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Kaufrausch
Bernd ging vor mir her. Ich blickte auf seinen Haaransatz im Nacken, er hatte da einen Wirbel. Plötzlich spürte ich den unbändigen Wunsch, ihn genau da zu berühren, zu küssen.
In diesem Moment blieb er stehen und drehte sich um, lächelte mich an. Er streckte seine Hand aus, zog mich an sich. Ich spürte seinen Mund an meiner Schläfe, hörte seine Stimme.
»Es ist gut, dass du wieder da bist. Ich war so ein Idiot, ich will das nicht ohne dich.«
Mein Herz schlug schneller, mich überkam ein wohliges Gefühl der Sicherheit. Ich legte meine Hand an seine Wange, versuchte ihm in die Augen zu sehen und hörte den Wecker.
Bitte nicht, dachte ich und stellte den Klingelton aus.
Ich blieb auf dem Rücken liegen, fühlte das wohlige Gefühl schwinden, wurde langsam wach und hörte Edith: »Er hat dich verlassen, es geht ohne dich, du hast das nur geträumt.«
Ich schloss die Augen wieder, sah Bernds Lächeln, spürte seine Hand, spürte die Sehnsucht und fühlte mich einsam.
Charlotte half. »Du bist mit Luise verabredet. Du hast genug Geld, ihr geht einkaufen, du kaufst irgendetwas Schönes für deine Wohnung, keiner redet rein, das wird ein toller Tag.«
Edith setzte nach. »Frustkäufe gegen die Einsamkeit. Na toll, das machen auch genug andere Frauen in deinem Alter. Ersatzleben.«
|123|Ich setzte mich auf, mir war schwindelig, mein Rücken tat weh.
Das Gefühl, das ich im Traum gehabt hatte, hing immer noch in der Luft. Bernds Stimme war in meinem Ohr. »Ich will das nicht ohne dich.«
Ich ärgerte mich über die aufsteigenden Tränen, quälte mich aus dem Bett und ging ins Bad.
Kurz vor 11 Uhr stand ich vor dem Eingang des Stilwerks und wartete auf Luise.
Das Stilwerk ist ein beeindruckendes Gebäude, das direkt am Hafen liegt. Moderne Architektur außen, innen eine Ansammlung von Designer-Läden, Möbel, Stoffe, Bäder, Dekorationen, alles, was man braucht, um seine Altbauwohnung so auszustatten, dass man damit in die ›Schöner Wohnen‹ kommt.
Vor fünf Jahren war ich mal mit einem Kollegen hier gewesen. Wir hatten in der Nähe ein Verlagsessen gehabt, danach hatte er mich gefragt, ob ich ihn zum Bahnhof fahren könnte, er wollte allerdings vorher noch einen Duschkopf kaufen. Ich stimmte zu und ließ mich zum Stilwerk dirigieren. In meiner Ahnungslosigkeit erwartete ich einen Baumarkt und verstummte in Ehrfurcht, als wir in einem kleinen Stilwerk-Laden standen und einen Duschkopf kauften, der genauso viel kostete, wie unsere gesamten Badezimmer-Armaturen im Haus. Baumarkt eben.
Damals kam ich mir vor wie in einer anderen Welt.
Charlotte erinnerte mich.
»16 125,20 Euro. Heute gehörst du dazu.«
Ich verspürte Vorfreude.
Ich ging einen Schritt zur Seite, um einem Paar Platz zu machen, das an mir vorbei zum Eingang ging. Er ließ ihr den Vortritt, legte ihr die Hand auf den Rücken. Sie drehte sich zu ihm um, lächelte, blieb stehen, küsste ihn, ging dann weiter. Die |124|Drehtür trennte sie für einen kurzen Moment, als er nach ihr freigelassen wurde, wartete ihre Hand auf seine.
Meine Blicke folgten ihnen.
Edith sagte: »Das willst du auch.«
Charlotte antwortete: »Und gleich kriegen sie sich in die Haare, weil er alles, was sie will, zu teuer findet oder nicht leiden mag.«
Ich glaubte ihr nicht, sah die wartende Hand vor mir.
»Was machst du denn für ein Gesicht?« Unvermittelt stand Luise vor mir. Sie umarmte mich.
Ich schüttelte das Bild der beiden ab und sah Luise an. »Ich war in Gedanken.«
»Die waren anscheinend nicht so prickelnd.«
Sie zog mich in das Foyer des Stilwerks und sah sich um.
»Ist das nicht irre? Ich liebe diese Läden. Und wenn wir nur gucken, es ist einfach toll.«
Ihre Begeisterung wischte die Wolken um meinen Kopf beiseite.
Charlotte schob nach.
»16 125,20 Euro. Und niemand, der sich einmischt und Rechtfertigungen will.«
Ich holte tief Luft, hakte Luise unter, merkte, wie dünn sie war, und sagte: »Können wir nicht erst mal frühstücken und dabei einen Plan machen? Wonach wir überhaupt suchen?«
Ich steuerte mit ihr auf ein kleines Bistro zu, das gleich neben dem Eingang liegt.
Wir bekamen einen Tisch am Fenster mit Blick auf die Elbe und bestellten bei dem ausgesprochen hübschen Kellner zweimal das kleine Frühstück.
Man kann von hier aus auf den Parkplatz sehen, wohin immer mehr Autos fuhren. Ich war überrascht, wie viele Menschen |125|es sich leisten konnten, samstags die Shoppingtour im Stilwerk zu machen.
Luises Blick folgte dem meinen. »Die meisten gucken nur.« Sie prostete mir mit ihrer Kaffeetasse zu. »Wir können kaufen.«
Ich fühlte mich ein bisschen aufgeregt und sehr leicht.
Luise holte einen Zettel aus ihrer Handtasche, schob den Teller mit ihrem angebissenen Brötchen zur Seite, legte den Zettel auf den Tisch und strich ihn glatt.
»Also, ich brauche …«
Während ich weiterkaute, nahm ich den Zettel, schob ihren Teller wieder zurück und sagte etwas undeutlich: »Iss doch erst mal auf.«
Luise blickte mich an. »Was hast du denn? Du hörst dich an wie meine Mutter.«
»Ich will nicht, dass du so dünn wirst, dann sehe ich so breit neben dir aus. Und dem hübschen Kellner tut die dicke Frau neben der schönen dann leid. Und Mitleid kann ich nicht gut ertragen.«
Luise lachte und schüttelte den Kopf. »Du bist albern.«
Sie aß weiter, während ich ihre Liste überflog. Bett, Badezimmerspiegel, Lampen, Mülleimer, Fußmatte.
Ich sah hoch, dachte an die Labels und Preise in diesem Haus und gab Luise die Liste zurück.
»Dir ist schon klar, dass du das alles auch bei Ikea und im Baumarkt kaufen kannst und dann einen Bruchteil von dem bezahlst, was du hier ausgibst?«
Sie steckte die Liste in die Tasche zurück.
»Das weiß ich, das habe ich sonst auch gemacht. Ich habe aber ein Sparbuch, für schlechte Zeiten.« Sie schluckte.
»Und ich finde, das sind jetzt keine besonders guten Zeiten. Ich richte eine Single-Wohnung ein, das mache ich für mich und es soll schön werden. Keine Vernunft mehr, wenigstens nicht heute.«
Ich dachte an mein neues Sofa und die übrigen neuen Dinge. |126|Und an das befreiende Gefühle, damit das alte Leben zu ersetzen.
»Ich habe auch viel neu gekauft. Wobei ich nur für das Sofa viel Geld ausgegeben habe. Der Rest war vernünftig. Es heilt nicht unbedingt die Schmerzen, aber es klebt Pflaster auf die Seele, man sieht die Wunden dann nicht mehr sofort. Und das tut schon gut.«
Luise drückte ihre Zigarette aus und winkte dem hübschen Kellner zu.
»Christine, wir sind heute nicht vernünftig und ich will keine traurigen Gefühle mehr. Komm, wir verpflastern jetzt unsere Seelen.«
Wir begannen den Rundgang in einem Geschäft für Badezimmerzubehör. Es war der Laden, den ich schon kannte. Bäder aus Holz, Chrom und Porzellan, runde und eckige Badewannen, verrückte Waschbecken und wilde Armaturen. Zwischendurch Dekorationen, deren Preisschilder mich schlucken ließen.
Nach 20 Minuten hatte Luise sich einen Badezimmerspiegel ausgesucht und zurücklegen lassen. 1,50 Meter breit, 50 Zentimeter hoch mit schwerem Silberrahmen. Luise sah hochzufrieden aus. Der Mann an der Kasse auch.
Ich bezahlte für eine Seifenschale aus blauem Porzellan, drei Dosen aus Chrom, einen flachen schwarzen Korb und einen Duschvorhang 320,– Euro. Ich empfand das als Schnäppchen.
Die elegante Tüte und mein Hochgefühl bestätigten mich in meinem beginnenden Leichtsinn.
Danach kam ein Stoffladen. Wir fassten jeden Ballen, jede Falte an, fanden die Farben toll.
Ich sah Luise an. »Ich kann überhaupt nicht nähen.«
Sie zuckte bedauernd die Schultern. »Ich eigentlich auch nicht.«
»Wirklich schade.«
Wir verließen das Geschäft, ohne Tüte.
Es folgte ein Büroeinrichter. Wir setzten uns auf mindestens |127|zwanzig Bürostühle, strichen über Schreibtische, knipsten Lampen an und aus.
Ich bezahlte eine Wanduhr, drei Ablagekästen, ein Behältnis für Büroklammern, eine Schreibtischlampe und eine Pinnwand aus Metall. 340,– Euro.
Luise nahm Prospekte mit.
Dann kam ein Küchenladen. Luise stapelte Tassen in ihren Einkaufskorb, ich suchte mir Kerzenständer und Servietten aus.
Vor den Gläsern blieben wir länger stehen. Luise nahm bewundernd ein Rotweinglas in die Hand, schlicht, groß, schön.
»Guck mal, Christine, das kostet fast zehnmal so viel wie meine Gläser von Ikea.«
Sie legte einen Karton mit sechs Gläsern in den Korb.
Mittlerweile stand ich vor den Espressomaschinen. Das war für mich seit Jahren der Inbegriff der Luxusküche. Bernd mochte keinen Espresso, ich liebte Espresso, ich bekam von Ines eine kleine Kanne für den Herd, eine Maschine war Illusion.
Luise stand neben mir. »Welche nimmst du?«
Charlotte flüsterte: »Immer noch über 10 000 Euro.«
Meine anerzogene Vernunft war schneller als Edith.
»Ach, das lohnt doch nicht. Für die paar Tassen Espresso oder Milchkaffee. Außerdem kostet keine unter 800 Euro.«
Luise stupste mich an und lachte. Ich sah sie an.
»Meinst du echt?«
»Christine, die ist für dich, natürlich lohnt sich das.«
Ich sah mich im Bademantel und mit dicken Socken morgens vor einem dieser wunderbaren Chromteile stehen, sah mich einen Knopf drücken, hörte das Geräusch des Mahlwerks und roch den Kaffee.
Letzteres war real, eine Mitarbeiterin stand plötzlich neben uns und balancierte zwei kleine rote Espressotassen.
»Darf ich Ihnen einen Espresso anbieten und Ihnen dabei die Geräte zeigen?«
|128|Eine halbe Stunde später schrieb ich meine Adresse für die Anlieferung auf und zeichnete den Kreditkartenbeleg ab. 1150,– Euro.
Den Kerzenständer, die Servietten, sechs Espressotassen, eine Chromkanne für heiße Milch und eine Pfeffermühle zahlte ich extra. 160,– Euro.
Luise bekam für ihre Weingläser und die Tassen ebenfalls die dunkelgraue Stofftasche.
Ich fühlte mich großartig und fasste nach Luises Ellenbogen.
»Luise, ich habe eine Espressomaschine. Herrlich. Lass uns mal eine Pause machen, ich habe einen total trockenen Hals.«
Wir fanden ein kleines Bistro mit Stehtischen und Barhockern, bestellten uns eine große Flasche Wasser und zwei Gläser Sekt.
Ich war immer noch aufgeregt, Luise lachte, hob ihr Glas.
»Auf Milchkaffee und Espresso und die Tatsache, dass alles, was wir für uns machen, sich lohnt.«
Ich freute mich fast schwindelig und trank Wasser, um mich zu beruhigen.
Charlotte freute sich mit.
»Eine Espressomaschine. Endlich.«
Edith antwortete: »Das waren jetzt über 2000 Euro, für lauter Sachen, die man nicht zwingend braucht, jetzt ist es aber auch genug. Du solltest das Geld anlegen.«
Luise unterbrach die beiden Stimmen. »Was überlegst du?«
Ich antwortete schnell: »Gar nichts, ich freue mich einfach. Jetzt suchen wir noch ein Bett für dich aus und ich guck noch mal so rum.«
Luise zog wieder ihren Zettel aus der Handtasche. Bevor sie etwas sagen konnte, stieß jemand an unseren Bistrotisch, die Wasserflasche fiel um, der Inhalt ergoss sich genau zwischen meine eleganten Einkaufstüten und Luises Füßen.
»Himmel, das tut mir leid, o Gott o Gott, alles nass? Das tut |129|mir so wahnsinnig leid, ach, ihr seid das, ich habe euch gar nicht erkannt, na, das ist ja klasse, also sag mal.«
Anke.
Schwarzer kurzer Rock, enges Top, giftgrüne Jacke, rote Schuhe, alles wie immer zu eng. Ihre Haare standen wirr vom Kopf ab, ihr Gesicht glühte.
Sie wirbelte zurück, sagte etwas zu der Bedienung, lief dann zu einem etwa 30-jährigen blonden Mann, auf den sie energisch einredete. Sein hübsches Gesicht wirkte gequält.
Luises Gesichtsausdruck war unergründlich.
Ich sah sie fragend an. Sie senkte die Stimme, während eine Bedienung mit einem Lappen unsere Umgebung trockenlegte, und sagte: »Hamburg ist eine Metropole mit mehr als 1,7 Millionen Einwohnern. Das ist das kleinste Lokal im Stilwerk. Und wir treffen Anke.«
Inzwischen stand Anke mit dem jungen Mann im Schlepptau vor unserem Tisch. Er fühlte sich offenkundig sehr unwohl. Luises Gesicht zeigte noch immer keine erkennbare Regung. Ich hatte null Ahnung, was jetzt kam, ich kannte Anke kaum, hatte sie außerhalb des Stammtisches nie getroffen.
Anke zog den jungen Mann näher zu sich heran, sah erst ihn, dann uns an und stellte ihn mit ihrer gewohnt lauten Stimme vor.
»Mädels, das ist der süße David, ist er nicht lecker? Und hier sind meine alten Kolleginnen, Luise und Christine.«
Luise hob eine Augenbraue. David wurde rot, mir war Ankes Benehmen stellvertretend hochgradig peinlich.
Um die Situation zu retten, streckte ich ihm etwas übertrieben die Hand hin: »Hallo, ich bin Christine.«
Er schüttelte meine Hand, was ihn anscheinend noch verlegener machte.
Anke blieb ungerührt, strich ihm über die blonden Locken und fragte uns: »Und ihr beide shoppt so durchs Stilwerk? Zu viel Geld verdient, was?«
|130|Sie kicherte. David befreite vorsichtig seine Schulter aus ihrem Griff.
Ich suchte nach einem unverbindlichen Satz, Luise kam mir zuvor.
»Genau.« Sie winkte der Bedienung zu. »Zahlen bitte. Und wir haben noch einiges auf der Liste. Ich geh noch mal um die Ecke, dann müssen wir auch weiter. Also, Anke, David, ich wünsche euch noch einen schönen Tag.«
Sie stand auf, nickte beiden kurz zu und verschwand in Richtung Toiletten.
Anke sah mich empört an.
»Die wird wirklich immer arroganter, also, Christine, ich verstehe echt nicht, warum du dich mit ihr abgibst.«
Ich holte Luft und suchte nach einer Antwort, David rettete mich. »Komm, Anke, wir wollen doch um 12 Uhr im Fischereihafen-Restaurant sein.«
Er lächelte sie bemüht an, sie sah mit künstlichem Lächeln zu ihm auf.
»O ja, wir müssen uns sputen.« Sie tätschelte mir die Schulter. »Dann noch einen erfolgreichen Einkauf, Christine, kommst du eigentlich mit dem Single-Leben klar? Na, wird ja wohl hoffentlich nicht für immer sein, Kopf hoch, bis dann.«
Eine Antwort war nicht nötig, David schob sie zum Ausgang, sie drehte sich nicht mehr um.
Luise kam gleichzeitig mit der Bedienung und der Rechnung zurück. Ich hatte das Geld schon in der Hand. Nachdem ich bezahlt hatte, sah ich Luise an, die ihre Zigaretten in die Tasche steckte und aufstand.
»Was war das denn?«, fragte ich.
Luise zuckte mit den Schultern. »Das war typisch Anke. Sie lässt keine Peinlichkeit aus, findet jeden Fettnapf und blamiert andere Menschen bis aufs Mark. Ich finde sie unerträglich.«
Ich war verwundert über ihre barsche Reaktion. »So schlimm ist sie doch nun auch wieder nicht. Dieser David tat mir ein bisschen leid, ist das ihr Freund? Was ist denn mit Werner?«
|131|Luise verdrehte die Augen.
»Freund. Das ist ihre neue Trophäe. Sie reißt doch andauernd neue Typen auf, die werden jetzt auch immer jünger. Dieser David ist doch locker zehn Jahre jünger als sie. Sie gibt die witzige Chaosfrau und zieht eine Zeit lang mit den Jungs um die Häuser. Ganz öffentlich und immer so, dass Werner das auch mitkriegt. Anschließend lästert sie über Werner und stellt sich als Unschuldslamm und Ehefrau hin. Und Werner und alle anderen machen ihre Spielchen mit. Es ist richtig krank.«
Ich war überrascht. »Und woher weißt du das so genau?«
Inzwischen gingen wir langsam auf den Eingang des Möbelladens zu. Luise blieb stehen.
»Ich kenne Werner von früher, aus Berlin. Und ich war mit beiden befreundet. Am Anfang ihrer Ehe wenigstens. Aber diese ganze Geschichte wird immer verlogener und peinlicher, ich habe den Kontakt fast ganz abgebrochen. Christine, ich erzähle das ein anderes Mal, ich habe jetzt keine Lust, mir von Anke den Tag versauen zu lassen.«
Wir standen vor dem Eingang. Die Tür öffnete sich, als ich den Bewegungsmelder passierte.
Ich ging durch und drehte mich zu Luise um.
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Sie suchte hektisch in ihrer Tasche, fand es nach dem dritten Klingelton und nahm das Gespräch mit gespanntem Gesichtsausdruck an.
»Ach, hallo, Franziska.« Ihre Mine signalisierte Enttäuschung.
»Nein, du störst nicht, ich bin mit Christine im Stilwerk, was kann ich denn für dich tun?«
Sie hörte einen Moment zu.
»Die gehören zu … ja genau. Warte mal, die heißt Frau Strehlke. Die kauft auch die Kinderbücher ein.«
Während Luise Franziska zuhörte, lächelte sie.
»Du, wir wollten eigentlich nur gucken, aber im Moment geht es mit Christine durch, sie gibt mörderisch viel Geld aus. Ja, schätz doch mal.«
|132|Franziska sagte etwas. Luise sah mich an.
»Du findest 500 Euro mörderisch? Warte mal, Christine, bei wie viel bist du jetzt?«
Ich rechnete kurz nach und sagte: »2620,– Euro.«
»Hast du gehört, Franziska? 2620,– Euro.« Sie lachte laut auf. »Ja, sage ich ihr. Also, frohes Schaffen noch, tschüs.«
Luise steckte ihr Handy zurück in die Tasche und lächelte immer noch.
»Franziska meint, du schaffst die 10 000, es ist ja erst Mittag. Und du sollst dran denken, dass teurer Schnickschnack zwar kein Leben rettet, aber es ungemein erleichtert.«
Merk dir das, Edith, dachte ich.
Luises Miene hatte sich wieder entspannt. Trotzdem fragte ich. »Du wartest auf einen anderen Anruf, oder?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Irgendwie warte ich andauernd darauf, dass Alex sich meldet. Passiert aber nicht. Wir haben uns seit Wochen nicht gesehen, nur einige Male telefoniert. Ich wollte ja erst alles mit Dirk klären.«
»Weiß er denn, dass du eine Wohnung hast und ausziehst?«
Luise biss sich auf die Lippe. »Ich habe ihm eine SMS geschickt. Seine Antwort war: ›Lass mir Zeit.‹
Ich empfand Mitleid. »Ach, blöd, aber komm, du hast eine tolle Wohnung, wir sind jetzt hier, irgendwie klärt sich das schon. Es war doch gut mit euch, vielleicht meint er ja was anderes oder er hat gerade keine Zeit oder er hat sich verschrieben, warte mal ab. Diese blöden SMS sind doch schnell missverständlich.«
Ich hoffte, Recht zu haben.
Luise nickte. »Ja, hoffentlich. Und jetzt los, ich kaufe mir ein riesen Bett und denke dabei an Alex oder an die Männer, die nach ihm kommen.«
Wir schlenderten langsam durch die Gänge.
Ich nahm mir vor, mich nicht einschüchtern zu lassen, und bemühte mich um einen Gesichtsausdruck, der keinen Zweifel |133|daran ließ, dass ich seit Jahren ausschließlich in Läden wie diesem einkaufte.
Mir fiel das Sofa im Haus ein, Holz mit roten Polstern, 380,– Euro, Möbel-Rampe. Davor ein Kieferntisch, 120,– Euro, Baumarkt. Bernd fand die Käufe vernünftig, ich dachte damals, wir würden uns später was Schöneres kaufen. Später war jetzt, und Antje saß drauf.
Charlotte sagte: »Genau, später ist jetzt und du kaufst was Schöneres.«
Und in diesem Moment stand da der großartigste Sessel, den ich je gesehen hatte.
Ein riesiges Teil, weich, warm, sicher, dunkelrot, samtig, mit passender Fußbank.
Ich ging auf ihn zu, setzte mich hinein und wollte nie wieder aufstehen. Während ich die Augen schloss, hörte ich Charlottes »O ja« und dann Luises: »Ich suche dich, du wolltest doch mit nach Betten gucken.«
Ich öffnete die Augen und sah Luise an. »Ich habe mich gerade verliebt. Ich muss den haben. Unbedingt.«
Ediths Stimme. »Nur, wenn er unter 300 Euro kostet.«
Luise musterte mich. »Du passt da richtig gut rein. Der ist wirklich toll. Was kostet dich diese neue Liebe denn?«
Sie suchte das Preisschild, schüttelte den Kopf.
»Dieser Laden ist zu teuer, als dass man Etiketten an die Möbel tackert. Aber irgendwo muss doch was stehen.«
Sie suchte weiter. Widerstrebend stand ich auf und fand auf einem kleinen Beistelltisch eine diskrete Preisliste. »Luise, ich hab’s, 450,– Euro. Gekauft.«
Charlotte freute sich. »Ja, das ist doch in Ordnung. 150 mehr oder weniger, bei dem Kontostand.«
Ich setzte mich zufrieden und freudig wieder in dieses wunderbare Teil. Stirnrunzelnd studierte Luise die Liste. »Du musst richtig lesen, Schätzchen. 450,– Euro kostet die Fußbank, aber |134|ohne Samtbezug. Mit Samt 650,–. Wie gesagt, die Fußbank. Der Sessel in Samt, also so wie er ist, kostet 2200,– Euro.«
Ich schluckte. Edith auch. »Bist du irre? Fast 3000 Euro, das hast du für die halbe Küche im Haus bezahlt.«
Charlotte antwortete. »Eben, und jetzt kocht Antje da drin.«
Ein sehr smarter Verkäufer stand plötzlich vor uns und lächelte mich an. Auf seinem Namenschild stand Daniel. »Ein wirklich schönes Stück. Man will gar nicht wieder aufstehen, nicht wahr?«
Ich lächelte zurück und hatte das Gefühl, verstanden zu werden.
Luise sah mich an und öffnete den Mund. Ich war schneller.
»Ich nehme ihn.«
Luise machte den Mund wieder zu.
Der smarte Daniel sah mich irritiert an. Er schien enttäuscht, dass er kein Verkaufsgespräch beginnen konnte.
Ich saß immer noch in meiner halben Küche und sah lächelnd zu ihm hoch. Ich fühlte mich unglaublich gut.
Er wandte sich fast hilfesuchend Luise zu.
»Ja, äh, dann.«
Sie hielt seinem Blick stand. »Ich brauche noch ein Bett.«
Jetzt war er wirklich unsicher. »Wenn ich, äh, Ihnen was zeigen …«
Luise unterbrach ihn. »Ich habe schon eines gesehen, kommen Sie mal mit.«
Sie drehte sich um und marschierte zielstrebig auf ein riesiges Bett zu, ein Traum in weiß, auf dem unzählige Kissen und Decken drapiert waren.
Bevor ich Luise folgte, streichelte ich kurz über die samtige Armlehne meiner neuen Zuflucht. Daniel beobachtete mich etwas unsicher und schloss sich uns an.
Schließlich standen wir beide vor einem Traumbett, auf dem rücklings Luise lag.
Sie breitete ihre Arme aus, sah aus halb geschlossenen Lidern erst mich, dann Daniel an und sagte: »Das nehme ich.«
|135|Sichtbar angestrengt versuchte Daniel den Anfang eines geschulten Verkaufsgesprächs zu finden. Offenbar überlegte er auch, wie er herausfinden sollte, ob diese Spontankäuferinnen die Preise erahnten.
Seine Qualen wurden von einer resoluten Kollegin beendet. Sie trat zu uns, stellte sich als Frau Grönke vor, hatte, wie sie uns erzählte, gerade ein Matratzenseminar besucht und drängte Luise ihre kompetente Beratung auf.
Luise blieb also liegen und musste sich die detailreichen Unterschiede zwischen Latex, Federkern und Tempur anhören. Frau Grönke lief zu Hochform auf, Luise wippte mit ihrem Becken. Ich dachte an Loriot und die Spannmuffenfederung, und bevor sich der Lachreiz seinen Weg bahnen konnte, ging ich ein paar Meter weiter.
Während Luise sich tapfer und ernsthaft durch alle möglichen Schlafstellungen arbeitete, blieb ich vor einer kleinen Kommode stehen, die wunderbar in meinen Flur passen würde.
920,– Euro.
Die Lampe, die auf ihr stand, betonte das warme Holz. Sie gefiel mir. 320,– Euro.
Ich beschloss, beides zu kaufen.
Eine halbe Stunde später saßen wir Daniel an einem Glastisch gegenüber. Vor uns standen zwei Gläser Sekt. Wir schrieben wieder unsere Adressen auf, Daniel schrieb zwei getrennte Quittungen, jeden Posten las er laut vor, wobei er uns scharf ansah. Wir blickten ungerührt zurück.
Als unsere Kreditkarten durchgezogen waren, standen wir langsam, Daniel erleichtert auf.
Ich bedankte mich und gab ihm die Hand, was ihn wieder durcheinander brachte.
Luise tat dasselbe, dabei lächelte sie ihn auch noch strahlend an, während sie seine Hand lange schüttelte und sich lauthals bedankte, so als hätte er uns alles geschenkt.
Er sah verlegen aus, drehte sich unvermittelt um und nahm |136|zwei kleine weiße Porzellanvasen von einem dekorierten Esstisch. Mit großer Geste überreichte er sie uns.
»Meine Damen, eine kleine Aufmerksamkeit für zwei reizende Kundinnen.«
Wir verbeugten uns angemessen und verließen mit beherrschter Körperhaltung und ohne uns anzusehen den Laden. Wir folgten den Gängen des Stilwerks, unterwegs sammelten wir noch Luises zurückgelegte Einkäufe ein. Zielstrebig und ohne ein Wort gingen wir zum Parkplatz.
Kurz vor unseren Autos, mitten auf dem Parkplatz, blieben wir gleichzeitig stehen, sahen uns an und das unterdrückte Lachen platzte heraus.
Ich hielt Luise die kleine Vase hin. »Meine Damen, eine kleine Aufmerk …«
Das Lachen wurde hysterisch. Luise hielt sich die Seiten. »Der dachte, wir können nicht bezahlen.« Ihr liefen die Tränen.
Mir auch. »Luise, wir haben in 45 Minuten über 8000 Euro ausgegeben.«
Sie schnappte nach Luft und lachte laut weiter.
»Und wir haben nicht mal versucht zu handeln.«
Ich hatte Seitenstiche. Ich sah mir die Vase an. Das Lachen kollerte weiter.
»Dafür haben wir zwei Vasen, in die mindestens zwei kleine Blumen passen.«
Wir hockten mitten auf diesem Kiesparkplatz nebeneinander, um uns herum elegante Tüten, unsere Gesichter hochrot, und wir lachten wie zwei Teenager. Die ersten Passanten musterten uns verwundert. Einige lächelten.
Schließlich wischten wir uns die Tränen weg und quälten uns in eine aufrechte Haltung.
Luise atmete tief und bemüht gleichmäßig ein und aus. »Gott, war das schön.«
Wir gingen langsam zu unseren Autos. Ich fühlte mich gleichzeitig leicht und erwachsen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so zügellos Geld ausgegeben.
|137|Als wir vor Luises Auto standen, sah sie auf die Uhr und fragte. »So, und was machen wir jetzt?«
Charlotte flüsterte. »Der Ring, der Juwelier in der Langen Reihe.«
Ich blickte kurz auf meine verlassene Hand. Bevor Edith sich einmischen konnte, sagte ich schnell. »Ich würde dir in der Langen Reihe gerne noch einen Ring zeigen, ich fand den so schön, es stand aber kein Preis dabei. Und danach bringen wir unsere Autos und Taschen nach Hause und treffen uns später im ›Casa di Roma‹ zum Essen und Feiern.«
»Wunderbar.« Luise nickte. »Wobei ich bei deiner momentanen Stimmung glaube, dass der Preis jetzt auch egal ist.«
Charlotte lächelte.
Edith ließ ich nicht zu Wort kommen.
Am Ende dieses großartigen Tages saßen wir bei unserem Lieblingsitaliener, vor uns zwei Gläser Taittinger Rosé.
»Wenn schon, dann richtig.«
Luise hatte nicht lange gezögert und gleich den teuersten Champagner auf der Karte bestellt.
Ich drehte meine Hand so in das Kerzenlicht, dass der kleine Brillant in meinem Weißgoldring funkelte. »1630,– Euro.«
Das war die Antwort des Juweliers auf die Frage nach dem Preis gewesen.
Charlotte hatte ohne zu zögern gesagt: »Viel schöner als der blöde Ehering.«
Und Luise hatte sich zu mir gebeugt und geflüstert: »Los, probier ihn an, wenn er passt, nimmst du ihn.«
Natürlich passte er.
Edith gab sich der Mehrheit geschlagen.
Und jetzt sah meine Hand schön und selbstbewusst aus.
Luise folgte meinem Blick und freute sich mit. »Du hast es geschafft. Das halbe Jahr, das neue Leben und der Ehering ist abgelöst. Und dabei machst du mir auch noch Mut. Auf uns und das Leben.«
|138|Sie hob ihr Glas, wir stießen an. Bevor wir tranken, kam mir noch ein Gedanke.
»Weißt du was? Ich habe heute 7690,– Euro ausgegeben. Lustvoll. Jetzt zahle ich Georg noch seine 5000 Euro zurück, die er mir geliehen hat. Erleichtert. Dann bleiben von Bernds 15 000 Euro noch genau 2310,– Euro übrig. Das ist wenig. Davon geben wir heute Abend auch noch mindestens 100 Euro aus, na, sagen wir mal, 110, bleiben 2200,– Euro. Und der einzige Mann, dem ich beichten muss, dass ich nicht mehr von dem Geld anlegen konnte, ist mein Steuerberater. Und der kriegt für sein Kopfschütteln von mir sogar noch Honorar und sagt deshalb nichts. Luise, ich fühle mich so, als hätte ich es geschafft.«
Zufrieden nickten wir uns zu.