34 Kalte Realität
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Die Maisfarmer-Rebellion mag ja erfolgreich gewesen sein, aber die Mainstream-Nachrichten verbreiten immer beängstigendere Weltuntergangsszenarien. Feiert nicht zu früh – der Kampf ist noch nicht vorbei. Das dicke Ende kommt noch.
Xanbot****/1630 Level-13-Kämpfer
Pete Sebeck saß, auf einem stabilen Holzstuhl festgeschnallt, in einer grell erleuchteten Zelle. Die Stuhlbeine waren mit Winkeleisen im Betonboden verschraubt. Sie hatten ihm die Kleider weggenommen. Er fühlte sich verletzlich. Hilflos.
Was zweifellos die Absicht war.
Jetzt ging die Zellentür auf, und ein Mann, den er aus den Darknet-Nachrichten-Feeds kannte, kam herein. Es war der Major. Leibhaftig war er noch einschüchternder – ein strenger Typ mit militärisch kurzem Haar und kantigem Kinn. Er schien für seine paarundvierzig Jahre hervorragend in Form und trug Kampfdrillich mit einem grauen Häuserkampf-Tarnmuster, aber keine Waffen.
Er schloss die Zellentür hinter sich und musterte Sebeck ohne erkennbare Gefühlsregung. Kein Erstaunen. Keine Verwirrung. Nichts. «Detective Sebeck.»
«Major.»
Der Major verengte die Augen und zog einen schweren Holzstuhl so heran, dass er sich Sebeck gegenübersetzen konnte. «Sergeant, ich muss sagen, es überrascht mich, dass ausgerechnet Sie dem Daemon dienen.»
«Ich diene dem Daemon nicht. Wo ist Laney Price?»
«Erzählen Sie mir von Ihrer Quest, Sergeant.»
«Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Wo ist Laney?»
«Er ist hier ganz in der Nähe – und erzählt uns alles über Dinge, die uns nicht interessieren.»
Sebeck starrte dem Major in die kalten Augen. «Was machen Sie mit ihm? Er weiß nichts.»
«Erzählen Sie mir von der Quest, die Ihnen Sobol aufgegeben hat. Sie sollen die Freiheit der Menschen rechtfertigen, ist das richtig?» Der Major studierte Sebecks Fesseln. «Wie läuft’s denn so weit?»
Sebeck sagte nichts.
«Was sollen Sie denn vollbringen, um diese Ihre Quest erfolgreich zu beenden, Sergeant?»
«Wann lasst ihr mich endlich in Ruhe?»
«Beantworten Sie meine Frage.»
«Stehen Sie im Dienst der Regierung?»
«Das spielt keine Rolle.»
«Für mich schon!»
«Schreien Sie nicht. Davon werden Sie nur heiser. Und es ändert nichts. Viele Gefangene machen diesen Fehler. Also, zurück zu Ihrer Quest. Wie viele Darknet-Agenten verfolgen Ihr Vorankommen? Wie viele spenden Darknet-Credits für Ihren Erfolg?»
«Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.»
«Stellen Sie sich nicht dumm, Sergeant. Wir erschaffen bereits Darknet-Objekte – wie den Quest-Thread, der Sie zu uns geführt hat.»
Sebeck starrte auf den Betonboden.
«Wir haben eine komplette Zusammenstellung Ihrer Aktivitäten aus Darknet-Nachrichten-Feeds, und wir kennen den Kreis Ihrer Unterstützer. Sie haben eine ganz schöne Reise hinter sich.»
Sebeck schüttelte langsam den Kopf. «Sie monströser Scheißkerl … Sie zerstückeln junge Menschen, nur um –»
«Ja, wir haben das Darknet infiltriert, Sergeant. Wir sind kreativer, als ihr euch vorstellen könnt. Und im Gegensatz zu euch werden wir alles tun, um zu siegen.»
«Wozu Sie fähig sind, habe ich gesehen.»
Der Major sah auf seine Armbanduhr. «Glaube ist erzeugbar. Um Zugang zum Darknet zu erlangen, braucht man nichts weiter zu tun, als an dessen Ziele zu glauben. Die jugendlichen Ausreißerinnen, die ich mit dem Daemon bekannt mache, betrachten mich als ihren besten Freund. Einen Freund, der sie vor einem Dasein als Sexsklavinnen in irgendeinem Bordell bewahrt hat – der ihnen eine Welt gezeigt hat, deren Existenz sie sich nie hätten träumen lassen. Und wenn sie erst mal drin sind, werden sie für mich überaus nützlich.»
«Sie schneiden ihnen den Kopf ab und hijacken ihre Mitgliederkonten!»
«Bald werden wir das gar nicht mehr nötig haben.»
«Ich dachte, ich hätte bereits gelernt, was absolute moralische Verkommenheit ist. Aber das war ein Irrtum.»
Der Major tat das mit einem Achselzucken ab. «Wen kümmert es, Sergeant? Auf dieser Welt gibt es genug unerwünschte Menschen. Aber jetzt zurück zu Ihrer Quest. Was passiert, wenn Sie es schaffen? Welches Daemon-Ereignis versuchen Sie auszulösen?»
«Lecken Sie mich am Arsch.»
«Sie verweigern die Antwort?»
«Ich weiß es nicht, das ist die Antwort. Sobol hat mir eine Quest aufgegeben, und ich habe keine Ahnung, wie ich sie erfüllen soll.»
«Was ist mit dem D-Raum-Thread, dem Sie folgen?»
Sebeck überkam ein jähes, heftiges Verlustgefühl, als ihm aufging, dass er den Thread nicht mehr sehen konnte – jetzt ohne HUD-Brille und Einblick in den D-Raum. «Ich kann ihn nicht mehr sehen.»
«Und wenn wir Ihnen Ihre HUD-Brille bringen würden? Würden Sie uns zeigen, wohin der Thread führt?»
«Er war nicht für Sie gedacht.»
«Wenn Sie kooperieren, kann ich Ihnen Ihr altes Leben zurückgeben. Ich kann diesen Fluch aufheben, mit dem Sobol Sie belegt hat. Ich kann Detective Sebeck wiederauferstehen lassen. Seinen Namen reinwaschen. Einen Helden aus ihm machen.»
Sebeck schüttelte den Kopf. «Ich bin nicht mehr der, der ich damals war, und ich will es auch gar nicht mehr sein. Ich habe jetzt die Wahrheit erfahren.»
Der Major nickte zynisch. «Warum sollten Sie dem System helfen wollen, das Ihnen so viel genommen hat?»
«Dieses ‹System› wird den Menschen helfen, die Kontrolle zurückzuerobern – von Schweinen wie Ihnen.»
«‹Schweine wie ich› erfüllen eine Aufgabe. Die Menschen brauchen Ordnung, Sergeant. Man muss ihnen sagen, was sie denken, tun und glauben sollen, sonst bricht alles auseinander. Das Wunder der modernen Zivilisation geschieht nicht von selbst. Es bedarf des sorgsamen Managements durch Profis, die bereit sind, alles Nötige zu tun, um ein reibungsloses Funktionieren zu gewährleisten …»
«Ist es das, was Sie sich einreden?»
«Es ist die Wahrheit, auch wenn Sie sie nicht hören wollen.»
Sebeck schüttelte den Kopf. «Ich muss Ihnen nicht glauben. Ich habe die Wahrheit mit eigenen Augen gesehen. Die Menschen brauchen nicht vor sich selbst geschützt zu werden.»
Der Major schaute wieder auf die Uhr. «Sie enttäuschen mich, Sergeant, wirklich. Normalerweise wäre ich ja in einem Fall wie Ihrem geduldiger und bedächtiger vorgegangen, aber Zeit ist entscheidend, und ich muss los.» Er stand auf und rückte den Stuhl wieder an die Wand. «Und Sie sind – samt Ihrer DNA – schon vor vielen Monaten offiziell eingeäschert worden. Sie können nicht plötzlich wieder auftauchen und die offizielle Story kippen. Nicht jetzt.» Er klopfte an die Metalltür. Eine Sichtluke ging auf. Nach einer kurzen Prüfung der Situation wurde die Tür geöffnet.
Zwei kräftige Soldaten mit Skimasken über dem Kopf und Elektroschockern und Stahlgerten am Gürtel kamen herein.
Der Major zeigte auf Sebeck. «Bringt ihn und seinen Freund zur Müllkippe in Q-27. Steckt ihre Leichen in den Holzschredder. Es darf nicht der kleinste Beweis dafür zurückbleiben, dass es sie je gegeben hat.»
«Jawohl, Sir.»
Sebeck starrte ihn von seinem Stuhl aus wütend an. «Scheißkerl.»
Der Major betrachtete ihn. «Sehen Sie’s von der positiven Seite, Sergeant. Ihre Quest ist vorbei.» Er ging hinaus, während die Soldaten ihre Elektroschocker zückten.
Sebeck befand sich im Laderaum eines Truppentransporters. Irgendwo jenseits der Stahlwände ratterte ein Dieselmotor. Er fühlte, dass seine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren. Er lag bäuchlings auf harten, kalten Riffelblechen. Er war immer noch nackt. Die Fahrtvibration drang bis in seine Knochen.
Er drehte sich, sah neben sich mehrere Paar Kampfstiefel und blickte dann in die maskierten Gesichter von Soldaten, die M4A1-Karabiner vor der Brust hängen hatten. Sie schauten drohend auf ihn herab.
Der Nächstsitzende zeigte mit der behandschuhten Hand auf Sebecks Gesicht. «Wenn du irgendwelche Sperenzchen machst, sorge ich dafür, dass es schmerzhaft für dich wird. Verstanden?»
Ein anderer Soldat auf der Sitzbank gegenüber versetzte Sebeck einen Tritt. «Du hast gehört, was er sagt!»
Sebeck blieb kurz die Luft weg. Als er wieder einatmen konnte, wandte er sich dem Mann zu. «Ich bin Amerikaner. Ich bin einer von euch. Warum behandelt ihr mich so?»
«Halt’s Maul, verdammtes Kommunistenschwein!»
Er trat ihn wieder in die Rippen, so gemein, dass Sebeck sich zusammenkrümmte.
Und da sah Sebeck Laney Price. Er saß, ebenfalls nackt, an der Vorderwand des Fahrgastraums und starrte mit blicklosen Augen ins Leere. Er schaukelte mit dem Oberkörper und murmelte lautlos vor sich hin. Erstmals sah Sebeck Price’ Körper. Er hätte erwartet, dass der Rest des jungen Mannes genauso dicklich und behaart war wie sein Gesicht und seine Arme, doch was er da auf Price’ Brust, Bauch und Beinen sah, war ein einziger Wulst von Brandnarben.
«Laney. Laney!»
Einer der Soldaten beugte sich in sein Blickfeld. «Zäher kleiner Wichser, der da.»
Ein anderer Soldat stimmte ein. «Yeah, an den kommt ihr nicht ran. Der weiß, wie man Folter wegsteckt. Stimmt’s, Junge? Du bist ein alter Hase.» Er verpasste Price einen Tritt.
Sebeck kroch näher an Price heran. «Laney.» Price’ Augen zeigten keine Reaktion, und seine Lippen bewegten sich weiter in einem gleichförmigen Rhythmus. Die Narben an seinem ganzen Körper wirkten alt.
«Brenneisen, würde ich tippen.»
Sebeck drehte sich zu dem Soldaten um, der das gesagt hatte.
Ein weiterer Soldat schüttelte den Kopf. «Muss ganz schön kranke Eltern gehabt haben, der Typ.»
Sebeck schnürte es die Kehle zu. Er musste daran denken, was Riley im Laguna-Reservat zu ihm gesagt hatte: Sie haben nie gefragt, was Price durchgemacht hat. Wie konnte ihm das entgangen sein? Der Schmerz schlug regelrecht über ihm zusammen. Er sah Price an. «Laney. Hören Sie, Laney!»
Das Fahrzeug bremste abrupt und bog scharf ab.
Der verantwortliche Unteroffizier stand auf und umfasste eine Haltestange über ihm. «Bringen wir’s hinter uns, damit wir zum Essen wieder zurück sind.» Er schlang sich ein Tuch über Mund und Nase, und die anderen taten es ihm nach.
Das Fahrzeug hielt, und die Heckwand klappte hinunter wie eine Zugbrücke. Ehe er sichs versah, wurde Sebeck an den Füßen gepackt und über das Riffelblech gezerrt. Dann landete er unsanft auf staubigem Boden. Um ihn war der Gestank des Todes – so intensiv, dass er ihn fast schon mehr schmeckte als roch. Er hörte Vögel schreien und krächzen.
Sebeck setzte sich auf und sah sich um. Sie waren mit einem sechsrädrigen, gepanzerten Truppentransporter gekommen und jetzt bei einer Reihe von hohen Holzschnitzelhaufen – wahrscheinlich von Rodungsarbeiten. Ganz in der Nähe stand auf einem Anhänger etwas, das wie ein reichlich strapazierter Holzschredder aussah. Das Gebläse war auf den kleinsten Holzschnitzelhaufen gerichtet. Direkt unterhalb des Gebläsestutzens machten sich Krähen und Raubvögel lautstark zankend über einen rotbraunen Streifen von etwas her, das gallertartige Fleischbrocken enthielt.
Die Luft erfüllte Aasgeruch. Nach allen Seiten sah Sebeck sonst meilenweit nichts. Es war einfach nur flaches Prärieland.
Sebeck fühlte, wie Price direkt neben ihm in den Staub geworfen wurde, und drehte sich so, dass er ihm wieder in die Augen blicken konnte. Er beugte sich dicht an ihn heran. «Laney! Laney, ich bin’s, Pete! Reden Sie mit mir. Bitte.»
In Price’ Augen war jetzt ein Funke des Erkennens. Sie fokussierten sich auf Sebeck.
Sebeck sah sich um: Eine Gruppe Soldaten beobachtete, wie zwei weitere Benzin in den Tank des Schredders kippten. Ein anderer Soldat machte sich mit einem teuflischen Grinsen an einer Videokamera zu schaffen.
Sebeck sah wieder Price an. «Laney, es tut mir leid. Es tut mir leid, dass es so endet.»
Price’ Augenbrauen verzogen sich. «Ist nicht Ihre Schuld, Sergeant. Manchmal geht’s eben schlecht aus.»
«Ich möchte Ihnen für alles danken, was Sie für mich getan haben. Ich weiß, Sie bräuchten nicht hier zu sein – und jetzt habe ich alles verpatzt.»
Price schüttelte kaum merklich den Kopf. «Ihre Quest – da ging’s nicht um Sie, Sergeant. Es ging darum, wie die Leute darauf reagieren. Es war deren Quest. Sie haben nur die Fahne getragen.»
Sebeck stutzte. Dann ging es ihm schlagartig auf: Die Wirkung seiner Quest auf andere, das war der Sinn gewesen. Er war nur ein Symbol. Das machte die Bürde plötzlich leichter zu tragen.
In dem Moment knatterte der Motor des Schredders los, und die Vögel flogen kreischend auf, dahinschießende Schatten vor der Sonne. Zwei Soldaten kamen heran. Der eine zeigte auf Sebeck, dann auf den Schredder. Beide Soldaten nickten und schulterten ihre Karabiner. Sie packten Sebeck an den Ellbogen und schleppten ihn dem blutverkrusteten Maul der knatternden Maschine entgegen. Sebeck wurde von Panik erfasst: Er wehrte sich und stemmte die bloßen Fersen in den staubigen Boden. «Nein!»
Sie zerrten ihn weiter.
Doch dann ließ der Zug plötzlich nach, und er fiel hin. Komischerweise war er klatschnass. Er blickte zu dem Mann empor, der ihn am rechten Arm hielt, aber der Soldat war von der Taille aufwärts weg. Sein abgetrennter Arm umklammerte immer noch Sebecks Ellbogen. Er starrte den Arm ungläubig an. Das war etwas, was ein zivilisiertes Gehirn nicht so leicht verarbeitete.
Dann wurde Sebeck bewusst, dass ihn links auch niemand mehr zog, und als er hinschaute, sah er, dass der Rumpf des zweiten Schergen seinen Inhalt auf den Erdboden entleert hatte. Der Rest des Mannes lag ein Stück weiter.
Und jetzt merkte Sebeck, dass sich in das Knattern des Schredders automatische Feuerstöße und das Röhren stärkerer Motoren mischten. Er drehte sich um und sah mehrere fahrerlose, mit Klingen überzogene Motorräder im Vorbeirasen jeweils zwei Schwerter gegen fassungslose Soldaten schwingen. Ein Söldner lag bereits schreiend und ohne Beine am Boden. Mehrere andere schossen im Liegen auf die Motorräder, ohne viel auszurichten, und fuhren sich dann gepeinigt mit den Händen an die Augen, als grüne Laserstrahlen über ihre Gesichter tanzten. Geblendet versuchten sie sich zu ihrem Transportfahrzeug zurückzutasten, wurden aber von den Klingen niedergemäht.
Einer der Söldner schaffte es durch die offene Heckklappe des Panzerfahrzeugs, aber ein Motorrad folgte ihm die Rampe hinauf und zerteilte ihn mit ein paar raschen Schwertstreichen.
Bald lagen ihre Schergen in Stücken am Boden, alles war voller Blut, und zwanzig computergesteuerte Motorräder begannen sich zu putzen wie Gottesanbeterinnen, ließen ihre Schwertklingen rotieren, um das Blut abzuschleudern.
Sebeck sah zu Price hinüber, der wie betäubt dasaß, über und über mit Blut bespritzt, aber ansonsten offenbar unversehrt. Zu hören war jetzt nur noch das Knattern des Schredders. Sebeck blickte sich kurz um, sah aber nur herumliegende Körper und Körperteile. Er kroch zu Price, der sich aufzurappeln versuchte.
Price rief: «Sind Sie verletzt?»
Sebeck schüttelte den Kopf. «Nein! Das ist nicht mein Blut.»
In dem Moment bildete das Rudel unbemannter Motorräder eine Gasse, um eine einzelne Maschine mit einem Fahrer in schwarzer Kombi und schwarzem Helm durchzulassen. Er hielt direkt vor Price und Sebeck und blickte auf sie hinunter. Dann stieg er ab, und plötzlich gingen alle Motorradmotoren aus. Mit einer Handbewegung feuerte der Fahrer einen schnurgeraden Stromblitz auf den Holzschredder und setzte auch dessen Motor außer Gefecht.
Während der Schreddermotor verstummte, zog der Fahrer die Motorradhandschuhe aus und nahm den Helm ab. Das Gesicht, das zum Vorschein kam, war ein schockierender Anblick. Der Mann war noch jung, Anfang zwanzig, aber anstelle der Augen hatte er schwarze Linsen mit einem flachen schwarzen Rand. Von Bohrlöchern in seinen blauverfärbten Schläfen führten Leitungsdrähte zu einer Einfassung an seinem Halsansatz. Seine Finger schienen allesamt durch Titan- oder Silberprothesen mit glänzenden Krallen ersetzt. Er bewegte sich steif, so als hätte er Schmerzen.
Der Fahrer kniete sich vor ihnen hin und starrte Sebeck mit seinen lidlosen, metallenen Augen ins Gesicht. Eine künstliche Stimme, tief und bedrohlich, erklang etwa zwei Fingerbreit vor dem Mund des Mannes, ohne dass sich dessen Lippen bewegten. Es war offenbar Hypersonic Sound. «Wo ist der Major?»
Sebeck schüttelte den Kopf. «Ich weiß es nicht, aber ich habe ihn eben gesehen. Er hat uns hier herausbringen lassen.»
Wegen der metallenen Augen war die Miene des Motorradfahrers nicht zu deuten. Er stand auf und starrte zum Horizont.
«Danke, dass Sie uns gerettet haben. Wer sind Sie?»
Price antwortete anstelle des Motorradfahrers. «Das ist Loki Stormbringer, Sergeant.» Er beugte sich zu Sebeck und flüsterte: «Sie wissen doch – Ross hat ihn erwähnt …»
Natürlich erinnerte sich Sebeck. Der mächtigste Hexenmeister im Darknet. Und fast so skrupellos wie der Major selbst. Sebeck konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass jeder der beiden den anderen als Gegner verdiente. Er verdrehte den Körper, um seine gefesselten Hände zu zeigen. «Können Sie uns bitte losmachen, Loki?»
Lokis tote Augen starrten weiter zum Horizont. «Sie sollten von hier verschwinden. Alles hier ist so gut wie tot …»
Damit ging Loki zu seiner Maschine und startete sie. Die Motoren seines Razorback-Rudels sprangen ebenfalls an. Dann fegte ein noch größerer Schwarm von Razorbacks – mindestens hundert – vorbei, und Loki tauchte darin unter. Zugleich heulten Dutzende Mikrojets in enger Formation durch die Luft. Das ganze Geschwader donnerte in die Richtung davon, aus der das Schwerfahrzeug mit Sebeck und Price gekommen war – ins Zentrum der Sky Ranch.
Price nickte. «Leibhaftig ist er noch schrecklicher.»
Sebeck kroch auf die nächstgelegenen Leichen zu. «Bei einem von denen werden wir ja wohl ein Messer finden.»
«Hey, schauen Sie, da!»
Hinter den Holzschnitzelhaufen kamen etwa zwei Dutzend bewaffnete Männer in Ghillie-Tarnzeug hervor. Als sie sich näherten, merkte Sebeck, dass ihre ponchoartigen Überwürfe mehr als nur gewöhnliche Tarnung waren – sie schienen zu reflektieren, was sich im Hintergrund befand. Sie waren quasi durchsichtig.
Er sah die charakteristischen HUD-Brillen. Die Männer hatten mehrläufige elektronische Gewehre vor der Brust und machten das Daumen-hoch-Zeichen zu Price und Sebeck hin.
Mehrere von ihnen behielten den Horizont und den Himmel im Blick, während ein hochgewachsener, kräftig aussehender Darknet-Agent ganz herankam und sein kugelsicheres Visier hochklappte. Er war Afroamerikaner. «Ist einer von Ihnen verletzt?»
Sebeck schüttelte den Kopf. «Nein.»
«Sind Sie Unnamed_1 und Chunkey Monkey?»
Price atmete tief aus. «Sind wir, Mann.»
«Ich bin Taylor. Ein Agent namens Rakh hat uns geschickt, damit wir Sie holen.»
Sebeck nickte. Jon Ross. Taylor manipulierte mit einer behandschuhten Hand irgendetwas im D-Raum, während andere Darknet-Agenten Sebeck und Price die Fesseln durchschnitten. Sie boten ihnen auch Trinkflaschen an.
Taylor rief einem der anderen zu: «Morris, die beiden brauchen Kleidung und Ausrüstung.»
«Wir sind schon dabei.»
Price rieb sich die Handgelenke. «Das war echt ganz schön knapp.»
«Loki Stormbringer hat ein Heer von Maschinen versammelt. Er wird angreifen. Und viele andere werden ihm folgen.»
«Angreifen? Was angreifen?»
«Wir sind hier, um Operation Exorcist zu stoppen. Unbemannte Fahrzeuge kämpfen die Straßen frei. Wir rücken durchs Gelände vor.»
«Sie wollen den Major und seine Leute?»
«Ja. Haben Sie ihn gesehen?»
Sebeck fühlte Zorn in sich aufsteigen. «Ja, und wenn Sie ihn sich holen, kommen wir mit.»