Kapitel 8 - Der Kubus

Vorsichtig betrete ich den spiegelnden Boden vor mir. Was diese Linien wohl bedeuten? Es ist absolut still, lediglich meine Schritte werden von den glasglatten Oberflächen zurückgeworfen. Der haushohe Kubus wirkt wie aus einem Stück gefertigt. Er ist absolut perfekt. Ehrfürchtig stelle ich mich vor das unglaubliche Gebilde. Ich habe es geschafft! Ich ganz alleine habe ihn gefunden. Ein Lächeln blitzt über mein Gesicht. Dieser Fund ist die Bestätigung, die ich für diese Mission brauche.

Ich fange an, die Oberfläche abzusuchen, doch nirgendwo kann ich eine Öffnung oder gar einen Eingang entdecken. Suchend laufe ich um das Objekt herum. Die Außenseite ist so glatt wie polierter Marmor. Ich fahre mit einer Hand darüber - fühlt sich warm an. Als ich mit der Hand an eine bestimmte Stelle komme, leuchtet auf einmal ein Fünfeck auf. Ich weiß genau, was das heißt. Ohne nachzudenken drücke ich auf die leuchtende Stelle.

Der Kubus reagiert ... Es zeichnen sich helle rechteckige Linien vor mir ab. Sie verblassen wieder und ein Eingang tut sich auf. Weißes Licht strömt mir entgegen und blendet meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Gebannt starre ich in den offenen Kubus.

Es sieht aus, als wäre der gesamte Würfel mit Wasser gefüllt, jedoch fließt es mir nicht flutartig entgegen, sondern bleibt in dem Raum gefangen. Lichtreflexionen tänzeln in Zeitlupe auf meinem Gesicht. Vorsichtig strecke ich eine Hand in die bizarre Flüssigkeit. Ich spüre einen leichten Widerstand, aber kein Nass. Es fühlt sich an wie ein Gas, nur dichter und träger.

Neugierig lehne ich mich immer weiter vor, bis ich den Raum letztendlich betrete. Die Tür schließt sich augenblicklich. Hier bin ich nun, mein Ziel ist erreicht. In der Mitte entdecke ich einen weiteren handgroßen Würfel. Zaghaft bewege ich mich darauf zu. Mein Herz rast vor Aufregung. Er sieht aus wie einer dieser Rubiks Würfel, nur ohne farbliche Markierungen. Ich ziehe meinen Handschuh aus und fasse ihn an.

Als ich ihn berühre, fängt er auf einmal an sich zu drehen. Die Felder verschieben sich in alle möglichen Richtungen, so schnell, dass ich den Bewegungen kaum folgen kann. Er dreht sich um jede Achse und durchläuft die verschiedensten Kombinationen, bis er auf einmal anhält. Aus heiterem Himmel gibt er einen hohen Pfeifton, gepaart mit einem gleißend hellen Licht, von sich. So laut, dass ich mir die Hände auf die Ohren presse und schreiend zu Boden gehe. die Umgebung fängt an, sich zu verzerren wie ein verflüssigtes Spiegelbild ... Plötzlich bricht der Ton ab.

»Hey, mein Großer, steh auf ... du musst dich nicht verstecken«, höre ich eine vertraute Stimme sagen.

Ich knie mit zugehaltenen Ohren am Boden, als mich jemand behutsam am Arm packt. Ich schrecke auf.

»Dad?«, frage ich unsicher und öffne langsam die Augen. Blinzelnd nehme ich wahr, was für mich unvorstellbar ist. Ich befinde mich in unserem alten Wohnzimmer, in der Arce Street 10. Ein Haus, das seit über 21 Jahren nicht mehr existiert. Es wurde abgerissen, um Platz für eines dieser gigantischen Einkaufszentren zu schaffen. »Wie ... wie kann das sein? Das ist unmöglich!«, stelle ich verunsichert fest. Hektisch sehe ich mich um. Es ist alles genau so, wie ich es in Erinnerung habe. Ich entdecke sogar Dinge, an die ich mich erst jetzt wieder erinnere. An der Wand hängt diese hässliche schwarze Uhr ohne Ziffern, deren Ticken mich früher immer verrückt gemacht hat. In der Luft riecht es nach dem Parkettpflegemittel meiner Mutter. Im Kaminofen brennt wie gewohnt ein Feuer und vor dem Ofen liegt etwas schwarze Kohle, die beim Nachlegen aus der Öffnung gefallen ist. Es ist alles stimmig bis in das kleinste Detail. Vor mir steht mein Vater, so wie ich ihn nicht mehr in Erinnerung hatte. Keine vor Krankheit aufgeplatzten, blutigen Stellen auf der Haut, keine blutunterlaufenen Augen oder ausgefallenen Haare. Er sieht gesund aus, so wie ich ihn aus guten Zeiten kenne, so wie ich ihn gerne im Gedächtnis behalten hätte. Er umfasst kräftig meinen Arm und zieht mich nach oben. Sprachlos lasse ich ihn gewähren. »Da ...das ist unmöglich, wie ... wie ... ich meine, du bist tot ...«

»Das ist richtig, John, dein Vater ist bereits vor vielen Jahren gestorben«, erklärt er mit ruhiger Stimme und streichelt mir den Kopf. Entsetzt ziehe ich meinen Arm wieder weg.

»Wer bist du?«

»Ich bin eine Wissensprojektion, die zurückgelassen wurde, um mit euch zu kommunizieren.«

»Wie ... ich verstehe nicht ganz ...«

»Um eine universelle Kompatibilität zu gewährleisten, projiziere ich mich direkt in deinen Verstand, wo ich ein deiner Persönlichkeit kompatibles und vertrautes Kommunikationsszenario wähle.«

»Aber ... es ist alles so echt ...«, stelle ich fest und berühre meine Umgebung.

»Dennoch eine Projektion. Der einzige Unterschied zur Realität ist, dass du weißt, dass dies eine Projektion ist«, sagt er und öffnet die Haustür. »Ich möchte dir etwas zeigen, John, gehen wir ein Stück.«

Die Person, die wie mein Vater aussieht, steht wartend im Türrahmen. Misstrauisch bewege ich mich auf sie zu.

»Das ist unfassbar, ich erinnere mich wieder an alles«, sage ich. »An jeden Geruch, jedes Detail und jedes Geräusch. Ich weiß zum Beispiel, wie das Gartentor gleich quietschen wird, wenn wir es aufmachen und welche Kraft ich aufwenden muss, um es zu bewegen. Ich erinnere mich, welchen Duft die Sträucher um diese Jahreszeit verbreiten und wie es sich anhört, wenn der Wind durch ihre Blätter streicht.«

»Euer Gehirn kann weitaus mehr Informationen aufnehmen, als ihr denkt. Nur weil du sie nicht abrufen kannst, heißt das nicht, dass sie nicht existieren. In euch Menschen steckt ein so großes Potenzial und doch nutzt ihr es nicht.«

Die Worte sind mir nicht fremd, dennoch fällt es mir schwer, mich auf meinen Begleiter zu konzentrieren, ich bin viel zu sehr von meiner Vergangenheit fasziniert.

Wir laufen in Richtung Park, es ist Sommer. Die Luft ist erfüllt vom Zwitschern der Vögel und dem Duft der Pflanzenwelt. Am anderen Ende werden gerade die Grünflächen gemäht und es riecht nach geschnittenem Gras. Wie ich diesen Geruch vermisst habe. Der Himmel strahlt so blau, dass selbst Maler neidisch auf diese Farbe geworden wären.

Ich bin daheim. Zu der Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. Eine Last fällt von meinen Schultern, eine unglaublich schwere Last, die sich dort über die Jahre angesammelt hat. Ich bin wieder der kleine Junge, der wild spielend durch die Gegend zog und so manch tollen Sommer erlebte. Der Junge, der sich beim Fahrradfahren die Knie aufschürfte und Eis von seiner Mutter auf die Prellungen gelegt bekam.

»Johnny, ... bist du noch bei mir?«, fragt er mich und fasst mir an die Schulter. Ich schrecke aus meinen Erinnerungen auf. »Warum? Warum bin ich hier? Warum bin ich auf diesem Mond, in dieser Höhle und in diesem Kubus? Warum ich?« »Du bist lediglich der Wert in einer Gleichung, dessen Existenz von wichtiger Bedeutung für das Gleichgewicht ist. Das warst du schon immer und wirst es auch immer sein, es gehört zu dir, wie deine Haarfarbe, die Form deiner Nase oder die vielen Fragen in deinem Kopf. Es kennzeichnet dich und macht dich aus.«

»Seid ihr Götter?«

Die Frage ist mir peinlich, als ich sie ausspreche und doch ist sie mir wichtig.

»Wenn eure Definition von Gott sich lediglich auf das Erschaffen bezieht, dann wären wir der Bezeichnung nach Götter für euch. Wenn es jedoch den Faktor allwissend, schon immer existent und Ursprung von allem beinhaltet, dann sind wir keine Götter, sondern einfach eine Spezies, die vor euch da war und in der Lage ist, Leben zu erschaffen.«

Ich fasse mir nachdenklich an mein Kinn. »Und was oder wo ist sie dann, die Quelle, der Ursprung?«

»Siehst du, Johnny, im Grunde unterscheiden wir uns da nicht von euch, wir wissen es auch nicht und genau wie ihr sind wir auf der Suche danach, nur dass wir am vorderen Teil des Weges suchen und nicht am hinteren.«

Ich sehe auf meine Füße. Ein kurzes Schweigen ... »Eine Frage beschäftigt mich schon seit langem«, sage ich dann. »Warum gibt es überhaupt Leben? Ist eine höhere Macht dafür verantwortlich?«

Die Projektion sieht mich an. »Die Existenz von Leben wird von euch fehlinterpretiert. Ihr verbindet damit Außergewöhnlichkeit, dabei weicht der Grund für die Existenz von Leben nicht von der kosmischen Norm ab, wie ihr vielleicht annehmt. Alle Objekte, die der Physik unterliegen, weisen ein bestimmtes Muster auf. Atome verbinden sich zu Molekülen, Moleküle zu Stoffen und Stoffe zu Planeten. Dieses Muster finden wir auch beim Leben wieder. Ihr Menschen schließt euch zu Gruppen zusammen, Gruppen zu Völkern und der Zusammenschluss aller Völker ergibt die Menschheit. Diese Gemeinsamkeit kennzeichnet das Leben als das, was es eigentlich ist: ein natürliches physikalisches Produkt wie jedes andere auch.«

»Was soll das heißen?«

»Es entstand, weil es möglich war und nicht weil es jemandes Wunsch war.«

Ich schaue nachdenklich den Kindern hinterher, die auf dem Spielplatz vergnügt schaukeln. Die Antwort ruft zwiespältige Gefühle in mir hervor, einerseits verwirrt sie mich, andererseits klingt sie logisch.

Auf einmal stoppen wir vor dem großen Teich und mein Begleiter setzt sich auf eine Bank vor dem Wasser. Ich setze mich kommentarlos daneben und schaue mit ihm auf den Teich hinaus.

»Ihr Menschen beunruhigt uns, Johnny, eure Entwicklung ist eine Anomalie. Eure Kollektivierung verhält sich unterschiedlich zu allen anderen Spezies und dennoch seid ihr so weit gekommen, weiter als viele andere. Aber ihr seid nicht reif genug, um den letzten Schritt zu vollziehen. Dennoch darf ich es euch nicht verwehren, es ist lediglich ein Rat, den ich euch gebe. Deine Leute werden kommen und sich holen, weshalb sie hier sind und du wirst dagegen nichts ausrichten können. Der Anfang der Wende wird beginnen und dieser Zyklus wird sich dem Ende neigen.«

»Ich verstehe nicht ganz ... was willst du damit sagen?«, frage ich verwirrt.

»Wenn die Zeit reif ist, wirst du wissen, was ich meine«, antwortet er und steht von der Bank auf. Ich sehe ihn eine Weile nachdenklich an. »Wer seid ihr?«, frage ich dann mit ernster Stimme.

Die Person geht zum Wasser und versucht die Enten anzulocken. »Wir verkörpern eine Seite der Waagschale, wir sind das Leben, die Erschaffer. Die andere Seite ist der Tod, die Zerstörer. Ohne das Leben ginge die Gleichung nicht auf und ohne den Tod ebenso wenig. Jeder Zyklus baut sich auf und wieder ab, Leben wird geschaffen und dann wieder zerstört. Das ist der normale Lauf der Dinge, dem wir alle folgen, bewusst oder unbewusst. Selbst dein von der Gesellschaft distanziertes Verhalten ist Teil der Gleichung. Was du als Individualität und Einzigartigkeit erlebst, ist nur ein weiteres Muster, das du noch nicht erkannt hast. Niemand existiert ohne Grund, jedes Handeln erfüllt seinen Zweck und schließt letztendlich den Kreis des Großen und Ganzen. Es gibt davor kein Entkommen.«

Die Worte treffen mich tief, glaubte ich doch mein ganzes Leben lang, einzigartig und besonders zu sein und jetzt wird das mal eben als Vorherbestimmung der Natur abgestempelt.

Auf einmal flüchten die Enten schnatternd ohne ersichtlichen Grund. »Wir haben nicht mehr viel Zeit, deine Freunde sind gekommen ...«

Bevor er den Satz zu Ende sprechen kann, verzerrt sich sein Antlitz. Die Geräusche verstummen und die Umgebung verwischt wie die aufgewirbelte Oberfläche eines Teichs.

Ich öffne die Augen und erblicke Grigax über mir, der seine Hand auf meinen Kopf gelegt hat.

»Ich hoffe, du hast erfahren, was du erfahren solltest.« Er setzt mich auf. »Deine Crew wird jeden Moment hier sein, wir müssen dich hier raus bringen.« Er zerrt meinen benommenen Körper nach draußen und lehnt mich gegen die Außenseite des Kubus. Ich höre das leise Hallen von Schritten und Worten. »Eure Körper sind keine Gedankenübertragung gewohnt.« Er schaut unruhig in die Richtung der sich nähernden Geräusche. »Wir haben euer Weibchen gefunden und mit hierher gebracht.«

Ich versuche mich aufzurichten, jedoch drückt mich Grigax wieder zu Boden.

»Sara ist hier? Geht es ihr gut?«, will ich wissen.

Grigax sieht mich irritiert an. »Was ist das für ein seltsames Interesse, das du für diesen Menschen hegst?« Auf einmal höre ich eine deutliche Stimme.

Captain Freeman entdeckt uns als Erster. »Grigax, was haben Sie da?«

Ich höre, wie die Schritte schneller werden. Eine Frauenstimme ruft laut meinen Namen. Sara ... schießt es mir durch den Kopf. Mein Herz schlägt höher, als ich ihre Stimme vernehme. Ein warmes Gefühl durchzieht meinen Körper. Sie rennt auf mich zu und wirft sich mir um den Hals. Tränen laufen ihr über die Wangen.

Mich überkommt eine plötzliche Welle der Erleichterung. All die angestauten traumatischen Erlebnisse brechen aus mir heraus. Schluchzend umklammere ich sie und fange an zu weinen wie ein kleines Kind. Endlich kann ich meinen Gefühlen Ausdruck verleihen, dem Schmerz, der Leere. Es fühlt sich an, als ob ein brechender Staudamm alles aus mir herausschwemmen würde. Die anderen stehen peinlich berührt um uns herum, keiner sagt etwas. Erst als ich mich wieder fasse, ergreift Freeman das Wort.

»Schön, Sie wiederzusehen«, sagt er und reicht mir die Hand.

»Unfassbar, er ist es«, ruft Oakland und deutet auf den Kubus.

»Können Sie ihn öffnen, Coleman?«, fragt mich Freeman.

Ich sehe die beiden zögernd an.

»Nein, kann ich nicht ...«

Der Captain lacht kurz auf. »Das ist ein Scherz, oder? Sie müssen es können, nur deswegen sind wir hier!«

»Ich kann es aber nicht.« Freeman schaut zu Grigax rüber, der einen Schritt nach hinten macht.

»Sie wollen mir sagen, dass wir Millionen von Kilometern weit gereist sind, um festzustellen, dass wir in dieses Scheißding nicht reinkommen?« Freeman tritt näher an mich heran. Nervös sehe ich in die Runde.

»Es ... es tut mir leid«, sage ich und blicke zu Boden.

»Nein, mir tut es leid«, sagt er unterkühlt, dann packt er meinen Arm und zieht meine Waffe aus dem Halfter, so schnell und geschickt, dass ich es nicht verhindern kann. Entschlossen richtet er die Pistole auf meinen Kopf. »Sofort öffnen!« Der Rest der Crew macht geschockt einen Satz nach hinten.

»Sie verstehen nicht, wir dürfen diesen Schritt nicht machen, wir sind dafür noch nicht bereit!«, schreie ich entsetzt.

»Das ist nicht die Antwort, die ich hören will.« Ich schaue Freeman angestrengt in die Augen. Ich erblicke das, was ich die ganze Zeit bereits vermutet habe. Den Wahnsinn, der hinter dieser Mission steckt, ausgeführt durch diesen Mann.

»Eher würde ich sterben, als Ihnen diesen beschissenen Kubus zu öffnen!«

Freeman lacht und schüttelt dabei den Kopf. »Ich weiß. Es wurde mir gesagt, dass Sie Ärger machen würden ... Sie lassen mir keine Wahl.« Er dreht sich nach rechts und sieht zu Lankford. Bevor ich verstehe, was er damit gemeint hat, feuert er einen Schuss ab. Entsetzt blicke ich zu Lankford, der mit einem Kopfschuss zu Boden geht. Mein Herz schlägt mit einem Mal so schnell, dass ich das Pochen in meinen Adern spüren kann.

Sara schreit auf. »Sind Sie wahnsinnig geworden?!«

Captain Freeman richtet ohne jegliche Gefühlsregung die Waffe auf Sara. »Festhalten, Preston!«

Preston packt Sara an beiden Armen und drückt sie an sich heran. »Na, Süße, so kommen wir also doch noch zu unserem Tänzchen«, sagt er und leckt ihr am Ohr. Sara fängt an, hysterisch zu schreien.

Freeman sieht wieder zu mir. »Betrachten Sie das eben als Warnung. Wenn Sie nicht spuren, können Sie sich ja vorstellen, was ich als nächstes mache.

Und jetzt öffnen Sie. Sofort!«

Ich schaue Hilfe suchend zu Grigax, der regungslos am Rande steht.

Freeman lacht. »Der wird Ihnen nicht helfen, die Xexar kümmern sich einen Scheiß um andere.«

Ich nicke resigniert. »Also gut ... gehen wir rein.«

»Wer sagt‘s denn, geht doch. Sie gehen voran und keine Tricks!«

Er schubst mich nach vorne und richtet die Waffe auf meinen Rücken. Preston hat Sara im Schlepptau und Oakland trottet den dreien wortlos hinterher. Konzentriert suche ich die Berührungsstelle an dem Kubus. Wie erwartet schiebt sich der Eingang unverzüglich auf. Oakland rastet beinahe aus vor Freude.

»So, nun habt ihr das, was ihr wolltet, lasst uns jetzt gehen.«

Freeman ignoriert mich.

»Dr. Oakland, jetzt sind Sie dran«, sagt er.

Oakland holt seinen Koffer und betritt den Raum.

Sara windet sich in den Pranken von Preston.

»John, er darf die Daten nicht transferieren!«, ruft sie mit verzweifelter Stimme.

»Hey, wer hat dich denn gefragt, Puppe!«, entgegnet Preston. Sara versucht sich zu befreien, kapituliert jedoch nach kurzer Zeit.

»Wie meinst du das?«, frage ich.

»Mein Vater ... er verwendet die Daten anders als du denkst!«

Ich sehe sie verwirrt an. »Dein Vater? Wie, ich verstehe jetzt gar nichts mehr!«

»Mowrer ... ich habe damals den Namen meiner Mutter angenommen«, antwortet sie. »Aber das ist jetzt nicht wichtig, er darf diese Daten nicht bekommen! Das ist mir jetzt klar geworden. Es ist falsch! Er hat vor den EDNV-1 Virus zu vervollständigen, zu einem Supervirus ... verstehst du, John?

Wir müssen ihn aufhalten«, schreit sie und bricht in Tränen aus.

Geschockt halte ich mich an der Wand fest. »Warum sollte er so etwas tun, das ergibt keinen Sinn?

Und wie konntest du nur für ihn arbeiten?«

»Ich weiß es nicht ... mein ganzes Leben lang wurde ich auf diese Mission vorbereitet, ich musste immer nur gehorchen, ohne nachzudenken ... ich kann das nicht mehr!«, schluchzt sie und bricht zusammen. Ich kann nicht glauben, was sie da gerade gesagt hat. »Es tut mir so leid, John! Bitte verzeih mir. Ich bin ein schlechter Mensch.«

»Ist ja rührend«, sagt Preston und steckt seine Zunge in Saras Hals. Bevor ich nachdenken kann, entreiße ich Freeman meine Pistole und richte sie auf Preston, der auf einmal wie gelähmt vor mir steht.

»Nimm deine Zunge aus ihrem Mund, du verschissener Drecksack!«

Alle stehen still. Auf einmal kommt Oakland aus dem Inneren des Kubus zurück, der von allem nichts mitbekommen hat.

»Ich wäre dann fertig«, ruft er und sieht uns verwundert an.

Sara wirft mir einen entschlossenen Blick zu.

»Bring das zu Ende, was ich nicht geschafft habe, John ... bitte, tue es für mich.«

Oakland realisiert erst jetzt die Lage und sieht mich geschockt an. »Tu es nicht, John!«, fleht er.

Ich drehe mich zu ihm und feure. Der Schuss hallt von den Wänden. Schmerzvoll verzieht er das Gesicht und lässt den Koffer fallen. In dem Moment greift mich Freeman von hinten an, schlägt mir die Waffe aus der Hand und drückt mich energisch zu Boden.

»Sie Idiot! Was haben Sie getan?! Sehen Sie sich diese Sauerei an.«

»Ich habe soeben die Menschheit gerettet!«, entgegne ich, das Gesicht auf den glatten Boden gedrückt.

Captain Freeman lacht höhnisch.

»Nein, Sie haben soeben einen fatalen Denkfehler gemacht«, sagt er und drückt mir seinen Stiefel fester in den Nacken. »Das B.I.T. funktioniert auch ohne lebenden Organismus, ähnlich wie eine Festplatte, die nur wieder an den Strom angeschlossen werden muss.« Er hebt die Pistole auf und geht drei Schritte nach hinten. »Preston, holen Sie den Kopf von Dr. Oakland, ich glaube, den braucht er nicht mehr ...« Hämisch lachend zieht Preston sein Armeemesser aus dem Stiefel und beugt sich zu Oakland runter. Mit ein paar heftigen Schnitten trennt er den Kopf von seinen Schultern. Das Blut verteilt sich großflächig auf dem Boden. Erschüttert sehe ich Preston zu, der Oakland wie ein Stück Schlachtvieh bearbeitet. »Okay, alles einpacken und zurück zum Schiff, ich will die Sequenz noch heute zur Erde schicken«, befiehlt Freeman. Preston kramt in seiner Tasche und legt uns Einweghandfesseln an, wie sie das Militär benutzt.

»Ich erkenne Sie nicht wieder. Sie sind ein Monster, Freeman!«, schreie ich entsetzt.

»Ich bin ein Mann, der seinen Job ernst nimmt und jetzt kein Wort mehr oder wir sorgen dafür, dass Sie nie wieder einen Laut von sich geben.«

Wir bewegen uns in Richtung Ausgang, ich zittere vor Wut. Ich wusste, dass etwas Derartiges passieren würde und doch hat mich keiner ernst genommen, ja, nicht einmal ich habe mich ernst genommen.

Sara und ich laufen gefesselt voraus, hinter uns geht Preston mit angelegtem Gewehr. Den Kopf hat er einfach in seinen Rucksack gepackt, aus dem jetzt das Blut tropft - wirklich widerlich.

Wir laufen zum Haupteingang des Raums, aus dem Freeman und die anderen gekommen sind. Es ist eine lange Treppe, die nach draußen führt. Grigax geht uns wortlos hinterher.

Freeman stößt von hinten mit der Waffe an. »Sagen Sie Ihrem Freund, dass wir jetzt das Energiefeld deaktivieren werden.«

»Ich denke nicht daran«, erwidere ich.

Freeman schlägt mir mit der Waffe auf den Rücken. »Kommen Sie schon, Sie wissen, was jetzt folgt. Sie sagen: Nein. Ich sage: Ja, und letztendlich richte ich die Waffe wieder auf Sara und Sie gehorchen.«

»Elender Dreckskerl!«, antworte ich und spucke auf den Boden vor ihm. Dann frage ich Grigax nach dem Energiefeld.

»Der Reaktor befindet sich an der Oberfläche«, übersetze ich für Freeman. »Er zeigt uns, wo ...«

»Brav, geht doch.«

Wir verlassen die Kammer mit dem Kubus und nehmen den Weg, auf dem die anderen gekommen sind. Auf einmal fängt Grigax an, mit mir zu reden.

»Wir können das nicht zulassen, das weißt du.«

Captain Freeman sieht uns streng an. »Was redet er da?«

»Nichts, er hat mir nur gesagt, wo der Generator ist.« Ich nicke Grigax zu.

Der Rückweg ist weit und die gefesselten Hände erschweren mir das Gehen. Ständig falle ich hin und bekomme jedes Mal einen Tritt in die Seite von Preston. Wie ein altersschwaches Pferd, das zur Schlachtbank getrieben wird. Sara ist verstummt und hat den Kopf nach unten gerichtet. Immer wieder laufen ihr Tränen die Wangen hinunter und sie schluchzt leise vor sich hin.

Als wir an Grigax Höhle vorbeikommen, stehen die Xexar in großer Schar vor uns und versperren den Weg.

»Was wird das hier?«, fragt Freeman verdutzt.

»Sie halten euch jetzt auf ...« Ich fange an zu lachen.

Preston unterbricht mein Gelächter. »Womit denn? Mit ihren Stöcken? ... Die haben doch nicht mal Waffen! Pah ...«

Preston und Freeman legen die Gewehre an. Die Xexar halten Stöcke, Steinäxte und andere Werkzeuge in den Händen.

»Wo sind eure Waffen?«, frage ich Grigax verwundert.

»Wir haben keine, wir Xexar führen keinen Krieg.«

Ich muss schlucken. Wie verzweifelt dieses Volk, angesichts der menschlichen Ignoranz, wohl sein muss.

Plötzlich stürzt sich Grigax von hinten auf Freeman und drückt ihn zu Boden. Die restlichen Xexar wittern ihre Chance und kommen auf uns zugestürmt. Preston legt an und feuert in die Menge.

Freeman versucht sich aus Grigax Griff zu befreien ... Es gelingt ihm an seine Pistole zu kommen und er feuert auf den Xexar. Erschrocken lässt dieser ihn los und hält sich den verwundeten Arm.

Preston schreit zu Freeman: »Hinter Ihnen!« Der Captain dreht sich um und erschießt einen Angreifer. Entsetzt sehe ich zu Boden. Es ist Tergex.

Grigax schreit auf und alle sind augenblicklich still.

»Sage ihm, wir deaktivieren den Generator, aber er soll aufhören damit!«

Ich rufe es zu Freeman herüber.

»Na also, was man mit so ein bisschen Druck nicht alles erreichen kann«, antwortet der und steckt die Pistole wieder weg.

Niedergeschlagen geht Grigax voraus. Die restlichen Xexar machen uns den Weg frei. Er bringt uns zu einer der Hauptschleusen, die zur Oberfläche führt. Als wir oben sind, deutet er auf einen großen Berg.

»Ich benötige zwei Ersatzenergiezellen zur Überbrückung.«

Ich übersetze es für Freeman.

»Soll er haben, der kaputte Rover steht nicht weit von hier, da sollten zwei Zellen drin sein«, sagt Freeman und drängt zum Weitergehen.

Wir kommen an der Unglücksstelle von Rover 2 an. Techniker Preston klettert in den umgekippten Wagen und kommt mit zwei dicken, metallenen Zellen wieder. Grigax nimmt sie entgegen.

»Ich überbrücke das Feld, ihr habt 20 Minuten, dann baut es sich wieder auf. Geht zu eurem Schiff, wartet, bis das Feld zusammenbricht und dann verschwindet von hier und kommt nie wieder.«

Ich komme mir schuldig und schlecht vor. »Ist gut, ich werde es ausrichten«, sage ich traurig.

Er hält mir die Hand entgegen. Ich ergreife sie.

»Wir werden uns wiedersehen, John Coleman, Träger der Menschen.«

Ich drücke seine Hand.

Freeman schiebt sich zwischen uns. »Ich kann nur hoffen, dass er uns nicht hintergeht. Falls doch, geht das nicht gut für ihn und seine Leute aus!«

»Grigax hält sein Wort, Freeman ... er ist nicht wie Sie«, entgegne ich und sehe ihn abwertend an.