8. KAPITEL
Am nächsten Morgen erwachte Lacey voller Erwartung. Sie blieb noch einige Minuten im Bett liegen und stellte sich vor, wie sie Steve das Frühstück bringen würde. Ob sie es ihm am Bett servieren sollte?
Er hatte ihr sehr deutlich gezeigt, dass er nicht von ihr abhängig sein wollte, doch er hatte keine Wahl. Er kam nicht allein zurecht, und Lacey beabsichtigte nicht, ihn zu bemuttern. Dennoch genoss sie es, Steve ein wenig zu ärgern. Das war eine bescheidene Rache für sein Verhalten ihr gegenüber.
Lacey stand auf, duschte und zog einen Badeanzug an. Sie beschloss, nur ein T-Shirt darüber zu tragen, obwohl sie gern ihr schickes Strandkleid vorgeführt hätte. Doch Steve würde wahrscheinlich eine Bemerkung fallen lassen, da sie bisher immer nur ein T-Shirt angehabt hatte, und schließlich war heute ein Tag wie jeder andere.
Sie ging nach unten und machte sich Kaffee und Toast. Sie brauchte eine kleine Stärkung, bevor sie Steve gegenübertrat. Obgleich sie sich darauf freute, ihn wiederzusehen, fühlte sie sich ein wenig befangen. Bei dieser Erkenntnis musste Lacey unwillkürlich lächeln, denn sie war es gewohnt, mit weitaus schwierigeren Situationen fertig zu werden als mit der Zubereitung des Frühstücks für einen kranken Nachbarn.
Nachdem sie gegessen hatte, ging sie hinüber zu Steves Haus. Verwundert stellte sie fest, dass die Tür nur angelehnt war.
Sie betrat die Küche und schaute sich um. Was er wohl für gewöhnlich zum Frühstück isst, Cornflakes oder Eier mit Schinken?
Lacey hielt Eier mit Schinken für eher geeignet, einen kranken Mann wieder zu Kräften kommen zu lassen, aber sie fragte besser Steve. Außerdem wollte sie wissen, ob er im Bett frühstücken würde.
Lacey durchquerte die Halle und betrat das Wohnzimmer, wo sie erstaunt bemerkte, dass Steve noch immer schlief. Es war schon spät, und im Allgemeinen arbeitete er um diese Zeit bereits im Büro. Er musste sich ernsthafter verletzt haben, als er angenommen hatte.
Sie zögerte und wusste nicht, ob sie ihn aufwecken oder weiterschlafen lassen sollte. Schlaf war die beste Medizin. Lacey sah, dass die Kleidungsstücke, die Steve am Vortag getragen hatte, auf dem Boden verstreut lagen. Wenn er sich nicht die Mühe gemacht hatte, hinauf ins Schlafzimmer zu humpeln und sich einen Schlafanzug zu holen, dann war er vollkommen nackt unter dem Laken, das um seine Hüften geschlungen war. Sein Brustkorb hob und senkte sich bei seinen gleichmäßigen Atemzügen, und Lacey sah den Bluterguss auf der linken Seite. Auch die Verletzungen an seinem Arm und Kopf hatten sich noch dunkler verfärbt.
Steve brauchte dringend eine Rasur, und Lacey verspürte plötzlich den sehnlichen Wunsch, ihren Finger über die rauen Wangen gleiten zu lassen. Sie ballte die Hände zu Fäusten und legte sie auf den Rücken, um der Versuchung zu widerstehen.
“Ist es Morgen, oder träume ich?”
Lacey schaute zu Steve herab, der sie anlächelte.
“Es ist Morgen”, sagte sie, “und ich bin wegen des Frühstücks gekommen.”
“Ich habe nichts vorbereitet”, zog er sie auf.
Sie lachte. “Ich weiß, aber ich kann es für dich machen. Was möchtest du, Cornflakes oder Eier mit Schinken?”
“Eier mit Schinken”, bat Steve und setzte sich auf, wobei das Laken noch weiter herabrutschte.
Lacey hielt den Atem an und betrachtete Steve fasziniert. Seine Haut war bis zur Taille gebräunt, und der helle Streifen darunter verriet Lacey, dass Steve unter dem Laken nichts weiter anhatte. Als sie nur zögernd aufschaute, begegnete sie Steves spöttischem Blick.
“Ich mache jetzt das Frühstück. Wie möchtest du deine Eier?”, fragte Lacey, in der Hoffnung, dass sie nicht errötet war.
“Gut durchgebraten.” Lacey sah fasziniert zu, wie er sich über die raue Wange rieb. Genau an dieser Stelle hätte sie Steve gern berührt. Der Wunsch war so übermächtig, dass sie beinahe die Hand ausgestreckt hätte.
“Ich bin gleich zurück.” Sie wandte sich ab und wollte davoneilen, bevor sie sich zum Narren machte.
“Und lass dir Zeit”, rief er ihr nach. “Ich möchte duschen.”
Erstaunt drehte Lacey sich wieder um. “Willst du etwa die Treppe hinaufhumpeln?”
“Hier unten gibt es keine Dusche. Außerdem fühle ich mich heute besser.”
“Dein Gips könnte nass werden”, warnte sie ihn.
“Ich wickle eine Plastiktüte darum”, erklärte er. “Aber du gehst mir besser aus dem Weg, sonst könnte mein Anblick dein jungfräuliches Gemüt beleidigen.” Steve rutschte noch weiter nach oben und war im Begriff aufzustehen.
“Du hast Recht.” Lacey verließ fluchtartig das Zimmer.
Sie machte Kaffee und briet Schinken, den sie warm stellte. Die Eier wollte sie erst in die Pfanne schlagen, wenn Steve aus der Dusche kam. Sie hörte das Wasser im Bad rauschen, dann war es still. Lacey wartete noch einige Minuten, bis sie glaubte, dass Steve sich angezogen haben müsste. Dann goss sie Kaffee in eine Tasse und ging mit dieser nach oben.
Wo war Steve? Lacey schaute sich um. Die Tür zu dem Bad, das sie nach dem Sturm benutzt hatte, stand offen, aber Steve war nicht in dem Raum. Es gab mehrere Türen im ersten Stock, aber Lacey wusste nicht, welche zu Steves Zimmer führte.
“Steve?”
“Hier bin ich.”
Lacey folgte der Stimme und betrat ein großes Schlafzimmer, das geschmackvoll eingerichtet war. In der Mitte des Raums befand sich ein breites Bett, und das große Fenster bot eine herrliche Aussicht über den Garten und das Meer dahinter. Die Tür zum Bad war geöffnet. Lacey sah Steve, der auf Krücken gestützt vor dem Spiegel stand und sich rasierte. Er hatte sich nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen.
“Ich habe dir eine Tasse Kaffee gebracht”, sagte Lacey. “Magst du ihn schwarz?” Sie reichte ihm die Tasse.
Steve nahm sie ihr ab und hielt dabei Laceys Hand fest. “Heiß und schwarz.” Er führte die Tasse an die Lippen und schaute Lacey tief in die Augen.
Ihre Finger prickelten von der Berührung, und Laceys Herz setzte einen Schlag aus, als sie Steves Blick erwiderte.
“Bist du bald fertig?”, fragte sie.
“Fertig wofür?” Steve grinste.
“Für das Frühstück.” Lacey zog die Hand zurück, ein wenig enttäuscht, dass Steve sie sofort freigab.
“Ich muss mich nur noch rasieren. Ich will nachher ins Büro”, antwortete er und wandte sich wieder zu dem Spiegel um.
“Um Himmels willen, werden sie dort nicht einen Tag ohne dich auskommen? Du solltest dir Zeit lassen und dich ausruhen, bevor du wieder anfängst zu arbeiten.”
“Wenn ich deinen Rat brauche, wie ich mein Leben führen soll, werde ich dich fragen. Es gibt Dinge, die erledigt werden müssen und die nur ich machen kann.”
Lacey zog die Nase kraus und streckte Steve die Zunge heraus. Sie wusste, dass sie sich kindisch benahm, aber das war ihr egal. Steve hatte nicht das Recht, sie zurechtzuweisen.
Er hob die Augenbrauen und drehte sich um. “Bevor du das noch einmal tust, warte, bis ich deine Lippen mit meinen berühre.”
Lacey musste schlucken, um sich gegen das starke Verlangen zu wehren, das Steves Worte in ihr geweckt hatten. Sie überlegte, wann er sie wieder küssen würde, und als ob er ihre Gedanken erriet, streckte er die Hand aus, griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich heran.
Er beugte sich vor und senkte seine kühlen Lippen auf ihre. Steve roch nach Rasierschaum, Shampoo und Kaffee, und Lacey schloss die Augen und öffnete den Mund, um Steve zu schmecken, zu fühlen und sich ganz dem herrlichen Gefühl hinzugeben, das sie erfüllte. Nur widerwillig zog sie sich schließlich zurück und atmete schwer.
Steve lächelte und wischte ihr den Rasierschaum von der Oberlippe. “Du siehst wie ein kleines Kind aus, das sich mit Schlagsahne beschmiert hat.” Er musterte ihr Gesicht noch einen Moment, dann grinste er. “Ich komme in ein paar Minuten zum Frühstück herunter. Vielen Dank für den Kaffee.”
Lacey wandte sich ab, um hinunterzugehen. Sie fühlte sich wie betäubt. Sie liebte Steve Carmichael und wünschte sich, ihm jeden Tag beim Rasieren zuschauen zu dürfen und anschließend mit ihm gemeinsam zu frühstücken. Als sie an dem breiten Bett vorbeikam, hielt sie einen Augenblick inne und sah sich dort im Geiste neben Steve liegen. Das wird nie geschehen, dachte sie, und der Schmerz, den sie empfand, war nur ein Vorgeschmack auf das, was sie bei ihrer Abreise von Barbados erwartete. Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief sie hinunter zur Küche.
Sie schlug gerade die Eier in die Pfanne, als sie hörte, wie Steve auf seinen Krücken die Treppe hinunterhumpelte. Es dauerte noch eine Weile, bis er es in die Küche geschafft hatte.
“Gut abgepasst”, sagte Lacey und stellte ihm den Teller mit den Eiern und dem Schinken auf den Tisch.
Steve setzte sich mühsam auf den Stuhl und lehnte die Krücken an die Wand. “Sieht gut aus”, bemerkte er.
“Ich koche nicht oft. Dazu habe ich weder die Zeit noch die Lust. aber Eier bringe ich zustande.” Lacey setzte sich Steve gegenüber an den Tisch. Eigentlich sollte ich sofort von hier verschwinden, dachte sie, aber sie wollte Steve noch ein wenig Gesellschaft leisten. Es dauerte bestimmt nicht lange, bis er sich wieder über etwas aufregte und einen Streit anfing. Dann war es Zeit für Lacey zu gehen.
“Ich dachte, alle Frauen kochen gern”, mutmaßte Steve.
“Ich nicht. Ich tue es nur, wenn es unbedingt sein muss. Meistens gehe ich essen.”
“Und wenn du eines Tages heiratest? Willst du es auch dann nicht probieren?”
“Ich werde nur einen Mann heiraten …”, begann sie.
“… der reich genug ist, eine Köchin einzustellen.”
“Nein, der selbst kochen kann.” Sie lächelte ihn an. “Dann kann er für uns beide das Essen zubereiten. Auf keinen Fall will ich eine Köchin. Ich kann nicht im Nachthemd herumlaufen, wenn Personal im Haus ist.” Lacey runzelte die Stirn. “Nein, eine Köchin kommt nicht infrage.”
“Was für eine verführerische Vorstellung. Wie sieht dein Nachthemd aus?”, fragte Steve interessiert.
Lacey bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. “Das Nachthemd, das ich mitgebracht habe, ist aus Batist, also fast durchsichtig. Es hat Spitze am Hals- und Armausschnitt. Vorn wird es mit einem Band zusammengehalten, und wenn man daran zieht, öffnet es sich bis hier.” Sie zeigte auf einen Punkt zwischen ihren Brüsten und lächelte Steve aufreizend an.
Als sie das spöttische Funkeln in seinen Augen sah, wurde Lacey verwegener. Sie spürte eine seltsame Erregung und wollte ihre Beschreibung ausführlicher fortsetzen. Doch in diesem Augenblick hörte sie draußen ein Auto vorfahren.
“Erwartest du jemand?”, fragte sie.
“Nein.”
Gleich darauf wurde die Haustür geöffnet, und eine fröhliche Stimme rief: “Steve? Wo bist du?”
“In der Küche, Mutter.” Er zuckte die Achseln, und Lacey glaubte einen Ausdruck des Bedauerns in seinem Gesicht zu lesen.
Sally Carmichael blieb an der Tür stehen und blickte Lacey erstaunt an. “Guten Morgen”, grüßte Sally freundlich. “Ich wusste nicht, dass sich jemand um meinen Sohn kümmert. Ich habe erst heute Morgen von seinem Unfall erfahren, aber jetzt verstehe ich, warum er mich gestern nicht angerufen hat.” Mit wenigen Schritten durchquerte sie die Küche, setzte sich ebenfalls an den Tisch und schenkte Lacey ein Lächeln.
“Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Mrs. Carmichael?”, fragte Lacey.
Sally nickte. “Ja bitte, mit Milch und Zucker.” Dann wandte sie sich an Steve: “Und wie geht es dir, mein Sohn?”
“Es ist halb so schlimm, Mutter”, antwortete er. “Ich habe mir nur den Fuß gebrochen, und gestern Abend war ich zu müde, um dich anzurufen.”
“Und was ist mit den Verletzungen an deinem Kopf und deinem Arm?” Sallys Besorgnis war unverkennbar.
“Es ist nichts Ernsthaftes. Ich will nachher noch ins Büro.”
“Das kommt überhaupt nicht infrage. Ich habe mit Kyle gesprochen, und er ist der Meinung, dass du einige Tage Ruhe brauchst.”
Lacey versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, aber Steves Miene ließ erkennen, dass es ihr nicht gelang.
“Das Gleiche habe ich ihm auch gesagt”, erzählte sie Sally.
“Und ich habe dir zu verstehen gegeben, dass ich mich nicht von einem vorlauten Mädchen bevormunden und mir sagen lasse, wie ich mein Leben führen soll.”
Lacey sah ihn verwirrt an. “Vorlaut?”
“Oder naseweis, wenn dir das besser gefällt.”
“Wenn du glaubst, dass ich meine Meinung ändere, nur weil du mich beleidigst, dann irrst du dich”, erwiderte sie empört. “Vernünftige, kluge Erwachsene sind nicht vorlaut. Du wirst dich heute noch schlechter fühlen als gestern. Aus Erfahrung weiß ich, dass eine Verletzung am zweiten Tag immer am meisten schmerzt. Außerdem glaube ich, dass man in einer Firma, die halbwegs sachkundig geleitet wird, auch mal einen Tag ohne den geschätzten Chef auskommt.”
Als Lacey aufstand und ihr T-Shirt herunterzog, begegnete sie Steves wütendem Blick.
“Ich gehe jetzt”, erklärte sie.
“Vielen Dank für das Frühstück.” Steves zornige Stimme verriet, dass er es bereits bereute, sich von ihr bedienen lassen zu haben.
“Vielen Dank, dass Sie Steve versorgt haben”, sagte Sally. Ihre Augen funkelten belustigt, obwohl sie sich um einen ernsten Ausdruck bemühte.
“Jetzt brauche ich mich nicht mehr um ihn zu kümmern. Sie sind ja da”, erklärte Lacey.
“Ich bin kein Kind mehr.” Steve schlug mit der Gabel auf den Tisch.
“Du benimmst dich aber so.” Lacey war versucht, ihm wieder die Zunge herauszustrecken. Aber dann fiel ihr ein, wozu diese Reaktion beim ersten Mal geführt hatte, und so wiederholte sie nur: “Ich gehe jetzt.” Sie nickte Mrs. Carmichael freundlich zu.
“Ich bleibe ein oder zwei Tage hier, Lacey, und da sehen wir uns doch hoffentlich noch einmal.”
Lacey lächelte nur und nickte nochmals, denn sie wollte sich nicht festlegen. Ohne sich von Steve zu verabschieden, drehte sie sich um und ging zur Hintertür hinaus. Damit ist meine Chance, Steve näherzukommen, vertan, dachte sie. Von nun an würde seine Mutter ihn versorgen, und in wenigen Tagen würde Kyle Lincoln ihm einen Gehgips verpassen. Danach brauchte Steve niemanden mehr und würde allein fertig werden.
Diese Überlegungen deprimierten Lacey, und sie versuchte, sich zusammenzureißen. Sie war hier, um ihre Ferien zu genießen, und es war höchste Zeit, dass sie Steve Carmichael aus ihren Gedanken verbannte.
An diesem Tag ging sie nicht mehr hinüber zu Steves Haus. Sie sah, dass der Wagen seiner Mutter noch immer in der Einfahrt parkte, und so wusste sie, dass Sally für Steve kochen und ihm seine Medizin geben würde. Trotz ihres Vorsatzes, nicht mehr an ihn zu denken, hätte Lacey sich zu gern nach seinem Befinden erkundigt. Aber sie mochte nicht hinübergehen und fragen. Steve würde es als aufdringlich empfinden und doch nur glauben, dass sie allein seines Geldes wegen an ihm interessiert war. Noch immer stellte er alle Frauen auf eine Stufe mit Elizabeth.
Lacey hatte durchaus Verständnis für Steves Misstrauen ihr gegenüber. Es musste entsetzlich sein, wenn er von seinen Mitmenschen ständig wegen seines Reichtums umschmeichelt und nicht um seiner selbst willen geliebt wurde.
Am nächsten Nachmittag saß Lacey wieder in ihrem Garten im Schatten des Mimosenbaumes. Den Kriminalroman hatte sie zu Ende gelesen, und jetzt begann sie ein Buch über die Geschichte von Barbados.
“Guten Tag. Darf ich auf einen Plausch herüberkommen?” Sally Carmichael stand am Rand des Gartens neben der Steinmauer.
“Gern. Setzen Sie sich zu mir. Möchten Sie einen Eistee?” Lacey hatte ein großes Glas neben sich im Gras stehen.
“Nein danke. Wir haben gerade gegessen. Ich störe Sie doch hoffentlich nicht?” Sally war näher gekommen und zeigte auf das Buch.
“Nein. Nehmen Sie doch Platz.” Lacey schloss das Buch und legte es neben das Teeglas. “Wie geht es Steve?”
Sally streckte sich seufzend auf der Liege neben Lacey aus. “Er arbeitet. Ich habe mich geweigert, ihn in die Stadt zu fahren, und daher hängt er jetzt am Telefon. Der Hörer scheint an seinem Ohr angewachsen zu sein.”
“Dann geht es ihm offensichtlich besser”, bemerkte Lacey.
“Nein, ich glaube, er hat noch immer starke Schmerzen, aber er will sich davon nicht unterkriegen lassen. Er nimmt seine Arbeit sehr ernst, und auch eine solche Kleinigkeit wie dieser Sturz hält ihn nicht auf.”
“Er hat Glück gehabt, dass er sich nicht schlimmer verletzt hat.” Lacey schauderte bei der Vorstellung, dass Steve sich das Genick hätte brechen können.
“Ja, das hat er”, stimmte Sally zu. “Ich hätte ihn zu gern von der Arbeit abgehalten, aber das ist unmöglich. Steve ist sehr pflichtbewusst und glaubt, dass die Firma ohne ihn nicht läuft.”
“Handelt es sich um einen Familienbetrieb?” Lacey streckte sich auf ihrer Liege aus.
“Ja, die Firma hat meinem Vater gehört”, erzählte Sally. “Als er starb, hinterließ er meinem Mann und mir einige Anteile, doch der Mehrheitsanteil wurde Steve übertragen. Mein Vater hatte die Firma in den letzten Jahren seines Lebens nicht sehr gut geführt, aber unter Steves Leitung hat sie einen beträchtlichen Aufschwung genommen. Er verdient jetzt gutes Geld damit, aber dafür arbeitet er auch sehr hart.”
Lacey wusste, dass Steve erfolgreich war, aber sie hatte nicht geahnt, dass er sich diesen Erfolg hatte erkämpfen müssen. Das Geschäft war hart, besonders auf internationaler Ebene.
“Erzählen Sie mir von sich, Lacey”, forderte Sally sie auf. “Wir haben uns am Abend der Party gar nicht richtig miteinander unterhalten können.”
Lacey lächelte und berichtete Sally ein wenig von ihrem Leben in Los Angeles. Obwohl sie sich erst seit zwei Wochen auf Barbados aufhielt, erschien ihr dieses jetzt weit entfernt. In wenigen Wochen würde sie in das pulsierende Leben von Südkalifornien zurückkehren.
Dieses Leben war so ganz anders als das, das Sally Carmichael führte, und so stellte Sally viele Fragen und zog Vergleiche. Der Nachmittag verflog im Nu, so dass Lacey es bedauerte, als Sally sich verabschieden musste. Sie hätte gern noch mehr über Steve erfahren. Seine Mutter hätte ihr Geschichten aus seiner Kindheit und auch aus seinem jetzigen Leben erzählen können. Aber Lacey hatte nicht zu neugierig fragen mögen, denn sie wusste, dass Steve darüber verärgert gewesen wäre.
Obwohl Steve deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er Lacey nicht wiederzusehen gedachte, wollte sie alles über ihn wissen. Selbst wenn sie ihm vor ihrer Abreise nach Los Angeles nicht mehr begegnete, musste sie alles über ihn erfahren: wie er als Kind gewesen war, wie die Ereignisse ihn geprägt hatten und wie er zu dem Mann geworden war, der er heute war.
Jeden Tag schaute Lacey zu Steves Haus hinüber, um zu sehen, ob seine Mutter gekommen war, um Steve zu versorgen. Tatsächlich stand der Wagen von morgens bis abends dort.
Lacey ging täglich zum Strand hinunter. Manchmal fuhr sie in die Stadt, um einzukaufen, oder sie besuchte den Markt. Ihre Haut war gleichmäßig gebräunt, ihr Haar heller geworden, und allmählich spürte sie, wie sie sich von den Anstrengungen des letzten Jahres erholte. Sie war glücklich und zufrieden, nur Steve fehlte ihr. Sie mochte ihn jedoch nicht besuchen, solange seine Mutter sich bei ihm aufhielt, zumal sie weder von ihm noch von Sally eingeladen wurde. Die Tage vergingen, ohne dass Lacey Steve zu Gesicht bekam, und das war der einzige Makel an einem perfekten Sommer.
Als Lacey eines Morgens wieder hinüber zu Steves Einfahrt blickte, parkte Sallys Auto nicht dort. Hatte Sally sich verspätet, oder hatte Steve bereits seinen Gehgips und war nicht länger auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen?
Gegen Mittag schaute Lacey noch einmal nach. Noch immer stand Sallys Wagen nicht in der Einfahrt. Lacey war versucht, zu Steve hinüberzugehen, um ihm sein Mittagessen zuzubereiten, aber etwas hielt sie zurück. Sie wollte ihm keinen Grund zu der Annahme geben, dass sie ihm hinterherlief. Wenn seine Mutter glaubte, dass Steve allein zurechtkam, dann durfte Lacey sich nicht einmischen. Er wusste ja, wo sie wohnte. Wenn er etwas brauchte, konnte er anrufen.
Lacey schnitt Sellerie und Zwiebeln für einen Salat, den sie zu Abend essen wollte. Sie überlegte, ob sie Steve davon etwas anbieten sollte. Sie könnte ihn anrufen und fragen und brauchte ihn deswegen nicht aufzusuchen. Einen solchen freundlichen, nachbarschaftlichen Anruf würde er sicher nicht als aufdringlich empfinden.
Sie war noch immer unschlüssig, was zu tun sei, als sie aus dem Fenster blickte und sah, wie Steve um die Steinmauer bog.
Er bewegte sich erstaunlich schnell mit seinen Krücken über den Rasen und setzte sich auf einen der Stühle unter dem Mimosenbaum. Dann schaute er Lacey durch das geöffnete Fenster an, ohne ihr freundliches Lächeln zu erwidern.
“Mir fällt zu Hause die Decke auf den Kopf”, gestand er schließlich, um seine Gegenwart zu erklären.
“Geht es dir besser?”, fragte Lacey. “Ich habe bemerkt, dass deine Mutter heute nicht gekommen ist.”
“Ich werde auch allein fertig”, erwiderte er mürrisch. “Ich brauche keine Krankenschwester.”
Lacey lachte leise. “Wie wäre es, wenn du mir beim Abendbrot Gesellschaft leistest, da du nun schon einmal hier bist”, lud sie ihn ein. “Die Auswahl ist groß: gebratenes Huhn, frisches Brot und Salat. Und zum Nachtisch gibt es Erdbeertorte.”
“Vielen Dank. Das hört sich gut an”, sagte Steve.
Lacey nickte nur und wandte sich wieder dem Sellerie zu. Ihr Herz klopfte vor Freude. Sie hatte Steve fast eine Woche lang nicht gesehen, und jetzt blieb er zum Essen bei ihr. Während sie den Tisch deckte, schaute sie immer wieder hinaus in den Garten. Steve schien sich dort wohl zu fühlen, denn er saß entspannt auf seinem Stuhl im Schatten.
Lacey hatte beschlossen, das Abendbrot im Haus zu servieren, da es draußen windig war. Steve wirkte ein wenig müde, aber Lacey sah darüber hinweg und suchte nach Gesprächsthemen, die sie beide interessierten. Sie erzählte ihm von ihrer Kindheit in Südkalifornien und von ihrem Bruder und wie glücklich ihre Familie gewesen war, als dieser Suzanne geheiratet hatte. Auch Steve gab Anekdoten aus seiner Kindheit zum Besten und erzählte von den Streichen, die er mit Kyle ausgeheckt hatte. Lacey amüsierte sich köstlich.
Der Nachtisch fand Steves Zuspruch, denn er aß drei Stück von der Erdbeertorte.
“Es freut mich, dass es dir geschmeckt hat”, sagte Lacey und räumte den Tisch ab.
“Du hast großartig gekocht”, lobte Steve.
“Es ist nicht schwer, ein Huhn zu braten”, erwiderte sie. “Außerdem habe ich dir gesagt, dass ich kochen kann, es ist nur nicht gerade eines meiner Hobbys. Möchtest du noch einen Kaffee?”
Er nickte, und Lacey brachte ihm eine Tasse Kaffee ohne Milch und Zucker, heiß und schwarz, wie Steve ihn liebte.
“Morgen bekomme ich meinen Gehgips, und dann kann ich wieder zurück ins Büro”, erklärte Steve.
“Soll ich dich in die Stadt fahren?”, fragte sie.
“Nein, vielen Dank. Meine Mutter holt mich ab”, sagte er.
“Das ist recht umständlich. Ich könnte dich zu deinem Büro fahren, anschließend in der Stadt ein wenig einkaufen, was ich ohnehin vorhabe, und dich dann wieder mit zurücknehmen.” Lacey wagte kaum zu atmen. Zu gern hätte sie den nächsten Tag auf diese Weise verbracht. Ob Steve ihr Angebot annahm?