16

»Wo fahren wir hin?«

Die dunkel getönte Trennscheibe hinderte Adam Treloar daran, den Fahrer zu sehen. Dessen Stimme, die aus versteckten Lautsprechern kam, klang schnarrend.

»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Dr. Treloar. Alles ist arrangiert. Bitte, verhalten Sie sich ruhig und genießen Sie die Fahrt. Und bitte keine weiteren Gespräche, bis wir unser Ziel erreicht haben.«

Treloars Blick huschte zu den Türschlössern. Er drückte die Knöpfe, um sie zu entriegeln, aber ohne Erfolg.
Was geht hier vor?
So sehr er auch bemüht war, sich zu beruhigen, konnte Treloar das Bild von Smith doch nicht verdrängen: Er sah ihn im Flugzeug vor sich - und im Zollbereich, wo Smith ihn entdeckt hatte; Smith’ Gesichtszüge hatten das verraten. Treloar betrachtete es als ein Wunder, dass der Bus angefahren war, bevor Smith hatte einsteigen können. Aber das hatte ihn nicht aufgehalten. Smith kam ihm vor wie ein Bluthund, der die Jagd einfach nicht aufgab. Auch im Hauptgebäude war er von Smith entdeckt worden, nur Sekunden, bevor er durch die Ausgangstür gerannt war. Und auch jetzt hatte ihn Smith beinahe eingeholt. Treloar zuckte zusammen, als er wieder die Hand vor sich sah, die sich um den Türgriff schloss und ihn zu öffnen versuchte.

Jetzt bin ich in Sicherheit, dachte er, immer noch bemüht, ruhiger zu werden. Der Wagen hat auf mich gewartet, wie man es versprochen hat. Und dort, wo ich hinfahre, kommt Smith nicht an mich heran.

Das linderte seine Sorge etwas, aber andere Fragen konnte es nicht verdrängen: Warum war Smith hinter ihm her? Argwöhnte er etwa, dass Treloar die Pockenerreger bei sich hatte? Oder wusste er es gar?

Unmöglich!

Treloar war mit der Vorgehensweise bei Biowaffenalarm durchaus vertraut. Wenn Smith auch nur den leisesten Verdacht gehabt hätte, dass er der Kurier war, wäre es Treloar niemals gelungen, den Laufgang zu verlassen, ohne verhaftet zu werden.

Warum also? Was hatte Smith dazu veranlasst, ihm zu folgen?

Treloar lehnte sich in die weichen Lederpolster zurück und blickte nach draußen. Durch die abgedunkelten Scheiben kam es ihm vor, als führe er durch die Nacht. Der Wagen rollte schnell über die Fernstraße, die von den Industrieparks rund um den Flughafen in die Stadt führte. Der Fahrer schien keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass man ihn wegen Überschreitung der Geschwindigkeitsbegrenzung anhalten könnte.

Treloar sollte das nur recht sein. Je früher sie ihr Ziel erreichten, umso früher würde er Antwort auf seine Fragen finden.

Dass Adam Treloar entkommen war, passte Nathaniel Klein gar nicht. »Ich weiß, dass Sie Ihr Bestes getan haben, Jon«, sagte er über eine abhörsichere Verbindung. »Aber jetzt müssen wir uns um Beria und Treloar kümmern.«

Smith lehnte an einer Säule vor dem Terminalgebäude. »Das ist mir klar, Sir. Aber was Treloar angeht wissen wir immerhin, dass der Wagen, der ihn abgeholt hat, ein

Regierungskennzeichen trägt.«
»Das lasse ich gerade untersuchen«, erwiderte Klein.
»Ich begreife nur nicht, weshalb er weggerannt ist.« »Weil er schuldig ist«, erklärte Smith kühl. »Treloar
hatte keinen Anlass, mir aus dem Weg zu gehen. Es war
klar, dass er sich von der Be gegnung in Houston her an
mich erinnerte. Weshalb also wegrennen? Wovor hatte er
solche Angst?«
Smith hielt kurz inne. »Und wohin war er in solcher Eile
unterwegs? Er hat nicht einmal sein Gepäck abgeholt.« »Aber Sie sagen doch, dass er ein Bordcase dabeihatte.« »Das hat er festgehalten, als ob die Kronjuwelen drin
wären.«
»Augenblick mal«, sagte Klein. »Da kommt etwas
wegen dieser Nummernschilder.«
Smith hörte das Geräusch eines Druckers, und dann
meldete Klein sich wieder.
»Der Wagen, der auf Treloar gewartet hat, ist auf die
NASA zugelassen.«
»Na schön; Treloar hat dort eine leitende Position. Das
könnte durchaus ausreichen, dass sie ihm einen Fahrer
schicken. Was aber immer noch die Frage unbeantwortet
lässt, weshalb er es so eilig hatte.«
»Wenn er auf der Flucht ist, Jon, hätte er sich dann ein
so auffälliges Fahrzeug bestellt?«
»Sicher - weil er ja nicht damit gerechnet hat, mich zu
sehen oder irgendwie angehalten zu werden.«
Smith überlegte. »Sehen wir zu, dass wir den Wagen
finden und fragen ihn dann, Sir.«
»Ich weiß etwas Besseres. Ich werde eine BOLOFahndung nach Treloar veranlassen.«
Das war eine sehr weitreichende Maßnahme. Eine
BOLO-Fahndung bedeutete, dass jeder Vollzugsbeamte
im Umkreis von hundert Meilen von Washington Treloars
Beschreibung und die Anweisung erhalten würde, ihn
sofort festzunehmen.
»Und bis wir ihn haben«, fuhr Klein fort, »bitte ich Sie,
hierher nach Camp David zu kommen. Der Präsident
möchte über Beria informiert werden. Ich will, dass er
Ihren Bericht aus erster Hand erhält.«

Der Lincoln rollte die Wisconsin Avenue hinauf und bog dann in eine ruhige, schattige Seitenstraße. Treloar hatte an der Georgetown University studiert und kannte die Gegend daher: Volta Place, ein Viertel am äußeren Rand des Campus, das gerade im Begriff war, in Mode zu kommen.

Die Türschlösser schnappten hoch, und der Fahrer hielt ihm die Tür auf. Treloar zögerte kurz, griff dann nach seinem Bordcase und stieg langsam aus dem Wagen. Jetzt hatte er zum ersten Mal Gelegenheit, sich den Fahrer näher anzusehen - gebaut wie ein Footballprofi, mit einem kantigen, ausdruckslosen Gesicht und dann einen Blick auf sein Ziel zu werfen, ein hübsches, erst vor kurzem renoviertes Häuschen mit weiß gestrichenen Ziegelwänden und schwarz lackierten Türen und Fensterläden.

Der Fahrer öffnete die Tür in dem schmiedeeisernen Zaun, der eine kleine Rasenfläche vor dem Haus begrenzte. »Man erwartet Sie, Sir.«

Treloar ging über den Plattenweg auf das Gebäude zu und griff gerade nach dem altmodischen Klopfer in Form eines Löwenkopfs, als sich die Tür öffnete. Er trat in einen winzigen Vorraum mit poliertem Parkettboden und einem Orientteppich.
»Adam, schön, Sie zu sehen.«
Treloar wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als er Dylan

Reeds Stimme hörte.

»Erschrecken Sie doch nicht so«, sagte Reed, schloss die Tür und sperrte sie ab. »Habe ich Ihnen denn nicht gesagt, dass ich hier sein würde? Jetzt ist alles in Ordnung.«

»Es ist nicht in Ordnung!«, brauste Treloar auf. »Sie wissen nicht, was am Flughafen passiert ist. Smith…«
»Ich weiß genau, was in Dulles passiert ist«, fiel Reed ihm ins Wort. »Und ich weiß auch über Smith Bescheid.«

Sein Blick wanderte zu dem Bordcase. »Ist es da drin?« »Ja.«
Treloar reichte ihm die Tasche und folgte Reed in eine

kleine Küche mit Blick auf einen Innenhof.
»Ausgezeichnet haben Sie das gemacht, Adam«, sagte
Reed. »Wirklich ausgezeichnet.«
Er griff nach einem Handtuch, holte den Behälter aus
dem Bordcase und stellte ihn in den Kühlschrank. »Die Stickstoffladung…« setzte Treloar an.
Reed sah auf die Uhr. »Ich weiß. Die reicht noch zwei
Stunden. Keine Sorge. Bald wird das Zeug richtig gelagert
sein.«
Er wies auf einen runden Tisch in der Frühstücksnische.
»Setzen Sie sich doch. Ich hole Ihnen einen Schluck zu
trinken, und dann können Sie mir alles erzählen.« Treloar hörte, wie Eiswürfel in ein Glas fielen. Als Reed
zurückkehrte, hielt er zwei hohe Gläser mit Eis und eine
Flasche Scotch in der Hand.
Nachdem er reichlich eingeschenkt hatte, hob er sein
Glas. »Gut gemacht, Adam.«
Treloar würgte einen Schluck hinunter und schüttelte dann heftig den Kopf. Reeds Gleichmut machte ihn
wahnsinnig.
»Ich sage Ihnen doch, es ist nicht alles in Ordnung!« Der Whisky löste ihm die Zunge, und es sprudelte
förmlich aus ihm heraus. Er verschwieg nichts, nicht
einmal was er im Krokodil getrieben hatte, weil Reed ihm
schon vor langem klar gemacht hatte, dass er über seine
Neigungen informiert war. Er ließ keine Minute seiner
Reise aus, um Reed damit die Möglichkeit zu geben, seine
Überlegungen nachzuvollziehen.
»Verstehen Sie denn nicht?«, fragte er mit fast kläglicher
Stimme. »Es kann kein Zufall gewesen sein, dass Smith in
derselben Maschine wie ich saß. In Moskau muss sich
etwas ereignet haben. Jemand muss der Kontaktperson,
wer auch immer sie war, gefolgt sein. Die haben uns
zusammen gesehen, Dylan. Die können eine Verbindung
zwischen ihm und mir herstellen! Und dann diese Szene
im Flughafen - Smith hat versucht, mich aufzuhalten.
Warum? Es sei denn, er wusste…«
»Smith weiß gar nichts.«
Reed füllte Treloars Glas nach. »Wenn man Sie
verdächtigen würde - glauben Sie denn nicht, dass dann
das halbe FBI Sie erwartet hätte?«
»Ja, daran habe ich auch gedacht! Ich bin doch nicht
blöd. Aber so ein Zufall…«
»So - jetzt haben Sie es selbst gesagt: Zufall.«
Reed beugte sich vor und sah sein Gegenüber mit ernster
Miene an. »Ich glaube, vieles davon war meine Schuld.
Als Sie mich vom Flugzeug aus anriefen, habe ich Ihnen
Anweisungen erteilt, die Sie, das ist mir bewusst,
buchstabengetreu befolgt haben. Aber was ich Ihnen
geraten habe, war unklug. Ich hätte Ihnen sagen sollen,
dass Sie nicht wegzulaufen brauchen, wenn Smith auf Sie zukommt. Das war ganz bestimmt nur normale Wissbegierde seinerseits, schließlich hat er sich von Houston her an Sie erinnert. Da ist es doch ganz normal,
dass er Sie ansprechen wollte.«
»Glauben Sie mir, es war mehr«, erwiderte Treloar
hartnäckig. »Sie waren nicht dabei.«
Das ist wahr. Aber meine Gedanken waren immer bei
Ihnen…
»Jetzt hören Sie mir zu, Adam«, sagte Reed. »Sie sind in
Sicherheit. Sie haben getan, was notwendig war und sind
jetzt wieder zu Hause. Überlegen Sie doch: Was kann man
denn von Ihnen wollen? Sie haben das Grab Ihrer Mutter
besucht. Das ist voll dokumentiert. Sie haben sich in
Moskau ein wenig umgesehen. Damit haben Sie
niemandem geschadet. Und dann kommen Sie wieder
nach Hause. Der Flughafen? Sie hatten es eilig. Sie hatten
keine Zeit, Ihren Koffer mitzunehmen. Und Smith? Den
haben Sie doch nie richtig zu Gesicht bekommen, oder?« »Aber warum war er hinter mir her?«, wollte Treloar
wissen.
An diesem Punkt half nur ein Stückchen Wahrheit,
erkannte Reed. »Weil Ihre Kontaktperson in
Scheremetjevo von einer Überwachungskamera aufgenommen worden ist - und Sie mit ihm.«
Treloar stöhnte.
»Hören Sie, Adam! Die haben ein Band von zwei
Männern, die nebeneinander an der Theke eines
Erfrischungsstandes in einem Flughafen sitzen. Das ist
alles! Keine Stimme, nichts, was Sie beide miteinander in
Verbindung bringt. Aber weil sie wissen, was der Kurier
bei sich hatte, sehen sie sich alle Kontaktpersonen genau
an.«
»Die wissen über die Erreger Bescheid«, sagte Treloar
stumpf.
»Die wissen, dass die Erreger verschwunden sind. Und
dass der Kurier sie bei sich hatte. Aber derjenige, hinter
dem sie her sind, ist er, nicht Sie. Niemand verdächtigt Sie
in irgendeiner Weise. Sie sind nur zufällig neben diesem
Mann gestanden.«
Treloar rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. »Ich
weiß nicht, ob ich das ertragen würde, Dylan… verhört zu
werden, meine ich.«
»Sie haben gar nichts zu befürchten, weil Sie nichts
getan haben«, wiederholte Reed. »Selbst wenn man einen
Lügendetektor einsetzen würde, was könnten Sie schon
sagen? Kannten Sie die Identität des Mannes, der neben
Ihnen stand? Nein. Sollten Sie sich mit ihm treffen? Nein.
Die Kontaktperson hätte genauso gut eine Frau sein
können.«
Treloar nahm wieder einen Schluck aus seinem Glas. So
betrachtet sah alles schon besser aus. Er fühlte sich ein
wenig wohler. Da war so vieles, was er verneinen konnte.
»Ich bin völlig erschöpft«, sagte er. »Ich brauche jetzt
Schlaf, irgendwo, wo niemand mich stören kann.« »Ist bereits veranlasst. Der Fahrer bringt Sie zum Four
Seasons. Dort ist eine Suite für Sie reserviert. Lassen Sie
sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Rufen Sie mich dann
später an.«
Als Treloar aufstand, legte Reed ihm den Arm über die
Schulter und brachte ihn zur Tür. »Der Wagen wartet
draußen. Adam, ich danke Ihnen. Wir alle danken Ihnen.
Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen.«
Treloars Hand lag bereits auf dem Türknauf. »Das
Geld?«, fragte er halblaut.
»Im Hotel erwartet Sie ein Umschlag. In dem Umschlag
finden Sie zwei Nummern. Die eine ist für das Konto, die
andere ist die Privatnummer des Bankdirektors in Zürich.« Treloar trat ins Freie. Wind war aufgekommen, und er
fröstelte. Als er sich umschaute, hatte sich die schwarz
lackierte Tür bereits hinter ihm geschlossen.
Der Wagen wartete nicht vor dem Haus. Treloar sah die
Straße hinauf und hinunter und entdeckte ihn schließlich
eine halbe Straße entfernt. Er glaubte zu begreifen, warum
das so war: Es gab keine Parkplätze.
Während er die Straße hinunterging und spürte, wie der
Scotch ihn von innen heraus wärmte, vergegenwärtigte er
sich noch einmal, was Reed zu ihm gesagt hatte. Er hatte
Recht: Alles, was in Russland geschehen war, lag hinter
ihm. Niemand besaß irgendwelche Beweise, die ihn
belasteten. Und außerdem wusste er so viel über Reed,
Bauer und die anderen, dass die ihn immer würden
schützen müssen.
Der Gedanke, über so viel Macht zu verfügen, machte
Treloar unvorsichtig. Er blickte auf und rechnete damit,
den Lincoln zu seiner Linken zu sehen. Aber er stand noch
ein Stück weiter die Straße hinunter, einen Steinwurf von
der Wisconsin Avenue entfernt. Er schüttelte den Kopf.
Offenbar war seine Müdigkeit größer, als ihm das bewusst
gewesen war; er musste die Entfernung falsch eingeschätzt
haben. Dann hörte er das weiche Klatschen von Ledersohlen auf Beton, Schritte, die sich ihm näherten. Treloar sah zuerst die Schuhe, dann die Hosenbeine mit
den messerscharfen Bügelfalten. Als er aufblickte, war die
Gestalt keine zwei Schritte mehr von ihm entfernt. »Sie!«
Treloars Augen weiteten sich, als er Iwan Beria
anstarrte. Beria trat schnell einen Schritt auf ihn zu.
Treloar konnte seinen Atem riechen, hörte das leise
Pfeifen in Berias Nase.
»Ich habe Sie vermisst«, sagte Beria leise.
Treloar stieß einen schwachen Schrei aus, als ein
scharfer Schmerz durch seine Brust zuckte. Einen
Augenblick dachte er, er habe einen Herzanfall.
»Als Sie ein kleiner Junge waren, haben Sie da mit einer
Nadel Luftballons angestochen? Mehr sind Sie nämlich
auch nicht. Bloß ein Luftballon.«
Treloar klammerte sich absurderweise an dem Bild fest,
als Berias Stilett bereits sein Herz durchbohrte. Er seufzte
tief und spürte, wie alle Luft aus seinen Lungen strömte.
Als er dann auf dem Bürgersteig lag, konnte er die
Fußgänger auf der Wisconsin Avenue sehen, und Beria,
der den Bürgersteig verließ. Er musste wohl versucht
haben, einen Schrei auszustoßen, denn Beria drehte sich
um und sah ihn an. Dann, während seine Augen sich
schlossen, schloss sich auch die Tür des schwarzen
Lincoln.

Dr. Dylan Reed hatte Adam Treloar bereits aus seinem Bewusstsein verdrängt, als die Tür hinter ihm zugefallen war. Da er die Arrangements selbst getroffen hatte, wusste er, was dem arglosen Wissenschaftler bevorstand. Als er in die Küche zurückkehrte, erwarteten ihn dort Dr. Karl Bauer und General Richardson - Letzterer in Zivil.

Richardson klappte gerade sein Handy zu. »Ich habe soeben mit Beria gesprochen. Alles erledigt.«
»Dann sollten wir machen, dass wir hier wegkommen«, erwiderte Reed.
Er sah zu Bauer hinüber, der den Behälter bereits aus dem Kühlschrank geholt hatte und ihn jetzt auf der Anrichte öffnete. Zu seinen Füßen stand eine Titankiste von der Größe einer Kühlbox, wie man sie zu Picknicks verwendet.
»Wollen Sie das wirklich hier tun, Karl?«
Bauer schraubte den Behälter erst ganz auf, bevor er antwortete. »Öffnen Sie bitte die Box, Dylan.«
Reed kniete nieder und zog an den Handgriffen. Ein leichtes Zischen war zu hören, als der Deckel sich öffnete.
In der Box war erstaunlich wenig Platz, aber Reed wusste, dass es sich bei der Box lediglich um eine etwas größere Version des Behälters handelte, den Treloar aus Russland mitgebracht hatte. Die dicken Wände waren mit Stickstoffkapseln besetzt, die das Innere auf einer gleichmäßigen Temperatur von minus zweihundert Grad Celsius halten würden. Bei der Box handelte es sich um eine Entwicklung der Bauer-Zermatt AG, die allgemein für den Transport toxischer Kulturen eingesetzt wurde.
Die Hände mit dicken Spezialhandschuhen geschützt, holte Bauer die innere Kammer mit den Ampullen aus dem thermosflaschenähnlichen Behälter. Sie sahen aus wie winzige Geschosse, dachte er. Nur dass sie wesentlich gefährlicher als jede Kernwaffe im Arsenal der Vereinigten Staaten waren.
Obwohl Bauer den Umgang mit Viruskulturen seit mehr als vierzig Jahren gewöhnt war, vergaß er nie ihre Gefährlichkeit. Er achtete darauf, dass die Arbeitsplatte und der Boden völlig trocken und seine Hände ganz ruhig waren, bevor er nach den Ampullen griff und sie in die dafür vorgesehenen Vertiefungen in der Box legte. Dann klappte er den Deckel zu, tippte eine alphanumerische Kombination in das Sicherheitsschloss und stellte die Temperatur ein.
»Gentlemen, die Uhr läuft«, sagte er, als er aufblickte.
Die Reihenhäuser am Volta Place hatten eines gemeinsam: Jedes verfügte über eine kleine Garage in den Hinterhöfen, die an eine schmale Gasse grenzten. Reed und Richardson trugen die Kühlbox in die Garage und verstauten sie im Laderaum eines Volvo Kombi. Bauer blieb noch einen Augenblick zurück und vergewisserte sich, dass nichts liegen geblieben war, was eine Verbindung zwischen den drei Männern und diesem Haus ermöglichen würde. Wegen Fingerabdrücken, Fasern von ihrer Kleidung oder sonstigen forensischen Kleinigkeiten machte er sich keine Sorgen; in wenigen Augenblicken würde ein spezielles NSA Reinigungsteam eintreffen und das Innere des Hauses feucht auswischen und absaugen. Die NSA unterhielt im Bereich Washingtons mehrere derartige Safe Houses. Für das Reinigungsteam war das nicht mehr als eine beliebige Station auf ihrem Einsatzplan.
Als Bauer zur Garage ging, hörte er das Heulen von Sirenen auf der Wisconsin Avenue.
»Wie es scheint, wird Adam Treloar jetzt gleich seine letzte Rolle spielen«, murmelte er, als er zu den beiden anderen in den Kombi stieg.
»Nur schade, dass er die Kritiken nicht mehr lesen kann«, sagte Reed und fuhr den Wagen aus der Garage.

17

Peter Howell stand auf der obersten Stufe der breiten Freitreppe, die zur Galleria Regionale an der Via Alloro hinaufführte. Die wohl berühmteste Galerie Siziliens besaß Gemälde von Antonello da Messina und das grandiose Fresko Triumph des Todes von Laurana aus dem 15. Jahrhundert, das Howell ganz besonders schätzte.

Er hielt sich ein Stück abseits von den Touristen, die die Treppe bevölkerten, vergewisserte sich, dass niemand ungewöhnliches Interesse für ihn zeigte, zog dann sein abhörsicheres Handy aus der Tasche und wählte die Nummer, die Jon Smith ihm gegeben hatte.

»Jon? Hier Peter. Wir müssen miteinander reden.« Achttausend Kilometer von ihm entfernt, steuerte Smith den Wagen auf den Randstreifen von Route 77.

»Sprechen Sie, Peter.«

Ohne seine Umgebung aus dem Auge zu lassen oder seine Wachsamkeit zu reduzieren, schilderte Howell sein

Treffen mit dem Schmuggler Franco Grimaldi, den Attentatsversuch, den man auf ihn verübt hatte, und seine Begegnung mit Master Sergeant Travis Nicols und seinem Partner Patrick Drake.

»Und Sie sind sicher, dass es amerikanische Soldaten waren?«, fragte Smith.
»Absolut«, erwiderte Howell. »Ich habe das Postamt beobachtet, Jon. Da stand ein Offizier an dem Schließfach, genau wie Nicols das gesagt hatte. Aber ich hatte keine Chance, ihn mir zu schnappen - und weiß auch nicht, wie ich in Ihren Stützpunkt außerhalb von Palermo gelangen sollte.«
Howell hielt kurz inne. »Jetzt sagen Sie mir, was Ihre Soldaten da für ein Spiel treiben, Jon.«
»Glauben Sie mir, das würde ich auch gern wissen.«
Das plötzliche Auftauchen von amerikanischem Militärpersonal - Soldaten als Meuchelmörder - fügte der ohnehin schon komplizierten Gleichung ein weiteres Glied hinzu. Eines, um das er sich unverzüglich würde kümmern müssen.
»Wenn Nicols und sein Partner sanktionierte Killer waren, dann muss sie doch jemand bezahlt haben«, folgerte Smith.
»Genau das war auch mein Gedanke«, erwiderte Howell.
»Haben Sie eine Vorstellung, wie man den Geldgeber ausfindig machen könnte?«

»Allerdings, ja«, erwiderte Howell und erläuterte Smith dann seinen Plan.

Zehn Minuten später setzte Smith seine Fahrt auf der Route 77 fort. Am Eingang von Camp David wurde er von einer militärischen Eskorte zu Rosebud geleitet, dem Gästeblockhaus, das unmittelbar neben Aspen stand. Drinnen saß Klein vor einem gemauerten Kamin und telefonierte. Er bedeutete Smith mit einer Handbewegung, dass er Platz nehmen solle, beendete sein recht einsilbiges Gespräch und wandte sich seinem Besucher zu.

»Das war Kirov. Seine Leute verhören jeden Einzelnen bei Bioaparat und versuchen Yardenis Kontaktleute herauszubekommen. Bis jetzt ohne Ergebnis. Dieser Yardeni hat offenbar den Mund gehalten. Er hat auch nicht mit Geld um sich geworfen oder damit geprahlt, bald im Westen das süße Leben führen zu wollen. Niemand erinnert sich daran, ihn je in Gesellschaft irgendwelcher Ausländer gesehen zu haben. Kirov lässt seine Telefonate und seine Post überprüfen, aber ich bin nicht sehr optimistisch, dass dabei etwas herauskommt.«

»Wer auch immer sich an Yardeni herangemacht hat, war also äußerst vorsichtig«, stellte Smith fest. »Man hat sich vergewissert, dass er der richtige Mann für diesen Job war - jemand ohne Familie, korrupt, aber einer, der den Mund halten konnte.«

»So sehe ich das auch.«
»Was hat Kirov denn sonst noch zu bieten?«

»Nichts. Und das weiß er auch«, schnaubte Klein. »Er hat sich große Mühe gegeben, nicht zu viel Erleichterung darüber zu zeigen, dass das Ganze jetzt unser Problem ist. Nicht, dass ich ihm das übel nehmen könnte.«

»Die Auslöser dieser ganzen Schweinerei sind immer noch russische Pockenerreger, Sir. Wenn das bekannt wird…«

»Das wird es nicht.«

Klein sah auf die Uhr. »Der Präsident erwartet in einer

Viertelstunde meinen Anruf. Was gibt’s für Neuigkeiten?« Smith berichtete in knappen Worten über das, was in
Russland geschehen war, sowie von seiner Begegnung mit
Treloar am Dulles Flughafen. Kleins Auge n weiteten sich
überrascht, als Smith ihm berichtete, dass jetzt
amerikanische Soldaten mit im Spiel waren. Dann
erläuterte Smith ihm, wie er weiter vorgehen wollte. Klein überlegte einen Augenblick. »Das sagt mir im
Großen und Ganzen zu«, meinte er schließlich. »Aber es
gibt da ein paar Punkte, die Außenstehenden recht
schwierig zu verkaufen sein dürften.«
»Ich wüsste nicht, dass wir eine andere Wahl hätten,
Sir.«
Bevor Klein antworten konnte, wurde von seiner
Sekretärin ein Anruf durchgestellt. Smith sah, wie es in
seinen Augen aufleuchtete, als er zuhörte.
Er legte die Hand über die Sprechmuschel und flüsterte:
»Man hat Treloar mit BOLO festgenagelt!«
Smith beugte sich sichtlich erfreut in seinem Sessel vor,
sah aber, wie Kleins Miene sich wieder verdüsterte. »Sind Sie sicher?«, fragte er und dann, nach einer kurzen
Pause: »Keine Zeugen? Niemand hat etwas gesehen?« Er lauschte weiter und entschied dann: »Ich möchte den
Bericht der Ermittler und die Fotos vom Tatort sofort per
Fax auf meinem Schreibtisch haben. Und, ja, BOLO kann
abgepfiffen werden.«
Der Hörer krachte auf die Gabel.
»Treloar«, sagte Klein und knirschte mit den Zähnen.
»Die Cops haben ihn am Volta Place in der Nähe der
Wisconsin erstochen aufgefunden.«
Smith schloss die Augen und sah den verängstigten
kahlköpfigen Mann mit den seltsamen Augen vor sich. »Ein Irrtum ist ausgeschlossen?«
»Bei der Leiche hat man einen Pass und sonstige
Ausweispapiere gefunden. Er ist es zweifellos. Jemand hat
ihm aus nächster Nähe ein Stilett ins Herz gestoßen. Die
Polizei sagt, es sei ein Überfall gewesen.«
»Ein Überfall… Hat man bei der Leiche etwas gefunden,
eine Reisetasche?«
»Nichts.«
»Ist er beraubt worden?«
»Geld und Kreditkarten waren verschwunden.« »Aber nicht seine Brieftasche oder sein Pass. Die hat
man ihm gelassen, um die Identifizierung zu erleichtern.« Smith schüttelte den Kopf. »Beria. Derjenige, der
Treloar eingesetzt hatte, wusste, dass er ein schwaches
Glied in der Kette war. Sie haben Beria dazu benutzt, ihn
zu beseitigen.«
»Und wer sind ›sie‹…?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Aber die Übergabe hat
stattgefunden. Jetzt haben ›sie‹ die Erreger. Treloar wurde
nicht mehr gebraucht.«
»Beria…«
»Deshalb ist Beria nach St. Petersburg gefahren, und
deshalb hat er die Finnair Maschine genommen. Das war
keine Flucht. Er ist hierher gekommen, um das schwache
Glied zu eliminieren.«
»Das hätte doch jeder andere auch tun können.« »Die Exekution? Ja. Aber wäre es denn nicht besser,
einen Mann einzusetzen, der uns unbekannt ist - oder
zumindest war? Wir besitzen eine Beschreibung, aber
keine Fingerabdrücke, kennen seine Methoden nicht. Beria
ist die perfekte Wahl, weil er für uns ein völlig
unbeschriebenes Blatt ist. Gibt es denn eine bessere
Tarnung für einen Auftragskiller?«
»Dann hat also in Scheremetjevo doch ein Austausch
stattgefunden?«
Smith nickte. »Treloar hatte die Erreger die ganze Zeit
bei sich.«
Er schüttelte den Kopf. »Und ich saß keine zehn Meter
von ihm entfernt.«
Ohne den Blick von Smith zu wenden, griff Klein nach
dem Telefon. »Wir wollen den Präsidenten nicht warten
lassen.«
Smith war überrascht, den Präsidenten in Freizeitkleidung und formloser Umgebung anzutreffen. Nachdem Klein ihn vorgestellt hatte, sagte Castilla: »Ihr Ruf geht Ihnen
voraus, Colonel Smith.«
»Vielen Dank, Mr. President.«
»Nun, wie ist die neueste Entwicklung?«
Klein berichtete von dem Mord an Adam Treloar und
erläuterte die Folgerungen, die daraus zu ziehen waren. »Treloar«, sagte der Präsident. »Können Sie sich
vorstellen, dass Sie über ihn einen Hinweis auf die
restlichen Verschwörer bekommen werden?«
»Ganz bestimmt nehmen wir sein ganzes Leben unter
die Lupe«, erwiderte Klein. »Aber viel Hoffnung habe ich
nicht. Die Leute, mit denen wir es hier zu tun haben,
waren in der Wahl ihrer Verbündeten äußerst vorsichtig.
Der in Russland - Yardeni hat uns keinerlei Hinweise auf
seine Hintermänner geliefert. Und bei Treloar kann es
durchaus genauso sein.«
»Kommen wir doch noch einmal auf diese ›Leute‹
zurück, von denen Sie sprechen. Glauben Sie, dass es sich
um ausländische Staatsangehörige handelt? Jemanden wie
Osama Bin Laden?«
»Das ist nicht Bin Ladens Handschrift, Mr. President.« Klein sah zu Smith hinüber. »Die Tatsache, dass die
Hand der Verschwörer so weit reicht - von Russland bis
zur NASA in Houston -, deutet auf einen ausnehmend
hohen Kenntnisstand hin. Das ist jemand, der ebenso mit
unserer Arbeitsweise wie mit der der Russen vertraut ist,
jemand der weiß, wo wir unsere Kronjuwelen
aufbewahren und wie wir sie bewachen.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass jemand in diesem
Land hinter dem Diebstahl in Russland stehen könnte?« »Die Erreger befinden sich jetzt in den USA, Mr.
President. Der Mann, der die Viren gestohlen hat, und der
Mann, der sie ins Land gebracht hat - sie sind jetzt beide
tot, von jemandem ermordet, der bis vor kurzem im
Westen praktisch unbekannt war. Nein, eine Verbindung
zur arabischen Welt besteht da ganz sicher nicht.
Bedenken Sie bitte auch, dass das Material, mit dem wir es
zu tun haben, nicht nur äußerst gefährlich ist, sondern dass
man auch hochmoderne Laboranlagen braucht, um daraus
eine Biowaffe herzustellen. Außerdem ist Militärpersonal
der USA im Spiel, zumindest am Rande.«
»Militärpersonal?«, wiederholte der Präsident verblüfft. Klein wies auf Smith, worauf dieser dem Präsidenten das
Geschehen in Palermo schilderte.
»Ich werde mich über diese beiden Soldaten und ihre
Vergangenheit informieren«, sagte Klein und hielt dann
kurz inne. »Aber um Ihre Frage zu beantworten - ja, es ist
sehr wahrscheinlich, dass jemand in diesem Land hinter
dem Ganzen steht.«
Der Präsident brauchte einen Augenblick, um das zu
verarbeiten. »Ungeheuerlich«, flüsterte er dann. »Einfach
unvorstellbar. Mr. Klein, wenn wir wüssten, warum diese
Leute die Erreger in ihren Besitz bringen wollten, könnten
wir dann daraus nicht schließen, was sie vorhaben,
vielleicht sogar wer sie sind?«
»Ja, das könnten wir, Mr. President«, nickte Klein
betreten. »Aber dieses ›warum‹ ist uns ebenso ein Rätsel
wie alles andere, was bisher geschehen ist.«
»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Wir
haben es mit der Gefahr einer möglichen Seuche irgendwo
im Bereich von Washington D.C. zu tun. Und dann gibt es
einen Killer, der auf freiem Fuß ist…«
»Mr. President«, fiel Smith ihm ins Wort, »dieser Killer
ist möglicherweise unsere beste Chance.«
»Würden Sie mir das bitte näher erklären, Mr. Smith?« »Die Verschwörer haben die beiden Männer beseitigt,
von denen wir möglicherweise etwas hätten erfahren
können. Sie haben ihren eigenen Killer zu genau diesem
Zweck hierher gebracht. Und ich denke, den halten sie
sich in Reserve, für den Fall, dass es weitere schmutzige
Arbeit für ihn gibt.«
»Und was wollen Sie damit sagen?«
»Beria ist unser letztes Bindeglied zu den Verschwörern,
Mr. President. Wenn wir ihn finden und ihn lebend in die
Hand bekommen, wäre es möglich, dass wir aus ihm
genügend herausbekommen, um in Erfolg versprechender
Richtung weiter suchen zu können.«
»Aber eine groß angelegte Jagd auf diesen Killer birgt
doch die Gefahr, dass etwas an die Öffentlichkeit gelangt.
Möglicherweise verscheuchen wir ihn damit sogar.« »Möglicherweise«, räumte Klein ein. »Aber eines
spricht dagegen: Beria hat am helllichten Tag und mitten
auf der Straße in Washington einen Menschen ermordet.
Damit ist er nicht länger ein Terrorist, sondern ein ganz
gewöhnlicher Mörder. Wenn wir eine Verbindung
zwischen ihm und dem Mord herstellen, macht die Polizei
in fünf Staaten Jagd auf ihn.«
»Noch einmal: Würde ihn das nicht dazu veranlassen,
sich noch besser zu verstecken? In den Untergrund zu
gehen, sozusagen?«
»Eigentlich nicht. Beria und die Männer, die ihn steuern,
gehen bestimmt davon aus, dass sie genau wissen, wie
gegen ihn vorgegangen wird. Und sie würden sich sicher
fühlen, weil sie darauf vertrauen könnten, dass ihnen ganz
klar ist, welche Schritte die Polizeibehörden als Nächste
unternehmen. Und noch eines, wenn wir bei der Suche nach Beria jede Publicity vermeiden wollten und die Verschwörer keine Ahnung hätten, welche Maßnahmen wir ergreifen, könnten sie zu dem Schluss gelangen, dass die Gefahr, die in seiner Festnahme liegt, größer ist als der Nutzen, den sie sich noch von ihm versprechen«, fügte Smith hinzu. »In dem Fall würde er genauso enden wie
Yardeni und Treloar.«
»Das leuchtet mir ein, Mr. Smith«, nickte der Präsident.
»Ich nehme an, Sie haben einen Plan in Hinblick auf
Beria?«
»Ja, allerdings«, nickte Smith und begann dann, diesen
Plan darzulegen.

Inspektor Marco Dionetti von der Questura in Venedig trat elegant wie immer von der Polizeibarkasse auf die Anlegestelle vor seinem Palazzo. Er erwiderte die Ehrenbezeugung des Beamten und blickte dann dem Boot nach, als dieses zwischen den hell beleuchteten Fahrzeugen auf dem Kanal verschwand.

Am Eingang schaltete Dionetti die Alarmanlage ab, bevor er den Palazzo betrat. Seine Köchin und seine Hausangestellte waren beides alte Frauen, die schon seit Jahrzehnten in seinen Diensten standen. Einem Einbrecher hätte keine von beiden Widerstand leisten können, und da der Palazzo genügend Kunstschätze enthielt, um damit ein kleines Museum zu füllen, waren solche Vorsichtsmaßnahmen erforderlich.

Dionetti nahm seine Post, die ihn auf einem Tischchen im Foyer erwartete, schlenderte in den Salon, ließ sich dort auf einem Clubsessel nieder und schlitzte den Brief von der Offenbach Bank in Zürich auf. Er nippte an seinem Aperitif, aß ein paar schwarze Kalamata Oliven und blickte dabei wohlgefällig auf seinen Kontostand. Man konnte über die Amerikaner sagen, was man wollte nicht sehr viel Gutes -, aber sie hatten bis jetzt noch nie eine Rate an ihn verpasst.

Marco Dionetti interessierte sich nicht für das Geschehen im großen Ganzen. Ihm war es gleichgültig, weshalb die Rocca-Brüder mit einem Mord beauftragt wurden oder weshalb man sie beseitigt hatte. Freilich, Peter Howell ans Messer liefern zu müssen, hatte sein Gewissen belastet. Aber Ho well war nach Sizilien gereist, und er würde nie wieder von ihm hören. Wichtig war nur, den Besitz der Dionettis mit Hilfe amerikanischer Dollars weiterhin blühen und gedeihen zu lassen.

Nach einer erfrischenden Dusche nahm Dionetti an der großen Tafel, die dreißig Gästen Platz bot, eine einsame Mahlzeit ein. Als man ihm den Kaffee und das Dessert gereicht hatte, entließ er die Bediensteten, die sich daraufhin in ihre Räume im dritten Stock zurückzogen. Tief in Gedanken delektierte Dionetti sich an Erdbeeren, in Cointreau getränkt, und träumte davon, wo er seinen nächsten von der Großzügigkeit der Amerikaner finanzierten Urlaub verbringen würde.

»Guten Abend, Marco.«

Dionetti erstickte fast an der Erdbeere in seinem Mund.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Peter Howell an, der den Raum so ruhig und selbstverständlich betrat, als ob er ein geladener Gast wäre, und am anderen Ende der langen Tafel Platz nahm.

Dionetti riss eine Beretta aus der Innentasche seiner Samtjacke und richtete sie über die sechs Meter lange Tafel aus poliertem Kirschholz auf den Amerikaner.

»Was machen Sie hier?«, fragte er heiser.

»Warum fragen Sie, Marco? Sollte ich tot sein? Hat man Ihnen das gesagt?«

Dionettis Mund arbeitete wie der eines Fisches auf dem

Trockenen. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden!«
»Warum richten Sie dann Ihre Waffe auf mich?«

Howell öffnete seine rechte Hand, die er bisher zur Faust geschlossen hatte, und legte ein kleines Fläschchen auf den Tisch.

»Hat Ihnen Ihr Essen geschmeckt, Marco? Der Risotto di Mare duftet ausgezeichnet. Und die Erdbeeren - schmecken sie gut?«

Dionetti starrte das Fläschchen an und dann wieder die wenigen Beeren, die noch in der Glasschüssel vor ihm lagen. Er versuchte die düsteren Gedanken zu verdrängen, die ihn plagten.

»Denken Sie jetzt, ich hätte Ihr Obst irgendwie vergiftet, Marco? Schließlich bin ich an Ihrer Sicherheitsanlage vorbeigekommen. Ihre Angestellten haben nicht gemerkt, dass jemand im Haus ist. Wäre es da so schwierig gewesen, ein wenig Atropin in Ihren Nachtisch zu tun?«

Der Lauf der Waffe begann zu zittern, als Dionetti begriff, was Howell da sagte. Atropin war ein organisches Gift aus der Belladonnafamilie. Es war völlig geruch- und geschmacklos und wirkte unmittelbar auf das Zentralnervensystem. Dionetti versuchte verzweifelt sich daran zu erinnern, wie schnell das Gift wirkte.

»Bei jemandem Ihrer Größe und Ihres Gewichts würde ich meinen, in etwa vier oder fünf Minuten - in Anbetracht der Dosis, die ich verwendet habe«, ließ Howell ihn wissen. Er tippte an das Fläschc hen auf dem Tisch. »Aber hier ist das Gegenmittel.«

»Pietro, verstehen Sie doch…«

»Ich verstehe, dass Sie mich verraten haben, Marco«, erwiderte Howell mit plötzlich schroffer Stimme. »Das ist alles, was ich verstehen muss. Und wenn Sie nicht etwas hätten, was ich brauche, dann wären Sie jetzt schon tot.«

»Auch ich kann Sie jetzt sofort töten!«, zischte Dionetti.

Howell schüttelte verweisend den Kopf. »Sie haben doch geduscht, erinnern Sie sich nicht? Ihre Pistole legten Sie vorher im Halfter auf der Anrichte im Badezimmer ab. Ich habe die Patronen herausgenommen, Marco. Schießen Sie doch, wenn Sie mir nicht glauben.«

Dionetti betätigte den Abzug. Aber da war nur ein mehrfaches Klicken zu hören, wie Nägel, die jemand in seinen Sarg schlug.

»Pietro, ich schwöre…«
Howell hob die Hand. »Ihre Zeit wird sehr knapp,

Marco. Ich weiß, dass amerikanische Soldaten die Roccas getötet haben. Mit Ihrer Hilfe?«

Dionetti leckte sich über die Lippen. »Ich habe ihnen gesagt, wie die Roccas ihre Flucht geplant hatten.« »Und wieso wussten Sie das?«

»Ich habe meine Instruktionen telefonisch erhalten. Die Stimme war elektronisch verzerrt. Man hat mich angewiesen, zuerst den Roccas behilflich zu sein und dann den Soldaten, die ihnen folgen würden.«

»Und mir.«
Dionetti nickte heftig. »Und Ihnen«, flüsterte er. Sein Mund war völlig ausgetrocknet. Seine Stimme

klang als käme sie aus weiter Ferne. Er spürte, wie sein Herz gegen seine Rippen hämmerte.

»Pietro, bitte! Das Gegenmittel…«

»Wer bezahlt Sie, Marco?«, fragte Howell leise. Dionetti nach den Amerikanern zu befragen wäre Zeitvergeudung gewesen. Die würden sich ihm nie zu erkennen gegeben haben. Da war es besser, der Spur des Blutgeldes zu folgen. Howell klopfte mit dem Fläschchen auf den Tisch. »Marco…«

»Herr Weißel… die Offenbach Bank in Zürich… Um Himmels willen, Pietro, das Gegenmittel!«
Howell schob sein Handy über die Tafel. »Rufen Sie ihn an. Ich bin sicher, dass er einem so wichtigen Kunden wie Ihnen seine Privatnummer gegeben hat.«
Dionetti klappte zitternd das Telefon auf und drückte in fieberhafter Eile die Tasten. Während er darauf wartete, dass sich die Verbindung aufbaute, konnte er den Blick nicht von dem Fläschchen wenden.
»Pietro, bitte!«
»Alles zu seiner Zeit, Marco. Alles zu seiner Zeit.«

18

Der Learjet setzt kurz vor Beginn der Dämmerung auf dem Kona Airport auf der Hauptinsel der Hawaii-Gruppe auf. Unter Bauers Aufsicht luden drei Techniker den Behälter mit dem Virus aus und brachten ihn in einen bereitstehenden Humvee Geländewagen. Die Fahrt zu dem Bauer-Zermatt Gelände dauerte eine Dreiviertelstunde.

Da der Gebäudekomplex früher einmal eine militärische Forschungsanlage gewesen war, erfüllte er gewisse Bauvorschriften. So hatte man beispielsweise das Erdreich zwischen den Klippen und den Lavafeldern völlig abgetragen, um zu vermeiden, dass irgendwelche Eindringlinge sich Zutritt zu der Anlage verschaffen oder tödliche Erreger entkommen und sich unter die Keime der Inselpopulation mischen konnten. Anschließend hatte man dann die riesige Grube mit Tausenden von Kubikmetern Beton gefüllt, die einen gewaltigen mehrstöckigen Sockel bildeten. Dieser neu errichtete Gebäudekomplex teilte sich in drei Etagen oder Zonen, wobei die unterste den Labors vorbehalten war, in denen die gefährlichsten Viren untergebracht werden sollten. Als Bauer die Anlage übernommen hatte, war dort bereits praktisch alles vorhanden gewesen, was er benötigte. Die Umbauarbeiten hatten noch ein knappes Jahr beansprucht und hundert Millionen Dollar verschlungen, und dann hatte die Anlage ihre Tätigkeit aufgenommen. Sobald der Humvee sicher in der massiv gebauten Garage stand, wurde der Behälter auf einen automatisch funktionierenden Rollwagen geladen, der ihn zu einem wartenden Aufzug beförderte. Drei Stockwerke tiefer wurde Bauer von Klaus Jaunich, dem Leiter seines handverlesenen Forschungsstabes begrüßt. Jaunich und sein sechsköpfiges Team waren aus der Firmenzentrale in Zürich eingeflogen worden, um sich ausschließlich mit den Pockenerregern zu befassen. Alle waren seit Jahren für Bauer tätig und hatten aus ihrer Zusammenarbeit mit ihm Vorteile gezogen, die ihre kühnsten Träume weit übertrafen.

Und allen ist bewusst, dass ich Dinge weiß, die sie binnen Sekunden vernichten könnten, dachte Bauer und begrüßte Jaunich mit einem Lächeln.

»Freut mich, Sie hier zu sehen, Jaunich.«
»Die Freude ist ganz meinerseits, Herr Direktor.«

Jaunich schien nur aus Kontrasten zu bestehen: Ein massiv gebauter Mann Ende der Fünfzig, dessen Gestalt an die eines Bären erinnerte, der aber stets mit leiser, weicher Stimme sprach. Sein bärtiges Mondgesicht wirkte wie das eines Holzfällers, aber wenn er lächelte und seine winzigen Babyzähne zeigte, vergaß man das.

Jaunich winkte den beiden Helfern zu, die mitgekommen waren und die in ihren orangefarbenen Isolieranzügen wie Astrona uten aussahen. Sie hoben den Behälter von dem Karren und trugen ihn in die erste von vier Dekontaminationskammern, der ersten Station auf dem Weg zum eigentlichen Laboratorium.

»Wollen Sie den Vorgang mit ansehen?«, erkundigte sich Jaunich.

»Natürlich.«

Jaunich ging Bauer in einen Zwischenstock voraus, wo man aus einem Raum mit Glaswänden die Dekontaminationskammern und das Labor überblicken konnte. Von diesem Aussichtspunkt aus sah Bauer zu, wie die beiden Männer den Behälter von einer Kammer in die nächste beförderten. Das Ganze nahm nur wenige Minuten in Anspruch.

Als das Team schließlich das Labor erreicht hatte, öffneten sie den Behälter. Bauer beugte sich vor und sprach in ein Mikrofon: »Größte Vorsicht, wenn ich bitten darf«, warnte er die beiden Männer.

»Ja, Herr Direktor«, hallte es blechern aus den Lautsprechern.
Bauer spürte wie seine Muskeln sich spannten, als die beiden in die Stickstoffwolke griffen und langsam die Trommel mit den Ampullen aus dem Behälter hoben. Im Hintergrund öffnete sich die Tür zu der Kühlkammer, die sich nur wenig von dem Cola-Automaten bei Bioaparat unterschied.
»Wir haben nicht viel Zeit«, murmelte Bauer. »Ist das restliche Team bereit?«
»Mehr als nur bereit«, versicherte ihm Jaunich. »Der ganze Vorgang wird in nicht einmal acht Stunden abgeschlossen sein.«
»Sie werden damit ohne mich beginnen«, erklärte Bauer. »Ich möchte mich jetzt zurückziehen und komme dann später zum Rekombinationsprozess zurück.«
Jaunich nickte. Es lag nahe, dass Bauer am Anfang dieser Prozedur hatte teilnehmen wollen, schließlich würde die Nachwelt das, was hier geschah, einmal als einen Meilenstein der Biotechnik bezeichnen. Aber die Begleitumstände, die erforderlich gewesen waren, um die Erreger hierher zu bringen - worin auch immer sie bestanden haben mochten -, hatten den älteren Wissenschaftler ganz offensichtlich ziemlich mitgenommen. Er brauchte daher Ruhe, bevor er sich der hektischen Laboratmosphäre aussetzen konnte.
»Sie können sich darauf verlassen, dass wir jeden Schritt der ganzen Prozedur auf Videoband aufzeichnen, Herr Direktor.«
»Ja, wie es sich gehört«, nickte Bauer. »Was wir heute hier schaffen werden, ist noch nie zuvor versucht worden. Die Russen bei Bioaparat waren dazu nicht fähig. Und die Amerikaner haben zu viel Angst, um es auch nur zu probieren. Überlegen Sie doch, Jaunich: Die ersten Schritte in der genetischen Veränderung einer der größten Geiseln der Menschheit, der Anfang einer Umwandlung, die alle Impfstoffe der Vergangenheit und der Gegenwart wirkungslos macht! Und das Ergebnis? Die perfekte Waffe.«
»Eine Waffe, für die es nur ein Gegenmittel gibt«, führte Jaunich den Gedanken zu Ende. »Strengste Quarantäne.«
Bauers Augen leuchteten. »Genau! Da es keine bekannten Gegenmittel gibt, muss jedes betroffene Land sofort seine Grenzen schließen. Nehmen Sie beispielsweise den Irak. Bagdad reagiert nicht auf die Warnung, gewisse Maßnahmen zu unterlassen. Man führt unsere kleine Prinzessin in die Wasserversorgung oder in den Nahrungskreislauf ein. Leute stecken sich mit der Krankheit an, die Zahl der Toten wächst schnell und steigert sich ins Gigantische. Die Bevölkerung will fliehen, aber die Grenzen sind dicht. Es hat sich herumgesprochen: Jeder Iraker muss als angesteckt betrachtet werden. Selbst diejenigen, die versuchen, über die Berge zu entkommen, würden gejagt und getötet werden.«
Bauer breitete die Hände aus wie ein Zauberkünstler, der eine weiße Taube aufsteigen lässt. »Pfft! Mit einem einzigen Schlag ist der Feind erledigt. Er kann nicht kämpfen, weil es keine Armee mehr gibt. Er kann keinen Widerstand leisten, weil seine Infrastruktur zusammengebrochen ist. Er kann nicht an der Macht bleiben, weil diejenigen Bewohner seines Landes, die die Seuche überlebt haben, sich gegen ihn stellen werden. Ihm bleibt also keine andere Wahl als bedingungslose Kapitulation.«
»Oder flehentliche Bitten um Impfstoffe«, meinte Jaunich.
»Die aber auf taube Ohren stoßen werden, da es keinen Impfstoff gibt.«
Bauer genoss den Augenblick sichtlich. »Wenigstens wird man das den Opfern sagen.«
Er lächelte. »Aber eines nach dem anderen: Die Proben müssen für die Rekombination vorbereitet werden. Wenn alles gut geht, können wir ja sehen, wie es um ein Gegenmittel steht.«
Er legte Jaunich die Hand auf die Schulter und drückte zu. »Ich überlasse das jetzt Ihren fähigen Händen. Wir sehen uns dann in ein paar Stunden wieder.«

Einige Zeitzonen weiter östlich in Houston ließ Megan Olson ihren kirschroten Mustang auf dem für die Angehörigen des Shuttle Teams reservierten NASAParkplatz ausrollen. Sie sperrte den Wagen ab und ging mit schnellen Schritten in das Verwaltungsgebäude. Dylan Reeds Nachricht war mitten in ihr Abendessen mit einem sympathischen, aber äußerst langweiligen Weltraumingenieur hineingeplatzt. Das letzte Wort, das sie über das kleine Display ihres Pagers hatte huschen sehen, war DRINGEND gewesen.

Megan passierte die Sicherheitskontrollen und stieg in einen Fahrstuhl, der sie blitzschnell in den fünften Stock trug. Trotz der taghellen Beleuchtung herrschte in den Korridoren gespenstische Stille. Die Tür zu Reeds Büro stand offen, und der gelbliche Schein seiner Schreibtischlampe fiel in den Flur. Megan klopfte und trat ein.

Das Büro enthielt einen Arbeitsraum und eine wesentlich größere Besprechungszone, die von einem langen ovalen Konferenztisch dominiert wurde. Megans Augen weiteten sich. An der Tafel saßen der Pilot des Shuttle, Frank Stone, und der Kommandant, Bill Karol. Neben ihnen hatten der Flugdirektor, Harry Landen und der stellvertretende Direktor der NASA, Lome Allenby, Platz genommen. Die beiden Letzteren wirkten müde und abgespannt und ihre Anzüge waren zerdrückt, als ob sie einen langen Flug hinter sich hätten. Vermutlich war das auch der Fall, dachte Megan. Bis zu dem geplanten Start waren es keine achtundvierzig Stunden mehr, und Landon und Allenby hätten deshalb bereits in Cape Canaveral sein sollen.

»Megan«, nickte Dylan Reed. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind. Ich glaube, Sie kennen alle hier.«
Megan tauschte murmelnd ein paar Begrüßungsfloskeln mit den am Tisch Versammelten aus und nahm neben Frank Stone, dem Piloten des Shuttle, Platz.
Reed rieb sich den Nacken, stützte sich dann mit beiden Händen auf den Tisch und sah Megan an.
»Haben Sie es schon gehört?«
Megan schüttelte den Kopf. »Ob ich was gehört habe?«

»Adam Treloar ist heute Nachmittag in Washington ermordet worden.«

Er legte eine kurze Pause ein. »Ein Überfall.«
»Du liebe Güte! Was ist denn passiert?«
»Die Washingtoner Polizei konnte uns nicht viel sagen

und hat auch selbst nicht sehr viel in der Hand«, erwiderte Reed. »Adam war gerade aus Russland zurückgekehrt seine Mutter ist dort begraben. Er hatte eine Suite in einem Hotel reserviert, ich nehme daher an, dass er dort über Nacht bleiben wollte, bevor er zum Cape flog. Er war zu Fuß in der Nähe der Wisconsin Avenue unterwegs - eine gute Gegend, wie man mir sagt -, als der Mistkerl ihn angegriffen hat.«

Reed fuhr sich durchs Haar. »Was dann passiert ist, kann man nur vermuten. Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Adam war bereits tot, als ihn schließlich ein Passant entdeckte und die Polizei rief.«

Er schüttelte den Kopf. »Ein schrecklicher Verlust!« »Dylan, das ist alles wirklich sehr schlimm«, sagte Lome Allenby von der NASA. »Aber wir werden in Cape Canaveral gebraucht, der Countdown läuft.«
Eine Handbewegung Reeds deutete an, dass ihm das wohl bewusst war. Als er sich zu Megan wandte, spürte sie, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte.
»Sie sind Treloars Ersatz. Diese Situation macht es erforderlich, dass sie als Spezialistin einspringen. Sind Sie bereit, Megan?«
Sie spürte, wie ihr Mund trocken wurde, glaubte aber, dass ihre Worte genügend selbstsicher klangen. »Unbedingt. So habe ich mir meinen Einsatz zwar nicht gewünscht, aber, ja, ich bin bereit.«
»Sie wissen gar nicht wie froh wir alle sind, das zu hören«, sagte Reed. Er sah sich am Tisch um. »Irgendwelche Fragen?«
»Keine Fragen«, das war Frank Stone, der Pilot der Mission. »Bloß ein klares Vertrauensvotum. Ich war mit Megan in der Ausbildung zusammen. Ich weiß, dass sie die Fähigkeit besitzt.«
»Da schließe ich mich an«, fügte Bill Karol, der Kommandant, hinzu.
»Landon?«, fragte Reed.
Der Flugdirektor rutschte auf seinem Stuhl zur Seite. »Ich habe die Berichte aus dem Ausbildungszentrum gelesen und weiß, dass Megan mit den Experimenten klar kommt, die Adam und Sie vorbereitet haben.«
Er reckte den Daumen hoch.
»Freut mich, das zu hören«, erklärte Allenby. »Die Erbsenzähler im Kongress beobachten diese Mission wie die Geier. Ich habe das, was wir uns von diesen Experimenten erwarten, hochgespielt und brauche daher Resultate.«
Er sah Megan an. »Bringen Sie uns etwas mit, das wir vorzeigen können - etwas, womit wir eine gute Figur machen.«
Megan zwang sich zu einem schwachen Lächeln. »Ich werde mir Mühe geben.«
Sie sah sich am Tisch um. »Und Dank allen für Ihr Vertrauensvotum.«
»Also gut dann«, sagte Reed. »Ich werde den Rest des Teams morgen rufen. Ich weiß, dass einige von Ihnen noch unter Jetlag leiden, also sollten wir vielleicht für heute Schluss machen und uns morgen, bevor Sie abfliegen, noch einmal zusammensetzen.«
Alle nickten dankbar, und der Raum leerte sich schnell, bis nur noch Reed und Megan zurückblieben.
»Sie sind Chef des biomedizinischen Forschungsprogramms, Dylan«, sagte sie ruhig. »Sie und Treloar haben eng zusammengearbeitet. Was haben Sie für ein Gefühl dabei, dass ich an Bord sein werde?«
»Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, könnte ich nicht behaupten, dass ich Adam sonderlich gut gekannt habe. Sie wissen ja, wie er war - schweigsam und verschlossen, ein wenig eigenbrötlerisch. Ganz und gar nicht der Typ, mit dem man nach der Arbeit ein Bier trinkt oder am Wochenende zum Football geht. Aber er war Mitglied des Teams - ein wichtiges Mitglied -, und ich werde ihn vermissen.«
Er ließ eine kurze Pause eintreten. »Und was Sie betrifft, so könnte ich mir dort oben keinen besseren Ersatz wünschen.«
Megan versuchte ihre miteinander im Widerstreit liegenden Gefühle in Einklang zu bringen. Ein Teil von ihr ging bereits in Gedanken all die Details durch, die jetzt vor ihr lagen: die Vorbereitungen am Cape, die Integration in das Team und die Startprozedur. Sie wusste, dass die Crew unter normalen Umständen sieben Tage vor dem Start unter Quarantäne gestellt wurde, auch wenn man in letzter Zeit diese Periode etwas verkürzt hatte. Trotzdem musste sie sich noch einer gründlichen Untersuchung unterziehen, um ganz sicherzustellen, dass sie nicht irgendwelche Erreger in sich trug.
Ein anderer Teil von ihr konnte das Bild des so seltsam wirkenden Treloar einfach nicht aus ihren Gedanken verdrängen. Reed hatte Recht: Treloar war so etwas wie ein Einzelgänger gewesen. Dass sie ihn persönlich nicht näher gekannt hatte, machte es leichter, seinen plötzlichen Tod zu bewältigen. Trotzdem schauderte sie bei dem Gedanken, wie er ums Leben gekommen war.
»Alles in Ordnung?«, fragte Reed.
»Ja. Ich versuche bloß, das alles zu verarbeiten.«
»Kommen Sie. Ich bringe Sie zu Ihrem Wagen. Sehen Sie zu, dass Sie sich gründlich ausschlafen. Und morgen legen Sie dann einen guten Start hin.«

Megan bewohnte ein kleines Apartment in einer Wohnanlage, in der hauptsächlich kurzfristig nach Houston versetztes NASA-Personal untergebracht war. Nach einer unruhigen Nacht, in der sie sich ständig hin und her gewälzt hatte, stand sie schließlich auf und ging zum Pool, bevor sie dort jemand antreffen würde. Als sie dann zu ihrem Apartment zurückkam, klebte ein Zettel an ihrer Tür.

Nachdem ihre Verblüffung sich gelegt hatte, zog Megan sich schnell an und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Ein paar Minuten später erreichte sie das kleinen Imbisslokal, das nur eine Straße entfernt war. In Anbetracht der frühen Stunde war das Lokal fast leer. Sie hatte keine Mühe, ihn zu entdecken.

»Jon!«

Er erhob sich von einem Tisch in der Ecke. »Tag,

Megan.«
»Du meine Güte, was machst du denn hier?«, fragte sie
und schob sich ihm gegenüber auf die schmale Bank. »Das werde ich dir gleich sagen.«
Er hielt kurz inne. »Ich habe gehört, dass man dich für
die Mission eingeteilt hat. Du hast diesen Einsatz verdient,
ganz gleich, welche Umstände dazu geführt haben.« »Danke. Mir wäre natürlich auch lieber, wenn es nicht so
gekommen wäre, aber…«
Die Kellnerin trat an ihren Tisch, und sie bestellten. »Ich wünschte, du hättest angerufen«, meinte sie dann.
»Ich fliege in ein paar Stunden nach Cape Canaveral.« »Ich weiß.«
Sie musterte ihn scharf. »Du bist doch nicht bloß hierher
gekommen, um mir zu gratulieren - obwohl mich das
natürlich beeindrucken würde.«
»Ich bin wegen dem hier, was mit Treloar passiert ist«,
erklärte Smith.
»Warum? Nach den Berichten im Fernsehen und den
Zeitungen kümmert sich die Mordkommission in
Washington D.C. doch um den Fall.«
»Ja, das tut sie. Aber Treloar war der leitende
medizinische Offizier, ein wichtiges Mitglied des NASATeams. Man hat mich hierher geschickt, um herauszubekommen, ob es in Treloars Vergangenheit oder seiner
Tätigkeit irgendetwas gibt, das uns Hinweise darauf
liefern könnte, weshalb er getötet worden ist.«
Megans Augen verengten sich. »Das verstehe ich nicht.« »Megan, hör mir gut zu. Du übernimmst seinen Platz bei
dieser Mission. Du musst mit ihm zusammengearbeitet
haben. Alles, was du mir über ihn sagen kannst, würde uns
weiterhelfen.«
Sie verstummten wieder, als die Bedienung mit ihrem
Frühstück zurückkam. Der Gedanke an Essen bereitete
Megan plötzlich Übelkeit. Sie atmete tief durch und
bemühte sich, Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen.
»Zunächst einmal wurde meine Ausbildung fast
ausschließlich von Dylan Reed geleitet. Der Titel leitender
medizinischer Offizier ist ein wenig irreführend. Das heißt
nicht etwa, dass man dort oben dafür zuständig ist,
Aspirintabletten oder Heftpflaster auszugeben. Es geht da
um reine Forschungsarbeit. Als Chef des biomedizinischen Forschungsprogramms hat Dylan eng mit seinem
leitenden medizinischen Offizier Treloar zusammengearbeitet. Und die gleichen Experimente hat er auch mit mir
durchgeführt, als Sicherheitsvorkehrung für den Fall, dass
ich Treloars Platz einnehmen müsse. Ich hatte also nie
sehr eng mit Treloar zu tun.«
»Und was weißt du über ihn persönlich? Stand er
irgendjemand nahe? Gab es Klatsch über ihn?«
»Er war ein Einzelgänger, Jon. Ich habe nie gehört, dass
er sich mit jemandem verabredet hätte, von irgendwelchen
festen Beziehungen ganz zu schweigen. Und Spaß hat es
nicht gemacht, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ein brillanter Kopf, aber als Persönlichkeit eine Null, keinerlei Witz, gar nichts. Er wirkte eigentlich so, als ob ein Teil von ihm - der geniale Forscher - sich effizient entwickelt habe, während der Rest von ihm nie erwachsen geworden
ist.«
Sie hielt inne, überlegte. »Deine Ermittlungen werden
doch nicht etwa den Start beeinträchtigen, oder?« Smith schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keinen
Anlass.«
»Schau, ich könnte dir die Namen der Leute geben, die
direkt mit Treloar zusammengearbeitet haben, sonst fällt
mir nichts ein. Vielleicht haben die etwas für dich.« Smith war überzeugt, dass er diese Namen bereits besaß
- und auch noch mehr. Er hatte die halbe Nacht damit
verbracht, Adam Treloars Unterlagen durchzugehen, die
ihm das FBI, die NSA und die NASA übermittelt hatten.
Trotzdem hörte er aufmerksam zu, als Megan ihm die
Namen nannte.
»Mehr weiß ich wirklich nicht«, schloss sie.
»Das ist schon eine ganze Menge. Vielen Dank.« Megan zwang sich zu einem Lächeln. »Du wirst damit
jetzt ziemlich beschäftigt sein. Ich nehme an, das lässt dir
keine Zeit, zu dem Start zu kommen? Ich könnte dir einen
Logenplatz beschaffen.«
»Ich wünschte, das wäre möglich«, erwiderte er der
Wahrheit gemäß. »Aber vielleicht treffen wir uns in
Edwards, wenn du wieder landest.«
Der Edwards Luftwaffenstützpunkt in Kalifornien war
der Hauptlandeplatz des Shuttle Programms.
Einen Augenblick lang schwiegen beide, dann meinte
Megan: »Ich muss jetzt gehen.«
Er griff über den Tisch nach ihrer Hand, hielt sie eine Weile fest. »Komm gesund wieder nach Hause.«

Tief in Gedanken ging Megan zu ihrem Apartment zurück. Adam Treloar war tot - ermordet -, und Jon Smith war plötzlich wie aus heiterem Himmel in Houston aufgetaucht. Der Frage, wer ihn hierher beordert hatte, war er elegant aus dem Weg gegangen. Er hatte sie geschickt ausgefragt, seinerseits aber überhaupt nichts preisgegeben. Was machte Smith wirklich hier? Hinter wem war er her und warum? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Als sie sich wieder in ihrem Apartment befand, holte Megan ihr digital verschlüsseltes Handy heraus und wählte die Nummer, die sie sich schon vor langer Zeit eingeprägt hatte.

»Hier Klein.«
»Hier Megan Olson.«

»Megan… ich hätte gedacht, dass Sie inzwischen schon zu Ihrem Shuttle Start unterwegs sind.«
»Ich werde in Kürze abreisen, Sir. Aber es gibt hier Dinge, die Sie wissen sollten.«

Sie berichtete über ihr Gespräch mit Jon Smith. »Sein Verhalten als verschlossen zu bezeichnen, wäre noch untertrieben«, sagte sie. »Gibt es etwas, was Sie für ihn tun könnten?«

»Negativ«, erwiderte Klein lakonisch. »Smith ist wegen seiner Erfahrung bei USAMRIID eingeschaltet.«
»Das verstehe ich nicht, Sir. Wie kommt das denn ins Spiel?«
Klein machte eine kurze Pause. »Hören Sie mir gut zu, Megan. In Russland hat es ein Leck gegeben, bei Bioaparat.«
Er hielt kurz inne, um Megan Zeit zu lassen, das zu verarbeiten. »Dort sind Proben gestohlen worden. Adam Treloar befand sich zu der Zeit in Moskau. Die Russen haben eine Bandaufnahme, die ihn zusammen mit dem Kurier zeigt, der das Material bei sich hatte. Eine Übergabe hat stattgefunden. Wir sind sicher, dass Treloar das Zeug in dieses Land gebracht hat. Und dann, als er aufhörte für seine Auftraggeber nützlich zu sein, hat man ihn ermordet.«
»Und das, was er bei sich hatte?«
»Verschwunden.«
Megan schlo ss die Augen. »Was hat er ins Land gebracht?«
»Pockenerreger.«
»Du großer Gott!«
»Hören Sie mir gut zu, Megan. Sie befinden sich im Zentrum des Geschehens. Wir hatten bereits einen Verdacht, dass Treloar ein unsauberes Spiel treibt. Jetzt sind wir absolut sicher, dass es so war. Die Frage ist hatte er Komplizen im Shuttle Programm?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Megan. »Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Das sind doch alles Leute voller Idealismus. Soweit ich das erkennen kann, läuft hier auch nichts, was Verdacht erregen würde.«
Sie schüttelte den Kopf. »Andererseits - Treloar habe ich auch nicht verdächtigt, oder?«
»Das gilt für uns alle«, erwiderte Klein. »Deshalb sollten Sie sich keine Vorwürfe machen. Das Entscheidende ist jetzt, dass wir die Erreger aufspüren. Covert-One geht von der Annahme aus, dass die Viren sich irgendwo im Raum Washington befinden. Die Leute, die sie jetzt haben, wollen sie ganz sicherlich nicht weiter transportieren als unbedingt notwendig ist. Und von London aus hätte Treloar Nonstop-Flüge praktisch überallhin bekommen können - Chicago, Miami, Los Angeles. Er hatte seine Gründe, sich für Washington zu entscheiden. Wir nehmen an, dass hier Vorkehrungen für die sichere Aufbewahrung des Erregers getroffen worden sind.«
»Sie wollen immer noch, dass ich den Shuttle Flug mitmache?«
»Unbedingt. Aber bis der Vogel gestartet ist, sollten Sie unter keinen Umständen irgendwie auf sich aufmerksam machen. Wenn Sie etwas Verdächtiges sehen, rufen Sie mich sofort an.«
Er hielt kurz inne. »Und, Megan, wenn wir keine Gelegenheit mehr haben sollten, miteinander zu sprechen, dann viel Glück - und kommen Sie sicher nach Hause.«
Klein beendete das Gespräch, und Megan ertappte sich dabei, wie sie das stumm gewordene Telefon anstarrte. Die Versuchung war sehr groß gewesen, Klein zu fragen, ob Jon Smith ebenfalls für Covert-One tätig war, ob etwa das der Grund für sein ausweichendes Verhalten sein könnte. Jon war ebenso wie sie selbst jemand ohne persönliche Verpflichtungen und nur wenigen Bindungen, dafür aber in Krisen erprobt. Megan erinnerte sich daran, wie Klein während eines ihrer kurzen Besuche in den Staaten plötzlich in ihrem Leben aufgetaucht war und ihr vorgeschlagen hatte, bei etwas ganz Besonderem, Einmaligem mitzumachen, etwas, das ihrem Leben eine neue Richtung geben würde. Sie erinnerte sich auch noch ganz deutlich daran, wie er ihr damals erklärt hatte, dass sie wahrscheinlich nie ein anderes Mitglied von CovertOne kennen lernen würde und dass sie gerade deshalb für ihn und seine Organisation so nützlich sein würde, weil sie sich ein weltweites Netz von Kontakten aufgebaut hatte, Männer und Frauen, an die sie sich wenden konnte, wenn sie Informationen brauchte, eine Gefälligkeit, oder gar Zuflucht.
Klein würde mir das nie sagen… und Jon auch nicht, falls es wirklich stimmt.
Während sie noch einmal ihr Gepäck durchsah, dachte Megan daran, dass sowohl Klein wie auch Jon zu ihr gesagt hatten, dass sie sicher und unversehrt nach Hause kommen solle. Aber wenn Klein die Pockenerreger nicht fand, würde es dann überhaupt etwas geben, zu dem sie zurückkehren konnte?

Das Sicherheitsbüro der NASA befand sich im ersten Stock des Gebäudes in dessen nordwestlicher Ecke. Smith reichte dem Dienst habenden Beamten seinen Pentagonausweis und wartete, während dieser ihn in den Computer scannte.

»Wo ist Ihr Vorgesetzter?«, fragte Smith.
»Sir, es tut mir Leid. Wir stecken gerade mitten im Schichtwechsel. Colonel Brewster hat das Gebäude bereits verlassen, und Colonel Reeves wird sich heute wegen…

einer persönlichen Angelegenheit etwas verspäten.« »Ich kann nicht auf den Colonel warten. Lassen Sie mich hinein.«

»Aber, Sir…«
»Lieutenant, wie lautet meine Freigabestufe?«
»COSMIC, Sir.«

»Und das bedeutet, dass ich alles in dieser Anlage untersuchen darf, bis hin zu dem Bericht über Ihren letzten ärztlichen Gesundheitscheck. Stimmt das?«

»Ja, Sir!«
»So, und nachdem wir uns jetzt darüber einig sind, werde ich Ihnen sagen, was zu tun ist: Sie werden mich vorschriftsmäßig eintragen, aber meine Anwesenheit hier gegenüber niemandem erwähnen, nur gegenüber Colonel Reeves, den Sie persönlich darauf aufmerksam machen sollten. Wenn der Colonel mich zu sprechen wünscht,

dann teilen Sie ihm mit, dass ich im Archivraum bin.« »Ja, Sir. Gibt es etwas, was das Archiv für Sie besorgen
kann?«
»Sagen Sie den Leuten dort, dass sie mich überhaupt
nicht zu beachten brauchen. Und jetzt sollten wir uns in
Bewegung setzen, Lieutenant.«
Als Smith durch die kugelsichere Tür eingelassen wurde,
dachte er, dass er mit seinem anmaßenden Auftreten die
gewünschte Wirkung erzielt hatte: Er hatte den Lieutenant
eingeschüchtert, und Colonel Reeves würde verstimmt
und neugierig, aber auch vorsichtig sein. Es gab gute
Gründe, weshalb Reeves aller Wahrscheinlichkeit nach
keine Fragen bezüglich Smith stellen würde.
Formal betrachtet ist die NASA ein ziviles Programm.
Aber Anfang der siebziger Jahre, als die Agency sich
schließlich entscheiden musste, welche Art Shuttle sie
brauchen und wie sie es starten würde, mussten sie
erkennen, dass sie gar keine andere Wahl hatte, als sich an
die Air Force zu wenden. Und dann kam es zu einem
raffinierten Tauschgeschäft: Als Gegenleistung dafür, dass
das Pentagon das Shuttle als »wesentliche militärische
Erfordernis« klassifizierte, würde die NASA nicht nur die
Möglichkeit bekommen, die Atlas- und Titanraketen der
Air Force für ihre Starts einzusetzen, sondern würde
darüber hinaus auch noch regelmäßig Geldmittel erhalten.
Die Kehrseite der Medaille war, dass die Agency dem
Pentagon praktisch auf Gnade und Ungnade ausgeliefert
war. Colonel Reeves bekleidete zwar in der NASAHierarchie einen hohen Rang, aber die Träger der heiß
begehrten COSMIC-Stufe des Pentagon waren die echten
Herrn und Meister.
Smith folgte dem Lieutenant durch ein Labyrinth von
Gängen, die schließlich an einer Brandschutztür endeten.
Nachdem der Offizier die entsprechenden Codes
eingegeben hatte, konnte er die Tür öffnen und trat zur
Seite, um Smith durchzulassen. Der Raum war wenigstens
fünf Grad kühler als der Gang davor. Kein Laut war zu
hören, nur das Summen von Maschinen, zehn der
schnellsten Computer, die je gebaut worden waren und die
man mit Datenspeichern und PCs an den einzelnen
Arbeitsplätzen verbunden hatte.
Smith spürte, wie die Blicke der Mitarbeiter in dem
Bereitschaftsraum zu ihm herüberhuschten, aber ihr
Interesse hielt nicht lange an. Er folgte dem Offizier zu
einem etwas abseits gelegenen Arbeitsplatz.
»Das hier ist der Platz von Colonel Reeves«, erklärte der
Lieutenant. »Ich bin sicher, dass es ihm nichts ausmachen
wird, wenn Sie seinen Computer benutzen.«
»Vielen Dank, Lieutenant. Ich glaube nicht, dass ich
lange brauchen werde - sofern man mich nicht stört.« »Ich verstehe, Sir.«
Er reichte Smith ein Handy. »Wählen Sie einfach
dreinullneun, wenn Sie fertig sind, Sir. Dann hole ich Sie
ab.«
Smith nahm vor dem Monitor Platz, schaltete den
Computer ein und schob die Diskette, die er mitgebracht
hatte, in den Schlitz. Binnen weniger Augenblicke hatte er
sämtliche Sicherheitssperren passiert und verfügte damit
über ungehinderten Zugang zu dem gesamten NASA-Netz
in Houston.
Die Informationen über Adam Treloar, die Smith von
den anderen Bundesbehörden erhalten hatte, waren erst ein
Anfang. Smith war nach Houston gekommen, um an dem
Ort, wo der Mann gelebt und gearbeitet hatte, seine Spur weiter zu verfolgen. Er brauchte Aufzeichnungen über seine internen und externen Telefonate, seine E-Mail, eben alles, was auch nur entfernt einer Spur ähneln würde - sei sie nun elektronisch oder sonst wie. Er konnte hier in Erfahrung bringen, wie Treloar gelebt hatte, mit wem er gesprochen oder sich getroffen hatte, wie oft, wo und wie lange. Er würde im Leben dieses Mannes lesen wie in einem Buch, würde eine Seite nach der anderen umschlagen und nach einer Anomalie, irgendwelchen Zufällen oder einem Muster suchen, bis er schließlich zu dem ersten Glied in der Kette vorgestoßen war, die zu
Treloars Mitverschwörern führte.
Smith schlug ein paar Tasten an und begann an einem
Punkt, der ihm logisch erschien: Wer wusste, dass Treloar
sich in Russland aufgehalten hatte? In dem elektronischen
Labyrinth, in das er jetzt eindrang, würde es möglicherweise Instruktionen geben und Namen, die dazugehörten.

Als Dylan Reed in seinem Büro eintraf, konnte er nicht wissen, dass Smith seine Suche bereits begonnen hatte. Er war so auf seine Arbeit konzentriert, dass er den leisen Klingelton aus seinem Computer, der ihn alarmieren sollte, beinahe überhört hätte. Abwesend tastete er eine Ziffernfolge ein, während seine Gedanken immer noch bei der ersten Besprechung des Tages weilten. Aber der Name, der auf dem Bildschirm auftauchte, forderte sofort seine ganze Aufmerksamkeit: Adam Treloar.

Da schnüffelte jemand!

Reeds Hand flog zum Telefon. Sekunden später hörte er, wie der Dienst habende Sicherheitsoffizier ihm Smith’ Anwesenheit im Archiv erklärte.

Reed gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. »Nein, ist schon gut«, sagte er zu dem Offizier. »Bitte sagen Sie Colonel Reeves, dass unser Besucher nicht gestört werden darf.«

Unser Besucher! Ein Eindringling!

Reed brauchte ein paar Augenblicke, um seine Fassung wieder zu gewinnen. Was zum Teufel hatte Smith hier verloren? Aus Washington war zu hören gewesen, dass die Polizei den Tod Treloars als ganz gewöhnlichen Überfall behandelte, wenn auch mit unerwünschten Folgen. Selbst die Medien hatten die Story nur beiläufig erwähnt, was Reed, Bauer und Richardson sehr gelegen kam.

Reed schlug mit der flachen Hand auf die lederne Schreibunterlage auf seinem Schreibtisch. Dieser verdammte Smith! Er erinnerte sich, wie verstört, ja geradezu entsetzt Treloar auf Smith reagiert hatte. Und jetzt wanderten diese Finger von Smith, die so kalt wie Eiszapfen waren und die Treloar an seiner Wirbelsäule verspürt hatte, über seinen Rücken.

Reed atmete tief durch. Bauer hatte Recht gehabt, als er empfohlen hatte, alle Unterlagen, die sich auf Treloar bezogen, zu markieren, für den Fall, dass jemand sich dafür interessieren sollte.

Und das tat jemand…
Je mehr Reed darüber nachdachte, umso weniger überraschte ihn, dass Smith der Eindringling war. Smith ging der Ruf großer Hartnäckigkeit voraus, eine Eigenschaft, die den ohnehin schon gefährlichen Mann zu einem tödlichen Feind machte. Reed wartete noch eine Weile, bis er sicher war, dass seine Nerven sich beruhigt hatten, bevor er die Nummer von General Richardson im

Pentagon wählte.

»Hier Reed. Erinnern Sie sich an das potenzielle Problem, über das wir gesprochen haben? Es ist Wirklichkeit geworden.«

Er hielt inne. »Hören Sie sich an, was ich Ihnen zu sagen habe, aber ich bin sicher, dass Sie meiner Meinung sein werden: Wir müssen die Lösung aktivieren.«

19

Als Jon Smith am Ronald Reagan National Airport die Maschine verließ, erwartete ihn eine Limousine des Secret Service. Der Anruf, auf den er wartete, kam schließlich, als er die Hälfte der Strecke nach Camp David zurückgelegt hatte.

»Peter, wie geht es Ihnen?«

»Ich bin immer noch in Venedig. Ich habe ein paar interessante Neuigkeiten für Sie.«
Ohne auf Einzelheiten seiner Befragung Dionettis einzugehen, berichtete Peter Howell von der Schweizer Verbindung - Herr Weißel von der Offenbach Bank in Zürich.
»Möchten Sie, dass ich mich ein wenig mit dem Schweizer Gnom unterhalte, Jon?«
»Warten Sie damit noch, bis ich mich wieder bei Ihnen melde. Was ist mit Dionetti? Wir möchten nicht, dass er irgendwie Alarm schlägt.«
»Das wird er nicht tun«, versicherte ihm Howell. »Er hat eine Lebensmittelvergiftung und dürfte für mindestens eine Woche im Krankenhaus liegen. Außerdem weiß er, dass ich Unterlagen über seine sämtlichen Finanztransaktionen habe und ihn mit einem einzigen Telefonat ruinieren kann.«
Smith hielt es nicht für erforderlich, sich nach Einzelheiten zu erkundigen.
»Ich werde hier bleiben, bis ich von Ihnen höre«, sagte Howell. »Wenn nötig, kann ich innerhalb von zwei Stunden in Zürich sein.«
»Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
Der Fahrer setzte Smith vor Rosebud ab, wo Klein ihn erwartete. »Schön, dass Sie wieder hier sind, Jon.«
»Ja, Sir. Danke. Irgendwelche Neuigkeiten über das Pockenvirus?«

Klein schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sehen Sie sich das an.«

Er hielt Smith ein zusammengerolltes Blatt Papier hin.

Auf der Skizze waren Berias Gesichtszüge andeutungsweise zu erkennen, aber sie war nicht präzise genug, um den Killer exakt zu definieren. Beria hatte ohnehin ein Alltagsgesicht - für einen Auftragskiller ein entscheidender Vorteil. Die Skizze zeigte das Bild eines Mannes, wie man ihn überall zu Tausenden zu sehen bekam. Es wäre daher reines Glück, wenn ein Beamter zufällig auf ihn stieße - und genau das wollte Klein, das sollten die Leute glauben, die Beria führten. Wenn Beria an seinem Aussehen einige wenige kosmetische Veränderungen vornahm, würde er völlig in Sicherheit sein: die Leute, die hinter ihm standen, würden weiterhin der Meinung sein, dass der Nutzen, den er ihnen bot, deutlich die Gefahr überwo g, die er für sie darstellte.

Smith rollte das Blatt zusammen und tippte damit gegen seine Handfläche. Seiner Ansicht nach ging Klein ein gewaltiges Risiko ein: Indem er den Fahndungsbehörden Berias wahres Bild vorenthielt, schränkte er die Chancen für die Fahndung erheblich ein. Auf der anderen Waagschale lag freilich ein sehr wichtiger Nebennutzen: Wenn das Fahndungsbild in Umlauf kam und Berias Hintermänner es sahen, würden sie nicht beunruhigt sein. Dass der Mord an Treloar Ermittlungen ausgelöst hatte, war logisch. Und dass ein Augenzeuge der Polizei eine allgemeine Beschreibung geliefert hatte, würde keinen Argwohn erwecken. Berias Hintermänner würden nicht gerade unvorsichtig werden, aber jedenfalls würden sie nicht damit rechnen, dass ihre langfristigen Pläne in unmittelbarer Gefahr waren.

»Wie ist es denn in Houston gelaufen?«, wollte Klein wissen.
»Treloar war verdammt vorsichtig«, sagte Smith. »Er hat alle Spuren zu seinen Kontaktleuten mit großer Sorgfalt verwischt.«
»Trotzdem haben Sie Ihr eigentliches Ziel erreicht?«
»Ich habe sie ein wenig nervös gemacht, Sir. Wer auch immer hinter Treloar stand, weiß, dass ich herumschnüffle.«
Er grinste. »Hat der Präsident Ihre Empfehlung bezüglich des Impfstoffs akzeptiert, Sir?«
»Er spricht mit den Pharmaherstellern«, erwiderte Klein. »Die machen mit.«
In Anbetracht der Umstände war es lebenswichtig, dass die großen Pharmagesellschaften ihre Produktionsanlagen umrüsteten, um innerhalb möglichst kurzer Zeit möglichst viel Pockenimpfstoff herzustellen. Selbst wenn der gestohlene Pockenerreger genetisch abgewandelt war, würde der augenblicklich verfügbare Impfstoff vermutlich wenigstens teilweise wirksam sein. Aber um die nötigen Mengen davon herzustellen war es erforderlich, die Produktion anderer Arzneimittel zu reduzieren. Die dabei entstehenden Verluste würden gewaltig sein, ebenso wie der Aufwand für die Herstellung des Impfstoffs. Dass der Präsident sich bereit erklärt hatte, die Verluste der Firmen auszugleichen, war erst der halbe Sieg. Die Firmen würden natürlich wissen wollen, weshalb der Impfstoff so dringend gebraucht wurde und wo es zu einem Ausbruch der Seuche von so erheblichem Ausmaß gekommen war. Da es unmöglich schien, derartige Informationen zurückzuhalten - die natürlich auch in die Medien gelangen würden -, musste der vorgebliche Ort, an dem die Epidemie ausgebrochen war, weit entfernt und doch einigermaßen dicht besiedelt sein.
»Wir haben uns dafür entschieden, den indonesischen Archipel zu benutzen«, erklärte Klein. »Die chaotischen Zustände dort haben den internationalen Reiseverkehr in die Region praktisch zum Erliegen gebracht. Es gibt in dieser Gegend kaum mehr Touristen, und Jakarta hat die Berichterstattung durch ausländische Medien praktisch unterbunden. Unsere Legende lautet, dass es dort sporadische Pockenfälle gegeben hat und dass deshalb mit der Möglichkeit gerechnet werden muss, dass das Virus sich vermehren und ausbreiten kann, wenn keine Eindämmungsmaßnahmen getroffen werden. Das erklärt den Bedarf an so großen Mengen Impfstoff innerhalb kurzer Zeit.«
Smith überlegte. »Klingt plausibel«, meinte er schließlich. »Das augenblickliche Regime in Indonesien wird von den meisten Regierungen für kaum kompetent gehalten. Aber wenn etwas durchsickert, wird es dennoch zur Panik kommen.«
»Das lässt sich nicht vermeiden«, erwiderte Klein. »Wer auch immer über den Pockenerreger verfügt, wird ihn sehr bald einsetzen - innerhalb von Wochen, wenn nicht gar Tagen. Sobald wir die Verschwörer identifiziert und ausgeschaltet haben - und das Virus wieder sicher in unserer Hand ist -, können wir Berichte lancieren, dass die ursprünglichen Diagnosen falsch waren. Es hat sich dann überhaupt nicht um Pocken gehandelt.«
»Hoffen wir das Beste.«
Smith drehte sich um, als Generalmajor Kirov in Zivilkleidung den Ra um betrat. Das Erscheinen des Russen verblüffte ihn.
Aus dem durchtrainierten Offizier war ein ziemlich schäbig wirkendes Individuum in einem abgetragenen Konfektionsanzug geworden. Krawatte und Hemdbrust waren mit Essensresten und Kaffeeflecken gesprenkelt, und seine billigen Schuhe waren ebenso abgewetzt wie seine Aktentasche. Sein Haar - er trug eine Perücke - war lang und ungepflegt; ein wenig Make-up - von der Hand eines geschickten Maskenbildners aufgetragen - verlieh seinen geröteten Augen den Ausdruck eines Alkoholikers, wozu die dunklen Tränensäcke das Ihre taten. Kirov bot einen durch und durch unerfreulichen Anblick - der Prototyp eines hoffnungslosen Versagers, eines gescheiterter Handelsvertreters, den die Bewohner der schicken Vorortshäuser am Dupont Circle nur ungern zur Kenntnis nehmen würden.
»Mein Kompliment zu Ihrem Make-up, General«, sagte Smith. »Ich musste wirklich zweimal hinsehen.«
»Hoffen wir, dass das auch für Beria gilt«, erwiderte Kirov ernst.
Smith war froh, den Russen an seiner Seite zu haben. Nach dem Debakel bei Bioaparat und in Moskau hatte Kirov den russischen Premierminister dazu überredet, ihn in die Vereinigten Staaten zu schicken, damit er dort bei der Jagd auf Iwan Beria mithelfen konnte. Klein war der Ansicht gewesen, dass Kirov, der ein Jahr in Washington verbracht hatte und daher die ethnischen Viertel gut kannte, einen wertvollen Beitrag würde leisten können. Er hatte sich dem Präsidenten gegenüber entsprechend geäußert, und dieser hatte sich schnell mit Potrenko geeinigt und zugelassen, dass Kirov nach Washington kam.
Doch den wahren Grund, weshalb der General hier war, las Smith in den unter dem Make-up klar und hart blickenden Augen des Mannes. Er war von der Frau, die er geliebt und der er vertraut hatte, verraten worden, weil unbekannte Kräften sie korrumpiert hatten, die mit einem Killer in Verbindung standen, den er hatte entkommen lassen. Kirov musste diesen Makel auswetzen, musste seine Soldatenehre zurückgewinnen.
»Wie wollen Sie vorgehen, Jon?«, fragte der Russe jetzt.
»Ich muss kurz bei mir zu Hause vorbeischauen«, erwiderte Smith. »Und wenn Sie sich dann hier ein wenig eingewöhnt haben, fahren wir zum Dupont Circle.«
Da in der russischen Botschaft niemand über Kirovs Anwesenheit in der Stadt informiert war, hatte Smith den Vorschlag gemacht, dass der General bei ihm wohnen und sein Haus in Bethesda als Stützpunkt für ihre gemeinsame Jagd auf Beria nutzen sollte.
»Und Sie sind sicher, dass Sie auf Fernschutz verzichten wollen?«, fragte Klein.
Bei allem Vertrauen, das Klein in Kirovs Fähigkeiten und seinen Instinkt setzte, widerstrebte es ihm doch, beide Männer ohne jeglichen Schutz hinauszuschicken. Smith war zwar in Houston gewesen, um dort nach etwaigen Spuren zu suchen, die Treloar möglicherweise hinterlassen hatte. Seine eigentliche Absicht war es aber gewesen, an den Fäden des Netzes zu zupfen, das Treloar immer noch mit den Drahtziehern des ganzen Geschehens verband. Smith hatte sie wissen lassen, dass er an der Stelle, wo Treloar tätig gewesen war, gründliche Ermittlungen anstellen wollte. Dadurch hoffte er eine Reaktion auszulösen und die Verschwörer dazu zu veranlassen, sich ihrerseits auf seine Spur zu setzen… und das bedeutete, dass Beria sein Versteck verlassen würde.
»Wir dürfen das Risiko nicht eingehen, dass Beria die Leute entdeckt, die Sie mit meinem Schutz beauftragen könnten, Sir«, erwiderte Smith.
»Mr. Klein«, meinte Kirov, »ich kann Ihre Sorge verstehen und teile sie auch. Aber ich verspreche Ihnen, ich werde nicht zulassen, dass Jon etwas passiert. Und ich habe einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber irgendwelchen Leuten, die Sie einsetzen könnten. Ich kenne Beria. Wenn er sich irgendwie verkleidet hat, werde ich seine Maske durchschauen. Es gibt Eigenschaften und Verhaltensweisen, die er einfach nicht verbergen kann.«
Er wandte sich an Smith. »Sie haben mein Wort darauf. Wenn Beria dort draußen ist und Sie angreifen will, dann gehört er uns.«

Neunzig Minuten später trafen Smith und Kirov bei dem im Ranch-Stil gebauten Haus von Smith in Bethesda ein. Als Smith ihn durch das Haus führte, registrierte Kirov die Gemälde, die Wandteppiche und die Kunstgegenstände aus der ganzen Welt. Der Amerikaner war wirklich ein weitgereister Mann.

Während Smith duschte und sich umkleidete, richtete Kirov sich im Gästeschlafzimmer ein. Dann trafen sie sich in der Küche, wo sie sich bei einer Tasse Kaffee mit einer großformatigen Karte von Washington vertraut machten und sich dabei besonders auf das von einem Vielvölkergemisch bewohnte Viertel um den Dupont Circle konzentrierten. Da Kirov die Gegend bereits kannte, kristallisierte sich schnell ein Plan heraus.

»Ich weiß, dass wir das Klein gegenüber nicht erwähnt haben«, sagte Smith, als sie sich anschickten, das Haus zu verlassen. »Aber…«, er hielt seinem Besucher eine Sig Sauer Pistole hin.

Kirov warf einen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. Er ging ins Schlafzimmer zurück und kehrte gleich darauf mit einem harmlos aussehenden schwarzen Regenschirm zurück. Er hielt ihn schräg nach unten, fuhr mit dem Daumen über den Griff, und plötzlich schoss eine drei Zentimeter lange Klinge aus der Spitze.

»Den habe ich mir aus Moskau mitgebracht«, meinte Kirov im Gesprächston. »Die Klinge ist mit einem schnell wirkenden biologischen Beruhigungsmittel imprägniert Acepromazine. Das lähmt einen hundert Kilo schweren Eber binnen Sekunden. Und außerdem könnte ich, falls ich aus irgendeinem Grund von Ihrer Polizei aufgehalten werden sollte, einen Regenschirm jederzeit erklären. Mit einer Pistole könnte es dagegen größere Schwierigkeiten geben.«

Smith nickte. Er selbst mochte der Köder sein, aber Kirov war derjenige, der den entscheidenden Schlag gegen ihr Opfer führen musste. Er war froh, dass der Russe Beria nicht unbewaffnet gegenübertreten würde.

Smith schob die Sig Sauer in sein Schulterhalfter. »Also gut. Ich werde Ihnen eine Dreiviertelstunde Vorsprung lassen, und dann komme ich nach.«

Kirov bewegte sich wie ein Schemen durch die Straßen und studierte dabei seine Umgebung. Wie die meisten Viertel im Zentrum Washingtons war auch der Dupont Circle zu neuem Leben erwacht, aber zwischen den schicken Cafes und Designerboutiquen zwängten sich immer noch mazedonische Bäckereien, türkische Teppichläden und serbische Kaufläden mit gehämmerten Kupfer- und Bronzegefäßen, griechische Restaurants und jugoslawische Kaffeehäuser. Kirov wusste aus eigener Erfahrung, welche Anziehungskraft solch vertraute Bilder auf jemanden ausübten, der sich in einer ansonsten fremden und eher feindseligen Umgebung befand, selbst wenn dieser Mann ein mit allen Wassern gewaschener Killer war. Das Vielvölkergemisch hier war genau die Umgebung, von der Iwan Beria sich angezogen fühlen würde. Hier konnte er vertrautes Essen finden, Musik hören, mit der er aufgewachsen war, und von Sprachen umgeben sein, die er kannte. Kirov, der mehrere slawische Sprachen beherrschte, fühlte sich hier ebenfalls zu Hause.

Er erreichte einen kleinen, von Läden und Verkaufsständen umgebenen Platz und setzte sich an einen Tisch, dem ein Sonnenschirm Schatten spendete. Eine Frau kroatischer Herkunft, die nur gebrochen Englisch sprach, nahm seine Bestellung auf Kaffee entgegen. Der Russe unterdrückte ein Lächeln, als er hörte, wie sie halblaut den Besitzer des Lokals verfluchte.

Als Kirov dann den dicken, süßen Kaffee trank, sah er sich unter den Passanten um, registrierte die farbenfrohen Blusen und Röcke der Frauen und die ausgebeulten Hosen und Lederjacken der Männer. Wenn Beria hierher kam, würde er die schlichte, praktische Kleidung eines jugoslawischen Arbeiters tragen - vielleicht auch eine Mütze, um seine Gesichtszüge zu verdecken. Dennoch zweifelte Kirov nicht daran, dass er ihn erkennen würde. Eines konnte ein Killer nie verbergen, die Erfahrung hatte er gemacht - seine Augen.

Kirov war durchaus bewusst, dass Beria ihn ebenfalls erkennen könnte, wenn ihm dazu Gelegenheit geboten wurde. Nur dass Beria keine Ahnung hatte, dass Kirov sich in den Vereinigten Staaten aufhielt. Er würde vorzugsweise darauf bedacht sein, der Polizei aus dem Weg zu gehen, selbst wenn die Streife n in dieser Gegend recht spärlich waren. Keinesfalls würde er mit einem Gesicht aus seiner Vergangenheit rechnen, noch dazu so weit von zu Hause entfernt. Andererseits rechnete Kirov auch nicht damit, dass er Beria einfach dabei entdecken würde, wie dieser an den Verkaufsstand eines Bäckers trat, um sich etwas zu essen zu kaufen. Er hatte zwar eine gewisse Vorstellung davon, wo der Killer sich wahrscheinlich aufhalten könnte, wusste aber natürlich nicht, wo er sich in diesem Augenblick tatsächlich befand.

Mit halb geschlossenen Augen ließ Kirov seinen Blick über die ständig wechselnde Szenerie seiner Umgebung schweifen. Dabei achtete er besonders auf die Zugänge zu dem kleinen Platz, wo immer wieder Menschen auftauchten und verschwanden. Er registrierte die Tafeln in den Schaufenstern, auf denen die Geschäftszeiten angegeben waren, und nahm sich vor, später die Seitengassen und die Lieferanteneingänge unter die Lupe zu nehmen.

Wenn Beria sich aufgemacht hatte, um seine schmutzige Arbeit zu tun, dann war dies eine Gegend, in der er sich wohl fühlen würde. Und das könnte ihm ein Gefühl der Sicherheit geben, könnte ihm die Meinung vermitteln, dass er hier die Oberhand hatte. Selbstsicherheit allerdings
- machte manchmal auch blind.

Einen reichlichen Kilometer von der Stelle entfernt, wo Kirov seinen Kaffee trank, öffnete Iwan Beria gerade die Tür zu seiner Drei-Zimmer-Wohnung im obersten Stockwerk eines Gebäudes, in dem sich überwiegend Angestellte und Beamte eingemietet hatten, die auf ein paar Wochen oder Monate nach Washington versetzt worden waren.

Ihm gegenüber stand der Fahrer des Lincoln, ein großer, schweigsamer Mann mit einer Nase, die schon mindestens einmal gebrochen war, und einem verformten linken Ohr, das an Blumenkohl erinnerte. Beria war schon früher solchen Männern begegnet. Sie hatten keine Scheu vor Gewalt, waren verlässlich, diskret und die perfekten Boten für denjenigen, der den richtigen Preis dafür bezahlen konnte.

Beria bedeutete dem Mann mit einer Handbewegung, einzutreten, sperrte die Tür ab und nahm den Umschlag entgegen, den er ihm hinstreckte. Er riss ihn auf und überflog schnell den Inhalt der in serbischer Sprache gehaltenen Mitteilung. Dann trat er einen Schritt zurück und lächelte. Seine Auftraggeber unterschätzten regelmäßig die Za hl der Leute, die eliminiert werden mussten. In diesem Fall war Beria bereits für den russischen Offizier von Bioaparat und den amerikanischen Wissenschaftler bezahlt worden. Jetzt forderte man ihn auf, eine weitere Person aus dem Weg zu räumen.

Er wandte sich dem Fahrer zu und sagte: »Foto.«

Der Mann nahm wortlos den Brief zurück und gab Beria ein Foto von Jon Smith, das von einer Sicherheitskamera aufgenommen worden war. Er blickte direkt in die Linse, und sein Gesicht war frei von jeglichen Schatten. Ein brauchbares Foto.

Beria lächelte nachdenklich. »Wann?«
Der Fahrer streckte die Hand nach dem Bild aus. »So bald wie möglich. Sie müssen bereit sein, sofort zu gehen, wenn Sie gerufen werden.«
Dann zog der Mann die Augenbrauen hoch und fragte damit stumm, ob sonst noch etwas wäre. Beria schüttelte den Kopf.
Nachdem der Fahrer gegangen war, ging Beria ins Schlafzimmer und holte ein digital verschlüsseltes Satellitentelefon aus seiner Reisetasche. Im nächsten Augenblick war er mit einem Herrn Weißel in der Offenbach Bank in Zürich verbunden. Auf dem fraglichen Konto waren soeben zweihunderttausend amerikanische Dollar eingegangen.
Beria bedankte sich bei dem Banker und schaltete ab. Die Amerikaner haben es eilig.

Dr. Karl Bauer trat nackt aus dem letzten Dekontaminationsraum. Auf der Bank der Wechselkabine lag Unterwäsche, Socken und ein Hemd. Ein frisch gebügelter Anzug hing an einem Haken an der Tür. Ein paar Minuten später hatte Bauer sich angezogen und war zu dem Raum im Zwischenstock mit den bis zum Boden reichenden Fenstern unterwegs, wo sein erster Mitarbeiter, Klaus Jaunich, ihn erwartete.

Jaunich verbeugte sich leicht und streckte ihm die Hand entgegen. »Großartige Arbeit, Herr Direktor. Ich habe noch nie dergleichen gesehen.«

Bauer schüttelte ihm die Hand und nahm das Kompliment zur Kenntnis. »Wir werden auch wahrscheinlich so etwas nie wieder zu sehen bekommen.«

Nachdem Bauer sich ausgeruht hatte, war er in das Laboratorium zurückgekehrt. Obwohl er fast die ganze Nacht durchgearbeitet hatte, war er von einem Hochgefühl erfüllt und von Energie durchflutet. Er wusste aus langer Erfahrung, dass das nur das Adrenalin in seinen Adern war und dass bald wieder die Müdigkeit einsetzen würde. Dennoch hatte Jaunich Recht: Es war tatsächlich großartige Arbeit gewesen. Unter Einsatz höchster Konzentration hatte er seine lebenslange Erfahrung und sein Wissen für die ersten Schritte eines Vorgangs eingesetzt, der ein ohnehin schon tödliches Virus in eine unaufhaltsame mikroskopische Feuersbrunst verwandeln würde. Jetzt fühlte er sich beinahe betrogen, weil er nicht imstande sein würde, jene paar letzten Schritte bis zur Vollendung selbst vorzunehmen.

»Wir haben es von Anfang an gewusst, nicht wahr, Jaunich?«, machte er seinem Herzen Luft. »Leider werden wir das Endprodukt, das wir hier schaffen, nie mit eigenen Augen sehen. Die physikalischen Gesetze dieser Erde verwehren mir den höchsten Triumph. Um ihn zu vollenden, muss ich mein Geschöpf aus der Hand geben.«

Er hielt kurz inne. »Jetzt ist es an Reed, dorthin zu gehen, wo uns der Zugang verwehrt ist.«
»So viel Vertrauen zu einem einzigen Mann«, murmelte Jaunich.

»Er wird tun, was ihm aufgetragen wurde«, erwiderte Bauer scharf. »Und wenn er zurückkehrt, werden wir das haben, wovon wir bis jetzt nur träumen konnten.«

Er klopfte dem anderen auf die Schulter. »Es wird alles gut gehen, Jaunich. Sie werden sehen. Wie steht’s mit dem Transport?«

»Die Probe ist versandbereit, Herr Direktor. Das Flugzeug wartet.«
Bauer klatschte in die Hände. »Gut! Dann sollten wir beide, Sie und ich, noch ein Glas darauf heben und feiern, bevor ich abfliege.«

20

Im grellen Scheinwerferlicht wirkte das Raumschiff wie das Meisterwerk eines Bildhauers, der damit ein Symbol für das neue Jahrtausend hatte schaffen wollen. Megan Olson blickte aus drei Meilen Entfernung von Ehrfurcht erfüllt auf das Space Shuttle, das huckepack an seinem Außentank und den beiden etwas kleineren Feststoffraketen hing.

Es war zwei Uhr morgens in einer mondlosen, windstillen Nacht in Cape Canaveral. Megan roch die salzige Luft, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die Mannschaft war gewöhnlich um drei Uhr auf den Beinen, aber Megan hatte schon nach Mitternacht keinen Schlaf mehr gefunden. Der Gedanke, sich in weniger als acht Stunden an Bord des Shuttle zu befinden und in die Nacht des Weltraums hinauszurasen, nahm ihr den Atem.

Sie drehte sich um und ging an dem Gebäude entlang, in dem die Crew untergebracht war. Vielleicht hundert Meter von ihr entfernt glitzerten die scharfen Spitzen des Stacheldrahtzauns, der das Gelände umgab. Von Ferne hörte sie das Brummen eines Jeeps der Sicherheitsabteilung, der die Anlage umrundete. Die Sicherheitsvorkehrungen am Cape waren ebenso beeindruckend wie unauffällig. Am Sichtbarsten waren die uniformierten Männer der Air Police, auf die sich die Fernsehkameras gerne richteten, aber dann gab es auch noch die Zivilstreifen, die rund um die Uhr die ganze Anlage überwachten und sicherstellten, dass nichts und niemand den Start störte.

Megan wollte gerade auf ihr Zimmer zurückkehren, als sie in der Nähe Schritte hörte. Sie drehte sich um und sah, wie eine Gestalt aus dem Gebäudeschatten heraus ins Licht trat.

Dylan Reed?
Alle machten sich darüber lustig, dass Reed nicht nur den eigenen Wecker nicht hören, sondern wahrscheinlich auch den Start verschlafen würde, wenn man ihn das ließe. Was hatte er also eine Stunde vor dem Appell draußen zu suchen?
Megan wollte schon den Arm heben und ihm zurufen, als sich ein heller Scheinwerferbalken um die Ecke schob. Sie trat instinktiv einen Schritt zurück - neben Reed hielt eine Limousine mit dem NASA-Logo auf der Tür. Aus dem Schatten sah Megan zu, wie ein älterer Mann aus dem Wagen stieg und auf Reed zuging.
Jemand, den er erwartet hatte. Aber wer war das? Und weshalb die Quarantäne brechen?
Die Quarantäne war ein wichtiger Bestandteil der Startprozedur, auch wenn sie diesmal notwendigerweise abgekürzt worden war und nicht die vollen sieben Tage betrug. In dieser späten Phase jemanden von draußen direkt mit einem Mitglied der Crew Verbindung aufnehmen zu lassen, war trotzdem ein unerhörter Vorgang.
Als der Besucher und Reed ins Licht traten, sah Megan, dass der Mann etwas um den Hals hängen hatte: eine Kontrollkarte der ärztlichen Abteilung. Dieser Besucher, wer auch immer er sein mochte, hatte also von den NASA-Ärzten Zutrittserlaubnis erhalten.
Megan schickte sich schon an, weiterzugehen; Reeds Besucher war also berechtigt, sich in einer Sperrzone aufzuhalten. Aber da war etwas, was sie davon abhielt. Sie vertraute wie immer auf ihren Instinkt und ihre Intuition; das hatte ihr schon mehr als einmal das Leben gerettet. Jetzt flüsterte ihr eine innere Stimme zu, dass sie nicht einfach weggehen und damit das tun sollte, was die Höflichkeit eigentlich gebot.
Megan blieb stehen. Sie konnte nicht hören, was die beiden Männer miteinander redeten. Aber es war nicht zu übersehen, dass der Besucher Reed etwas übergab: einen glänzenden, vielleicht zehn Zentimeter langen zylinderförmigen Metallgegenstand. Megan sah ihn nur ganz kurz, bevor er in einer der Taschen von Reeds Overall verschwand.
Dann legte der Besucher Reed die Hand auf die Schulter, stieg wieder in seinen Wagen und fuhr weg. Reed starrte den Rücklichtern nach, bis sie zu winzigen Punkten zusammengeschrumpft waren. Schließlich drehte sie sic h um und ging zum Gebäude zurück.
Er hat Lampenfieber vor dem Start wie wir anderen auch. Jemand, der ihm nahe steht, ist hergekommen, um ihm einen guten Flug zu wünschen.
Aber die Erklärung kam ihr leer und unbefriedigend vor. Reed hatte schließlich sechs Shuttle Missionen hinter sich und schien völlig abgebrüht. Und ein Verwandter konnte der Besucher auch nicht gewesen sein. Mit Einsetzen der Quarantäne gab es zwischen Familienmitgliedern und der Crew keinerlei Kontakt mehr. Man hatte für sie einen speziellen Bereich in drei Meilen Entfernung eingerichtet, von wo aus sie den Start beobachten konnten.
Also ist es jemand aus dem Programm. Jemand, dem ich noch nie begegnet bin.
Bevor Meg in die Kantine ging, wo die Crew ihre letzte Mahlzeit vor dem Start einnehmen würde, suchte sie kurz ihr Zimmer auf. Sie überlegte, was sie tun sollte, unter anderem auch, ob sie das Thema nicht einfach ganz beiläufig Reed gegenüber ansprechen sollte. Schließlich hatte er sie seit ihrem Eintritt bei der NASA ständig unterstützt, und sie sah in ihm so etwas wie einen Freund. Dann erinnerte sie sich an Adam Treloar, die verschwundenen Pockenerreger und die verzweifelte Suche danach, die augenblicklich unter strenger Geheimhaltung im Gange war. Kleins Anweisung war unzweideutig ge wesen: Sie sollte alles irgendwie Verdächtige melden. Obwohl Megan überzeugt war, dass es für Reeds Verhalten eine völlig harmlose Begründung geben würde, griff sie dennoch nach dem Telefon.

Um sechs Uhr dreißig betrat die Crew den Clean Room, um die Anzüge anzulegen. Megan - als einzige Frau, die an der Mission teilnahm - hatte eine Umkleidekabine für sich. Sie schloss die Tür und musterte den für Start und Wiedereintritt vorgesehenen Schutzanzug, den LES oder Launch/Entry Suit. Er war nach Maß gefertigt, wog mehr als vierzig Kilogramm und bestand aus über fünfzehn einzelnen Teilen, darunter einem Fallschirm, einer Schwimmweste, Gravitationshosen und einer Windel. Megan hatte Reed gegenüber Zweifel geäußert, ob die Windel wirklich notwendig sei, worauf dieser ihr erklärt hatte, welchem Druck der Körper beim Eintritt ins Orbit ausgesetzt war. Dass die Blase sich dabei nicht entleerte, war ein Ding der Unmöglichkeit.

»Wirklich sehr schick, Megan«, meinte Frank Stone, der Pilot, als sie in den Umkleideraum der Männer trat. »Am besten gefallen mir die Patches«, erwiderte Megan.

»Das müssen Sie meiner Frau sagen«, ließ Bill Karol, der Kommandant, sich vernehmen. »Sie hat sie entworfen.«

Jede Mission hatte einen eigenen Patch - meist ovale oder runde etwa fünf Zentimeter große Stoffabzeichen, die entweder von den Mitgliedern der Crew oder deren Verwandten entworfen wurden. Dieser hier zeigte das Shuttle dabei, wie es in den Weltraum raste. Am Rand waren die Namen der Crew eingestickt.

Die Crew Mitglieder überprüften gegenseitig ihre Anzüge und vergewisserten sich, dass jedes Stück festsaß und dicht war. Dann sprach die Gruppe gemeinsam mit David Carter, einem der Einsatzspezialisten, ein kurzes Gebet. Irgendwie verminderte das das drückende Gefühl, das Adam Treloars plötzlicher Tod hinterlassen hatte.

Bis zum Start waren es jetzt noch etwas mehr als drei Stunden, und sie traten aus ihren Räumen in das Blitzlichtgewitter der Kameras hinaus. Dieser Augenblick war die letzte Chance für einige wenige Beobachter von draußen - alle waren sorgfältig überprüft worden und hatten spezielle Ausweise -, die Astronauten zu sehen. Als Megan vor die Kameras trat, winkte sie kurz. Und als sie lächelte, rief ein Reporter: »Noch mal! Genau so!«

Die Fahrt zum Startturm in einem Fahrzeug, das an die braunen Lieferfahrzeuge von UPS erinnerte, dauerte nur ein paar Minuten. Dann stieg die Crew in eine Aufzugkabine, die sie die knapp sechzig Meter zum so genannten White Room brachte, wo sie ihre Fallschirme, Sicherheitsgurte, Kommunikationssets, Helme und Handschuhe anlegten.

»Wie ist Ihnen denn zumute?«

Megan drehte sich halb herum und erkannte Reed, der bereits volle Montur trug.
»Nicht übel, glaube ich.«
»Schmetterlinge vor dem Flug?«

»Ist es das, was in meinem Magen herumflattert?«

Er beugte sich näher zu ihr. »Erzählen Sie es nicht rum, aber ich hab sie auch.«
»Doch nicht Sie!«
»Ganz besonders ich.«
Es musste wohl ihr Blick gewesen sein, mit dem sie ihn

ansah, der ihn zu seinen nächsten Worten veranlasste: »Stimmt etwas nicht? Sie sehen so aus, als ob Sie mich etwas fragen wollten.«

Megan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das liegt wohl an dem Augenblick jetzt. Man träumt davon, rackert sich ab und arbeitet darauf hin, und dann ist es eines Tages so weit.«

Reed klopfte ihr auf die Schulter. »Sie werden es schon gut machen. Denken Sie nur an das, was Allenby gesagt hat: Wir zählen alle auf die Experimente, die Sie ausführen sollen.«

»Ladies und Gentlemen, es ist so weit!«, rief jemand von der Bodenmannschaft.

Megan atmete erleichtert auf, als Reed sich abwandte. Bei ihrem Telefongespräch mit Klein hatte der erklärt, er würde sofort Erkundigungen über Reeds geheimnisvollen Besucher einholen, versuchen, ihn konkret zu identifizieren und sich dann wieder mit ihr in Verbindung setzen. Da sie nichts mehr von ihm gehört hatte, vermutete Megan, dass Klein entweder noch mit seinen Ermittlungen beschäftigt war oder festgestellt hatte, dass alles ganz harmlos war.

»Bühne frei«, verkündete Reed. Er winkte Megan zu. »Ladies first.«
Megan atmete tief durch, zog den Kopf ein und ging durch die Luke zum Flugdeck. Sie stieg die Leiter ins Mitteldeck hinunter, das neben den Schlafstationen und den Behältern für Lebensmittel und Gerätschaften sowie der Toilette drei spezielle Startsessel für sie, Randall Wallace, den anderen Spezialisten, und David Carter, den Spezialisten für die Nutzlast, enthielt.
Sie ließ sich in dem Startsessel nieder, der nach dem Start zusammengeklappt und verstaut werden würde, und stellte fest, dass sie auf dem Rücken lag, sodass ihre Knie zur Decke wiesen.
»Die dritte Mission, und ich habe mich immer noch nicht an diese Sitze gewöhnt«, brummelte Carter, als er auf dem Sessel neben ihr Platz nahm.

»Das liegt daran, dass Sie ständig zunehmen, guter Mann«, stichelte Wallace. »Das gute Essen bei Muttern.« »Wenigstens habe ich ein Zuhause«, konterte Carter.

Wallace tat so als würde er die Asche von einer imaginären Zigarre abstreifen und sagte in einer gut gelungenen Imitation von Groucho Marx: »Das muss wahre Liebe sein.«

Als dann die Bodencrew hereinkam und die Astronauten anschnallte, verstummte das Geplänkel.
»Mikros?«

Megan überprüfte das ihre und nickte, so gut sie das bei dem geringen Bewegungsspielraum konnte. Während ihre Kollegen angeschnallt wurden, hörte sie zu, wie die Crew des Orbiters mit der Einsatzkontrolle die Start Checkliste durchging.

Als die Bodencrew ihre Arbeit beendet hatte, traten die drei Männer zurück. Obwohl Megan sie nicht sehen konnte, ahnte sie, wie ernst sie jetzt blickten.

»Ladies and Gentlemen, guten Flug. Und kommen Sie gesund nach Hause.«

»Amen«, murmelte Carter.

»Ich hätte mir ein gutes Buch mitbringen sollen«, sinnierte Wallace. »Megan, wie kommen Sie denn zurecht?«

»Ganz prima, vielen Dank. Und wenn es den Herrn jetzt nichts ausmacht, würde ich gerne meine eigene Checkliste durchgehen.«

Ein paar hundert Meilen nordöstlich von dem Weltraumgelände leerte Jon Smith gerade seine zweite Tasse Kaffee und sah auf die Uhr. Kirov sollte jetzt genug Zeit gehabt haben, am Dupont Circle Position zu beziehen. Beim Hinausgehen warf Smith noch einmal einen Blick auf die Bildschirme seiner Sicherheitskameras. Sein Haus stand auf einem Eckgrundstück und war von hohen Bäumen umgeben, die es vor den Nachbarn abschirmten. Hinter dem Haus gab es nur Rasen ohne irgendwelche Büsche oder Sträucher, in denen sich ein Eindringling hätte verstecken können. Bewegungssensoren, die in die Steinmauern des Hauses eingelassen waren, scannten ständig die Umgebung ab.

Wenn es jemand schaffen sollte, an den Sensoren vorbeizukommen, würde er es mit einem hochmodernen Alarmsystem zu tun bekommen, das in die mit Doppelscheiben ausgestatteten Fenster und die Türschlösser eingebaut war. Und falls er auch daran irgendwie vorbeikam, würden druckempfindliche Sensoren im ganzen Haus aktiviert werden und nicht nur den Alarm auslösen, sondern auch ein lähmendes Gas durch das Sprinklersystem verströmen. Das Gas war in mehreren Vollzugsanstalten des Bundes erprobt worden und setzte einen Eindringling in weniger als zehn Sekunden außer Gefecht, weshalb Smith immer eine Gasmaske in der Nachttischschublade verwahrte.

Obwohl Smith nicht damit rechnete, dass Beria versuchen würde, ihn mit einem Schuss aus der Ferne zu töten, hielt er es doch für klug, die Umgebung noch einmal zu überprüfen. Als er sich vergewissert hatte, dass draußen niemand lauerte, ging er durch die Küche zurück, die einen direkten Zugang zur Garage hatte. Er griff gerade nach dem Schalter, um den kleinen Fernseher auf der Küchentheke abzustellen, als er auf dem Bildschirm etwas sah, das ihn zum Lächeln veranlasste. Er zögerte kurz und griff dann nach dem Telefon.

Einundzwanzig Minuten vor dem Start kam die Stimme des Flugdirektors Harry Landon über die Kopfhörer der Crew.

»Leute«, sagte er in seinem gedehnten OklahomaTonfall, »anscheinend gibt es eine unerwartete Entwicklung.«

Obwohl ihnen bewusst war, dass dreihundert Mitarbeiter in der Einsatzkontrolle jeden Laut hörten, den sie von sich gaben, stöhnte doch die ganze Crew wie aus einem Munde auf.

»Jetzt sagen Sie mir bloß nicht, dass wir das alles noch einmal machen müssen«, schimpfte Carter.
»Was gibt es denn für ein Problem, Mission Control?«, fragte der Pilot scharf.
»Habe ich etwas von einem Problem gesagt? Nein. Ich habe gesagt, eine Entwicklung.«
Er machte eine kurze Pause. »Dr. Olson, sind Sie mit Ihrer Checkliste fertig?«
»Ja, Sir«, erwiderte Megan und spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte.
Jetzt sagen Sie mir bloß nicht, dass ich Mist gebaut habe. Alles, bloß das nicht.
»Wollen Sie dann diesen Anruf annehmen?«
Megan versuchte unwillkürlich sich aufzusetzen, kam aber nicht weiter. Wer konnte das sein? Du meine Güte!
»Harry«, sagte sie der Panik nahe, »ich weiß nicht, ob das eine gute Idee wäre.«
»Jetzt machen Sie sich keine Gedanken. Ich werde das Gespräch nur zu Ihnen durchstellen.«
Das Letzte, was sie hörte, bevor es in ihrem Kopfhörer zu rauschen begann, war Carters »Mistkerle!«
»Megan?«
Ihr Pulsschlag beschleunigte sich. »Jon? Bist du das?«
»Ich konnte dich doch nicht starten lassen, ohne dir viel Glück zu wünschen.«
»Jon, wie hast du…? Ich meine, wie konntest du…«
»Keine Zeit, dir das zu erklären. Alles in Ordnung bei dir? Bist du bereit?«
»Bereit, ja. Alles in Ordnung? Nun, ich muss mich noch daran gewöhnen, auf einer Tonne flüssigem Treibstoff zu sitzen.«
»Ich wollte dir alles Gute wünschen… und sieh zu, dass du sicher und gesund nach Hause zurückkommst.«
Megan lächelte. »Das werde ich.«
»Tut mir Leid, Leute«, schaltete Landon sich ein. »Die Zeit ist um.«
»Danke, Harry«, sagte Megan.
»Ich schalte Sie jetzt wieder ins allgemeine Netz. Bereit?«
»Nur zu.«
Megan war darauf gefasst, sich ein paar freundschaftliche Sticheleien anhören zu müssen, aber der Rest der Crew war vollauf mit letzten Instruktionen und Einzelheiten beschäftigt. Sie schloss die Augen und flüsterte ein paar Worte aus dem vierundzwanzigsten Psalm. Gerade als sie damit fertig war, ging ein winziger Ruck durch das Shuttle. Im nächsten Augenblick lief der Zündvorgang für die Feststoffraketen an, und ein tiefes, lautes Dröhnen erfüllte das ganze Shuttle.
Aus dem Geschnatter der Bodenkontrolle, die den Start ein letztes Mal überprüfte, hörte Megan: »Houston, wir haben Discovery Liftoff!«
Während der Außentank die Hauptaggregate des Shuttle mit Treibstoff versorgte, fühlte sich Megan als ob sie in einer Achterbahn säße, die ihr sämtliche Knochen durchschüttelte - nur dass diese Fahrt nicht aufhören würde. Zwei Minuten und sechs Sekunden nach dem Abheben lösten sich die Feststoffaggregate von dem Orbiter und fielen ins Meer, wo man sie später bergen würde. Von dem Treibstoff in dem externen Tank angetrieben, der die Hauptaggregate speiste, mühte Discovery sich ab, die Fesseln der Schwerkraft abzuschütteln. Je höher das Shuttle aufstieg und je schneller es flog, desto mehr näherte die Crew sich dem maximalen Andruck vo n 3G. Megan war gewarnt worden, dass es so sein würde, als ob man ihr einen Gorilla auf die Brust geschnallt hätte.
Falsch. Eher einen Elefanten, Sechs Minuten später, auf einer Höhe von 184 Meilen, verstummten die Hauptaggregate. Der externe Treibstofftank löste sich und fiel der Erde entgegen. Megan wunderte sich über die plötzliche Stille und auch, wie ruhig der Flug plötzlich geworden war. Als sie den Kopf zur Seite wandte, wusste sie, weshalb das so war: Hinter dem schmalen Fenster, durch das sie blickte, funkelten die Sterne. Sie und Discovery befanden sich im Orbit.

21

Am Abend zuvor noch hatte Iwan Beria sich mit dem Fahrer des Lincoln vor der Metrostation an der Q Street und Connecticut Avenue getroffen. Der Fahrer hatte weitere Informationen und Instruktionen überbracht, die Beria studiert hatte, als der Wagen in Richtung auf Bethesda gerollt war.

Der Fahrer war erforderlich, weil Beria das Risiko nicht eingehen konnte, sich auf den Straßen sehen zu lassen und auch weil er nur ganz rudimentäre Fahrkenntnisse besaß. Einen Menschen zu töten war für ihn eine Frage von Sekunden, aber dichter Stadtverkehr verwirrte ihn und ließ ihn in kürzester Zeit die Orientierung verlieren. In einem Notfall hätte er daher möglicherweise die Flucht nicht schaffen können. Und dann bot der Wagen noch einen weiteren Vorteil neben der reinen Transportfunktion: Er eignete sich geradezu ideal dazu, unauffällig die Umgebung zu erforschen. Washington wimmelte geradezu von Limousinen der Art, die er benutzte, und deshalb würde der Lincoln in einer Umgebung wie Bethesda überhaupt nicht auffallen.

Als sie sich Smith’ Haus näherten, wurde der Fahrer langsamer, als würde er nach einer bestimmten Hausnummer suchen. Beria konnte sich das großzügige Haus im ländlichen Stil, das ein gutes Stück von der Straße entfernt stand, gründlich ansehen. Er registrierte die Bäume, die das Grundstück säumten, und vermutete, dass sie sich auch in den hinteren Teil fortsetzen würden. Hinter den Fenstern brannte Licht, aber es waren keine Schatten zu erkennen, die darauf hindeuteten, dass sich jemand im Haus bewegte.

»Noch eine Runde«, forderte Beria den Fahrer auf.

Beim zweiten Mal sah Beria sich die anderen Häuser an der Straße gründlich an. Bei den meisten lagen Fahrräder oder Spielzeug auf dem Rasen vor dem Haus, an der einen oder anderen Garage hing ein Basketballkorb, und in einer Einfahrt stand ein Anhänger mit einem kleinen Motorboot. Im Gegensatz dazu wirkte Smith’ Haus leer, brütend. Das Haus eines Mannes, dachte Beria, der allein lebt und das auch so will, jemand, dessen Arbeit Abgeschiedenheit und Geheimhaltung erfordert. Ein solches Haus würde über eine wesentlich ausgefeiltere - und gefährlichere – Alarmanlage verfügen als das, was die anderen Wachgesellschaften anboten, deren Schilder in den Vorgärten der benachbarten Häuser angebracht waren.

»Ich habe jetzt genug gesehen«, ließ er den Fahrer wissen. »Wir kommen morgen zurück. Früh.«

Jetzt, ein paar Minuten nach sechs Uhr am Morgen darauf, saß Beria auf dem Rücksitz des Lincoln am anderen Ende der Straße, an der Smith’ Haus stand. Der Motor lief kaum hörbar im Leerlauf, der Fahrer stand vor dem Wagen und rauchte. Für jemanden der vorbeijoggte oder seinen Hund spazieren führte sah er so aus, als würde er auf einen Kunden warten.

In dem ange nehm klimatisierten Wagenfonds ließ Beria noch einmal alles an sich vorbeiziehen, was er über Smith wusste. Sein Auftraggeber wollte, dass der Amerikaner möglichst schnell aus dem Weg geschafft wurde. Aber es gab Hindernisse. Smith ging nicht in ein Büro. Sein Haus machte den Eindruck, gut gesichert zu sein. Die Exekution musste daher im Freien stattfinden, eben dort, wo sich Gelegenheit dazu bot. Ein weiteres Problem bestand darin, dass Smith’ Bewegungen nicht vorhersehbar waren. Er hatte keine feste Tageseinteilung, und deshalb konnte Berias Auftraggeber nicht sagen, wo er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt befinden würde. Das bedeutete, dass Beria Smith so dicht wie möglich folgen und auf eine günstige Gelegenheit warten musste. Zustatten kam ihm, dass der Amerikaner weder Bodyguards hatte noch - soweit das seinem Auftraggeber bekannt war - eine Waffe bei sich trug. Und was das Wichtigste war, er hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er sich in Gefahr befand.

Der Lincoln schaukelte ein wenig, als der Fahrer sich hinter das Steuer setzte. »Smith kommt heraus.«
Beria sah durch die Windschutzscheibe die Straße entlang, wo jetzt ein dunkelblauer Wagen rückwärts aus einer Garage rollte. Nach den Informationen von Berias Auftraggeber war das Smith’ Fahrzeug.
»Und wir folgen ihm«, sagte er leise.

Auf der Fahrt in die Stadt sah Smith immer wieder in die Rückspiegel. Nach ein paar Meilen hatte er den schwarzen Lincoln entdeckt, der jedes Mal die Spur wechselte, wenn auch er das tat. Er rief Kirov über Handy an.

»Es ist der Lincoln vom Flughafen. Er beschattet mich.

Ich glaube, Beria hat angebissen.«
»Ich bin bereit«, versicherte ihm Kirov.
Smith bremste an einer Ampel und sah in den

Rückspiegel. Der Lincoln befand sich drei Fahrzeug hinter ihm. Als sie die Stadt erreicht hatten, fuhr Smith so schnell, wie die Verkehrslage das zuließ, wechselte häufig die Spur und hupte auch. Er hoffe, dass Beria daraus den Eindruck eines Mannes gewann, der eine wichtige Verabredung hatte und im Begriff war sich zu verspäten, eines Mannes, den das nervös machte, der unvorsichtig war, leichte Beute eben. Er wollte, dass der Killer sich ganz auf ihn konzentrierte, sonst auf nichts und niemanden achtete. Das sollte dazu beitragen, dass er Kirov nicht beachtete.

Er hat es eilig, dachte Beria. Warum?

»Er fährt zum Dupont Circle«, sagte der Fahrer, ohne den Blick von Smith’ Wagen zu wenden.

Beria runzelte die Stirn. Dupont Circle - dort wohnte er. War es möglich, dass Smith sein Apartment entdeckt hatte? War das sein Ziel?

Auf der Connecticut Avenue wurde der blaue Wagen schneller, bog nach links in die R Street und dann nach rechts in die 21st Street.

Wo will er hin?
Als Smith sich dem Dreieck am Ende der S Street näherte, verlangsamte er seine Fahrt. Beria beobachtete ihn, wie er den Wagen auf einem Parkplatz abstellte und dann die 21st Street überquerte. Dieses Viertel, mit seinen osteuropäischen Restaurants und Geschäften, war ihm vertraut. Seit seiner Ankunft in Washington war das der einzige Teil der Stadt, wo er sich wohl fühlte.
Er ist hier, um Witterung aufzunehmen. Oder vielleicht hat jemand meinen Steckbrief beachtet.
Beria hatte das Fahndungsbild in einer TV-Nachrichtensendung gesehen. Er fand die Skizze ziemlich schlecht, konnte kaum eine Ähnlichkeit erkennen. Aber vielleicht hatte ihn trotzdem jemand in der Gegend erkannt, obwohl Beria sein Apartment nie vor Anbruch der Dunkelheit verließ.
Nein. Wenn er den Verdacht hätte, dass ich hier bin, wäre er nie alleine gekommen. Er ist sich nicht sicher. Er hat nur einen vagen Hinweis.
»Bleiben Sie, wo ich Sie wiederfinden kann«, wies Beria den Fahrer an.
Der Fahrer zeigte auf ein Restaurant. Es hieß Dunn’s River Falls. »Ich werde dort parken.«
Beria stieg aus, trottete über die Straße und konnte gerade noch sehen, wie Smith durch einen Torbogen zwischen einer Bar und einem Posterladen ging. Jetzt wusste er genau, wohin sein Opfer unterwegs war: zu dem kleinen Platz zwischen der 21st Street und der Florida Avenue. Er fand es recht schlau von Smith, dass der an einem Ort auf ihn Jagd machte, zu dem Beria sich hingezogen fühlen würde. Aber zugleich war das auch eine Umgebung, in der Beria sich sicher wähnte.
Er ging unter dem Bogen durch und trat unter das Vordach eines makedonischen Cafes. An einem der Tische spielten alte Männer Domino; aus den Lautsprechern tönten die schmachtenden Klänge eines Volkslieds. Und da war Smith, er näherte sich dem Brunnen mitten auf dem kleinen Platz. Jetzt nicht mehr so schnell, er sah sich um, als würde er jemanden erwarten. Beria meinte fast, das Unbehagen von Smith riechen zu können, das Unbehagen eines Menschen, dem bewusst war, dass er hier nicht zu Hause ist. Seine Hand griff in seine Jacketttasche, seine Finger krümmten sich um den Korkgriff seines Klappstiletts.
Zehn Meter vor ihm spürte Smith das Vibrieren seines Pagers an seiner Niere. Kirov signalisierte ihm, dass Beria in der Zone eingetroffen war, fünfzehn Meter von Smith entfernt. Langsamer werdend, trat Smith vor einen Verkaufsstand mit handgeknüpften Läufern, die über einer Wäscheleine hingen. Er blieb stehen, sah auf die Uhr und blickte sich dann um, als würde er nach jemand Bestimmtem Ausschau halten. In Anbetracht der Morgenstunde waren Kunden unterwegs - hauptsächlich Leute auf dem Weg zur Arbeit oder um ihre Läden zu öffnen, die sich vorher noch einen Kaffee oder ein Stück Gebäck kauften. Smith dachte, dass Beria das für einen logischen Zeitpunkt halten würde, um sich mit einem Informanten zu treffen.
Wieder vibrierte der Pager - zweimal. Beria war nur noch fünf Meter entfernt und rückte näher. Smith spürte ein kaltes Prickeln an seiner Wirbelsäule, als er an den Teppichen vorbeiging. Er sah sich um, konnte aber weder Beria noch Kirov entdecken. Dann hörte er hinter sich leise Schritte.
Kirov hatte im Eingang eines geschlossenen Textilladens Stellung bezogen und Beria in dem Augenblick entdeckt, als der durch den Torbogen gekommen war. Jetzt näherte er sich ihm schräg von hinten; die Spezialsohlen seiner Turnschuhe verschluckten jeden Laut.
Nicht umsehen, Jon. Nicht weglaufen. Haben Sie Vertrauen zu mir.
Beria war jetzt keine fünf Meter mehr von Smith entfernt und kam ihm schnell näher. Seine Hand glitt in die Tasche; Kirov sah den Korkgriff und das Aufblitzen von Stahl, als Beria auf den Knopf drückte, der die Klinge aus dem Heft springen ließ.
Kirov hatte seinen unauffällig wirkenden schwarzen Regenschirm dabei. Er ließ ihn locker schwingen, als er auf Beria zueilte. In genau dem Augenblick, in dem der Killer den nächsten Schritt machte, das hintere Bein leicht angehoben, ließ Kirov den Schirm heruntersausen. Die rasiermesserscharfe Spitze schnitt den Stoff von Berias Hosenbein auf und bohrte sich einen halben Zentimeter tief ins Fleisch. Beria wirbelte herum, sein Stilett glitzerte in der fahlen Morgensonne. Aber Kirov war bereits zwei Schritte entfernt. Beria entdeckte ihn, und seine Augen weiteten sich entsetzt. Das Gesicht aus Moskau! Der russische General aus dem Bahnhofsgebäude!
Beria machte einen Schritt auf Kirov zu, erreichte ihn aber nicht. Sein rechtes Bein verkrampfte sich und knickte ein. Das Stilett fiel ihm aus der Hand, als er vornüber kippte. Das Gift an der Schirmspitze jagte durch seine Adern, machte seinen Blick verschwommen, nahm seinen Muskeln die Kraft.
Mit glasigen Augen wurde Beria undeutlich bewusst, dass zwei starke Arme ihn stützten. Kirov hielt ihn, lächelte, machte ihm in serbischer Sprache klar, was für ein unartiger Junge er gewesen sei und dass er überall nach ihm gesucht habe. Beria machte den Mund auf, brachte aber nur ein unartikuliertes Gurgeln hervor. Jetzt zog Kirov ihn zu sich heran, flüsterte etwas. Er spürte, wie Kirovs Lippen über seine Wange strichen, dann hörte er einen Ausruf in serbischer Sprache - die Beleidigung eines Passanten, der ihn als Schwulen bezeichnete.
»Komm schon, Liebster«, sagte Kirov leise. »Wir bringen dich hier weg, bevor es unangenehm wird.«
Beria drehte sich herum und sah, wie einige alte Männer mit obszönen Gesten auf ihn wiesen. Jetzt war Smith neben ihm, stützte seine andere Schulter. Beria versuchte die Füße zu bewegen, konnte sie aber nur kraftlos hinter sich herziehen. Sein Kopf fiel schlaff nach hinten, und er sah das Gemäuer des Torbogens von unten. Außerhalb des kleinen Platzes toste der Verkehr wie das Rauschen eines mächtigen Wasserfalls. Kirov zog die Tür eines blauen Lieferwagens auf und holte einen zusammenklappbaren Rollstuhl heraus. Hände an seinen Schultern zwangen Beria, darauf Platz zu nehmen; Lederriemen schlangen sich um seine Hand- und Fußgelenke. Er hörte das Summen eines Elektromotors und erkannte, dass der Rollstuhl auf eine Rampe gerollt worden war, die jetzt nach oben fuhr. Dann schob Kirov den Stuhl in den Lieferwagen und blockierte die Räder. Plötzlich verschwand alles, mit Ausnahme der kalten blauen Augen des Russen.
»Du weißt gar nicht, welches Glück du hast, du Mörderschwein!«
Und dann hörte er nichts mehr.

Die hintere Terrasse von Peter Howells Refugium am Ufer der Chesapeake Bay überblickte einen völlig unbewegt daliegenden Teich, den ein kleiner, sich dahinschlängelnder Bach speiste. Es war später Nachmittag, Beria befand sich jetzt seit fast acht Stunden in ihrer Gewalt. Die warme Sonne schien Smith aufs Gesicht; er lehnte sich zurück und sah zwei Falken zu, die am Himmel kreisten und auf Beute warteten. Hinter sich hörte er Kirovs Schritte auf dem Bretterboden.

Smith hatte keine Ahnung, wem dieser rustikale Zufluchtsort wirklich gehörte, aber wie Peter Howell ihm in Venedig gesagt hatte, war er sowohl völlig abgelegen als auch sehr gut ausgestattet. Das Blockhaus war sauber und bequem und verfügte über einen reichlich bestückten Vorratsraum. Unter den Dielenbrettern des Wohnraums lagen unter einer Falltür Waffen, Verbandszeug und andere wesentliche Dinge verborgen, was darauf hindeutete, dass der Besitzer des Hauses zweifellos in der gleichen Branche wie Howell tätig war. Und draußen, in einer Art Werkzeugschuppen, gab es noch etwas anderes.

»Es ist Zeit, General.«
»Wir sollten ihn noch eine Weile allein lassen, Jon.

Schließlich hat keiner von uns Lust, das noch einmal zu tun.«

»Ich habe dieselben medizinischen Artikel wie Sie gelesen. Die meisten Männer sind nach sechs Stunden erledigt.«
»Beria ist nicht ›die meisten Männer‹.«
Smith schlenderte über die kleine Terrasse und lehnte

sich an das Geländer. Sie hatten beide von dem Augenblick an, wo sie die Operation geplant hatten, gewusst, dass Beria, wenn sie ihn gefangen nahmen, nicht reden würde. Nicht ohne Druck. Und dieser Druck durfte nichts so Primitives wie Elektroschock oder Gummiknüppel beinhalten. Es gab höchst wirksame chemische Präparate, die in der richtigen Kombination äußerst effektiv und verlässlich waren. Aber sie hatten auch ihre Nachteile. Man konnte nie sicher sein, ob derjenige, dem man sie verabreichte, nicht in unerwarteter Weise darauf reagierte, einen Schock davontrug oder noch Schlimmeres. Mit Beria konnten sie dieses Risiko nicht eingehen. Sein Wille musste klar und eindeutig und, was das Wichtigste war, risikolos gebrochen werden.

Smith machte sich nichts vor. Ob elektrischer Strom, chemische Präparate oder sonst etwas, es lief alles auf Folter hinaus. Die Vorstellung, dass er den Einsatz solcher Mittel sanktionieren musste, bereitete ihm Übelkeit, als Mensch wie als Arzt. Doch in diesem Fall war diese Vorgehensweise gerechtfertigt, das hatte er sich immer wieder eingeredet. Woran Beria beteiligt war, konnte Millionen einen schrecklichen Tod bringen. Es war unerlässlich, an die Informationen heranzukommen, die in seinem Bewusstsein gespeichert waren.

»Gehen wir«, sagte Smith.

Iwan Beria war von blendender Weiße umgeben. Selbst wenn er die Augen geschlossen hielt, was er die meiste Zeit tat, sah er weiß vor sich. Als er wieder zur Besinnung gelangt war, hatte er festgestellt, dass er in einem tiefen zylinderähnlichen Rohr stand, einer Art Silo. Das Rohr war etwa fünf Meter hoch, seine Innenwände waren völlig glatt verputzt und anschließend mit etwas behandelt worden, das den Verputz glänzen ließ. Hoch über ihm, und für ihn außer Reichweite, gab es zwei Flutlichter, die ständig brannten; nirgendwo etwas Dunkles, nicht einmal die Andeutung von Schatten.

Zuerst dachte Beria, dass es sich um eine improvisierte Zelle handelte. Das hatte ihn beruhigt. Er hatte gelegentlich kurze Erfahrungen mit Gefängniszellen gemacht. Aber dann stellte er fest, dass der Durchmesser des Silos kaum groß genug war, um seinen Schultern Platz zu lassen. Er konnte sich zwar ein paar Zentimeter in jede Richtung bewegen, aber er konnte sich nicht setzen.

Nach einer Weile glaubte er, er könne ein schwaches Summen hören, wie ein fernes Radiosignal. Und während die Stunden verstrichen schien es, als würde das Signal stärker werden und die Wände weißer. Und dann fingen sie an, sich um ihn zu schließen. Zum ersten Mal schloss Beria kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, kam ihm das Weiß noch greller vor, falls so etwas überhaupt möglich war. Jetzt wagte er überhaupt nicht mehr, die Augen zu öffnen. Das Summen war zu einem Brausen angeschwollen, einem Brüllen - das zunahm. Und noch etwas hörte Beria, etwas, das vielleicht eine menschliche Stimme sein konnte. Er hatte keine Ahnung, dass das seine eigene Stimme war.

Plötzlich taumelte er nach hinten, fiel durch eine versteckte Tür, die Kirov geöffnet hatte. Er packte Beria am Arm, riss den Killer aus dem Silo und stülpte ihm sofort eine schwarze Kapuze über den Kopf.

»Alles wird gut werden«, flüsterte Kirov ihm auf Serbisch ins Ohr. »Ich werde den Schmerz zum Verschwinden bringen, ihn ganz verschwinden lassen. Du wirst etwas Wasser bekommen, und dann kannst du mit mir reden.«
Unvermittelt schlang Beria die Arme um Kirov und hielt ihn fest, so wie ein Ertrinkender sich vielleicht an einem Stück Treibholz festklammern würde. Und Kirov redete die ganze Zeit auf ihn ein, um ihn zu beruhigen, bis Beria stockend die ersten Schritte tat.

Smith war von Berias Aussehen entsetzt - nicht weil der verängstigt oder verletzt war, ganz im Gegenteil: Er sah genauso aus wie beim letzten Mal, als Smith ihm begegnet war.

Einiges war aber doch anders. Berias Augen waren glasig und ausgewaschen wie die von Fischen, die seit einem Tag auf Eis lagen. Seine Stimme klang monoton ohne das geringste Timbre. Als er sprach klang es, als stünde er unter Hypnose.

Die drei saßen auf der Terrasse um einen kleinen Tisch, auf dem ein Tonbandgerät lief. Beria trank schluckweise Wasser aus einem Plastikbecher. Kirov saß neben ihm und beobachtete jede seiner Bewegungen. Auf seinem Schoß, von einem Tuch bedeckt, lag eine Pistole, deren Lauf auf Berias Schulter wies.

»Wer hat Sie engagiert, den russischen Offizier zu töten?«, fragte Smith leise.
»Ein Mann aus Zürich.«

»Sie waren in Zürich?«

»Nein. Wir haben am Telefon miteinander gesprochen.

Nur am Telefon.«
»Hat er Ihnen seinen Namen genannt?«
»Er nannte sich Gerd.«
»Wie hat Gerd Sie bezahlt?«
»Das Geld ist auf ein Konto bei der Offenbach Bank

eingezahlt worden. Herr Weißel hat das erledigt.«

Weißel! Der Name, den Peter Howell aus dem korrupten italienischen Polizeibeamten herausgepresst hatte, diesem Dionetti…

»Herr Weißel… sind Sie ihm persönlich begegnet?«, fragte Smith leise.
»Ja. Einige Male.«
»Und Gerd?«
»Nie.«
Smith sah zu Kirov hinüber, und der nickte und deutete damit an, dass Beria seiner Meinung nach die Wahrheit sagte. Auch Smith glaubte das. Er hatte damit gerechnet, dass mehrere Kontaktpersonen eingeschaltet gewesen waren. Schweizer Bankleute verstanden sic h auf so etwas hervorragend.
»Wissen Sie, was Sie dem russischen Offizier abgenommen haben?«, fuhr Smith fort.
»Bakterien.«
Smith schloss die Augen. Bakterien…
»Kennen Sie den Namen des Mannes, dem Sie die Bakterien am Moskauer Flughafen übergeben haben?«
»Ich glaube, er hieß Robert. Es war aber nicht sein richtiger Name.«
»Wussten Sie, dass Sie ihn töten sollten?«
»Ja.«
»Hat Gerd Ihnen das aufgetragen?«
»Ja.«
»Hat Gerd je irgendwelche Amerikaner erwähnt? Sind irgendwelche Amerikaner unmittelbar an Sie herangetreten?«
»Nur mein Fahrer. Aber ich kenne seinen Namen nicht.«
»Hat er je über Gerd oder sonst jemanden mit Ihnen gesprochen?«
»Nein.«
Smith legte eine Pause ein und gab sich alle Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken. Wer auch immer diese Operation führte, hatte zwischen sich und dem Killer allem Anschein nach undurchdringliche Schutzmauern errichtet.
»Iwan, ich möchte, dass Sie jetzt nicht zuhören.«
»Ist gut.«
Beria sah weg, sein Ausdruck war völlig unbeteiligt.
»Jon, er weiß jetzt nichts mehr, was er Ihnen geben könnte«, sagte Kirov. »Vielleicht kriegen wir noch ein paar Einzelheiten aus ihm heraus, was auch immer die wert sein mögen.«
Er spreizte die Hände. »Was ist mit dem Lincoln?«
»Das ist ein Fahrzeug aus dem NASA-Fuhrpark. Es wird von Dutzenden von Fahrern benutzt. Klein stellt gerade Einzelheiten fest.«
Er hielt kurz inne. »Wir hätten uns den Fahrer schnappen sollen. Inzwischen hat der bereits gemeldet, dass Beria verschwunden ist. Daraus werden die Leute, die die Operation leiten, nahe liegende Schlüsse ziehen. Sie werden künftig wesentlich vorsichtiger sein.«
»Darüber hatten wir gesprochen«, erinnerte ihn Kirov. »Für uns beide allein wäre es unmöglich gewesen, Beria und den Fahrer gleichzeitig zu schnappen. Wir hätten dann Verstärkung gebraucht.«
»Beria hat uns zwei Namen geliefert: die Offenbach Bank und diesen Weißel«, sagte Smith und erklärte Kirov dann, was in Venedig geschehen war.
Der Russe blickte auf. »Weißel muss mit Gerd verhandelt haben. Er muss mit ihm gesprochen haben, vielleicht hat er ihn sogar persönlich zu Gesicht bekommen…«
Smith führte den Gedanken zu Ende: »Also würde er auch Gerds wahren Namen kennen, nicht wahr?«

22

Nachdem Iwan Beria nicht innerhalb der verabredeten Zeit erschienen war, ließ der Fahrer des Lincoln den Wagen einfach stehen. In einem Viertel wie diesem war die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass er im Laufe der nächsten paar Stunden gestohlen wurde. Und anschließend würde er entweder fachmännisch in einer Werkstätte ausgeschlachtet und unkenntlich gemacht, oder einfach von Dieben Stück für Stück zerlegt werden. In beiden Fällen würde er verschwinden.

Aber selbst wenn die Behörden schon vorher auf das Fahrzeug stießen, würden sie nicht viel damit anfangen können. Der Fahrer trug immer Handschuhe, also gab es keine Spuren, die auf eine Verbindung zwischen ihm und dem Wagen hingewiesen hätten. Und sein Name tauchte auch nirgends in den Akten der NASA auf. Der Wagen war an einen Fahrer ausgegeben worden, der augenblicklich in Pasadena in Kalifornien arbeitete.

An der Metrohaltestelle Ecke Connecticut Avenue und Q Street rief der Fahrer seinen Auftraggeber an und erklärte diesem ruhig, was geschehen war; er äußerte die Vermutung, dass jemand den Killer aus dem Verkehr gezogen hatte. Die Stimme am anderen Ende wies den Fahrer an, sich sofort zum Dulles Airport zu begeben. Er würde dort in einem Schließfach zwei Reisetaschen vorfinden, eine mit Geld und Ausweispapieren, die andere mit Kleidung zum Wechseln. Außerdem läge in einer der Taschen ein Ticket nach Cancún in Mexiko, wo er bis auf Weiteres bleiben sollte.

Sobald das Telefonat mit dem Fahrer zu Ende war, rief Anthony Price sofort Dr. Karl Bauer an, der nach Hawaii zurückgekehrt war, nachdem er die genetisch veränderten Pockenerreger in Cape Canaveral Dylan Reed übergeben hatte.

»Dieses Problem, das Ihr Mann erledigen sollte«, stieß er verärgert hervor, »jetzt ist es noch schlimmer geworden als zuvor.«

Nachdem er Bauer die wenigen Einzelheiten mitgeteilt hatte, die er wusste, fügte er hinzu: »Wenn jemand Beria erwischt hat, dann gehe ich jede Wette ein, dass es Smith war. Und am Ende wird Beria reden - wenn er das nicht bereits getan hat.«

»Und wenn schon?«, konterte Bauer. »Er hat nie jemanden von uns gesehen. Er kennt unsere Namen nicht. Treloar ist tot. Die Spur endet bei ihm.«

»Die Spur muss bei Beria enden!«, brauste Price auf. »Er muss eliminiert werden.«

»Solange er sich in Smith’ Gewahrsam befindet?«, fragte Bauer sarkastisch zurück. »Würden Sie mir bitte sagen, wie Sie beabsichtigen, an ihn heranzukommen.«

Price zögerte. Smith würde Beria mit Sicherheit nicht in einem Bundesgefängnis unterbringen. Er würde ihn irgendwo versteckt halten, wo niemand ihn finden konnte. »Dann müssen wir unseren Zeitplan ändern«, sagte er. »Ein Ablenkungsmanöver…«

»Damit würden wir Reed und das ganze Projekt gefährden.«

»Wenn wir das nicht tun, gefährden wir uns! Hören Sie mir zu, Karl. Reed hatte vor, das Experiment übermorgen durchzuführen. Es gibt keinen Grund, es nicht sofort zu tun.«

»Sämtliche Experimente laufen nach einem festen Zeitplan ab«, erwiderte Bauer. »Wenn Reed die Reihenfolge ändert, könnte das Verdacht erwecken.«

»In Anbetracht der Konsequenzen wird eine Änderung in der Reihenfolge das Letzte sein, woran jemand denkt. Das Entscheidende ist, die Mutation so schnell wie möglich in die Hände zu bekommen - und dabei selbst in Deckung zu bleiben.«

Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Price hielt den Atem an und fragte sich, ob der Wissenschaftler zustimmen würde.

»Also schön«, sagte Bauer schließlich. »Ich werde mit Reed Verbindung aufnehmen und ihm sagen, dass er das Experiment vorziehen soll.«

»Bitten Sie ihn, das so schnell wie möglich zu tun.« »So schnell, wie es machbar ist.«
Price war sichtlich am Ende seiner Geduld. »Jetzt

kommen Sie mir bloß nicht mit Haarspaltereien, Karl. Sagen Sie ihm einfach, dass er es tun soll.«

Karl Bauer starrte das inzwischen verstummte Telefon an. Anthony Price war einer jener Bürokraten, deren scheinbar grenzenlose Macht in ihren Köpfen eine Art Napoleon-Komplex erzeugt hatte.

Er verließ sein Büro und fuhr mit dem Aufzug ins Tiefgeschoss. Hier befand sich das Herzstück seiner Kommunikationszentrale, ein Raum von der Größe eines Flughafenkontrollzentrums, in dem Techniker unter Einsatz von drei privaten Satelliten ständig den Finger am elektronischen Puls des Bauer-Zermatt Imperiums hatten. Es gab auch noch einen vierten Satelliten, der freilich bis jetzt nicht aktiv geworden war. Bauer durchquerte den Saal und begab sich in eine kleine Kammer, zu der nur er Zutritt hatte. Dort schloss er sich ein, nahm vor der Konsole Platz, schaltete den hochauflösenden Monitor ein und begann auf der Tastatur zu tippen. Der Satellit, den die Chinesen in Xianpao gebaut und die Franzosen von Guyana aus gestartet hatten, erwachte zum Leben. So weit es die Hardware betraf, handelte es sich bei dem Satelliten um ein relativ schlichtes Gerät, dafür war er aber auch nur für einen einzigen Zweck und eine sehr kurze Lebensdauer gebaut. Sobald seine Aufgabe erfüllt war, würde eine Sprengladung jeglichen Beweis zerstören, dass er je existiert hatte.

Bauer suchte die NASA-Frequenz, bereitete seine Nachricht für die Übertragung in einem Mikroburst vor und setzte sie dann ab. Innerhalb von Nanosekunden erreichte das Signal den Satelliten, der es seinerseits an das Shuttle weiterleitete. Nachdem sein Auftrag erfüllt war, schaltete der Satellit sofort wieder in den Ruhezustand. Selbst wenn man das kurze Funksignal zufällig bemerkt hatte, würde es nicht nur unmöglich sein, seinen Herkunftsort ausfindig zu machen, sondern auch die Stelle, wo es weitergeleitet worden war. Da der Satellit verstummt war, würde es den Anschein haben, dass das Signal aus einem Schwarzen Loch im Weltraum gekommen war.

Bauer lehnte sich in seinem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen aneinander. Natürlich würde es keine direkte Antwort von dem Shuttle geben. Um sich zu vergewissern, dass seine Sendung empfangen worden war, würde er den Verkehr zwischen dem Shuttle und der NASA-Bodenstation abhören müssen. Und sobald er Reeds Stimme hörte, würde er Bescheid wissen.

Auf einer Höhe von 202 Meilen befand sich Discovery mit einer Geschwindigkeit von 17500 Meilen pro Stunde auf der vierten Umlaufbahn um die Erde. Megan klappte ihren provisorischen Sitz zusammen, verstaute ihn, schälte sich dann aus ihrem LES-Anzug und schlüpfte dafür in einen bequemen Overall mit zahllosen Taschen. Sie stellte fest, dass ihr Gesicht und ihr Oberkörper aufgedunsen wirkten. Praktisch jede Falte war verschwunden, und ihr Taillenumfang hatte sich um gute fünf Zentimeter reduziert. Das kam daher, dass es kaum Schwerkraft gab, um Blut und Körperflüssigkeiten nach unten zu ziehen. Nach vier bis sechs Stunden würden die überschüssigen Flüssigkeiten durch die Nieren ausgeschieden werden.

Mit Hilfe ihrer Teamkollegen Carter und Wallace aktivierte Megan Energieversorgung, Klimatisierung, Beleuchtung und Kommunikationsanlagen des Shuttle. Die Türen der Ladebucht wurden geöffnet, um die vom Abfeuern der Feststoffraketen und der Hauptaggregate beim Start entstandene Hitze abzuleiten. Sie würden während der ganzen Mission offen bleiben und mit dazu beitragen, die Temperatur im Inneren des Orbiters zu regulieren.

Während Megan damit beschäftigt war, hörte sie sich den ständigen Redefluss zwischen dem Kommandanten Bill Karol, dem Piloten Frank Stone und Mission Control an. Es war alles Routine; Meldungen über den Zustand des Shuttle, seine Geschwindigkeit und seine Position - bis sie Karols verblüffte Stimme vernahm.

»Dylan, haben Sie das gehört?«
»Roger. Was gibt’s?«

»Da ist gerade etwas für Sie reingekommen. Aber es stammt nicht von Mission Control.«
Megan hörte Reed lachen. »Wahrscheinlich hat einer von den Jungs in meinem Labor sich einen Headset übergestülpt. Was ist los?«
»Anscheinend gibt es eine Änderung in der Reihenfolge Ihrer Experimente. Megan ist auf Nummer vier zurückgestuft worden. Sie übernehmen das erste Experiment.«
»Hey, das ist aber nicht fair«, ließ Megan sich vernehmen.
»Sie haben wohl gelauscht, was?«, sagte Dylan. »Keine Angst, Megan. Sie kommen schon noch dran.«

»Ich weiß. Aber warum die Änderung?«
»Schau mir gerade den Plan an.«
»Ich komme nach oben.«
Megan hangelte sich die Leiter zum Flugdeck hinauf.

Reed hing hinter dem Piloten und dem Kommandanten in der Luft und sah sich seinen Arbeitsplan an.

Er blickte auf und meinte: »Sie sehen zehn Jahre jünger aus.«
»Bitte, fünf reichen. Und ich komme mir aufgedunsen vor. Was ist denn?«

Reed hielt ihr den Plan hin. »Eine Planänderung in letzter Minute; ich habe vergessen, das zu erwähnen. Ich werde die Tests mit den Biestern zuerst machen und damit diese Aufgabe hinter mich bringen. Dann haben Sie die Bude für sich und können sich ganz Ihren Legionärsmikroben widmen.«

»Ich hatte wirklich gehofft, dass ich das gleich zu Anfang tun könnte«, antwortete Megan.

»Ja, ich weiß schon, wie das ist. Beim ersten Mal ist man aufgeregt. Aber an Ihrer Stelle würde ich mich ein wenig aufs Ohr legen, während ich mich mit einer heißen Petrischale abrackere.«

»Soll ich Ihnen helfen?«
»Das ist sehr nett, aber nein, vielen Dank.«
Reed nahm den Plan wieder an sich. »Also, dann sollte

ich wohl besser die Fabrik eröffnen.«
Fabrik war der Spitzname der Crew für das Spacelab. Auf dem Bildschirm sah Megan zu, wie Reed sich ins

Mitteldeck begab und dann in den Verbindungstunnel zum Spacelab schwebte. Wie immer war sie verblüfft darüber, dass nur die gekrümmten Wände des Tunnels und dessen Außenhaut Reed von der eisigen Wüste des Weltraums trennte.

Megan wandte sich an Bill Karol. »Wer hat das durchgegeben?«
Karol warf einen Blick auf seinen Bildschirm. »Da hängt kein Name dran, bloß eine Nummer.«
Megan stützte sich an seiner Sessellehne ab und schaute über seine Schulter. Die sechsstellige Zahl wirkte irgendwie vertraut, aber sie wusste nicht weshalb.
»Jemand hatte es eilig«, meinte Stone, der Pilot, lakonisch. »Wahrscheinlich haben die dort unten in letzter Minute irgendwas durcheinander gebracht.«
»Aber Sie haben doch gesagt, dass das nicht über Mission Control reingekommen ist«, meinte Megan.
»Ich wollte sagen, dass es ganz ohne das übliche Geschnatter kam. Aber zum Teufel, Megan, wer hätte es denn sonst schicken können?«
Die beiden Männer wandten sich wieder ihren Aufgaben zu, und Megan entfernte sich. Irgendetwas stimmte hier nicht. Inzwischen erinnerte sie sich, wo sie diese Nummer schon einmal gesehen hatte, es war Dylan Reeds NASAKennzahl. Aber wie konnte er denn eine Nachricht an sich selbst geschickt haben?

Als Dylan Reed sich im Spacelab befand, schaltete er die Kameras aus, die das Geschehen am Biorack aufzeichneten. Er zog den Klettverschluss an einer der Taschen an seiner Overallhose auf und nahm den Titanbehälter heraus, den Bauer ihm vor weniger als vierundzwanzig Stunden gegeben hatte. Obwohl das Gefäß sorgfältig abgedichtet worden war, wusste Reed natürlich genau, dass er es hier mit einem »heißen« Produkt zu tun hatte, das zu lange nicht gekühlt worden war. Er öffnete die Kühlkammer, legte den Behälter neben die Maiszellnährböden und die Nematodenwürmer und aktivierte die Kameras dann wieder.

Erleichtert darüber, dass die Variola in Sicherheit waren, begann Reed damit, das Biorack für die Prozeduren vorzubereiten, die er durchzuführen hatte. Zugleich versuchte er dahinter zu kommen, was wohl auf der Erde geschehen sein mochte und Bauer dazu veranlasst haben könnte, eine so dramatische Änderung des Plans vorzunehmen. Das Letzte, was er gehört hatte, war, dass Beria darauf angesetzt worden war, Smith zu beseitigen. Da Bauer seine Nachricht hatte absetzen können und es keinerlei Meldungen von der Bodenkontrolle gab, die auf irgendwelche ungewöhnlichen Ereignisse hindeuteten, war die logische Folgerung, dass Beria auf ein Problem gestoßen war - eines, das ernst genug war, um Bauer zum Handeln zu veranlassen.

Reed wusste, dass Bauer ihn nicht noch einmal kontaktieren könnte, sofern dies nicht absolut notwendig wäre. Der Pilot und der Kommandant würden wegen einer Nachricht ohne das übliche NASA-Brimborium keinen Argwohn schöpfen; eine zweite dagegen würde mit Sicherheit Nachforschungen auslösen. Da Reed im Augenblick keine Möglichkeit hatte, mit Bauer Kontakt aufzunehmen, musste er blind vertrauend die Arbeit beenden, die der alte Wissenschaftler begonnen hatte.

Reed hätte es vorgezogen, ausgeruht an diese Aufgabe herangehen zu können. Jetzt würde er die Müdigkeit, die die Strapazen des Starts jedes Mal mit sich brachte, einfach ignorieren und sich ganz auf die komplizierte Prozedur konzentrieren müssen. Als er seine Füße in die vor dem Biorack in den Boden eingelassenen Halteklammern schob, schätzte er ab, wie viel Zeit die Aufgabe wohl in Anspruch nähme. Stimmten die Berechnungen, würde der Rest der Crew gerade beim Abendessen sein, wenn er fertig wurde. Dann befänden sich alle an einem Ort, genau so, wie ihm das in den Kram passte.

Nathaniel Kleins Augen wirkten völlig ausdruckslos, glichen Flusskieseln, als er im Wohnzimmer von Rosebud saß und sich ohne Kommentar anhörte, wie Beria gefangen genommen und anschließend verhört worden war. »Ein bekannter Killer steht mit einer Schweizer Bank und einem ihrer Direktoren in Verbindung«, murmelte er.

Smith deutete auf die Kassette, die vor ihm auf dem Tisch lag. »Beria hat noch wesentlich mehr auf dem Kerbholz. Einige der Spitzenleute in Russland und Osteuropa waren seine Auftraggeber. Viele uns bisher rätselhafte Vorgänge lassen sich jetzt auf Attentate und Erpressungsmanöver zurückführen, an denen Beria beteiligt war.«

»Na schön«, meinte Klein, der immer noch unbeteiligt wirkte. »Wir haben eine Menge Schmutz aufgerührt, und eines Tages können wir das sogar nutzen. Aber wenn wir die Pockenerreger nicht finden, wird es dieses ›eines Tages‹ nicht geben. Wo sind Beria und Kirov jetzt?«

»An einem sicheren Ort. Beria ist mit Sedativa voll gepumpt, und Kirov bewacht ihn. Der General hat eine Bitte geäußert: Er würde Beria gern nach Moskau bringen
- in aller Stille -, und zwar so schnell wie möglich.«

»Das lässt sich sicherlich einrichten - so lange Sie sicher sind, dass es nichts mehr gibt, was Beria uns zu sagen hat.«

»Da bin ich mir sicher, Sir.«

»Dann werde ich in Andrews veranlassen, dass man Kirov eine Maschine zur Verfügung stellt.«

Klein stand auf und ging vor dem breiten Fenster auf und ab. »Unglücklicherweise hat Beria uns hinsichtlich unseres Problems nicht weitergebracht. Sie wissen ja, wie versessen die Schweizer darauf sind, ihre finanziellen Transaktionen geheim zu halten. Der Präsident könnte es vielleicht erreichen, dass man die Offenbach Bank zum Auspacken veranlasste, ohne ihnen zu sagen, warum wir ihre Unterstützung brauchen, aber sicher bin ich mir selbst da nicht.«

»Das darf unter keinen Umständen auf Regierungsebene laufen«, wandte Smith ein. »Dafür haben wir keine Zeit, und außerdem fürchte ich, wie Sie auch, dass die Schweizer mauern würden.«

Er überlegte kurz. »Aber vielleicht ist Herr Weißel etwas aufgeschlossener. Peter Howell hält sic h jedenfalls in Venedig bereit.«

Klein sah zu Smith hinüber und begriff, was der meinte. Er überlegte, wog die Risiken ab. »Also gut«, meinte er schließlich. »Aber machen Sie ihm klar, dass nichts publik werden darf.«

Smith ging in den kleinen Raum, der so etwas wie Kleins Einsatzzentrale in Camp David geworden war, und führte das Gespräch. »Peter, Zürich ist genehmigt.«

»Das hatte ich schon erwartet«, erwiderte der Engländer. »Ich bin für den Abendflug gebucht.«

»Peter, ich habe Beria erwischt. Er hat uns Weißels Namen gesagt, aber sonst nichts. Ich muss wissen, von wem das Geld kommt.«

»Wenn Weißel das weiß, erfahren Sie es. Ich rufe Sie aus Zürich an, Jon.«
»Gut. So, und haben Sie jetzt zufällig ein Tonbandgerät bei der Hand? Ich habe da etwas, was möglicherweise nützlich sein könnte…«
Smith kehrte in den Wohnraum zurück und ließ Klein wissen dass Peter Howell in die Schweiz unterwegs war. »Irgendwelche Neuigkeiten über den Lincoln, Sir?«
Klein schüttelte den Kopf. »Ich habe gleich nach Ihrer Meldung, dass Sie Beria gefasst haben, einen Kontaktmann bei der Polizei in Washington angerufen. Er hat den Wagen auf die heiße Liste gesetzt und es so dargestellt, als ob es sich um einen Fall von Fahrerflucht handeln würde. Aber bis jetzt ohne Ergebnis. Und auch nichts über den Fahrer.«
Er hielt kurz inne. »Ich dachte zuerst, dass es vielleicht eine logische Erklärung für den NASA-Aufkleber auf dem Nummernschild gibt. Jetzt…«
»Treloar war doch NASA-Mitarbeiter«, fiel Smith ihm ins Wort. »Warum sollte er denn nicht einen Wagen zum Flughafen bestellt haben, um ihn abzuholen? Er hat doch nicht damit gerechnet, dass man ihm folgen würde.«
»Ja, aber dann hat dasselbe Fahrzeug Sie beschattet, nicht wahr?«

Er sah Smith nachdenklich an. »Und da ist noch etwas, das mit der NASA in Verbindung steht. Dr. Dylan Reed hatte mitten in der Nacht Besuch von einem Mann, den wir bis jetzt nicht identifizieren konnten.«

Smith sah Klein scharf an. Er wusste, dass Klein in einer Welt lebte, in der man seine Geheimnisse nur dann mit anderen teilte, wenn das absolut notwendig war. Und jetzt gab der Chef von Covert-One zu, dass er jemanden im Herzen der NASA hatte, der ihm Informationen lieferte.

»Megan Olson«, sagte Smith. »So kurz vor dem Start kann das niemand anderer sein. Sie hätten mir das sagen sollen, Sir.«

»Es gab keine Notwendigkeit für Sie, über Megan Bescheid zu wissen«, antwortete Klein. »Sie weiß ja auch nichts von Ihnen.«

»Und warum sagen Sie es mir jetzt?«
»Weil wir immer noch keinerlei Hinweise auf die Pockenerreger haben. Sie werden sich erinnern, dass ich der Meinung war, sie befänden sich im Raum Washington,

weil Treloar dort gelandet ist.«

»Richtig. Von London aus hätte er an jeden beliebigen Ort fliegen können.«

»Ich glaube jetzt, dass es vielleicht eine Verbindung zwischen Treloar und Reed gibt.«

»Und deshalb ist Megan dort, um Reed im Auge zu behalten?«, fragte Smith.
»Wissen Sie denn etwas über Reed, das darauf hindeutete, dass er in so etwas verwickelt sein könnte?«
Smith schüttelte den Kopf. »Ich kenne Reed nicht so gut. Aber sein Ruf bei USAMRIID war einwandfrei. Wollen Sie, dass ich dort Erkundigungen anstelle?«
»Keine Zeit«, erklärte Klein und schüttelte den Kopf. »Ich brauche Sie zu etwas anderem. Sollten wir dieses Rätsel nicht jetzt lösen, wird noch genügend Zeit für Nachforschungen über Reed sein, wenn das Shuttle nach Hause kommt.«
Klein griff nach zwei Aktendeckeln. »Das sind die Unterlagen über die beiden Soldaten, mit denen Howell in Palermo zu tun hatte.«
»Die sehen aber ziemlich dünn aus, Sir«, meinte Smith.
»Ja, nicht wahr? Jemand hat die Unterlagen frisiert. Daten, Orte, Einsätze, Kommandostrukturen - da gibt es eine Menge Lücken. Und die Telefonnummer, die Nichols geliefert hat, existiert nicht.«

»Sir?«
»Nicht offiziell. Jon, ich habe nicht mehr unternommen, weil ich nicht weiß, womit wir es hier zu tun haben. Aber wir müssen unbedingt in Erfahrung bringen, wo diese militärische Spur hinführt. Ich möchte, dass Sie genau das tun, was Sie in Houston getan haben: Am Netz zupfen und sehen, was da für eine Spinne herausgekrochen kommt.«

Drei Stunden, nachdem Peter Howell Venedig verlassen hatte, stand er am Empfang des Dolder Grand Hotel in Zürich.

»Gibt es irgendwelche Mitteilungen für mich?«, fragte er den Empfangschef.
Der Mann reichte Howell einen gefütterten Umschlag. Als er ihn öffnete, fand er darin ein leicht nach Parfüm duftendes Blatt mit einer Adresse darauf. Obwohl das Blatt keine Unterschrift trug, wusste Howell, woher es kam - von einer achtzigjährigen Grande Dame, die seit dem Zweiten Weltkrieg mit Spionage zu tun gehabt hatte.
Kann es sich Weißel selbst mit einem Bankdirektorengehalt leisten, im Swan’s Way zu speisen?, fragte sich Howell und fand dann, dass es eine gute Idee wäre, dem nachzugehen.
Nachdem er sich umgezogen hatte, nahm er sich ein Taxi in die Innenstadt. Es war inzwischen acht Uhr geworden, und die Straßen wirkten verlassen, nur ein paar Schaufenster waren noch hell erleuchtet. Über einer Tür sah er einen goldenen Schwan.
Das Lokal war ganz so, wie Howell es erwartet hatte: gehobenes, rustikales Dekor, massive Deckenbalken, schwere Möbel. Die Kellner trugen Frack, das Silber auf den Tischen blitzte, und der Maitre wirkte überrascht, dass dieser Tourist auf den Gedanken kam, er könne in seinem Etablissement ohne Reservierung einen Platz bekommen.
»Ich bin Gast von Herrn Weißel«, erklärte ihm Howell.
»Ah, Herr Weißel… Sie kommen früh, mein Herr. Der Tisch für Herrn Weißel ist für neun Uhr bestellt. Bitte, nehmen Sie doch in der Halle Platz oder an der Bar, wenn Sie das vorziehen. Ich werde ihn dann zu Ihnen führen.«
Howell setzte sich in den Vorraum, wo ihn wenige Minuten später eine junge Frau in ein Gespräch verwickelte. Ihr gewaltiger Busen drohte ihr Abendkleid zu sprengen. Trotzdem entging ihm nicht, wie der Maitre mit einem jungen Mann sprach und dabei auf ihn zeigte.
»Sollte ich Sie kennen?«
Howell blickte zu einem hoch gewachsenen, hageren Mann mit glatt zurückgekämmtem Haar auf, dessen Augen so dunkel waren, dass sie fast schwarz zu sein schienen. Er schätzte, dass Herr Weißel Ende der Dreißig war, ein kleines Vermögen für seine Kleidung und sein Styling ausgab und mit ziemlicher Verachtung auf den größten Teil der Welt herunterblickte.

»Peter Howell«, sagte er.

»Engländer also… stehen Sie in Geschäftsverbindung mit der Offenbach Bank?«
»Nein, aber mit Ihnen.«
Weißels Augen weiteten sich, er blinzelte ein paarmal. »Da muss ein Irrtum vorliegen. Ich habe noch nie von Ihnen gehört.«
»Aber Sie haben von Iwan Beria gehört, nicht wahr, alter Junge?«
Howell war aufgestanden und neben Weiß el getreten; jetzt griff er nach seinem Arm, dicht über dem Ellbogen. Weißels Mund klappte auf und zu, als Howell auf einen Nerv drückte.
»Dort drüben in der Ecke ist ein Tisch, da sind wir ganz ungestört. Wir wär’s, wenn wir dort einen Schluck trinken würden?«
Howell bugsierte den Banker auf eine schmale Bank, setzte sich neben ihn und versperrte ihm damit den Ausgang.
»Aber das geht doch nicht!«, stöhnte Weißel und rieb sich den Ellbogen. »Wir haben Gesetze…«
»Ich bin nicht wegen Ihrer Gesetze hier«, fiel Howell ihm ins Wort. »Wir interessieren uns für einen Ihrer Kunden.«
»Ich kann unmöglich über vertrauliche Angelegenheiten sprechen!«
»Aber der Name Beria war Ihnen doch vertraut, nicht wahr? Sie betreuen sein Konto. Nun, ich will das Geld nicht. Wir müssen bloß wissen, wer es schickt.«
Weißels Blick wanderte in die Runde, suchte nach dem Maitre.
»Sparen Sie sich die Mühe«, erklärte ihm Howell. »Ich habe ihm Geld gegeben, damit er uns nicht stört.«
»Sie sind ein Verbrecher!«, erklärte Weißel. »Sie halten mich gegen meinen Willen fest. Selbst wenn ich Ihnen das gebe, was Sie wollen, würden Sie niemals hier…«
Howell stellte ein kleines Tonbandgerät auf den Tisch. Er stöpselte einen Ohrhörer ein und reichte ihn Weißel. »Lauschen Sie mal.«
Der Banker kam der Aufforderung nach. Gleich darauf weiteten sich seine Augen ungläubig. Er riss den Ohrstöpsel heraus und warf ihn auf den Tisch. Peter Howell fand, dass es von Jon Smith sehr weitblickend gewesen war, ihm den Teil des Verhörs zur Verfügung zu stellen, in dem Beria Weißel erwähnt hatte.
»Schön, dann wird eben mein Name genannt. Na und? Wer ist dieser Mann?«
»Sie haben doch seine Stimme erkannt, oder?«, meinte Howell leise.

Weißel rutschte unruhig zur Seite. »Vielleicht.« »Und vielleicht erinnern Sie sich auch daran, dass es die

Stimme von jemandem ist, der sich Iwan Beria nennt.« »Und wenn ich das tue?«
Howell beugte sich zu ihm hinüber. »Beria ist ein

Auftragskiller. Er arbeitet für die Russen. Wie viel russisches Geld geht durch Ihre Hände, Herr Weißel?« Das Schweigen des Bankers sprach Bände.

»Das habe ich mir gedacht«, nickte Howell. »Dann lassen Sie mich Ihnen sagen, was geschehen wird, wenn Sie nicht mit uns kooperieren. Ich werde dafür sorgen, dass die Russen erfahren, dass Sie recht mitteilsam waren, als es um ihr Geld ging - woher es kommt, wie und wann es bewegt wird, eben all die kleinen Einzelheiten, die die Russen bei Ihnen sicher wähnten, weil sie ja schließlich großzügig für Ihre Diskretion bezahlt haben.«

Er hielt inne, um Weißel Zeit zu lassen, das Gehörte zu verarbeiten.
»So«, fuhr er dann fort, »und sobald die Russen das wissen, werden sie verärgert sein - verständlicherweise. Sie werden Erklärungen fordern. Sie werden keine Entschuldigungen gelten lassen. Und sobald das Vertrauen einmal zerstört ist, mein lieber Weißel, sind Sie erledigt. Sie haben oft genug mit Russen zu tun gehabt, um zu wissen, dass die nie etwas vergessen und nie etwas verzeihen. Sie werden Rache wollen, und Ihre großartigen Schweizer Gesetze und Ihre Polizei werden sie nicht daran hindern. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Weißel spürte, wie sein Magen revoltierte. Der Engländer hatte Recht: Die Russen waren Barbaren, sie stolzierten in Zürich herum und prahlten mit ihrem neu erworbenen Reichtum. Und jeder Banker wollte davon etwas abbekommen. Da fragte man nicht lange. Jede Forderung, die man einer Bank stellte, wurde erfüllt. Die Russen ereiferten sich über die Gebühren, aber am Ende zahlten sie. Aber sie machten auch Maklern wie Weißel sehr klar, dass es für sie keine Flucht und kein Verstecken geben würde, wenn sie das in sie gesetzte Vertrauen brachen. Und ein Mann wie dieser Engländer würde ihnen durchaus den Eindruck vermitteln können, dass Weißel seine Kunden verraten hatte. Nichts, was der Banker dann tun oder sagen konnte, würde die Russen umstimmen, sobald sie einmal überzeugt waren, dass er sie verraten hatte.
»Wie war der Name doch?«, fragte Weißel mit fast unhörbarer Stimme.
»Iwan Beria«, erwiderte Howell. »Wer überwies ihm Geld?«

23

Fünf Stunden waren verstrichen, seit Dylan Reed sich in das Spacelab zurückgezogen hatte. Während der ganzen Zeit hatte er über sein Headset jedes Wort, das die Crew gesprochen hatte, mitgehört. Megan Olson hatte zweimal gefragt, ob er Hilfe brauche, und dann hatte sie ihn auch noch einmal gefragt, wie lange er noch brauchen würde. Es drängte sie offenkundig, mit ihren eigenen Experimenten zu beginnen.

Wenn sie wüsste, was hier vor sich geht, hätte sie es nicht so eilig, dachte Reed mit finsterer Miene.

Megan hatte er höflich aber entschieden erklärt, dass sie und die anderen warten müssten, bis er fertig sei.
Weil Reed auch im Auge behalten musste, was die Crew machte, nahm die Arbeit wesentlich mehr Zeit in Anspruch, als er das angenommen hatte. Darüber hinaus wurde er durch den ständigen Dialog zwischen der Crew und Mission Control abgelenkt. Dennoch arbeitete Reed so schnell er konnte und hielt nur gelegentlich inne, um seine Hände etwas auszuruhen, die in den langen, an der Box befestigten Gummihandschuhen steckten und sich gelegentlich verkrampften.
Die Ungeheuerlichkeit dessen, was er tat, drohte ihn zu überwältigen. Wenn er durch das Okular des Mikroskops starrte, sah er vor sich eine Art von Pockenerregern, wie sie vor ihm noch niemand gesehen hatte - mit Ausnahme ihres Schöpfers Karl Bauer. Der Schweizer Wissenschaftler hatte es in seinem Labor auf der Hauptinsel von Hawaii fertiggebracht, das Variola Virus, den Erreger der Pocken, so abzuwandeln, dass er die dreifache Größe erreichte - und hatte außerdem sogar noch die Voraussetzung für weiteres Wachstum schaffen können. Aber Bauer war durch die Schwerkraft der Erde in seiner Arbeit beeinträchtigt gewesen; Reed war das nicht.
Man konnte die Ursprünge von Bauers Arbeit auf eine der ersten Shuttle-Missionen zurückführen. Die Astronauten hatten damals eine zwei Tage alte Tüte mit belegten Broten entdeckt, die jemand vergessen hatte. Die Brote hatten sich in einem verschlossenen Plastikbeutel befunden, der wie ein Ballon in der Luft schwebte. Als sie den Beutel geöffnet hatten, waren sie zuerst der Meinung gewesen, die Brote seien noch genießbar - bis einer darauf hingewiesen hatte, dass das Schweben des Beutels nur darauf zurückzuführen sein konnte, dass die Bakterien in den Broten so viel Gas erzeugt hatten, dass der Beutel davon aufgebläht worden war.
Nähere Untersuchungen hatten dann den unwiderlegbaren Beweis erbracht, dass Bakterien im Zustand der Schwerelosigkeit schneller wachsen und größer werden.
Als Karl Bauer den NASA-Bericht über das Phänomen gelesen hatte, hatte er sofort daraus gefolgert, dass das, was für Bakterien galt, aller Wahrscheinlichkeit nach auch auf Viren zutreffen würde. Erste Untersuchungen waren vielversprechend verlaufen, aber durch die Schwerkraft behindert, konnte Bauer keine eindeutigen Schlüsse ziehen. Jahre sollten vergehen, bis er auf Reed stieß und damit eine Möglichkeit fand, die abschließenden Experimente im Weltraum durchzuführen. Was Reed jetzt beobachten konnte, war ein Variola Virus, das zehnmal so groß und zehnmal so wirksam wie seine ursprüngliche Form auf der Erde war. Seine Proteinbläschen, die auf der Erde bei Erreichen einer gewissen Größe platzten, blieben unversehrt und behielten ihre tödliche Wirkung bei. Als Waffe würde dieses Virus ohnegleichen sein. Reed schauderte bei dem Gedanken, wie schnell die Bevölkerung ganzer Landstriche dezimiert werden konnte, falls man diese Variante mittels einer Sprengbombe in der Luft freisetzen würde. Das Virus würde durch den Verdauungstrakt zu den Lymphknoten gelangen und sich blitzschnell zur Milz, ins Knochenmark und zu anderen lymphatischen Organen hin ausbreiten. Und am Ende würde es den Weg zu den kleinen Blutgefäßen in der Haut finden. Bei normalen Pockenerregern dauerte dieser Prozess zwischen fünf und zehn Tagen. Reed schätzte, dass Inkubations- und Infektionsperiode des abgewandelten Virus nur Minuten betragen würden. Der Körper hätte dann nicht die leiseste Chance, Abwehrkräfte einzusetzen und sich zu wehren.
Reed zog die Hände aus dem Handschuhkasten, wischte sie ab und hielt kurz inne, um das schreckliche Bild aus seinen Gedanken zu verdrängen. Dann betätigte er sein Kehlkopfmikrofon.
»Hey, Leute, ich bin jetzt beinahe fertig. Ist schon bald Zeit zum Abendessen?«

»Wir wollten Sie gerade rufen«, erwiderte Stone. »Alle haben sich Steak und Spie geleier bestellt.«

Reed lachte. »Wartet nur ab, bis ihr das Zeug zu sehen bekommt.«
Er hielt kurz inne. »Ich möchte, dass alle in die Messe kommen, damit ich den weiteren Plan mit Ihnen durchgehen kann.«
»Roger. Wir heben Ihnen ein Stück von dem Steak auf. Bis gleich.«
Reed schloss die Augen und zwang sich, ruhig zu bleiben. Er schaltete sein Mikrofon, nicht aber seine Kopfhörer ab. Eigentlich wollte er die Laute der Crew nicht hören, die jetzt gleich an sein Ohr dringen würden. Sie würden nichts Menschliches an sich haben. Aber um beurteilen zu können, wie schnell das Variola Virus wirkte, hatte er keine andere Wahl.
Er kehrte zu dem Biorack zurück, schlüpfte wieder in die Gummihandschuhe und füllte das kleine Röhrchen vorsichtig mit dem abgewandelten Erreger. Dann verschloss er das Röhrchen, holte es durch eine kleine Schleuse aus dem Handschuhkasten und verwahrte es im Kühlschrank.
Vorsichtig arbeitete er sich von einer Fußschlaufe zur nächsten in den hinteren Bereich des Labors und öffnete dort einen Spind. Er enthielt ein EMU, eine Extravehicular Mobility Unit, die Art von Anzug, wie man sie für Weltraumspaziergänge benutzte. Nachdem Reed in den Anzug geschlüpft war, griff er nach dem Helm und sah sein Spiegelbild in der Gesichtsplatte. Er zögerte kurz, als er im Geist auch die Gesichter seiner Mannschaftskollegen auf dem beschichteten Plexiglas vor sich schweben sah; Menschen, mit denen er monatelang zusammengearbeitet hatte, Jahre sogar, Menschen, die er wirklich gern hatte. Aber nicht gern genug, um echtes Mitleid mit ihnen zu haben.
Im Spiegel sah Reed auch die Gesichter seiner beiden Brüder, die bei einem Terroristenangriff auf die amerikanische Botschaft in Nairobi ums Leben gekommen waren; und das seiner Schwester, einer Freiwilligen im Friedenscorps, die man im Sudan entführt, gefoltert und schließlich ermordet hatte. Was Reed hier tat, geschah nicht zum größeren Ruhm der Wissenschaft und auch ganz sicherlich nicht um der persönlichen Anerkennung willen. Dieses neue Virus würde nie das Tageslicht zu sehen bekommen es sei denn, die Umstände erforderten, dass man es freisetzen musste. Bei General Richardson und Anthony Price handelte es sich um Männer, die nicht bereit waren, die Art von Verlusten hinzunehmen, wie Reed sie erlitten hatte. Für sie bedeutete Vergeltung nicht bloß ein paar Marschflugkörper auf Zelte oder Bunker, sondern schnelle und totale Vernichtung durch eine unsichtbare Armee, die keiner aufhalten konnte. Indem er mithalf, diese Art von Armee zu schaffen, glaubte Reed seinen Geschwistern ein Denkmal zu setzen und damit das Versprechen zu erfüllen, das er vor langer Zeit gegeben hatte - das Versprechen, dass ihr Opfertod nie vergessen sein würde.

Reed schloss den Bajonettverschluss seines Helms und ging zum Biorack zurück. Er verband den Schlauch seiner Luftversorgung mit dem integrierten Sauerstofftank des Anzugs, dann öffnete er ruhig und bedächtig den luftdichten Verschluss des Handschuhkastens. Binnen Sekunden begannen die ausgetrockneten Variola-Partikel in der Schale Sporen zu bilden, die so winzig wie Staubpartikel waren und in kürzester Zeit ihren Weg zu der geöffneten Abdichtung des Handschuhkastens und nach draußen finden würden. Reed starrte fasziniert auf die Stellen, wo er wusste, dass sich jetzt Sporen befanden. Einen Augenblick lang packte ihn die irrationale Verstellung, sie würden ihn angreifen. Aber der Luftstrom erfasste sie, und sie wirbelten wie ein Staubschleier in das Verbindungsrohr, das das Spacelab mit dem Hauptteil des Orbiters verband.

»Kommen Sie jetzt, Megan?«, fragte Carter, nachdem die beiden ihren Bericht an Mission Control abgeschlossen hatten.

Megan schob sich an den Schlafstationen vorbei und rief ihm über die Schulter zu: »Ja, ich bin am Verhungern!«

In dem Augenblick hörten beide einen Signalton in ihren Headsets. »Discovery, hier Mission Control. Nach unserer Kenntnis wollen Sie jetzt Pause zum Abendessen machen?«

»Roger, positiv, Mission Control«, erwiderte Carter. »Discovery, unsere Instrumente zeigen möglichen Druckverlust in der Luftschleuse am unteren Deck. Wäre

nett, wenn jemand da nachsehen könnte.«

Stones Stimme war in ihren Kopfhörern zu vernehmen: »Megan, Carter, Sie sind am nächsten dran.«
Carter sah Megan mit großen Hundeaugen an. »Ich habe wirklich Hunger!«
Megan griff in eine der Schlafstationen und zog ein Spiel Karten unter einem festgeschnallten Kissen heraus. Sie riss die Zellophanverpackung auf, mischte vorsichtig, damit keine Karten herausfielen, und hielt das Spiel dann Carter hin.
»Heben Sie ab. Die höhere Karte gewinnt.«
Carter verdrehte die Augen, griff nach den Karten und zog eine Zehn. Megan bekam eine Sieben.
Carter lachte und stieß sich in Richtung auf die Messe ab. »Ich hebe Ihnen ein paar Schokoplätzchen auf!«, rief er zurück.
»Ja, vielen Dank.«
»Machen Sie das, Megan?«, fragte Stone.
Sie seufzte. »Geht schon in Ordnung. Passen Sie nur auf, dass Carter nicht alle Kalbskoteletts verputzt, oder was es sonst gibt.«
»Roger. Bis gleich.«
Megan war klar, dass »bis gleich« wenigstens eine Stunde bedeutete. Eine Luftschleuse zu überprüfen hieß, dass man in ein EMU steigen musste.
Sie zog sich an den Handgriffen der Leiter entlang ins untere Deck. Hinter der Ladung und dem Gerät, das das Shuttle ins Orbit befördert hatte, war die Luftschleuse. Die rote Lampe über der Tür blinkte und deutete auf einen möglichen Defekt hin.

»Sicher irgendein verdammter Draht«, murmelte Megan und tastete sich vorwärts.

»Jetzt passt auf.«

Carter riss ein Päckchen mit Orangensaft auf, hielt es hoch und drückte etwas von der Flüssigkeit heraus. Der Saft bildete eine unregelmäßige Kugel, die vor Carter schwebte, der mit einem Strohhalm hineinstieß und an dem Halm zu saugen anfing. Binnen Sekunden hatte sich die Flüssigkeitskugel aufgelöst und war verschwunden.

»Sehr hübsch«, lobte Stone. »Beim nächsten Geburtstag meines Jungen lade ich Sie ein, da können Sie dann Zauberkunststückchen vorführen.«

»Hey, die Soße ist weg!«, rief Randall Wallace.

Stone drehte sich um und sah, dass die Soße des Shrimp Cocktails während seiner Unterhaltung mit Carter den Kontakt mit seinem Löffel verloren hatte. Er griff sich eine Tortillascheibe und versuchte die Soße damit einzufangen.

»Ich möchte bloß wissen, wo Dylan so lange bleibt«, sagte Carter, den Mund voll Hühnchenfrikassee, das er aus einem Plastikbeutel aß.

»Dylan, hören Sie uns?«, sprach Stone in sein Mikrofon. Keine Antwort.
»Wahrscheinlich auf dem Klo«, sagte Carter. »Er ist

ganz wild auf Bohnengemüse. Vielleicht hat er welches an Bord geschmuggelt.«

Bohnen ebenso wie Brokkoli und Pilze fanden sich nie auf den Speiseplänen der Shuttles. Blähungen waren im Weltraum äußerst schmerzhaft, und die Weltraumärzte wussten immer noch nicht genau, wie Gase sich in der Schwerelosigkeit verhielten.

Carter hustete.
»Sie essen zu schnell«, tadelte ihn Stone.
Als Carter zu antworten versuchte, wurde sein Husten

stärker.
»Hey, vielleicht ist ihm etwas im Hals stecken
geblieben«, sagte Wallace.
Als Stone sich auf ihn zu bewegte, packte Carter den
Kommandanten plötzlich an den Schultern. Jetzt klang
sein Husten als müsste er ersticken, und er erbrach Blut,
das vor ihm in der Luft hängen blieb.
»Was zum Teufel ist los!«, rief Stone.
Aber weiter kam er nicht; sich an die Brust greifend
begann er an seinem Overall zu zerren. Er hatte das
Gefühl, als würde er von innen heraus verbrennen, und als
er sich mit der Hand über das Gesicht wischte, war sie
nachher ganz blutig.
Karol und Wallace sahen entsetzt zu, wie ihre Kollegen
umkippten und ihre Arme und Beine unkontrolliert wie bei
einem epileptischen Anfall zu zucken anfingen.
»Rauf aufs Flugdeck und abdichten!«, brüllte Karol. »Aber…«
»Los jetzt!«
Als er Wallace zur Leiter stieß, kam eine Stimme von
Mission Control über sein Headset.
»Discovery, gibt es ein Problem?«
»Und ob wir eines haben!«, schrie Karol. »Da ist etwas,
das Carter und Stone umbringt…!«
Sein Körper bäumte sich auf. »Oh großer Gott!« Er krümmte sich zusammen, und aus seinen Augen und
der Nase schoss ein Blutstrom. Irgendwo aus weiter Ferne
hörte er die eindringliche Stimme von Mission Control. »Discovery, hören Sie uns?«
In seinem Bewusstsein formulierte sich eine Antwort,
aber bevor er die Worte herausbekam, legte sich ein roter
Nebel über seine Augen.

Megan, die innerhalb der Luftschleuse im unteren Deck arbeitete, hörte die Schreie und das Ächzen über ihr Headset. Sie drückte den Sendeknopf an ihrem EMU.

»Frank? Carter? Wallace?«
Nur Rauschen. Ihre Kommunikationseinheit war ausgefallen. Ohne sich länger um die Drahtverbindungen zu kümmern, die sie gerade überprüft hatte, griff Megan nach dem Hebel, um die Schleuse zu öffnen. Zu ihrem

Entsetzen war er blockiert.

Im Spacelab hielt Dylan Reed eine Stoppuhr in seiner behandschuhten Hand. Das mutierte Variola Virus wirkte erschreckend plötzlich. Er wusste, dass er exakt registrieren sollte, wie schnell es die Crew infizierte und vernichtete. Bauer hatte mit Nachdruck darauf bestanden, dass die tödliche Wirkung des neu geschaffenen Pockenvirus ausschließlich an menschlichen Testpersonen erprobt werden sollte. Außerdem war das eine sichere Methode, um potenzielle Zeugen zu beseitigen. Aber um das zu tun, hätte er auf die Stoppuhr sehen müssen. Dylan Reed wäre gezwungen gewesen, die Augen zu öffnen, und das wagte er nicht, weil er dann - obwohl das gar nicht möglich war - vielleicht die Gesichter gesehen hätte, die hinter diesen Schreien standen.

In einer anderen Welt lag Harry Landon in einem winzigen Raum am Ende des Korridors von Mission Control und holte etwas dringend benötigten Schlaf nach. Nach zwanzig Jahren bei der NASA, von denen er zehn in dem Hexenkessel von Cape Canaveral verbracht hatte, hatte Landon gelernt, immer dann auszuruhen, wenn sich dafür eine Gelegenheit bot. Und ebenso hatte er in diesen zwanzig Jahren gelernt, sofort aufzuwachen und hellwach zu sein.

Landon ahnte die Hand, noch bevor er sie an seiner Schulter spürte. Er wälzte sich zur Seite und sah das Gesicht eines jungen Technikers vor sich. »Was gibt’s?«, fragte er.

»Es gibt ein Problem an Bord von Discovery«, erwiderte der Techniker nervös.
Landon schwang die Beine von der Pritsche, schnappte sich seine Brille vo n einem Aktenschrank und hastete zur Tür. »Technisch? Flug? Was?«
»Menschlich.«
Landon eilte weiter und fragte ohne sich umzusehen: »Was heißt das, ›menschlich‹?«
»Die Crew«, stammelte der Techniker. »Etwas stimmt nicht.«
Etwas stimmte tatsächlich nicht - und zwar in einer schrecklichen Weise. Landon spürte das, als er Mission Control betrat. Die Techniker hingen alle über ihre Konsolen gebeugt und redeten eindringlich auf Discovery ein. Aus den einzelnen Fetzen, die er im Vorübergehen aufschnappte, konnte Landon entnehmen, dass niemand an Bord des Orbiters antwortete.
Er trat an seine Kommandostation und bellte: »Ich brauche eine Bildverbindung!«
»Geht nicht!«, rief jemand zurück. »Die Videokamera bei denen muss kaputt sein.«

»Dann Audio!«

Landon stülpte sich ein Headset über und versuchte die Nervosität aus seiner Stimme zu verdrängen. »Discovery, hier Mission Director. Bitte kommen.«

Nur Rauschen in seinen Ohren. »Discovery, ich wiederhole, hier Mission Director…«
»Mission Control, hier Discovery.«
Die gequält klingende Stimme ließ Landons Blut in den Adern gefrieren. »Wallace, sind Sie das?«
»Ja, Sir.«
»Was ist dort oben los, Mann?«
Landon musste abwarten, bis das Rauschen verhallt war. Als Wallace wieder sprach, klang seine Stimme, als würde er ersticken.
»Wallace, was ist passiert?«
»Kontrolle… Kontrolle, hören Sie uns?«
»Wallace, sagen Sie uns sofort…«
»Wir sterben hier alle…«

24

In den Pionierzeiten der Shuttle-Flüge, Anfang der achtziger Jahre, hatte man Vorgehensweisen für die unvermeidlichen Pannen und Defekte oder größere Tragödien ausgearbeitet. Sie waren alle in dem sogenannten Schwarzen Buch enthalten und wurden das erste Mal im Januar 1986 nach der ChallengerKatastrophe aktiviert.

Harry Landon war an jenem schwarzen Tag in der Mission Control gewesen. Er erinnerte sich heute noch an den Ausdruck schieren Entsetzens im Gesicht des Mission Directors, als das Shuttle dreiundsiebzig Sekunden nach dem Start explodiert war. Dann hatte er zugesehen, wie der Mann mit tränenüberströmtem Gesicht nach dem Buch gegriffen und angefangen hatte, die notwendigen Anrufe zu tätigen.

Landons Finger zitterten, als er nach dem Schlüssel griff und ihn nach mehreren Versuchen schließlich in das Schloss der Schublade schob, die er gehofft hatte nie öffnen zu müssen. Das Buch war eine dünne Ringbuchmappe. Landon schlug die erste Seite auf, griff nach dem Telefon und zögerte…

Dann stand er auf und stöpselte sein Headset in die Buchse ein, die eine Verbindung zu sämtlichen Headsets der Mission Control herstellte.

»Ladies and Gentlemen«, sagte er mit ernster Stimme. »Ich darf Sie kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten… vielen Dank. Sie haben alle die letzte Meldung von Discovery gehört. Wenn sie zutrifft - was wir noch nicht mit Sicherheit wissen -, haben wir es mit einer echten Katastrophe zu tun. Das Beste, was wir für unsere Leute dort oben tun können, ist uns streng an die Regeln zu halten und auf jede Bitte um Unterstützung vorbereitet zu sein. Überwachen Sie weiterhin sämtliche Details des Fluges und des Zustands des Shuttles mit der größten Sorgfalt. Wenn es eine Abweichung gibt oder irgendetwas Ungewöhnliches - ganz gleich wie belanglos Ihnen das erscheinen mag -, möchte ich das sofort wissen. Und außerdem möchte ich, dass das Datenteam alle Bänder, jedes einzelne Gespräch, jede Sendung noch einmal überprüft. Was auch immer dort oben geschehen sein mag, ist ganz schnell geschehen. Aber irgendetwas muss es ausgelöst haben. Und ich möchte wissen, was das war.«

Er legte eine kurze Pause ein. »Ich kann mir gut vorstellen, was Sie jetzt denken und fühlen. Und ich weiß, was ich von Ihnen verlange, ist schwierig. Aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, dass es Überlebende gibt. Und für die müssen wir uns einsetzen. Wer auch immer dort oben noch am Leben ist - wir wollen ihn sicher herunterbringen. Das ist das Einzige, worauf es jetzt ankommt.«

Er blickte in die Runde. »Ich danke Ihnen.«

Das Schweigen, das sich über den Saal gelegt hatte, löste sich allmählich. Landon war erleichtert, als er sah, dass in vielen Gesichtern die düstere Niedergeschlagenheit jetzt einem Ausdruck der Entschlossenheit Platz gemacht hatte. Er war immer davon überzeugt gewesen, dass die Leute, die hier mit ihm zusammenarbeiteten, die Besten waren, und jetzt bewiesen sie ihm, dass er Recht hatte.

Landons erster Anruf galt Rich Warfield, dem Wissenschaftsberater des Präsidenten. Als Physiker war Warfield mit dem Shuttle Programm gut vertraut und begriff sofort, dass sie es hier nicht etwa mit einer Panne, sondern mit einer größeren Katastrophe zu tun hatten.

»Was kann ich dem Präsidenten sagen, Harry?«, wollte er wissen. »Er möchte hören, was wirklich Sache ist, keine schönen Worte.«

»Okay«, erwiderte Landon. »Zum Ersten haben wir seit dem letzten Gespräch mit Wallace keine Verbindung mehr mit Discovery. Was wir von ihm gehört haben, war, dass die Crew am Sterben sei oder tot. Ich werde veranlassen, dass Ihnen jemand die Aufzeichnung überspielt, für den Fall, dass der Präsident sie selbst hören möchte. Was das Shuttle angeht, so scheint es stabil zu sein. Wir haben keine Änderung seiner Flugbahn oder seiner Geschwindigkeit feststellen können. Alle Systeme an Bord sind im grünen Bereich.«

»Ich würde gern Ihre persönliche Einschätzung hören, Harry«, drängte Warfield.

»Alle Anzeigen für die Luftversorgung sind normal«, erwiderte Landon. »Das bedeutet, dass es keine toxischen Kontaminationsstoffe gibt. Kein Rauch, kein Feuer, keine Gase.«

»Was ist mit Lebensmittelvergiftung?«, schlug Warfield vor. »Könnte es etwas so Alltägliches sein?«
»Die Crew dürfte ihre erste Mahlzeit bereits eingenommen haben. Aber selbst wenn sämtliche Lebens mittel kontaminiert waren, kann ich mir kaum vorstellen, dass das Gift sich so schnell - und mit so durchschlagender Wirkung - ausgebreitet haben könnte.«
»Was ist mit der Ladung?«
»Das war kein Einsatz mit Geheimladung. Das Spacelab hatte die übliche Menagerie von Fröschen, Insekten und Mäusen an Bord, die für die Experimente benutzt werden sollten…«
»Aber was war es dann, Harry?«
Landon überflog erneut den Ablaufplan für die Experimente. »Megan Olson sollte mit Legionärskrankheit anfangen. Das ist der einzige Erreger in dem ganzen Programm. Und sie hatte damit noch nicht angefangen.«
»Könnte es sein, dass der Erreger irgendwie entkommen ist?«
»Die Wahrscheinlichkeit dagegen beträgt zehntausend zu eins. Wir haben alle möglichen Sensoren installiert, um etwaige Lecks im Biorack zu entdecken. Aber nehmen wir es einmal an. Legionärskrankheit wirkt nicht so schnell. Was auch immer die Crew umgebracht hat, hat das innerhalb weniger Minuten getan.«
Einen Augenblick lang herrschte Stille.
»Ich bin mir bewusst, dass ich für diese Dinge nicht gerade ein Fachmann bin«, meinte Warfield schließlich. »Aber wenn man die anderen Möglichkeiten der Reihe nach ausschließt, klingt es für mich immer noch nach einem Erreger, der irgendwie freigesetzt wurde.«
»Unter uns gesagt könnte das durchaus der Fall sein«, erwiderte Landon. »Aber wir sollten dem Präsidenten jetzt noch nicht irgendwelche Theorien vorlegen. Im Augenblick wissen wir einfach noch zu wenig.«
»Der Präsident wird Fragen haben«, sagte Warfield mit ernster Stimme. »Sie wissen ja wahrscheinlich, wie die erste Frage lauten wird.«
Landon schloss die Augen. »Die vorgeschriebene Vorgehensweise ist folgende, Rich. Während des Starts überwacht der Sicherheitsoffizier auf dem Startgelände den Flug. Er hat den Finger ständig auf dem Sprengknopf. Wenn etwas schiefgeht nun… erinnern Sie sich an Challenger! Nachdem der Außentank hochging und das Shuttle explodierte, brannten die Feststoffraketen weiter. Der Sicherhe itsoffizier hat sie heruntergebracht. Das Shuttle ist mit einer Sprengsequenz ausgestattet, die von uns aktiviert werden kann, wenn es auf dem Weg nach unten ist. An dem Punkt ist es noch weit genug entfernt, um von uns, falls das nötig sein sollte, gesprengt zu werden - ohne dass irgendwelche Menschen auf der Erdoberfläche in Gefahr sind.«
Landon hielt kurz inne. »Rich, wenn Sie dem Präsidenten das sagen, sollten Sie ihn daran erinnern, dass er derjenige ist, der diesen Befehl erteilen muss.«
»In Ordnung, Harry. Ich gebe an ihn nur weiter, was wir bis jetzt haben. Und wundern Sie sich nicht, wenn er Sie anruft.«
»Ich sage Ihnen sofort Bescheid, sobald ich mehr weiß«, versprach Landon.
»Harry, eine letzte Frage noch: Können wir das Shuttle mit Autopilot landen?«
»Zum Teufel, wir können auch eine 747 auf diese Weise landen. Die Frage ist, ob wir das überhaupt tun wollen?«
Landons nächster Anruf galt dem Sicherheitsoffizier des Startgeländes, der bereits über die Situation informiert worden war. Landon erklärte ihm so viel er konnte und fügte dann hinzu, dass diese Mission ursprünglich auf acht Tage angesetzt gewesen war.
»Das ist ganz eindeutig jetzt nicht mehr der Fall«, sagte er. »Die Frage ist nicht, ob wir sie herunterholen, sondern wann.«
»Und sobald sie in Reichweite ist?«, fragte der Sicherheitsoffizier mit leiser Stimme.
»Das werden wir dann entscheiden.«
Landon arbeitete seine Liste ab; dazu gehörten auch Anrufe bei General Richardson und Anthony Price. Richardson war nicht nur Stabschef der Luftwaffe, sondern auch Kommandant der Abteilung für Weltraumsicherheit, die dafür verantwortlich war, alle Flugkörper zu identifizieren und zu überwachen, die sich der Erde näherten oder sich im Orbit befanden. Als Chef der National Security Agency stand Price auf der Liste, weil das Shuttle gelegentlich von der NSA gesponserte Geheimeinsätze flog.
Jedes Mal, wenn er einen seiner Anrufe beendet hatte, sah Landon sich um und hoffte, dass einer seiner Leute irgendwelche neuen Entwicklungen zu berichten hätte. Er war sich bewusst, dass er damit nur das Verhalten eines Verzweifelten demonstrierte; so wie die Dinge lagen, wäre jedes seiner Gespräche sofort unterbrochen worden, falls man den Kontakt zum Shuttle wieder hergestellt hätte.
Die nächsten zwei Stunden war Landon ausschließlich mit Telefonieren beschäftigt und dankbar, dass er sich zumindest für den Augenblick nicht mit den Medien auseinander zu setzen brauchte. Viele Stellen der NASA waren darüber verstimmt, dass Shuttleflüge jetzt als so alltägliche Ereignisse galten, dass kaum darüber berichtet wurde. Während des unglückseligen Challenger-Starts war CNN die einzige Senderkette gewesen, die live berichtet hatte. Heute war der Start von Discovery nur von NASA Kameras aufgezeichnet worden.
»Dr. Landon, Leitung vier!«
Landon sah nicht einmal nach, wer da sprach. Er fand die Leitung und hörte eine schwache, immer wieder vom Rauschen übertönte Stimme.
»Mission Control, hier Discovery. Können Sie mich empfangen?«

Dylan Reed befand sich immer noch im Spacelab, von seinem EMU geschützt und die Stiefel in den Halterungen im Boden hängend, die ihn vor der Notkonsole festhielten. Die mehreren Stunden, die er bewusst ohne Verbindung verbracht hatte, kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Er hatte das Radio abgeschaltet, um die verzweifelten Stimmen, die von Mission Control kamen, nicht hören zu müssen. Jetzt hatte er der nächsten Phase des Plans gemäß den Kontakt wieder hergestellt.

»Mission Control, hier Discovery. Können Sie mich empfangen?«
»Discovery, hier Mission Director. Erbitte Statusmeldung!«
»Harry, sind Sie das?«
»Dylan?«
»Ja. Dem Himmel sei Dank, Harry! Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder eine menschliche Stimme hören würde.«
»Dylan, was ist dort oben passiert?«
»Das weiß ich nicht. Ich bin im Labor. Es gab eine Fehlermeldung von einer der EMUs. Ich bin hineingeklettert, um den Anzug zu überprüfen. Und dann hörte ich… Herrgott, Harry, es klang, als ob sie erwürgt würden. Und die Sprechanlage war ausgefallen…«
»Dylan, durchhalten, okay? Sie müssen versuchen, ruhig zu bleiben. Ist sonst noch jemand im Labor?«
»Nein.«

»Und Sie hatten keine Verbindung mit dem Rest der Crew?«

»Nein. Harry, hören Sie. Was…?«

»Wir wissen es nicht, Dylan. Das ist alles, was ich im Augenblick sagen kann. Wir haben eine verzerrte Nachricht von Wallace bekommen, aber er konnte uns nicht sagen, was passiert ist. Es muss ganz schnell gegangen sein. Wir nehmen an, dass ein Erreger freigesetzt wurde. Habt ihr etwas dergleichen an Bord?«

An Bord? Das ganze Shuttle ist eine einzige heiße Zone.

Aber das sagte er nicht, sondern: »Du lieber Gott, Harry! Was reden Sie denn da? Sehen Sie sich doch die Liste an. Das Schlimmste, was wir an Bord haben, ist Legionärskrankheit, und das Zeug liegt noch im BioKühlschrank.«

»Dylan, Sie müssen jetzt Folgendes tun«, sagte Landon mit gepresster Stimme. »Sie müssen zurück in den Orbiter und sich umsehen… und uns dann sagen, was Sie vorfinden.«

»Harry!«
»Dylan, wir müssen es wissen.«
»Und was ist, wenn sie alle tot sind, Harry? Was soll ich

dann tun?«
»Nichts, Mann. Sie können gar nichts tun. Aber wir
bringen Sie nach Hause. Niemand hier verlässt seinen
Posten, bis Sie wieder sicher und gesund gelandet sind.« Landon wollte schon hinzufügen, »das verspreche ich«,
aber er brachte die Worte nicht über die Lippen.
»Also gut, Harry. Ich werde mich in dem Orbiter
umsehen. Die Verbindung möchte ich offen lassen.« »Sie müssen den Videokanal überprüfen. Wir haben kein
Bild.«
Weil ich die Kameras abgeschaltet habe.
»Roger. Verlasse jetzt das Labor.«
Reed setzte sich in seinem klobigen Weltraumanzug
schwerfällig und langsam in Bewegung. Er schwebte
durch den Verbindungstunnel und achtete dabei sorgfältig
darauf, nirgends mit seinem Anzug hängen zu bleiben.
Selbst ein winziger Riss würde seinen Tod bedeuten. Der Anblick, der sich ihm auf dem mittleren Deck bot,
bereitete ihm Übelkeit. Was einmal seine Mannschaftskollegen gewesen waren, Stone, Karol und Carter, waren
jetzt aufgedunsene, mit roten Pusteln bedeckte Leichen,
die entweder frei in der Luft schwebten oder mit dem Arm
oder dem Bein an irgendeinem Gerät hingen. Reed
versuchte nicht hinzusehen und arbeitete sich um sie
herum zur Leiter. Auf dem Flugdeck fand er Wallace
angeschnallt im Kommandantensessel sitzen.
»Mission Control, hier Discovery.«
Landon antwortete sofort. »Sprechen Sie, Dylan.« »Ich habe alle außer Megan gefunden. Herrgott, ich kann
Ihnen gar nicht sagen…«
»Wir müssen wissen, wie sie aussehen, Dylan.« »Aufgedunsen, voll schwärender, offener Wunden,
blutig… ich habe so etwas noch nie gesehen.«
»Irgendwelche Anzeichen, womit sie sich kontaminiert
haben könnten?«
»Negativ. Aber ich nehme die EMU nicht ab.« »Natürlich nicht. Können Sie erkennen, was sie gegessen
haben?«
»Ich bin auf dem Flugdeck bei Wallace… und steige
jetzt hinunter.«
Nach ein paar Minuten meldete sich Reed wieder. In
Wirklichkeit hatte er sich nicht von der Stelle bewegt. »So
wie es aussieht, haben sie das gegessen, was an Bord
geliefert worden war. Hühnchen, Erdnussbutter,
Shrimps…«
»Okay, wir überprüfen sofort die Herkunft des Proviants.
Wenn er kontaminiert war, könnte der Erreger in der
Mikroschwerkraft mutiert sein.«
Landon hielt inne. »Sie müssen Megan finden.« »Ich weiß. Ich sehe noch einmal auf dem Mitteldeck
nach, der Toilette… wenn sie nicht dort ist, hält sie sich
auf dem unteren Deck auf.«
»Melden Sie sich bei mir, sobald Sie sie gefunden haben.
Mission Director Ende.«

Gott sei Dank!

Obwohl ihr Sendeknopf immer noch nicht funktionierte, hatte Megan jedes Wort gehört, das Reed und Landon miteinander gewechselt hatten. Sie ließ sich nach vorn sacken, bis ihr Helm an die Schleusentür stieß. Hunderte von Fragen gingen ihr durch den Kopf: Wie konnte der Rest der Crew tot sein? Was hatte sie hingerafft? War es etwas, das sie an Bord mitgeführt hatten? Vor weniger als einer Stunde hatte sie Carter und die anderen zuletzt gesehen. Und jetzt waren sie tot?

Megan setzte ihre ganze Willenskraft ein, um sich zur Ruhe zu zwingen. Sie blickte auf das Gewirr von Drähten in dem offenen Schaltkasten über der Tür. Ganz offensichtlich stimmte dort etwas nicht. Sie hatte gemäß des Anweisungsschilds auf der Tür des Schaltkastens versucht, einige Verbindungen umzupolen, bis jetzt aber den Defekt noch nicht gefunden.

Ganz ruhig, redete sie sich selbst zu. Dylan wird in ein paar Minuten hier sein. Und wenn er mich dort draußen nicht findet, wird ihm klar sein, dass ich hier drinnen bin. Er wird die Tür von seiner Seite aus öffnen.

Megan klammerte sich an dem Gedanken fest. Sie neigte nicht zu Klaustrophobie, hatte aber doch das Gefühl, als würde die Luftschleuse - die nicht viel größer war als zwei aneinandergereihte Besenschränke - immer enger werden.

Wenn nur das verdammte Mikro funktionieren würde! Der Klang einer anderen Stimme klänge in ihren Ohren süßer als alles, was sie je gehört hatte.

Dann musst du eben das Mikro reparieren, redete sie sich ein.

Dylans Stimme kam über ihr Headset: »Mission Director, ich bin auf dem unteren Deck. Noch keine Spur von Megan. Ich sehe in den Lagerräumen nach.«

Obwohl sie wusste, dass der Weltraum die Geräusche dämpfte, hob Megan beide Hände und begann gegen die Tür zu trommeln. Vielleicht würde Dylan sie irgendwie hören.

»Mission Director, ich habe jetzt den größten Teil des Laderaums abgesucht. Immer noch nichts.«

Landons Stimme drang durch Megans Headset. »Schlage vor, Sie sehen in der Luftschleuse nach. Vielleicht ist sie dort.«

Ja, die Luftschleuse!

»Roger, Mission Director. Ich schalte die Verbindung ab, bis ich die Luftschleuse erreicht habe.«
Als Reed sich der Tür näherte, sah er Megans Gesicht hinter dem Fenster. Die Freude und die Erleichterung, die ihm aus ihren Augen entgegenleuchtete, stach wie ein Messer in sein Herz. Er schaltete auf Innenfrequenz.
»Megan, können Sie mich hören?«
Er sah sie nicken. »Ich empfange Sie nicht. Ist Ihr Sender defekt?«

Megan nickte wieder, schwebte dann nach oben und deutete auf das in den Brustteil ihres EMU eingebaute Gerät. Sie drehte beide Daumen nach unten und schob dann das Gesicht wieder ans Fenster.

Reed sah sie an. »Okay. Ich verstehe. Nicht, dass es einen Unterschied machen würde.«
Megan war nicht sicher, ob sie ihn richtig gehört hatte und deutete mit einem Stirnrunzeln ein Achselzucken an.
»Sie verstehen nicht«, sagte Reed. »Natürlich nicht. Wie könnten Sie? Megan…«
Er zögerte. »Ich kann Ihnen nicht helfen, da herauszukommen.«
Ihre Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen.
»Ich will Ihnen sagen, was hier draußen entstanden ist, Megan. Ein Virus. Von einer Art, wie die Welt es noch nie zuvor gesehen hat, weil es nicht von dieser Welt ist. Zwar ist es auf der Erde entstanden, aber hier im Spacelab wurde es zum Leben erweckt. Daran hatte ich gearbeitet.«
Sie schüttelte den Kopf, Reed konnte sehen, wie ihre Lippen sich bewegten, ohne dass ein Wort zu hören war.
»Sie sollten versuchen, ruhig zu bleiben«, fuhr Reed fort. »Konnten Sie mithören, wie ich mit Mission Control gesprochen habe. Die wissen, dass alle tot sind. Sie haben keine Ahnung, was hier oben geschehen ist. Und das werden sie auch nie erfahren.«
Reed feuchtete seine Lippen an. »Discovery ist zu einer Art Marie Céleste des Weltraums geworden, einem todgeweihten Geisterschiff. Es gibt natürlich gewisse Unterschiede. Ich bin noch am Leben, und Sie auch - für den Augenblick. NASA kann und wird den Orbiter per Autopilot landen. Solange ich am Leben bin, werden sie den Selbstzerstörungsknopf nicht drücken. Reed ließ ein paar Augenblicke verstreichen. »Das werden sie nicht zu tun brauchen.«
Megan spürte, wie ihr heiße Tränen über die Wangen rannen. Ihr war vage bewusst, dass sie schrie, aber damit Reed nicht beeindruckte. Sein Ausdruck blieb so kalt und distanziert wie arktisches Eis.
»Ich wünschte, dass nicht gerade Sie das wären, Megan«, sagte er. »Das wünschte ich wirklich. Aber Treloar musste ausgeschaltet werden, und Sie waren sein Ersatz. Ich erwarte natürlich nicht, dass Sie das verstehen. Aber da ich derjenige war, der Sie in das Programm geholt und Ihnen diese Chance gegeben hat, habe ich das Gefühl, dass ich Ihnen eine Erklärung schulde. Sehen Sie, wir müssen dafür sorgen, dass unser Biowaffenarsenal stark bleibt. All die Verträge, die wir unterschrieben haben glauben Sie, dass Länder wie Irak, Libyen oder Nordkorea sich darum scheren? Natürlich nicht. Die sind alle voll damit beschäftigt, ihre eigenen Waffen zu entwickeln. Nun, und jetzt werden wir etwas haben, womit wir alles übertrumpfen können, was denen einzusetzen möglich wäre. Und wir werden die Einzigen sein, die es besitzen!
Die Substanz, die bei meinem Experiment herausgekommen ist? Ein Fingerhut voll davon reicht aus, um jedes beliebige Land auszulöschen, wenn wir das wollen. Mir ist klar, dass das keine sehr wissenschaftliche Maßangabe ist, aber Sie verstehen schon, was ich meine. Wenn Sie mir nicht glauben, dann sehen Sie sich an, was hier passiert ist, wie schnell die Pocken gewirkt haben, die Folgen…«
Noch nie in ihrem Leben war Megan sich so völlig hilflos vorgekommen. Reeds Stimme dröhnte wie ein Albtraum in ihren Ohren. Sie konnte einfach nicht glauben, dass diese Worte von einem Mann kamen, den sie zu kennen geglaubt hatte, einem Kollegen, einem Mentor, jemandem, dem sie völlig vertraut hatte.
Er hat den Verstand verloren. Das ist alles, was mir klar ist. Und ich muss hier raus!
Als Reed weitersprach, war es, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. »Sie haben mir den größten Teil der Arbeit abgenommen, Megan, indem Sie sich so eingeschlossen haben. Den Rest wird das Feuer erledigen. Habe ich das nicht erwähnt? Nun, wenn dieses Ding landet, wird es ein schreckliches Durcheinander geben. Mission Control wird nichts anderes im Sinn haben, als mich sicher hier rauszuholen. Und wenn nachher etwas explodiert, nun…«
Er hob die Schultern. »Sie werden in die Geschichte eingehen, Megan, und ich werde Sie nie vergessen - und die anderen auch nicht.«
Sein Blick ließ sie nicht los, als er einen Schalter an seiner Kommunikationsanlage drückte. »Mission Director, hier Reed. Bitte kommen.«
Sie hörte Landons Stimme: »Ich höre, Dylan.«
»Neue Nachricht. Ich… ich habe Megan gefunden. Sie ist tot… wie die anderen auch.«
Einen Augenblick lang herrschte am anderen Ende Schweigen. »Habe verstanden, Dylan. Das ist schrecklich. Hören Sie, wir sind bemüht, Sie nach Hause zu bringen. Schaffen Sie es zum Flugdeck?«
»Positiv.«
»Bestimmt funktioniert alles, aber wenn etwas schief geht…«
»Verstanden. Harry?«
»Ja?«
»Sie haben das Schwarze Buch aufgeschlagen, richtig?«
»Ja, Dylan.«
»Da gibt es einen Namen, der im Buch nicht erwähnt ist. Dr. Karl Bauer. Er versteht mehr von Erregern als sonst irgendwer auf der ganzen Welt. Sie sollten vielleicht seinen Rat hinsichtlich der Quarantäne einholen.«
»Roger. Wir bringen Bauer zur Landestelle. Im Augenblick arbeiten wir an Modellen für eine Notlandung. Sobald wir uns über die Landebahn klar sind, lassen wir es Sie wissen.«
Reed lächelte schwach und sagte, ohne dabei den Blick von Megan zu wenden: »Roger, Mission Director. Discovery Ende.«