. Ich muss meinem
Boss Bescheid geben.«
»Scheiß auf ihn. Ich bin jetzt dein Boss. Sag ihm, er
soll sich ’nen anderen Schimpansen für diesen
104
Schwanzlosenjob suchen. Ich brauch dich hier drin-
gender als er einen Aufpasser für sein Garn.«
»Gut, aber meine Wohnung ist 40 Meilen weg. Sie
müssen mir schon Zeit geben, damit ich mir was in der
Nähe suchen kann.«
»Ich hab schon was für dich gefunden. Old Lady
Crane, kennst du die noch? Die alte Schachtel hat
immer noch dieses abgeranzte Gästehaus draußen an
der Landstraße und ich habe dort ein Zimmer für dich
reservieren lassen. 35 Mücken pro Woche. Meinst du,
die kannst du abknapsen, Playboy? Die erste Monats-
miete hab ich schon bezahlt. Also hör auf zu palavern
und raus mit dir. Geh und lad das Stück Scheiße, das
du Auto nennst, voll und zieh noch heute Abend ein.
Ich setz dich in die Nachtschicht von acht bis acht,
und ich zahl dir sogar für jede Minute jenseits der 40
Stunden was drauf, bis ich ein paar Leute mehr ange-
heuert habe.«
Phil fühlte sich völlig überrumpelt. »Chief, das geht
alles viel zu schnell, oder? Zuerst mal brauch ich die
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Freigabe von der staatlichen Ausbildungsakademie, ist
das nicht so?«
»’ne Freigabe hast du schon durch die Metro.«
»Ich brauche Uniformen, ich brauch eine Waffe, ich
…«
Mullins deutete in eine Ecke des Raums. »Siehst du
die große Kiste, die da steht? Da sind deine Uniformen
drin. Und siehst du die kleine Kiste, die oben drauf-
steht? Das ist dein Dienstrevolver.« Mullins holte et-
was aus seiner Schreibtischschublade. »Und siehst du
diese klitzekleine Kiste hier?«
Phil nahm das kleine Kästchen aus Mullins’ Hand
entgegen, öffnete es und holte den Inhalt hervor:
Ein brandneues Polizeiabzeichen.
»Da ist deine verdammte Blechmarke«, schloss Mul-
lins. »Du bist wieder ein großer, böser Bulle. Wir schi-
cken der Staatsbehörde gleich morgen deine neuen
Unterlagen. Das Einzige, was ich noch brauche, ist ein
Passfoto von dir für deinen Dienstausweis, dann bist
du einsatzbereit.«
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»Jesses, Chief.« Die Marke glänzte in Phils Hand
wie hochkarätiges Gold.
»Jetzt schieb deinen Arsch hier raus und sieh zu, dass
du deinen Scheiß herschaffst«, forderte Mul ins, wäh-
rend er unbewusst in einem Pornokalender vom Vor-
jahr blätterte. »Siehst du nicht, dass ich zu tun habe?«
Phil hievte sich die Kartons auf die Schulter und
ging zur Tür. »Okay, Chief. Bis morgen.«
»Klar. Oh, eine Sache noch.«
Phil drehte sich um.
Mullins’ Schnurrbart zuckte lächelnd. »Gut, Sie wie-
der bei uns zu haben … Sergeant Straker.«
Sergeant Straker .. Die Worte drifteten durch den
Raum. Jetzt starrte er aus dem Fenster des winzigen
Zimmers in Old Lady Cranes Gästehaus, das so un-
vermittelt zu seinem neuen Zuhause geworden war.
Jawoll, Sergeant Straker, zurück im Streifendienst …
Was er draußen sah, war gewöhnungsbedürftig –
Bäume, Felder und Hügel anstelle von Wolkenkrat-
zern und Verkehr. Das Zirpen der Grillen ersetzte das
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übliche Sirenengeheul. Pinienduft statt Smog strömte
ihm in die Nase. Crick City war zu Bett gegangen und
die Nacht erblühte mit einer Art von Schönheit, von
der er vergessen hatte, dass es sie gab. Viel eicht wird
das hier gar nicht so schlimm, überlegte er.
Oder war das nur Wunschdenken?
Denn als Phil einschlief, träumte er …
Er träumte von seiner Kindheit.
Und den nebelhaften, halb-erinnerten Schrecken im
Haus.
Früher oder später, dachte Wanst, werden wir uns mit den Falschen anlegen …
Scotty-Boy zerdrückte seine Bierdose, schleuderte sie
aus dem Fenster und riss sofort die nächste auf. Sie
schafften eine ganze Palette in einer Nacht, kein Prob-
lem bei gesunder Leber und guter jugendlicher Konsti-
tution. Doch Wanst nuckelte immer noch an seinem
ersten Bier.
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»Was’n los mit dir?«, fragte Scott. Er war niemand,
den es kalt ließ, wenn sein einziger Aufreißerkumpel
Anzeichen von geistiger Unruhe zeigte. »Siehst aus, als
würde dir irgendein Scheiß zu schaffen machen.«
»Ach, is’ nichts. Fühl mich nur was unwohl, das’ al-
les.«
»Na, da wer’n wir schnell was gegen tun könn’, wirst
sehen. Zwei üble Aufreißer wie wir, wir haben’s drauf,
klar? Gutes Bier, ’n gutes Paar Räder auf der Straße,
und später wird jeder von uns ’nen dicken Batzen Bares
in der Tasche haben, wenn wir mit dem Job durch
sind. Jawoll, Mann. Wir haben’s fein raus.«
»Äh, klar«, entgegnete Wanst wenig enthusiastisch.
Doch dann entschied er, dass es nicht schaden könne,
seinen Gefühlen Luft zu machen. Er hatte ein komi-
sches Gefühl heute Nacht, ein wirklich schlechtes Ge-fühl. »Aber ich hab nachgedacht, Scotty-Boy. Dass wir
früher oder später beim Aufreißen an die Falschen ge-
raten.«
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»Scheeeeeiße«, rief Scotty-Boy. »Klar, und hätten
Würmer Knarren, würden Vögel sich nich’ mit ihnen
anlegen. Gibt niemand auf unserer guten alten Erde,
der’s mit uns aufnehm’ kann. Wir sind üble Aufreißer,
Wanst. Gibt kein’, der uns was kann. Warte – ich
zeig’s dir! Schau dir das mal an!« Scotty-Boy zückte
den riesigen Webley-Revolver seines Vaters und entsi-
cherte den Ballermann.
Scotty-Boy lachte, schlürfte sein Bier und rieb sich
hin und wieder den Schritt, da ihn der bloße Gedanke
ans Töten ebenso scharf machte wie der Anblick einer
heißen nackten Schnecke oder eines schön großen
Paars wackelnder Glocken. Doch Wanst hatte immer
noch dieses tiefsitzende, kranke Gefühl in der Bauch-
gegend. Das Gefühl wurde stärker und unangenehmer,
je weiter sie fuhren. Der Mond über den Bäumen zog
gemeinsam mit ihnen die Straße entlang, nicht ganz
voll und seltsam gefärbt. Keine Wolke war am Him-
mel zu sehen, nur ein riesiger Haufen glitzernder Ster-
110
ne. Je länger Wanst zu den Sternen hinaufstarrte, desto
mieser fühlte er sich.
Ihm war heute einfach nicht danach, jemanden um-
zubringen.
»Scotty-Boy, schau mal, mir is’ einfach nicht nach
’nem Aufriss gerade. Ich mein’, wir haben gleich ’nen
Job zu erledigen. Also warum machen wir nich’ was
Schnelles, wie ’n paar Nutten kaufen oder so was?«
»Weil, Wanst, wie ich schon sagte, das kein’ Spaß
macht. Das wär wie ’n Alkoholfreies trinken anstatt
richtigem Bier, wie wir’s immer tun«, erklärte Scott
und öffnete die nächste Dose. »Macht kein’ Spaß,
wenn’s nich’ richtig kranker Scheiß is’, verstehste? Und
warum Zeit verschwenden? Wir sind mit dem Job
noch lang nicht dran, also machen wir uns ’ne gute
Zeit bis dahin.«
»Äh, klar«, antwortete Wanst. Er sah, dass es keinen
Zweck hatte. Wenn Scott »Scotty-Boy« Tuckton sich
erst mal auf etwas festgelegt hatte, war er nicht mehr
umzustimmen. Und was Scott mit richtig krankem
111
Scheiß meinte, das war seine übliche Art von Aufriss,
die irre, dreckige Art, die er liebte. Das richtig wilde,
unchristliche Zeug, wie damals, als sie diese alte Frau
mit den Krücken aufgemischt hatten, oder das eine
Mal letzten Sommer, als sie das Mädchen im Rol stuhl
gesehen hatten, während sie auf den Behindertenbus
wartete. Sie hatten einfach angehalten, die Kleine hin-
ten in den Truck geworfen und waren dann zu ihrer
Lieblingslichtung im Wald gefahren, wo Scott alle
möglichen krassen Dinge mit ihr angestellt hatte, bevor er sie abmurkste. Das meinte Scott mit richtig krankem Scheiß. Das war’s, was ihm den größten Kick gab:
das wirklich »perverse« Zeug.
Das brachte Wanst auf eine Idee.
Ja, pervers. So richtig böser und dreckiger kranker Scheiß
…
Es war etwas, wovon er immer wieder gehörte hatte,
seit er klein war. Etwas über die Creeker. Sein Vater
erzählte ihm davon, wenn er betrunken war, also prak-
tisch jeden Abend. Yep, Geschichten, dass es ein Haus
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tief im Wald gab, das den Creekern gehörte, wo sich
ein Mann ’ne Creekerbraut kaufen konnte, und diese
Creekerinnen – Wanst musste über sein eigenes Wort-
spiel grinsen – waren alle total abgefuckt und missge-
bildet und so. Das war ein Ort, so erzählte man sich,
wo ein Kerl hingehen konnte, wenn er mal richtig
kranken Scheiß erleben wollte. Klar, Wanst selbst hat-
te nur selten mal ’nen Creeker gesehen, und was diesen
Creekerpuff anging, so wusste er nicht mal, ob es den
wirklich gab. Vielleicht war das nur ’n Haufen Scheiße,
den sein Alter ihm erzählte, um ihm Angst einzujagen,
doch wenn Wanst Scotty-Boy dazu bringen könnte,
danach zu suchen, würden sie heut’ Nacht niemand
nicht umbringen müssen, und für Wanst hörte sich das
absolut prima an, denn er hatte immer noch dieses echt
schlechte Gefühl wegen dem Töten. Dieses Gefühl
wuchs in seinem Bauch, wie damals, als er schlechten
Eichhörnchenauflauf gegessen und sich zwei Wochen
lang wie ein kranker Hund durch die Gegend ge-
113
schleppt hatte. Also entschied sich Wanst, es zu versu-
chen:
»Sag mal, Scotty-Boy, weißt du, seit ich klein bin,
hör’ ich immer so Geschichten über’n echt abgefahre-
nes Hurenhaus irgendwo draußen im Wald, aber die-
ses Hurenhaus is’ anders als ’n normales, denn man
sagt, das wär ’n Creeker puff, wo die Mädchen komisch
geformte Köpfe haben und mehr Titten, als sie sollten
und so ’n krankes Zeug. Ich wette, wenn wir das fin-
den würden, könnten wir da ’ne echt wilde Zeit haben,
so richtig kranken Scheiß erleben wie nie zuvor, meinst
nich’?«
»Komm schon, Wanst«, tat Scott ab. »Ich hab die
Geschichten auch gehört, seit ich ’n Junge war, und
das is’ einfach nur Pferdescheiße. Ich hab in meinem
ganzen Leben keine fünf Creeker gesehen, will ich
wetten. Also hör auf, mir den Abend zu vermiesen. Da
sind keine Creeker und du kannst einen drauf lassen,
dass es kein’ Creekerpuff gibt.«
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Die Idee war für’n Arsch, dachte Wanst. Er wusste
nicht mal, wohin er eigentlich fuhr. Er kurvte nur eine
Straße nach der anderen entlang, während Scotty-Boy
ihren Biervorrat vernichtete. Der Mond folgte ihm,
blitzte zwischen den wuchernden Bäumen hindurch
wie ein blinzelndes Auge. Doch dann …
»Leck mich am Arsch«, flüsterte Scotty-Boy und
beugte sich nach vorn. »Siehst du auch, was ich seh’,
Wanst?«
Wanst sah sie deutlich. Ein Mädchen ging in ein
paar echt zerlumpten Klamotten die Old Dunwich
entlang, gerade so schnell ihre Beine sie trugen. Sie
drehte sich nicht mal um, als der große Truck sich nä-
herte. Sie trampte nicht, sondern spazierte nur, und es
war irgendwie unheimlich, wie sie da entlanglief, mit
diesem seltsam gefärbten Mond über ihr.
Scott kicherte. »Die schnappen wir uns.«
Wanst stöhnte innerlich auf und dieses üble Gefühl
in seinem Magen wurde noch schlimmer. Er zog mit
dem Truck vor sie und stoppte. Scotty-Boy sprang
115
blitzschnell aus dem Wagen. Er verpasste ihr einen
kräftigen Hieb mit seinem Schlagring, zog sie ebenso
schnell in den Truck und Wanst trat aufs Gas. Es hat-
te vielleicht fünf Sekunden gedauert, das Mädchen von
der Straße aufzusammeln.
»Ooooooh Baby«, rief Scott beglückt. »Ich hab’s
doch gewusst, dass wir uns heut Abend ’ne Schlampe
fangen würden.« Er stieß das halb bewusstlose Mäd-
chen in den Fußraum, verpasste ihr ein paar Ohrfeigen
und lachte, mittlerweile völ ig aufgedreht. »Jaaa,
Wanst, lass uns schnell von der Straße runter, denn
wenn ich diese dürre Schlampe nicht bald ficke, platzt
mir der Schwanz, weißt’?«
»Äh, klar«, murmelte Wanst. Ein Stück weiter er-
reichten sie eine Abzweigung, die sie früher schon
einmal benutzt hatten. Scotty-Boy schaltete die In-
nenbeleuchtung an. »Werfen wir doch mal ’nen Blick
drauf«, sagte er und zog das Mädchen zwischen ihnen
hoch, während Wanst den Truck auf der mondbe-
schienenen Lichtung parkte. Das Mädchen war immer
116
noch weggetreten von dem Hieb mit dem Schlagring;
ihr Kopf rollte herum, als habe sie kein Genick. Doch
sie bekamen was zu sehen, als Scott anfing, ihr die zer-
lumpten Kleider vom Leib zu reißen. Sie hatte einen
ordentlichen Körper und ein Paar erstaunlich große
Tüten für ein so dürres Ding. Dafür war ihr schwarzes
Haar irgendwie schlaff und zerzaust und –
»Jesus!«, stieß Scotty-Boy hervor.
Wanst sah es auch. Dieses Mädel, das war irgendwie
verdreht. So hatte sie etwa keinen Bauchnabel und
sechs Finger an der linken Hand, aber gerade mal drei
an der rechten. Und ihre Fotze war völlig unbehaart.
Doch das war nicht der Grund für Scotts Aufschrei. Es
war ihr Gesicht …
»Verdammt noch eins, Wanst. Glaubst du das?«
Dieses Mädchen … Ihr Gesicht sah irgendwie schief
aus. Die Nase wirkte zerquetscht, das eine Ohr hing
tiefer als das andere und ihre völlig verdreckten Haare
lagen über einer seltsam gewölbten Stirn. Doch das
Seltsamste waren ihre Augen.
117
»Schau dir diese Augen an«, flüsterte Scotty-Boy.
Sie waren wirklich groß, doch eines davon war klar
größer als das andere und saß höher in ihrem Gesicht.
Und beide Augen besaßen eine seltsame rötliche Fär-
bung, beinahe wie Blut. Wanst hatte noch nie eine sol-
che Augenfarbe bei einem Menschen gesehen.
»Wanst, das is’ mit Sicherheit die abgefuckteste Alte,
die ich je gesehen hab«, bemerkte Scotty-Boy.
»Sie is’ ’ne Inzüchtige.«
»’ne was? «
»’ne Inzüchtige, Scotty-Boy. Wie was ich vorhin er-
zählt hab. Das hier is’ ’ne Creekerin.«
Scotty-Boys Gesicht verwandelte sich in ein Muster-
beispiel für Faszination. »Weißt, ich hab noch nie ei-
nen von denen von nah gesehen. Wie werden die denn
so verdreht?«
»Kromerzonen«, antwortete Wanst. »Mein Alter hat
mir mal alles drüber erzählt. Wir alle hab’n diese Din-
ger in uns, Kromerzonen. Hat was mit Genen zu tun
…«
118
»Du meinst, wie wenn du müde bis’?«
»Nee, Scotty-Boy, ich mein was anderes. So Gene
sind echt empfindliche Dinger. Sieht so aus, dass diese
sauarmen Familien, diese Hügelleute draußen im
Busch, die treiben’s mit jedem, weißt’? Väter ficken
ihre Töchter, als wär nix dabei, und Brüder ihre
Schwestern, und die Mütter wer’n von ihren Söhnen
geschwängert, immer wieder für ’ne lange Zeit. Und
davon wer’n diese Gene und Kromerzonen total
durcheinandergebracht und die Kinder komm’ ganz
verdreht raus, so wie das Mädel hier. Und diese Leute
nennt man Creeker.«
»Creeker«, murmelte Scott und betrachtete das
Mädchen. »Is’ das nich’ geil?«
Das Mädchen begann sich zu regen und seltsame
Laute auszustoßen, die wie »’ilufe, ’ilufe« klangen. Ihre
großen roten Augen schienen zu starren, ohne viel
wahrzunehmen. Wanst, ganz der große Gelehrte, er-
klärte: »Die meisten Creeker sind echt langsam im
Kopf, weil ihr Gehirn auch total verdreht is’. Könn’
119
kaum sprechen, die meisten von denen, und die paar,
die’s können, nuscheln nur, als hätten sie das Maul vol
mit Brei. Weil’s Creeker sind, sind die auch so sau-
dumm.«
Der Mund des Mädchens bewegte sich. Ihre roten
Augen blinzelten heftig, während sie sprach. »Fres-
hauter, komm-kein-Schmerz.«
»Wie war das, Kleines?«, spottete Scott. Er lachte
schallend und schlug ihr ins Gesicht. »Was sagst du?«
»Fres-hauter«, sagte das Mädchen.
»Ja, die is’ dümmer als Scheiße, alles klar«, stellte
Scotty-Boy fest und grinste im Schein der Wagenbe-
leuchtung. Er begann, sich seine Hose aufzuknöpfen.
»Hat auch ’ne ordentlich große Fotze, oder nich’? Leck
mich, aber ich werd gewaltig in ihr abspritzen, oh ja.
Oder gleich ein paar Mal, faul, wie mein Schwanz in
letzter Zeit war.«
Wanst fühlte sich noch beschissener. Er schätzte,
dass dieses Creekermädchen schon genug Probleme
hatte, aber er traute sich nicht, seinem Kumpel vorzu-
120
schlagen, dass er sie gehen lassen sollte. Scotty-Boys
Absichten waren klar wie Kloßbrühe und wenn er ihm
erst mal stand, dann bekam man ihn nicht mehr run-
ter. Zur Hölle, Wanst hatte es ihn ein paar Mal mit
’nem Schaf treiben sehen, oben auf Millers Wiese,
wenn sie keine Mädchen zum Aufreißen finden konn-
ten. »Ein Fick ist ein Fick, Halleluja«, hatte er verkün-
det und losgelegt. Wanst tat das Schaf leid.
Und mit Sicherheit tat ihm dieses Mädchen hier
leid. Scott warf sie auf den Rücken und musste nicht
mal Hand anlegen, um seinen Schwanz steinhart zu
bekommen. Das Mädchen lag nur da auf der Sitzbank
und blinzelte alle paar Sekunden mit ihren großen,
schiefen roten Augen, während Scotty-Boy ihr die
Beine auseinanderdrückte. »Wanst, warum wartest du
nich’ draußen, weil hier drin kein Platz is’ für uns Drei,
was? Ich will sie ’n paar Mal gut durchnehmen und ihr
in diese kahle Fotze spritzen. Danach kannst du sie dir
vornehmen, wenn du wills’, bevor wie sie umbringen.«
121
»Äh, klar«, gehorchte Wanst. Mit Gehorchen hatte
er absolut kein Problem. Er war sonst immer ganz vor-
ne dabei beim Aufreißen, aber hiermit wollte er nichts
nicht zu tun haben. Es war nicht normal, es mit ’nem
Creeker zu treiben. Also schlich er auf der Lichtung
herum, trank sein Bier aus und warf die Dose weg. Er
konnte Scotty-Boy im Truck laut johlen hören. Scheiße, dachte er mürrisch. Er kannte Scotty-Boy echt gut und
wusste, wie er tickte, und so schätzte er, dass die Miss-
bildungen des Mädchens Scotts Vergnügen noch mehr
Pfeffer gaben.
Richtig kranker Scheiß, dachte er. Jeeesus …
Er sah sich auf der Lichtung um, schaute zum Mond
hoch, starrte in den Himmel. Er wollte nicht darüber
nachdenken, was im Truck passierte, aber das war gar
nicht so einfach. Scott hatte die Innenbeleuchtung an-
gelassen und Wanst konnte nicht verhindern, ein paar
Dinge mitzubekommen. Er konnte die komischen Fü-
ße des Creekermädchens aufragen sehen; dann ihren
Kopf, wie er aus dem Fenster hing, als Scotty-Boy sie
122
umdrehte und es ihr von hinten besorgte. Da fing sie
an zu kotzen und Scotty-Boy lachte und schlug auf sie
ein. »Du musst mal diese dreckigen Haare loswerden,
damit wir dein hübsches Gesicht seh’n können, mein
kleines Fötzchen«, rief er und fing an, ihr das schmut-
zige, kohlschwarze Haar mit seinem Messer abzu-
schneiden, direkt an der Kopfhaut, und die Büschel
kichernd durch den Wagen zu schleudern. Als er fertig
war, standen nur noch einzelne Haarfetzen von ihrem
großen, schiefäugigen Kopf ab.
Wanst setzte sich auf einen Baumstumpf und warte-
te. Mach schon, Scotty-Boy, dachte er. Wir haben noch ’ne Fahrt zu erledigen. Die Dealer, für die sie fuhren, würden es nich’ ganz so toll finden, wenn Wanst und
Scotty-Boy zu spät kämen, aber natürlich war die Ver-
spätung nur ’ne Ausrede. Er wollte nur hier weg, das
war alles. Dieses tiefsitzende, kranke Gefühl im Magen
war immer noch da, nich’ nur wegen dem, was Scott
dem Mädchen da antat, sondern wegen allem ein biss-
chen. Die ganze Nacht fühlte sich schlecht an.
123
»Ah-nein-rette-mich!«, glaubte er das Mädchen aus
dem Auto schreien zu hören. »Ona-prei-se!«
Wer weiß, was das Mädchen sagen wollte. Scheiße,
möglicherweise wusste sie es nicht mal selbst, kaputt
wie sie war von all den verdrehten Kromerzonen.
Wanst vermutete, dass wohl irgendso ein Wissen-
schaftlertyp namens Kromer die Dinger entdeckt ha-
ben musste. Diese Kromerzonen, weißt’, sind so emp-
findlich, wenn Verwandte es dann lang genug mitei-
nander trieben, so über Generationen, dann wurden
keine Babys nich’ mehr richtig geboren. Nein, kein
einziges. Hatte ihm zumindest sein Alter erzählt.
»Ah-nein! ’lfe! ’evernd! Bitte! Ona!«, heulte das
Mädchen.
Scotts johlende Stimme schallte über die Lichtung.
»Verdammt, Wanst! Das ist der Brüller! Die Fotze von
der Kleinen is’ schon was, sag ich dir!«
Äh, klar, dachte Wanst. Er zappelte, als wenn er vol-
ler Ameisen wäre. Das schlechte Gefühl dieser Nacht
… wie das kryptische Flüstern der Seher im alten
124
Rom. Er stand wieder auf und begann, in der mond-
hellen Senke auf und ab zu gehen. Jedes Mal, wenn er
zum Truck rüberschaute, tauchte Scotty-Boys teufli-
sches Grinsen im Fenster auf, während er das Cree-
kermädchen weiter bearbeitete. Dann schrie Scott »Ja-
woll, Meister, ich werd so heftig abspritzen, dass es
dieser nuschelnden Schlampe zu den Ohren raus-
kommt!«
»Hey, Scotty-Boy«, rief Wanst leise. »Wie wär’s,
wenn du dich mal beeilst? Vergiss nich’, wir haben
noch ’ne Fahrt zu erledigen.«
Doch Scotty-Boy, beschäftigt wie er war, hörte
Wanst nicht einmal.
Die böse Vorahnung verstärkte sich. Wanst schwitz-
te jetzt, es juckte ihn und er kratzte sich im Gesicht,
erfüllt von einem namenlosen Grauen. Der Pick-up
schaukelte hin und her, das Creekermädel plapperte
immer noch vor sich hin und Scotty-Boy begann ihren
verformten Kopf – bumm bumm bumm! – mit einer
Meile pro Stunde gegen die Tür zu schlagen. Plötzlich
125
fühlte Wanst eine unerklärliche Furcht, wie er sie noch
nie zuvor in seinem Leben verspürt hatte. Er duckte
sich hinter einen Baum, ohne wirklich zu wissen, wa-
rum, und im selben Moment fing Scotty-Boy an zu
schreien …
Binnen Sekundenbruchteilen drängten sich große,
schnell huschende Schatten um den Pick-up und
Scotty-Boy schrie immer noch – es klang nicht mal
menschlich, eher so wie Cage Georges Plymouth
Barracuda, als ihm beim Rasen die Ölpumpe abgefal-
len war – und im nächsten Moment bog ein weiterer
Truck auf die Lichtung ein, nicht von der Landstraße,
sondern aus einem unbefestigten Weg, der in die Wäl-
der führte. Nur dass dieser Pick-up wirklich alt und
verbeult war, mit verdammt trüben Scheinwerfern. Die
Schatten zerrten Scotty-Boy aus dem Wagen und er
brüllte weiter wie am Spieß. Andere Schatten hoben
das Creekermädchen auf und trugen sie zu dem Truck
mit den blassen Scheinwerfern, aber so wenig Licht sie
126
auch verbreiteten, konnte Wanst trotzdem sehen, wa-
rum Scott so schrie …
Jeeeee-suuus …
Scotty-Boy hatte kein Gerät mehr zwischen den
Beinen, nur noch ein blutiges Loch im Schritt, aus
dem es wie aus einem Wasserhahn herauslief. Einer
der Schatten hatte Scotts Schwanz und Eier glatt ab-
geschnitten. Scott schrie und zuckte im Staub, wäh-
rend mehrere der Gestalten ihn zu Boden drückten
und einer von ihnen – klatsch klatsch klatsch – mit einem Montierhebel oder etwas Ähnlichem hart und schnell
auf Scotts Arme und Beine einschlug. Knochen zer-
barsten wie Bleistifte. Ein weiterer Schatten zückte das
größte Jagdmesser, das Wanst je gesehen hatte, und
begann, Scott an Ort und Stelle und bei lebendigem
Leib zu skalpieren.
Noch mehr von diesem Creekergeplapper erfüllte die
Lichtung, doch diesmal war es nicht das Mädchen. Es
klang wie Männerstimmen.
»Ona-prei-se!«
127
»Ona-fer-Blut!«
»Fres-hauter-fer-den!«
»Ona!«
Wanst hätte schwören können, dass da noch eine
andere Stimme war, aber die schien er nur in seinem
Kopf zu hören, weißte, und nicht mit den Ohren, und
was er hörte, war dies:
Erlöser, Heiler, segne uns …
Ah-no ah-no!
Dir bringen wir dar diese Gabe des Fleisches …
Ona!
Wanst fühlte sich wie ein Teil des Baumes, um den
er herumspähte. Er konnte sich nicht rühren. Diese
Schatten machten Scotty-Boy wirklich fertig, auf eine
Art und Weise, die sogar Wanst den Magen umdreh-
te. »Wanst, um Himmels willen, hilf mii r!«, schrie
Scott, zerschlagen und skalpiert, aber noch am Leben.
Einer der Schatten besorgte es Scotty-Boy heftig von
hinten, während der mit dem Messer Scott die Ohren
abschnitt, die Haut von den Fingern abzog und ihm
128
die Zehen wie Karotten für einen Eintopf abhackte.
Wanst zitterte wie festgewachsen hinter seinem Baum,
unfähig sich zu rühren. Doch er wusste, wenn er es
nicht bald tat, würden diese Typen mit ihm sicher das
Gleiche anstellen.
Mussabhauenmusshiersofortweg!
Nachdem der eine damit fertig war, Scott in den
Arsch zu ficken, schob er ihm den Montierhebel ins
gleiche Loch und bewegte ihn heftig hin und her. Der
andere Kerl schlitzte Scott die Kehle so tief mit dem
Jagdmesser auf, dass Wanst die Klinge über den Kno-
chen schleifen hörte. Und das war es dann für Scott
»Scotty-Boy« Tuckton. Jawoll, Meister.
Heute Nacht hatte er sich definitiv mit den falschen
Leuten angelegt.
Als Nächstes schleppten die Schatten Scotty-Boys
Überreste zu ihrem schrottreifen Pick-up und warfen
sie auf die Ladefläche wie einen Futtersack. Dann –
Ein weiterer Typ trat aus der Dunkelheit.
Fuck, dachte Wanst.
129
Dieser Kerl war größer als die anderen und Wanst
schätzte, dass er irgendwo in der Dunkelheit gestanden
hatte, während seine Kumpels Scotty-Boy vermöbel-
ten. Er stand einen Moment lang nur da und schien in
der Luft zu wittern, dann drehte er sich im Mondlicht
und …
Scheiße! , dachte Wanst.
… sah Wanst direkt an, wie er da hinter dem Baum
hockte.
Wansts Augen traten hervor, als würden sie ihm
gleich aus dem Kopf fal en, als dieser Killertyp ihn an-
starrte, und er dachte, er würde einfach tot umfal en.
Doch stattdessen pisste und schiss er sich gleichzeitig
in die Hose. Er sah das Gesicht des anderen nur für
eine Sekunde, doch eine Sekunde war mehr als genug.
Ein Gesicht, noch übler zerquetscht als bei dem Mäd-
chen, mit einem Ohr doppelt so groß wie das andere.
Dazu ein Grinsen aus völlig schiefen Zähnen. Er deu-
tete mit einem langen, verkrümmten Finger auf Wanst
130
und starrte ihn aus Augen an, die denen des Mädchens
zum Verwechseln ähnlich sahen.
Blutrote Augen …
Lauf, Bürschchen, hörte Wanst eine Stimme in sei-
nem Kopf. Wir holen dich beim nächsten Mal …
Wanst rannte und hielt erst an, als die Sonne fünf
Stunden später über den Hügeln aufging.
FÜNF
PHIL BREMSTE KURZ AB, als er am Krazee Sal-
lee’s vorbeikam, vor dem ein riesiges blinkendes Schild
für die angebotenen Dienste warb. Der Laden ist voll
und dabei ist es gerade mal 19:30 Uhr, bemerkte er. Das Sal ee’s war nicht nur der einzige Stripclub der Stadt,
es war überhaupt die einzige Bar. Phil war kurz nach
seinem 18. Geburtstag ein-oder zweimal dort gewesen
– in den guten alten Zeiten, bevor man erst mit 21
trinken durfte. Alles, woran er sich erinnern konnte,
131
waren ein paar unterwürfig aussehende Frauen mit
schlechten Tätowierungen und schlaffen Brüsten, die
auf einer von Stroboskoplampen erleuchteten Bühne
herumstolperten. Grunzende Schweine in einem
Schlammloch hätten ihn mehr erregt.
Doch als er jetzt vorbeifuhr, beschloss er, dass er dem
Laden in nächster Zeit mehr Aufmerksamkeit widmen
würde. Laster, das hatte er bei der Metro gelernt, ka-
men oft an einem Ort zusammen. Alkohol brachte
schmierige Bars hervor, Bars führten zu Strippern,
Stripper zogen Prostituierte nach sich, Prostituierte
früher oder später auch Drogen. Das Sallee’s wäre der
nahe liegendste Ort für Natter, um dort seinen Stoff
unter die Leute zu bringen. Phil konnte sich kaum vor-
stellen, dass die Junkies sich ihre Ration Angel Dust
fürs Wochenende bei Boutons Farmbedarf oder
Chuck’s Diner abholten.
Er parkte auf dem kleinen Schotterplatz hinter der
Polizeistation. Erster Tag im neuen Job, ermahnte er
sich. Sei auf Zack. Er rückte seinen Pistolengurt und
132
den Sam-Browne-Gürtel zurecht – Mul ins hatte in
gutes Leder investiert. Die gestärkte Uniform (marine-
blaues Hemd, taubenblaue Hosen) saß ziemlich gut.
Die Waffe an seiner Hüfte, ein Colt vom Typ Trooper
Mark III, zerrte störend am Gürtel; der wurstförmige,
18 Zentimeter lange Lauf machte sie schwerer als die
S&W 65er, die er bei der Metro benutzt hatte, doch
das war natürlich allemal besser als die einsame Dose
Pfefferspray, die während seiner Zeit als Wachmann
seine einzige Verteidigung gewesen war.
Als er sich gerade dem Eingang zur Station zuwand-
te, hörte er eine Tür schwer ins Schloss fallen und sah
Chief Mullins aus dem kleinen Backsteingebäude her-
auskommen, das separat hinter dem Revier stand: das
Stadtgefängnis. Soweit Phil sich erinnern konnte, fan-
den sich darin lediglich drei Zellen, die selten mehr als
vereinzelte Betrunkene zur Ausnüchterung beherberg-
ten.
»Startklar für die erste Schicht, wie ich sehe«, be-
merkte Mullins, während er schwerfällig über den
133
Parkplatz schlurfte. Sein kahler Schädel glänzte wie
eine Kristallkugel aus Fleisch. »Siehst wie der leibhaf-
tige Dirty Harry aus.«
»Ich wusste gar nicht, dass Dirty Harry der Dorftrot-
tel war«, entgegnete Phil. »Und wen haben Sie da ein-
gesperrt?«
»Im Knast? Oh, niemanden«, sagte Mullins und zog
die Hintertür zur Station auf. »Zu deiner Information,
wann immer wir jemanden einbuchten, kommt er ins
Bezirksgefängnis in Mayr. Du weißt, wo Mayr ist, o-
der? Die Route 3 runter am Wohnwagenhandel vor-
bei.«
»Ja, ich weiß, wo das Bezirkshauptquartier ist, Chief.
Aber wenn wir hier niemanden mehr einsperren, was
ist dann da drin?«
»Ein Lager. Hab das Inventar überprüft.«
Inventar? Phil konnte sich nicht vorstellen, dass ein Kleinstadtrevier wie Crick City nennenswerte Lager-kapazitäten benötigte. »Ah, die Ausrüstung für das
134
Sonderkommando und die Anti-Terror-Einheit, was?
Parken Sie da auch den Polizeihubschrauber?«
»Nein, Witzbold, da bewahre ich den wichtigen Poli-
zeikram auf, Kaffeefilter zum Beispiel. Die sind uns
übrigens ausgegangen. Das wäre dann deine erste Mis-
sion bei der Elite von Crick City. Irgendwann während
deiner geschäftigen und gefährlichen Schicht fährst du
beim Qwik-Stop vorbei und kaufst ’ne Packung Kaf-
feefilter. Dein Boss braucht seinen Morgenkaffee.«
»Deswegen haben Sie mich also eingestellt. Sergeant
Straker, der Laufbursche.«
»Verdammt richtig. Also, warum klemmst du dir
nicht mal ’ne Minute deine blöden Witze und lässt
dich einweisen?«
»Klar, Boss.«
Phil setzte sich in den Klappstuhl, während Mullins
in einer seiner Schreibtischschubladen herumwühlte.
Sein Bauch quoll so weit hervor, dass sein Hemd ver-
mutlich platzte, wenn er sich noch weiter vorbeugte.
»Eine Sache lernst du besser schnell, Kojak. Wir be-
135
nutzen die Code-Liste des County, nicht diese be-
schissenen Codes bei der Metro.« Er reichte Phil eine
Liste von Funkcodes. »Lern sie schnell.«
»Herrje, Chief, ich weiß nicht. Ich hab nur einen
Masterabschluss; könnte eine Weile dauern, bis ich das
hier drauf habe – so etwa 30 Sekunden.«
»Ich lach mich tot«, erwiderte Mullins mit unbeweg-
ter Miene. »Lern sie einfach und verkneif dir die blö-
den Kommentare, es sei denn, du willst gleich am ers-
ten Tag wieder gefeuert werden, um jeden Freitag-
abend als Nachwuchskomiker in Rudys Taverne für
eine Handvoll Dollars Trinkgeld aufzutreten.«
Phil lächelte. »Also funken wir auf der Countyfre-
quenz, ja?«
»Scheiße, nein. Wir haben unsere eigene Frequenz
und unsere eigene Leitstelle. Die Dame heißt Susan
und sitzt im Nebenzimmer. Vergiss nicht, dich bei ihr
zu melden, bevor du die Schicht antrittst.«
»Susan, Leitstelle. Alles klar.«
136
»Sie ist nett, also geh ihr nicht so auf die Nerven wie
mir, verstanden?«
»Eins wollte ich noch wissen: Gehört zur Ausrüstung
auch eine kugelsichere Weste?«
Mullins sah ihn mit grimmiger Heiterkeit an. »Sehe
ich etwa aus wie der gottverdammte Weihnachts-
mann?«
Na ja, mit weißen Haaren und Bart … »Hey, Sie wis-
sen doch, auf Cops wird ständig geschossen«, bemerkte
Phil.
»Du bist Bulle in Crick City, kein Krieger der Apo-
kalypse. Hier brauchst du höchstens ’ne Weste, um dir
die Moskitos von den Titten fernzuhalten, wenn du
draußen bei den Sümpfen rumirrst. Wenn du ’ne ver-
dammte Weste willst, kauf dir eine.«
»Hey, ich frag ja nur.«
»Wenn du Fragen hast, kein Problem. Aber stell mir
keine dummen Fragen.«
»Okay. Wie steht das Department zur gerichtlichen
Verwendung von Aussagen, die ohne Verlesung der
137
Rechte während spontaner Situationen im Einsatz er-
langt wurden, nachdem ein hinreichender Verdacht
bereits vorher bestand?«
Mullins starrte finster. »Was auch immer sie euch
auf der Akademie beigebracht haben.«
Phil verkniff sich ein Lächeln. Er tritt mir ständig auf
die Zehen, da ist es nur fair, wenn ich ab und zu mal zu-
rücktrete. Es schien nur angebracht. Außerdem machte
es eine Menge Spaß.
Mullins klemmte sich ein Stück rauchlosen Tabak
unter die Lippe und spie in den Kaffeebecher, den er
immer als Spucknapf benutzte. Phil hoffte bei Gott,
dass sein Chief niemals versehentlich daraus trank.
»Was ich mir von dir wünsche«, fuhr Mullins fort, »ist,
dass du dich in den ersten paar Nächten wieder mit der
Stadt vertraut machst. Das sollte nicht so lange dauern,
bist ja schließlich hier aufgewachsen. Es sei denn der
ganze Smog, den du die letzten zehn Jahre bei der
Metro eingeatmet hast, hat dir dein Hirn zerfressen.
138
Danach ist alles mehr oder weniger Routine. Den
ersten Teil deiner Schicht bleibst du auf deinem Arsch
hocken. Fahr durch die Gewerbegebiete und Wohnge-
genden, schön langsam, lass die Anwohner wissen,
dass wir wieder ’ne Nachtstreife haben. Und wirf ein
Auge auf den Qwik-Stop, der hat 24 Stunden geöff-
net. Was immer du auch tust, versau mir den Streifen-
wagen nicht. Der ist brandneu und es hat mich Jahre
gekostet, bis der Bürgermeister und der Stadtrat mir
den genehmigt haben.« Mullins spuckte erneut in sei-
nen Becher. »Das wär’s fürs Erste, schätze ich.«
Phil kniff die Augen zusammen. »Das war’s? Ich
dachte, Sie wollten mich briefen.«
»Das hab ich gerade getan.«
»Ja, sicher, Chief, aber es muss doch irgendwelche
Einsatzrichtlinien geben, an die ich mich halten soll.«
»Wozu?«
Phil seufzte. »Die Drogensache. Sie sagten, das sei
das größte Problem in der Stadt. Was sind Ihre Pläne?
Was soll ich tun?«
139
Mullins sah einen Augenblick lang verwirrt aus.
»Oh, klar, also … natürlich will ich, dass du der Sache
nachgehst. Fahr ’rum, halt deine Augen offen. Die ge-
samte Palette an Guter-Cop-Scheiße, die du bei der
Metro abgezogen hast.«
Phil wol te lachen. War der Mann naiv? Wenn das
größte Problem der Stadt Cody Natters Drogenring
war, wieso hatte Mullins dann keinen Plan? Er schien
überhaupt nicht darüber nachgedacht zu haben. Phil
erkannte, dass er hier Eigeninitiative entwickeln muss-
te. Darauf zu warten, dass Mullins mit irgendeiner
Strategie daherkam, wäre in etwa so produktiv, wie
darauf zu warten, dass seine Haare grau wurden.
»Nun, so wie ich das sehe«, begann er, »müssen wir
Natters Umschlagplatz finden. Am wahrscheinlichsten
scheint mir da Krazee Sallee’s zu sein. Ich meine, was
sonst gibt es hier? Das Sallee’s ist nicht nur das einzige
Wasserloch hier, sondern auch der einzige Stripschup-
pen, und die Chancen stehen gut, dass mindestens die
Hälfte der Mädchen dort krumme Dinger dreht, also
140
dürften dort auch die Süchtigen aus der Umgebung
hingehen.«
»Richtig«, stimmte Mullins freundlicherweise zu.
»Auf das Sallee’s solltest du ganz besonders achten.
Also beobachte den Laden jede Nacht, kurz bevor er
dichtmacht. Was denn, muss ich dir wirklich al es er-
klären?«
Der Kerl ist mir einer. Wird wohl zu alt für den Job.
Phil sparte sich ein Kopfschütteln. »Ich soll das Sal ee’s
jede Nacht in meinem Streifenwagen observieren?«
»Natürlich. Warum nicht?«
Jetzt schüttelte Phil doch den Kopf. »Chief, wenn
Natter und seine Leute jeden Abend ein Polizeiauto
auf dem Parkplatz stehen sehen, dann werden sie ihre
Geschäfte einfach woanders erledigen und wir haben
es umso schwerer, ihnen auf die Füße zu treten.«
»Also gut, Schlaumeier, du großer Drogenfahnder.
Wie lautet dein Plan?«
»Wenn Sie diese Kerle in flagranti erwischen wollen,
dann muss ich verdeckt ermitteln. Warum schau ich
141
mir den Laden in den ersten paar Wochen nicht in Zi-
vil und mit meinem eigenen Wagen an? Keiner wird
sich an mich erinnern, weil ich nie dort abgehangen
habe. Wenn doch, dann habe ich bestimmt eine gute
Ausrede parat. So kann ich ein paar Namen und
Kennzeichen sammeln und bekomme einen ersten
Eindruck, was da draußen abgeht. Mit ein bisschen
Glück kann ich mir auch ein oder zwei Informanten an
Land ziehen.«
»Klar, sicher, ein bisschen verdeckte Ermittlung, das
hätte ich als Nächstes vorgeschlagen.«
Aber sicher. »Okay, das ist der Plan. Jede Nacht, so etwa eine Stunde vor der letzten Runde, zieh ich mir
Zivilkleidung an und schau mir den Laden an. Sie zah-
len mir doch den Sprit für mein eigenes Auto, oder?«
»Ja, ja, geht klar«, nörgelte Mullins. »Geh schon und
mach dein Ding. Erstatte mir morgen früh Bericht.
Oh, und eine Sache solltest du noch wissen. Das
Krazee Sallee’s gehört Natter jetzt.«
142
Wie zum Teufel …? »Wie kann sich ein Creeker ei-
nen Stripclub leisten? Die meisten von denen haben
doch gar kein festes Einkommen.«
»Kein legales Einkommen«, korrigierte Mullins. »Ich
hab den Kerl von der Steuerbehörde überprüfen lassen:
Seine Unterlagen sind absolut sauber. Irgendwie hat er
sein Drogengeld gewaschen und damit das Sallee’s ge-
kauft.«
Phil nickte. Ergibt Sinn, erkannte er. Es gab alle
möglichen finanziellen Schlupflöcher, die anscheinend
speziell für Kriminelle geschaffen worden waren. Das
war nichts Neues.
»Also gut.« Phil stand auf und wollte gehen, doch
Mullins hatte noch einen Hinweis für ihn parat, nach-
dem er ein weiteres Mal den Tabak in seinen Becher
gerotzt hatte: »Und was immer du tust …«
»Ich weiß, sei vorsichtig.«
»Gut, das auch, aber vergiss meine Kaffeefilter
nicht.«
143
Das gefällt mir, dachte Phil. Ein Chief, der noch Prio-ritäten setzt. Er ging zum vorderen Teil der Station,
um sich bei der Dame in der Leitstelle zu melden, die
Mullins erwähnt hatte. Womöglich eine alte Jungfer auf
Sozialhilfe, spekulierte er. Sieht aus wie Old Lady Crane an einem schlechten Tag.
»Hier drinnen«, hörte er ein Rufen.
Phil betrat einen winzigen Raum jenseits der Vor-
dertür. Lieber Junge, da lag ich wohl falsch, stellte er erfreut fest. Hinter einem großen Funkscanner und einer
Motorola-Sendestation saß eine hübsche blonde Frau,
die in den späten 20ern zu sein schien. Sie trug norma-
le Jeans und eine schlichte, pinke Bluse. Auf ihrem
Schoß lag ein aufgeschlagenes Sachbuch.
Phil streckte seine Hand zum Gruß aus. »Ich bin
Phil Straker, der neue Cop.«
»Nun, ich war mir verdammt sicher, dass Sie nicht
der neue Komiker vom Dienst sind, so wie Sie angezo-
gen sind«, erwiderte sie und ignorierte seine Hand.
»Mein Name ist …«
144
»Susan, Leitstelle«, unterbrach Phil. »Der Chief sag-
te, ich solle mich bei Ihnen melden.«
Sie schien verärgert zu sein, doch Phil konnte nicht
erkennen, worüber. Ich schätze, ich sollte vielleicht mal
das Deo wechseln.
»Wir benutzen die Code-Liste des County, also ma-
chen Sie sich mit den Codes vertraut, und zwar
schnell«, sagte Susan. »Wenn ich eines nicht ausstehen
kann, dann ist es ein Frischling, der seine Funkcodes
nicht beherrscht.«
Phil runzelte die Stirn. »Wissen Sie, wofür eine 72
laut County-Register steht?«
Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Eine 72? Nein.«
»Das ist eine Beschwerde über jugendliches Fehlver-
halten. Können Sie auf Ihrer Liste nachlesen, die Sie
da an die Wand gepinnt haben. Und falls Sie ein Prob-
lem mit mir haben, von mir aus. Aber gehen Sie mir
nicht wegen nichts auf die Nerven, alles klar? Zu ihrer
Information: Ich bin kein Frischling. Ich war zehn
Jahre lang Cop bei der Metro Police.«
145
»Ja, ich weiß«, schnappte sie und wandte sich wieder
ihrem Buch zu.
Phil verließ die Station, gleichermaßen fassungslos
und verwirrt. Er benahm sich normalerweise nicht so,
doch er sah nicht ein, warum er sich das von einer Frau
gefallen lassen sollte, die er eben erst kennengelernt
hatte.
Es war nicht mal ihre Unhöflichkeit, die ihn störte,
sondern vielmehr der Ausdruck in ihren Augen …
Es waren womöglich die schönsten blauen Augen,
die er je gesehen hatte, doch in jenem kurzen Moment,
bevor er die Station verließ, spürte er ohne jeden Zwei-
fel, dass diese Augen vor schierer Verachtung brann-
ten.
SECHS
SO EIN WERTVOLLES KLEINES DING, dachte
Natter und betrachtete das neue Mädchen abschätzend
mit seinen ungleichen Augen.
146
»Wie alt ist sie?«, fragte er.
»Etwa 16, denk ich.«
So eine hübsche kleine Botin …
»Glaubst, sie ist bereit, Cody?«
Doch was bedeutete bereit schon? Was bedeutete es
wirklich, wenn man es von allen Seiten betrachtete?
Hab Vertrauen, sagte er sich. Er war letzten Endes ein Mann des Glaubens. Diese kleinen Menschen, seine
Sippe, dienten alle auf ihre Weise. Sie verstanden
nicht, wie, doch war das wirklich wichtig? Sie alle tru-
gen ihren Teil zur Vorsehung bei …
Sie war gewaschen worden. Ihr gerades, schwarzes
Haar hing lang und glänzend wie bei einer nassen Am-
sel herab. Ihr fehlte ein Ohr, was aber nicht besonders
stark auffiel, und ihre Augen waren nahezu gleich
groß. Sie sah fast schon gut genug aus, um in der Bar
eingesetzt zu werden.
Fast.
Dieser Fluch, dachte er in tiefster Verzweiflung.
Wann wird er enden?
147
Druck zog sie aus, um ihr Fleisch ans Tageslicht zu
bringen. Ihre roten Augen waren nach unten gerichtet,
während Natters prüfender Blick an ihrem Körper ent-
langwanderte. Volle, gesunde Brüste, abgesehen von
einer zusätzlichen Warze auf der linken. Ihr zweiter
Bauchnabel war kaum sichtbar und obwohl ein Bein
etwas länger war als das andere, bemerkte man ihr
Hinken nur, wenn man ganz genau hinsah.
So ein liebreizendes Ding …
Manchmal hätte er weinen können.
»Wann?«, fragte Druck.
Natters verlängerte Hand strich über sein Kinn. Sei-
ne roten Augen wirkten zwar trüb, aber sie waren von
etwas erfüllt …
Hoffnung.
»Weise sie erst ein«, sagte er. »Weise sie sanft ein.«
Wie befohlen – oder genauer gesagt: nach Anweisun-
gen, die er seinem Boss, den er allmählich für senil o-
der schlicht völlig zerstreut hielt, erst hatte in den
148
Mund legen müssen – verbrachte Phil die ersten fünf
Stunden seiner Schicht damit, im Streifenwagen des
Reviers durch Crick City zu fahren.
Es war ein gutes Fahrzeug, ein neuer weißer Chevy
Cavalier, ausgestattet mit Standardsirene, Gitterzelle,
Gewehrhalterung und Funkausrüstung. Aus irgendei-
nem bescheuerten Grund hatte Mullins ein Tränen-
gasgewehr von Smith & Wesson im Kofferraum depo-
niert, außerdem noch ein AR-15-Halbauto-
matikgewehr mit hochwertigem Zielrohr – aber natür-
lich ohne Munition. Phil meldete sich bei Susan, der
patzigen Leitstelle, zum Dienst und begann dann seine
Patrouil e. Er fuhr die örtlichen Privatunternehmen ab,
die wenigen kleinen Wohnkomplexe und die Trailer-
parks. Er fuhr auch bei Chuck’s Diner vorbei, passierte
Hulls Gemischtwaren, kurz bevor der Laden schloss,
und Hodges winzigen Supermarkt, der noch am ehes-
ten das war, was in Crick City einem Einkaufszentrum
nahekam. Er hielt sich absichtlich vom Sallee’s fern.
149
Ein neuer Cop ist in der Stadt und das werde ich sicher
nicht hinausposaunen, hatte er beschlossen.
Aber seine Fahrt durch das Stadtgebiet erfüllte ihn
mit einem fast schon sentimentalen Gefühl. Ja, das
hier war etwas völlig anderes als die Großstadt. Weit-
läufig, entspannt, faul. Lange, gut einsehbare Straßen,
sanfte Hügel und Wiesen, üppige Wälder …
Warum also fühlte er sich so unwohl?
Nervös wegen des neuen Jobs, versuchte er sich einzu-
reden. Doch er wusste, dass das eine Lüge war.
Es lag an der Erinnerung, die er den größten Teil
seines Lebens zu begraben versucht hatte …
War das Haus wirklich dort draußen?
Existierte es tatsächlich oder war es etwas, das er sich
vor all diesen Jahren nur eingebildet hatte?
Er hatte sich bemüht, es zu verdrängen – erfolgreich
sogar – bis er …
Bis ich hierher zurückkehrte.
Das gemächliche Brummen des Motors verschmolz
mit dem widerstrebenden Gefühl in seiner Magenge-
150
gend – die Erinnerung hypnotisierte ihn, verführte ihn
wie ein kichernder Teufel auf seiner Schulter, und
dann …
Gott, nein!
… blitzten kleine Bruchstücke vor seinem inneren
Auge auf. Das war das Auge eines Kindes, oder etwa
nicht? Die schnatternde, albtraumhafte Erinnerung
eines verängstigten kleinen Jungen an den Schwarzen
Mann:
… Nein …
Offene Türen.
Streifen von Sonnenlicht, die eine träge Finsternis
durchschnitten.
Und diese Finsternis begann … sich zu bewegen.
Er konnte Dinge darin erkennen. Gestalten. Stöh-
nend. Schlurfend. Im Licht der mageren Sonnenstrah-
len sah er …
Menschen …
Gesichter.
Fleisch.
151
Eine verdrehte Hand hier, ein verkrümmter, nackter
Fuß da.
Zuckende Münder, die sich öffneten und wieder
schlossen, keuchten. Speichelfäden hingen von gespal-
tenen Kinnpartien, Zungen wanden sich wie fette, rote
Würmer zwischen Reihen von zersplitterten Zähnen.
Und …
… Gott, nein …
Phil fuhr an den Seitenstreifen und kniff die Augen
zusammen, um die über ihn hinwegbrechende Lawine
von Bildern abzuschotten. Sein Magen krümmte sich
zu einer vertrockneten Pflaume und ein heftiger
Schmerz pochte hinter seinen Schläfen …
Du hast nichts von al edem wirklich gesehen! , schrie er in Gedanken. Es war nicht real! Es war alles nur Einbil-dung!
Doch sosehr er auch bemüht war, sich das einzure-
den, er wusste doch, dass er sich niemals sicher sein
konnte.
152
Phil betrat die Station durch die Hintertür, um sich
umzuziehen. Dann betrat er den Gemeinschaftsraum.
»Ich …«, fing er an.
Susan, die Dame von der Leitstelle, verzog gering-
schätzig das Gesicht. »Ihre Schicht endet erst um acht
Uhr morgens«, sagte sie. »Warum sind Sie schon in
Zivil?«
»Ich werde für eine Weile das Sallee’s observieren«,
antwortete Phil.
»Ach, ja? Sagt wer?«
»Chief Mullins. Wissen Sie, für eine Leitzentrale
sind Sie ziemlich schlecht informiert.«
Ihre Miene wurde strenger. »Nun, wie soll ich etwas
wissen, wenn Sie mich noch nicht informiert haben?«
»Ich informiere Sie jetzt«, gab Phil zurück.
Susan zögerte und legte ihr Buch zur Seite. Es trug
den Titel Forensik 1994. »Der Chief hat mir nichts da-
von gesagt, dass Sie heute Nacht verdeckt bei Sallee’s
ermitteln.«
153
Phil seufzte. Organisation, lieber Himmel. »Susan, ei-
gentlich hab ich mir das ausgedacht. Ich werde ein
paar Bier trinken und mir im Dienst Stripper angu-
cken.«
»Das würde mich nicht überraschen. Das Sallee’s ist
vermutlich ganz nach Ihrem Geschmack.« Sie zögerte
wieder und tippte mit dem Finger gegen die Funkan-
lage. »Ich weiß nicht. Ich werde mich besser beim
Chief rückversichern.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, lud Phil sie ein.
»Ich bin ganz sicher, er wird sich gerne um ein Uhr
nachts von der Leitstelle wecken lassen, weil die es
nicht schafft, selbstständig nach aktuellen Einsatzän-
derungen zu fragen.«
»Arschloch!«, funkelte sie ihn an und bedachte ihn
durch ihre blonden Locken mit einem wütenden Blick.
»Das ist mein zweiter Vorname. Okay, machen Sie,
was Sie wollen. Rufen Sie den Chief an, den Bürger-
meister und den Stadtrat. Sie können auch Micky
154
Maus oder Steven Spielberg informieren. Was mich
angeht, ich bin in Bereitschaft bei Sal ee’s.«
»Vergessen Sie Ihr Funkgerät nicht.«
Phil hielt das tragbare Motorola hoch. »Wonach
sieht das aus, nach einem Klodeckel? Tragen Sie mich
als Stand-by ein«, schnappte er und verließ die Station.
Gott, geht die mir auf die Nerven! Phil stieg in seinen Malibu, aktualisierte sein Einsatzlogbuch und kurvte
vom Parkplatz. Warum hasst sie mich? Die Frage nagte
an ihm. Sicher, er war neu hier, und bei der Polizei
brauchten al e ihre Zeit, um sich an neue Gesichter zu
gewöhnen, aber Susan … Jesus, sie führt sich auf, als hät-
te ich auf ihren Hund gepisst. Muss wohl chronisches PMS
sein.
Oder …
Vielleicht liegt es an mir, überlegte er. Vielleicht ist es mein Karma oder so etwas. Phil sah keinen Grund, warum Susan ihm mit solcher Feindseligkeit entgegen-
trat, doch er musste einräumen, dass Frauen selten mit
ihm warm wurden und er noch nie verstanden hatte,
155
woran das genau lag. Während seiner Zeit bei der
Metro hatte er ein paar Beziehungen gehabt.
Ja, und die sind al e in die Brüche gegangen. Immer
schien es meine Schuld zu sein. Aber vielleicht war es ja wirklich seine Schuld. Die längste seiner Beziehungen
hatte etwa acht Monate gehalten und am Ende hatten
sie sich schlimmer gestritten als diese Idioten in einer
Nachmittags-Talkshow. Sei ehrlich, Phil, wies er sich
zurecht. Es war leicht, sich selbst gegenüber ehrlich zu
sein, wenn man um kurz nach ein Uhr nachts allein
durch die Gegend fuhr. Selbsterkenntnis, Alter. Du hast
etwas an dir, das Frauen abstößt. Vielleicht liegt sie richtig. Vielleicht bist du wirklich ein Arschloch.
Als er diesen Gedanken so nachhing, entschied er
spontan, dass Selbstreflexion vielleicht doch nicht die
beste Idee war. Warum sollte ich es mir noch unter die
Nase reiben, wenn es nicht unbedingt sein muss? , sagte er sich. Kümmere dich ums Sallee’s, um Natter, den Drogenring – darum bist du hier. Nicht, um zu grübeln, warum
156
Frauen dich behandeln, als wärst du der Würger von Bos-
ton.
Eine Kurve später sah er die große Leuchtreklame
aufblinken: KRAZEE SALLEE’S. Der Schotter
knirschte unter den Reifen des Dienstwagens, als er
auf den Parkplatz einbog und nach einem guten Be-
obachtungsposten Ausschau hielt. Der verbeulte Ma-
libu würde mit Sicherheit nicht weiter auffallen, ein
Typ mit einem tragbaren Polizeifunkgerät, der direkt
vor der Tür parkte, dagegen schon. Er lenkte den Che-
vy in eine Lücke am hinteren Ende des Geländes. Von
dort aus hatte er einen guten Blick auf das Gebäude
und den gesamten Parkplatz.
Nummernschilder, ermahnte er sich. In den ersten
paar Nächten wollte er sich darauf beschränken, Listen
der Fahrzeuge zu erstellen, die nach Ladenschluss
noch auf dem Platz standen. Aussehen, Kennzeichen,
eine Kurzbeschreibung der Fahrzeughalter, die er dann
am Ende der Woche abgleichen würde, um die
Stammkunden auszusortieren. Außerdem brauchte er
157
die Kennzeichen aller Wagen, die von außerhalb des
Bundesstaats hierherkamen. Das war eine zähe Arbeit,
doch damit musste man zwangsläufig anfangen.
Das ist ein wahres Paradies für Pick-ups, konstatierte er. Die Hälfte der Fahrzeuge auf dem Parkplatz waren,
kaum überraschend, Pick-up-Trucks in verschiedenen
Stadien der Reparaturbedürftigkeit. Die restlichen
Wagen waren ähnlich abgenutzte Autos wie sein Ma-
libu. Hier und da standen ein paar frisierte Hotrods
herum. Nein, das ist nicht gerade die Tiefgarage des Hyatt Regency, witzelte er und begann, Autokennzeichen mit
seinem Leuchtstift zu notieren. Er hatte auch ein
7x50-Bushnell-Fernglas mitgebracht, um Plaketten
außer Sichtweite heranzuzoomen. Das alles dauerte
nicht lange und schon bald hatte er nichts weiter zu
tun, als reihenweise Kunden in Bluejeans und T-Shirt
beim Kommen und Gehen zu beobachten. Er vermu-
tete, dass die letzte Runde gegen ein Uhr dreißig be-
stellt werden würde; dann würde sich der Parkplatz
leeren und er konnte sehen, wer noch übrig blieb. Sor-
158
tier die Penner aus, dachte er. Wer dann noch da ist, den solltest du dir näher ansehen.
Die Langeweile setzte schnell ein.
Undefinierbare Country-and-Western-Musik
dröhnte jedes Mal über den Platz, wenn jemand den
Club verließ. Die meisten waren offensichtlich betrun-
ken und tauschten sich grölend über die »heißen Wei-
ber« aus. Viele hielten es für unbedingt nötig, zwischen
die parkenden Autos zu urinieren, ehe sie verschwan-
den. Wenn ich nur einen Cent für jeden Redneck bekäme,
den ich heute pissen gesehen habe, könnte ich meinen Tank
mit vergoldetem Benzin füllen, überlegte Phil. Er ver-
suchte, an etwas anderes zu denken, doch jedes Mal
kreisten seine Gedanken bald wieder um ihn selbst: das
Thema des Abends.
Die Arbeit in Crick City würde ihm keinen Ver-
dienstorden einbringen, aber es war ein Job, der zu sei-
ner Ausbildung und seinen Zielen im Leben passte.
Dankbarkeit war also angebracht, schätzte er. Allemal
besser, als bei Luckys Autowäsche Kotflügel einzuseifen.
159
Trotz Dignazios Intrigen bei der Metro, fand Phil,
hätten sich die Dinge schlimmer entwickeln können –
viel schlimmer. Es machte ihm nicht einmal etwas aus,
dass niemand hier jemals glauben würde, dass man ihn
hereingelegt hatte. Zumindest hatte er einen Job und
bekam einen monatlichen Gehaltsscheck für etwas, das
weitaus erfüllender war, als sich in einer Stofffabrik die
Nächte um die Ohren zu schlagen. Viele Menschen
hatten heutzutage gar keinen Job.
Worüber beschwere ich mich also?
Wie durch einen Sog strudelten seine Gedanken
dann zurück zu seinen früheren Überlegungen. Frauen.
Beziehungen. Ich habe mehr Beziehungen ins Aus geschos-
sen als Boog Powell Homeruns. Möglicherweise hatte er diese Dinge nie ernst genug genommen. Möglicherweise hatte er es sich aber auch zu einfach gemacht.
Harmonische menschliche Beziehungen wuchsen nun
mal nicht auf Bäumen. Es kann nicht nur an mir liegen, quengelte er in Gedanken. Ein solcher Gedanke
grenzte an Selbstzerstörung, oder? Scheiße, dachte er.
160
Zwei weitere Rednecks wankten aus dem Sallee’s. Bei-
de erleichterten ihre mit Bier prall gefüllten Blasen,
bevor sie in einen roten Chevy-Pick-up kletterten und
sich davonmachten.
Was zur Hölle stimmt nicht mit mir? , fragte sich Phil.
Vicki war seine einzige echte, längere Beziehung ge-
wesen. Er wusste, dass er sie geliebt hatte – mehr als
alles andere auf der Welt. Doch nur zu meinen Bedin-
gungen, bedauerte er jetzt. Seine Gedanken nahmen
einen spöttischen Unterton an. Klar, die Frau meiner
Träume. Das Einzige, was sie nicht für mich getan hat,
war, ihr ganzes Leben umzukrempeln. Was für ein Arsch
ich doch bin.
Doch warum dachte er gerade jetzt daran? Schnee von
gestern. Das Ganze lag zehn Jahre zurück und jetzt
stand er hier auf dem Parkplatz eines Hinterwäldler-
Stripclubs und konnte an nichts anderes denken als an
ein Mädchen, mit dem er auf der High School und am
College gegangen war – und das vermutlich das letzte
Mal an ihn gedacht hatte, als noch jede Woche eine
161
neue Folge von Herzbube mit zwei Damen im Fernse-
hen lief.
Reiß dich zusammen! Du bist noch keine zwei Tage in
der Stadt und hast dich bereits in einen Vollidioten ver-
wandelt.
Er versuchte erneut sich zu konzentrieren; auf seinen
Job, auf die Observierung. Und auf Natter. Wie gut
hatte der Kerl sich über all die Jahre wohl gehalten?
Phil hatte ihn früher nur ein paarmal gesehen und das
war schon eine ganze Weile her. Dürfte hässlicher denn
je sein, beschloss er. Natter war ein Inzüchtiger – ein Creeker – doch trotz seiner körperlichen Entstellungen
sprach der Mann mit großer Eloquenz und schien ei-
nen scharfen Verstand zu besitzen. Ob Natters Auto
jetzt hier stand? War er möglicherweise in diesem
Moment im Sallee’s? Darüber hätte Phil bereits früher
nachdenken sollen, doch er hatte es versäumt. Es war
nun beinahe zwei – Sperrstunde. Die Autos auf dem
Parkplatz waren nur noch spärlich gesät. Jesses, dachte 162
Phil, ich hätte Mullins zumindest fragen sollen, ob Natter noch den gleichen Wagen fährt …
Weitere Einheimische stolperten heraus, krakeelten
und fuhren davon. »Mann, dieses Hinterzimmer is’
schon was, oder?«, kommentierte ein erschreckend
großer Redneck und spuckte einen Klumpen Tabaksaft
auf die Erde.
Sein Begleiter, sogar noch höher aufgeschossen, stieß
einen lauten Südstaaten-Schlachtruf aus. »Mann, diese
Hühner haben mich völlig fertiggemacht«, rief er.
»Hier geh’n wir jetzt jede Nacht hin!«
Bitte nicht, dachte Phil. Das waren nur ein paar Pen-
ner, keine Drogendealer. Was hatten sie da gesagt?
Etwas über ein Hinterzimmer? Ich erinnere mich nicht
an ein Hinterzimmer, dachte er. Sie müssen den Laden ausgebaut haben.
Dann …
Los geht’s.
Phil wurde schlagartig wach und presste das kleine
Fernglas an seine Augen. Inzwischen standen nur noch
163
wenige Fahrzeuge auf dem Parkplatz: ein paar alte
Pick-ups (von denen einer geradezu antik wirkte) und
ein vollständig restaurierter 63er Chrysler Imperial mit
unheimlicher, tiefroter Lackierung.
Dann tauchte eine Gestalt vor dem Haupteingang
des Gebäudes auf. Das ist er, erkannte Phil sofort. Eine Verwechslung war ausgeschlossen. So ein Gesicht ver-gisst man nicht. Ihm lief ein leichter Schauer über den Rücken, als er das Fernglas scharf stellte. Cody Natter
trat auf den Parkplatz hinaus, unmenschlich groß und
dünn. Er trug Jeans, ein besticktes, durchgeknöpftes
Hemd und eine schwarze Sportjacke. Der Scheißkerl
muss ein Vermögen für maßgeschneiderte Kleidung ausge-
ben, ging Phil durch den Kopf. Solche Beinlängen be-
kam man nicht so einfach bei Wal-Mart. Graue
Strähnen glänzten wie Frost in den schulterlangen
schwarzen Haaren. Natürlich, alle Creeker hatten
schwarze Haare. Und rote Augen, Iriden so rot wie
arterielles Blut. Dieses spezielle Paar Augen leuchtete
auf, als Phil durch sein Fernglas spähte. Ein zweiter
164
Schauder kroch seinen Rücken hinauf wie eine Parade
von Spinnen, als er seinen ersten richtigen Blick auf
Cody Natters Erscheinung warf …
Es sah zerfurcht aus, verdreht. Wächserne Haut
spannte sich über einem Kopf, der einem knochigen
Kürbis glich. Phil hätte schwören können, dass er die
Venen unter der dünnen Hautschicht ausmachen
konnte.
Lippen, so dünn, dass sie beinahe verschwanden,
formten einen Mund wie eine klaffende Messerwunde.
Eine Reihe schiefer Zähne ragte aus dem eingesunke-
nen Unterkiefer. Ein gewaltiges Ohrläppchen hing ei-
nige Zentimeter tiefer als das andere. Phil kam es wie
eine aus der Schale gekratzte Muschel vor. Mehrere
tiefe Falten zogen sich über die zu breite Stirn, so tief,
als wären sie eingemeißelt. Die vier Finger an jeder
von Cody Natters Händen schließlich wiesen jeweils
einen zusätzlichen Knöchel auf.
Himmel, was für ein Wrack, dachte Phil.
165
Zwei hochnäsige Blondinen stöckelten vorbei. Mini-
röcke, Tattoos und übertrieben viel Schminke. Beide
schienen Natter unterwürfig eine gute Nacht zu wün-
schen, doch der gab keine Antwort. Stattdessen blieb
er wie in unruhiger Erwartung weiter vor dem Eingang
stehen.
Auf wen wartet er?
Ein weiterer männlicher Creeker kam heraus und
hinkte zu einem der Pick-ups. Seine Stirn war derma-
ßen deformiert, dass sein Kopf aussah wie eine mutier-
te Wassermelone. Als Nächstes …
Phil zoomte näher.
Drei Frauen verließen das Gebäude und schlurften
mit gesenkten Köpfen an Natter vorbei. Sie waren
ähnlich gekleidet wie die Blondinen: kurze, aufreizen-
de Röcke und glitzernde Blusen, die so eng über ihre
Brüsten saßen, dass es Phil fast schon wunderte, dass
die Kristallknöpfe nicht absprangen. Sie alle hatten
geglättetes, rabenschwarzes Haar, das wie Öl glänzte,
sowie rote Augen …
166
Creeker, erkannte Phil.
Die Erkenntnis verfestigte sich, als Phil weitere,
wenn auch leichte, verräterische Anzeichen wahrnahm.
Verformte Köpfe, ungleiche Gliedmaßen, seltsam ha-
gere Lippen. Venen zeichneten sich unter einer Haut
ab, die so bleich war, dass sie wie gemustertes weißes
Glas wirkte. Eine der Frauen ging mit einem offen-
sichtlichen Hinken, eine andere schien zwei Ellbogen
an einem ihrer Arme zu besitzen. Natter hielt die drit-
te Frau zurück und sie lauschte seinen Worten mit ge-
senktem Blick. Phil bemerkte, dass ihr Mund so win-
zig war, dass er eher einer Stichwunde glich als einem
wirklichen Mund.
Sie lassen Creeker da drin arbeiten, wurde Phil plötz-
lich klar. Creekermädchen, die strippen … er konnte sich kaum etwas Obszöneres vorstellen.
Die ersten beiden Frauen kletterten auf den Rücksitz
des Chrysler, während die dritte krummbeinig über
den Parkplatz hinkte und zu dem anderen Mann in
den abgehalfterten Pick-up stieg. Der Truck fuhr da-
167
von, gefolgt von einem weiteren Pick-up, dessen
Kennzeichen Phil bereits notiert hatte.
Was zur Hölle geht hier gerade vor? , wunderte er sich.
Und worauf wartet Natter?
Der hochgewachsene Mann blieb am Eingang ste-
hen und betrachtete die zentimeterlangen Nägel an
seinen mehrgliedrigen Fingern. Dann schwang die Tür
erneut auf. Eine schlanke Silhouette durchschritt den
Eingang. Hohe Absätze klackten auf dem Boden und
der Schatten trat in das bleiche gelbe Licht hinaus; ein
kurvenreicher Rotschopf in einem hautengen schwar-
zen Lederrock und schwarzem Leder-BH. Offensicht-
lich noch eine Stripperin, aber … kein Creeker, wusste Phil. Sie sah makellos aus und ihr zerzaustes feuerrotes
Haar glänzte wie gesponnene, zimtfarbene Seide im
blinkenden Schein der Leuchtreklame. Die Stripperin
blieb stehen, warf ihren Kopf kokett in den Nacken,
ergriff dann Natters Arm und stieg mit ihm in den
Chrysler.
Einen Augenblick später fuhren sie davon.
168
Phil saß da wie unter Schock, den Tränen nahe und
fühlte sich absolut elend.
Seine Gedanken zerbrachen wie morsche Knochen.
Mein Gott …
Denn er hatte die Stripperin sofort erkannt. Es war
Vicki Steele, die einzige Frau in seinem Leben, die er
jemals geliebt hatte.
SIEBEN
»WO IST DAS MÄDCHEN?«, fragte Jake »The
Snake« Rhodes den Jungen mit dem entstellten Kopf.
»Sie ist schon reingegangen. Will sich was frisch ma-
chen. Weißt doch, wie die Weiber sind.«
Sie wird nicht lange frisch bleiben, gab Jake sich selbst ein Versprechen. Heute Nacht stand ihm der Sinn
nach Gemeinheiten.
Der Junge grinste; man konnte die Lücken zwischen
seinen Zähnen zählen. Jake hatte direkt hinter dem
169
rostigen Pick-up des Jungen geparkt, überrascht, wie
lange es gedauert hatte, hierherzukommen. Er hatte
nicht gewusst, dass die Straßen so weit in die Hügel
hinaus führten. Der Bursche war wie ein Irrer gefahren
– Jake hatte Mühe gehabt, den Anschluss zu halten –
und an einer Stelle hatte sich der Weg so stark verengt,
dass Äste auf beiden Seiten seinen Pick-up zerkratz-
ten, was Jake mehr als nur ein bisschen ankotzte. In
dieser Gegend war nicht das Heim eines Mannes sein
Schloss, sondern sein Truck. In Jakes Fall handelte es
sich um einen mitternachtsblauen, bulligen GMC mit
frisierten Felgen und gut zehn Schichten Lack, und
das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war eine
beschissene Hinterwäldlerstraße, die ihm den Lack
versaute.
Doch heute Nacht war er so geil, dass es ihn nicht
weiter kümmerte. Einer der Vorteile des Drogenhan-
dels war die gute Bezahlung, sodass man sich wegen
einer zerkratzten Lackierung keine großen Sorgen ma-
chen musste. Ich lass sie einfach auffrischen, entschied er, 170
während seine Reifen über die tiefen Rillen in der
Straße hüpften. Und ich werd mir verdammt noch mal
ein extragroßes Stück vom Arsch dieses Creekermädchens
schnappen …
Oh ja, Jake stand der Sinn nach Gemeinheiten, und
zwar richtigen.
Das Sallee’s war ein guter Ort, um nach einer Tour
abzuhängen, ein paar Bierchen zu zischen und sich ein
paar Fotzen anzugucken. Manchmal knöpfte er zusätz-
lich ein paar neue Kundenkontakte. Er war schon an
vielen Abenden dort gewesen, doch heute hatte er zum
ersten Mal von dem Hinterzimmer erfahren. Es
brauchte nicht mehr als einen Blick.
»Nun, worauf wartest du, Jake?«, fragte der Junge
mit der Geschwulst am Kopf. »Sie stirbt noch an Al-
tersschwäche, wenn du noch länger wartest.«
Der Bursche ging Jake auf den Sack. Er hasste sein
klugscheißerisches, lückenhaftes Grinsen; am liebsten
hätte er es dem Jungen direkt aus dem verdrehten Ge-
sicht geprügelt. Was natürlich keine so gute Idee ge-
171
wesen wäre, nicht in dieser Gegend. Die Hügelleute
passten aufeinander auf und …
Jake stutzte. »Sekunde mal!«, sagte er, »Woher
kennst du meinen Namen?«
»Oh, wir wissen alles über dich, Jake Rhodes.« Der
Junge hakte die Daumen in die Träger seiner Latzhose
und lehnte sich gegen einen verrosteten Kotflügel.
»Kannst deinen Arsch drauf wetten, dass du nich’ hier
wärst, wenn’s nich’ so wäre.«
Was zur Hölle soll das heißen? , dachte Jake. Und wa-
rum kam es ihm so vor, als würde der Junge ihn auf-
ziehen? Gril en durchdrangen mit ihrem Zirpen die
nächtliche Stille. Dann verwarf Jake den Gedanken.
Diese Inzüchtigen sind komisch, das ist alles. Müssen sie ja, abgefuckt wie die sind. Und der Junge sagte, sie hätten von ihm gehört – »sie«, das hieß wahrscheinlich Cody
Natter. Vielleicht interessierte Natter sich ja für seine
»Unternehmungen« und dies war seine Art, ihm ge-
meinsame Geschäfte vorzuschlagen.
Das is’ doch mal ein Gedanke, fand Jake.
172
»Ich mach nur Spaß, Jake«, sagte der Junge und
grinste breit. Das Geschwulst auf seinem Kopf war so
groß wie ein Baseball und als er sich am Bauch kratzte,
erkannte Jake zwei Daumen an der Hand. »Trab ein-
fach hoch und geh rein, sie wartet schon auf dich. Sie
spricht nicht viel, aber sie kann dir den Schwanz lut-
schen, dass du durch dein Arschloch atmest. Keine im
County bläst besser, und sie is’ auch ’n guter Fick.«
Der Junge kicherte, ein schrilles, hohes Geräusch.
»Erwart’ nur keine anregenden Gespräche.«
Ich bin nicht zum Reden hier, dachte Jake. »Alles klar«, sagte er laut. »Ich brauch nich’ lang.«
»Lass dir Zeit, Jake. Viel Spaß.«
Jake ließ den Jungen beim Pick-up stehen und folgte
der kurzen, rissigen Auffahrt. Er sah keine anderen
Autos oder Trucks, auch keine anderen Menschen.
Der Mond hing direkt über den Bäumen hinter ihm
und das Haus drückte sich gegen den Wald am Rand
der Lichtung. Schwaches, goldgelbes Licht schien
durch die Fensterläden im Erdgeschoss. Der ständige
173
Chor der Gril en und Frösche klang in seinen Ohren
wie sanfte Wellen am Strand.
Als Jake die hölzernen Stiegen zur Veranda er-
klomm, dachte er: Oh ja, denn im gleichen Moment
erschien die Stripperin im Eingang und hielt ihm die
mit Fliegengitter versehene Tür auf. Sie war in eine
Art rüschenbesetzte Robe geschlüpft, die um die Hüf-
ten mit einer Schärpe gerafft war. Das Teil war so
durchsichtig, dass sie praktisch nackt vor ihm stand.
Die Umrisse ihres Körpers zeichneten sich wie mit
dem Rasiermesser gezogen vor dem Licht der Lampen
ab. Doch als Jake den Vorraum betrat, sah er, dass das
Licht von mehreren alten Gaslaternen ausging. Die
haben nich’ mal Strom in dieser Bude, dachte er. Der
Raum war stickig, vollgestopft mit alten Möbeln und
alten, gerahmten Ölgemälden. Die verwitterte Tapete
in einer Art Avocado-Farbton schälte sich an den
Rändern von der Wand. Ein gewaltiger Läufer be-
deckte den Hartholzboden.
»Alles klar, Süße, dann legen wir mal los.«
174
Die Fliegengittertür fiel zu. Das Mädchen drehte
sich abrupt um, griff nach einer der Gaslampen und
schritt barfuß den Gang hinunter. Jake folgte ihr.
Gott, ist das heiß, bemerkte er, doch so hatte Jake
»The Snake« Rhodes es gern: heiß, feucht, die Luft
schwer von ihrer eigenen Hitze. Eine heiße Nacht für
einen heißen Fick. Sie nannten ihn »Snake«, die Schlan-ge, weil er so giftig war wie eine, und das musste er
auch sein. Nette Kerle blieben nicht lange im Ge-
schäft. Wenn jemand dich abziehen wollte, musstest
du grob werden. Und wenn einer auf deinem Gebiet
grasen wollte, nun … Ein Mann muss tun, was ein
Mann tun muss.
Jake hatte bereits mehr als einen Möchtegern aufge-
mischt – die einzige Möglichkeit, alle wissen zu lassen,
dass man sich besser nicht mit ihm anlegte. Dann und
wann wurden seine Dealer übermutig und dachten, sie
könnten ein paar schnelle Dollars machen, indem sie
seinen Stoff mit Terpentin streckten. Jake konnte kei-
ne toten Klienten gebrauchen, also musste er ab und zu
175
ein paar Knochen brechen oder Kniescheiben zer-
trümmern. Die Botschaft war laut und deutlich: Leg
dich nicht mit Jake Rhodes an.
Und die Weiber? Scheiße, ist einfacher so! Wozu
brauchte er eine feste Freundin? Er war noch nie einer
Frau begegnet, der er vertrauen konnte. Sie alle fielen
einem irgendwann in den Rücken und versuchten, ei-
nen abzuzocken, wenn sie glaubten, irgendwo was Bes-
seres gefunden zu haben. Er erinnerte sich an eine
Schlampe, mit der er es vor ein paar Jahren getrieben
hatte. Ließ ihn ran, wann immer er wollte, und schien
es ehrlich zu meinen. Dann hatte er einen seiner
Hauptverteiler verloren und herausgefunden, dass die
Alte seinen Mann an irgendeinen harten Kerl aus
Tylersville vermittelt hatte. Jake hatte den Wohnwa-
gen des neuen Brötchengebers in Brand gesteckt – der
Typ war natürlich noch drin gewesen, penibel gekne-
belt und mit Handschellen an das Abflussrohr im Bad
gekettet. Anschließend hatte Jake seine Ex genüsslich
mit einer Seymour-Edelstahlmachete tranchiert.
176
Er folgte dem Creekermädchen in einen engen
Raum auf der rechten Seite des Flurs. Mehrere Later-
nen flackerten und das Tanzen der Flammen erweckte
die abgewetzte Tapete mit pulsierenden, wirbelnden
Lichtern zum Leben. Das ganze Zimmer schien zu
atmen. Es gab kein Bett, nur eine uralte, dunkelrote
Riesencouch und einen Ohrensessel mit hoher Lehne
und zerschlissenen Polstern. »Wie wär’s, wenn du dir
den Scheißfummel ausziehst«, schlug Jake vor und
pflanzte sich in den Sessel. »Lass dich mal ansehen.«
Das Mädchen stockte, blinzelte und streifte dann
zögerlich seine transparente Robe ab. Sie stand einfach
da und glotzte ihn dümmlich in ihrer bleichen Nackt-
heit an.
»Warum legst dich nicht hin und spielst ’ne Weile an
dir rum, wie du’s im Club gemacht hast?«
Sie starrte ihn einen Moment lang an und murmelte
dann etwas, das wie »Spil-mir? Ah.« klang. Doch of-
fenbar verstand sie, denn sie legte sich auf die Couch
und begann, sich mit den Händen über ihren Körper
177
und ihren Schritt zu streicheln. Jake bemerkte, dass
ihre rechte Hand viel kleiner war als die linke, wie die
eines Kleinkinds, während die andere eine normale
Größe hatte. Und er bemerkte noch etwas: Als ihr fla-
ches, dünnlippiges Gesicht sich ihm zuwandte, fiel
ihm auf, dass die Farbe ihrer Augen dem dunklen
Erdbeerrot der samtüberzogenen Couch verdächtig
ähnelte.
»Gud scho?«, fragte sie.
»Ja, Baby, genau so.«
Jake kramte einen Joint aus der Tasche. Es konnte
nicht schaden, ab und an ein wenig von seinem eige-
nen Zeug zu testen. Wie die meisten anderen auch
sprühte er den rohen Stoff in flüssiger Form auf etwas
Tabak und drehte das Ganze zu einem Joint. Gerade
genug, um ein wenig high zu werden. Sein Feuerzeug
flammte auf und Jake nahm einen schnellen Zug und
behielt ihn in der Lunge. Das scharfe Kribbeln des
Rauschs traf ihn fast sofort. Unangenehm zuerst, doch
dann breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Kopf
178
aus. Jake fletschte die Zähne zu einem Grinsen. Er
stand nicht auf sanften, zärtlichen Blümchensex. Er
wollte einen heftigen, dreckigen Fick und ein kräftiger
Zug an seinem Stoff versetzte ihn in genau die richtige
Stimmung. Er drückte die Kippe mit den Fingern aus
und beäugte das Mädchen durch den flirrenden Schlei-
er des Rauschs.
»So ist gut, Kleines. Knete mal an deinen komischen
Titten rum.«
Jake hatte sich das Mädchen genau deswegen ausge-
sucht. Ihre Brüste. Klein wie Muffins, doch faszinie-
rend in ihrem Makel. Zwei Warzen in Dunkelrosa
ragten aus der Mitte jeder Brust, so groß wie die Kup-
pen von Jakes Daumen. Da werde ich meine Zähne kräf-
tig reinschlagen, dachte er. Doch zuerst …
Jake stand auf und ging zur Couch hinüber. »Leg
deinen Kopf genau dahin, Spasti. Dein Bruder drau-
ßen sagt, du kanns’ gut blasen – oder is’ er dein Vater?«
Jake lachte. »Vermutlich is’ er beides, was?« Dann
schnappte er sich eine Handvoll ihres glänzenden
179
schwarzen Haars – ihrer Kehle entfloh ein winziges
Kreischen – und zog das Mädchen in eine sitzende Po-
sition. Dann ließ er seine Jeans zu Boden fallen.
»Los schon, Fotze. Du weißt, was du zu tun hast.
Wette, du hast deiner ganzen Verwandtschaft den
Schwanz gelutscht, seit du im Kindergarten warst.« Er
lachte erneut. »Natürlich warste nie im Kindergarten,
das wett’ ich. Kann mir nich’ vorstellen, dass sie Cree-
keridioten wie dich in’ Kindergarten lassen.«
Doch das Mädchen zeigte keine Reaktion auf Jakes
böse Bemerkungen, falls sie ihn überhaupt verstand.
Stattdessen gehorchte sie einfach.
Jake stöhnte und warf den Kopf nach hinten. Er be-
trachtete sich die seltsamen Lichtschnörkel, die über
die Decke wanderten. Sie wirkten wie ein Meer, ein
aufgewühlter, stürmischer Ozean aus Schatten und
Feuerschein. Wieder dachte er an das Rauschen der
Brandung, während die Klänge der Nacht durch das
Fenster drangen. Ein Gefühl durchströmte ihn, ver-
stärkt durch die Wirkung des Angel Dust, eine Art
180
qualvoller Genuss, wie er ihn nie zuvor verspürt hatte.
Gott im Himmel, dachte er. Mir haben schon hunderte Schlampen einen geblasen, doch noch nie so. Der Kürbiskopf dort draußen hatte recht. Die Kleine ist die Beste im ganzen County und darüber hinaus …
Tatsächlich war das Gefühl so überwältigend, dass er
ihr Gesicht einen Moment lang zur Seite drückte und
ihre Unterlippe mit dem Daumen nach unten zog. Ein
weiteres Lachen entfuhr ihm.
Das Mädchen hatte keine Zähne.
Das schlägt alles! Kein Wunder, dass sie so gut bläst – die hat kein einziges Beißerchen im Maul!
Jake packte wieder ihr Haar, zog heftig daran und
drängte sie erneut zur Arbeit. Sein Penis fühlte sich an,
als steckte er in einer warmen, feuchten Falle, die jeden
Millimeter Haut umschloss. »Wo hast du gelernt, so
gut zu blasen, Schätzchen? Hat’s dein Daddy dir bei-
gebracht? Ja, ich wette, das hat er. Wette, du hast
schon Schwänze gelutscht, als du noch deiner Mama
die Milch aus den Eutern gesaugt hast.« Jake zog er-
181
neut an ihren Haaren und griff mit der anderen Hand
nach unten an ihre Brüste. Seine Finger fanden den
bemerkenswerten, hervorstehenden doppelten Nippel
sofort. Der Rest war reiner Instinkt; er begann, den
furchigen, rosa Doppelknoten aus Fleisch zwischen
Daumen und Zeigefinger hart zu kneten. Sofort stieß
das Mädchen ein kehliges, schmerzerfülltes Wimmern
aus. Je fester er kniff, desto mehr wimmerte sie, und
diese irren Vibrationen verstärkten nur den zuneh-
menden Genuss ihres Mundes.
»Liebes«, keuchte er, »du bläst so gut, ich fürchte, ich
werd dir meine erste Ladung direkt den Hals runter-
spritzen müssen.« Sein Gelächter wurde schriller.
»Wird dir nichts ausmachen. Schätze, du wirst mir so-
gar dafür danken. Vermutlich die nahrhafteste Mahl-
zeit, die du seit Wochen gehabt hast.« In diesem Mo-
ment zog sich alles, was Jake Rhodes fühlte, zu einem
einzigen Nadelstich von unaussprechlicher, wahnsinni-
ger Lust zusammen. Der Feuerschein an der Decke
wirbelte chaotisch, die Nachtgeräusche dröhnten und
182
das Mädchen jammerte immer noch vor Schmerzen,
während der Mond durch das Fenster hereinlugte.
Jakes Orgasmus drängte aus seinem Inneren wie ein
wildes Frettchen aus seiner Falle …
Er begann vor lauter Geilheit zu schielen und all sei-
ne drogengeschwängerte Lust schoss aus ihm heraus.
Er drückte das Gesicht des Mädchens hart gegen sei-
nen Schritt, beide Fäuste in ihrem Haar. Sie begann zu
würgen, doch das war ihm egal. Dieses Gefühl kam
ihm unwirklich vor. So gut es auch war, es war einfach
nicht richtig.
Schließlich ließ er ihre Haare los und sie fiel keu-
chend gegen die Couch. Ihre Brust hob und senkte
sich heftig. »Das war wirklich gut, Kleine«, lobte Jake,
»aber irgendwas is’ hier völlig falsch, und ich werd
rausfinden, was, bevor ich dich so heftig ficke, dass es
dir zur Nase rauskommt.«
Er packte ihren Kopf, drehte ihr Gesicht nach oben
und stieß die Finger in ihren zahnlosen Mund. »Weit
183
aufmachen, Spasti. Machs Maul auf, oder soll ich dir
die Lichter ausprügeln?«
Das Mädchen war gelähmt vor Angst. Tränen ver-
schmierten ihre Wangen, in ihre Augen stahlen sich
Verwirrung und Entsetzen. Dann sperrte sie den
Mund weit auf.
Jake stierte. Was zum …? Er packte ihren schmalen
Hals und drückte zu.
»Streck die Zunge raus, Schlampe!«
Das Mädchen wehrte sich, wimmerte, würgte. Ihre
Augen wirkten lidlos, als sie in völligem Unverständnis
zu ihm hinaufstarrte.
Jake drückte ihr die Kehle noch fester zu, bis ihr Ge-
sicht einen ungesund wirkenden Rosaton annahm.
»Raus damit, du Freak! Sofort!«
Das Rosa wurde dunkler. Dann streckte sie zitternd
die Zunge heraus.
Jake starrte sie an.
184
Es war nicht eine Zunge, die aus ihrem Mund ragte,
es waren zwei, die zuckten wie zwei dicke Würmer auf
einer Herdplatte.
Sie hat … zwei … Zungen, dachte er in grotesker
Faszination.
Über mehr konnte Jake Rhodes sich nicht mehr
wundern, denn im selben Moment glitt einer der un-
ruhigen Schatten hinter ihn und …
KRACH!
… zog ihm ein fast meterlanges Kantholz über den
Kopf.
»Wo ist der Chief?«, erkundigte sich Phil kurz ange-
bunden, als er am Ende seiner Schicht ins Revier zu-
rückkehrte.
»Sie haben Ihren Code zum Schichtende nicht
durchgegeben«, antwortete Susan mit einem verächtli-
chen Lächeln.
185
Phil schnaubte. »Straker, Philip, ID 8, meldet sich
ab von der Acht-bis-Acht-Schicht. Außer Dienst«,
knurrte er. »Also, wo ist Mullins?«
»Falls Sie Chief Mullins meinen: Ich glaube, er ist
hinten im Lagergebäude.«
Überprüft wahrscheinlich die Kaffeefilter, dachte Phil.
Doch Susan Ryder fuhr hinter ihrer Konsole fort.
»Eine Sache, die ich Sie noch fragen wollte … Welche
Art von Dienstmunition haben Sie geladen, Sergeant? «
»Was soll das heißen?«
»Es scheint mir eine recht einfache Frage zu sein.
Aber ich darf Sie daran erinnern, dass jede Art von tef-
lonbeschichteter Munition – auch Flüssigkern und
insbesondere Quad – für sämtliche Angehörigen der
Staatsgewalt in diesem Distrikt verboten sind.«
Das ist es also, dachte Phil. Darum hasst die Eishexe mich. »Ich weiß genau, worauf Sie hinauswollen, Miss
Ryder. Es zählt zwar nicht zu meinen Gewohnheiten,
mit dem Funkmädchen über die Beschaffenheit meiner
Munition zu plaudern … aber wenn Sie es denn unbe-
186
dingt wissen müssen: Ich habe 38er-
Scharfrandgeschosse vom Typ +P+ geladen, so wie
immer.«
»Immer? Nun, da habe ich andere Dinge gehört«,
versetzte sie spitz und konzentrierte den Blick wieder
auf ihr Fachbuch.
»Ja, schön, und vermutlich haben Sie auch gehört,
dass ich ein Kindermörder bin. Es würde mich auch
nicht überraschen, wenn Sie gehört hätten, dass Jesus
Christus in Wahrheit ein Astronaut aus einer anderen
Welt ist und Elvis sich bester Gesundheit erfreut, weil
er ja täglich sein Mittagessen in Chuck’s Diner zu sich
nimmt. Ebenso wenig wäre ich überrascht, wenn Sie
diesen Kram tatsächlich glaubten.«
Phil beugte sich über ihren Konsolentisch. »Aber las-
sen Sie sich einen guten Rat von mir geben, Miss Ry-
der. Ich glaube tatsächlich, dass es nicht nur ange-
bracht für Sie wäre, Ihre Nase aus den Angelegenhei-
ten anderer Leute herauszuhalten, sondern dass ihr
Leben auch deutlich angenehmer verliefe, wenn Sie Ihr
187
übertriebenes Ego ein wenig zügeln würden und –«,
Phil schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch –
BUMM! –, was Susan Ryders Hinterteil in völliger
Überraschung mehrere Zentimeter von ihrem Sitz ab-
heben ließ, »– und wenn Sie mir jetzt gut zuhören. Ich habe niemals Quad-Munition geladen und ich habe
auch kein Kind erschossen. Der ganze Mist bei der
Metro war ein Schwindel, Miss Ryder. Ich wurde her-
eingelegt. Und falls Sie das nicht glauben, dann ist mir
das scheißegal. Aber ich habe noch einen Tipp für Sie,
Sie unverschämte, egomanische Zicke. Fällen Sie kein
Urteil über einen Menschen, bevor Sie nicht beide Sei-
ten der Geschichte kennen.«
Nach diesen Worten drehte sich Phil seelenruhig
um, ging in Chief Mullins’ Büro und ließ betont leise
die Tür hinter sich ins Schloss fallen.
Gott, manchmal hasse ich Frauen einfach, sagte er sich.
Durch das Fenster des Raums sah er Mullins aus dem
ehemaligen Gefängnis herüberkommen, das zum La-
188
gerraum umfunktioniert worden war. Der Mann sah
nicht gerade glücklich aus.
Als die Hintertür aufschwang, kam Phil dem Chief
zuvor.
»Tut mir leid, Chief, aber ich hab die Kaffeefilter
vergessen. Verhaften Sie mich.«
»Himmel, ihr Kinder von heute«, murrte Mullins
und ließ seinen massigen Körper hinter den Schreib-
tisch plumpsen. »Euch kann man nicht mal zutrauen,
selbst aufs Klo zu gehen, was? Sieht aus, als müsste ich
wertvolle Arbeitszeit damit verschwenden, die ver-
dammten Filter selbst zu kaufen.«
»Denke schon«, erwiderte Phil. »Aber ich vermute
mal, dass die Welt sich weiterdrehen wird, während
Sie weg sind.«
»Das mag ich so an dir, Phil. Du bist ein Klugschei-
ßer ganz nach meinem Geschmack.« Mullins griff
nach einem Pappbecher und spuckte Tabaksaft hinein.
»Hast gestern Nacht das Krazee Sallee’s in Zivil obser-
viert?«
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»Ja«, sagte Phil. »Hab ein paar Kennzeichen, Be-
schreibungen, solche Dinge. Ist ein guter Anfang.«
»Hast diesen hässlichen Wichser gesehen – Natter?«
»Ja, Chief, den auch.«
»Hast sonst noch wen gesehen?«
Phil kratzte sich über die kurzen Bartstoppeln. »Ja,
Chief, das habe ich. Und ich hätte da eine brennende
Frage.«
»Lass mich raten, mein Hübscher«, meinte der
Chief. »Du hast Vicki Steele aus dem Club kommen
sehen und bist jetzt mächtig angepisst, weil ich dir
nicht gesagt hab, dass sie da strippt.«
»Bingo.«
Mullins spie erneut aus. »Nun, ich denke, es gibt
Dinge, die muss ein Mann für sich selbst herausfinden,
besonders wenn’s um ’ne Frau geht, auf die er steht.«
»Ich stehe nicht mehr auf sie. Aber ich denke, es wä-
re höflich gewesen, mich vorzuwarnen. Soll ich etwa
glauben, Vicki Steele habe den Dienst quittiert, um
Stripperin im Sallee’s zu werden?«
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»Nein, sollst du nicht«, kam Mullins schnelle Ant-
wort. »Lass mich also noch eine Erklärung zu dem
nachschieben, was ich dir vorher erzählt hab. Vicki
Steele hat nicht aufgehört wie North und Adams. Ich
hab sie gefeuert.«
»Weswegen?«
Mullins stieß ein herzhaftes Kichern aus. »Scheiße,
Phil, du warst fünf Jahre mit ihr zusammen. Muss ich’s
dir wirklich erklären?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen, Chief. Sie machen
mich gerade nur noch wütender.«
»Ich hab sie wegen Vernachlässigung der Dienst-
pflichten aufgrund offensichtlichen sexuellen Fehlver-
haltens rausgeworfen.«
»Bockmist«, sagte Phil spontan.
»Glaub, was du willst, Söhnchen. Aber es stimmt.
Soll ich dir wirklich erzählen, was sie für ’ne Scheiße
abgezogen hat?«
»Ja, erzählen Sie’s mir.«
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»Sie hat’s während der Dienstzeit mit ihren Freun-
den getrieben, Phil. Und wo du schon fragst, sie hatte
’ne Menge Freunde. Vielleicht benutze ich den Begriff
›Freund‹ auch nur aus Respekt …«
Phil sah ihn böse an. »Seien Sie respektlos, Chief.«
»Sie hat so ziemlich alles gefickt, das zwei Beine hat-
te«, war die gnadenlose Antwort. »Hey, du hast ge-
fragt. Sie hat Typen vor dem Qwik-Stop aufgerissen
und sich im Streifenwagen von ihnen vögeln lassen. Sie
hat Rednecks nachts wegen überhöhter Geschwindig-
keit angehalten und dann mit ihnen gefickt. Willst du
mehr?«
»Sicher«, sagte Phil.
Mullins zuckte mit den Schultern. »Ich bin einmal
abends reingekommen und hab sie erwischt, wie sie
einem Gefangenen einen geblasen hat. Es gab über ein
Dutzend Beschwerden, dass sie Kunden beim Sallee’s
anhielt und ihnen androhte, sie wegen Trunkenheit am
Steuer hochzunehmen. Dann hat sie die Kerle zum
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Sex überredet und sie gehen lassen. Noch mehr, Jun-
ge?«
»Sicher«, sagte Phil mit deutlich gebremstem Enthu-
siasmus.
»Ich habe gute Gründe – dokumentierte Gründe – zu
glauben, dass sie sich im Dienst prostituiert hat. Ange-
droht hat, Männer wegen Trunkenheit aufzuschreiben,
dann gegen Geld mit ihnen gebumst und ihnen hin-
terher erlaubt hat, sich vom Acker zu machen. Jesus,
an einem Abend hat sie sogar versucht, mich anzuma-
chen, und ich hatte seit 15 Jahren keinen Ständer
mehr.«
Phil lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte
nach. Vicki? Sexsüchtig? Eine … Hure?, überlegte er
weiter. Sie war immer ziemlich lebhaft im Bett gewe-
sen, manchmal regelrecht pervers. Doch deswegen muss
sie noch lange keine Nymphomanin sein, dachte er. Mul-
lins schien es ehrlich zu meinen – jedenfalls so ehrlich,
wie er konnte – doch es fiel Phil schwer, zu glauben,
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dass Vicki Steele sich so drastisch verändert hatte, dass
sie allen Ernstes Verkehrssünder zum Sex erpresste.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte er. »Ich kann es
einfach nicht glauben, dass sie so etwas tun würde.«
Mullins hob eine Augenbraue und spuckte wieder.
»Konnte ich auch nicht, bis sie mir den Grund nannte.
Und frag mich bitte nicht, was sie sagte.«
»Sagen Sie’s mir!«, verlangte Phil.
»Du kannst nicht damit umgehen, Phil.«
»Ich kann damit umgehen. Also hören Sie auf, mit
mir zu spielen, okay?«
Mullins’ Gesicht verhärtete sich. Es schien ihm
wirklich unangenehm zu sein. Phil konnte sich nicht
erinnern, den Chief je so gesehen zu haben. Er räus-
perte sich, zappelte in seinem Stuhl hin und her und
erklärte dann: »Als ich sie feuerte, meinte sie, das wär
alles wegen dir. Weil du ohne sie abgehauen bist. Weil
du sie sitzen gelassen hast.«
Phil starrte ihn ungläubig an. Konnte das wirklich
sein? Ich kann es nicht glauben, ging es ihm langsam
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durch den Kopf. »Ich habe sie nicht sitzen gelassen«,
knurrte er.
»Schwachsinn, Phil. Wenn du ein Mädchen wegen
des Jobs verlässt und sie nicht mit dir kommen will, ist
das nichts anderes. Nachdem du weg warst, ist sie
durchgedreht. Ist nymphoman geworden. Und nach-
dem ich sie rausgeworfen hatte, ist sie nur eine Woche
später im Sallee’s aufgetaucht und hat jede Nacht an-
geschafft. Glaubst du mir immer noch nicht?«
Phils Stimme klang düster. »Nein.«
Mit einem säuerlichen Blick wuchtete Mullins sich
hoch und fischte eine Mappe aus einem der Akten-
schränke. »Buck North und Pete Adams … bevor sie
gegangen sind, nahm diese ganze PCP-Sache gerade
erst ihren Anfang. Also hab ich sie das Gleiche ma-
chen lassen wie dich letzte Nacht. Sie haben das Sal-
lee’s beobachtet und versucht, sich ’nen Eindruck zu
verschaffen, was dort so vor sich geht. Nur haben sie
nicht nur Kennzeichen aufgeschrieben. Sie haben auch
Fotos gemacht.«
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Phil schluckte, als habe er ein Stück zerbrochenes
Glas im Hals.
»Schau’s dir an, auf eigene Gefahr«, sagte Mullins.
»Aber mach mich nicht an, weil ich’s dir zeige. Du
hast gefragt.«
Mit diesen Worten warf Mullins ihm die Akte in
den Schoß.
Phil hatte eine ungute, hässliche Vorahnung. Er
weigerte sich, die Anschuldigungen zu glauben, doch
seine Hände krochen auf die Mappe zu, als müsste er
das Leinentuch von einer nicht identifizierten Leiche
auf dem Obduktionstisch ziehen. Er öffnete die Map-
pe –
Nein!, war sein einziger Gedanke.
– und starrte. Sein Gesicht schien wie zu einer reglo-
sen Maske aus Stein erstarrt. Ein kleiner Stapel
Schwarz-Weiß-Bilder, 20 mal 25 Zentimeter, zeigte
ihm zuerst einige unbekannte Frauen, die das Sallee’s
an der Hand verschiedener Freier verließen. Alle waren
vulgär gekleidet, trugen hautenge Röcke, glitzernde
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Blusen und High Heels. Bei einigen handelte es sich
eindeutig um nur geringfügig entstellte Creeker, wie er
sie auch in der letzten Nacht zu Gesicht bekommen
hatte. Als Nächstes kamen ein paar grobkörnige Auf-
nahmen, offensichtlich mit hochempfindlichem Film
und Restlicht-Teleobjektiv aufgenommen.
Die diskret aufgenommenen Bilder zeigten dieselben
Frauen bei verschieden Liebesakten mit grobschlächti-
gen Kerlen in Jeansjacken. In Pick-ups und frisierten
Hot Rods hinter dem Gebäude.
Einer der Schnappschüsse zeigte eine Creekerfrau –
ein Arm war unverkennbar länger als der andere – auf
einer der Mülltonnen hinter dem Sallee’s, ihre Beine
um einen namenlosen Freier geschlungen. Natters
Chrysler Imperial war auf einigen Aufnahmen zu se-
hen, genau wie Natter selbst, hager und mit zerfurch-
tem Gesicht, wie er mit verschiedenen Kunden vor
dem Eingang des Clubs stand und redete.
Auf den letzten vier Fotos war Vicki Steele bei der
Fellatio in den Kabinen unterschiedlicher Pick-ups zu
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erkennen. Auf dem letzten zeigte sie ein verruchtes
Lächeln, während sie Geld in ihren BH stopfte. Etwas
Glänzendes, bei dem es sich eigentlich nur um Sperma
handeln konnte, klebte an Bluse und Haaren …
»Ich hab’s dir gesagt, oder nicht?«, sagte Mullins. Er
stopfte sich eine weitere Ladung Tabak in den Mund
und spie die Reste in den Pappbecher vor ihm. »Aber
du wolltest ja nicht hören. Das ist dein Problem, Phil.
Du hörst auf niemanden. Du musst immer alles besser
wissen als die anderen.«
Fick dich, dachte Phil, doch während er die Mappe
zuklappte, gestand er sich ein, dass der Chief völ ig
recht hatte.
Ich hab nachgehakt und dafür meine Strafe bekommen.
Zufrieden, du Arschloch?
»Jetzt weißt du Bescheid«, sagte Mullins. Sein Bü-
rostuhl ächzte, als er sein beachtliches Gewicht verla-
gerte. »Die Welt kann ein beschissener Ort sein, was?«
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Phil sagte nichts. Er legte die Akte wieder auf Mul-