VIERUNDZWANZIG
»Sir, der manticoranische Admiral ist am Com«, sagte Captain Willard MaCuill. »Eine Vizeadmiral Gold Peak. Sie möchte Sie sprechen.«
»Ach nein, wirklich?« Admiral Josef Byng lächelte sarkastisch, während er den Kommandosessel drehte, um sich seinem Stabssignaloffizier zuzuwenden. »Hat ganz schön lange dafür gebraucht, was? Ich möchte wissen, wieso.«
»Wahrscheinlich hat es so lange gedauert, bis sie sich frische Unterwäsche angezogen hatte, Sir«, erwiderte Konteradmiral Karlotte Thimár, Byngs Stabschefin, mit einem hämischen Lachen. »Ist jetzt ein bisschen anders als beim letzten Mal, als eines ihrer Schiffe hierherkam.«
»Ganz recht«, stimmte Byng zu und blickte auf das taktische Display der Flaggbrücke von SLNS Jean Bart.
Er beherrschte sich und verzog nicht die Lippen, während er die altmodische Instrumentierung des vollgestopften Kommandoraums musterte. Ihm war klar, dass die Grenzflotte eine geringere Priorität beim Umrüstungsprogramm »Flotte 2000« besaß, und er hatte von Anfang an gewusst, dass es unrealistisch war, Besseres zu erwarten. Dennoch versuchte er kaum, seine Gefühle zu verbergen. Dazu bestand kein Anlass, da sein gesamter Stab aus der Schlachtflotte stammte und mit ihm hierhergekommen war. Alle waren sich bewusst, dass sie eine Stufe hinunterstiegen, als sie diesen Einsatz übernahmen, doch sie taten, was sie konnten, um ihre Empfindungen zu verbergen, wann immer einer ihrer »Waffenbrüder« von der Grenzflotte zugegen war.
Nicht dass irgendjemand auf beiden Seiten dieser speziellen Trennung irgendjemand anderen besonders lange täuschen könnte.
Dennoch, obwohl es nur Schlachtkreuzer waren − und noch dazu Schlachtkreuzer der Grenzflotte − statt der Superdreadnoughtgeschwader, die er eigentlich kommandieren sollte, lag Karlotte ohne Zweifel richtig mit ihrer Einschätzung, wie die Mantys reagiert hatten, als sie sich einem Begrüßungskomitee aus siebzehn solarischen Kampfschiffen gegenübersahen. Byng bedauerte nur, dass die manticoranischen Schiffe, die zuvor das Monica-System besetzt gehalten hatten, bereits ausgelaufen waren, als sein Verband durch die Hypermauer kam. Wie gern hätte er beobachtet, wie sie auf seine Ankunft reagierten. Oder wie sie reagierten, wenn in zwei T-Wochen sein drittes Schlachtkreuzergeschwader eintraf.
Sein Blick wanderte zu den scharlachroten Icons der manticoranischen Schiffe, und diesmal verzog er tatsächlich ganz leicht die Lippe, als er die Datenkolonnen las, die von der Operationszentrale eingespeist wurden. Natürlich war es eine Operationszentrale der Grenzflotte mit einer taktischen Crew aus der Grenzflotte, sodass man ihre Analysen mit ein wenig Vorsicht genießen sollte. Dennoch, auf diese winzige Entfernung konnten sich auch Grenzflottenleute nicht mehr verrechnen. Folglich massten die »Schlachtkreuzer« auf seinem Plot pro Stück tatsächlich mehr als zwei Millionen Tonnen.
Sieht den Mantys und ihrer sogenannten Navy ähnlich, dachte er verächtlich. Kein Wunder, dass die Weltuntergangspropheten jammern und wehklagen, wie »gefährlich« die Manty-Schiffe plötzlich wären. Teufel, wenn wir »Schlachtkreuzer« bauen würden, die doppelt so groß wären wie andere, könnten wir darin wahrscheinlich auch eine Menge Feuerkraft unterbringen! Sicher, ich wette, sie können eine Menge Schaden wegstecken, aber das ONI hat recht. Sie bauen sie einzig und allein aus dem Grund so groß, weil ihnen klar ist, dass sie sich ohne den Tonnagenvorteil mit einer echten Raumstreitkraft nicht anlegen können. Und auch die größten »Schlachtkreuzer« der Galaxis helfen ihnen nichts, wenn sie je der Schlachtflotte gegenüberstehen!
Ehe er das Kommando über Kampfgruppe 3021 übernahm, hatte Byng pflichtgetreu sämtliche Nachrichtendienstberichte durchgearbeitet. Wenig überraschend waren die Auswerter der Grenzflotte erheblich schwarzmalerischer gewesen als sonst jemand. Die Grenzflotte besaß von je die Neigung, vor jedem Schatten Angst zu haben, vor allem deshalb, weil nur Alarmmeldungen die Buchhalter so sehr unter Druck setzten, dass zusätzliche Finanzmittel heraussprangen. Und dann musste man natürlich auch die Qualität der Offiziere berücksichtigen, von denen solche Meldungen stammten.
Dennoch hatten selbst die Berichte der Grenzflotte beinahe vernünftig geklungen im Vergleich zu den absurden Behauptungen, die einige Systemverteidigungskräfte aufstellten. Gott allein wusste, weshalb sie sich die Mühe gemacht hatten, Beobachter zu entsenden, die zusahen, wie sich zwei Haufen Neobarbaren fünfhundert Lichtjahre hinter dem Nirgendwo gegenseitig mit Vorderladern und Entermessern abschlachteten. Vielleicht erklärte das zum Teil die wilden Übertreibungen in den Berichten einiger dieser Beobachter? Nicht einmal ein Admiral einer Systemverteidigungsstreitkraft schickte einen tüchtigen Offizier so weit hinaus ins Hinterland des Nichts. Nein, er würde jemanden schicken, auf dessen Dienste man leicht verzichten konnte − und den man auch die Wochen oder Monate, die er auf der Reise verbrachte, nicht vermisste.
Natürlich bestand kein Zweifel, dass die Mantys und ihre havenitischen Tanzpartner über zumindest ein paar Verbesserungen gestolpert waren, während sie über die Tanzfläche wankten. Zum Beispiel hatten sie den Wirkungsgrad ihrer Kompensatoren offenbar in gewissem Maß erhöht, wenn auch nicht in dem Umfang, den einige »Beobachter«, behaupteten. Und so ungern er es zugab, fair war fair: Diese Fortschritte hatten die solarische Forschung und Entwicklung bewegt, in der gleichen Richtung zu forschen. In Anbetracht der Unterschiede zwischen den Kapazitäten der jeweiligen wissenschaftlichen Gemeinden konnte kein Zweifel bestehen, dass der manticoranische Vorteil − der nie so groß gewesen war, wie diese übertriebenen Berichte nahelegten − längst eingeholt war. Das verriet ihm schon der Beschleunigungswert dieser übergroßen »Schlachtkreuzer«!
Na schön, dachte er. Bringen wir es lieber hinter uns.
»Gut, Willard«, sagte er und wandte sich von dem Plot ab. »Stellen Sie sie durch.«
Tja, soviel zu der Hoffnung auf einen zwoten Josef Byngs auf der solarischen Offiziersliste, dachte Michelle, als das Gesicht des solarischen Admirals auf ihr Display trat.
Er hatte sich Zeit gelassen, um ihren Ruf entgegenzunehmen, aber das hatte sie wenig überrascht. Viele solarische Raumoffiziere pflegten ihre Untergebenen warten zu lassen, eine nicht allzu subtile Art, die eigene Autorität hervorzukehren.
»Ich bin Admiral Joseph Byng, Solarien League Navy«, begann der Weißuniformierte auf ihrem Display. »Mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen?«
Michelle gelang es, die Zähne nicht zusammenzubeißen. Auch wenn sie von der Tüchtigkeit der SLN-Offiziere nicht viel hielt, ging sie dennoch davon aus, dass Byngs Untergebene ihm wenigstens die Identität seiner Gesprächspartnerin mitgeteilt hatten. Und sie hatte mit Namen und Rang nach ihm gefragt, was aus seiner Selbstvorstellung eine vorsätzliche Beleidigung von oben herab machte.
Ich sehe schon, wie das laufen wird, dachte sie.
»Vizeadmiral Gold Peak«, erwiderte sie. »Royal Manticoran Navy«, fügte sie hilfsbereit hinzu, als bestehe die Möglichkeit, dass er die Uniform nicht erkannte, und genoss die Genugtuung zu sehen, wie er ganz leicht die Lippen aufeinander presste.
»Was kann ich heute für Sie tun … Admiral Gold Peak?«, fragte er nach einem Augenblick.
»Ich habe Sie nur gerufen, um Ihnen meine Aufwartung zu machen. Es kommt nicht oft vor, dass wir einen Admiral der Grenzflotte so weit draußen antreffen.«
Dem Funkeln in Byngs Augen nach zu urteilen schätzte er es noch weniger, als Grenzflottenoffizier bezeichnet zu werden, als Michelle erwartet hatte. Das war schön.
»Nun, es kommt auch nicht oft zu einem … Zwischenfall der Art, wie er sich hier im Monica-System zugetragen hat, Admiral Gold Peak«, erwiderte Byng schließlich. »Angesichts der lang anhaltenden freundschaftlichen Beziehungen der Republik Monica mit der Liga verstehen Sie gewiss, weshalb es als eine gute Idee erschien, jemanden von uns zu entsenden, um sich einen Eindruck aus erster Hand von den Ereignissen zu verschaffen.«
»Das verstehe ich gut«, stimmte Michelle ihm zu. »Wir hatten nach den unglückseligen Ereignissen hier das gleiche Bedürfnis.« Sie schüttelte den Kopf. »Gewiss bedauern wir alle, was geschah, nachdem Captain Terekhov herauszufinden versuchte, worin genau President Tylers Absichten bestanden. Nach unseren Untersuchungen wurden die Schlachtkreuzer, die er bei seinem geplanten Angriff auf den Lynx-Terminus einsetzen wollte, von Technodyne geliefert. Sind Ihre Leute in der Lage gewesen, in dieser Hinsicht mehr herauszufinden, Admiral?«
»Nein.« Byng entblößte die Zähne zu etwas, das nur ein Berufsdiplomat als Lächeln bezeichnet hätte. »Nein, das haben wir nicht. Tatsächlich haben wir den Informationen zufolge, die ich vor meiner Abreise erhielt, noch nicht bestätigen können, woher sie kamen.«
»Außer der Tatsache, dass sie offensichtlich aus den Beständen der SLN stammten. Ursprünglich, meine ich.« Michelle lächelte; sie hatte den Nachsatz mit sorgsam kalkulierter Verzögerung ausgesprochen, als Byng bereits anzuschwellen schien. »Natürlich endet die Verantwortung der Navy für ihre Schiffe, sobald sie ausgemustert und zur Verschrottung in Privathand gegeben werden. Und belastende Dokumente gehen leicht … verloren, das kennen wir alle. Besonders, wenn ein Krimineller − und natürlich Zivilist − sich Mühe gibt, sie zu verlieren.«
»Ohne Zweifel. Meine eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet sind allerdings begrenzt. Ich bin sicher, unsere Untersuchung wird sich eingehend mit dem Aktenbestand unserer diversen Lieferanten befassen. Ohne Zweifel wird dabei auch Technodyne untersucht.«
Michelle spielte mit dem Gedanken, ihm mitzuteilen, dass bereits gegen mehrere Führungskräfte von Technodyne Anklage erhoben worden sei. Dank des Beowulf-Terminus des Manticoranischen Wurmlochknotens erreichten sie Nachrichten aus der Alten Liga viel rascher als Byng. Sie vermutete sehr, dass er zumindest gewusst haben musste, aus welcher Richtung der Wind wehte, ehe er nach Monica aufbrach, und die Möglichkeit, dass sie seinen Blutdruck bis zur Infarktschwelle steigern könnte, machte die Versuchung, ihn mit der Nase darauf zu stoßen, dass Technodyne mit der Hand in der Keksdose erwischt worden war, fast überwältigend stark.
Ruhig, Mädchen, ermahnte sie sich und unterdrückte frauenhaft ihr Verlangen.
»Ganz sicher«, antwortete sie. »Darf ich vorerst davon ausgehen, dass auch Sie in der Rolle eines Beobachters hier sind, um die Integration des Talbott-Quadranten ins Sternenimperium zu begutachten?«
»Sternenimperium?«, wiederholte Byng und hob höflich überrascht die Augenbrauen. »So wollt ihr es also nennen?« Er winkte knapp, fast entschuldigend ab. »Ich fürchte, davon habe ich nichts gehört, ehe ich auslief.«
Sein Tonfall machte klar, was er von dem Größenwahnsinn hielt, etwas so Winziges wie Manticores neue Sternnation ein »Imperium« zu nennen, und Michelle lächelte ihn zuckersüß an.
»Na, irgendwie mussten wir es ja nennen, Admiral. Und angesichts der politischen Arrangements, auf die sich die Talbotter im Verfassungskonvent geeinigt haben, lag der Begriff auf der Hand. Natürlich sind wir noch in einem sehr frühen Stadium, nicht wahr?«
»Ja, so ist es.« Byng erwiderte ihr Lächeln, aber erheblich kühler. »Ich bin sicher, es wird interessant zuzusehen … welchen Erfolg Ihr Experiment hat.«
»Bislang scheint es gut zu funktionieren«, sagte Michelle.
»Bislang«, stimmte er mit einem weiteren solchen Lächeln zu. »Um Ihre Frage allerdings zu beantworten: ja. Ich bin angewiesen, die Ereignisse im Talbott-Gebiet zu beobachten. Vermutlich ist Ihnen bekannt, dass sich die solarische Öffentlichkeit sehr für die Vorfälle hier interessiert. Besonders nachdem diese unangenehme Geschichte auf Kornati in die Nachrichten kam.« Er schüttelte kummervoll den Kopf. »Ich persönlich bin zuversichtlich, dass die gesamte Affäre grob übertrieben dargestellt wurde − Reporter müssen schließlich Abonnementen halten. Dennoch empfindet das Außenministerium eine gewisse Verpflichtung, Eindrücke aus erster Hand einzuholen, sowohl von hier als auch im gesamten Sternhaufen. Ich bin mir sicher, dass Sie verstehen, wieso dem so ist.«
»Oh, glauben Sie mir«, versicherte Michelle ihm mit tödlicher Freundlichkeit, »ich verstehe genau, wieso dem so ist, Admiral Byng. Und wenn ich für Ihre Majestät und Ihrer Majestät Regierung sprechen soll, so bin ich sicher, dass alle neuen Mitgliedssysteme des Sternenimperiums Ihnen jede erdenkliche Höflichkeit erweisen werden.«
»Das ist eine sehr willkommene Nachricht, Admiral.«
»Und während Sie hier sind, Admiral, wenn Ihrer Majestät Navy Sie in irgendeiner Weise unterstützen kann − wenn Sie zum Beispiel gemeinsame Patrouillen zur Piraten- oder Sklavenhändlerbekämpfung einrichten möchten −, dann würde Admiral Khumalo gewiss mit Freuden unsere operative Planung mit Ihnen abstimmen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Byng lächelte wieder. »Natürlich hat die Liga im Gegensatz zu Ihrem neuen Sternenimperium keinerlei direkte territoriale Interessen in diesem Gebiet. Von der Sicherheit unserer Verbündeten in der Region natürlich abgesehen. Und der Sicherheit − und territorialen Unversehrtheit − der Sonnensysteme, die das Office of Frontier Security unter seinen Schutz gestellt hat. Ich glaube, um diese Verpflichtungen können wir uns mit eigenen Mitteln kümmern. Mir ist zumindest eine Bedrohung dieser Interessen nur schwer vorstellbar, derer wir nicht mit eigenen Mitteln Herr werden könnten.«
»Ohne Zweifel.« Michelle erwiderte sein Lächeln. »Nun, in diesem Fall möchte ich Sie nicht länger aufhalten, Admiral Byng. Wir werden nicht lange im Monica-System bleiben. Wir müssen uns vergewissern, dass unsere neuen Mitgliedssysteme in Sicherheit sind, und daher werden wir schon bald nach Tillerman aufbrechen. Vorher allerdings muss ich noch ein Anstandsgespräch mit President Tyler führen. Generalgouverneurin Medusa hat mich angewiesen, ihn zu informieren, dass das Sternenimperium bereit ist, jedem seiner Untertanen Regierungsbeihilfen zu gewähren, der bereit ist, hier zu investieren.« Ihr Lächeln wurde noch zuckersüßer. »Ich glaube, Baronin Medusa − und Ihre Majestät − sind der Ansicht, dass dies das Mindeste ist, was wir tun können, um Monica zu helfen, sich von den Folgen des unglücklichen Zwischenfalls zu erholen.«
»Das ist bemerkenswert großzügig von Ihrem Sternenimperium«, sagte Byng.
»Wie gesagt, ich bin sicher, jeder bedauert, was hier geschehen ist, Admiral Byng. Nach Manticores Erfahrung sorgt man am besten dafür, dass dergleichen nicht wieder geschieht, indem man dem ehemaligen Gegner eine helfende Hand reicht und ihn als Gleichgestellten behandelt.«
Byng nickte. »Ich verstehe. Nun, da es scheint, als hätten Sie noch viel zu erledigen, Admiral Gold Peak, wünsche ich Ihnen einen guten Tag.«
»Danke, Admiral. Ich hoffe, Ihre Mission hier ist erfolgreich. Henke aus.«