1974
Die Mädchen haben den ganzen Tag am Strand und am Pool verbracht, und auch wenn es dem Direktor nicht behagte, dass sie lieber im Hotel bleiben wollten, statt mit den anderen zusammen einen Ausflug zu machen, hat Doña Marisa ihn überzeugen können, dass sie doch dumm wären, sich die Gelegenheit zum Schwimmen und Sonnenbaden entgehen zu lassen, wenn sie nun schon einmal auf Mallorca und in einem solchen Hotelkomplex sind.
Jetzt warten die beiden Lehrer darauf, dass alle aus ihren Zimmern kommen, um in den Minibus zu steigen und nach Palma zu fahren, wo sie mit der Jungengruppe verabredet sind, um eine der großen Diskotheken zu besuchen.
»Eine gelungene Klassenfahrt, nicht wahr?« Marisa lässt die Eiswürfel in ihrer Coca-Cola klingeln und schenkt ihrem Kollegen ein prachtvolles Lächeln, das im Kontrast zu ihrem gebräunten Gesicht noch weißer leuchtet als gewöhnlich. Javier hat sie noch nie so hübsch und so strahlend gesehen.
»Ja. Offen gestanden, ist es ewig her, dass ich einen ganzen Tag faul herumgelegen habe ohne ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht arbeite. Aber ich habe beschlossen, es zu genießen, so lange ich kann. Wer weiß, wohin sie mich nächsten Monat schicken!«
»Ist das mit deiner Versetzung denn sicher?«
»Es ist sicher, seit Monsignore Uribe festgestellt hat, dass mir der Umgang mit Jugendlichen nicht zuträglich ist.«
»Was heißt nicht zuträglich?«
»Seiner Meinung nach habe ich mich von ihrem Gerede über Freiheit und Freizügigkeit anstecken lassen … von allem, was er nicht für richtig hält.«
»Und du? Was hältst du davon?«
Javier zuckt mit den Schultern und lässt den Blick über Marisas Schulter hinweg durch den Garten schweifen. Er will jetzt weder an Don Alonso noch an die Versetzung noch an die wochenlangen Exerzitien denken, die ihn in den Pyrenäen unter vorsintflutlichen Priestern und stillen Nönnchen erwarten, aber sie will eine Antwort hören.
»Ich zähle nicht.«
»Das finde ich ungerecht.«
»Ich auch, aber ich habe Gehorsam gelobt, wie du weißt. Das ist wie beim Militär, nehme ich an. Einem Befehl kann man sich nicht widersetzen.«
Marisa legt ihre Hand auf Javiers Hand.
»Und wenn du es aufgibst, Javi?« Sie haben am Abend zuvor ganz theoretisch darüber gesprochen, aber was in den frühen Morgenstunden, als sie im Garten gesessen und aufs Meer geschaut haben, eine Option zu sein schien, ist jetzt im Licht der Sonne nichts weiter als der Traum einer Sommernacht.
»Und was mache ich dann, Marisa?«
»Du könntest weiter an Gymnasien arbeiten wie jetzt und beispielsweise Philosophie unterrichten.«
»Das würden sie niemals zulassen. Wer stellt schon einen abtrünnigen Geistlichen ein? Und ich kann sonst nichts. Komm, wechseln wir das Thema, sie sind da.«
»Aber nachher reden wir weiter.«
»Was soll das? Es macht dir wohl Freude, einen Priester auf Abwege zu bringen!« Er sagt es lächelnd und in scherzhaftem Ton, aber Marisa wird ernst.
»Es macht mir Freude, einen Freund zu ermutigen, sein Leben nicht zu vergeuden.« Sie erhebt sich, lässt die halb leere Cola stehen und geht ihren Schülerinnen entgegen, die lachend auf sie zukommen, schick angezogen und geschminkt, mit frisch gewaschenen Haaren und einem Glanz in den Augen, wie man ihn nur mit achtzehn hat.
Kurz darauf sitzen sie alle im Minibus, Marisa auf dem Platz neben dem Fahrer.
In Palma treffen sie auf die Jungen, und nachdem sie eine Viertelstunde Schlange gestanden haben, betreten sie eine Riesendiskothek, wo sie sich allmählich in Pärchen und kleine Gruppen aufteilen. Es herrscht eine feuchte Hitze, die zusammen mit den Rauchschwaden über den verschiedenen Tanzflächen fast den Atem raubt, die Musik dröhnt in voller Lautstärke, der Alkohol fließt in Strömen und benebelt ihnen langsam die Sinne, sodass sie aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommen.
An einem etwas abseits stehenden Tisch, wo die Musik nicht ganz so laut ist, sitzen sich Don Telmo und Doña Loles gegenüber und streiten sich. Schon von Weitem sieht man, dass sie ein Gespräch führen, bei dem alle anderen überflüssig sind, und die Schüler machen vorsichtshalber einen Bogen um sie. Don Javier steht an der Theke und trinkt einen Cuba Libre. Er wirkt ein wenig verloren ohne Doña Marisa, die an seiner Seite zu sehen allen zur Gewohnheit geworden ist, also gehen Carmen und Ana zu ihm, um ihm Gesellschaft zu leisten, und versuchen, ihn mit auf die Tanzfläche zu schleppen, bis er sie wegscheucht und wieder allein bleibt, den Blick starr auf den Spiegel hinter dem Tresen gerichtet, der den ganzen im bunten Neonlicht flackernden Saal reflektiert. Er weiß, dass er Marisa ungewollt verletzt hat, was er bedauert, aber er fühlt sich bedrängt, wenn sie ihm immer wieder mit derselben Lösung kommt: »Gib es auf.« Wie sollte er seine Berufung, seine Bestimmung, seine einzige Sicherheit aufgeben? Wozu sind die vielen Jahre im Priesterseminar gut gewesen, die vielen Opfer, die er hat bringen müssen, wenn er jetzt alles über Bord wirft, bloß weil er sich nicht in ein abgelegenes Dorf schicken lassen will, um das zu tun, was er gelernt hat, was er sich selbst ausgesucht hat? Er weiß jedoch, dass es nicht nur darum geht, nicht nur um seine Angst vor Langeweile und Einsamkeit. Sein Hauptproblem, für das er keine Lösung sieht, besteht darin, dass er sich mit vielen Dingen, die er mit siebzehn Jahren für richtig, offensichtlich und notwendig erachtete, nicht mehr identifizieren kann; dass er nicht mehr versteht, warum die Botschaft Christi, so mutig, so revolutionär, zunehmend an das sechste Gebot gebunden sein muss, an etwas, das im Vergleich zu den wirklich wesentlichen Fragen im Grunde unbedeutend ist; dass es ihn stört, weder mit dem Herzen noch mit dem Kopf auf die vollkommen berechtigten Zweifel seiner Schülerinnen eingehen zu können, weil er sich auf die offizielle Version beschränken muss, an die er längst nicht mehr glaubt. Als Ana vor einigen Monaten wissen wollte, ob er es normal finde, dass der Generalísimo Franco bei Prozessionen unter einem Baldachin geht, was doch ein Zeichen der Anbetung und eigentlich nur der Heiligen Hostie vorbehalten sei, konnte er ihr nur stammelnd zur Antwort geben, dies sei eine besondere Ehre, die der Papst dem Caudillo für seine Verteidigung der katholischen Religion zugesprochen habe, und weder ein Dorfpfarrer noch eine Abiturientin hätten das Recht, dem Heiligen Vater in Rom zu widersprechen. Ana sagte daraufhin nichts mehr, aber er schämte sich vor sich selbst, denn auch er empfindet es als Skandal, hat sich aber nicht getraut, es auszusprechen.
Und in den Fällen, in denen er stolz auf sich und sein Verhalten war – beispielsweise als eine seiner Schülerinnen schwanger wurde und er mit ihren Eltern, ihrem Freund und dessen Eltern gesprochen hatte und sie alle überzeugen konnte, dass eine Ehe die beste Lösung war –, musste er sich auch vor dem Bistum verantworten, weil ihm der Bischof vorwarf, seinen Schülerinnen den Wert der Jungfräulichkeit und der sexuellen Abstinenz nicht vermittelt zu haben. Er kann machen, was er will, gut ist es nie. Man hat seine Gedanken, seine Gefühle und natürlich seine Worte geknebelt. Er fühlt sich wie gefesselt; als hätte man ihm einen Maulkorb und ein Halsband angelegt, damit seine Vorgesetzten ihn bequem an der Kette führen können, wohin er nicht will.
»Ach, Javi«, hört er Marisa sagen. »Sich allein zu besaufen ist das Traurigste von der Welt, und da wir hier außerdem die Anstandswauwaus sind, kannst du es dir nicht einmal leisten. Komm mit uns tanzen!«
Er schüttelt den Kopf und richtet den Blick auf seine Kollegin, die von Schülerinnen umringt ist.
»Ich? Aber nicht doch, wie soll ich denn tanzen?«
»Na, mit den beiden Füßen, die dir Gott gegeben hat, und weil wir ja schließlich in einer Diskothek sind. Auf geht’s!«
Noch unter Protest, aber schon lächelnd, lässt er sich wegzerren, und als er in der Mitte der Tanzfläche unter den farbigen Lichtern angelangt ist, erklingt Sacramento von Middle of the Road, und die Mädchen fangen an zu kreischen und zu hüpfen und reißen ihn schließlich mit. Nach kurzer Zeit ist er schweißgebadet, fühlt sich aber so frei und glücklich wie in den letzten fünf Jahren nicht.
Dann verändert sich das Licht, ein langsames Lied beginnt, und widerwillig tritt er den Rückzug zum Tresen an. Marisas Hand hält ihn auf.
»Oh nein! Kommt nicht infrage. Wirst du mich denn nicht zum Tanzen auffordern wie ein Kavalier?«
Alle Mädchen haben sich mit hochgewachsenen, sonnenverbrannten Ausländern zu Paaren zusammengefunden. Marisas Haar ist feucht, und sie lächelt ihn an.
»Aber ich kann doch gar nicht tanzen …«, wehrt er sich schwach.
»Ich führe dich.«
Javier fasst sie um die Taille, und sie legt die Arme um seinen Hals, wobei sie ganz leise das Lied mitsingt: »Nights in white satin.«
Noch nie ist er einer Frau, die nicht zu seiner Familie gehört, so nah gewesen. Sie riecht leicht nach Kokosöl und auch nach etwas Frischem, Grünem, wahrscheinlich ihrem Parfüm, das ihm nie aufgefallen ist. Er bemüht sich, die Hände still zu halten und ein wenig Abstand zu wahren, damit sie seine Erektion nicht bemerkt. Er weiß, er sollte sie unter irgendeinem Vorwand loslassen und wieder an die Theke flüchten oder eine Weile hinausgehen, um frische Luft zu schöpfen, aber er weiß auch, wenn er jetzt wegläuft, wird er es monatelang, wenn nicht jahrelang bereuen, weil er dann in dem Kaff, in das sie ihn schicken werden, beim Zubettgehen nicht einmal die Erinnerung an diesen Moment haben wird. Also gibt er sich der Melodie hin, schließt die Augen und lässt zu, dass sie dichter an ihn heranrückt, bis er ihre Brüste an seinem Körper spürt und ihn ein Schauder überrieselt.
»Ich liebe dieses Lied«, raunt sie. Er sagt nichts, legt seine Hände aber so, dass sie nun den rückwärtigen Teil ihrer runden, festen Hüften umfassen. Er spürt das Gummiband ihrer Unterwäsche und muss sich zusammenreißen, um nicht auf Entdeckungsreise zu gehen und all die Wunder zu erforschen, die er in unmittelbarer Reichweite hat. Sie streichelt ihm kurz den Nacken und löst sich dann plötzlich von ihm.
»Komm, gehen wir einen Moment an die frische Luft«, sagt sie, nimmt ihn bei der Hand und zieht ihn hinter sich her.
»Aber … aber … die Mädchen …«
»Die werden schon nicht aufgefressen. Außerdem sind Telmo und Loles ja auch noch da. Los!«
Die Luft im Freien ist köstlich nach der Hitze und dem Qualm in der Diskothek. Sie gehen ein paar Schritte bis zum Geländer einer kleinen Grünanlage, die sich bis hinunter zum Strand zieht, steigen die Steinstufen hinab und biegen in einen Pfad aus weißem Kies ein, vorbei an Pärchen, die sich in dunklen Ecken küssen, und Jugendlichen, die sich in die Blumenbeete übergeben. Javier hätte sie gern bei der Hand genommen, aber er weiß, dass sich das nicht gehört, und wagt es nicht. Sie hat den Kopf in den Nacken gelegt und atmet beim Gehen tief durch, dann bleibt sie unter einem riesigen Gummibaum stehen, kramt in ihrer Handtasche, holt ein Päckchen Zigaretten heraus, zündet zwei auf einmal an und reicht ihm schweigend eine.
»Marisa«, sagt Javier sehr leise, obwohl niemand in ihrer Nähe ist, »habe ich etwas falsch gemacht? Was ist los?«
Sie blickt ihn an, und in ihren Augen glimmt ein belustigter Funke. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, umfasst sein Gesicht mit beiden Händen und gibt ihm einen festen Kuss auf die geschlossenen Lippen.
»Ach, Javi! Du gefällst mir wahnsinnig, das ist los. Du gefällst mir schon seit zwei Jahren, solange ich dich kenne. Warum, glaubst du wohl, wollte ich mich versetzen lassen? Elda ist nicht übel, es lebt sich ganz gut da, und es gibt alles. Ich kann mir durchaus vorstellen, dort zu bleiben, aber du bist Priester, und das macht die Sache ziemlich kompliziert, meinst du nicht?«
»Ich?«, stottert er. »Ich gefalle dir?«
»Junge, bist du begriffsstutzig! Natürlich gefällst du mir. Und wie! Und ich dir?«
Eine so schwierige Frage hat ihm noch nie jemand gestellt, nicht einmal Ana, denn die Antwort ist zwar leicht, aber er weiß nicht, ob er sie mit dem Herzen oder mit dem Kopf geben soll, und das lähmt ihn.
»Gefalle ich dir oder nicht? Denn wenn nicht, gibt es nichts weiter zu reden.«
Am Ende gibt er die Antwort weder mit dem Herzen noch mit dem Kopf. Es ist sein Körper, der sich das Machtvakuum zunutze macht und die Initiative ergreift, und unversehens küssen sie sich, diesmal richtig, wie Javier es nur aus Filmen kennt.
In der Diskothek tanzt Marga unter Hunderten von anderen schwitzenden, angetrunkenen Paaren mit Manolo, der sie wie eine Boa umschlingt und, da der Saal weitläufig und kein bekanntes Gesicht in der Nähe ist, mit der einen Hand ihren Busen betastet, während er an ihrem Ohr saugt und sich mit der anderen an ihrem BH-Verschluss zu schaffen macht.
»Hör auf, Manolo«, sagt sie und versucht, sich seinem Würgegriff zu entwinden. »Finger weg. Du bist betrunken, und ich mag das nicht.« Er lässt sich nicht beirren und überhört, was sie sagt. »Verflixt noch mal, du sollst mich loslassen! Ich hab keine Lust!« Mit aller Kraft stößt sie ihn von sich, und er taumelt ein wenig. »Ich gehe auf die Toilette.«
»Langsam habe ich genug von deinen Mätzchen! Komm sofort hierher, oder es ist aus zwischen uns.«
Darauf hat Marga nur gewartet, und bevor Manolo noch ein Wort sagen kann, erwidert sie, laut genug, um die Musik zu überschreien: »In Ordnung. Es ist aus. Wir haben Schluss gemacht, kapiert? Ende. Zieh Leine und such dir eine, die dich erträgt.«
Er verfolgt sie durch den Gang, der zu den Toiletten führt.
»Marga, bitte, lass uns kurz rausgehen, lass uns reden.«
»Es gibt nichts zu reden. Ich habe es satt.«
»Ach, komm schon, in zwei Monaten sind wir in Valencia. Ich verspreche dir, bis dahin zu warten, wenn du willst. Na los, sei doch nicht so …« Wieder umarmt er sie und nähert seinen Mund wie ein Vampir ihrem Hals, wo sie schon zwei ältere Knutschflecken hat.
»Spinnst du oder was? Es ist aus, habe ich gesagt.«
Mit beiden Händen schubst sie ihn weg und verschwindet nach einem schnellen Spurt in der Damentoilette.
Manolo steckt wütend die Hände in die Taschen und blickt um sich. Er ist fest entschlossen, an genau dieser Stelle auf Marga zu warten, und wenn sie die ganze Nacht braucht. So leicht gibt er sich nicht geschlagen. Er wird sich doch von so einer dämlichen Göre nicht vorschreiben lassen, ob er mit ihr geht oder nicht. So weit kommt’s noch!
Unter wippenden Köpfen und schwitzenden Paaren glaubt er, Carmens üppige Lockenmähne zu erkennen. Das ist ein Vollblutweib! Sie knutscht mit einem blonden Kerl, der knapp zwei Meter groß sein dürfte, denn er hängt halb über ihr und ist trotzdem noch zu lang. Sole, hinreißend wie immer, aber mit dieser eisigen Ausstrahlung, die Manolo erbost, unterhält sich am Tresen mit einem Typen, der aussieht wie ein Manager auf Urlaub. Zu ihrer Linken, hinter einer Säule verborgen, streiten sich der Direktor und seine Frau noch immer und bekommen von dem, was sich um sie herum abspielt, nichts mit. Don Javier und Doña Marisa sind wahrscheinlich mit den übrigen Mädchen beim Tanzen.
Da geht Candela an ihm vorbei in Richtung Toilette. Manolo packt sie am Arm und nähert sich ihrem Ohr, um sich verständlich zu machen. Sie weicht zurück, angewidert von seinem Mundgeruch nach Rum und Ducados.
»Deine Freundin Marga ist seit einer Ewigkeit da drin. Sag ihr, wenn sie jetzt gleich rauskommt, verzeihe ich ihr, und alles ist vergessen.«
»Du verzeihst ihr? Du? Was hat sie dir denn getan?« Manolo verabscheut dieses hochnäsige Grinsen, das Candela so gut beherrscht, aber wenn sie ihm helfen soll, wird er sich ein wenig zusammennehmen müssen.
»Sie hat gesagt, sie will mit mir Schluss machen, aber ganz bestimmt meint sie es nicht so. Sie schmollt nur.«
»Marga ist erwachsener als du, Manolito. Sie liebt dich nun mal nicht, kapiert? Sie hat dich nie geliebt.«
»Und woher willst du das wissen?«
»Weil Freundinnen sich solche Dinge erzählen. Also, du weißt Bescheid … Mach dich vom Acker!«
Candela reißt sich heftig los und verschwindet ebenfalls in der Toilette. Schnaubend verlässt Manolo den Flur, schlängelt sich zwischen den Paaren hindurch und hält Ausschau nach jemandem, mit dem er einen Cuba Libre trinken könnte, während er bereits Rachepläne zu schmieden beginnt und, fast ohne es selbst zu merken, vor sich hin murmelt: »Das lasse ich mir nicht bieten, das lasse ich mir nicht bieten.«
Mati sieht ihn vorbeigehen und ahnt, was geschehen ist, denn obwohl sie nicht verstehen konnte, was Marga sagte, war die Situation aus der Gestik leicht zu erraten. Der Tollpatsch, mit dem sie tanzt, blond und rot wie eine gekochte Krabbe, zieht sie etwas fester an sich, und sie lässt ihn gewähren, während sie darüber nachdenkt, wie sie ihr Wissen nutzen könnte. Sie würde Manolo gern in ein kleines Gespräch verwickeln, vielleicht indem sie vorgibt, sich Sorgen um Marga zu machen, und dem armen Trottel stecken, dass seine Freundin auf Frauen steht. Sie ist sicher, dass ihm diese Idee noch nie gekommen ist, trotz der Pornohefte, die er gelegentlich kauft und heimlich in der Schultasche herumträgt, um sie seinen Freunden zu zeigen und mit seinen Kontakten zu prahlen.
Ein paar Meter weiter sieht sie Tere mit einem Jungen tanzen, dem Aussehen nach einem der wenigen Spanier in der Diskothek, abgesehen von ihren Schulkameraden. Sie reden die ganze Zeit, als wäre das Tanzen nur ein Vorwand, sich nah genug zu sein, um sich verständigen zu können. Ab und zu wirft sie einen Blick zu dem Seitentisch, wo sich der Direktor und seine Frau mittlerweile anbrüllen, und zieht eine Grimasse, als könne sie es nicht ertragen, dass sich zwei Lehrer benehmen wie ein gewöhnliches Ehepaar. Man kann sie nicht hören, aber sie sind ganz zweifellos drauf und dran, handgreiflich zu werden, was bedeutet, dass Don Telmo jeden Moment aufstehen und verkünden wird, es sei Zeit, ins Hotel zurückzufahren, und der Spaß habe jetzt ein Ende. Ursprünglich hat sie vorgehabt, Sole im Lauf des Abends beiseitezunehmen und ihr ihren Schatz zu zeigen, aber sie hat nicht damit gerechnet, dass sie zum Tanzen aufgefordert würde, und als der Schwede auf sie zukam, ist sie lieber mit ihm auf die Tanzfläche gegangen und hat alles andere auf später verschoben. Doch jetzt wird wohl nichts mehr daraus. Don Telmo hat den Tisch, an dem seine Frau das Gesicht in den Händen vergräbt, bereits verlassen und fängt an, seine Schützlinge einzusammeln.