Er musste zu diesem Hotel! Er musste sich was beschaffen – Alkohol. Tabletten. Oder am besten Kokain! Das machte den Kopf frei. Wenn er erst wieder klar denken könnte, fiele es ihm leichter, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Vielleicht hatte dieser Hotelchef ja Angst und deshalb doch Geld deponiert.
»Scheiße!« Wütend schleuderte Claus einen Stein durch die Luft. Dieser Luxusschuppen lag weiter draußen im Hinterland. Geld für ein Taxi hatte er nicht, und ein Bus fuhr nicht bis zu der Hotelanlage. »Verdammter Mist!« Er fluchte noch eine Weile, dann beschloss er, doch ein Taxi zu nehmen. Wenn er Lösegeld fände, bekäme der Chauffeur was ab. Wenn nicht – auch egal. Dann wäre sowieso alles zu Ende.
Markus Berger litt Höllenqualen. War dieser Anruf eine Finte? Oder handelte es sich um einen Irren, der Janine in seiner Gewalt hatte? Rationales Denken jedenfalls war bei diesem Kerl nicht zu erwarten.
Er hinterlegte dennoch den geforderten Geldbetrag in seinem Auto – ein Glück, dass sich im Hoteltresor so viel Bargeld befand! Vier Polizeibeamte bewachten den Platz, während Markus im Wagen eines Hotelangestellten in Richtung Portals Nous raste, begleitet von zwei Beamten der Guardia Civil.
Wie immer herrschte im Hafen rege Betriebsamkeit. Den drei Männern war jedoch daran gelegen, nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Während die beiden Polizisten sich intensiv umsahen, war Markus nur von einem Gedanken erfüllt: Er musste dieses Schiff finden – und Janine!
»Da drüben … da ist die Yacht!« Der ältere der Polizisten hatte sie zuerst entdeckt. »Sie liegt ganz am Ende des Stegs.«
Markus sprintete los, die beiden Uniformierten hatten Mühe, ihm zu folgen. Doch gerade, als er das Schiff erreicht hatte, hielt ihn der Ältere wieder zurück. »Warten Sie – es könnte gefährlich werden. Wir gehen zuerst.«
»Nein …« Und schon war Markus aufs Boot gesprungen. »Janine!«, rief er laut. »Janine, wo bist du, Liebling?«
Er wartete nicht auf Antwort, sondern stürzte unter Deck.
Und da sah er sie: Sie lag, in sich zusammengekauert, auf einer Eckbank, die Augen geschlossen und reglos.
Eine eisige Faust schien nach Markus Bergers Herz zu greifen. »Janine!« Sein Schrei ließ den beiden Beamten das Blut in den Adern gefrieren …
Es regnete schon den vierten Tag ununterbrochen. In den Straßen standen Pfützen, tief hingen die Wolken, und die Menschen waren übellaunig, denn noch war keine Wetterbesserung in Sicht.
In Dr. Bergstallers Praxis gaben sich die Patienten die Klinke in die Hand, er machte mehr Überstunden als sonst, die Hausbesuche, sonst in einer knappen Stunde erledigt, zogen sich hin.
»Ich seh dich kaum noch.« Marion schmiegte sich an ihn, als er kurz vor zehn abends todmüde zu ihr kam. »Wenn du dich nicht schonst, wirst du bald selbst zum Patienten.«
Er winkte ab. »So schnell bin ich nicht kleinzukriegen. Aber einige meiner alten Patienten leiden wirklich. Eben hab ich eine Patientin mit Herzasthma in die Klinik einweisen müssen. Und ein alter Mann, der allein lebt, war total unterkühlt und hat eine Lungenentzündung. Und das nur, weil er nicht aus seinem Gartenhaus raus will bei dem Wetter. Dabei lässt sich der Schuppen nicht heizen.« Er schüttelte den Kopf. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwierig es war, ihn zu diesem Krankenhausaufenthalt zu bewegen. Erst als ein Nachbar im Schrebergarten versichert hat, seine Kaninchen zu versorgen, die er sich dort hält, willigte er ein.«
»Sie sind vielleicht die einzigen Lebewesen, die um ihn sind«, meinte Marion.
»Das glaub ich auch.« Oliver schloss sie in die Arme. »Ich bin an solchen Tagen umso froher, dass ich dich gefunden habe.« Er hielt sie ein Stück von sich fort. »Hexlein … willst du mich heiraten? Ganz schnell?«
Für einen Moment hielt Marion den Atem an, dann aber lachte sie auf, schlang die Arme um seinen Nacken und nickte. »Ja, ich will. Und ich will auch ganz, ganz schnell deine Frau werden.«
»Dann lass uns morgen heiraten! Ich kann’s kaum noch erwarten.«
Sie lachte. »Das dürfte leider nicht möglich sein. Hals über Kopf geht so was nur in Las Vegas, wenn ich richtig informiert bin.«
»Aber nächste Woche … nächste Woche ginge es. Am Donnerstag am besten. Freitag ist ein Feiertag, die Praxis geschlossen, dein Laden auch … es wäre perfekt.«
Stirnrunzelnd sah sie ihn an. »Das klingt ja so, als hättest du dir das schon überlegt.«
»Stimmt. Eben, als ich zu dir gefahren bin. Na, was sagst du?« Er nahm ihre Hände, zog sie an die Lippen und hauchte kleine Küsse darauf. »Nur du und ich …«
»Und Trauzeugen. Und ich brauche ein Kleid. Und einen Brautstrauß. Und … Janine …« Sie sah ihn bedauernd an. »Ich glaube, so ganz spontan bin ich doch nicht.«
»Na gut, ich hatte schon so was befürchtet. Aber … einen Kurztrip könnten wir doch machen, oder? Was hältst du von Mallorca?«
»Au ja!« Marion war gleich Feuer und Flamme. »Wir überraschen Janine und ihren Markus! Das ist eine wunder-, wunderbare Idee!«
»Und wann heiraten wir?«
Sie umarmte und küsste ihn ausgiebig. »Das besprechen wir später. Erst mal gibt’s was zu essen. Du hast doch sicher Hunger, oder?«
»Riesigen. Gibt’s auch Nachtisch? Ich wüsste da schon was …«
»Lüstling!« Lachend lief Marion in die Küche, wo schon die marinierten Steaks lagen. Während sie das Fleisch in die Pfanne legte und das Dressing für den Salat anrührte, erschien ihr die Sache mit dem Nachtisch wirklich sehr, sehr reizvoll. Vorsichtshalber würde sie Oliver nicht verraten, dass sie Quarkspeise mit Erdbeeren vorbereitet hatte.
Während der Arzt sich im Bad frisch machte, dachte Marion darüber nach, wie sehr sich ihr Leben in den letzten Wochen doch verändert hatte. Oliver war der Mann ihres Lebens, das stand fest. Er war zuverlässig, humorvoll, liebenswert – und ausgesprochen sexy. Das stellte sie zumindest fest, als er jetzt in die Küche kam und nur mit einem Badetuch bekleidet war.
»Ich hab gedacht, du hast Hunger und bist geschafft von einem langen Tag …« Ihr Blick fuhr an seinem durchtrainierten Körper auf und ab.
»Stimmt beides. Aber ich wüsste da etwas, das mich ganz schnell wieder fit macht.« Lachend griff er nach ihr. Und dann konnte Marion nur noch ganz schnell den Herd abstellen und denken: Diese Vorspeise ist auch nicht zu verachten!
Erst viel später, sie saßen eng aneinandergeschmiegt in Marions gemütlichem Wohnzimmer, kam Oliver noch einmal auf den Kurzurlaub zu sprechen. »Du buchst uns also einen Trip nach Mallorca, ja?«
»Gleich morgen früh.« Sie lachte leise. »Ich freu mich schon jetzt auf ihr Gesicht!«
Markus Berger beugte sich über Janine, tastete nach ihrem Puls. »Sie ist ohnmächtig. Oder betäubt.« Seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.
Der jüngere Polizeibeamte hatte schon nach dem Notarzt telefoniert, während sein Kollege jetzt ebenfalls Janines Puls fühlte. »Etwas langsam«, konstatierte er. »Ich denke, man hat sie betäubt.« Er schnupperte. »Riecht fast nach altmodischem Chloroform.« Aufmunternd nickte er Markus zu. »Keine Sorge, davon behält sie nichts zurück.«
Es schien, als wären die Stimmen der Männer in Janines Unterbewusstsein gedrungen. Sie gab ein paar kleine Seufzer von sich und räkelte sich auf der schmalen Liege hin und her.
»Liebling …« Markus umarmte sie fest. »Ich bin da. Alles wird gut. Komm, Janine, mach die Augen auf.«
Nur zögernd kam sie der Aufforderung nach. Und es dauerte eine Weile, ehe sie registrierte, dass es wirklich Markus war, der sie in seinen Armen hielt.
»Ich … ich weiß eigentlich gar nicht, was passiert ist«, sagte sie und versuchte sich aufzurichten. »Meine Füße …« Sie wies auf die Fesseln. »Ich hab die Taue einfach nicht losgekriegt. Und gehört hat mich auch keiner, als ich um Hilfe gerufen hab.«
»Hier, trinken Sie das.« Der ältere Beamte gab ihr ein Glas Wasser. Nur zögernd setzte Janine es an die Lippen.
Der Mann lächelte. »Das können Sie unbesorgt trinken. Ich hab’s getestet.«
Janine nahm einen Schluck. »Ich weiß nicht, wie der Kerl es geschafft hat, aber …« Sie biss sich auf die Lippen. »Heute Morgen war er da, hat von oben heißen Kaffee reingestellt. Ich hab ihn nicht gesehen, nur seine Schuhe. Aber der Kaffee hat mir gut getan, ich hab ihn gleich aus der Thermoskanne getrunken, an die Tassen bin ich nicht rangekommen.«
»Er hat dir bestimmt ein Schlafmittel dort hineingemischt«, sagte Markus.
»Und ihr dann nochmals eine Ladung Chloroform verpasst.« Der junge Polizist fischte soeben einen noch feuchten, intensiv nach dem Betäubungsmittel riechenden Wattebausch aus dem Abfall.
»Mir … mir wird schlecht.« Janine begann zu würgen. Mit Mühe schaffte sie es, jetzt, da die Fesseln gelöst waren, bis zur Spüle. Es war ihr unangenehm, aber die Narkosefolgen waren eben nicht wegzuleugnen.
Dankbar ließ sie sich von Markus in seine Jacke hüllen. »Ich bringe sie zu mir ins Hotel«, erklärte er den Polizeibeamten.
»Aber die Vernehmung …«, wandte der Jüngere ein.
»Das hat Zeit bis morgen«, erklärte sein älterer Kollege. Freundlich lächelte er Janine zu. »Ruhen Sie sich aus, kommen Sie ein bisschen zu Kräften – morgen nehmen wir dann das Protokoll auf.«
»Aber ich weiß doch gar nichts!«
»Mag sein, aber irgendwas haben Sie sicher bemerkt. Und wenn es noch so unwichtig erscheint – uns hilft es sicher weiter.«
In diesem Moment trafen der Notarzt und zwei Sanitäter ein. Der Arzt untersuchte Janine kurz, stellte aber fest, dass die Betäubung keine ernsthaften Schäden hinterlassen hatte. »Sie werden noch ein wenig mit der Übelkeit zu kämpfen haben«, meinte er, »aber das legt sich. Frische Luft, Obstsaft, Ruhe … morgen sind Sie sicher wieder fit. Falls aber doch noch Nachwirkungen eintreten sollten, gehen Sie unbedingt zum Arzt. Oder gleich in die Klinik.«
»Danke, aber … ich fühl mich ganz gut«, meinte Janine.
»Keine Anstrengungen«, mahnte der Arzt. »Dieses Betäubungsmittel muss Ihr Organismus erst mal verarbeiten. Also – Schonung ist angesagt.«
»Wir fahren gleich ins Hotel«, erklärte Markus Berger. »Und dort sorge ich dafür, dass sie sich hinlegt.« Er legte den Arm fest um Janine. »Komm, Liebes, ich bring dich heim.«
Die beiden Beamten blieben auf dem Schiff, bis die Spurensicherung eingetroffen war. »Verdammt, keine Meldung von den Kollegen«, meinte der Ältere. »Der Typ, der das Geld verlangt hat … das war sicher ein Irrer, der uns an der Nase herumgeführt hat.«
»Oder er hat Lunte gerochen.«
»Kann auch sein. Na ja, wir haben getan, was wir konnten. Gleich sind wir fertig. Feierabend für heute.«
Unterdessen waren ihre Kollegen bei der »Villa Cloud Seven« der Verzweiflung nahe. Stundenlang hatten sie den Wagen von Markus Berger observiert – und nichts war geschehen.
Auch Claus van Ehrens harrte in seinem Versteck aus. Er saß inmitten von ein paar alten Hibiskussträuchern, die am Rand des Parkplatzes wucherten. Hinter ihm fiel steil ein Hang ab. Es gab dort Geröll, einige wilde Kakteen wuchsen dort ebenso wie Unkraut und Agaven.
Der Holländer hatte sich zwischen zwei Felsen gesetzt und ließ keinen Moment den Blick von dem Parkplatz. Ein paar Mal zuckte er zusammen, wenn Gäste kamen und ihre Mietwagen bestiegen.
Verdammt, wann war hier endlich Ruhe?
Es juckte Claus in den Fingern – da drüben lag sein Geld. Zum Greifen nah. Aber sein Instinkt warnte ihn. Dieser Hotelier hatte sicher die Bullen eingeschaltet. Immer wieder sah er sich um. Und entdeckte schließlich einen Beamten, der nach einer Weile zum Haus hinüberging, weil er zur Toilette musste.
»Hab ich mir’s doch gedacht!« Claus brach der kalte Schweiß aus. Er hatte Hunger und Durst. Ein nur allzu bekanntes Zittern erfasste ihn.
Und dann, ohne dass er es hätte verhindern können, wurde ihm schwindlig. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Er wollte seine Position verändern, wollte versuchen, sich etwas bequemer hinzusetzen oder gar auszustrecken. Plötzlich gaben zwei große Felsbrocken unter ihm nach. Er spürte, dass er den Halt verlor – und stürzte.
Sein Schrei alarmierte die Beamten, die in ihren Verstecken ausharrten. Nur kurz mussten sie sich orientieren, dann hatten sie den Mann, auf den sie schon so lange warteten, entdeckt. Claus hielt sich an einer Agave fest, drohte noch tiefer zu stürzen und war erleichtert, als ihn ein junger Polizist hochzog. Dabei kam er einer riesigen, alten Kaktee gefährlich nahe – niemand nahm Rücksicht darauf, dass er beim Hochziehen an den Stacheln entlangglitt.
Widerstandslos ließ er sich festnehmen, gestand auch sofort alles. »Ich … ich hab nur getan, was Ellen wollte«, fügte er weinerlich hinzu. »Sie ist schuld, sie hat mich angestiftet. Ich … ich brauchte doch nur Geld …«
»Nur Geld.« Die Polizisten waren absolut nicht geneigt, dies als Bagatelle anzusehen. Sie führten ihn ab. Niemand empfand Mitleid mit Claus, der etliche Kratzwunden davongetragen hatte und dessen Hemd total zerrissen war.
»Wohin fahren wir?« Träge sich räkelnd wie eine Katze, lag Ellen auf der bequemen Liege ganz dicht neben dem Steuerruder. Sie streckte ihre Hand aus und berührte zärtlich Pierres Oberschenkel.
»Wohin du willst, Schönheit.« Der Mann beugte sich kurz vor und küsste sie.
»Hm … was hältst du von einem längeren Trip? Irgendwohin, wo wir ganz ungestört sind.«
»Bist du auf der Flucht?«
»Wie kommst du denn darauf?«
Wenn Pierre nicht mit einer kleinen Kurskorrektur beschäftigt gewesen wäre, hätte er das Zusammenzucken der schönen Frau bemerkt. So aber hielt er Ellens Wunsch für eine Laune der kapriziösen Schönheit. Deshalb schlug er vor: »Wie wär’s mit Rhodos?«
»Rhodos – das klingt gut.« Und ist ziemlich weit entfernt, schoss es Ellen durch den Kopf.
»Dann fahr ich zurück, und du holst dir ein paar Sachen.«
»Ach was!« Sie lachte auf. »Das muss doch nicht sein. Ich kauf mir in Griechenland alles, was ich brauche.«
Pierre sah sie stirnrunzelnd an. »Ich brauche Papiere. Und du auch. Schon vergessen?«
»Du bist langweilig.« Ellen schmollte gekonnt. »Wir können doch auch so losfahren. Ich hab meine Kreditkarten dabei. Auch den Pass …«
»Gut und schön, aber ich hab das Meiste in meinem Hotelzimmer. Auf dem Boot gibt’s keinen Safe, und da hab ich schon einige unliebsame Überraschungen erlebt.«
»Seit wann bist du so ein Spießer?« Ellen sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »So kenn ich dich gar nicht.«
»Reine Vorsicht. Ich weiß, was ich tue.« Pierre strich ihr kurz über das silberblonde Haar. Sie war bildschön, die junge Ellen, aber ganz offensichtlich immer noch nicht ganz erwachsen geworden. Kein Wunder, wenn man immer nur vom Geld des Vaters lebte! Pierre hingegen hatte sich alles, was er besaß, selbst erarbeitet. Seinem Vater hatte ein kleines Bauunternehmen gehört, Pierre hatte daraus einen europaweit agierenden Konzern gemacht. Jetzt plante er sogar mit einem befreundeten Architekten Projekte in den Golfstaaten. Ein riskantes, aber auch erfolgversprechendes Unternehmen.
Einer der jungen Scheichs besaß hier auf Mallorca eine Luxusvilla. Dort sollten die Details für das Milliardenprojekt festgelegt werden. Pierre plante, den verwöhnten Wüstensohn hinterher auf seine Yacht einzuladen. Dazu vielleicht ein paar Mädchen. Eventuell sogar Ellen … Er musste nur erst einmal sondieren, wie der Scheich drauf war.
»Na, was ist, fahren wir so los?« Ellen gab sich lässig, dabei klopfte ihr Herz wie verrückt. Auf keinen Fall durfte sie sich von der Polizei erwischen lassen. Das würde Riesenärger geben. Ihr Vater trug sie zwar auf Händen, aber sein guter Ruf war ihm heilig. Den durfte nicht einmal sie gefährden, seine einzige und somit Lieblingstochter! »Sei nicht so, fahr los. Ich … ich hab an Land ein bisschen Stress mit einem Exfreund. Dem will ich auf keinen Fall noch mal begegnen.«
Doch in diesem Fall blieb Pierre hart. Er hatte nicht die geringste Lust, Ärger mit irgendwelchen Hafenpolizisten zu riskieren, nur weil er keine gültigen Ausweispapiere mit sich führte. »Wir müssen zurück«, erklärte er. »Aber wenn du magst, können wir schon in drei Stunden endgültig auslaufen. Ich muss nur neuen Sprit und einige Vorräte aufnehmen.« Er lachte. »Der Champagner ist nämlich alle.«
»Das ist natürlich fatal.« Ellen erhob sich langsam. »Dabei kann man damit so schöne Sachen machen …« Sie trat hinter Pierre und rieb ihren Körper sanft an seinem.
»Lass das!« Lachend drehte er sich um. »Wir sind wieder ganz in Hafennähe, da kann ich dich nicht einfach vernaschen.«
»Ich bin aber sehr, sehr süß und bekömmlich.« Sie küsste seinen Nacken, ihre Hände umfassten ihn zärtlich und berührten ihn dort, wo es am erregendsten war. »Fahr wieder raus«, bat sie kehlig.
Ein tiefer Seufzer kam über seine Lippen. »Du bist ein Biest. Aber … es geht nicht. Wir haben keinen Sprit mehr.«
»Mist.« Mit einem Ruck ließ Ellen von ihm ab. Sie hatte gedacht, mit Pierres Hilfe für eine Weile untertauchen zu können – und der Trottel war nicht in der Lage, seine Yacht ordentlich aufzutanken. Sie hatte es wirklich mit Dilettanten zu tun!
»Ist doch alles kein Problem.« Pierre Brendon zuckte mit den Schultern. »Wir tanken, kaufen ein, holen die nötigen Papiere, und dann, meine Süße, fahr ich mit dir, wohin du willst.« Wenigstens für die nächsten drei Tage, schränkte er in Gedanken ein. Dann trafen der Scheich und sein Gefolge ein, dann musste er auf jeden Fall wieder zurück sein. Doch das brauchte Ellen nicht zu wissen.
»Ach ja. Und das soll ich dir glauben!« Ellen sah ihn geringschätzig an. »Das sind doch wieder nur falsche Versprechungen. So wie immer bei dir.«
»Sei still.« Mit einem Ruck zog er sie an sich. Seine Leidenschaft für Ellen war übermächtig geworden. Aus dem Mädchen, das er gekannt und vor Jahren verführt hatte, war eine reife, in der Liebe sehr erfahrene Frau geworden. Eine Frau, die er begehrte und für sich haben wollte. Zumindest so lange, bis sie ihn wieder langweilte. Normalerweise ging das recht schnell, doch jetzt, wo er Ellen wiedergesehen hatte und ihre Nähe ihn förmlich verrückt machte …
Ellen gab nach. So schwierig konnte es ja nicht sein, etwas Proviant aufzunehmen, alle Reiseunterlagen zusammenzusuchen und dann aus spanischen Gewässern zu verschwinden. Griechenland war auch schön, dort gab es unzählige kleine Inseln, wo man sicher eine Weile unentdeckt bleiben konnte. Sie ahnte, dass es Ärger geben würde. Janines Entführung war schließlich kein Bagatellvergehen, und so, wie sie Claus kannte, würde er die Suppe nicht allein auslöffeln. Es sei denn …
»Du hast recht«, stimmte sie Pierre zu, »wir müssen zurück. Ich hab da auch noch was zu erledigen.«
So kam es, dass sie eine knappe Stunde später schon wieder im Hafen ankerten. Und während der Franzose alles für einen Dreitagetörn organisierte, rief Ellen bei Claus an. Der jedoch meldete sich nicht. Die Stimme, die sich an seinem Handy meldete, gehörte einem Polizisten. Ellen ließ ihr Telefon fallen, als hätte sie eine Giftschlange angefasst.
Verdammt, das hätte schiefgehen können! Claus, der Trottel, hatte sich also erwischen lassen!
»Ich hab’s geahnt«, murmelte Ellen vor sich hin. Aber noch während sie überlegte, was nun zu tun wäre, klingelte es an ihrer Apartmenttür. Zwei Beamte standen dort und forderten sie ebenso höflich wie unmissverständlich auf, ihnen zu folgen.
»Sie stehen unter dem dringenden Verdacht, an der Entführung von Señora Janine Rehberger beteiligt zu sein«, sagte der ältere Polizist. Seine rechte Hand am Pistolenhalfter machte klar, dass er einen Fluchtversuch nicht hinnehmen würde.
»Nun stellen Sie sich mal nicht so an!« Ellen gab sich schnippisch. »Ich hab damit gar nichts zu tun.«
»Das sieht Ihr Verwandter aber anders.«
»Claus ist ein Idiot. Der hat sich den Verstand mit Koks kaputtgemacht.«
»Es gibt noch mehr belastendes Material gegen Sie als nur die Aussage des Claus van Ehrens.«
»Und das wäre?«
»Das wird Ihnen der Haftrichter erläutern. Bitte kommen Sie mit. Ohne irgendwelche Schwierigkeiten zu machen. Das rate ich Ihnen in Ihrem eigenen Interesse.«
»Ist gut.« Ellen seufzte resigniert auf. Sie wusste, wann sie verloren hatte. Jetzt galt es, sich möglichst kooperativ und reuevoll zu zeigen und so herauszuschlagen, was eben möglich war. Sie ließ sich abführen, benahm sich auch auf der Wache so ruhig wie möglich.
»Ich möchte juristischen Beistand«, sagte sie nur.
»Selbstverständlich.«
Ellen überlegte kurz, ob es ratsam wäre, sich einen spanischen Anwalt zu nehmen. Dann müsste ihr Vater gar nichts von diesem Zwischenfall mitkriegen. Himmel, er würde toben, wenn er erführe, was sie angestellt hatte. Diesmal war sie wirklich zu weit gegangen, das sah sie jetzt auch ein. Aber irgend so ein namenloser Jurist – würde der sich so für sie einsetzen, wie es in diesem Fall nötig war?
Ellen konnte, wenn nötig, sehr kühl und rational denken. Und diesmal saß sie ziemlich tief in der Tinte. Also galt es, einen besonders guten Rechtsbeistand zu finden. Was bedeutete, dass sie ihren alten Herrn um Hilfe bitten musste.
Ellen seufzte auf. Das zu erwartende Donnerwetter würde fürchterlich sein. Aber die Alternative – ein Aufenthalt in einem spanischen Gefängnis – war noch weniger verlockend.
Oder – der Gedanke elektrisierte sie förmlich: Pierre war ja auch noch da! Pierre kannte Gott und die Welt, er konnte ihr sicher helfen.
Aber als sie ihn anrief und ihm schilderte, dass sie in Schwierigkeiten stecke und juristischen Beistand brauche, wehrte er ab.
»Tut mir leid, aber da bist du bei mir an der falschen Adresse. Wenn du Geld brauchst, helf ich dir gern. Aber mit der Polizei will ich nichts zu tun haben.«
»Bastard«, zischte sie. »Das nennst du also Liebe.«
»Liebe heißt auch Vertrauen. Und das hast du mir nun wirklich nicht entgegengebracht. Ich weiß ja noch nicht mal, was du eigentlich angestellt hast. Und da soll ich so einfach … Nein, Ellen, vergiss es.«
Pierre war wütend. Er ahnte, dass Ellen ihn missbraucht hatte. Sie wollte weg von Mallorca, und da war er ihr mit seinem Boot gerade recht gekommen. Aber er ließ sich nicht ausnutzen und manipulieren. Auch nicht von einer so schönen und reizvollen Frau wie Ellen.
Das Gespräch wurde schnell beendet. Ellen hatte Tränen in den Augen, als ihr klar wurde, dass sie jetzt tatsächlich bei ihrem alten Herrn einen Kniefall würde machen müssen.
»Daddy … ich hab Mist gebaut.« Die Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens. Aber es half nichts. Der Reeder tobte und schrie, drohte sogar mit Enterbung und der Sperrung aller Kreditkarten.
Doch nachdem er sein cholerisches Temperament wieder unter Kontrolle gebracht hatte, leitete er alles Notwendige in die Wege, um seiner Tochter zu helfen. Allerdings nahm er sich vor, Ellen diesmal nicht so leicht zu verzeihen. Diesmal war sie zu weit gegangen – und dafür würde sie büßen müssen!
Der Anwalt ihres Vaters, der schließlich eingeschaltet wurde, schaffte es, dass das Verfahren eingestellt wurde. Weder Ellen noch Claus wurden vor Gericht gestellt – was sie zum Teil auch Janine verdankten, die auf eine Anzeige verzichtet hatte. Und auch die Staatsgewalt fand es angebracht, den Vergleich zu akzeptieren: Die Familie van Ehrens würde zwei Millionen Euro an Unicef zahlen. Ellen und Claus wurden des Landes verwiesen.
»Damit kann ich sehr gut leben«, meinte Janine, als sie dies erfuhr. »Was hätten wir davon, wenn die beiden im Knast säßen? Das ist mir keine Genugtuung. Das viele Geld für eine karitative Organisation freut mich allerdings.«
So zufrieden wie Janine drei Wochen nach Ellens Festnahme war Pierre Brendon keineswegs. Das Geschäft mit den Saudis verlief nicht zu seiner Zufriedenheit. Der junge Araber war ein strenggläubiger Moslem und ließ sich in keiner Weise bestechen.
Pierre musste erkennen, dass er diesmal den Kürzeren gezogen hatte. Erst die Pleite mit Ellen, die spurlos verschwunden war, dann das geplatzte Geschäft – zwei Tage und Nächte lang versuchte er, seinen Kummer in diversen Nobeldiscos zu betäuben. Bis er dann in einem Lokal eine bezaubernde, junge Engländerin kennen lernte. Nicht ganz so raffiniert wie Ellen, aber bildhübsch und nur zu gern bereit, mit ihm eine kleine Seereise zu unternehmen und ihn von seinem Frust zu erlösen …
Mallorca – ein Ferienparadies, dem sich keiner entziehen kann. Janine musste lächeln bei der Erinnerung an den Werbeslogan, der ganz vorne in einem Reisekatalog geprangt hatte. Wie oft hatte sie ihren Kunden dies schon erzählt und dabei von der Schönheit der Insel geschwärmt. Ohne zu wissen, wie reizvoll, wie fantastisch dieses Ferienparadies tatsächlich sein konnte. Es gab ja so viel mehr zu entdecken als Valldemossa, Palma und seine Kathedrale, den Künstlerort Dèja und den berühmt-berüchtigten Ballermann! Oft waren es gerade die kleinen, versteckten Schönheiten, die nicht im Reiseprospekt angepriesen wurden, die ein Land für Janine reizvoll machten.
Allerdings bekamen auch nicht alle Gäste eine solch exklusive Betreuung geboten wie sie! Seit sie wohlbehalten von der Yacht zurück war, wich Markus kaum noch von ihrer Seite. Er war rührend um sie besorgt. Auch jetzt lag er in einem Liegestuhl neben ihr und versuchte sie mit kleinen Aufmerksamkeiten zu verwöhnen.
»Wenn du nicht bald aufhörst, werde ich rund wie eine Kugel«, lachte Janine. »Hier ein Biskuit, da ein Vitamindrink, gleich ein Glas Champagner für den Kreislauf, dazu ein Snack … Schatz, du tust zu viel des Guten!«
»Du musst dich verwöhnen lassen.« Markus küsste ihre Fingerspitzen. »Nur so kannst du das, was man dir angetan hat, rasch wieder vergessen.«
»Es sprach der selbsternannte Tiefenpsychologe.« Janine lachte. »Mir geht es gut. Glaub es mir endlich!« Sie entzog ihm ihre Finger. »Und weil es mir so gut geht, lauf ich jetzt runter zum Strand und schwimme ein bisschen.«
»Ich komme mit!«
»Du bist ein pflichtvergessener Mensch!«
»Mit Begeisterung!« Er lachte. »Daran bist du schuld. In deiner Nähe vergesse ich eben alles andere.«
»Dann wird es Zeit, dass ich bald wieder heimfliege.« Janine sagte es leichthin, doch schon bei dem Gedanken, Mallorca – und Markus – wieder verlassen zu müssen, wurde ihr das Herz schwer.
Sie hatten die kleine Treppe erreicht, die zum Privatstrand hinunterführte. Links von dieser Treppe zweigte ein kleiner Pfad ab. Wohin er führte, wusste Janine nicht. Ehe sie etwas einwenden konnte, hatte Markus sie auf diesen Pfad gezogen.
»Bleib bei mir«, sagte er, als sie vor neugierigen Blicken sicher sein konnten. »Janine, flieg nicht zurück. Ich … ich kann nicht mehr ohne dich hier leben. Ich will’s auch nicht!«
»Aber mein Geschäft … ich habe auch Pflichten!«
»Dafür gibt es sicher eine Lösung.« Er zog sie an sich, küsste sie leidenschaftlich.
Für einen Moment gab sich Janine diesen Zärtlichkeiten hin, dann löste sie sich sanft. »Wir reden später«, meinte sie und lief mit langen Sätzen hinunter zum Wasser.
»Na warte!« Schnell folgte Markus ihr hinterher. Hand in Hand liefen sie ins Meer hinein, das in dieser Bucht glasklar war und in allen Blautönen schimmerte. In kräftigen Zügen schwamm Janine hinaus, Markus folgte ihr bis zu der Sandbank, die weiter draußen lag und auf der er eine kleine, künstliche Insel hatte errichten lassen. Auf den Decksplanken konnte man herrlich ausruhen und die Sonne genießen. Nur bei stürmischer See wurde das Deck überflutet, jetzt aber, wo das Meer fast spiegelglatt war, konnte man hier herrlich ausruhen.
»Aber nur zehn Minuten, dann wird wieder geschwommen. Ich muss was tun, sonst ruinierst du mir noch mit deinen süßen Verführungen die Figur.« Janine tippte auf seinen Bauch, der flach und hart war. »Dir kann Fitness auch nicht schaden.«
Mit einem Ruck setzte er sich auf. »Sag jetzt nicht, ich hätte einen Bauch.«
»Natürlich!«
»Sternchen …«
»Jeder Mensch hat einen Bauch. Du hast einen perfekten. Und deshalb …« Sie zog ihn hoch, und kaum stand er auf der kleinen Plattform, bekam er einen sanften Stoß und fiel ins Wasser. Mit einem Kopfsprung folgte Janine ihm, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie ans Ufer zurückkamen. »So, jetzt hab ich wieder ein gutes Gewissen«, lachte Janine. »Die Kalorien sind abtrainiert.«
»Da hätte ich noch was viel Schöneres gewusst«, murmelte Markus.
Janine lachte nur und warf das lange Haar mit Schwung in den Nacken. »Auf wen hab ich mich da nur eingelassen!«
»Auf den besten Mann der Welt natürlich!« Er umarmte sie, küsste ihr die Wassertropfen von den Lippen. »Sag sofort, dass dir das klar ist.«
»Aber selbstverständlich!« Sie lachte und bog sich in seinen Armen zurück. »Ich werde den besten, klügsten und fleißigsten Mann der Welt bekommen.«
»Richtig. Du brauchst das gar nicht so ironisch zu sagen. Ich hab noch nie geschwänzt, das ist jetzt das erste Mal.« Er hob sie hoch und legte sie behutsam in den sonnenwarmen Sand. »Deshalb werde ich auch gleich wieder höchst pflichtbewusst arbeiten gehen. Nur noch das hier. Und das hier. Und …« Tausend kleine Küsse hauchte er auf Janines Haut.
»Hör auf …« Ihre Stimme wurde rau. »Das ist unfair.«
Er lachte. »Das ist Liebe. Und Leidenschaft. Und Glück pur.« Kurz richtete er sich auf und sah ihr in die Augen. »Willst du wirklich, dass ich jetzt arbeiten gehe? Oder darf ich noch ein Stündchen schwänzen?«
»Wo?« In ihren Augen tanzten tausend Teufelchen.
Markus zwinkerte ihr zu. »Was hältst du von einer ausgiebigen Siesta? In meinem Apartment?«
Sie legte den Kopf ein wenig schief. »Dieser Vorschlag hat was.«
Kaum hatten sie die Hotelterrasse erreicht, blieb Janine wie angewurzelt stehen. »Das gibt’s ja nicht! Sieh nur, wer da ist!« Sie machte sich von Markus los und lief auf Marion zu, die ihr strahlend entgegenkam. »Was machst du denn hier?«
»Wonach sieht es denn aus?« Die Freundinnen umarmten einander. »Wir haben ganz spontan einen Kurztrip gebucht. Zu Hause regnet es Bindfäden. Das fanden wir beide höchst deprimierend.«
»Das ist super!« Janine sah sich suchend um. »Wo ist Oliver? Er ist doch mitgekommen?«
»Noch an der Rezeption. Das Hotel ist ausgebucht, und wie’s scheint, kriegen wir hier kein Zimmer mehr …«
»Da kann ich sicher helfen. Du weißt doch – irgendwas geht immer.« Auch Markus Berger umarmte Marion kurz zur Begrüßung. »Das ist eine gelungene Überraschung! Und wenn ihr kein Bett bekommt, müsst ihr eben auf meiner Terrasse im Liegestuhl schlafen.« Er grinste jungenhaft dabei.
»Genau so hab ich mir den Aufenthalt in einem Luxushotel vorgestellt.« Marion verstand den Scherz richtig. »Zur Not tut’s ja auch eine Badewanne. Ich bin ja klein und zierlich. Aber was machen wir mit Oliver?«
»Stimmt, für den gestressten Doktor sollten wir schon ein bequemes Bett finden.«
Markus ging hinüber zur Rezeption – und schon fünf Minuten später konnten Marion und Oliver eine Luxussuite beziehen.
»Das ist sehr freundlich.« Dr. Oliver Bergstaller, der den Hotelier noch nicht kannte, drückte ihm die Hand. »Ich wollte auf keinen Fall Ungelegenheiten bereiten …«
»Davon kann keine Rede sein.« Markus zog ihn ein Stück zur Seite. »Es ist gut, dass Sie da sind. Ich hab da ein paar Pläne. Wir sollten sie später mal in Ruhe diskutieren.«
»Gern.« Wenn Oliver Bergstaller ein bisschen überrascht war, so ließ er es sich doch nicht anmerken. Er sah sich in der großzügig gestalteten Hotelhalle um, entdeckte links davon eine gemütliche Bar, draußen eine Terrasse und zwei große Swimmingpools. Die Gartenanlage war exzellent gepflegt, alles wirkte gediegen, aber nicht steif. Er war sicher, sich hier wohl fühlen und auch ein bisschen entspannen zu können.
Wenn sie jetzt auch noch eine bequeme Suite bekämen, wäre tatsächlich alles perfekt.
»Dann kommt mit«, forderte Markus seine neuen Gäste auf und führte sie selbst in den zweiten Stock, wo sich die Suite über fast sechzig Quadratmeter erstreckte. »Jetzt richtet euch erst mal ein. Die Suite ist normalerweise für einen amerikanischen Stammgast reserviert. Aber ich bin sicher, dass er an diesem Wochenende nicht kommt. Macht es euch bequem, ich lasse unten in der Bar schon mal den Begrüßungsdrink zubereiten.«
Die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch, und so begann der Abend, der wieder wunderbar mild war, höchst unterhaltsam.
Auch Ian und Rebecca Hardwich wurden in die lebhafte Unterhaltung mit einbezogen. Die beiden Schotten würden schon am nächsten Tag nach Hause fliegen.
»Stell dir vor«, erzählte Janine der Freundin, »Ian hat hier auf der Insel auch die Liebe seines Lebens gefunden.«
»Mathilda kommt gleich mit mir«, warf Ian ein. »Sie freut sich auf ihre neue Heimat.«
»Das ist wirklich ein mutiger Schritt«, kommentierte Marion. »Sie gibt hier gleich alles auf?«
»Nein, nein, das nicht. Aber ich möchte, dass sie genau weiß, was auf sie zukommt, wenn sie mich heiratet.« Ian sah seine Großmutter an, lachte leise. »Schließlich bekommt sie einen Mann, eine Grandma und vier kleine Schwägerinnen.«
»Ach, du liebes bisschen!« Janine sah ihn aus großen Augen an. »Davon hast du ja noch nie was erzählt!«
»Darüber gibt es auch nicht viel zu berichten«, warf Rebecca ein. »Sie sind spießig. Vertrocknet. Erstarrt in ihren Ehen.«
»Grandma …«
»Stimmt doch. Kirche, Kinder, Kaffeeklatsch, mehr haben sie nicht im Kopf. Ein Glück, dass sie ein paar Kilometer von uns entfernt wohnen. Eileen sogar in Wales. Deine Mathilda kann dem Herrgott danken, dass es so ist. Und du auch. Sonst wärst du dieses süße Mädchen schneller wieder los, als du gucken kannst.«
»Sie ist sonst gar nicht so streng«, meinte Ian ein wenig verlegen. »Aber meine Schwestern … na ja, sie sind alles andere als weltoffen. Und mit dem Lebensstil von Grandma waren sie noch nie einverstanden.«
»Sie sind wie deine Mutter«, warf Rebecca augenzwinkernd ein. »Die hat auch nicht zu leben verstanden, die Arme. – Aber daran wollen wir jetzt nicht denken. Ich hätte gern einen kräftigen Drink, damit mir der Abschied nicht so schwerfällt. Und dann … hier ist was für euch.« Sie drückte Janine und auch Marion einen Umschlag in die Hand. An Marion gewandt sagte sie: »Tut mir leid, Kindchen, aber es ist nur eine Kopie. Ich konnte ja nicht ahnen, dass wir uns kennen lernen würden.«
Janine und Marion öffneten die Kuverts – und hielten sekundenlang die Luft an. Rebecca Hardwich lud sie für eine Woche zur Herbstjagd in die schottischen Highlands ein.
»Ich hab zu dieser Zeit Geburtstag«, fügte sie erklärend hinzu. »Aber wagt es ja nicht zu fragen, der wievielte es ist. Und zu gratulieren braucht man mir auch nicht. Es ist, wie es ist – ich werde noch ein bisschen älter. Und dickköpfiger«, fügte sie schmunzelnd hinzu. »Damit muss sich die Familie abfinden.«
»Du fischst nach Komplimenten, Grandma«, warf Ian ein.
»Unsinn. Ich weiß, was alle denken – die Alte ist immer on tour, die kriegt einfach nicht genug vom Leben. Aber das ist doch richtig so, oder? Wenn ich immerzu daheim in unserem alten Landgut säße, würde ich langsam, aber sicher verkalken.« Sie lachte. »So aber bin ich beschäftigt. Demnächst mit den Vorbereitungen für deine Hochzeit.« Sie legte Janine die Hand auf den Arm. »Was meinen Sie – so eine Hochzeit, kombiniert mit meinem Herbstball … das wäre doch was, oder?«
»Rebecca!«
Die alte Dame lachte. »Jetzt ist er sauer. Dann sagt er nicht mehr Grandma zu mir. Aber ich weiß, dass er es genießen wird, wenn wir ganz groß seine Hochzeit feiern. Und Mathilda wird die schönste Braut sein, die unser Haus je gesehen hat.«
»Ich … wir … wir können das gar nicht annehmen«, sagte Marion.
»Natürlich könnt ihr. Ich bestehe darauf. So, und jetzt bekommen wir alle noch einen Drink, dann gehe ich schlafen.«
Auch Ian stand auf. Allerdings wollte er nicht schlafen gehen, sondern Mathilda abfangen, die heute ihren letzten Arbeitstag hatte. Sie würde erst einmal für zwei Wochen mit nach Schottland kommen. Aber Markus Berger bestand darauf, dass sie mit ihnen feierte. Schließlich waren sie in den letzten Tagen fast so etwas wie Freunde geworden.
»Ich hab ein bisschen Angst«, gestand Mathilda, nachdem Ian sie kurz heimgefahren hatte, damit sie sich umziehen konnte.
»Das musst du nicht. Janine und ihre Freunde sind sehr nett.«
»Das meinte ich nicht. Ich hab an morgen gedacht. An den Flug nach Schottland.«
Liebevoll zog er sie an sich. »Du wirst dich rasch eingewöhnen. Und ich bin sicher, alle werden es dir leichtmachen. In unserem Haus – und erst recht in der Firma. Ich freu mich schon darauf, mit dir zusammenarbeiten zu können.«
Ja, darauf freute Mathilda sich ebenfalls. Sie war sicher, einen Schritt in ein neues, aufregendes Leben zu tun. Und solange Ian an ihrer Seite war, musste sie wohl auch keine Angst vor all dem Fremden haben.
Zunächst aber wurde noch ausgiebig Abschied gefeiert. Als die Nacht anbrach und es auf der Terrasse zu kühl wurde, gingen sie in die Bar, wo sie noch lange zusammensa-ßen.
»Wenn ich jetzt noch einen Drink nehme, stehe ich morgen nicht auf«, lachte Oliver.
»Gut, dann bleiben wir eben im Bett. So war der Mallorca-Trip zwar nicht gedacht, aber die Vorstellung ist auch nicht ohne Reiz.«
»Schade, dass ich morgen arbeiten muss«, grinste Markus Berger. »Sonst würde ich mich euren Plänen glatt anschließen.«
»Was liegt denn an?«, wollte Ian wissen.
»Das müssen Marion, Janine und ich noch eingehend bereden. Mit Oliver bin ich mir schon einig.«
»Was habt ihr über unsere Köpfe hinweg beschlossen?«, fragte Janine.
»Deine Zukunft, mein Schatz.« Markus küsste sie auf die Wange. »Aber darüber reden wir morgen.«
»Männer. Ich hab ja gesagt, dass man immer vorsichtig sein muss.« Sie zwinkerte Marion zu. »Wir wollten keine Paschas und keine Playboys – und was kriegen wir? Machos, die einfach über uns bestimmen.«
»Das wüsste ich!« Marions Augen blitzten übermütig. »Ich bestehe drauf, sofort zu erfahren, was uns erwartet.«
»Nichts da, du Vorwitznase. Du wirst dich brav bis morgen gedulden.«
»Ach, Oliver.« Marion zwinkerte ihm zu. »Ich bin ganz sicher, dass ich gleich Mittel und Wege finden werde, dir dein Geheimnis zu entlocken.«
Während Markus Berger schon früh wieder aufstand, um alles für den geplanten Ausflug vorzubereiten, schliefen Marion und Oliver bis in den späten Vormittag hinein.
Janine war pünktlich genug auf den Beinen, um Ian und Rebecca Hardwich verabschieden zu können. Die alte Dame umarmte sie liebevoll. »Das war der wundervollste Urlaub meines Lebens«, gestand sie. »Dieser Ort hier hat wirklich was vom siebten Himmel.«
»Vor allem für Ihren Ian, nicht? Ich freu mich für ihn, dass er so glücklich ist mit Mathilda.«
»Ach, Kindchen, du hast hier doch auch dein Lebensglück gefunden. Halt es ganz, ganz fest.«
Ian sah auf die Uhr. »Wir müssen los«, mahnte er.
»Bis bald. Und alles, alles Gute!«
»Drück mir die Daumen«, bat Mathilda leise, als sie sich von Janine noch einmal umarmen ließ. »Ich hab jetzt doch einen Heidenbammel. Wie wird es sein in Schottland?«
»Feucht und kalt. Aber du kannst ja immer in den Ferien hierherkommen. Das kleine Haus deiner Tante hast du doch als Refugium.«
»Ja, das stimmt.« Mathilda warf Ian einen verliebten Blick zu.
»Er will es ausbauen und modernisieren lassen. Ich glaube, die Hardwichs sind eine ziemlich große, weit verzweigte Familie. Da lohnt sich ein eigenes Feriendomizil.«
»Das wäre toll! Dann sehen wir uns also doch immer wieder! – Aber jetzt müsst ihr wirklich los.« Noch ein letzter Händedruck, dann war der Wagen auch schon davongefahren.
»So, jetzt kann unser Plan endlich in die Tat umgesetzt werden.« Markus legte Janine den Arm um die Schultern und führte sie auf die Terrasse, wo gerade in diesem Moment Marion und Oliver erschienen.
Das Frühstück verlief in bester Stimmung. Ein leichter Wind wehte und ließ die Palmen, die neben der zartgelben Markise auf der Terrasse zusätzlich Schatten spendeten, leise rauschen. Im hinteren Teil des Gartens waren drei Männer damit beschäftigt, ein Rosenbeet anzulegen. Die Strandbar war bereits gut besucht, einige Gäste ließen sich vom Fitnesstrainer coachen, die junge Animateurin, die für die wenigen hier urlaubenden Kinder eingestellt worden war, ging mit ihren Schutzbefohlenen hinunter zum Strand, wo heute »Piratenfest« gefeiert wurde.
Auf einen Wink von Markus hin brachte ein Kellner eisgekühlten Champagner.
»Was denn – jetzt schon?« Janine runzelte leicht die Stirn.
»Ich finde, ein solch dekadentes Verhalten hat was«, lachte Marion und griff zu.
»Wir haben euch einen Vorschlag zu machen«, begann Markus.
»Und der wäre?«
Oliver griff nach Marions Händen. »Dass wir zwei mit der Hochzeit nicht mehr allzu lange warten wollen, wisst ihr«, begann er. »Und ich denke, es ist auch klar, dass ihr beiden schon bald …«
»Mich hat noch keiner gefragt«, warf Janine ein.
»Das stimmt doch gar nicht. Wie oft hab ich dich letzte Nacht gefragt, ob du bei mir bleiben willst?«
»Also … das war eine rhetorische Frage, kein Heiratsantrag. Außerdem hatten wir alle ein paar Drinks zu viel.« Janines Augen funkelten. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie wundervoll diese Nacht gewesen war.
»Wenn du wirklich willst, dass ich hier vor allen Leuten auf die Knie falle und dich um deine Hand bitte – von mir aus.« Schon machte er Anstalten, vor ihr niederzuknien.
»Um Himmels willen, setz dich hin«, flüsterte Janine und sah sich um. »Wir haben schon Aufsehen genug erregt!«
»Ach was, von mir aus kann die ganze Welt mitkriegen, wie glücklich ich bin.«
»Ja, aber nicht all deine Gäste.«
»Hört, hört! So spricht die geborene Hoteliersfrau! Immer Rücksicht auf die Gäste nehmen, immer die eigenen Interessen zurückstellen. So ist es richtig.« Er zwinkerte ihr zu. In der letzten Nacht hatte er mit Janine besprochen, wie ihre Zukunft aussehen sollte. Und in diesen Plänen spielten Marion und Oliver keine unerhebliche Rolle.
So war es denn auch der Arzt, der ihnen ihre Pläne erläuterte.
»Seid doch mal ernsthaft«, bat er. »Also – ich habe Folgendes vorzuschlagen: Ich werde hier ganz in der Nähe ein kleines Haus kaufen, damit wir uns oft sehen können.«
»Löblich«, warf Janine grinsend ein.
»Finde ich auch.« Marion trank der Freundin zu. »Ich befürchte nur, unser ganzer Gewinn vom Reisebüro wird draufgehen, wenn wir immerzu hierherfliegen müssen.«
»Na ja, wenn Markus sich dann eines Tages doch noch aufrafft und mir einen Antrag macht, dann bin ich ja hier«, warf Janine ein.
»Eben. Und deine Agentur wird eine neue Inhaberin brauchen. Ich denke, Marion wäre daran interessiert.«
»Wäre ich schon, aber das Geld hab ich leider nicht«, musste Marion eingestehen.
Oliver zog einen schmalen Ring aus der Tasche, dazu ein Blatt Papier. »Beides möchte ich dir schenken – ein vorgezogenes Hochzeitsgeschenk.«
Marions Hände zitterten ein wenig, als sie den Ring entgegennahm, einen schlichten Weißgoldreifen mit einem funkelnden Solitär darin. »Das ist …« Plötzlich schimmerten ihre Augen feucht.
»Lies mal, was da steht«, forderte Janine.
Marions Augen wurden weit. »Das ist ein … ein Vorvertrag! Für den Kauf der Agentur! Aber das geht doch nicht! Du liebst deinen Laden doch so sehr!«
»Das schon. Aber noch mehr liebe ich diesen verrückten Kerl hier.« Sie stand auf, trat hinter Markus und legte die Arme um ihn. »Seinetwegen werde ich wohl hierher umziehen müssen. Und du … schickst mir immer tolle Gäste.«
»Ich glaube, ich brauche noch Champagner«, murmelte Marion. »Trocken kann ich solche Neuigkeiten einfach nicht verkraften.«
»Daran soll’s nicht scheitern«, lachte Janine und winkte einem Kellner.
»Ich sag’s ja – sie ist die geborene Hoteliersfrau«, kommentierte Markus.