Noch ein paar weitere Tage dieser Güteklasse, und ich häng den Job an den Nagel.« Ein Seufzer der Erleichterung – und des Frustes begleitete Janines Worte.
»Und was machst du dann, statt in deinem Reisebüro zu arbeiten? Brötchen verkaufen? Oder strebst du einen Job beim Finanzamt an? Soll ziemlich stressfrei sein, hab ich mir sagen lassen.«
»Marion, die Wahnsinnige« – das war alles, was Janine der Freundin antwortete.
Marion Klausner, seit der ersten Schulklasse Janines beste Freundin und seit drei Jahren ihre Geschäftspartnerin, lachte leise. »Ich stell mir das gerade bildlich vor … du sitzt hinter Aktenbergen, machst Dienst nach Vorschrift, buchst bei mir jedes Jahr drei Wochen Pauschalurlaub … reizvoll, der Gedanke!«
»Was hast du gegen Finanzbeamte? Ich finde unseren Sachbearbeiter sehr nett!« Janine kicherte. »Er stottert so süß, wenn ich bei ihm vorstellig werde.«
»Was zum Glück nicht allzu oft der Fall ist.« Marion trat drei Schritte auf die Straße, besah sich aus der Entfernung kritisch die neue Schaufensterdekoration. Drei künstliche Palmen, etwas Sand, ein Fischernetz – und dahinter die Tafel mit den gerade aktuellen Sonderangeboten. »Wie ätzend langweilig. Da muss ich morgen noch mal was ändern.«
»Meinetwegen. Ich will jetzt nicht mehr ans Geschäft denken, sondern heim. Bin mal gespannt, ob Dietmar endlich seine letzten Sachen abgeholt hat.«
»Dietmar, das Sahneschnittchen mit der sensiblen Seele …« Marions Stimme hatte einen bösen, ironischen Klang. »Dass du den endlich los bist, sollten wir mit Champagner feiern!«
»Okay, ich geb eine Flasche aus. Aber erst wenn feststeht, dass Dietmar wirklich ausgezogen ist.«
Was nicht der Fall war. Wieder einmal nicht! Und diese Tatsache war absolut nicht dazu angetan, Janines Laune zu heben. Erst ein Tag mit schlechtem Umsatz, nörgeligen Kunden und einer Computersoftware, die jeden Benutzer an den Rand des Wahnsinns trieb, und jetzt noch ihr Ex-Lover, der mit Leidensmiene in seinem Lieblingssessel im Wohnzimmer saß – nebenbei gesagt, war es Janines Sessel und Janines Wohnzimmer – und zur Begrüßung sagte: »Endlich! Ich dachte schon, du kämst gar nicht mehr.«
»Und ich dachte, du wärst endlich weg.«
»Aber …«
»Nein!« Janines Augen, sonst von einem sanften Graublau, schossen silberne Blitze. »Du ziehst aus. Heute noch! Pack endlich, Dietmar, sonst tu ich es für dich.« Die Vorstellung, seine Klamotten samt der von ihm so heiß geliebten Gitarre aus dem Fenster schleudern zu können, ließ ihr Stimmungsbarometer gleich um ein paar Grad steigen.
»Mausi …«
»Es hat sich ausgemaust. Dietmar, es ist vorbei. Schnall es endlich!«
»Du bist herzlos!« Langsam stand er auf, ging ins Schlafzimmer und holte dort – welch Wunder – seinen gepackten Rucksack und zwei Tragetaschen raus. Die Gitarre schulterte er in der Diele. »Ja, dann …«
»Tschüss. Mach’s gut. Und fang endlich an, im 21. Jahrhundert zu leben. Für Tagträumer ist da kein Platz!«
»Wenn alle Menschen so unsensibel wären wie du, stünde es schlecht um die Kunst!«, tönte es höchst vorwurfsvoll von den Lippen des gut aussehenden Mannes. Seit Jahren träumte Dietmar von einer Karriere als Sänger. Dass dies allerdings mit harter Arbeit verbunden war, mochte er nicht gelten lassen. Er wollte entdeckt und dann schlagartig ein Star werden.
Am Anfang ihrer Beziehung hatte Janine dies noch amüsiert zur Kenntnis genommen. Sie fand es auch nicht allzu schlimm, dass ihr Freund keinen festen Job hatte. Doch mit der Zeit änderte sich ihre Einstellung.
Noch ein letzter Blick, der Janine fatal an ein waidwundes Reh erinnerte, dann ging Dietmar. Begleitet von Janines erleichtertem Seufzer – den er aber nicht mehr hörte. Hoffentlich zumindest, denn es hätte seiner sensiblen Seele sicher erneut zugesetzt. Wie so vieles an Janine Dietmar irritiert und an seinem Ego gekratzt hatte.
Dietmar Terholen, dreiunddreißig Jahre alt, Student der Philosophie und Sozialwissenschaften seit mehr als zehn Jahren. Mit dem Hang zur Bühne. Gut aussehend. Ebenso liebenswert wie phlegmatisch. Charmant und stur.
Das Gegenteil von Janine. Sie war lebensbejahend. Couragiert. Optimistisch. Fleißig und ehrgeizig. Sie stand mit beiden Beinen im Leben.
»Dein Tempo macht mir Angst«, lautete einer von Dietmars Lieblingssätzen. Und dennoch hatte er sich für fast sieben Monate bei Janine eingenistet. Am Anfang war es mehr als ein heißer Flirt gewesen. Fast schon Liebe. Von beiden Seiten. Aber die war zumindest bei Janine rasch geschwunden, als sich herausstellte, dass Dietmar völlig sorglos in den Tag hineinlebte. Manchmal zur Uni ging, kaum eine Klausur schrieb, auf ihre Kosten lebte – und gern darüber jammerte, dass sie ihn so oft allein ließ, Geld verdiente, ihre Reiseagentur immer weiter ausbauen wollte.
»Dieser Schmarotzer … wie kannst du den ertragen?«, hatte Marion schon nach der dritten Begegnung mit Dietmar gefragt. Aber da war Janine noch verliebt gewesen.
Nun, das war jetzt vorbei. Dietmar war weg – und plötzlich sah die Welt wieder hell aus. Obwohl draußen die Dämmerung hereinbrach. Ein Griff zum Telefon, Marions Nummer war selbstverständlich ganz oben eingespeichert.
»Was hältst du von Champagner? Im ›Moonlight‹?«
»Halleluja – er ist weg! Und ich bin in zehn Minuten dort.«
»Gib mir zwanzig. Ich muss mich noch ein bisschen frisch machen.«
»Einverstanden. – Bis gleich.«
Janine war tatsächlich in einer knappen Viertelstunde fertig. Die langen, glänzenden Haare trug sie offen. Den Businessdress hatte sie gegen eine seidig schimmernde, cognacfarbene Hose getauscht. Darüber kam eine Longbluse in der gleichen Farbe, darunter ein raffiniertes Nichts aus nougatfarbener Spitze.
Fast gleichzeitig trafen die Freundinnen im »Moonlight« ein. Es herrschte bereits reger Betrieb, denn die Bar wurde auch gerne von jungen Leuten aufgesucht, die hier eine so genannte »Afterworkparty« feierten. Aber allmählich wechselte das Publikum. Die Gäste in korrekter Dienstkleidung – naturgemäß Banker in dunklen Anzügen oder Karrierefrauen im Nadelstreifen-Hosenanzug – wechselten mit Publikum, das schon das richtige Outfit für eine heiße Nacht trug.
Eine Flasche Champagner war schon halb geleert, doch noch wollte bei Janine und Marion nicht die richtige Stimmung aufkommen. »Nur immer an den Job zu denken ist auch öde«, meinte Marion und zupfte sich den nachtschwarzen Pony zurecht. Ihre Mutter war Einkäuferin für eine elegante Boutique, und so war die Tochter stets topaktuell gekleidet. Und da zurzeit der Stil von Audrey Hepburn total in war, trug Marion zumindest eine Frisur wie einst die bekannte Schauspielerin. Dazu ein enges, weinrotes Seidenkleid, dessen Hingucker der tiefe Rückenausschnitt war.
»Tu ich doch gar nicht«, wehrte Janine ab. »Nicht einmal heute Abend hab ich vom Büro gesprochen.«
»Dich jedoch auch nicht amüsiert. Aber … sieh mal die vier Jungs drüben … das wär doch was für uns, oder?« Diskret sah jetzt auch Janine in Richtung Tür, wo gerade tatsächlich vier extrem gut aussehende Männer eintraten. Schnurstracks kamen sie zur Bar, bestellten ihre Drinks – und schon war klar:
»Die stehen nicht auf Frauen.« Marions Seufzer war unüberhörbar.
»Macht nichts. Komm, trink noch ein Glas.«
»Mögen Sie tanzen?« Ein großer Blonder deutete doch tatsächlich so etwas wie eine Verbeugung vor Marion an.
Schnell rutschte sie vom Barhocker – und ward für eine halbe Stunde nicht mehr gesehen. Janine wurde von zwei älteren Gästen in ein Gespräch verwickelt. Einer war Unternehmensberater, wie er schon im zweiten Satz stolz verkündete, der zweite Metzger. Und sie redeten nur von ihren Jobs!
Na, da konnte sie mithalten! Janine drehte ihren vollen Charme auf, und schon nach kurzer Zeit tauschten sie ihre Visitenkarten aus. »Ich fliege oft in Urlaub. Stressabbau muss einfach sein. Thailand oder die Malediven … es gibt da sicher einen Bonus für mich, oder?« Klaus, der Unternehmensberater, versuchte es mit einem tiefen Blick in Janines Augen.
»Darüber lässt sich reden.« Warum nicht auch hier ans Geschäft denken.
»Ich fliege nie. Aber meine Mutter und ich, wir machen häufiger Kuren im Allgäu. Hast du da auch was im Programm? Weißt du, die Kälte in den Kühlkammern geht mir jetzt schon in die Glieder. Da heißt es vorbeugen, sagt meine Mutter immer.« Gerhard sagte es völlig naiv, und es gelang Janine tatsächlich, ein Lachen zu unterdrücken.
»Dann komm doch einfach mal mit ihr vorbei, vielleicht hab ich ein paar gute Tipps für deine Mutter.« Danach war ihr noch nach einem harten Drink – und ihrem gemütlich warmen Bett.
Marion und ihr blonder Hüne wollten noch weiterziehen.
»Du bist doch nicht sauer?«
»Aber nein. Weißt du doch. Viel Spaß.« Janine zwinkerte der Freundin zu.
»Dir auch. Oder … gehst du schon?«
»Heute ist der Wurm drin. Hab ich doch gewusst.« Janine zuckte mit den Schultern, dann verlangte sie die Rechnung.
»Du gehst schon?« Gerhard schien ehrlich enttäuscht.
»Ich bin müde. Du weißt doch … so ein Job ist anstrengend. Und ich bin seit sechs auf den Beinen.«
»Ich war schon um vier auf!«
»Dann gratulier ich dir zu deiner Kondition. – Wir sehen uns vielleicht. Viel Spaß noch euch beiden.«
Puh, das war geschafft. Draußen auf der Straße atmete sie erleichtert auf. Doch dann, allein in der Wohnung, überkam sie auf einmal der Weltschmerz. Weinend warf sie sich aufs Bett, vergrub das Gesicht in den Kissen.
Diese Pechsträhne im Privatleben – endete sie denn nie? Sie wollte doch gar keinen Mister Big. Oder einen Mann wie Brad Pitt. Nur einen netten Jungen, mit dem sie Spaß haben, sich unterhalten und die Zeit vertreiben konnte. Na ja, guter Sex wäre auch nicht zu verachten. Und vielleicht auch ein paar ehrliche, tiefe Gefühle …
Verdammt, gab’s denn diesen liebenswerten Durchschnittsmann nirgendwo???
Irgendetwas schrillte in ihrem Hinterkopf. Und kalt war ihr auch. Mit geschlossenen Augen tastete Janine nach dem Wecker. Nein, er war nicht der Urheber dieses penetranten Geräuschs. Das leider nicht aufhören wollte!
Also: Augen auf, die Beine aus dem Bett schwingen … und entsetzt feststellen, dass sie in den Klamotten eingeschlafen war, die sie im »Moonlight« getragen hatte. Kein Wunder, dass sie fror!
Das Geräusch wurde, wie sie gleich darauf feststellte, vom Telefon verursacht. Halbblind tastete sie danach. »Janine Rehberger … guten Morgen.«
»Hallo, Kleines!« Eine Bassstimme ließ sie zusammenzucken.
»Oliver … was ist denn passiert?«
»Nichts Schlimmes. Nur dass ich überraschend nach New York muss. Du musst dich also in den nächsten vier Tagen allein um Wirbelwind kümmern. Geht das?«
»Aber ja. Mach dir keine Sorgen. Was machst du in New York?«
»Ärztekongress. Ich muss für eine erkrankte Kollegin einspringen. Sie arbeitet seit Jahren hier im Ärztezentrum mit und ist auch immer hilfsbereit. Ich kann sie schlecht hängen lassen.«
»Na, dann – viel Erfolg!«
»Janine?«
»Ja?«
»Du bist schon richtig wach, ja? Und hast alles verstanden?«
»Klar doch. Wirbelwind gehört für vier Tage allein mir. Und du fliegst gleich los. Mach’s gut. Ich fahre noch vor der Arbeit in den Stall, versprochen.«
»Danke, Kleine.« Ein Knacken – Oliver hatte aufgelegt. Und Janine war mit einem Mal hellwach. Seit einem Jahr teilten sie sich ein Pferd, der Chirurg Dr. Oliver Bergstaller und sie. Oliver war ein noch passionierterer Reiter als sie selbst, doch da er nicht die Zeit hatte, sich genügend um sein Pferd zu kümmern, hatte er Janine eine Reitbeteiligung angeboten. Die Lösung war für alle perfekt – vor allem für den sechsjährigen Wallach Wirbelwind, der jetzt doppelt verwöhnt wurde.
Ein Blick auf die Uhr: Es war kurz vor sechs. Sie konnte bequem zum Stall fahren und noch einen kleinen Ausritt unternehmen. Das würde ihren Kopf wieder freimachen!
Sie wusste, dass Oliver es auch oft so hielt. Obwohl er eine eigene Praxis besaß, außerdem ein paar Belegbetten in der chirurgischen Abteilung des Klinikums, nahm er sich Zeit für dieses Hobby. Und er behauptete glaubhaft, daraus viel Kraft zu schöpfen.
Janine hatte ebenfalls schon oft festgestellt, dass die Reiterei wie eine Therapie für sie war. Das Zusammensein mit den Tieren, die frische Luft draußen vor der Stadt – all das tat unendlich gut und ließ sie ihren Frust vergessen.
Auch heute wirkte es wieder, und gut gelaunt schloss sie um neun Uhr ihr Geschäft auf. Der Tag hatte früh, aber schön begonnen. Ein gutes Omen?
Ja, die Geschäfte liefen gut an. Und dann, gegen Mittag, kam die Einladung eines großen Reiseveranstalters: eine Expedientenreise nach Mallorca! Die Inhaber einiger Reisebüros sollten sich drei der neuen Luxushotels auf der Insel ansehen.
Nun, Janine war nicht euphorisch, schließlich kannte sie die Lieblingsinsel der Deutschen fast so gut wie ihre große Lieblingshandtasche! Aber die Hotels waren neu, für zahlungskräftige Kunden gedacht, die ans Golfen oder an Wellness dachten statt an den Ballermann.
Spontan fiel ihr Klaus ein, der Unternehmensberater. Vielleicht wäre er ein potentieller Neukunde?
Doch erst musste sie Katrin Neumann anrufen. Sie kam dreimal die Woche, half aber in Sonderfällen gern auch häufiger aus. So war sie auch jetzt sofort bereit, Janine während ihrer Expedientenreise zu vertreten.
»Dann kann ich also zusagen?«
»Klar doch, Kindchen. Mach dir ein paar schöne Tage. Du weißt doch, auf der so genannten Putzfraueninsel ist es interessanter, als die Meisten denken.«
»Da hast du recht«, stimmte Janine der älteren Kollegin zu. Katrin war etwa fünfzig, hatte ihren Job von der Pieke auf gelernt und sogar fast sieben Jahre als Reiseleiterin die ganze Welt bereist. Vor gut zwanzig Jahren hatte sie ihren Mann, einen Bauunternehmer, kennen gelernt, drei Kinder bekommen – und mit Wehmut Abschied vom Beruf genommen. Jetzt, wo ihre beiden Mädchen und der Sohn das Haus verlassen hatten, war Katrin froh und glücklich, ihre Kenntnisse in der Reisebranche wieder anwenden zu können. Mit dem Computer konnte sie prima umgehen.
»So ein großer Sohn hält einen auf dem Laufenden«, hatte sie Janine erklärt. »Ich bin zwar nicht topfit, aber ganz gut informiert.«
In der Tat, und so war sie für die junge Unternehmerin eine wertvolle Hilfe.
Aber noch war es nicht so weit. Erst einmal galt es, die nächsten vier Wochen zu überstehen. Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu. Die Schulferien waren in einigen Bundesländern schon zu Ende – im Büro der Beginn der so genannten Sauregurkenzeit. Noch waren die neuen Kataloge nicht ausgeliefert, aber die meisten Ferienreisen gebucht.
Janine hatte dennoch keine Langeweile. Zumal sich Olivers USA-Trip um einige Tage verlängerte. »Ich hab hier ein paar interessante Vorträge gehört und bin zu einem Symposion eingeladen. Ich würde gern noch drei Tage anhängen. Kannst du dich um das Pferd kümmern?«, hatte er gefragt, und Janine hatte nur zu gern zugestimmt.
»Wirbelwind, die Zeit nutzen wir beide. Was hältst du von einem langen Ritt durch den Forst?« Da Katrin an diesem Nachmittag im Büro war, konnte Janine ziemlich früh Feierabend machen. Sie hatte das Pferd ausgiebig gestriegelt, jetzt legte sie ihm das Zaumzeug an.
Der Wallach, groß und fast schwarz mit einem hellen Stern auf der Stirn, schnaubte leise.
»Der scheint ja jedes Wort zu verstehen!« Ein Mann, den Janine noch nie auf dem Reiterhof gesehen hatte, kam auf die Box zu. »Hallo, ich bin Bert. Mir gehört der Apfelschimmel da drüben.« Er wies zu einer Box am Ende der Stallgasse. »Wir sind seit gestern hier. Ich heiße Bert Schrader.«
»Hallo. Ich bin Janine. Herzlich willkommen.« Sie schaute kurz zu dem Mann hin. Dunkelblondes, leicht gelocktes Haar, etwa Mitte dreißig. Groß. Schlank. Blaue, ein wenig zu eng stehende Augen. Gewinnendes Lächeln.
»Wollen Sie ausreiten?«
»Sieht wohl so aus.« Himmel, das war nicht gerade eine tolle Konversation! Aber wer schon Apfelschimmel ritt …
Janine mochte keine Apfelschimmel. Schon seit frühester Kindheit nicht. Sie waren falsch – sagte sie sich, da ein wunderschöner Apfelschimmel sie schon in der dritten Reitstunde in hohem Bogen abgeworfen hatte.
Allerdings war dieses neue Tier wunderschön. Vermutlich mit einem Araber in der Ahnenreihe.
»Darf ich mich anschließen? Ich kenne ja die Reitwege hier in der Gegend noch nicht, und …«
»Kein Problem«, fiel Janine ihm ins Wort. Und so ritten sie wenig später durch den einbrechenden Abend.
Bert war ein wirklich guter Reiter. Er erzählte ein wenig von dem Stall, in dem sein Tier vorher gestanden hatte. »Das war auf einem großen Hof im Münsterland. Klar, dass da hohe Ansprüche gestellt wurden. Der Besitzer züchtet unter anderem für weltbekannte Springreiter. Ich kann froh sein, dass er mir Diabolus so preiswert gelassen hat.«
»Warum das denn? Reine Menschenfreundlichkeit ist mir bei Pferdehändlern noch nie untergekommen.«
»Davon konnte auch keine Rede sein. Diabolus hat ’ne Macke.« Bert grinste.
»Und die wäre?«
»Er mag keine Frauen.«
»Wie bitte?« Janine beugte sich vor. »Das kann doch nicht wahr sein!«
»Ist es aber. Leider. Sogar ein so genannter Pferdeflüsterer konnte da nichts machen. Er mag einfach keine Frauen. Und da viele Mädchen als Helferinnen oder Bereiterinnen agieren, hatten sie ein Problem mit meinem Jungen.« Er klopfte dem Apfelschimmel kurz den Hals.
»Bei uns gibt’s auch zwei Pferdepflegerinnen«, warnte Janine.
»Ich weiß. Und ich hab schon gesagt, dass ich das Meiste selbst tun will. Vorsichtshalber.«
»Was hat Sie denn in unsere Gegend verschlagen? Das Münsterland ist ja doch ein Stück weg von Köln.«
»Stimmt. Aber hier gab’s den idealen Job für mich. Werbung und Marketing. Die Bedingungen dafür sind hier geradezu ideal. Köln wird ja immer mehr zur Medienstadt. Und ich werde da mit meinem Laden gut reinpassen.«
»Gratuliere.« Sie hatte keine Lust mehr, noch länger über ihn und seinen Beruf zu reden. »Da kommt eine gute Galoppstrecke – wollen wir?«
»Aber ja!« Schon gab er die entsprechende Hilfe – Diabolus machte seinem Namen alle Ehre und preschte wie der Teufel davon.
»Aufschneider«, murmelte Janine vor sich hin und ritt etwas langsamer hinter den beiden her. Zwar war Wirbelwind gar nicht damit einverstanden, dass es nicht zu einem Wettrennen kam, aber Janine mochte sich nicht in Gefahr begeben. In knapp zwei Wochen flog sie nach Mallorca, da wollte sie noch nicht einmal eine Prellung riskieren.
»Hey, machen Sie schon schlapp?« Mit einem leicht arroganten Lächeln standen Bert und sein Wallach am Ende der Galoppstrecke.
»Ich reite zur Entspannung, nicht um einen Wettstreit zu gewinnen.«
»Na ja, ich bin eben immer auf Konkurrenzkampf eingestellt. Nichts für ungut.« Bert lachte, und jetzt wirkte er wieder sympathisch. »Wollen wir uns nicht mit Du anreden? Ich geb dann auch gleich im Reiterstübchen meinen Einstand.«
»Klar doch. Aber ich komme nur auf einen Drink mit. Ich muss noch arbeiten.«
»So spät noch?« Stirnrunzelnd sah er sie an. Absagen schien er nicht gewöhnt zu sein. Doch das beeindruckte Janine nicht im Geringsten.
»Ja.« Mehr brauchte er nicht zu wissen.
Sie kam dann noch auf den versprochenen Drink mit, zog sich aber rasch zurück, denn ihr Verdacht wurde zur Gewissheit: Bert Schrader führte bald das große Wort. Und sie hatte nicht die geringste Lust, an seinen Lippen zu hängen und sich die Pferdewelt erklären zu lassen.
»Wieder ein Mann, der keinen zweiten Blick wert ist«, murmelte sie vor sich hin, als sie in ihrem kleinen Wagen heimfuhr. Dort aber beanspruchte die fällige Steuererklärung ihre Aufmerksamkeit – was auch nicht gerade stimmungsfördernd war.
»›Villa Cloud Seven‹, Kerstin Ahlborn am Apparat. Was kann ich für Sie tun?« Mit gleichbleibend freundlicher Stimme meldete sich die Empfangschefin des Hotels am Telefon.
»Mein Mann … er ist zusammengebrochen. Ich glaube …« Schluchzen erstickte die Stimme der Anruferin. »Ich glaube, es ist ein Infarkt. Und ich … ich krieg ihn nicht aufgehoben, meinen Mann. Er ist viel zu schwer …«
»Bitte, bleiben Sie ruhig, Frau Küster, ich kümmere mich sofort. Ein Arzt wohnt ganz in der Nähe, ich rufe ihn sofort an. Und dann komme ich selbst hoch zu Ihnen.« Sie legte auf, winkte einer jungen Auszubildenden. »Ruf Dr. Ramirez an – ein Gast hat wahrscheinlich einen Infarkt erlitten. Der Doktor soll sich beeilen. Ich gehe rasch hoch auf die Neunzehn.«
Eine Antwort wartete sie nicht ab, sondern hastete hinauf zu dem älteren Ehepaar, das seit drei Wochen in dem Luxushotel auf Mallorca zu Gast war. Sympathische, sehr ruhige Gäste, die nie Sonderwünsche hatten, sondern mit dem exzellenten Service stets zufrieden waren.
Und jetzt fühlte sich der alte Herr schlecht!
Wie befürchtet, hatte er tatsächlich einen leichten Infarkt erlitten, und für Kerstin war es selbstverständlich, die Ehefrau, die kein Wort Spanisch sprach, in die Klinik nach Palma zu begleiten. Die Rezeption wurde so lange von ihrem Kollegen Juan übernommen.
»Ich bin ja so froh, dass Sie bei mir sind, Frau Ahlborn!« Die alte Dame zitterte. Kerstin und sie saßen in der Klinik in einer kleinen Nische, während der Patient untersucht wurde.
»Machen Sie sich keine Gedanken, die Klinik ist auf dem neuesten Standard, Ihrem Mann kann hier optimal geholfen werden. Und wie der Doktor sagte, ist es wohl nur ein ganz leichter Infarkt.«
»Dafür bete ich …« Frau Küster schloss die Augen und senkte den Kopf. Und so saß sie mehr als eine Stunde im Wartebereich der Notaufnahme und hoffte auf positive Nachrichten.
Kerstin konnte sie jetzt nicht sich selbst überlassen! So gern sie auch an diesem Abend eigenen Interessen den Vorrang gegeben hätte! »Kann ich Sie für einen Moment allein lassen? Ich muss kurz telefonieren gehen.« Sanft berührte sie die alte Dame am Arm.
»Aber ja doch. Gehen Sie nur. Ich komme schon allein zurecht. Sie haben doch sicher jetzt frei …«
»Das ist kein Problem. Nur ein kurzer Anruf, dann komme ich zurück.«
Das Handy schaltete sie außerhalb der Klinik wieder ein, tippte die oberste eingespeicherte Nummer – und hörte schon Steffens Stimme: »Wo bleibst du denn? Ich hab schon dreimal bei dir anzurufen versucht. Aber dein Handy war abgeschaltet …«
»Ich bin in der Klinik. Mit einem Gast. Infarkt.«
»Und Mutter Teresa muss sich persönlich kümmern. Du, wir wollten heute Abend unseren Jahrestag feiern. Vergessen?«
»Natürlich nicht! Aber … Frau Küster ist so aufgeregt. Und sie wirkt so verloren … da kann ich sie doch nicht sich selbst überlassen.«
»Irgendwann wirst du noch von deinem Heiligenschein erschlagen. Aber dann werd ich nicht da sein, um dir zu helfen.« Steffen Mauserts Stimme grollte.
»Ach, Bärchen, jetzt sei doch nicht so! Den Jahrestag verschieben wir einfach um vierundzwanzig Stunden.« Während sie dies sagte, bekam Kerstin ein schlechtes Gewissen.
»Sag mal, tickst du nicht sauber? Ich hab einen Tisch bei Gerhard Schwaiger bestellt! Dort einmal zu essen war dein größter Wunsch!« Steffen war wirklich sauer.
»O Scheiße! Es tut mir so leid. Vielleicht … wenn ich mich beeile …«
»Vergiss es.« Ein Knacken – Steffen hatte die Verbindung unterbrochen.
Kerstin biss sich auf die Lippen. Das war jetzt wirklich fatal. Gerhard Schwaiger war ein mehrfach ausgezeichneter Sternekoch. Sein Lokal »Tristan« lag direkt am Yachthafen von Portals Nous und war eigentlich immer ausgebucht. Man sah von dort aus auf die Luxusschiffe des spanischen Königs, der Ölscheichs und vieler anderer. Kürzlich hatte Flavio Briatore dort geankert und eine rauschende Party gefeiert.
Steffen, Koch aus Leidenschaft, bewunderte den berühmten Kollegen. Mit Recht war er jetzt stocksauer, dass ihm dieser Restaurantbesuch entging!
»Er könnte doch jemand anderen mitnehmen …« Schon griff Kerstin wieder nach dem Handy, aber es kam keine Verbindung mehr zustande.
Immer haben andere Vorrang … Kerstin ist viel zu gutmütig … Und ich bin nur halb so wichtig wie die Gäste … Warum soll ich auf mein Vergnügen verzichten? Ketzerische Gedanken. Wütende Überlegungen – mit der Folge, dass Steffen Mausert noch an diesem Abend eine der weiblichen Azubis einlud.
»Wie komme ich zu der Ehre? Hast du Stress mit deiner Kerstin?« Gina, drittes Lehrjahr, lange Beine und lange, schwarze Haare, grinste wissend.
»Nein. Sie hat eine dienstliche Verpflichtung.« So weit ging sein Zorn auf Kerstin dann doch nicht, dass er jegliche Loyalität vergaß.
»Ist ja auch egal. In so einen Nobelschuppen komm ich nicht so rasch.« Gina lachte. »Die Küche soll gigantisch sein.«
»Ist sie auch. Darum will ich ja auch mal testen, was da los ist. Kann für unser Haus nur von Interesse sein.«
Steffen, ein wirklich exzellenter Koch, war seit anderthalb Jahren Küchenchef im »Cloud Seven«. Er kochte fantasievoll, ein bisschen regional, aber doch so, dass für alle Gäste etwas dabei war, wenn er seine Galabüfetts organisierte oder allabendlich ein fünfgängiges Menü. Dennoch schaute er sich gern bei seinen Kollegen um, lernte dazu, ließ sich inspirieren.
Nun, an kulinarischen Inspirationen mangelte es ihm an diesem Abend nicht, doch als Gesprächspartnerin war Gina wirklich nicht zu gebrauchen. Dümmlich und oberflächlich – so stufte er sie schon nach einer halben Stunde ein und ärgerte sich, dass er sie überhaupt eingeladen hatte.
Noch vor Mitternacht waren sie wieder daheim. Und obwohl er sich eigentlich vorgenommen hatte, mit Kerstin ernstlich böse zu sein, klingelte er bei ihrem Apartment, das sie im Angestelltentrakt des Hotels bewohnte. Er selbst hatte nur zwei Zimmer im nahegelegenen Dorf. Mit Kontrolle von »Mama Rosa«, die nicht nur seine Räume und seine Wäsche in Ordnung hielt, sondern auch streng darauf achtete, dass er keine weiblichen Wesen mit in seine Wohnung nahm.
»Wir leben doch nicht im vorvorigen Jahrhundert«, hatte er zu Anfang protestiert, doch seine Wirtin, gute sechzig und streng katholisch, hatte nur auf die Marienstatue und die vier Heiligenbilder gewiesen, die ihr Wohnzimmer schmückten.
Kerstin war noch wach – sie öffnete im Nachthemd. Und sofort war seine schlechte Laune wie weggeblasen. Süß sah sie aus in dem kurzen Hemdchen aus hauchdünnem Baumwollstoff. Die langen, dunkelblonden Haare fielen ihr leicht zerzaust über die Schultern.
»Noch böse?«, fragte sie.
»Du?«
»Nein. Nur … es tut mir so leid um den Abend. Und deine Idee, im ›Tristan‹ zu essen, war einfach herrlich.« Sie zog ihn ins Zimmer. »Hast du den Tisch stornieren können?«
»Nein, ich …« Er zögerte, war dann aber doch der Meinung, dass ein wenig Strafe sein müsste. »Ich war mit Gina da.«
»Wie bitte?« In Sekundenschnelle verwandelte sich die Madonna in eine Furie. »Mit Gina? Diesem … diesem …«
»Sie ist Azubi und interessiert sich für die anderen Hotels auf der Insel.«
»Und ich bin nicht dämlich!« Kerstins Augen, normalerweise braun mit wundervollen, bernsteinfarbenen Sprenkeln versehen, wurden nachtschwarz. »Du hast die Dreistigkeit, mit Gina … ich fass es nicht!«
»Nun stell dich nicht so an, es ist ja nichts passiert.«
»An wem lag’s denn?«, fragte sie ironisch.
»Himmel noch mal, ich wollte einfach nicht allein ausgehen!« Er versuchte sie in den Arm zu nehmen, aber mit einem Ruck entwand sie sich seinem Griff. »Kerstin, bitte … mach doch keinen Stress. Heute ist unser Jahrestag, den wollten wir doch feiern.«
»Der war gestern.« Sie biss sich auf die Lippen. Und dachte an die Flasche Champagner im Eisschrank. Vorsichtshalber hatte sie die schon am Morgen dort deponiert. Schade um das edle Gesöff! »Aber gut, mach die Flasche auf. Liegt im Eisschrank. Ich zieh mir eben was über.«
»Das muss nun wirklich nicht sein«, raunte er – und nahm sie nun doch fest in die Arme. Sein Kuss dauerte endlos. Und der Champagner musste warten.
Sechs Stunden später.
Nervös versuchte Kerstin, ihre Haare hochzustecken. Beinahe hätten sie verschlafen. Und das gerade heute!
»Beeil dich doch endlich!«, drängte Steffen. Er hatte in Windeseile geduscht und sich eines der vielen weißen T-Shirts aus dem Schrank genommen, die er bei Kerstin deponiert hatte.
»Du hast gut reden! Bei den kurzen Haarstoppeln gibt es nichts zu ordnen. Im Gegensatz zu mir. Diese Haare … sie wollen aber auch gar nicht halten!«
»Lass sie offen. Das sieht sowieso am besten aus.«
»Der Chef reißt mir den Kopf ab!«
»Tut er sicher nicht. Er mag dich – viel zu gern.«
»Jetzt spiel nur nicht den Othello. Das steht dir gar nicht.« Endlich hielt der zweite Kamm die Lockenflut zusammen. Noch ein wenig Wimperntusche, Lipgloss – fertig.
Zehn Minuten später verschwand Steffen im Küchenbereich, wo seine Arbeitsklamotten im Spind hingen, Kerstin nahm ihren Platz hinter der Rezeption ein.
Der neue Tag konnte beginnen!
Der Tag, an dem eine Gruppe von deutschen Reisebürobesitzern das Luxushotel »Villa Cloud Seven« besichtigen würde.
»Diese Luft … immer wieder herrlich. Ich liebe die Insel.«
»Ich finde es auch malerisch hier.« Janine sah Miriam Wagenknecht, eine Kollegin aus Darmstadt, lächelnd an. »Es muss nicht immer die Karibik sein. Und was wir bisher an neuen Häusern hier gesehen haben – beeindruckend.«
Seit zwei Tagen waren sie auf Mallorca, und Janine fühlte sich wie befreit. Mal frei sein vom Alltagstrott, ein wenig Sonne tanken, interessante Fachgespräche führen – das tat einfach gut! Und lenkte von der Erkenntnis ab, dass sie mit siebenundzwanzig Jahren immer noch Single war!
Viele junge Frauen fanden diesen Umstand beängstigend. Und gelegentlich gab es auch Janine zu denken, dass sie den Idealmann noch nicht gefunden hatte.
Aber – gab es den überhaupt? Seit »Sex and the City« sprachen ihre Geschlechtsgenossinnen von »Mr. Right«, den es zu finden galt. Patentrezepte fürs Aufspüren eines solchen Prachtexemplars hatte allerdings niemand parat.
»Das neue Apartmenthotel in Cala Figuera ist höchst empfehlenswert«, meinte Miriam. »Aber noch mehr freu ich mich jetzt auf dieses Landgut, das seit zwei Jahren das absolute Tophaus auf der Insel sein soll.«
Auch Janine war gespannt auf die Villa »Wolke Sieben«. Im normalen Katalog war sie nicht aufgeführt, der Besitzer, von dem man nur wusste, dass er den Besitz fünf Jahre zuvor erworben und dann zum Hotel umgebaut hatte, war offensichtlich nicht an Pauschaltouristen interessiert.
Eine halbe Stunde später – sie waren durch grünes Hinterland gefahren, wo Zitronenbäume sich mit Bananenplantagen abwechselten – kamen sie zu einer kleinen Allee, die von blühenden Oleanderbüschen gesäumt war. Der Weg führte zu einem dreistöckigen Gebäude, das zur Hälfte aus Bruchsteinen errichtet war. Ansonsten waren die Wände schneeweiß und von dunkelrot blühenden Bougainvillea- und Hibiskusbüschen umrandet. Rechts und links des großen Holzportals, das mit alten Schnitzereien geschmückt war, stand je eine Palmengruppe.
»Wow«, flüsterte Janine. »Das hat Stil.«
»Das ist – wundervoll.« Richard Volkersen, mit fast sechzig Jahren der Senior der Gruppe, schaute begeistert in die Runde. »Hier könnte ich es mir gut gehen lassen.« Er verließ den klimatisierten Bus und ging ein paar Schritte auf den Hoteleingang zu.
»Das könnte dir so passen!«, lachte seine Tochter, »und mich mit den Geschäften alleinlassen.«
»Warum nicht? Bist perfekt eingearbeitet. Ich werd mich mal umhören, wie die Konditionen für Langzeiturlauber sind.« Sein Augenzwinkern verriet jedoch, dass er nicht wirklich daran dachte, sich schon aufs Altenteil zurückzuziehen.
»Ah, da ist ja Markus Berger!« Nina, die Reiseleiterin, beschleunigte ihren Schritt.
Der Mann, der nun vors Haus trat, war groß, dunkelhaarig und trug einen leichten, hellgrauen Leinenanzug. Das weiße Hemd unterstrich die Bräune des Gesichts.
»Herzlich willkommen!«, rief er den neuen Gästen zu. »Darf ich Sie gleich in die Hotelhalle bitten. Der Begrüßungsdrink steht schon bereit.«
»Hoffentlich nicht wieder Sangria«, flüsterte Miriam Janine zu.
»Ach was. Hier doch nicht.« Sie folgten den anderen, die sich schon in der großen Hotelhalle umschauten, dann aber erst einmal die Erfrischung genossen. Es war – Janine atmete auf – ein erstklassiger Champagnercocktail! Dazu gab es Fingerfood, das exzellent war.
Das Haus war wirklich ein kleines Paradies, man konnte sich im siebten Himmel fühlen. Diesen Eindruck gewannen die Fachleute schon nach einer Stunde, in der sie die gesamte Anlage besichtigen konnten.
Das anschließende kleine Dinner war ebenso exzellent wie der Wein. Und der Chef des Hauses: ein Bündel Charme, gepaart mit umfassenden Hotelkenntnissen. Er und Nina, die seit fünf Jahren auf Mallorca lebte, kannten sich offensichtlich sehr gut. Ein paar intensive Blicke, flüchtige Scherzworte … man spürte, dass sie vertraut miteinander waren.
Und Janine spürte tief innen einen Stich. Doch wohl nicht Eifersucht? Unsinn! Wohin verstieg sie sich da? Dieser Hotelier ging sie absolut gar nichts an! Er war nur einer von vielen mehr oder weniger gut aussehenden Männern, die sie im Laufe der Zeit kennen gelernt hatte. Kein Grund also, sich näher mit ihm zu befassen.
Nachdem die erste Führung durch die Anlage beendet war, lud Markus Berger seine Gäste ein, sich auszuruhen und zu entspannen. »Da die Saison noch nicht begonnen hat, kann ich Ihnen Zimmer im Haupthaus zur Verfügung stellen. Bitte, genießen Sie die Zeit bei uns. Wir sehen uns, wenn Sie mögen, abends zum Galabüfett wieder.«
Er ging zu Nina, führte sie ein wenig abseits, und Janine registrierte – Himmel, warum konnte sie sich nicht einfach um ihr Gepäck kümmern und in ihr Zimmer gehen? –, dass die beiden wieder höchst vertraulich miteinander taten.
Was kümmert es mich, ob Nina hier auf der Insel einen Flirt mit einem Hotelchef hat? Sie ist höchst apart. Klein, zierlich, dunkelhaarig – das gefällt vielen Männern.
Und dann ertappte sie sich dabei, wie sie sich selbst kritisch in dem großen Spiegel musterte, der in der kleinen Vorhalle ihres Zimmers hing. Na ja, gegen die Figur war nichts einzuwenden. Janine war einssiebzig groß, schlank, das Gesicht war ebenmäßig, die Haare lang und dunkelblond. Hin und wieder gönnte sie sich eine Auffrischung mit helleren Strähnen, die dann in der Sonne wie kleine Goldfäden wirkten.
Aber die Nase … viel zu plump. Zu dick, genau gesagt. Mit einer kleinen Kerbe in der Mitte. Und die Augen … hingen ihre Lider nicht schon leicht herunter? Gab es da schon das erste Fältchen?
Einige Wespen, die durchs offen stehende Fenster geflogen kamen, lenkten Janine ab. Die Tiere wirkten aufgeregt, irgendwie anders als sonst.
Janine unterbrach ihre kritische Selbstbetrachtung. Es war ja doch sinnlos, irgendetwas verändern zu wollen. Sie war normalerweise mit ihrem Aussehen ganz zufrieden. Und was Markus Berger von ihr hielt, konnte ihr völlig schnurz sein. Sie war hier, um sein Hotel zu testen. Das hieß, dass er alles unternehmen sollte, um ihr zu gefallen – genau genommen sein Haus, selbstverständlich. Und das tat es. Dieses Hotel war einfach traumschön. Nicht nur die Lage, sondern auch sein Flair, das man sogleich spürte, waren beeindruckend.
Das Einzige, was Janine ein wenig vermisste, war die Nähe zum Meer. Sie liebte es, den Strand entlangzuspazieren, das Wasser an den Füßen zu spüren, sich einfach nur mal in den warmen Sand fallen zu lassen.
Hier gab es außer einer Badelandschaft im Wellness-Bereich noch zwei Swimmingpools von beeindruckender Größe, die in die ausgedehnte Gartenanlage perfekt integriert waren.
Eine Wespe kam näher, flog dicht an ihren Augen vorbei. Instinktiv schlug Janine danach – und sah sich in der nächsten Sekunde dem Angriff dreier weiterer Tiere ausgesetzt.
Ehe sie es verhindern konnte, hatte eine der Wespen sie gestochen. Ein kleiner Stich nur in den Hals … und doch war die Wirkung verheerend!
Janine spürte, wie die Hautstelle rasend schnell anschwoll, wie ihr die Luft knapp wurde …
Sie taumelte zum Balkon, versuchte dort krampfhaft, Atemluft in die Lungen zu ziehen.
»Um Himmels willen, was ist denn mit dir los? Janine! Warte, ich komme rüber!« Miriam Wagenknecht zögerte nicht, sondern kletterte entschlossen über die kleine Brüstung, die ihre beiden Balkone voneinander trennte. Dass dabei ein paar der Hibiskuszweige, die in einer Terrakottaschale auf der Mauer standen, abknickten, war jetzt völlig unwichtig.
Janines Augen waren voller Panik auf die Kollegin gerichtet. Sprechen konnte sie schon nicht mehr.
»Bist du gegen was allergisch?«, fragte Miriam.
Nur ein Schulterzucken.
Dann sah auch Miriam die Wespen, die sich so nervös verhielten. »Du bist gestochen worden, ja?«
Janine nickte.
»Okay, bleib ganz ruhig, ich hole Hilfe.« Miriam eilte ins Zimmer und telefonierte mit der Rezeption, wo sie kurz und knapp den Sachverhalt schilderte. »Wir brauchen dringend einen Arzt.«
»Ich rufe gleich an. Aber es dauert …« Der junge Spanier an der Rezeption griff schon nach dem zweiten Hörer.
»Was ist los?« Markus Berger kam in diesem Moment aus seinem Büro.
»Eine der Damen aus der Reisegruppe ist wohl von einer Wespe gestochen worden und dagegen allergisch. Ich rufe Dr. Santos.«
»Das dauert zu lange. Welches Zimmer?«
»Siebzehn.«
»Meinen Wagen an den Eingang. Schnell.« Schon rannte er los, klopfte wenig später an die Tür von Zimmer siebzehn.
Miriam öffnete. »Sie kriegt kaum noch Luft. Wann kommt der Doktor?«
»Darauf können wir nicht warten. Ich fahre sie in die Praxis. Die ist unten im Dorf.«
Ohne ein weiteres Wort ging er zu Janine, die in einem der kleinen Rattansessel auf der Terrasse saß und halb ohnmächtig war. Markus hob sie hoch, trug sie so schnell wie möglich über den Flur, die Hotelhalle hindurch bis zu seinem Wagen, der schon mit laufendem Motor vor dem Eingang stand.
»Soll ich mitkommen?«, fragte Juan, der Page, der ihm die Tür aufhielt.
»Danke, aber ich komme schon klar.«
Janine wurde auf dem Beifahrersitz angeschnallt, dann begann eine halsbrecherische Fahrt. Immer wieder sah Markus besorgt zu der jungen Frau hin. Sie hielt die Augen geschlossen, ihre Lippen hatten bereits eine beängstigend blaue Farbe angenommen.
Da war das Haus des Doktors – die Tür stand weit offen, der Arzt, schlank und grauhaarig, sah ihm ruhig entgegen, als er Janine wieder auf den Armen ins Behandlungszimmer trug.
»Ich hab schon eine Injektion vorbereitet. Nur noch mal kontrollieren …« Er untersuchte Janine, nickte, dann verabreichte er ihr das Mittel, das zum Glück in kürzester Zeit wirkte. Man konnte förmlich zusehen, wie ihre Gesichtshaut wieder eine normale Farbe bekam, wie ihr Atem sich beruhigte und die Panik aus ihrem Blick wich.
Erschöpft lag sie dann auf der Behandlungsliege und versuchte, die Fragen, die der Arzt ihr stellte, zu beantworten.
»Nein, ich hab noch nie etwas von einer Allergie bemerkt. Aber ich bin auch noch nie von einer Wespe gestochen worden. Und jetzt?«
»Sie sollten sich langsam desensibilisieren lassen. Und immer ein Gegenmittel bei sich tragen.« Er legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter. »Keine Angst, das lässt sich schnell in den Griff bekommen. Jetzt brauchen Sie erst mal Ruhe. Markus kann Sie gleich wieder mitnehmen. Oder möchten Sie in die Klinik? Ich kann Sie einweisen, damit Sie dort eingehender durchgecheckt werden.«
»Ist das nötig?«
»Meiner Ansicht nach nicht.« Dr. Santos lächelte wieder beruhigend. »Lassen Sie sich einfach von Markus verwöhnen, das hilft sicher am besten.«
Erst jetzt machte sich Janine klar, dass der Hotelchef selbst sie hierhergefahren hatte – nein, getragen hatte er sie! Eigentlich schade, dass sie von seiner Nähe so gar nichts mitbekommen hatte.
Janine, du bist unmöglich, schalt sie sich gleich darauf. Bist eben dem Tod von der Schippe gehüpft – und denkst an einen interessanten Mann …
Aber es ließ sich nicht leugnen – Markus Berger übte eine ganz besondere Anziehungskraft auf sie aus. Ein Glück nur, dass sie morgen schon wieder nach Deutschland zurückfliegen würde. Dann wäre der gut aussehende Hotelier Vergangenheit.
Ellen van Ehrens stoppte ihren Alfa genau vor dem Eingang, schwang die langen Beine heraus und warf dem Pagen ihre Wagenschlüssel zu. Seinen höflichen Gruß quittierte sie nur mit einem Kopfnicken.
So, als wäre sie ihr Zuhause, durchquerte sie die Hotelhalle und ging schnurstracks auf Markus Bergers Büro zu.
»Tut mir leid, aber der Chef ist nicht da.« Carmen Murati, Sekretärin und Markus’ rechte Hand, hielt die Besucherin auf.
»Das kann nicht sein. Wir waren verabredet!« Ellen warf den Kopf mit den langen, blonden Haaren in den Nacken.
»Ein Notfall … ein Gast ist erkrankt, der Chef kümmert sich persönlich.« Carmens Stimme ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie die Besucherin nicht schätzte. Im Grunde war das noch untertrieben. Carmen mochte das Jet-set-Girl absolut nicht. Ellen war in ihren Augen ein arrogantes Geschöpf, ebenso dreist wie eitel, das vom Geld des Vaters lebte. Was Markus Berger nur an ihr fand … Aber so waren sie eben, die Männer: schauten nach Äußerlichkeiten, ließen sich von einem perfekten Body blenden, von ein paar albernen Schmeicheleien … schade, dass Markus auch nur ein Mann wie alle anderen war!
Die fast Fünfzigjährige widmete sich wieder ihrem Computer.
»Ich warte in seinem Büro.«
»Aber … es wird vielleicht später. Die junge Frau sah ziemlich elend aus.« Es war Carmen ein Vergnügen, zu sehen, wie Ellen zusammenzuckte. Eine mögliche Rivalin … das war unerträglich!
»Eine Frau … was hat sie denn?«
»Einen Wespenstich.«
»Was sagen Sie da?« Ellens Augen schossen Blitze. »Und deshalb fährt er sie zum Arzt?« Sie hatte Mühe, sich zu beherrschen. Ellen van Ehrens war es nicht gewohnt, versetzt zu werden.
Ihre Verehrer waren so zahlreich wie die Sandkörner am Strand von Arenal, und doch wollte sie nur einen: Markus Berger. Markus, der sehr diszipliniert und erfolgreich arbeitete. Der genau wusste, was er wollte – und der sie hin und wieder spüren ließ, dass die Welt sich nicht nur um Ellen van Ehrens drehte.
Insgeheim achtete sie ihn dafür – und hasste ihn im nächsten Moment, wenn er sie einfach versetzte oder anderen Dingen Priorität einräumte. Daheim war sie das vergötterte Töchterchen des Vaters, der sie von klein auf maßlos verwöhnt hatte.
Ellens Mutter war sehr früh gestorben, das Mädchen war von diversen Kindermädchen aufgezogen worden – von denen die meisten leider größeres Interesse daran gehabt hatten, den Vater für sich zu gewinnen als das Herz des Kindes.
Die fehlende Liebe wurde durch Konsumgüter ausgeglichen. Das Ergebnis war logisch: Ellen wurde egozentrisch, selbstverliebt, überheblich und – oft – unerträglich.
Markus hingegen kannte die aparte Blondine nur von ihrer besten Seite. Seit Ellen den hoch gewachsenen Deutschen, der seit Jahren auf Mallorca lebte, zum ersten Mal bei einem Event in Saint Tropez getroffen hatte, war sie von ihm fasziniert und hatte nichts unversucht gelassen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Sie konnte, wenn sie wollte, höchst charmant sein. Konnte sich gut unterhalten, sich sogar für eine Weile einfühlsam geben. Und bei Markus wollte sie!
Vor einigen Wochen hatte er zum ersten Mal mit ihr geschlafen. Und Ellen hatte triumphiert! Nicht nur, dass er gut aussah. Wie vermutet, war er auch im Bett umwerfend!
Dass es von seiner Seite mehr eine sexuelle Beziehung war und nicht Liebe, wollte sie nicht erkennen. Sie klammerte sich an Markus, versuchte ihn mit allen Mitteln enger an sich zu binden.
Und jetzt war er mit irgendeiner Frau unterwegs! Ellen war alarmiert. Dass es sich um einen erkrankten Gast handelte, war zweitrangig. Es zählte nur, dass Markus sich anderweitig engagierte und sie warten ließ!
»Ich bin am Pool. Wenn Markus kommt …« Sie sprach nicht weiter.
»Selbstverständlich. Ich werde Herrn Berger informieren.« Die Sekretärin gab sich dienstlich. »Wenn Sie eine Erfrischung möchten …«
»… dann bestell ich mir was.« Jetzt kam wieder Ellens Arroganz zum Vorschein, doch davon ließ Carmen sich nicht beeindrucken. Sie widmete sich wieder ihrer Arbeit. Ellen schien für sie nicht mehr vorhanden zu sein.
Die junge Frau biss sich kurz auf die Lippen. Diese dämliche Büromaus! Sobald sie hier was zu sagen hätte, würde sie dafür sorgen, dass Markus Carmen feuerte. Diese Respektlosigkeit würde sie ihr nicht noch einmal durchgehen lassen.
Ellen ging noch einmal zum Wagen, holte eine Badetasche aus dem Kofferraum und ging auf ihren hochhackigen Sandaletten hinüber zum Pool.
Ein Mann um die vierzig, der bisher in einer Börsenzeitung gelesen hatte, schaute ihr interessiert nach. Dieser Käfer im Paris-Hilton-Look war ganz nach seinem Geschmack. Ob er es mal versuchen sollte? Ein kurzer Wink, schon kam einer der Kellner und nahm die Bestellung entgegen. »Zwei Gläser Champagner. Das zweite für die junge Dame dort im türkisfarbenen Bikini.«
»Sehr wohl.« Der Kellner zog sich mit einer knappen Verbeugung zurück, wobei er sich ein Grinsen verkniff. Wenn der wohlsituierte Engländer wüsste, dass das die Freundin des Chefs war …
Ellen nahm das eisgekühlte Glas entgegen, hob es in Richtung ihres Bewunderers. Dann vertiefte sie sich gleich in ein Modejournal. Sollte der Kerl sich nur nichts einbilden! Und sie nur ja nicht ansprechen!
An Lesen war nicht zu denken. Ellen behielt den Eingang so gut es ging im Auge. Wie viel Zeit ließ sich Markus denn noch?
Ihr Stimmungsbarometer hatte so langsam das Niveau des Nordpolklimas erreicht.
»Geht’s Ihnen wirklich wieder gut?« Besorgt sah Markus Berger die junge Frau an, die neben ihm im Wagen saß. Noch immer wirkte sie ein wenig mitgenommen.
»Danke, es ist alles wieder in Ordnung.« Janine lächelte ihm zu. »Danke für Ihre schnelle Hilfe. Ich hab wirklich gedacht, ich würde im nächsten Moment ersticken.«
»Es war ja auch knapp.« Er legte kurz die Hand auf ihren Arm – wobei ihn ein kleiner Schauer erfasste. »Sie sollten sich unbedingt noch ein wenig ausruhen. Vielleicht auch einen späteren Flug zurück nehmen.«
Reizvoll, dieser Gedanke! Er stellte sich vor, wie er sich um sie kümmern, ihr die Gegend zeigen, eventuell abends mit ihr ein Glas Wein auf seiner privaten Terrasse trinken würde … Verrückt, so etwas hatte er noch nie mit einem Gast getan!
Das hätte was – dachte auch Janine. Dieser Mann war wirklich ein Traumtyp. Aber an einem flüchtigen Flirt war sie nicht interessiert. Und Männer wie Markus Berger, umgeben von der Aura eines Playboys, hatten sicher nichts anderes im Sinn.
Schade eigentlich …
»Mir geht’s doch wieder gut. Schade nur, dass ich so gar nicht mehr in den Genuss der Badelandschaft Ihres Hotels gekommen bin. Sie ist beeindruckend und gefällt sicher vielen meiner Kunden.«
»Freut mich, dass es Ihnen gefällt. Umso mehr sollten Sie überlegen, ob Sie nicht noch bleiben wollen.«
Aber Janine schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Aber – vielleicht komme ich noch mal wieder. Zu einem privaten Urlaub.«
Sein Blick tauchte tief in ihren. »Das würde mich freuen. Sehr sogar.«
»Achtung!« Janines Schrei ließ ihn zusammenzucken.
»Das Huhn … Sie hätten es fast überfahren.«
Er grinste. »Dann hätte ich einen Riesenärger mit Evita bekommen. Sie leitet die Patisserie im Hotel und besteht darauf, nur die Eier von ihren eigenen Hühnern zu verwenden.«
»Dann sollten Sie vorsichtiger sein.«
»Das fällt schwer – in Ihrer Nähe.«
Hoppla! Janine warf ihm einen schnellen Blick zu. Markus Berger versuchte ja wirklich einen heißen Flirt! Sie zog es vor, nicht darauf einzugehen. Irgendwelchen Herzenstrouble konnte sie gar nicht brauchen. Und morgen um diese Zeit wäre sie bereits wieder daheim und der Mallorca-Trip Vergangenheit.
»So, da wären wir.« Mit Schwung fuhr er vor dem Haupteingang vor, sprang aus dem Wagen und hielt Janine die Hand entgegen. »Stützen Sie sich ruhig auf mich.«
»Ach was!« Sie lachte leise auf. »Mir geht’s schon wieder gut. Danke nochmals.«
»Wir sehen uns später!« Er blieb am Wagen stehen, sah ihr nach, wie sie in die Hotelhalle ging. Bezaubernd war sie. Ihre Figur war perfekt, das sah er trotz der weiten Tunika, die sie über der hellen Leinenhose trug. Hatte sie eigentlich blaue oder grüne Augen? Das musste er noch herausfinden …
»Markus!« Eine helle Stimme, die ihn ziemlich unsanft aus seinen Gedanken riss.
»Ellen! Was machst du denn hier?«
»Das ist ja eine höchst charmante Begrüßung!« Ellen zog einen Schmollmund – mehrfach vor dem Spiegel eingeübt und auch schon auf seine Wirkung hin getestet. »Ich hatte Sehnsucht nach dir.«
»Wolltest du nicht mit deinem Vater nach Venedig fliegen?«
»Nach Venedig muss er wegen irgendwelcher Geschäfte. Ich wollte dann weiter nach Mailand. Zum Shoppen. Aber Paps ist was dazwischengekommen. Und so bin ich eben noch eine Weile hiergeblieben.« Die Familie van Ehrens besaß in Port d’ Andratx eine Ferienvilla, die vor allem von Ellen und ihren Freunden frequentiert wurde. Ihr Vater nahm sich kaum einmal die Zeit, auszuspannen. Gerade war er für vier Tage auf der Insel gewesen, doch schon musste er weiter. Er war der typische Workaholic.
Auch Markus arbeitete viel und mit Engagement. Aber er vergaß darüber nicht zu leben. Und zu genießen!
Immer wieder wurde er mit schönen Frauen gesehen – was ihm rasch den Ruf eingetragen hatte, ein Playboy zu sein. Was Markus, danach gefragt, vehement bestritten hätte. Natürlich gefielen ihm viele Frauen. Vor allem die kleinen, zierlichen Schwarzhaarigen hatten es ihm angetan. Sie weckten seinen Beschützerinstinkt.
Dass er eine intensivere Beziehung zu Ellen entwickelt hatte, lag an der Hartnäckigkeit der jungen Frau. Sie wusste sich immer wieder in Erinnerung zu bringen – und Markus zu betören. Da störte es nicht, dass sie blond war …
»Willst du mich nicht endlich richtig begrüßen?« Sie trat dicht auf ihn zu, hob sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leidenschaftlich.
»Nicht hier«, wehrte er ab.
Ellen lachte kehlig. »Warum denn nicht? Seit wann bist du prüde?«
Seit ich diese bezaubernde Janine Rehberger hier im Hotel wohnen habe, schoss es Markus durch den Kopf. Doch davon ließ er nichts verlauten. Er warf dem Pagen, der gerade vorüberging, die Wagenschlüssel zu, nahm Ellens Arm und führte sie ins Haus. »Magst du einen Drink?«
»Immer.« Sie lachte. »Bei der Hitze ist Champagner noch das beste Abkühlungsmittel.« Fest schmiegte sie sich an ihn. »Ich wüsste aber noch was … ein Bad in deinem Privatpool.« Damit spielte sie auf die Luxusbadewanne an, die zu Markus’ Bad gehörte. Roter Marmor, eine Seite ganz verspiegelt, war das Bad der totale Luxus.
Der Mann lachte. »Du bist eine Hexe. Aber daraus wird heute nichts. Ich hab jede Menge Gäste, um die ich mich intensiv kümmern muss – Reisebürobesitzer aus Deutschland, die sicher eine interessante, lukrative Klientel zu bieten haben.«
»Gehört diese Wespentante auch dazu?«
»Ja«, erwiderte er arglos.
»Na dann … Viel Spaß!« Sie drehte sich wieder um.
»Und was ist mit dem Champagner?«
»Trink ihn allein. Oder mit dieser Reisetussi.« Ellen wusste, dass sie gerade einen Fehler machte – aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. Wie eine Flamme schoss die Eifersucht in ihr hoch, und da vergaß sie mal wieder jede Zurückhaltung. Dabei wusste sie doch schon, dass sie Markus auf diese Weise nicht an sich binden konnte.
Auch jetzt gab er sich ganz lässig. »Na gut, dann ruf mich an, wenn du Zeit hast. Mich entschuldige – ich hab zu tun.«
Und schon war er fort, noch ehe sie ihren »Abgang« inszenieren konnte.
»Hey, Janine, aufwachen!« Marion sah mit wissendem Grinsen zu der Freundin hinüber, die hinter ihrem Computer saß und gedankenverloren Löcher in die Luft starrte.
»Was ist denn?«
»Nichts. Ich wollte dir nur klarmachen, dass wir uns auf der Erde befinden – und gleich Familie Schmitter kommt, um den jährlichen Urlaub auf Teneriffa zu buchen. Wie du weißt, wollen die Herrschaften nur von der Chefin bedient werden – und das bist nun mal du.«
»Die Schmitters … ja, ich hab schon alles vorbereitet.« Wie erwachend strich sich Janine über die Stirn.
»Sag mal, wovon träumst du eigentlich nachts?«, wollte Marion mit todernstem Gesicht wissen.
»Nachts? Wieso?«
»Na ja, wenn du schon in deinen Tagträumen auf Mallorca bist, möchte ich nicht wissen, wer oder was in der Nacht durch deine Träume geistert. Sag doch endlich: Was ist passiert auf deiner Expediententour?«
»Gar nichts.« Diese Antwort kam viel zu gleichmütig über Janines Lippen, als dass sie glaubwürdig hätte sein können.
Woraufhin Marion prompt konterte: »Kennen wir uns seit gestern oder schon fast ein ganzes Leben lang? Willst du mir wirklich weismachen, dass nichts passiert ist?«
»Es ist nichts passiert. Wenn man von diesem vertrackten Wespenstich absieht.«
Gleich wurde die Freundin ernst. »Das hätte verdammt übel ausgehen können. Geh nur ja zu deinem Hausarzt und lass dich mit entsprechenden Medikamenten ausstatten.« Ein kurzer Blick, dann die Frage: »Ist es dieser Hotelier?«
»Was meinst du?« Janine wurde rot – und atmete im nächsten Moment erleichtert auf, als Familie Schmitter erschien, um den Jahresurlaub zu buchen.
Dann ging es plötzlich Schlag auf Schlag, die Kunden gaben sich die Klinke in die Hand – etwa drei Wochen lang. Dann, wie abgeschnitten, kam kaum jemand ins Geschäft. Janine hatte mehr Zeit, um auszureiten – was Dr. Bergstaller freute, der im Gegensatz zu ihr viel zu tun hatte. Eine Grippewelle grassierte und ließ seine Praxis aus allen Nähten platzen. So war er froh, dass Janine sich intensiver um sein Pferd kümmern konnte.
Eines Morgens, die beiden Freundinnen hatten neue Kataloge in die Regale eingeräumt, die Dekoration aufgepeppt und Unterlagen für den Steuerberater aktualisiert, seufzte Janine: »Wenn sich nicht bald was ändert, dreh ich noch durch. So viel Langeweile hab ich schon ewig nicht mehr gehabt. Wohin wandern die Kunden ab?«
Marion lachte. »Das ist die ganz normale Sauregurkenzeit, die kennen wir doch. Reg dich nicht auf, die Finanzdecke ist dick genug, wir werden eine kleine Durststrecke leicht überstehen.«
»Optimistin«, murmelte Janine daraufhin nur.
»Du solltest die Gelegenheit nutzen und Urlaub machen«, riet Marion. »In vier Wochen bin ich weg, du weißt ja, die Info nach Hawaii.« Ein Lächeln ging über ihr Gesicht. »Ich könnte dich heute noch knutschen, dass du mir den Trip überlassen hast.«
»Da war ich schließlich schon mal. Und du hast es dir verdient.«
»Du bist wirklich die beste Freundin der Welt. Also, ich würd mich gern revanchieren und hier vorher die Stellung halten. Was meinst du?«
Der Gedanke war viel zu verlockend, um ihn nicht weiterzuspinnen. Und so kam es, dass Janine schon am nächsten Tag einen Kurztrip auf die Insel buchte. Und natürlich wohnte sie in der »Villa Cloud Seven«.
»Hallo, Janine!« Bert Schraders Stimme hallte weithin hörbar über den Hof. Er führte seinen Apfelschimmel am Halfter, wollte wohl hinüber zu den Weiden.
Gerade war Janine vorgefahren. Heute war ein wunderschöner, sonniger Tag gewesen, der Abend würde mild sein – ideales Wetter für einen Ausritt! Ihr Pferd würde sich bestimmt auch freuen, sich mal wieder richtig verausgaben zu können.
»Grüß dich, Bert!« Sie nickte dem Mann kurz zu.
»Du willst noch ausreiten?«
»Sicher doch. Wirbelwind freut sich bestimmt auf einen ausgedehnten Galopp.« Sie lachte. »Und mir tut es auch gut, ausgiebig frische Luft zu atmen. Die letzten Tage waren ziemlich stressig.«
»Schade, dass ich schon mein Pensum hinter mir habe. Aber … ich geb gleich meinen Einstand im Reiterstübchen. Du bist herzlich eingeladen.«
»Danke, ich komme dann später.« Sie verschwand schnell im Stall – irgendwie wurde sie mit Bert Schrader einfach nicht warm. Er gab sich stets höflich, war ein guter Reiter, der auch sein Pferd optimal versorgte. Und doch … irgendetwas störte Janine an ihm. Ohne dass sie einen konkreten Grund für ihre Abneigung hätte nennen können.
Wenig später, auf einem langen Ausritt, verflogen alle kritischen Überlegungen. Sie genoss den scharfen Galopp, dann den gemächlichen Trab durch den Wald. Wirbelwind spitzte die Ohren, nicht das geringste Geräusch schien ihm zu entgehen. Aber er blieb trittsicher und ruhig.
Nach gut zwei Stunden kehrten die beiden zum Stall zurück, und schon von Weitem hörte Janine das ausgelassene Lachen der anderen aus dem Reiterstübchen herüberschallen.
Doch zunächst versorgte sie ihr Pferd, machte sich kurz frisch und ging dann in das kleine, gemütlich eingerichtete Eckzimmer am Ende des Gebäudes. Es gab eine alte Holztheke, ein paar Tische und Stühle und in der Ecke eine offene Grillecke. Von dort kam der verführerische Duft frisch gegrillter Koteletts.
Gleich daneben waren diverse Salate, eine Schale mit Shrimps und eine Käseplatte angerichtet. Bert hatte sich nicht lumpen lassen!
»Greif zu, es ist genug da!« Er hielt Janine ein gefülltes Sektglas entgegen. »Auf gute Reiterkameradschaft«, sagte er und zwinkerte ihr dabei vieldeutig zu.
Sie nahm das Glas, trank, ersparte sich aber eine Erwiderung. Was wollte er mit seinen plumpen Anspielungen bezwecken? Wenn das seine Art war, einen Flirt zu beginnen, dann danke dafür. Die Bemühungen konnte er sich zumindest bei ihr sparen!
Sie aß ein paar Happen, trank das Glas Sekt aus und wollte sich nach einer halben Stunde verabschieden. Das aber ließ Bert nicht zu. »Aber du kannst doch jetzt nicht schon gehen! Es ist noch so viel zu trinken da! Und Klaus macht Musik – hey, Klaus, leg endlich ein paar gescheite Scheiben auf!«
Der hoch gewachsene Stallbursche lachte, und schon in der nächsten Minute dröhnte Discosound durch den Raum. Ohne zu fragen, griff Bert nach Janine und begann zu tanzen.
Einem ersten Impuls folgend wollte sie sich losreißen, dann aber passte sie sich dem Rhythmus an. »Na, also! Bist ja doch nicht so verkrampft, wie ich erst dachte!« Bert war bester Laune, er gab sich ausgelassen, laut und selbstbewusst.
Zu selbstbewusst für Janines Geschmack.
Endlich konnte sie sich davonstehlen. Aber kaum an ihrem Auto angelangt, war Bert wieder bei ihr.
»Was soll das?« Seine Stimme klang hart. »Wieso brüskierst du mich so? Bin ich dir nicht gut genug? Suchst du was Besseres?« Und ehe sie sich versah, hatte er sie an sich gerissen und versuchte sie zu küssen.
»Lass mich los! Bert – hör auf mit dem Blödsinn!« Sie schob es dem Alkohol zu, dem er wohl reichlich zugesprochen hatte, dass er für einen Moment die Kontrolle über sich verlor.
»Zicke!« Sein Mund gab den ihren endlich frei – um sie im nächsten Moment so brutal zu küssen, dass ihre Lippe aufsprang und sie leichten Blutgeschmack spürte. »Wir sehen uns noch.« Damit stieß er sie von sich und stampfte zurück ins Reiterstübchen.
Irritiert, verstört und mit Tränen in den Augen sah Janine sich um. Kein Mensch zu sehen! Alle vergnügten sich. Und sie hatte keinen Zeugen für diesen gemeinen Übergriff. Sie hob die Hand und wischte sich über den Mund – als könnte sie die Berührung von Berts Lippen auf diese Weise auslöschen.
»Mistkerl«, murmelte sie vor sich hin, während sie endlich in ihren Wagen stieg. »Was bildet der sich nur ein?«
Sie nahm sich vor, mit dem Stallbesitzer zu reden. Noch einmal würde sie sich ein solches Benehmen nicht gefallen lassen!
In der Nacht schlief sie schlecht. Sie sah sich auf Mallorca, in einem weißen Brautkleid ging sie auf das große Portal der Kathedrale in Palma zu. Und da stand, ein öliges Lächeln im Gesicht – Bert. Schon wollte sie davonlaufen, da trat ihr jemand entgegen, riss ihr den Schleier fort und wies auf ein schwarzes Pferd, das gesattelt auf dem Vorplatz stand – das Pferd sah aus wie ihr Wirbelwind, und der Mann, der ihr den Schleier vom Kopf gezogen hatte, hatte die Züge von Markus Berger …
Sie wachte schweißgebadet auf. Die Zunge klebte am Gaumen, die Oberlippe schmerzte immer noch.
Mühsam stand Janine auf. Ein Blick aus dem Fenster – Regen. Wie passend zu ihrer Stimmung! Erst nach drei Tassen Kaffee ging es ihr besser. Und als sie im Büro auf den Kalender schaute und feststellte, dass es nur noch wenige Tage bis zu ihrer kurzen Reise nach Mallorca waren, war die miese Laune schlagartig verschwunden.
Stattdessen begann ihr Herz einen Schlag schneller zu schlagen. Hatte das etwas mit der heimlichen Vorfreude auf ein Wiedersehen mit Markus Berger zu tun?
Nur nicht drüber nachdenken! Das war viel zu gefährlich!
Andererseits – immer, wenn sie an den charmanten Hotelchef dachte, begannen die berühmten Schmetterlinge in ihrem Bauch einen aufregenden Tanz …
»Geschafft für heute! Mach’s gut, Manuel.« Kerstin Ahlborn nickte ihrem Kollegen zu und verließ ihren Platz an der Rezeption. Sie durchquerte die Halle und ging den langen, etwas versteckt liegenden Gang entlang, der zum Küchentrakt führte.
Steffen war noch beschäftigt – das landesüblich späte Mittagessen zog sich bis zum Nachmittag hin.
»Noch eine halbe Stunde!«, rief er Kerstin zu.
»Gut. Ich warte in meinem Apartment.«
»Das lässt sich hören«, flachste Veronique, eine der Küchenhelferinnen. »Beeil dich, Steffen, sonst vertreibt ihr ein anderer die Zeit.«
»Los, mach ruhig Schluss. Ich übernehme für dich«, bot Werner Sichelmeier, ein gemütlicher Wiener, seinem jüngeren Chef an. Werner lebte seit zehn Jahren mit seiner Frau auf Mallorca. Er hatte erst versucht, eine Strandbar in Arenal zu führen, was aber gescheitert war. Dann hatte er sich darauf besonnen, was er konnte – kochen. Vor knapp zwei Jahren hatte er in der »Villa Cloud Seven« angefangen und fühlte sich als zweiter Mann hinter dem höchst kreativen Steffen sehr wohl.
»Aber ich kann doch nicht …«
»Doch. Du kannst. Hast ja schon seit einer halben Stunde Feierabend. Und du weißt doch – Frauen sollte man nicht warten lassen. Schöne schon gar nicht.«
»Okay, dann mach ich mich vom Acker. Bis morgen.«
»Bis morgen – und viel Spaß!«
Steffen hob kurz die Hand, dann beeilte er sich, in seine beiden Zimmer zu kommen. Schnell eine Dusche, dann rein in die Freizeitklamotten. Zum Glück hatte seine Wirtin gewaschen und gebügelt. Die hellen Jeans waren ebenso sauber wie das dunkelblaue Leinenhemd, das ihm Kerstin erst vor Kurzem geschenkt hatte.
Noch schnell eine Rose aus dem Vorgarten stibitzt – dann war er bei Kerstin!
Sie war schon fertig und ließ ihn gar nicht mehr eintreten. »Wir sind schon spät.«
»Ach was, hierfür ist es nie zu spät.« Und schon drängte er sie zurück ins Zimmer, nahm sie in die Arme und küsste sie ausgiebig.
»Hey, wenn du so weitermachst, kommen wir nicht zum Cap de Formentor.«
»Macht gar nichts! Ich finde diese Beschäftigung auch sehr anregend.« Und schon begann er wieder an ihrem Ohrläppchen zu knabbern, während seine Hände versuchten, unter das Seidentop zu fassen.
»Nichts da! Wir machen einen Ausflug!« Kerstin schob ihn energisch von sich. »Im Norden waren wir schon lange nicht mehr.«
»Du bist herzlos.«
»Und du hast nur Sex im Kopf.«
»Stimmt doch gar nicht! Ich bin nur verrückt nach dir.« Er grinste jungenhaft. »Schade, dass du anscheinend gar nicht mehr verrückt nach mir bist.«
»Sag mal, leidest du neuerdings an Einbildungen?«
Er sah sie betont unschuldig an. »Nein, absolut nicht. Aber – ich denke, ich hätte eine Belohnung der Extraklasse verdient. Schließlich kriege ich in wenigen Tagen meinen ersten Michelin-Stern!«
»Was sagst du da?« Kerstin sah ihn aus großen Augen an. »Das ist ja … und das sagst du so einfach … Mir fehlen die Worte!«
»Dass ich das noch erleben darf!« Er lachte übermütig und nahm sie wieder in den Arm. »Ich weiß es erst seit heute Morgen. Und hab noch niemandem was gesagt. Markus will auch bis morgen dichthalten. Dann gibt’s eine riesige Küchenparty. Aber heute … heute will ich nur mit dir feiern.«
Nein, zum Cap de Formentor kamen sie nicht mehr, denn jetzt hatte auch Kerstin das Bedürfnis, mit Steffen allein zu sein. Sie liebten sich leidenschaftlich, tranken Champagner im Bett … und es war verflixt aufregend, als Steffen ein paar Tropfen über ihren Körper schüttete und dann genießerisch die kleinen Rinnsale mit seiner Zunge aufnahm …
»Das kitzelt!«
»Was du nicht sagst. Ist das alles?« Er hob kurz den Kopf, dann begann seine Zunge ihr erregendes Spiel aufs Neue – und noch viel, viel intensiver.
Die Hotelgäste machten sich schon fürs Abendessen auf der Terrasse fertig, als die beiden Verliebten endlich Kerstins Apartment verließen.
»Und jetzt? Wo feiern wir?«, wollte Kerstin wissen. »Im ›Phönix‹. Bis Paguera ist es nicht allzu weit. Wir könnten noch zum Strand, wenn du willst. Oder ins ›Villamil‹ an die Bar …«
»Mir wär’s lieb, wir gingen essen, dann laufen wir ein bisschen am Wasser entlang, dann …«
»… dann kommen wir hierher zurück«, grinste Steffen.
»Wenn du so deinen Stern feiern willst …«
»Ich finde, es gibt keine schönere Möglichkeit.«
»Lustmolch!«
»Das musst du gerade sagen! Wer kriegt denn nie genug?«
»Was?« Mit blitzenden Augen sah sie ihn an. »Stell mich jetzt nur nicht als Vamp hin. Du hattest vorhin doch nicht sofort losfahren wollen.«
»Wenn du auch so süß aussiehst …« Er zwinkerte ihr zu. »Ich liebe dich, weißt du das?«
»Hmm … sag’s noch mal. Es klingt so schön romantisch.«
»Ich liebe dich. Aber jetzt hab ich Hunger. Komm, wir nehmen ein Taxi. Dann kann ich ausgiebig feiern.«
Kerstin lachte. »Hast du doch schon!«
»Nicht genug. Weder mit Schampus noch mit dir.«
»Steffen, der Unersättliche!« Kerstin lachte. Sie war glücklich. Sehr, sehr glücklich. Steffen bildete ein perfektes Gegenstück zu ihr. Er war erfolgsorientiert wie sie, sah seine Karriere aber nicht verbissen – was bestimmt einen Teil des Erfolgs ausmachte. Erzwingen konnte man schließlich nichts, sondern musste mit Spaß arbeiten. Dann stellte sich der Lohn von allein ein.
Im Wagen lehnte sie den Kopf an seine Schulter, schloss die Augen – und wurde erst nach zwanzig Minuten wieder wach.
»Das hab ich gern: schläfst in meiner aufregenden Nähe einfach ein.«
»Du bist eben anstrengend. Da muss ich jede Minute der Entspannung nutzen.«
»Warte, ich werd mich rächen.«
»Aber erst nach dem Essen!«
»Meinetwegen.« Er legte den Arm um ihre Schultern, und so gingen sie auf das kleine, exklusive Lokal zu.
Der Wirt persönlich servierte ein Festmahl. Dazu gab’s hervorragenden Wein, hinterher noch einen weichen spanischen Cognac zum Kaffee.
»Himmel, ich fühl mich wie genudelt!«
»Dann machen wir jetzt einen Strandspaziergang. Schräg gegenüber ist ein kleiner Pfad, der direkt zum Wasser führt.«
»Woher weißt du das denn? Mit wem warst du schon hier?« Aus zusammengekniffenen Augen sah Kerstin ihren Steffen an.
Der lachte nur. »Mit tausend schönen Frauen. Was dachtest du denn?«
»Wag es nicht!« Sie hob die Hand, die er ergriff und mit zarten Küssen bedeckte.
Die Rechnung war rasch beglichen, dann schlenderten sie eng umschlungen zum Wasser. Kaum jemand war zu sehen, die Touristen waren wohl schon alle in ihren Hotels, die Einheimischen, die meist erst spät zum Strand gingen, hatten sich auch schon zurückgezogen.
Kerstin zog ihre Schuhe aus, legte sie auf ein umgekipptes Ruderboot. Steffen tat es ihr nach. »Hoffentlich finden die keinen Liebhaber«, meinte er.
»Ach was. Es ist weit und breit niemand zu sehen. Außerdem gehen wir ja nicht lange.«
Das Wasser war noch warm, umspielte ihre Füße, die Sonne schickte die letzten Strahlen durch eine schon rote Wolkendecke. »Gleich ist sie im Meer versunken«, sagte Kerstin und blickte zum Horizont. »So ein Sonnenuntergang ist immer wieder ein herrliches Schauspiel.«
»Und dann ist es mit einem Schlag dunkel«, murmelte Steffen. Er drehte Kerstins Kopf zu sich, sah ihr in die Augen und küsste sie leidenschaftlich. »Ich will dich«, flüsterte er dicht an ihren Lippen.
»Hier?« Ein leises Lachen stieg in ihrer Kehle auf. Der Wein, von dem sie heute mehr als üblich getrunken hatte, machte sich bemerkbar.
»Hmm … komm mit.« Steffen zog sie in den Schutz einer kleinen Strandbar, die jetzt bereits abgeschlossen war.
»Nicht doch … Steffen, du bist verrückt!«
»Verrückt nach dir.« Er drückte sie an die warme Holzwand. Seine Hände umspannten ihre Schultern, glitten tiefer. Seine Lippen spielten erst mit ihrem linken Ohrläppchen, setzten dann ihre Wanderung fort bis zu der Stelle in der Halsbeuge, die Kerstin immer als »meinen supererotischen Punkt« bezeichnete.
Sie schloss die Augen, gab sich für eine Weile Steffens Zärtlichkeiten hin. Dann aber, als sie von der Strandpromenade her Stimmen hörte, zerstob der Rausch.
»Nicht, Steffen, das geht einfach nicht.«
»Schade.« Er grinste schalkhaft. »Ich hätte dich so gerne mal im weichen, warmen Sand geliebt …«
»Kannst du doch haben.« Sie lachte. »Wir fahren ein Stück in Richtung Norden, da gibt es ein paar kleine Buchten … da sind wir allein.«
»Ich kann nicht mehr fahren. Zu viel Wein.«
Kerstin zog ihn mit sich. »Dann nehmen wir uns ein Taxi.«
»Hallo, Weib, was ist denn mit dir los? So kenn ich dich ja gar nicht – willst du mich wirklich verführen?«
»Ich dich? Das sah aber eben ganz anders aus. Ich möchte nur nicht, dass du vielleicht frustriert bist.« In ihren schönen Augen blitzte der Schalk. Aber Steffen sah auch die kleine Ader an ihrer Schläfe, die aufgeregt pochte und ihre Erregung verriet.
»Dann komm!« Lachend liefen sie hoch zur Straße, winkten eine der Taxen herbei, die laufend vorüberfuhren.
Eine Viertelstunde später hielt der Wagen an einer einsamen Bucht. Der Blick zum Strand wurde von einem kleinen Kiefernwald versperrt.
Steffen bat den Fahrer, sie in einer guten Stunde wieder abzuholen. Ein Trinkgeld vorab, das der ältere Mann sich mit einem kleinen Grinsen einsteckte, dann versicherte er: »Kein Problem. Ich werde hier sein. Viel Spaß!«
»Danke!« Steffen hob lachend die Hand, während Kerstin sich verlegen abwandte.
»Was mag er jetzt wohl denken?«
»Na, was wohl? Dass wir allein sein wollen. Sicher ist es ihm vor einigen Jahren auch noch so gegangen. – Komm, wer zuerst am Wasser ist!«
Hand in Hand liefen sie los – bis das warme Wasser ihre Füße umspielte. Und dann ließen sie sich einfach hineinfallen in die Wellen, die sacht auf den Sandstrand aufliefen. Lachend, prustend schwammen sie ein Stück – um sich dann etwas weiter draußen wieder leidenschaftlich zu küssen.
Erst als sie kaum noch Luft bekam, beugte sich Kerstin zurück. »Wir sind klatschnass …«
»Kein Wunder, wir schwimmen gerade im Meer«, grinste Steffen.
»Aber die Klamotten …«
»Tja, das kommt davon, wenn man so ungehemmt ist wie du.« Er bekam Grund unter die Füße, hob Kerstin hoch und trug sie zum Strand. »Ist doch egal, das trocknet rasch wieder.« Sanft ließ er sie zu Boden gleiten, und dann hatte sie einfach keine Zeit mehr, um über so unwichtige Dinge wie nasse Kleidung nachzudenken …
Wie oft war ich eigentlich schon auf Mallorca, fragte sich Janine, als sie mit ihrem Leihwagen vom Flughafen in Richtung Nordosten fuhr. Ich kenne viele der hundertachtzig Strände der Insel, ich hab unzählige Hotels gesehen, eingestuft und ausgelotet, was für meine Kunden wohl am besten wäre. Aber jetzt … jetzt bin ich mal ganz privat unterwegs. Und ich fahre nicht in ein lautes Strandhotel mit unzähligen Pauschaltouristen, sondern – in den siebten Himmel!
Ihr Herz begann rascher zu klopfen, als sie sich vorstellte, schon bald Markus Berger wiederzusehen. Der Hotelchef geisterte immer wieder durch ihre Gedanken. Im Traum sah sie sein gut geschnittenes Gesicht mit den dunklen Haaren, von denen ihm oft ein, zwei Strähnen in die Stirn fielen. Das verlieh ihm ein jungenhaftes Aussehen.
Und dann seine Augen … noch immer fühlte sie seinen intensiven Blick auf ihrer Haut.
Schon lag das ehemalige Gutshaus vor ihr! Der kleine Hügel, zum Teil mit Wein bewachsen und von einem kleinen Palmenhain umgeben, wurde von der hellen Morgensonne beschienen. Der alte Teil mit den alten Bruchsteinen schimmerte warm, vom neuen Trakt her, in dem die großzügigen Wellness-Anlagen untergebracht waren, grüßten die Bougainvillea- und Hibiskusbüsche.
Auf der Ostterrasse saßen noch ein paar Gäste und nahmen ein verspätetes Frühstück ein, ein Kleinwagen brachte Golfer zum nahe gelegenen Golfplatz.
Janine lenkte den Wagen vor den Eingang, wo gleich ein Page auf sie zukam und ihr beim Auspacken behilflich war. Er kümmerte sich auch um das Auto, so dass sie gleich einchecken konnte.
Und da war er schon – Markus Berger kam mit strahlendem Lächeln auf sie zu. »Wie schön, dass Sie uns ganz privat besuchen.« Der warme Klang seiner Stimme, deren zärtliches Timbre sie ganz genau vernahm, ging ihr unter die Haut – was sie ebenso irritierte wie freute.
»Ich freu mich auch auf eine Woche Nichtstun«, gab Janine zurück. »Und ich bin sicher, dass ich hier perfekt ausspannen kann.«
»Dafür würde ich gern persönlich sorgen.« Er winkte einem Pagen und gab den Auftrag, sich ums Gepäck zu kümmern. »Darf ich Sie gleich zu einem Begrüßungsdrink einladen?«
»Warum nicht?« Janine folgte ihm nach draußen in den Gartenteil, in dem man abends gemütlich sitzen konnte. Bequeme Rattansessel waren einladend um kleine Tische herum gruppiert. Hier war es noch schattig, aber schon angenehm warm.
»Sicher kennen Sie Mallorca schon recht gut«, begann Markus eine Konversation. »Darf ich mich trotzdem anbieten, Ihnen ein paar schöne Fleckchen zu zeigen, die Sie vielleicht noch nicht kennen? Ich … ich hab mir da schon was ausgedacht. Und einen ganz besonderen Trip hab ich vorsorglich bereits gebucht, ehrlich gesagt.«
»Wieso waren Sie sicher, dass ich zustimmen würde?«
»Ich hab’s einfach gehofft, Janine. Ich …« Er brach ab, denn in diesem Moment kam Ellen van Ehrens aus dem Haus.
»Da bist du, Schatz! Ich such dich schon überall!« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn ungeniert – was Markus mit einem unwilligen Stirnrunzeln quittierte. Ellen ignorierte es geflissentlich. Mit sicherem Instinkt spürte sie, dass hier eine Rivalin saß. Und da galt es, gleich klare Fronten zu schaffen! Sollte sich die blonde Deutsche gar nicht erst einbilden, dass sie Markus erobern könnte!
Für Janine war dieser Auftritt höchst ernüchternd. Dumme Kuh, schalt sie sich. Wie hast du auch nur für einen Moment annehmen können, ein solcher Mann wäre nicht in festen Händen!
Schon bei ihrem ersten Besuch hatte sie Ellen gesehen, und jetzt stand fest, dass sie und der attraktive Hotelchef ein Paar waren.
»Ich möchte Sie nicht aufhalten«, sagte sie – erleichtert darüber, dass sie ein höfliches, unverbindliches Lächeln zustande brachte. »Ich werde mich ein bisschen einrichten und dann den ersten Tag am Pool verbringen.«
»Aber ich bitte Sie – das hat doch noch Zeit.« Markus wollte Janine spontan am Arm festhalten, aber da war schon Ellen neben ihm und hängte sich fest bei ihm ein.
»Wir sehen uns.« Janine hob lässig die Hand und verließ die Terrasse.
»Was sollte das? Was fällt dir ein?« Wütend sah Markus die schöne Holländerin an. »Frau Rehberger ist ein Gast! Sie hat Anspruch darauf, höflich willkommen geheißen zu werden!«
»Aber sie hat keinen Anspruch auf deine Sonderbetreuung!« Ellens Augen schossen Blitze. »Du, reiz mich nicht! Ich werde nicht …«
»Und ich werde nicht zulassen, dass du dich hier so aufführst«, fiel Markus ihr wütend ins Wort. »Wir sind befreundet, Ellen, das heißt aber nicht, dass ich dein Eigentum bin und immerzu nach deiner Pfeife tanze. Und jetzt entschuldige mich – ich habe Pflichten.«
Ohne sie weiter zu beachten, ließ er Ellen stehen und ging ins Haus. So ein unglücklicher Zufall aber auch! Musste seine Freundin gerade jetzt auftauchen?
Bist doch selbst schuld, warf er sich vor. Du bist voll auf sie abgefahren, als du sie zum ersten Mal gesehen hast – und hast dich von ihr einwickeln lassen. Und das dir, dem seine Freiheit immer über alles gegangen war! Das hast du jetzt davon!
Sie hat Klasse, sagte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Und sie ist ebenso scharf wie besitzergreifend. Das alles hat dir doch gefallen.
Markus Berger, weitgereist und bisher vom Leben verwöhnt, genoss den Ruf, ein Playboy zu sein. Allerdings wurde diese Zuschreibung stets mit einem gewissen Respekt genannt, denn außer dass er schöne Frauen liebte, wusste man von ihm auch, dass er ein Perfektionist und besessener Arbeiter war. Nicht umsonst hatte sein Hotel sich innerhalb kürzester Zeit einen exzellenten Ruf erworben. Das war nur durch harte Arbeit gelungen.
Diese konzentrierte Arbeit war es, die ihn auch jetzt wieder ablenkte. Zumindest für eine Weile. Als Janine Rehberger aber gerade in einem türkisfarbenen Strandkleid zum Whirlpool hinüberging, beschäftigte er sich wieder viel zu ausführlich mit der schönen Blondine.
Janine ihrerseits fand den Sonnentag auf einmal gar nicht mehr so hell und schön. Das Hotel hatte von einer Sekunde zur anderen viel von seinem Charme eingebüßt – und die »Wolke Sieben« wirkte auf einmal grau und trist.
Du bist verrückt, schalt sie sich. Kennst diesen Mann doch gar nicht richtig. Ein paar flüchtige Begegnungen, ein paar Höflichkeitsfloskeln … Du bist schließlich eine Geschäftspartnerin für ihn, da muss er einfach liebenswürdig sein … Bilde dir also bloß keine Schwachheiten ein!
Ein junger Schotte, der mit seiner Großmutter hier Urlaub machte, lenkte sie schließlich ab. Ian Hardwich war blond, gut gebaut, sportlich – und rührend um die alte Dame besorgt, die im Schatten eines kleinen Pavillons ruhte und ihm immer wieder stolz zulächelte.
»Sie würde so gern auch schwimmen kommen, aber sie traut sich nicht mehr«, sagte er zu Janine, als sie beide wie zufällig zu der alten Dame hinüberschauten.
»Warum nicht? Das Wasser ist angenehm temperiert und …«
»Sie hat zwei künstliche Hüften.«
»Aber das ist doch kein Problem! Ich helfe auch gern«, bot Janine spontan an.
Aber erst einmal lud Ian sie und seine Grandma zu einem Espresso ein. Janine erfuhr, dass Rebecca Hardwich einst eine bekannte Theaterschauspielerin gewesen war, die einen Stahlfabrikanten geheiratet hatte.
»Ian leitet die Firma, und er macht es ganz fantastisch«, erzählte sie. »Aber einmal im Jahr nimmt er sich Zeit, um mit mir auf Reisen zu gehen. Voriges Jahr waren wir am Lago Maggiore, davor in Nizza … kennen Sie das ›Negresco‹, meine Liebe? Ein wundervolles Hotel. Aber hier, in der ›Villa Cloud Seven‹, fühle ich mich noch viel wohler. Alles ist exklusiv, dabei doch ein wenig familiär – ohne dass man den Luxus eines Fünfsternehotels vermissen müsste. Ich bin ganz begeistert.«
»Ich auch.« Janine lächelte. »Wissen Sie, seit vielen Jahren komme ich immer wieder mal nach Mallorca – beruflich. Aber noch nie hab ich auf den Balearen ein so wunderbares Hotel gefunden.«
Interessiert hörten Rebecca und Ian zu, als Janine von ihrer Arbeit erzählte. »Ich weiß, es ist kein so verantwortungsvoller Job wie Ihrer, Ian, aber ich liebe ihn«, schloss sie.
»Das spürt man deutlich.« Der junge Schotte lächelte sie an. »Und ich finde es wunderbar, dass Sie sich so engagieren.«
»Es ist doch egal, ob man nur für ein oder zwei Menschen Verantwortung trägt oder für fünfhundert. Wichtig ist, dass man seine Sache gut macht«, fügte Rebecca Hardwich hinzu.
Die drei verbrachten noch manche Stunde zusammen, was bei den verschiedensten Leuten die verschiedensten Emotionen weckte: Janine war froh, so nette Gesellschaft gefunden zu haben. Rebecca Hardwich fand, dass diese junge Deutsche sehr gut in ihren Familienclan passen würde – schließlich konnte frisches Blut nicht schaden, und die Kriegstage waren nun auch lange vergessen –, und Ian begann heimlich davon zu träumen, wie es wohl wäre, Janine näher kennen zu lernen. Sie würde sich auf dem Landsitz, den er bewohnte, bestimmt wohl fühlen. Sie mochte Tiere – er besaß vier Reitpferde und eine kleine Schafherde, die die Grasflächen des riesigen Parks kurz hielten. Außerdem gab es noch zwei Jagdhunde, eine alte Katze, Enten auf dem Teich …
Er ertappte sich dabei, dass er sein Zuhause auf einmal wie eine Idylle aus dem Postkartenversand betrachtete. Nein, so war es nicht. Janine war zauberhaft, faszinierte ihn. Und er konnte sie sich gut als Lebenspartnerin vorstellen.
Aber auch Markus Berger dachte über diese Ferienbekanntschaft nach. Allerdings waren seine Gedanken trüb bis wütend. Was fiel diesem blonden Schotten ein, sich an Janine heranzumachen? So ein Milchbubi! Unerfahren war er bestimmt. Verklemmt. Ohne jede Leidenschaft. Was sollte Janine mit so einem? Allerdings schien er über Humor zu verfügen, denn die beiden hatten sichtlich viel Spaß zusammen. Es versetzte Markus einen Stich, wenn er sah, dass Janine und Ian zusammen lachten.
Zwei Tage und zwei Abende später, in denen er immer wieder versucht hatte, die Zusammentreffen von Janine und Ian zu stören, passte er Janine endlich mal wieder allein ab. »Sie fühlen sich wohl bei uns, hoffe ich. Haben Sie schon Anschluss gefunden?«
»Aber ja!« Unbekümmert lachte sie ihn an. »Sie haben doch sicher gesehen, dass ich oft mit der alten Schottin und ihrem Enkel zusammen bin.«
»Das … das genügt Ihnen?« Verdammt, das war eine unpassende Frage! Er murmelte schnell eine Entschuldigung.
»Warum nicht?« Janine warf die Haare mit einer für sie typischen Bewegung in den Nacken. »Rebecca ist eine reizende, sehr lebenskluge alte Dame, und Ian ist ausgesprochen süß.«
»Aha. Süß.« Das klang bitter und ironisch.
»Ja. Sehr klug, liebenswert, unterhaltsam …«
»Sie singen ja ein richtiges Loblied auf ihn.«
»Er hat’s verdient.« Ein Blick aus unergründlich tiefen Augen traf ihn. Ein Blick, der seinen Herzschlag beschleunigte.
»Janine, ich würde gern …«
»Ja?«
Himmel, wie konnte man so arrogant dreinsehen! Dabei war sie einfach wunderschön! Ihre Augen … der Mund … Markus musste schlucken.
»Ich würde Ihnen gern etwas zeigen – erinnern Sie sich, ich hatte Ihnen einen Ausflug versprochen.«
»Ach ja, stimmt. Aber haben Sie denn Zeit?« Jetzt war unverhohlener Spott in ihrem Blick. Dass sie ihn nicht unverblümt fragte, ob er keinen Ärger mit Ellen bekäme, war alles.
»Natürlich hab ich Zeit. Bestimmen Sie den Tag.«
»Morgen«, sagte sie spontan. Mal sehen, wie er darauf reagiert, dachte sie. Ob die süße Ellen mit dem Paris-Hilton-Look und dem dazu passenden Schmollmund ihm wohl so schnell freigeben würde?
»Einverstanden. Können wir schon um acht Uhr losfahren?«
»Von mir aus – kein Problem.«
»Danke. Ich freu mich jetzt schon.«
»Ich mich auch.« Ihr Lächeln war jetzt ohne Spott, von dieser Herzlichkeit, die ihn verzauberte.
An diesem Tag wunderten sich die Hotelangestellten über die gute Laune des Chefs. In den letzten beiden Tagen war er ziemlich unausstehlich gewesen – was, wie Insider vermuteten, wohl mit der kapriziösen Ellen zusammenhing, die viel zu präsent war und ganz offensichtlich die Harmonie im Haus störte.
Ian war enttäuscht, als Janine ihm erklärte, dass sie am kommenden Tag nicht im Hotel sei. »Schade. Ich hatte gedacht, wir könnten zum Golfen gehen. Sie können doch Golf spielen?«
»Ein bisschen. Mein Handicap ist schlecht, aber ich hab ja auch nur wenig Zeit für diesen Sport.« Sie lachte. »Auf dem Pferderücken fühle ich mich wohler.«
»Da kann ich nicht mithalten, tut mir leid.« Er lachte leise. »Versuchen wir es also auf dem Golfplatz.«
»Übermorgen komme ich gern mit.« Sie legte ihm kurz die Hand auf den Arm.
»Wunderbar. Ich freu mich. Aber jetzt muss ich mich entschuldigen.«
Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ging Janine zurück zum Pool, wo Ian und seine Großmutter es sich im Schatten von zwei Palmen bequem gemacht hatten. Zu gern hätte Ian gewusst, was der Hotelier von Janine gewollt hatte, aber das zu fragen verbot ihm die gute Erziehung.
In der Nacht schlief Janine ziemlich schlecht. Sie träumte wild – mal von Dietmar, der plötzlich auf Mallorca auftauchte und mit ihr eine Bootsfahrt unternehmen wollte. Dann wieder sah sie ihre Freundin Marion, die ein weißes Brautkleid trug und ihr hämisch zulachte. Dann wieder geisterten Ellen van Ehrens und Markus Berger durch ihre Träume – zwei Horrorgestalten, die ihr mit Grimassen Angst einflößten. Aber dann, gerade als sie aufschreien und davonlaufen wollte, kam jemand auf einem weißen Pferd daher, griff nach ihr, hob sie hoch … Ian? War das Ian? Und warum war sie so enttäuscht?
Sie erwachte mit Kopfschmerzen und war froh, dass es draußen noch dunkel war. Dennoch stand sie auf und trat auf den großzügigen Balkon hinaus, der zu ihrem Zimmer gehörte. Der Mond stand hoch am Himmel, beschien das Land mit silbrigem Licht.
»Vollmond. Kein Wunder, dass ich so ein irres Zeug träume«, murmelte Janine und schlang die Arme um den Körper, denn noch war es kühl. Doch im Osten begann bereits ein rosiger Schimmer aufzuziehen – und wenig später ging die Sonne auf.
Vergessen waren die Albträume der Nacht, fasziniert sah Janine diesem immer wieder mitreißenden Naturschauspiel zu.
Und dann wurde es lebhaft ringsum. Die ersten Mitarbeiter erschienen, auf der Terrasse wurde fürs Frühstück eingedeckt, ein Lieferant erschien und brachte frische Waren.
Jetzt wurde es Zeit, sich zu beeilen! Als Janine zum Frühstück kam, wartete Markus schon auf sie. »Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?«
»Gern …«
Sie aßen schweigend, beide aus einem nicht zu benennenden Grund verlegen.
»Ich bin gespannt, wohin Sie mich führen werden«, meinte Janine schließlich.
»Lassen Sie sich überraschen.« Er sah sie prüfend an. »Sie sind doch seefest?«
Kurz runzelte Janine die Stirn. »Klar doch, aber …«
»Nicht fragen. Sonst ist meine Überraschung ja keine mehr.«
»Muss ich etwas Besonderes mitnehmen oder kann ich so bleiben?« Sie trug eine weiße Leinenhose, dazu ein blauweiß geringeltes Top und darüber eine dunkelblaue Leinenbluse.
»Das ist perfekt. Vielleicht noch etwas Warmes … aber das muss nicht sein.« Er sah auf ihre Schuhe und lächelte ihr zu. »Prima, Sie haben flache Schuhe an. Wann können wir losfahren?«
Janine zuckte mit den Schultern. »In zehn Minuten an der Rezeption, einverstanden?«
»Wunderbar. Bis gleich.«
Während Janine in ihr Zimmer zurückging, um noch einen Pulli in ihre Strandtasche zu packen, führte Markus ein kurzes Telefonat. »Hast du alles vorbereitet, José? Wir sind in spätestens einer halben Stunde am Hafen.«
Die Antwort war zufriedenstellend. Markus griff nach einer leichten Windjacke, warf sie sich über die Schultern, nahm einen Picknickkorb – und die Fahrt konnte losgehen!
Es wunderte Janine nicht mehr sehr, dass sie zum Hafen fuhren. In Port de Portals lag eine schnittige Yacht auslaufbereit. José erwartete die beiden Deutschen bereits und hieß sie herzlich willkommen.
»José ist ein guter Freund von mir – und wird uns hoffentlich dorthin fahren, wo Sie sich nicht so gut auskennen wie auf Mallorca«, meinte Markus Berger.
»Und das wäre – wo?« Janine war begeistert von dem herrlichen Schiff, das keinen Luxus vermissen ließ.
»Wird noch nicht verraten.«
José zog sich zurück. »Ich muss arbeiten – viel Spaß euch beiden.«
Es waren noch zwei weitere Besatzungsmitglieder an Bord, und alle waren beschäftigt, als die Yacht auslief.
Janine und Markus standen an der Reling und sahen hinüber zum Hafen, in dem unzählige große und kleine Yachten ankerten.
»Jetzt will ich aber doch wissen, wohin ich entführt werde«, meinte Janine, als die Insel weit zurückgeblieben war.
»Angst?« Markus nahm ihre Hand.
»Ach was …«
»Dann genießen Sie den Tag. Ein Glas Champagner?« Schon hatte er Flasche und Gläser aus dem Picknickkorb gezaubert. Sie waren allein auf dem Achterdeck, weder José noch die beiden Matrosen waren zu sehen.
Es war eine total verrückte Situation, und Janine fragte sich, ob sie nicht wieder nur träumte. Da saß sie mit einem fast Fremden auf einer Yacht, trank Champagner – und wusste nicht einmal, wohin er sie brachte.
Und dennoch – sie genoss jede Minute. Markus erzählte von Land und Leuten, davon, wie er den alten Gutshof erworben und umgebaut hatte. Von seinen Freunden auf der Insel, zu denen auch José gehörte.
»Es ist riesig nett von ihm, dass er mit uns den Ausflug macht. Hoffentlich stehlen wir ihm nicht die Zeit.«
»Ach was!« Markus lachte leise. »José ist ein Lebemann. Seiner Familie gehören etliche Fabriken, er kann es sich gut gehen lassen und muss keiner geregelten Arbeit nachgehen.«
»Also noch ein Playboy«, murmelte Janine – und biss sich im nächsten Moment auf die Lippen.
Markus beugte sich vor. »Dann halten Sie mich also für einen Playboy?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Sind Sie keiner?«
»Absolut nicht. Ich arbeite hart und …«
»… und Sie haben sicher jede Menge Freundinnen. Zumindest eine kenne ich schon.« Janine hatte ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen. Und es war, so schien es, gerade der richtige Moment, um die Fronten zu klären. Markus Berger sollte sich nur nicht einbilden, dass sie ein weiteres Exemplar in seiner Sammlung wäre.
»Wie kommen Sie denn darauf?« In der Männerstimme schwang ein leichter Groll mit. »Sie kennen Ellen, okay, wir sind locker befreundet, aber sonst …«
»Mir ist es auch egal. Ich will nur nicht, dass Sie denken, ich würde … Sie könnten mich …« Verdammt, jetzt geriet sie doch tatsächlich ins Stammeln!
Markus stellte sein Glas ab, nahm auch Janine den Champagner fort – und zog sie mit einem Ruck aus dem Deckstuhl. Ganz dicht standen sie voreinander. Und dann geschah es wie von selbst …
Kein Wort mehr. Kein Gedanke an eine mögliche Freundin. Keine Bedenken, keine Zweifel mehr. Nur noch sein Mund, der ihren nicht mehr freigeben wollte. Und seine Hände, die sie festhielten. Ganz, ganz fest …
Seit Tagen lag drückende Schwüle über der Stadt, und jetzt, gegen Abend, quollen endlich Regenwolken am Himmel auf. Marion Klausner strich sich eine schwarze Ponysträhne aus der Stirn. Wie träge sich der Tag hingezogen hatte! Nur wenige Kunden waren ins Reisebüro gekommen. Es schien, als lähmte die Hitze jede Aktivität.
Als die Türglocke anschlug, erwartete Marion einmal mehr einen Kunden, der sich nur einen Katalog abholen oder eine vage Information haben wollte. Umso überraschter war sie, den Mann zu sehen, der jetzt zu ihrem Schreibtisch kam. »Doktor Bergstaller! Was führt Sie denn hierher? Sie wissen doch, dass Janine nicht da ist, oder?«
Der Chirurg, dessen Pferd Janine regelmäßig reitete, lächelte. »Klar weiß ich das. Aber ich wollte auch gar nicht zu ihr, sondern zu Ihnen.«
Eine der feinen Augenbrauen zuckte in die Höhe. »Und – warum? Möchten Sie buchen?«
»Nein.« Wieder lächelte er, und Marion gestand sich ein, dass der Arzt höchst gut aussah und sehr sexy wirkte. Wieso merkte sie das erst jetzt? Seit zwei Jahren kannten sie sich flüchtig, doch nie hatte sie irgendwelches Interesse an Oliver Bergstaller gehabt. Und umgekehrt war’s ebenso. Über vierzig war der Mann – zu alt? Nein, eigentlich nicht. Neben seinem guten Aussehen wirkte er seriös, aber absolut nicht langweilig. Seine Augen hatten einen warmen Glanz, sahen sie jetzt sehr intensiv an. Viel zu intensiv …
Marion merkte, dass in ihrem Bauch unversehens ein aufgeregter Bienenschwarm zu rumoren schien. Also, wirklich, das war ihr schon ewig nicht mehr passiert!
Ein kleiner Seufzer kam über seine Lippen. »Wie gern würde ich wegfahren. Aber das geht zurzeit gar nicht. Etliche Kollegen sind erkrankt, und in den Ferien muss ich Junggeselle natürlich den Familienvätern den Vortritt lassen und zusätzlich zu meiner Praxis auch häufiger in der Klinik präsent sein.«
Warum war er nur gekommen? Marion fuhr zusammen, als draußen am Himmel ein Blitz aufzuckte. In der nächsten Sekunde folgte ein krachender Donnerschlag.
»Ich hasse Gewitter«, gestand sie, und plötzlich klang ihre Stimme ganz dünn.
Wieder glitt ein Lächeln über Dr. Bergstallers Gesicht. Ein höchst liebevolles, zärtliches Lächeln. »Ich bin ja da«, meinte er nur. »Wollen Sie abschließen? Gleich ist sowieso Ladenschluss. Wenn wir uns beeilen, kommen wir trockenen Fußes bis zu meinem Wagen.«
»Aber …«
»Wollen Sie wirklich allein hier hocken während des Gewitters?«
»Aber …«
»Das sagten Sie schon.«
»Sie sind unmöglich, Doc.«
»Ich heiße Oliver.«
Himmel, er flirtete ja tatsächlich mit ihr! Wie kam das nur? Marion war verwirrt, aber sie schloss dann doch schnell ab, schlüpfte in eine leichte, kurzärmelige Jacke und schnappte sich die Handtasche, gerade in dem Moment, in dem es erneut aufblitzte.
Instinktiv suchte sie bei Oliver Schutz. Lächelnd legte ihr der Mann den Arm um die Schultern. »Keine Angst, ich bin ja bei dir.« Rasch führte er sie zu seinem Wagen, den er zum Glück nur wenige Meter entfernt geparkt hatte. Höflich hielt er ihr die Tür auf – Himmel, wann hatte das jemals einer für sie getan? Marion stellte fest, dass sie bisher die falschen Männer kennen gelernt hatte …
Wieder ein Blitz, ein Donner – und Olivers beruhigende Versicherung: »Jetzt sind wir ganz sicher. Du kennst doch noch das Prinzip des Faraday-Käfigs, oder?«
»Ja, ja, ich hab in Physik aufgepasst.«
»Na, also. Dann weißt du ja, dass du hier ganz sicher bist.« Seine Stimme umhüllte sie wie ein Mantel. Nun, und an den physikalischen Gesetzen, die seit rund 1830 Gültigkeit hatten, wollte sie schließlich auch nicht zweifeln, da fühlte sie sich schon sicher. Aber dieser Mann … sein Gesicht kam näher, sein Blick ließ den ihren nicht los. Nein, das war keine betuliche Sicherheit, die sie jetzt umgab. Ganz im Gegenteil, Marion hatte das Gefühl, jetzt etwas sehr, sehr Gefährliches zu erleben. Aber auch etwas Herrliches!
Draußen begann es in Strömen zu regnen, die Tropfen trommelten aufs Wagendach – für die beiden, die im Inneren des Wagens einander selbstvergessen küssten, war es wie sanfte Untermalung eines Märchenfilms.
»Das hab ich schon seit Monaten tun wollen«, meinte Oliver, als sie sich endlich voneinander lösten.
»Und – warum hast du’s nicht getan?«
»Schau mich an …« Er grinste ein wenig unsicher. »Ich bin fast zwanzig Jahre älter als du und …«
»… und du übertreibst maßlos. Es sind höchstens fünfzehn.«
»Das … das stört dich nicht?«
Marion antwortete nicht – zumindest nicht mit Worten. Ihr Kuss aber sagte genug.
»Wenn ich geahnt hätte, dass du mich auch ein bisschen magst, hätte ich dich schon viel früher eingeladen.« Mit zärtlicher Geste streichelte Oliver über Marions Wange. »Seit du Janine zum ersten Mal in den Stall begleitet hast, hab ich mich in dich verliebt. Aber du hast mich nie beachtet.«
»Du hast immer an mir vorbeigesehen!«
»Reiner Selbstschutz.«
»Das sagst du jetzt. Wahrscheinlich hattest du damals eine rassige Freundin. Oder auch zwei. Oder … eine Ehefrau?« Angst flackerte in ihren dunklen Augen auf. »Du, wenn du verheiratet sein solltest … mach dir gar keine Hoffnungen, das läuft bei mir nicht. Auf die Versprechungen eines Mannes mit Ring am Finger bin ich reingefallen, als ich gerade zwanzig war. Nie, nie wieder!«
»Aber nein, ich bin ledig. Wieder.« Ein kleiner, kaum merklicher Schatten huschte über sein Gesicht.
»Was ist passiert?«, fragte Marion leise.
»Nun, meine Frau … Sie ist bei der Geburt unseres ersten Kindes gestorben. Das Baby auch.« Er schluckte. »Aber das ist eine kleine Ewigkeit her. Seitdem gibt es für mich nur die Arbeit – und eben mein Pferd.« Sekundenlang starrte er nach draußen, wo noch immer der Regen in wahren Sturzbächen vom Himmel strömte. »Aber das ist vorbei, ich … ich lebe wieder.« Zärtlich sah er Marion an. »Seit ich dich gesehen habe, wünschte ich mir, dich küssen zu dürfen.«
»Warum hast du nur so lange gewartet?«
»Weiß nicht. Vielleicht hatte ich einfach Schiss, zurückgewiesen zu werden. Und außerdem … mit lockeren Flirtversuchen hab ich es einfach nicht so. Bin total aus der Übung.«
Marion lachte. »Na, das müsste ich wissen. Das eben war perfekt!«
»Wirklich?« Kleine goldene Punkte tanzten in seinen Augen, und Marion war völlig fasziniert.
»Sehr, sehr wirklich. Willst du Beweise?«
»Klar doch. Sofort, wenn’s geht.«
»Hmm … nur ziemlich unvollkommen«, lachte sie.
»Dann wüsste ich da was.« Er küsste sie auf die Nasenspitze. »Aber ich hatte dich ja zum Essen eingeladen.«
»Stimmt. Hunger hab ich wirklich.« Sie lachte glücklich. »Aber wenn du willst, können wir uns ja was mitnehmen. Oder kommen lassen.«
»Marion, ich …«
»Willst du nicht?« Jetzt sah sie ihn unsicher an. War sie zu forsch gewesen? Oder – noch schlimmer – hatte sie was falsch verstanden?«
»Marion, ich … bei mir sieht es ziemlich chaotisch aus«, sagte er da.
»O Himmel, und ich dachte schon, du hättest nur mit mir rumknutschen wollen!« Sie schmiegte sich an ihn, hauchte dann kleine Küsse auf seine Lippen.
»Du bist eine raffinierte, kleine Katze.« Er drehte den Zündschlüssel herum. »Also dann – erst mal zeig ich dir meine Briefmarkensammlung, dann sehen wir, ob wir was zu essen kriegen.«
Marion lehnte den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Das Gewitter tobte sich immer noch über der Stadt aus, aber zum ersten Mal im Leben kümmerten sie Donner und Blitz nicht. Sie fühlte sich geborgen – und wahnsinnig glücklich.
Sie dachte daran, dass sie Dr. Oliver Bergstaller bisher immer nur als Besitzer des Pflegepferdes ihrer Freundin wahrgenommen hatte. Sicher, sympathisch hatte sie ihn vom ersten Sehen an gefunden. Und auch interessant. Aber er hatte nie Interesse an ihr bekundet, war eigentlich immer in Eile gewesen. Zumindest hatte er den Eindruck erweckt.
Egal. Jetzt und hier war er bei ihr. Und sie hatten alle Zeit der Welt. Füreinander.
»Wohin fahren wir eigentlich?« Janine lag mit geschlossenen Augen auf einer weichen Matte im Heck der Yacht. Dicht neben sich spürte sie Markus.
»Ich hab’s doch schon gesagt, das wird eine Überraschung.« Der Hotelier lachte leise. »Wir sind auch gleich da.«
»Noch eine Überraschung.« Janine richtete sich ein bisschen auf und blinzelte in die Sonne. »Eigentlich hatte ich heute schon genug davon.«
»Davon hast du genug?« Übermütig zog er sie wieder an sich und begann jeden Zentimeter ihrer Haut zu küssen. »Sag, dass das nicht stimmt«, murmelte er zwischendurch.
Ein wohliger Laut, der an das Schnurren eines zufriedenen Kätzchens erinnerte, war die einzige Antwort.
»Na bitte!«, lachte Markus. »Du hast noch lange nicht genug! Weder von mir noch von den Überraschungen des Tages.«
»Eingebildet bist du wohl gar nicht.«
»Überhaupt nicht.«
Janine zog es vor, darauf gar nichts zu antworten. Zumal ihre Aufmerksamkeit jetzt abgelenkt wurde, denn das Schiff drosselte die Fahrt. »Sag mal – wo sind wir?« Stirnrunzelnd sah sie zum Hafen hinüber. Nein, das war weder Palma noch Cala Rajada, die beide über größere Hafenanlagen verfügten. Langsam stand sie auf, ging an die Reling und spähte hinüber zum Festland.
»Überleg mal.« Markus trat hinter sie, schmiegte das Gesicht kurz in ihr Haar, mit dem der Wind spielte.
»Das ist nicht Mallorca«, sinnierte Janine laut. »Dann kann es nur … das ist Menorca!«
»Richtig! Warst du schon mal auf der kleinen Schwester unserer Lieblingsinsel?«
»Nein, noch nie.« Janine schüttelte den Kopf. »Wie hast du das geschafft? Das sind doch Entfernungen …«
»Mit der Yacht kein Problem. Mit einer normalen Fähre wären wir gute fünf Stunden unterwegs. Wir haben genug Zeit, uns eingehend umzusehen.«
Gemeinsam schauten sie dem Anlegemanöver zu, und schon eine halbe Stunde später schlenderten sie durch das Hafengebiet von Mahón, der kleinen, liebenswerten Inselhauptstadt.
Mit José hatte Markus vereinbart, dass sie nach etwa vier Stunden zurückkehren würden. »Die Zeit reicht, um dir wenigstens ein paar Schönheiten der Insel zu zeigen«, sagte er zu Janine.
»Ich hab früher schon mal so einiges gelesen. Über die Bedeutung der vielen Steine hier auf der Insel, über die Baudenkmäler, vor allem natürlich über die Taules, diese geheimnisvollen Bauten, die wohl Heiligtümer der früheren Inselbewohner gewesen sind.«
»Stimmt. Hier, auf der östlichsten der Baleareninseln, haben sich schon in der Zeit vor Christus viele Völkerstämme niedergelassen. Und alle haben ihre Spuren hinterlassen. Magst du erst ein bisschen herumlaufen, oder sollen wir gleich mit der Erkundung der Insel beginnen?«
Janine zögerte. Drüben war eine Einkaufsstraße, und sie hatte schon zwei sehr schöne Verkaufsstände mit extravaganten Blusen entdeckt.
»Könntest du eine kleine Shoppingtour mit mir durchstehen? Nur eine halbe Stunde.«
Markus lachte. »Ich hatt’s schon fast befürchtet. Aber meinetwegen. Komm, stürz dich in den Kaufrausch!«
Das lag Janine fern. Sie ließ sich jedoch von einer weißen Bluse mit Hohlsaumstickerei bezaubern; auch einen Plisseerock, der in allen Blautönen schimmerte und aus wunderschöner Rohseide war, musste sie haben. Dazu einen passenden Schal. »Jetzt ist’s genug«, entschied sie. »Ich will weder dich noch mein Portemonnaie zu sehr strapazieren. Komm, jetzt zeig mir die Insel.«
»Sekunde noch!« Markus verschwand in einem Hauseingang, der ganz unscheinbar wirkte. Doch offensichtlich kannte sich der Hotelier aus, denn er kam schon kurze Zeit später zurück und drückte Janine ein Päckchen in die Hand. »Für dich.« Und als Janine zögerte, lachte er: »Das ist nur ein kleines, ganz unverbindliches Geschenk. Mach’s schon auf.«
Zögernd öffnete sie die kleine Dose – und stieß einen leisen Schrei aus. »Die ist ja wunderschön!« Auf nachtschwarzem Samt schimmerte eine silberne Kette mit einem Türkisanhänger. Filigrane Silberschmiedearbeit machte aus der Fassung ein Kunstwerk.
»Der Stein passt zu dem neuen Rock. Und zu deinen Augen.« Markus sah Janine zärtlich an. »Damit du mich nicht vergisst …«
In der nächsten Sekunde hätte er sich für diese Bemerkung ohrfeigen mögen, denn Janines Augen wurden dunkel, und mit einem Mal schien der sonnige Tag gar nicht mehr so hell und licht.
»Ich werde dich nicht vergessen«, sagte Janine leise. »Danke, das ist ein wunderbares Geschenk.«
»Ich …« Markus biss sich auf die Lippen. »Ich liebe dich« hatte er sagen wollen, war aber in letzter Sekunde davor zurückgeschreckt. Sie kannten einander doch noch gar nicht richtig. Wenn er auch instinktiv wusste, dass sie genau die Frau war, nach der er immer gesucht hatte – mit welchem Recht durfte er von Liebe sprechen? Da war schließlich auch noch Ellen …
»Komm, da drüben stehen Taxen. Zuerst fahren wir hoch in den Norden. Die Küste dort ist steil und felsig, teilweise erinnern die Schluchten an norwegische Fjorde.«
»Ich weiß. Ich hab gelesen, dass die Insel zur Hälfte unter Naturschutz steht.«
»Richtig. Somit sind viele herrliche Strände und ursprüngliche Landschaften erhalten geblieben. Was nicht heißt, dass es einem Urlauber hier auf der Insel nicht gefallen kann. Im Gegenteil, wenn ich abschalten möchte, komme ich gern hierher.«
»Schön, dass du mich mitgenommen hast.«
»Nur zu gern.« Er zog sie an sich. »Ich würde gern alles Schöne mit dir teilen.«
Janine lächelte ihm zärtlich zu. »Sei nicht so voreilig. Ich freu mich schon, dass du mir das hier alles zeigst.«
Hatte sie ihn mit Absicht missverstanden? Markus warf ihr einen prüfenden Blick zu. Nein, sie wirkte ganz entspannt.
Er ahnte nicht, dass die verschiedensten Empfindungen in Janine miteinander stritten. Da war vorherrschend dieses wahnsinnige Glücksgefühl. Seit Markus sie zum ersten Mal geküsst hatte, schwebte sie ganz offensichtlich ein paar Zentimeter über dem Boden. Aber im hintersten Winkel ihres Verstandes mahnte eine Stimme, sich nicht allzu intensiv auf diesen Flirt einzulassen. Er ist gebunden, sagte diese Stimme. Und die schöne Ellen ist wahrscheinlich nicht das einzige weibliche Wesen, das er beglückt.
Unsinn, widersprach eine andere Stimme, die von ihrem Herzen diktiert wurde. Markus müsste sich gar nicht so viel Mühe mit mir geben. Er weiß, dass ich in wenigen Tagen wieder abreise – da lohnt zwar ein lockerer Flirt, aber nicht so viel Aufwand, wie er ihn betreibt. Alles, was er tut, zeigt mir doch, wie wichtig ich ihm bin …
»Sieh nur, da ist schon Fornells. Hier ist die Hochburg der Surfer, weil das Meer hier ziemlich rau ist.«
Er gab dem Taxifahrer ein paar Anweisungen, der fuhr noch zu einigen weiteren schönen Aussichtspunkten, dann ging es wieder in Richtung Süden. Janine war begeistert von dem drei Kilometer langen, flach abfallenden Sandstrand mit einer reizvollen Dünenlandschaft.
»Dieser kleine Ort ist wirklich ein Geheimtipp«, meinte sie, als sie durch Son Bou schlenderten. »Obwohl hier ja die größten Hotels stehen, wirkt es nicht überlaufen, und dennoch findet der Urlauber alles, was er braucht, um sich zu entspannen und zu amüsieren.«
»Noch ein wenig weiter im Westen liegt Santo Tomas, da bin ich gern«, meinte Markus.
»Wollen wir noch dorthinfahren?«
»Sicher.« Der Taxifahrer machte an diesem Tag ein hervorragendes Geschäft. Gerne wartete er, bis Markus seiner schönen Begleiterin alles gezeigt hatte. Doch in Santo Tomas wurde der Mann ausbezahlt. »Wir bleiben für eine Weile hier«, erklärte Markus.
»Soll ich Sie wieder abholen?«
»Gut. Einverstanden. In zwei Stunden.« Er nahm seine Tasche aus dem Kofferraum, hielt Janine die Hand hin. »Komm, jetzt wird’s richtig schön.« Sie gingen durch eine wirklich herrliche Dünenlandschaft hinunter zum Meer. Das Wasser war glasklar, nur wenige Leute waren am Strand. Draußen versuchten sich ein paar Surfer – Neulinge, wie man leicht feststellen konnte.
»Wollen wir rausschwimmen?«
»Ich würde lieber ein bisschen in der Sonne liegen und faulenzen«, gestand Janine.
»Dann komm mit. Drüben die beiden großen Dünen bieten herrlichen Schutz.«
»Brauch ich den?«, fragte Janine lachend.
»Du vielleicht nicht. Ich schon.« Er zog sie an sich. »Ich will nicht gestört werden, wenn ich dich küsse.«
Oder will er nicht mit mir gesehen werden? Wieder diese kleine, Zweifel aussäende Stimme im Hinterkopf. Janine versuchte sie zu ignorieren. Sie wollte den Tag genießen, das Zusammensein mit Markus.
Selbst wenn er morgen wieder zu Ellen zurückginge, wenn das Zusammensein mit ihr für ihn nur ein Spiel wäre – sie würde die Stunden mit ihm nie vergessen! Obwohl sie ihn noch gar nicht gut kannte, war sie sicher, dass er genau der Mann war, der zu ihr passte. Der Mensch, der sie selbst vervollständigte.
Himmel, du denkst wie eine Liebesromanautorin, sagte sie sich im nächsten Moment. Kitschig ist das ja! Aber es war genau das, was sie fühlte.
»Komm, hier ist es ideal«, sagte Markus und zog sie in den Schatten einer Düne, die seitlich mit hartem Gras bewachsen war, das sich jetzt sanft im Wind wiegte. Eine dünne Decke war rasch ausgebreitet. Janine hockte sich hin, sah sich um – niemand war zu sehen. Sie kam sich vor wie in einer kleinen Oase, geschützt vor den neugierigen Blicken der anderen Strandbesucher.
»Wie lange hab ich dich nicht mehr geküsst?« Markus beugte sich über sie. »Mindestens eine halbe Stunde lang nicht.«
»Das ist sträflich!«
»Stimmt genau. Lass es mich wiedergutmachen.«
Janine hob die Arme, legte sie um seinen Hals und zog den Mann so sacht zu sich. Es war eine höchst ausgiebige »Wiedergutmachung«, die nun folgte.
Die Sonne stand schon tief im Westen, als sie Menorca wieder verließen. José empfing sie lächelnd auf seinem Boot. »Hattet ihr einen schönen Tag?«
»Wunderschön!« Janine lächelte ihm zu. »Ich danke Ihnen, dass Sie uns hergefahren haben. Menorca ist wunderschön.«
»So wie Sie.« Der Spanier lachte sie an. »Markus ist ein Glückspilz.«
»Nur kein Neid, mein Lieber! Deine Conchita ist eine Traumfrau!«
»Ich weiß. Aber das hindert mich nicht, einer schönen Touristin Komplimente zu machen. Das tun wir doch alle, mein Freund, nicht wahr?«
Es war eine harmlose Bemerkung – und doch riss sie Janine aus ihrem rosaroten Traum. Denn José hatte indirekt etwas anklingen lassen: Sie war eine Touristin. Eine Frau, die man für eine kurze Zeit begehren und verehren konnte. Dann flog sie heim – und wurde vergessen.
Ihr Gesicht bekam einen harten Zug. Nein, sie würde sich nicht verletzen lassen! Sie würde die Tage mit Markus genießen – und ihn dann abhaken. So, wie er es mit ihr täte und wohl auch mit vielen anderen getan hatte. Er war ein Womanizer, ein Frauentyp. Dazu erfolgreich und gut aussehend. Der geborene Playboy eben!
Mit langen, erregten Schritten ging Ellen auf und ab. Die hochhackigen Stilettos klapperten auf dem Pflaster der Uferpromenade. Immer wieder sah Ellen auf die Uhr. Wo, zum Teufel, blieb Markus nur?
Ein Mitarbeiter hatte ihr verraten, dass der Chef sich heute einen freien Tag gönnte. Doch was er vorhatte, war auch durch das beste Trinkgeld nicht herauszufinden gewesen.
Ellen war wütend. Immer deutlicher spürte sie, dass Markus ihr entglitt. Dabei war er genau der Mann, den sie sich an ihrer Seite wünschte. Markus sah gut aus, konnte sich in jeder Lebenslage souverän benehmen, kannte viele Promis – was in Ellens Augen von besonderem Wert war.
Zwei junge Männer versuchten sie anzusprechen, Ellen reagierte mit einem arroganten Schulterzucken. No-Name-Touristen waren nun wirklich das Uninteressanteste, was sie sich vorstellen konnte.
Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel – da hörte sie, dass ein Schiff den Hafen ansteuerte. Wieder ein paar Schritte in Richtung Mole … ja, das war die Yacht von José! Ihr Vater hatte das Boot erst im vorigen Jahr in seiner Werft generalüberholt.
»Da sind sie ja endlich wieder!« Einer der Hafenarbeiter sah auf die Uhr. »Viel später als angekündigt.«
»Das macht doch nichts! José hat nach nichts zu fragen«, antwortete ein Kollege.
Ob José doch allein eine Tagestour unternommen hatte? Ellen kniff die Augen zusammen, um die Gestalten, die jetzt an die Reling traten, besser erkennen zu können.
»Nein!« Es war wie ein Schlag in die Magengrube. Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Eine Frechheit! Eine Unverschämtheit von Markus, die sie ihm heimzahlen würde! Bei ihr tat er so, als hätte er jede Menge Stress im Hotel, und jetzt – jetzt war er mit diesem Flittchen unterwegs! Wie konnte er nur!
»Das ist geschmacklos! Niederträchtig!« Ellen hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Die Wut drohte ihr die Atemluft zu nehmen.
Und dann waren sie schon am Kai – Markus legte seinen Arm um diese Janine, die jetzt zärtlich zu ihm aufsah und ihn küsste.
»Loslassen! Lass ihn in Ruhe, sag ich dir!« Mit drei langen Sätzen war Ellen bei dem verliebten Paar und riss Janine so ruckartig von Markus los, dass sie taumelte und hingefallen wäre, wenn José, der das Schiff ebenfalls bereits verlassen hatte, nicht geistesgegenwärtig ihren Arm ergriffen und sie festgehalten hätte.
»Was soll das? Ellen, reiß dich gefälligst zusammen!« Wütend sah Markus die junge Frau an.
»Du hast mir gar nichts zu sagen! Du gemeiner, hinterhältiger Betrüger! Wie kannst du nur so gemein sein!« Ellens Emotionen schwankten zwischen Zorn, Enttäuschung und Trauer. In ihren Augen schimmerten Tränen. Sie wird nicht losheulen, schoss es Markus durch den Kopf. Das hält ja ihr Augen-Make-up nicht aus.
»Du hast nicht das geringste Recht, dich so aufzuspielen, also komm mal wieder runter.«
»Das hättest du wohl gern, was? Willst mir den Mund verbieten? Aber nicht mit mir, mein Lieber! Da hast du dich geschnitten! Das macht man mit einer Ellen van Ehrens nicht! Büßen wirst du das, ich schwör es dir!«
Kopfschüttelnd sah der Mann ihr nach, wie sie auf unsicheren Beinen zu ihrem Sportwagen hetzte, den sie gleich unter einem Halteverbotschild geparkt hatte. Den Strafzettel, der hinter der Windschutzscheibe steckte, warf sie in hohem Bogen auf die Straße.
Laut röhrte der Motor auf, und ohne auf Passanten zu achten, raste Ellen davon.
»Hoffentlich passiert ihr nichts«, murmelte José, der Janine immer noch am Arm stützte.
Janine war der Auftritt, der natürlich sein Publikum gehabt hatte, unendlich peinlich. »Lass uns gehen«, bat sie Markus.
»Natürlich. Wir fahren gleich ins Hotel. Obwohl … ich hatte mir den Ausklang des Tages anders vorgestellt. Es tut mir sehr leid.«
»Schon gut«, murmelte sie. Und war erleichtert, als sie endlich im Wagen saßen und in Richtung Hotelanlage fuhren.
Lange war es still im Wagen. Markus hatte Mühe, seinen Zorn auf Ellen zu beherrschen, und Janine fragte sich, ob die beiden nicht viel enger miteinander verbunden wären, als Markus zugegeben hatte. Ellen machte doch nicht umsonst so einen Aufstand!
Als das Hotel in Sicht kam, atmete sie auf.
»Wollen wir gleich zusammen essen?« Markus legte ihr die Hand auf den Arm. Sonnenwarm war ihre Haut noch, und er spürte gleich wieder die Erregung in sich aufsteigen. Es durfte einfach nicht sein, dass Janine sich jetzt von ihm zurückzog.
Aber da sagte sie auch schon: »Ich wäre jetzt lieber allein. Sei nicht bös …«
Hart biss er die Zähne zusammen. Sie sah, dass sein Unterkiefer mahlte. Abrupt bremste er vor dem Hoteleingang, half ihr aus dem Wagen und warf dem Pagen wortlos die Schlüssel zu. »Wir müssen reden, Janine, bitte!« Eindringlich sah er sie an.
»Was sollen wir darüber reden? Der Auftritt spricht für sich.« Traurig zuckte sie mit den Schultern. »Ich denke, diese Ellen hat sich nicht grundlos so aufgeführt. Ihr beide seid …«
»Ja, ja, ich geb’s ja zu!«, fiel er ihr ins Wort. »Wir hatten eine Affäre. Mehr aber nicht. Sie hat wohl mehr hineininterpretiert als ich.«
»Du machst es dir zu leicht«, murmelte Janine. »Bitte, lass mich jetzt allein.« Und schon war sie in der Hotelhalle und ließ sich ihren Schlüssel geben.
Hilflos sah Markus ihr hinterher. Janine – wie gern hätte er sie in die Arme genommen, sie geküsst und ihr gesagt, dass er nur sie allein liebte.
Liebte? War es wirklich Liebe, was er für sie empfand? Echte Liebe? Nicht nur ein flüchtiger Rausch, den er schon so oft empfunden hatte – und der dann bitterer Ernüchterung gewichen war? Unversehens stiegen Zweifel in ihm auf.
Wie lange sie auf ihrem Bett gelegen, erst geweint und dann die berühmten Löcher in die Luft gestarrt hatte, wusste Janine nicht. Es war schon dunkel, als sie sich endlich aufraffte, ins Bad ging und ihr verweintes Gesicht wusch.
»Blöde Gans«, schalt sie sich. »Wie kannst du dich von diesem Blondchen so ins Bockshorn jagen lassen?«
Sie presste die Lippen zusammen und starrte eine Weile ihr Spiegelbild an. »Nein, nicht mit mir«, erklärte sie ihrem eigenen Ich dann. »So leicht lasse ich mich nicht ausbooten!«
Schnell war sie geduscht und frisch geschminkt. Das Haar war zwar noch ein wenig feucht, aber sie band es im Nacken zu einem Knoten zusammen. So konnte sie gehen!
Auf der Westterrasse wurde gerade das Abendbüfett abgeräumt.
»Sie sind ein bisschen spät«, meinte einer der Kellner. »Aber ich lasse Ihnen gern etwas Frisches aus der Küche bringen. Worauf hätten Sie Appetit?«
Janine winkte ab. »Danke, aber machen Sie sich keine Mühe. Ich bin eigentlich noch satt …«
»Vielleicht etwas Pastete? Oder luftgetrockneten Schinken mit Melone? Oder nur ein paar kleine Fischhappen?« Er sah sie auffordernd an. Es konnte doch nicht sein, dass jemand die Köstlichkeiten der Hotelküche nicht würdigte!
»Ein bisschen Schinken – danke, das genügt aber wirklich.« Janine ließ sich am Ende der Terrasse nieder, zog sich den Pashmina ein bisschen fester um die Schultern und sah hinaus in den Garten, der jetzt malerisch illuminiert war.
Sie spürte seine Nähe, noch ehe sie ihn sah! Markus kam aus einem Seitentrakt und lehnte sich kurz über sie. »Darf ich mich setzen?«
»Sicher.« Sie machte eine knappe Geste.
»Bitte, Janine … ich hab nachgedacht. Sehr gründlich nachgedacht.« Er griff nach ihren Händen, zog sie langsam an seine Lippen und hauchte kleine Küsse darauf. »Ich … wir … so etwas ist mir nie zuvor passiert. Das schwöre ich dir. Und ich weiß ganz genau, dass du die Frau bist, mit der ich …«
»Chef, darf ich kurz stören?«
»Nein!« Der Blick, den Markus dem jungen Hotelangestellten zuwarf, war mörderisch.
»Es geht um Frau van Ehrens. Ihr Vater ist am Telefon …«
»Nun geh schon«, sagte Janine und drückte Markus’ Arm. »Ich warte hier auf dich.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Er spitzte kurz die Lippen, hauchte einen Kuss in die Luft, dann eilte er dem jungen Mann hinterher, der rasch erklärte: »Ich habe extra nicht das Handy genommen – das Gespräch ist in Ihr Büro gelegt worden.«
»Danke.« Schnell schloss Markus die Tür und griff zum Telefonhörer. »Herr van Ehrens … was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um Ellen! Sie heult seit Stunden, und Sie sind schuld daran. Wie konnten Sie meine Tochter so verletzen und beleidigen? Ich erwarte, dass Sie umgehend herkommen und sich mit Ellen versöhnen!«
»Bitte, das geht nicht. Ich … wir … unsere Beziehung besteht nicht mehr.«
»Sagen Sie!« Die Stimme des Holländers klang wie Wolfsbellen. »Ellen sieht das anders.«
»Das tut mir leid, aber ich kann’s nicht ändern. Auch Ihre Tochter muss begreifen, dass man Gefühle nicht erzwingen oder gar erkaufen kann.«
Für einen Moment blieb es still am anderen Ende der Leitung.
»Sie hören von mir«, kam es dann barsch – und die Verbindung war schon unterbrochen.
Eine Minute blieb Markus noch an seinem Schreibtisch stehen, hielt den Hörer in der Hand. So etwas Verrücktes! Wie kam Ellen dazu, ihren Vater in diese Affäre mit einzubeziehen? Glaubte sie wirklich, dass er sich von den Millionen des Reeders beeindrucken ließ?
»Wofür halten die mich?«, murmelte er, bevor er sein Büro wieder verließ. Seine Miene war düster, doch als er zu Janine trat, lächelte er wieder, und das zärtliche Leuchten in seinen Augen ließ ihr Herz höher schlagen.
»Was hältst du von einem Glas Wein auf meinem Privatbalkon?« Er drückte ihre Hand. »Von dort aus hast du einen viel schöneren Ausblick über die Landschaft …«
»So nennt man das also«, lachte sie leise. »Aber ich lass mich überreden.«
Er erwiderte nichts, doch der Druck seiner Hand wurde fester. Sie schwiegen auch noch, als sie Markus’ privaten Wohnbereich erreicht hatten. Erst als die Tür hinter ihnen zufiel, stöhnte Markus: »Endlich ganz allein mit dir … Mein Gott, darauf hab ich den ganzen Tag gewartet.«
»Vorfreude soll doch die reinste Freude sein.« Sie bog den Kopf zurück und lachte leise.
»Das sind Tantalusqualen, die ich ausgestanden habe.«
»Du wolltest den Ausflug machen – der wunderschön war. Ich danke dir dafür.«
»Den Abschluss streichen wir aber, ja? Wir fangen hier und jetzt einfach noch mal an.« Und schon küsste er sie ausgiebig.
Bert Schrader sah sich vorsichtig auf dem Gelände des Reitstalls um – ja, da stand Dr. Bergstallers Auto! Heute hatte er also endlich Glück!
Rasch ging er in die Box seines Schimmels, sattelte ihn und führte das Tier dann in die Halle, wo schon sieben Reiter ihre Runden drehten. Draußen regnete es in Strömen, also ritt niemand aus. Rasch integrierte sich Bert in die Gruppe, und als Oliver Bergstaller fragte, ob sie ein paar besondere Figuren reiten wollten, stimmten alle zu.