Das Molekular-Café
Geschichten von Robotern und Biomaten
Verlag Das Neue Berlin
CSSR: Alexander Lomm
Polen: Andrzej Czechowski, Konrad Fialkowski,
Stanislaw Lem
Sowjetunion: Wladimir Firsow, Boris Gurfinkel,
Ilja Warschawski
DDR: Siegbert G. Günzel, Günther Krupkat
Mit einem Nachwort von Ekkehard Redlin 1.
Auflage dieser Ausgabe
© Verlag Das Neue Berlin, Berlin • 1987 (1969) (Zusammenstellung
und deutschsprachige Ausgabe, soweit im Quellenverzeichnis nicht
anders vermerkt) Lizenz-Nr.: 409-160/239/87 • LSV 7294
Umschlagentwurf: Schulz/Labowski Printed in the German Democratic Republic Lichtsatz: Karl-Marx-Werk Pößneck V15/30
Druck und buchbinderische Verarbeitung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden 622 781 700650
Nicht, daß der Roboter nur Befehle ausführen und arbeiten könnte,
wie sein Name eigentlich sagt, nein, es scheint, er kann auch
denken – selbständig und schöpferisch. Vielleicht sogar besser als
der Mensch. Man ist geneigt, es anzunehmen, spricht man einem
künstlichen Wesen auf Grund menschenähnlichen Verhaltens eigene
Denkfähigkeit zu. Und wenn so ein höchst verdächtiges Geschöpf nun
gar zerstörerische und gegen die menschliche Gesellschaft
gerichtete Handlungen vollzieht, die nach »Aufruhr der Maschine«
aussehen, so möchte man fast meinen, die Sache mit dem Roboter sei
doch wohl nicht auf die
leichte Schulter zu nehmen.
Gemach! Vor übereiltem Urteil sei gewarnt! Die Autoren dieses Bandes – aus mehreren sozialistischen Ländern – geben es Ihnen nämlich schwarz auf weiß, daß der Roboter bleibt, was er war und ist: ein Werkzeug in der Hand des Menschen.
Stanislaw Lem
Ein altes Märchen
Es war einmal vor langer, langer Zeit, vor mehr als tausend Jahren, da war die Welt in zwei Hälften geteilt. Auf der einen herrschten die Atlantiden. Jeder Mensch hegt – so war es in längst vergangenen Zeiten, und so ist es noch heute – Wünsche und Träume. Auch die Atlantiden bildeten keine Ausnahme. Sie träumten davon, die andere Hälfte der Welt, die sich von ihrer Herrschaft befreit hatte, zu vernichten. Zu diesem Zweck häuften sie, um die Luft und das Wasser zu vergiften, radioaktive Stoffe an, Sprengmittel und Bazillen. Je mehr sie aber davon besaßen, desto größer wurde ihre Furcht. Deshalb kauften sie für ihr Geld Gelehrte, die immer bessere Maschinen zum Töten von Menschen erdenken und bauen mußten. Da erfuhren sie eines Tages, daß auf einer fernen Insel mitten im Ozean ein Gelehrter mit Namen Turing wohnte, der Automaten bauen konnte. Damals war von Automaten noch nicht viel zu hören, und niemand wußte recht, zu was sie dienen sollten. Turing baute verschiedene Automaten. Die einen konstruierten Maschinen, die anderen buken Brot, wieder andere rechneten und dachten logisch. So plagte er sich mehr als vierzig Jahre, und dann ersann er einen Automaten, der alles tun konnte, was nur möglich war. Dieser Automat konnte Erze schmelzen und Schuhe fabrizieren, Elemente transformieren und Häuser bauen. Ebenso, wie er physisch arbeiten konnte, vermochte er über alles nachzudenken. Er war imstande, jede Frage zu beantworten und jedes Problem zu lösen; kurz, es gab nichts, was er nicht ausgeführt hätte, wenn es ihm befohlen wurde. Die Herrscher der Atlantiden sandten ihre Beauftragten zu Turing, um ihn zu kaufen. Aber der Gelehrte wies alle Angebote zurück. Da beraubten sie ihn der Freiheit und stahlen die Pläne seiner Erfindung. Der Älteste der Atlantiden überprüfte sie, rief die anderen zu sich und sagte: »Wenn wir den Automaten haben, dann werden wir ihn fragen, wie wir diese Bande vernichten können, die für immer den Krieg beseitigen will.« Der zweite, schon ergraute Herrscher der Atlantiden, der von den anderen hochgeachtet wurde, fügte hinzu: »Er wird uns auch sagen, wie wir unseren Untertanen das Denken abgewöhnen können; denn denkende Menschen sterben nicht gern zu Ruhm und Ehre unseres Goldes.« Diesen Worten zollten die Anwesenden gebührenden Beifall. Sie beschlossen, einen riesigen Turingschen Automaten für alle Zwecke zu bauen. »Dann sind wir allmächtig, und niemand auf der Welt kann uns Widerstand leisten«, schloß der Älteste die Beratung.
Nun forderten sie siebentausend Rechenmeister auf – denn damals rechneten die Menschen noch im Kopf –, zu berechnen, wieviel Gold für das Werk erforderlich sei. Als sie das wußten, riefen sie siebentausend Ingenieure und Konstrukteure zusammen, die sieben Jahre lang Pläne zeichneten. Bevor sie fertig waren, wurden die ersten Arbeiterkolonnen auf das Baugelände gebracht. In Alamogordo, im Herzen einer großen Wüste Neumexikos, wurden siebenmal siebentausend Arbeiter in Wellblechbaracken zusammengepfercht, in denen sie nachts unter eisiger Kälte und tags unter glühender Hitze litten. Der salzhaltige, feine Sand zerfraß ihre Lungen und Augen, viele starben an Krankheiten. Als Ersatz für die Toten wurden immer neue Arbeiter dorthin gebracht. Sie wühlten tiefe Gruben für die Fundamente in den Boden, bohrten Schächte und Galerien in die Felsen. Langhalsige Bagger, die den Reptilien der Urzeit ähnlich sahen, schritten über sie hinweg. Die Bauarbeiten dauerten zweimal sieben Jahre. Nach vierzehn Jahren bedeckten Stahltürme und Gebäude hunderttausend Morgen Wüste, die von einer hohen Mauer umgeben waren. Dann kam der Tag, an dem die letzten, die diese Titanenarbeit überlebt hatten, den Bauplatz verließen. Die Tore schlossen sich hinter ihnen. Das Baugelände war menschenleer, tiefe Stille herrschte, nur der Wind pfiff in den Leitungsdrähten. Auf den kiesbestreuten Wegen machten Wächter mit ihren Hunden die Runde. So blieb es sieben Tage lang. Dann hielt in einer dunklen, mondlosen Nacht vor dem Eingangstor ein Fahrzeug, ein sogenannter Panzerwagen, dem die sieben Männer entstiegen, die über die Atlantiden herrschten. Der erste besaß das Eisen, der zweite die Kohle, der dritte das Erdöl, der vierte die Verkehrsmittel, der fünfte das Getreide und das Fleisch, der sechste war der Herr aller Elektrizitätswerke, der siebente befehligte die Armee.
Der Chefingenieur kam ihnen aus den unterirdischen Räumen bis an das Tor entgegen und verneigte sich tief. Im unruhigen Licht der Lampen, die hoch über den Mauern an Drahtseilen im Winde schwankten, betrachteten die Herrscher die schwarzen Gebäudeblocks und die Türme, die wie Soldaten in Reih und Glied standen. Diese Bauwerke waren der kleinere Teil des Universalautomaten, der größere war tief unter der Erdoberfläche in Galerien und Hallen eingebaut, die in die Felsen der Wüste gesprengt worden waren. Wächter näherten sich schweigend und öffneten das große schwarze Tor. Auf dem Hof wartete ein kleiner, verglaster Wagen, der sich sofort in Bewegung setzte, als die Herrscher und der Chefingenieur in ihm Platz genommen hatten.
Sie fuhren durch Säle, die in kaltes blaues Licht getaucht waren, durch Gebäude, die auf dem Kopf zu stehen schienen. Über ihnen hing ein dunkles, unübersehbares Netz von Kabeln und Leitungen, das von pilzförmigen Isolatoren gehalten wurde. Der Wagen rollte an großen, in die Felswände eingebauten Nestern von Drosselspulen vorüber, durchquerte Schächte, in denen gepanzerte Automaten wachten. Der Wagen glitt immer tiefer. Der Ingenieur erklärte den Herrschenden alles und sagte, das Hauptstellwerk befinde sich in einer Tiefe, die mehr Meter zähle, als das durchschnittliche Leben eines Menschen Tage habe. Sie fuhren weiter, immer weiter, von Stockwerk zu Stockwerk, in das Innere der Erde. Der Wagen wand sich unter zahllosen Kupfersträngen hindurch. Von Zeit zu Zeit blinkte aus der Tiefe ein rubinrotes Licht. Das ganze unübersehbare und unermeßliche Labyrinth der Galerien, der Gänge und Schächte war tot. Bisher war durch die vielen Milliarden Windungen des kupfernen Gehirns dieser Maschine noch kein Stromimpuls geflossen.
Lange noch fuhr der Wagen durch die Finsternis. Endlich schimmerten Lampen an den feucht-glänzenden Felswänden. Der Wagen hielt. Sie waren am Ziel. Unter dem ungeheuren Bauwerk, in seinem tiefsten Innern, lag ein kleiner, gepanzerter, ovaler Raum. An den schwarzen Wänden leuchteten siebenhundertsiebenundsiebzig Kontroll- und Meßgeräte. In der Mitte befand sich ein Podium mit einem Tisch. Darauf stand ein Mikrophon, daneben eine Taste unter einer Glocke aus Diamanten – sonst nichts. Von hier sollten dem Universalautomaten die Befehle erteilt werden.
Der Chefingenieur erklärte den Herrschern über die Atlantiden, der Riesenmechanismus könne ebensogut exotische Blumen züchten wie Menschen vernichten. Er hatte keine Sicherungen wie unsere heutigen Automaten, er war ihnen in nichts ähnlich. Dieser Superautomat war ein barbarisches Instrument, ein Werkzeug wilder, ungezügelter Instinkte, millionenmal größer als die Pyramide des Cheops. Schweigend standen die Menschen in dem Raum. Obgleich an der Decke sieben Lampen brannten, verschlangen die schwarzen Wände das helle Licht. Der Automat sollte zu einem späteren Zeitpunkt in Gang gesetzt werden; aber der Chefingenieur, der sich die Huld der Herrscher sichern wollte, überredete sie, schon jetzt einen Versuch zu unternehmen. Er lebte selbst seit Jahren in fieberhafter Erwartung. In seinem Innern schlummerte ein Gedanke, den er ängstlich verbarg. Er wußte, daß der Mensch, der einmal durch das Mikrophon dem Automaten seine Befehle erteilte, mächtiger war als alle assyrischen und babylonischen Magier zusammen. Als der erste der sieben Herrscher ihn fragte, was er tun müsse, damit der Automat zu arbeiten beginne, da antwortete er: »Herr, ein Druck auf diesen schwarzen Knopf hebt die Schleusen der Dämme, dann strömt das Wasser des San Juan in die siebenundsiebzig Schächte der Turbinen, die den Strom für das metallene Eingeweide des Automaten erzeugen. Dann beginnen seine Organe zu arbeiten, seine Adern zu pulsen.« Der Älteste der sieben Gewaltigen war von diesen Worten leicht bewegt, denn er liebte große und außergewöhnliche Dinge. Wie unabsichtlich drückte er mit seinem weißen, fetten Finger auf den Knopf. Plötzlich zuckten die Lichter, ein Zittern ging durch die Zeiger der Instrumente, Kontrollampen öffneten ihre roten Augen und starrten die Menschen an. Der Felsen über ihren Köpfen begann zu dröhnen, sich zu bewegen.
Räder wirbelten um ihre Achsen, Maschinen keuchten, Tausende von Vakuumröhren glühten purpurrot, Relais hoben und senkten sich, durch die Spulen, die Solenoide, floß der Strom. In dem schwarzen Raum waren nur die beleuchteten Instrumente zu sehen. Aus dem Lautsprecher drang ein dumpfes Rauschen. Das Ungeheuer mit dem Kupferhirn war wohl zum Leben erwacht, es schlief aber noch und schien zu schnarchen.
Da begriffen die Herrscher der Atlantiden, daß sie vor einem allmächtigen Wesen standen, vor einer Gottheit, die sie selbst geschaffen hatten, die alles vollbringen würde, was sie ihr befahlen. Als sie darüber nachdachten, erschraken sie in ihrem eigenen Herzen, als hätten sie in einen Abgrund geblickt; denn sie waren nicht gewohnt, alles zu vermögen. Jedem von ihnen kam der Gedanke, daß dieser Automat imstande war, den Reichtum, die Macht, das Leben der anderen sechs zu vernichten, wenn er es befahl. Aber sie wiesen vorerst diesen zudringlichen, lästigen Gedanken zugunsten des neuen Krieges zurück, den sie gemeinsam beschlossen hatten.
Unter ihnen war der achtzehn Jahre alte Sohn des Herrn über das Eisen, des Reichsten von allen, denn aus Eisen wurden die Vernichtungswaffen geschmiedet. Dieser Herrscher verstand es wie kein anderer, Blut mit Gold zu kaufen. In seinen Hüttenwerken dröhnten Tag und Nacht Tausende Stahlhämmer, nur damit in fernen Ländern Tausende Herzen zu schlagen aufhörten. Sein Sohn war ein blasser, melancholischer Jüngling. Er kannte bereits den Geschmack aller Früchte der Erde, alle nervenaufpeitschenden Gifte und alle Genüsse, die man für Gold kaufen kann. Deshalb war ihm die Welt langweilig. Auf der Suche nach neuen Genüssen hatte er sich in die dunklen Labyrinthe auswegloser Philosophien verirrt.
Keiner der Herrscher wagte ein Wort zu sprechen. Von der eigenen Nichtigkeit gegenüber diesem allmächtigen Mechanismus bedrückt, lauschten sie dem gleichmäßigen Rauschen der Ströme, das nun klang, als atmete das Ungeheuer in wacher, gehorsamer Erwartung. Da trat der blasse junge Mann plötzlich vor und fragte: »Wozu leben wir?«
Sein Vater zuckte zusammen, wollte ihn zurechtweisen – aber der Automat bewegte sich bereits. Die Lampen flackerten, ihr Licht wurde schwächer, die Dunkelheit der Wände kroch näher an die Menschen heran. Auf einmal drang aus dem Lautsprecher ein metallischer, unartikulierter Laut, dem rasch ein zweiter, dritter, vierter folgte, immer ungestümer, lauter. Der Boden unter den Menschen in dem dunklen Raum bebte, Staub wirbelte auf. Furchtbare Stöße schüttelten die Männer, ihre Beine knickten ein. Unter dem Ansturm des rasselnden Knirschens, des Stöhnens und Schnaufens stürzten sie auf die Tür zu, warfen einander zu Boden, traten, stießen, rangen miteinander im panischen Schrecken ihrer kopflosen Flucht; denn sie hatten das Entsetzliche begriffen: Der Automat lachte… lachte…
Konrad
Fialkowski
An der Grenze zweier Zeiten
Seit Jahrhunderten finden die Prüfungen im Mai statt. Ein zwar nicht allzu glücklicher, aber immerhin durch Tradition geheiligter Einfall. Für die Mars-Akademie ist das natürlich belanglos, auf der nördlichen Erdhalbkugel dagegen müßte es geändert werden.
Die Kosmonauten-Akademie, in deren Mauern ich, um mit Cyfrak zu reden, »in die Geheimnisse der Raumfahrt eingeweiht werde«, liegt im Herzen Europas. Dafür büffele ich, wenn die Kastanien blühen, das Schilf am Seeufer sich in den ersten warmen Sommerwinden wiegt und die Wettermacher für laue Mondnächte sorgen.
Ich wohne im Hochhaus dicht hinter der Alten Akademie. Vor meinen Augen habe ich stets ihre wuchtigen grauen Mauern und fühle mich erdrückt von ihrer Schwere, die zu überwinden den Baumeistern von einst nicht gelang. Heute befindet sich dort das Roboter-Museum. In den niedrigen, gewölbten Sälen stehen reihenweise Automaten, die einmal zu irgend etwas nutze waren. Ich habe das Museum häufig besucht und liebe die Stille, das Halbdunkel jener Räume, in die durch verglaste, Fenster genannte Vierecke spärlich das Außenlicht dringt. Ich liebe den kaum wahrnehmbaren Geruch des Materials, aus dem die Automaten früher gebaut wurden – den Duft der Vergangenheit.
Erst kürzlich, vor wenigen Tagen, bin ich mit Taff, Lili und Worth da gewesen. Auf der Suche nach Worth hatte ich sie vor dem Prüfungsraum getroffen. Als ich ankam, rief der Automat gerade mit heiserer Stimme Taff zur Prüfung hinein. Für einen Augenblick verstummten die Gespräche, und dann hörte ich Worth: »Sat, wo willst du hin, altes Proton, hier stecken wir.«
Er stand mit Lili bei der
Lautsprechersäule.
»Sat, komm her und erzähle, wie’s war.« Lili packte mich so heftig
am Ärmel, daß der Stoff rot aufleuchtete. Da fiel mir ein – ich
hatte ja gestern die Prüfung abgelegt, und sie wußten noch
nichts.
»Gar nichts war«, sagte ich. »Durchgeflogen…«
»Wie das?«
»Ganz einfach, sie fragten mich nach den uralten Hypothesen über
den Roten Jupiterkontinent. Nach der Hypothese eines gewissen Wildt
oder was weiß ich… Ich habe mir die ausgeklügelten
wissenschaftlichen Mutmaßungen unserer verehrten Vorfahren nie
merken können.«
»Na, und was weiter?« fragte Lili und ließ meinen Ärmel immer noch
nicht los.
»Was soll weiter gewesen sein. ›Würden Sie die Güte haben, das zu
lernen, werter Kollege‹, sagte Cyfrak mit der ihm eigenen Stimme
eines ramponierten Automaten und öffnete das
Ausgangsfeld.«
»Cyfrak spielt gerne den Gönnerhaften«, behauptete Worth
entschieden. »›Bitte, Kollege! Danke, Kollege!‹ – dabei schenkt er
einem nichts. Nimm’s nicht tragisch, Sat.«
»Ein bißchen blöd ist es schon.«
»Warum sollte er’s tragisch nehmen?« Lili zuckte die Schultern. »Er
kann doch bei Cyfrak wiederholen. Mir ist bloß noch die
halbautomatische Kommission geblieben.«
»Mach dir keine Sorgen. Taff meint, es ginge nichts über die
Automaten«, versuchte ich, sie zu trösten.
»Ich bin nicht Taff. Der hat ein Verhältnis zu den Automaten. Er
soll mal Psychologie der Homoidalautomaten studiert
haben.«
»Unsinn! Sie haben ihn dort rausgeschmissen, und dann ist er bei
uns gelandet«, behauptete Worth.
»Aber er versteht was davon. Im Roboter-Museum kennt er die meisten
Automaten…«
»… und mit einigen stehe ich sogar auf du und du.« Das war Taff. Er
trat zu uns heran und klopfte mir auf die Schulter.
»Nanu, Taff, schon fertig?«
»Hm, Cyfrak hat mich nach Wach- und Heulautomaten gefragt. Da ich
einige von ihnen persönlich kenne, versteht ihr wohl…«
»Was? Du bist nicht über Probleme des Jupitersystems, sondern über
Roboter geprüft worden?« Lili sah ihn ungläubig an.
»Ganz im Gegenteil. Er wollte von mir wissen, wer die Siedlung
Sagan gerettet hat, als die Bitopter die Absperrventile zerstörten.
Du weißt doch, der Vorfall auf dem Jupitermond Europa vor siebzig
oder achtzig Jahren.«
»Du kennst nicht einmal das genaue Datum und hast
bestanden?«
»Auf Jahreszahlen sind wir überhaupt nicht zu sprechen gekommen.
Statt dessen habe ich Cyfrak erzählt, wie der Wachautomat die
Bitopter entdeckte und, auf die Gefahr hin, vernichtet zu werden,
heldenmütig die Heulautomaten alarmierte. Die setzten mit hörbaren
Frequenzen ein und gingen schließlich auf Ultraschall über. Als die
Kosmonauten angerannt kamen, war von den Bitoptern nichts mehr zu
sehen…«
»Wirklich nicht?« fragte Worth sachlich.
»So genau weiß ich das nicht, aber Cyfrak wußte es auch nicht. Also
nickte er zustimmend, und ich hatte bestanden.«
»Hast du ein Glück gehabt!«
»Das war nicht Glück, sondern umfassende Sachkenntnis und die
Bekanntschaft mit den Automaten im Museum.«
»Was hat das damit zu tun?« fragte ich, denn ich sah keinen
Zusammenhang zwischen Museum und Prüfung.
»Sehr viel. Es gibt dort einen alten Automaten, der Märchen
erzählt. Von ihm habe ich einmal eine ähnliche Geschichte über die
Stadt Rom und Heulautomaten mit irgend so einem merkwürdigen Namen
gehört.«
Worth überlegte einen Augenblick, dann sagte er: »Ich habe
angenommen, du meintest es ernst. Die Siedlung Sagan hat der
Wachautomat gerettet, Heulautomaten hat es dort überhaupt nicht
gegeben.«
»Hätte es aber geben können…« Taff ließ sich absolut nicht aus der
Ruhe bringen. »Lohnt es sich übrigens, um Einzelheiten zu
streiten?«
»Weißt du, Taff, ich hätte Lust, dein Museum mal zu besuchen«,
schlug Lili plötzlich vor.
»Wozu? Du als moderner Neuroniker schätzt es doch nicht, dich mit
alten Automaten abzugeben.«
»Stimmt, sie stinken immer nach durchgeschmorten Isolierungen.
Trotzdem, vielleicht könnte ich davon profitieren.«
Ich sah Lili erstaunt an, niemals hätte ich ihr solche Ideen
zugetraut.
»Inwiefern?« Auch Taff wunderte sich.
»Du weißt es noch nicht – ich muß vor die halbautomatische
Kommission. Wenn ich durchrassele, habe ich in der Akademie nichts
mehr zu suchen.«
»Tatsächlich, eine dumme Geschichte. Bloß, ich weiß nicht, ob die
Roboter sich mit dir unterhalten wollen«, sagte Taff nach einigem
Zögern.
»Warum nicht?«
»Sie mögen keine Mädchen.«
»Aus welchem Grund?«
»Aus gar keinem. Sie sind einfach nicht an Mädchen gewöhnt. Damals
wurden die Roboter fast immer von Männern gebaut und
erzogen.«
»Und die Frauen?«
»Die hatten genug anderes zu tun. Jedenfalls interessierten sie
sich nicht sonderlich für Roboter.«
»Du spinnst«, mischte Worth sich ein. »Immerhin gibt es in der
Geschichte Beispiele…«
»Gibt es«, räumte Taff ein. »Trotzdem haben die Roboter was gegen
weibliche Wesen.«
»Na, dann lasse ich’s eben sein.« Lili zuckte die Schultern. »Was
könnte mir das Gerumpel im Museum schon helfen.«
»Du hast recht, Lili, normale Menschen haben bei diesen
Transistorenleichen nichts verloren. Mit ihrem Benjamin Taff ist es
etwas anderes«, bemerkte Worth und sah Taff an.
»Außerdem ist mir alles egal. Ich komme morgen mittag vorbei. Viel
lerne ich ohnehin nicht mehr. Wenn ich nicht bestehe, könnt ihr
mich zum Kosmodrom begleiten. Ich werde in ein Raumschiff steigen,
das mich zu irgendeinem stillen Plätzchen bringt.«
»Mehr Optimismus, Lili«, sagte ich. Sie tat mir leid.
»Meine Chancen sind minimal. Ihr wißt das genausogut wie ich, warum
tröstet ihr mich also. Sie werden mich rausschmeißen – und Schluß.
Keine Bange, ich werde vor diesen Automaten und Cyfrak nicht in
Tränen zerfließen.«
»Cyfrak hat auch kaum noch etwas von einem Menschen an sich, aber
darum geht es nicht. Du wirst doch nicht aufstecken, Lili, das
darfst du nicht. So wirst du die Prüfung bestimmt verhauen«,
entgegnete ich mit aller Überzeugungskraft, zu der ich fähig
war.
Plötzlich ließ sich Taff vernehmen: »Hört mal, ich habe eine
Idee.«
»Achtung! Der Freund des Transistorensargs ist auf einen Gedanken
gekommen. Das ist selten in heutigen Zeiten«, spottete Worth, kein
begeisterter Anhänger von Taffs Einfällen.
»Laß deine Blödeleien, ich meine es ernst.«
»Was für eine Idee?« fragte ich.
»Wenn ihr versprecht, mit euren dummen Witzen zu warten, bis ich
ausgeredet habe, dann sage ich’s euch. Einverstanden?«
»Aber wir sind doch ganz brav und sittsam, fast wie ehrwürdige
Automaten«, konnte Worth sich nicht verkneifen zu
bemerken.
»Nun red schon!«
»Also versprecht ihr es?«
»Ja, schieß los!«
»Einst, vor dreihundert Jahren«, begann Taff, »lebte auf dem Mars,
in der Siedlung Ata, ein alter Kybernetiker…«
»… mit einem langen weißen Bart«, ergänzte Worth.
»Einen Bart hat er nicht gehabt, aber du wirst gleich ein paar
Zähne weniger haben, wenn du nicht still bist.«
»Nur nicht handgreiflich werden, Herrschaften. Dafür sind die
Automaten da.«
»Gegen Ende seines Lebens«, fuhr Taff fort, »wurde dieser
Kybernetiker von der Mitgliedsliste der Solaren Kybernetischen
Gesellschaft gestrichen, und obwohl er zu seiner Zeit ein namhafter
Kybernetiker war, wurde angeordnet, daß sämtliche Automaten,
Mnemotrone und anderen Informationsspeicher seinen Namen aus ihrem
Gedächtnis löschten… Und so geschah es.«
»Woher weißt du das?« fragte ich.
»Wartet ab, darauf komme ich noch.«
»Laßt ihn weiter erzählen«, forderte Lili, ehe Worth abermals eine
spitze Bemerkung machen konnte.
»Die Strafe wurde deshalb über ihn verhängt, weil er die Würde der
Gesellschaft mißachtete, ihre sämtlichen Mitglieder beleidigte und
sein Wissen benutzte, um einen Automaten zu konstruieren, der
diesen Namen nicht verdiente – einen Lügen- und Schwindelautomaten.
Der verfemte Alte besaß die Frechheit, diesen Automaten der
Gesellschaft vorzustellen und zu dulden, daß der Präsident selbst
in gutem Glauben eine Frage an den Lügenautomaten
richtete.«
»Nun sag endlich, was das für ein Automat war«, platzte ich
heraus.
»Der Alte, dessen Lebenswerk der Automat war, kehrte der Siedlung
Ata den Rücken und ließ sich in der zwölften Basis an der Bucht des
Lächelns nieder. Einige Jahre lebte er noch in einem kleinen Bunker
am Ende der Basis, dort, wo die ausgedienten Automaten auf dem
Schrotthaufen landeten. Dann starb er. Es heißt, er habe aus den
kybernetischen Wracks überaus seltsame Maschinenwesen geschaffen,
mit denen er zu diskutieren pflegte. Nach seinem Tode wurde jedoch
keins seiner Geschöpfe aufgefunden.«
»Wahrscheinlich hielt er Selbstgespräche«, behauptete Worth
lakonisch.
»Vielleicht. Tatsache ist jedenfalls, daß sich, eine Woche nachdem
er gestorben war, im Zentrum für informationslose Automaten ein
höchst merkwürdiger Roboter meldete. Man brachte das damals nicht
mit dem Tod des Alten in Verbindung, zumal sich im Zentrum sehr
viele Roboter meldeten, die nicht wußten, wohin sie gehörten. Jener
Roboter jedoch hatte ein gelöschtes Gedächtnis und konnte keine
Auskunft über seine Funktion geben. Der Chefkybernetiker des
Zentrums nahm selbst die technische Durchsicht vor, doch ohne
Ergebnis.«
»Wie kann ein Kybernetiker nicht wissen, wozu ein Roboter dient?«
Worth stand der ganzen Geschichte skeptisch gegenüber.
»Das festzustellen ist einfach, wenn ein Roboter dazu vorgesehen
ist, Kuchen zu backen oder Lieder zu singen. Dieser Roboter aber
war vollkommen anders. Eigentlich sollte er sogar verschrottet
werden. Aber wegen seiner ungewöhnlichen Konstruktion wanderte er
ins Museum.«
»Und gehört zu deinen Bekannten.« Worth konnte es nicht lassen zu
sticheln.
»Was du nicht alles weißt. Wie ihr euch denken könnt, ist das der
Automat des Alten. Über zweihundert Jahre lang wollte er sich nicht
offenbaren, vor einigen Jahrzehnten rückte er das erste Mal mit der
Wahrheit heraus.«
»Na und?« Lili war neugierig.
»Nichts; um das Geschwätz alter Roboter kümmert sich sowieso
niemand.«
»Wozu ist er also nütze?«
»Ich will es euch verraten. Er… sagt die Zukunft Voraus!«
»Ein herrlicher Stuß!« brüllte Worth und fing an, so unbändig zu
lachen, daß die in der Nähe stehenden Studenten ihre Gespräche
unterbrachen.
»Glaubst du wirklich an den Quatsch?« Ich versuchte, mich zu
beherrschen.
»So ein Quatsch, wie ihr meint, ist das nun wieder nicht.« Taff war
gekränkt. »Er hat mir einiges genau prophezeit.«
»Und das wäre?« fragte Lili.
»Zum Beispiel, daß ich heute die Prüfung bestehe. Wo ich doch
nichts gelernt habe.«
»Das kann Zufall sein«, behauptete ich.
»Er hat mir angekündigt, daß ich mich im Kosmos verirren
werde.«
»Wirklich? Ich habe von deinem Abenteuer gehört.«
»Jedenfalls glaube ich ihm.«
»Und hat er anderen auch etwas vorausgesagt?« Worth hörte endlich
auf zu lachen.
»Natürlich. Er hat Kobar das Fiasko seiner Behauptungen über die
Konzentration steuernder Spulen vorausgesagt.«
»Wem? Kobar? Dem Kybernetiker vor dreihundert Jahren?«
»Genau. Kobar war damals Präsident der Solaren Kybernetischen
Gesellschaft. Der Automat hat seine Vorhersage in der
Öffentlichkeit getan. Jetzt werdet ihr verstehen, warum der Alte
und sein Geschöpf verstoßen wurden. Zu jener Zeit stützten sich die
Kybernetiker bei der Konstruktion ihrer Modelle noch auf Kobars
Theorie, und nichts deutete deren Zusammenbruch an.«
»Und den Namen des Alten hat der Automat nicht preisgegeben?« Ich
wollte jetzt endlich etwas Konkretes erfahren.
»Nein. Der Alte hat sich dem Beschluß des Obersten Gremiums der
Kybernetiker gebeugt und seinen Namen aus dem Gedächtnis des
Automaten gelöscht.«
»Also weiß niemand, wie er hieß?« wunderte sich Lili.
»Nein, niemand.«
»Unvorstellbar, wo dieser namenlose Alte doch einer der
bedeutendsten Kybernetiker aller Zeiten ist.«
»Vorausgesetzt – es stimmt alles.« Worth zweifelte noch
immer.
»Wir können uns ja überzeugen«, sagte ich und blickte Taff
erwartungsvoll an.
»Sofern er sich mit euch unterhalten will. Er ist ein
ausgesprochener Sonderling. Ehe er bereit war, mit mir zu reden,
habe ich ihn drei Tage hintereinander mit einer zehnprozentigen
Kochsalzlösung übergossen. Sein Museumsnachbar, ein
Suprastratojäger, hat mir verraten, daß er das sehr gern
hat.«
»Wie heißt denn dein seltsamer Automat?« versuchte Lili zu
erfahren.
»Der Haken ist, daß er überhaupt keinen Namen hat. Zumindest nicht
in unserm Sinne.«
»Aber irgendwie muß man ihn doch anreden?« Lili ließ nicht
locker.
»Gewiß, und zwar folgendermaßen: ›O du, der du an der Grenze zweier
Zeiten weilst.‹«
»Ein bißchen lang.«
»Schon, aber anders reagiert er überhaupt nicht. Ich halte das für
eine harmlose Marotte.«
»Was heißt ›an der Grenze zweier Zeiten‹?« Mich interessierte diese
eigenartige Bezeichnung.
»Zwischen gestern und morgen«, erklärte Taff. »Er selbst erläutert
das wesentlich umständlicher. Aber das ist etwa der
Sinn.«
»Was hat diese Anrede mit dem Vorhersagen der Zukunft zu
tun?«
»Sehr viel. Das Wichtigste habe ich euch noch nicht gesagt, nämlich
wie er das macht.«
»Er wird doch nicht aus der Hand lesen, Taff?«
»Natürlich nicht.« Taff würdigte Worth keines Blicks. »Außerdem
sagt er nicht wahr, sondern voraus. Und das ist ein
Unterschied.«
»Also, wie macht er das?«
»Er versetzt sich in die Zukunft, versteht ihr? Sein Vorhersagen
hat nichts mit Magie zu tun. Im Gegenteil, es stützt sich auf
wissenschaftliche Grundlagen. Der Automat versetzt sich in die
Zukunft, erfährt dort wie und was, kehrt dann in die Vergangenheit
zurück und sagt voraus. Wenn er dir ein Prüfungsergebnis
prophezeien will, wechselt er in die Zukunft über, stellt fest, ob
du bestanden hast, und übermittelt dir das.«
»Demnach irrt er sich nie?« fragte Lili nachdenklich.
»Nie! Bloß, daß er nicht immer vorhersagen will.«
»Und in meinem Fall… Was glaubst du?«
»Keine Ahnung. Ich werde mein möglichstes tun. Ich schlage vor, wir
treffen uns um vier am Museum.«
»Geht es nicht früher?«
»Nein, ich muß erst zu Mittag essen. Ein Gespräch mit ihm verlangt
kosmische Geduld.«
Lili wollte noch etwas fragen, doch Taff sagte: »Tschüs!«, drängte
sich zum Ausgang und verschwand.
»Was haltet ihr davon?« forschte Lili.
»Abwarten«, sagte ich.
»Blödsinn«, behauptete Worth kategorisch.
»Dann kommst du am Nachmittag nicht?«
»Doch, doch… Was tut man nicht alles für seine Kollegen.«
Wir erwarteten Taff auf der Steintreppe zum Haupteingang. Die Sonne schien, und der graue Granit der Balustrade fühlte sich warm an.
»Er kommt nicht… Er hat uns einen Bären aufgebunden, und jetzt kommt er nicht«, behauptete Worth, als vier Uhr vorbei war.
Im nächsten Moment hörte ich Taffs Pfiff. Gemächlich kam er zwischen den alten Bäumen der Allee entlang. Sobald er die Treppe erreicht hatte und uns sah, eilte er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, herauf.
»Kommt«, sagte er kurz.
Wir betraten das Gebäude durch eine archaische Holztür und folgten einem langen Korridor. Die durch Öffnungen im Mauerwerk – sogenannte Fenster – einfallenden Sonnenstrahlen malten helle Flecken auf die Wände.
Endlich machte Taff vor einem der Säle halt.
»Hier ist es«, sagte er.
Trotz des darinnen herrschenden Halbdunkels konnte ich die Umrisse
der an den Wänden stehenden Automaten erkennen.
»Ist das schon der Saal?« erkundigte sich Lili flüsternd.
»Ja, aber drängelt nicht«, antwortete Taff leise.
»Sind das Leichen! Und so etwas hat die Menschheit produziert.«
Worth betrachtete die Automaten aufmerksam.
»Pst? Trotz ihres Alters haben sie ein ausgezeichnetes
Gehör.«
Plötzlich knackte etwas, und ich vernahm seltsame Laute: bum, bum,
bum.
»Was ist das?« Lili blieb erschrocken stehen.
»Das ist der Jagdautomat. Er langweilt sich und tut, als wäre er
hinter Meteoriten her«, erklärte Taff.
»Macht er das immer so?« fragte ich.
»Nur manchmal. Er verfügt über eine breite Skala akustischer
Frequenzen und gibt die verschiedensten Geräusche von sich. Am
liebsten ahmt er Kühe nach.«
»Kühe?«
»Na, diese Tiere aus vergangenen Epochen. Du solltest mal in den
Zoo gehen und sie dir anschauen.«
»Aber warum ausgerechnet Kühe?« fragte Lili neugierig.
»Diesen Automaten imponieren alle Eiweißgeschöpfe
gewaltig.«
»Menschen auch?«
»Ganz besonders. Das zuzugeben, halten sie jedoch für schlechten
Stil.«
»Dann müßten wir ja diesem Hellseher auch imponieren. Prächtig!«
freute sich Worth.
»Leise! Er steht dort.«
»Was? Der verrostete Kasten?« Worth warf einen verächtlichen Blick
auf den Automaten.
»Das ist die Patina des Alters, dadurch unterscheiden sich die
edlen Automaten verflossener Zeiten vorteilhaft von den heutigen,
die in einer billigen Panzerhaut stecken.« Taff sagte das laut,
sehr laut.
»Bloß, daß sie unzerstörbar ist, während die Dinger da in den
nächsten hundert Jahren zerfallen werden«, ergänzte
Worth.
»Noch so eine Äußerung, und wir können hier getrost verschwinden«,
mahnte Taff streng. »Auf solch Bemerkungen reagieren sie sehr
empfindlich.«
Unerwartet heulte der Suprastratojäger auf.
»Taff, befiehl ihm, daß er still ist oder sich ausschaltet«,
verlangte Worth.
»Man merkt, daß du in unserem Jahrhundert aufgewachsen bist. Die
Psychologie der Roboter interessiert dich überhaupt
nicht.«
»Einen Vortrag über die Psychologie dieser höchst liebenswerten
Systeme kannst du uns das nächste Mal halten, dazu sind wir nicht
hergekommen.«
»Laß uns endlich mit dem reden, der da weilt«, schlug Lili vor und
trat auf den Automaten zu.
»Geh nicht zu dicht ‘ran«, warnte Taff. »Mit ihm unterhält man sich
aus einer Entfernung von mindestens fünf Metern.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Sonst antwortet er nicht.«
»Jetzt stehen wir genauso, wie der verehrte Roboter es wünscht«,
bemerkte ich. »Nun kann’s losgehen.«
»Fang an, Taff«, unterstützte Lili mich.
Taff holte tief Luft und begann mit erhobener Stimme: »O du, der du
an der Grenze zweier Zeiten weilst, wir sind zu dir
gekommen…«
Der Roboter gab keinen Mucks von sich. Einen Augenblick verharrten
wir schweigend, bis Lili ungeduldig fragte: »Was nun?«
»Wiederhole noch einmal«, riet ich.
»Ö du, der du an der Grenze zweier Zeiten weilst, sprich zu uns«,
rief Taff.
»Antworte schon«, sagte Worth in völlig normalem Tonfall.
Vielleicht hatte gerade das gewirkt, denn in dem Automaten
schnarrte etwas. Im nächsten Augenblick vernahmen wir eine tiefe,
etwas blecherne Stimme.
»Was wollt ihr wissen? Ob eine Eiszeit naht, wann die Sonne sich in
eine Supernova verwandelt, oder wann Raumschiffe das Siriussystem
erreichen? Vielleicht wollt ihr auch erfahren, welches der
bedeutendste Tag eures Lebens ist, des größten Erfolgs oder der
schmerzlichsten Niederlage. Der Tag, der über euer weiteres Leben
entscheidet.«
»Nein… ich… ich möchte nur wissen, ob ich morgen die Prüfung
bestehe«, stammelte Lili schüchtern.
»Du meinst die Bewährungsprobe deines Lebens, ob du dich in ihr so
verhältst, wie der Mensch sich seiner Bestimmung nach zu verhalten
hat…« Der Automat brach ab.
»Nein… ich werde von der Halbautomatischen über das Jupitersystem
geprüft.«
Diesmal blieb die Antwort aus. Taff wurde zunehmend nervös,
schließlich schaltete er sich in das Gespräch ein.
»O du, der du an der Grenze zweier Zeiten weilst, vergib, daß wir
dich mit einer solchen Lappalie belästigen. Doch die Sache ist
nicht so belanglos, wie sie scheint. In Wirklichkeit ist sie sehr
wichtig, nur du, der du an der Grenze zweier Zeiten weilst, bist
niemals Student gewesen und kannst das nicht wissen…«
Der Automat schwieg.
»… das heißt, ich habe mich ungeschickt ausgedrückt, wenn ich
sagte, du weißt es nicht. Für dich, der du an der Grenze zweier
Zeiten weilst, ist es natürlich schwierig, diese Angelegenheit vom
Standpunkt eines Studenten zu betrachten… Denn schau…«, stotterte
Taff.
Plötzlich ließ der Automat sich vernehmen: »Ich verstehe nicht. Ich
verstehe nicht, was ›Halbautomatische‹ bedeutet.«
»Eine Prüfungskommission, die sich aus Menschen und Automaten
zusammensetzt«, erklärte Lili sofort.
»Ich begreife nicht, was Menschen dort zu schaffen haben, wenn
Automaten da sind. Aber das gehört wahrscheinlich auch zu den
Merkwürdigkeiten der Gegenwart… Zu meiner Zeit wäre es undenkbar
gewesen.«
»O du, der du an der Grenze zweier Zeiten weilst, kannst du also
unsere Bitte erfüllen und uns Auskunft geben?« Taff trat einen
Schritt vor, wich aber augenblicklich wieder zurück.
»Ich werde sie erfüllen.« Der Automat sprach jetzt lauter,
zumindest kam es uns so vor. Dann rauschte es, und – er
verschwand.
»Wo ist er?« rief Worth als erster.
»Er ist weg. Was ist mit ihm passiert?« Lili wollte vorwärts
stürzen, doch Taff hielt sie am Arm zurück.
»Vorsicht, jetzt darfst du da nicht hingehen, er hat sich in die
Zukunft versetzt.«
»Wie hat er das gemacht?« fragte ich.
»Das ist sein Funktionsprinzip. Er versetzt sich in die Zukunft und
ermittelt. Doch das habe ich euch bereits erzählt.« Taff sprach so,
als beschrieb er die Wirkungsweise eines
Raketentriebwerks.
»Und wann kommt er zurück?« erkundigte sich Lili
ungeduldig.
»Gleich. Wir haben ihn nur gebeten zu erforschen, was morgen sein
wird. Um hundert Jahre zu überwinden, würde er mehr Zeit
brauchen.«
»Wenn man bedenkt, daß schon vor dreihundert Jahren…« Worth wollte
etwas erzählen, aber ein Rauschen übertönte seine Stimme.
Der Automat stand wieder an seinem Platz.
»Da ist er!« rief Lili. »Da ist er!«
»Tatsächlich, er ist schon zurück«, bestätigte Taff und wandte sich
dann an den Automaten: »0 du, der du an der Grenze zweier Zeiten
weilst, was für eine Antwort bringst du uns auf unsere
Frage?«
Der Automat schwieg.
»Warum spricht er nicht? Ich bin bestimmt durchgefallen.«
»Vielleicht hat er unterwegs Schaden gelitten«, gab ich zu
bedenken.
»O du, der du an der Grenze zweier Zeiten weilst…«, begann Taff
erneut, doch der Automat unterbrach ihn.
»Laßt mich alten Automaten erst mal verpusten, ihr junges
Volk.«
»Was ist denn nun mit Lili?« fragte ich.
»Sie wird bestehen, wenn sie morgen kein Buntmetall
anfaßt.«
Der Automat sagte das mit leiser, beinahe müder Stimme.
»Was soll das heißen?« Lili sah uns verwundert an.
»Eine Prophezeiung wie jede andere.« Taff zuckte die
Schultern.
»Was meinst du damit? Ich verstehe das nicht. Erkläre es mir,
Automat!« schrie Lili.
»Jetzt ist’s aus«, versicherte Taff.
»Wieso?« Lili hatte noch nicht begriffen.
»Für heute ist Schluß mit der Unterhaltung. Du hast ihn
Automat genannt, jetzt wird er nicht
mehr antworten.«
»Er muß mir doch aber erklären…«
»Gar nichts wird er mehr erklären. Ich habe euch gewarnt. Nun ist’s
vorbei«, sagte Taff, und direkt an den Automaten gewandt, fuhr er
fort: »Wir danken dir, o du, der du an der Grenze zweier Zeiten
weilst.«
»Also sollen wir uns verziehen«, folgerte Worth
scharfsinnig.
»Genau.«
»Na dann, Servus, alte Kiste«, sagte Worth, und wir verließen den
Saal.
Am nächsten Tag war das Gedränge vor dem Prüfungsraum noch größer.
Die halbautomatische Kommission hatte bereits mit den Prüfungen begonnen. Ich kam etwas verspätet, und als ich mich durch die Menge hindurchquetschte, hörte ich, wie der Lautsprecher Lili aufrief: »Achtung! Achtung! Lili Tom wird zur Prüfung gebeten. Ich wiederhole, Lili Tom wird zur Prüfung gebeten.«
Ich entdeckte Worth und Taff. Sie standen etwas
abseits. »Wir halten ihr die Daumen«, sagte Worth.
»Meinst du, daß sie es schafft?« fragte ich nicht sonderlich
überzeugt.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Taff unsicher. »Sie ist zwar
kein übler Neuroniker, mit dem Jupitersystem steht sie
allerdings auf Kriegsfuß.«
»Der Automat hat gesagt, daß sie bestehen wird«, bemerkte
ich.
»Glaubst du etwa daran?« Worth lachte.
»Ich weiß selbst nicht. Offenbar hat er sich doch in die
Zukunft versetzt.«
»Wir haben gesehen, daß er verschwand«, verbesserte
Worth.
»Die Alten haben allerhand zustande gebracht, damals, als
es noch Wissenschaftler gab, die zugleich geniale
Handwerker waren.«
»Nun hört schon auf, euch über die Möglichkeiten der
Alten
zu streiten«, unterbrach Taff.
»Ich möchte nur noch hinzufügen, daß sie größer waren,
als
wir heute gemeinhin annehmen.«
»Wir werden ja sehen, Taff, ob Lili besteht«, sagte Worth
ernst.
»Andernfalls schaffe ich den ehrenwerten Automaten in die
Sammelstelle für kybernetischen Schrott. Vorausgesetzt,
daß
sie ihn dort überhaupt annehmen. Solche Wracks schmeißt
man gewöhnlich auf den Müll.«
»Sie besteht, wenn sie kein Buntmetall anfaßt. So sagte
er
doch.«
»Ich kann dir verraten, Taff, sie hat keins angerührt.
Seit
dem frühen Morgen trägt sie Handschuhe.«
»Bildest du dir ein, das hilft?« sagte Taff lachend. »Der
Automat hat von ›anfassen‹ gesprochen, aber nicht
erwähnt,
ob mit oder ohne Handschuh.«
»Ohne Handschuhe hätte sie irgendwann doch etwas
berührt.«
»Sie hätte eben aufpassen müssen.« Bevor Taff fortfahren
konnte, eilte Lili herbei. Sie lachte selig wie ein Kind,
das
zum ersten Mal fliegen darf.
»Ich habe bestanden! Hört ihr! Bestanden!«
»Das ging ja wie der Blitz.«
»Gratuliere!«
»Cyfrak döste vor sich hin, die Automaten unterhielten
sich,
und ehe er etwas sagen konnte, erklärten sie einstimmig,
ich
hätte bestanden.«
»Also hat der, der da weilt, die Wahrheit gesprochen«,
behauptete Taff.
»Ja. Übrigens war ich heute vormittag noch einmal bei
ihm.« Lili fing an, laut zu lachen.
»Und was hat dir das alte Gestell gesagt?« fragte Worth. »Wollte er
überhaupt mit dir reden?« Taff sah sie
mißtrauisch an.
»Na klar, wir sind gute Freunde geworden.«
»Mach keine Witze, Lili.« Taff war leicht beunruhigt. »Ich bitte
dich. Die reizende Transistorenleiche hat mir so
geholfen. Wie könnte ich über einen teuren Freund spotten.« Taff
trat dicht an sie heran. »Laß das Theater, Lili. Was hat
er gesagt?«
»Wir haben über alles mögliche gesprochen.«
»Und das wäre?«
»Ach, nichts von Bedeutung. Ich habe es vergessen. Grüßen
soll ich dich. Er hat dich über den grünen Klee gelobt
und
behauptet, so ein netter Bursche wie du liefe einem
heutzutage selten übern Weg… Dann hat er noch irgendwas
gesagt, aber der Jagd-Automat hat zuviel Lärm gemacht.« »Wie… wie
soll ich das alles verstehen?« Taff errötete. »Frag ihn am besten
selbst. Ich will mich sowieso bei ihm
für die prächtige, wissenschaftlich fundierte Voraussage
bedanken. Kommt ihr mit?«
»Einverstanden. Gehen wir«, schlug ich vor.
Schon von weitem hörten wir den Suprastratojäger. »Beachtet ihn gar
nicht«, sagte Lili im Ton eines erfahrenen
Fachmanns.
»Wo… wo ist der Automat?« fragte Taff, und jetzt
bemerkte auch ich, daß er verschwunden war. Ein dunkler Fleck auf
dem Fußboden bezeichnete die Stelle, an der er
gestanden hatte.
»Wie sprichst du von ihm!« entrüstete sich Lili. »Bloß
gut,
daß er nicht da ist.«
»Aber wo steckt er?« drängte Taff.
»Richtig, er ist noch nicht zurückgekehrt.«
»Von wo?« Taff ging einen Schritt näher an den dunklen
Fleck heran.
»Halt!« rief Lili.
»Hör auf mit dem Unsinn, wo hast du ihn versteckt?« »Ich wollte von
ihm wissen, wann das Ende der Welt sein
wird, und er hat sich in die Zukunft versetzt, um meine
Frage
zu beantworten.«
»Dann kommt er nie zurück«, warf ich ein.
»So ist’s.«
»Schluß mit den Faxen, Lili, wo hast du ihn versteckt?
Das
ist mein Lieblingsautomat«, sagte Taff jetzt beherrschter. »Du hast
es doch gehört – eben hat sie es erklärt«, mischte
Worth sich ein und sah Taff an.
»Sie hält uns zum Narren, versteht ihr.«
»Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte ich, und das
entsprach der Wahrheit.
»Ich auch nicht«, pflichtete Worth bei.
»Der Automat ist weiter nichts als ein Spielzeug«,
gestand
Taff.
»Das heißt, er kann nicht vorhersagen?«
»Nein.«
»Und versetzt sich nicht in die Zukunft?«
»Auch das nicht.«
»Also hast du uns ganz schön an der Nase herumgeführt«,
konstatierte Worth streng.
»Habe ich, ich wollte Lilis Selbstbewußtsein heben.« »Na schön.
Aber wie verschwindet er?« wollte ich wissen. »Er umgibt sich mit
einem lichtundurchlässigen Feld. Das
ist sein ganzes Geheimnis. Ihr habt es mit einem
altmodischen Unterhaltungsautomaten zu tun.«
»Und die Geschichte mit dem in Vergessenheit geratenen
Kybernetiker?« Ich gab mich noch nicht geschlagen. »Nichts als
Reklame, ein Märchen, das der Automat
allerdings selbst erzählt. Ich habe es mir nicht
ausgedacht.
Was hast du mit ihm angestellt, Lili?«
Lili zuckte die Schultern.
»Ich habe ihn in seine Einzelteile zerlegt, ich bin
Neuroniker und wollte mich vergewissern, wie dieser
Automat gebaut ist.«
»Hat er nicht protestiert?« fragte ich verwundert, denn
ich
erinnerte mich an den Lärm, den die Automaten aufführen,
wenn sie demontiert werden.
»Und wie. Er prophezeite mir einen frühen und
gewaltsamen Tod.«
»Hast du nicht Angst bekommen?« Ich blickte Lili
aufmerksam an.
»Ein bißchen schon«, gab sie zu. »Aber ich hatte es mir
nun
einmal in den Kopf gesetzt. Ich bin Neuroniker und
handelte
im Namen der Wissenschaft.«
»Ich hätte es trotz allem nicht getan«, sagte Worth. »Ich
vielleicht auch nicht, aber ich habe mich an den Kustos
des Museums gewandt.«
»Und?« Diesmal zeigte sich Taff gleichfalls interessiert. »Er
erlaubte mir, das alte Ding auseinanderzunehmen. Und
dann hat er mich etwas gefragt. Kannst du dir denken,
was,
Taff?«
»Nein, ist mir auch völlig egal. Du hast den besten
Automaten kaputt gemacht.«
»Er hat mich gefragt, ob ich Taffs neue Freundin bin. Mit
seinen Mädchen käme er nämlich immer hierher, zu dem Automaten, der
die Zukunft voraussagt – eine ihm von Taff eingegebene Zukunft. Das
aber hätten die Ärmsten nie
gewußt.«
»Mit einem Wort: ein Anschlag auf den Automaten, was,
Taff?« Worth prustete vor Lachen.
»Und ausgerechnet du, Lili, mußtest ihn kaputt machen, wo
mich doch mein Automat vor weiblichen Neuronikern
gewarnt hat.«
Andrzej Czechowski
Der Turm zu Babel
Es begab sich aber zur Zeit der Herrschaft der XXIV. Untersektion des Neutrinoröhrenhirns und seines Ersten Kybernators, da die Zentrale Superzivilisation sich bis zu den fernsten Gemeinden der Galaxen erstreckte und in drei großen Kriegen den Strahlenzeugenden Antihomomorphosen (deren wirklichen Namen nie jemand erfahren hat, weil sie allesamt in der von Zeitbomben aufgerissenen achtdimensionalen Schlucht des Großen Raums zugrunde gingen) die Stirn geboten hatte, daß ein Patrouillenkreuzer von den Peripherien der Galaxis Kunde gab und offenbarte, auf dem dritten Planeten des Solarsystems sei eine Gattung denkender Wesen im Entstehen begriffen. Der Automat des Raumschiffs allerdings nannte sie »subdenkende Wesen«, doch dem Koordinationshirn der Zentrale für Gesamtgalaktische Entwicklung war der Automat zufälligerweise als großer Skeptiker bekannt, weshalb es über eigne Röhren das Projekt durchsetzte, die solare Zivilisation mit der Methode ständiger Reize und nachfolgender automatischer Korrektur weiterzuentwickeln.
Zu nämlichem Zwecke wurde per transgalaktische Sendelinie der Ultraroboter namens »Erfinder« in Richtung Sonne ausgesandt, welcher für achthunderttausend Jahre programmiert war und im Verlaufe dieser Zeit die solare Zivilisation auf eine Stufe emporheben sollte, die für Millionen von Häusler-Subzivilisationen in der Galaxis typisch ist. Alsbald erreichte der Ultraroboter das Sonnensystem, schwenkte auf Planetenumlaufbahn ein und ließ sich hernach auf der Oberfläche des Planeten nahe der Terminatorlinie nieder. Sobald er gelandet war, kühlte er sich in einem stattlichen See aus purem Wasserstoffsuperoxid ab, wobei er ihn zur Hälfte in Dampf verwandelte, und ging sofort ans Werk.
Weil er aber die Gabe der außersinnlichen Beobachtung besaß, mit deren Hilfe er im Bereiche von drei Kilometern eine jegliche Erscheinung aufzuspüren imstande war, entging ihm nicht jene Höhle, in der zu dieser Zeit die Vereinigte Horde der Jäger und Sammler hauste. Er gewahrte auch die Hordenmitglieder, die sich mit dem Großen Mammut, ihrem Häuptling, soeben in der Höhle zur Ruhe niedergelegt hatten. Der einzige Wächter war der junge Schon-Mammut, welchem das Feuer vor dem Eingang der Höhle zu hüten anbefohlen war. Der Ultraroboter war von raschem Verstand, und also verlor er keine Mikrosekunde mit Überlegen. Im Handumdrehn formte er seine Plastohülle zu der für die zweibeinigen Grottenbewohner charakteristischen Gestalt, schuf aus dem andern Teil seiner Masse ein großes Raubtier, wie sie der Planet beheimatete, setzte es in Bewegung und schritt selbst hinterdrein. Nahe der Höhle verbarg er sich im Gebüsch und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Das automatische Plastomodell vom Aussehen eines planetaren Raubtiers – heute Säbeltiger genannt – trottete sodann gemächlich auf das lustig prasselnde Feuer zu. Selbst dem schlauen Ultraroboter wollte es schwerfallen, die beiden dicht aufeinanderfolgenden Lautgebilde zu unterscheiden: das Brüllen des Plastotigers und das lärmende Gezeter von Schon-Mammut, der wie von der Tarantel gestochen ins Innere der Höhle flüchtete. Das Plastomodell blieb beim Lagerfeuer stehen und wendete den klobigen Kopf nach allen Himmelsrichtungen. Alsdann erhob sich der Roboter und schleuderte eine Lanze mit Platinspitze und Raketenbeschleuniger nach dem Plastotiger hin. Da heulte der Lautsprecher in des Ungetümes Eingeweiden gellend auf, das Plastomodell stürzte zu Boden, und der Ultraroboter ging daneben in Stellung, indem er sich auf die Lanze stützte und im allerreinsten Dialekt der Vereinigten Horde sprach: »Ich, der Große Ankömmling, ich habe den Tiger erschlagen! Viele Jäger wollte er fressen, er wird es nimmermehr tun. Der Große Ankömmling wird mit dem Großen Mammut gemeinsam jagen! Hugh, ich habe gesprochen.«
Im nämlichen Augenblick tat der Kriotronenmikrotransformator im Kristallhirn des Ultraroboters durch Ultraschallknacken kund, das Einleitende Befreundungsprogramm sei nunmehr beendet und das Hauptprogramm nähme seinen Anfang. Von Stund an besaß der Roboter die Fähigkeit, 12848 für die Zivilisation wichtige Erfindungen und Entdeckungen zu machen, angefangen vom Feuerzünden bis hin zur interplanetaren Rakete. Als der Morgen graute, ging der Roboter unverzüglich an die Arbeit.
Die Vereinigte Horde lauschte in (anfänglich) finsterem Schweigen den Worten des Großen Ankömmlings. Die Erfindung des Speerwerfens nahm sie mit Mißtrauen auf, desgleichen die Methode, mit Hilfe von zwei trockenen Holzstückchen Feuer zu entfachen. Erst das Feuerschlagen erregte ihr Wohlgefallen, trotz des Unwillens der Älteren, die an den himmlischen Ursprung des Feuers (aus dem Blitz!) glaubten. Ausgestreckt auf einem moosbewachsenen Stein, erfand der Ultraroboter selbigen Tags das Rad, den ersten zweirädrigen Karren, vor welchen er zehn Frauen spannen ließ, und den Bogen, und die Jäger wußten vor Freude sich kaum zu lassen. Sogleich zogen sie zur Jagd aus, und als ein paar Stunden verflossen waren, fuhr der zweirädrige Karren im Triumphzug riesige Fleischbatzen vor die Höhle.
Der zweite Tag brachte die Entdeckung der Bronze und die Herstellung der ersten Metallgrotten. Am Nachmittag erfand der Roboter den Tontopf, das Brennen von tönernen Gefäßen, die Töpferscheibe, den rotierenden Bratspieß, und bald darauf konnte die Horde einen Einbaum, ein segelbespanntes Floß und Angelruten mit Ködern bewundern. Nun huben sie an, Haustiere zu züchten, zuerst Mammute. Rings um die Höhle dehnten sich Felder, auf denen Mais und Getreide sprossen. Es entstanden Häuser aus Steinen und Grassoden, von Zaunwerk aus zugespitzten Baumstämmen umgrenzt. Die Vereinigte Horde der Jäger und Sammler erlebte ihre Blütezeit.
Leider trug sich bald danach zu, was das Hirn des »Erfinders« nicht hatte vorhersehen können. Eines schönen Tages nämlich, als der Ultraroboter dem Hordenältestenrat soeben etwas auseinandersetzte, stürzten mit entsetzlichem Gebrüll gar viele Räuber aus dem Wald herbei. Sie gehörten zur Waldhorde der Gangster und Räuber, die im Eilmarsch von den Bergen gekommen war, angelockt vom legendären Ruhm der Untertanen des Roboters. Vier mit schweren Keulen bewaffnete, über die Maßen selbstbewußte Henker umzingelten den Ultraroboter. Als der erste Schlag die Plastohülle um ein geringes eindellte, stießen die vier Angreifer einen Siegesschrei aus. Sie trugen ihn noch auf den Lippen, da zertrümmerten ihnen die vom längsgestreiften Elektrohydromuskel in Bewegung gesetzten Extremitäten des Roboters den Schädel. Hierauf fuhr der Roboter seinen Lafettenwerfer aus und schleuderte einen Feuerstrahl hervor. Die Aggressoren ergriffen die Flucht, verfolgt von den Jägern der Horde, die sich indessen von ihrem Schreck erholt hatten. Das Schlachtengetümmel zog fort in die Tiefe des Waldes, der Roboter aber blieb mit seinem Gram und Herzeleid allein zurück.
Hier nun muß gesagt werden, daß der Roboter nicht ganz unversehrt aus dem Kampfe hervorging. Der Keulenschlag hatte ein kristallines Transneurotriotron in seinem Hirn zu Schaden gebracht, und er spürte ganz deutlich, daß er desorientiert war, denn ihm war entfallen, wozu ihn seine Konstrukteure bestimmt hatten. Er ging alle die 12848 Erfindungen in seinem Gedächtnisse durch, besann sich auf jeden Auftrag und jede Regel, allein, er konnte beim besten Willen nicht herausfinden, was er mit alledem anfangen sollte. Wäre er nicht ein Roboter gewesen, Verzweiflung hätte ihn geschüttelt. So aber versuchte er fieberhaft, ein Ersatzprogramm aufzustellen, und weil er, wie wir schon bemerkt haben, ein sehr schlauer Roboter war, wußte der Anführer der Jäger, als diese nach Hause zurückkehrten, bereits, was zu tun sei.
Die Jäger, deren Intelligenz im Verlaufe der letzten Wochen um vieles schärfer geworden war, begriffen sogleich die Befehle ihres Führers. Alsbald zogen Weiberkarawanen aus, um von den verschiedenfarbigen Canons buntes Mineralgestein herbeizuschleppen. Die stärksten Männer schmiedeten mit Steinhämmern aus der Bronze und dem Kupfer Bleche zurecht. In Erdöfen verwandelte sich Erz in Eisen, das hernach an Feuern gehärtet ward. Die älteren Frauen ließen ab von den Kleidern ihrer Männer und Söhne und widmeten sich dem Aufwickeln von Drähten auf die mannigfaltigsten Spulen. Eine gewisse Schwierigkeit bereitete es ihnen, die Zahl der Wicklungen zu berechnen, doch schließlich wußte der Roboter, erfinderisch wie er war, auch wider diese Sorgen einen Rat: Er teilte den Werkenden sorgfältig abgemessene Drahtstücke zu. Die begabtesten Künstler stellten ihre angefangenen Bildnisse von Mammuten fertig und machten sich daran, die Wände der Höhle mit verwirrenden Strich-, Kreis-, Pfeil- und Zickzackornamenten zu bemalen, die der Ultraroboter Schemata nannte. Und endlich, nach einem Monat unsäglicher Mühen, wurden die Jäger inne, daß etwas nicht in der Ordnung war. Bislang hatte die Arbeit stets Ergebnisse gehabt, den zweirädrigen Karren oder den Bogen oder den gebrannten Tontopf zum Beispiel. Doch wozu die Bleche? Wer brauchte den Kupferdraht? Warum durften sie die Höhlenwände nicht mehr mit Mammutgemälden schmücken? Mochte sich der Roboter um solcherlei Dinge bekümmern, sie, die Jäger, hatten zu jagen!
Nach Meuterei roch es also. Und dennoch weckte das Geheimnisvolle an dem neuen Tagewerk die Neugier der Hordenmitglieder, und allmählich begriffen sie, daß das Ziel ihrer Anstrengungen etwas sehr Wichtiges, obgleich Unfaßbares sein mußte. Der geschäftige Roboter, welcher von einem zum andern lief und immerfort neue Befehle erteilte, dünkte sie die Verkörperung dieses Ziels. Die Jäger arbeiteten also und gehorchten dem primitivsten der Gefühle, dem Vertrauen.
Hätte eines schönen Junitages zufällig jemand im Wipfel einer der Kiefern bei der Höhle gesessen, dann wäre er wohl eines ungewöhnlichen Anblicks teilhaftig geworden. Auf einem gewaltigen, leeren, von Ton geröteten Platze ragte ein Holzturm von vierzig Meter Höhe empor, welchen man aus den Stämmen der höchsten Kiefern der Umgegend gefertigt hatte. An der Turmspitze fand sich eine Plattform, worauf ein Kran mit mehreren Flaschenzügen befestigt war. Am Fuße des Turms war aus mächtigen, durch eine weiße Masse verbundenen Quadern ein Tisch mit einer Öffnung in der Mitte errichtet. Auf diesem wiederum stand, im purpurnen Funkeln ihrer Kupferblechwände, eine dreißig Meter hohe kosmische Rakete. In schwarzer Farbe prangten darauf Lettern der Gesamtgalaktischen Einheitssprache, welche sich zu der Inschrift BABEL zusammenfügten. Was dieses Wort bedeutet, weiß keiner.
Darüber zerbrach sich auch jener in einer Kiefernkrone hockende Späher der Lebenden Galaktischen Superrasse und bekannte Astroperipatetiker, Commander Carrates, den Kopf. An dieser Stelle muß gesagt werden, daß das Koordinationshirn der Gesamtgalaktischen Entwicklungszentrale durch Simultanschaltung mit dem Ultraroboter verbunden und über alle seine Handlungen aufs genaueste unterrichtet war. Sogleich nach dem Unglück hatten sich die Raumschiffe von Commander Carrates’ Flottille auf die Reise zur Erde begeben. Acht schwarze Kreuzer waren in der Achten Dimension (in der für gewöhnlich die Hyperlichtreisen stattfinden) untergetaucht und hatten sich in Sonnennähe materialisiert, um, sobald dieses geschehen, auf Umlaufbahn um den Blauen Planeten zu gehen. Commander Carrates ist der erste lebende Ankömmling aus dem Kosmos, der seinen Fuß auf die Erde gesetzt hat. Allein, in einem Skaphander verborgen, welcher die menschliche Gestalt nachbildete, nur mit einem Handlaser bewaffnet, war Carrates auf der Erde gelandet, wobei er große Mühe gehabt hatte, den Widerstand der dichten Atmosphäre zu überwinden. Eilends hatte er sich zur Höhle durchgeschlagen, war auf einer Kiefer niedergegangen und hatte eine Haltung angenommen, die ihn wie einen dürren Ast erscheinen ließ. Den Laser schußbereit, spähte er wachsam aus und wartete, was weiter geschehen würde.
Die Jäger, welche bislang auf der Plattform gestanden hatten, glitten geschickt in die Tiefe hinab und flüchteten ins Waldesdickicht. Alsbald tauchte bei der Rakete die Gestalt des Ultraroboters auf (dank seiner außersinnlichen Beobachtungsgabe vermochte Carrates ihn von den Jägern zu unterscheiden), eine Stichflamme schlug hoch, worauf sich der Roboter in riesigen Sätzen von der Rakete entfernte. Die Flamme kletterte langsam eine salpetergetränkte Schnur hinan. Wie der Roboter den Waldrand erreicht hatte, verschwand sie in der offenen Düse des Raketenmotors. Sogleich erdröhnten die Zündraketen, und einen Augenblick später sprang der Hauptmotor an. Rauchknäuel verdeckten den Turm, unter Donnergetöse erhob sich die Rakete und stieg mit wachsender Geschwindigkeit zum Himmel empor. Da, mit einemmal, gänzlich unverhofft, glühten die roten Bleche in einem Licht auf, das an Helle das Sonnenlicht übertraf, die Rakete zersprang am Bug, die Bleche rollten sich zusammen wie Blütenblätter, die Rakete bestand nicht mehr.
Auf dem Kiefernwipfel steckte Commander Carrates seinen heißen Laser in die Schutzhülle.
Zu unserm Leidwesen vermögen wir nicht zu sagen, was für ein Schicksal unserm unglückseligen Ultraroboter hinfort beschieden war. Er handelte, wie man leicht bemerkt haben wird, sehr logisch, indem er Raketen baute. Die Notwendigkeit der Vervollkommnung hatte er nämlich mit der Tatsache in Verbindung gebracht, daß eine kosmische Rakete den letzten Punkt in seinem Programm abgab, und geglaubt, dieses Ziel müsse er auf dem kürzesten Wege erreichen. Verübeln wir es also dem Roboter nicht, daß er darob seine wichtigste Aufgabe vergaß – die Weiterentwicklung der irdischen Zivilisation, wobei er sich einzig und allein mit den Erfindungen befassen sollte, welche in seinem Gedächtnisse enthalten waren.
Commander Carrates aber beschloß, die Fabriken und Kraftwerke des Ultraroboters zu vernichten, und er vernichtete sie mitsamt dem Kontinent, auf dem sie erbaut worden waren. Die evakuierten Mitglieder der Vereinigten Horde teilte er unter die übrigen Stämme auf. Mit ihrem Tode ging auch das Andenken des Ultraroboters verloren, die Menschheit entwickelte sich fürderhin normal, angewiesen auf ihre eigenen Kräfte. Nur die Legende von Atlantis und vom Turm zu Babel haben sich bis auf den heutigen Tag gehalten. Es ist sogar schwer zu sagen, ob die Menschheit der Superzivilisation noch immer etwas vorzuwerfen hat.
Ilja
Warschawski
Der Moloch
»Hören Sie, Rong, ich kann nicht gerade über mangelnde Geduld klagen, aber ehrlich, manchmal möchte ich Ihnen was Schweres über den Schädel hauen.«
Danny Rong zuckte die Achseln. »Glauben Sie nicht, daß mir die ganze Geschichte Spaß macht, aber ich kann nichts dagegen tun. Wenn die Kontrollversuchsreihe…«
»Welcher Teufel hat Sie gezwungen, mit dieser
Versuchsreihe anzufangen?«
»Sie wissen doch, daß die Methodik, die wir früher
hatten…«
»Seien Sie kein Idiot, Rong!«
Torp Kirby stand von seinem Stuhl auf und wanderte durchs
Zimmer.
»Haben Sie denn wirklich nichts begriffen?« Kirbys
Stimme klang jetzt honigsüß. Immer wieder gelang ihm der
theatralische Übergang vom drohenden Chefton zur
freundschaftlichen Anrede.
»Ihre Arbeit trägt doch rein theoretischen Charakter:
Kein
Mensch wird praktische Schlußfolgerungen daraus ziehen,
jedenfalls nicht innerhalb der nächsten Jahre. Sie haben
reichlich Zeit, um, sagen wir, in zwei Jahren die
Ergebnisse
der Versuchsreihe gesondert zu veröffentlichen und
sozusagen die Theorie zu präzisieren.«
»Nicht präzisieren, sondern widerlegen.«
»O Gott! Na schön, widerlegen Sie sie, aber bitte nicht
jetzt
gleich. Nach dem Aufsehen, das wir erregt haben…« »Wir?«
»Meinetwegen ich. Aber verstehen Sie doch endlich, daß es
außer Ihrem törichten Ehrgeiz auch noch die Interessen
der
Firma gibt.«
»Es ist kein Ehrgeiz.«
»Sondern?«
»Ehrlichkeit.«
»Ehrlichkeit!« fauchte Kirby. »Glauben Sie meiner
Erfahrung. Sie haben doch bestimmt von dem Präparat
Tervalsan gehört. Ist Ihnen bekannt…«
Rong schloß die Augen, gefaßt auf eine der verblüffenden
Geschichten, in denen Torp Kirbys Schlagfertigkeit, sein
Verstand und seine Belesenheit, seine Kunst, feindliche
Intrigen zu zerschlagen, der ihm anvertrauten Hammelherde
als Beispiel hingestellt wurden.
Wo hat er bloß diese Selbstsicherheit her? dachte Rong,
während er dem rollenden Bariton seines Chefs lauschte.
Dabei hat er von Tuten und Blasen keine Ahnung. Dieser
Schwätzer und Phrasendrescher!
»Ich hoffe, ich habe Sie überzeugt?«
»Aber gewiß doch. Und wenn Sie es wagen, die
Arbeitsergebnisse ohne die Kontrollversuchsreihe zu
veröffentlichen, werde ich Mittel und Wege finden…« »Oh, wie gern
möchte ich Ihnen ein paar freundliche Worte
sagen! Aber was hat das für einen Sinn, wenn Sie nicht
einmal beleidigt sind? Noch nie habe ich einen so
dickfelligen…«
»Möchten Sie wissen, warum ich nicht auf Ihre Grobheiten
reagiere?«
»Na?«
»Sehen Sie, Kirby«, sagte Rong leise, »jeder von uns läßt
sich bei seinen Handlungen oft von einem Beispiel leiten.
Meine Einstellung zu Ihnen ist sehr stark von einem
Erlebnis
bestimmt, das ich als Kind hatte. Es war im Zoo. Vor dem
Affenkäfig stand ein alter Mann und warf Bonbons durch
die
Gitterstäbe. Wahrscheinlich hatte er die besten
Absichten.
Aber als der Bonbonvorrat in seinen Taschen zu Ende war,
wurden die Affen wütend. Sie drängten sich ans Gitter,
und
ehe sich’s der Alte versah, war er von Kopf bis Fuß
vollgespuckt.«
»Und was folgt daraus?«
»Er lachte und ging. Damals habe ich begriffen, daß ein
richtiger Mensch von einem Affen, der ihn anspuckt, nicht
beleidigt werden kann.«
»Die Geschichte ist sehr gut!« Kirby grinste. »Am besten
gefällt mir daran, daß er vollgespuckt wegging. Ein
lehrreiches Beispiel. Sehen Sie, Rong, ich glaube…« »Geschenkt,
Kirby. Sagen Sie mir jetzt, wie lange Sie mich
hier im Betrieb noch dulden können. Ich möchte nämlich
die
letzte Versuchsreihe noch beenden, und dazu brauche ich
mindestens…«
»Oh, wir sind nicht kleinlich! Ich warte gern auf Ihren
Abgang, und sei es bis morgen.«
»Verstehe.«
»Hören Sie, Dan«, Kirbys Stimme klang wieder herzlicher,
»denken Sie um Gottes willen nicht, das Ganze rühre aus
persönlicher Feindschaft her. Ich schätze Sie als
Wissenschaftler sehr, aber Sie wissen selbst…«
»Ich weiß.«
»Mir ist bekannt, wie schwer es ein Biochemiker
gegenwärtig hat, in Donomag einen anständigen Job zu
finden. Hier haben Sie eine Adresse nebst Telefonnummer.
Die bezahlen sehr gut, und die Arbeit ist wohl völlig selbständig.
Von unserer Seite können Sie auf die besten
Empfehlungen zählen.«
»Das will ich auch stark hoffen.«
»Ich hoffe übrigens, Sie haben nicht vergessen, daß Sie
bei
Ihrem Eintritt in unsere Firma unterschrieben haben, über
Ihre Arbeit zu schweigen?«
»Hab’s nicht vergessen.«
»Großartig! Alles Gute! Wenn Sie mal den Wunsch
verspüren, abends auf einen Sprung bei mir
vorbeizukommen, um ein, bißchen zu plaudern, so ganz
unter
Freunden, würde ich mich sehr freuen.«
»Danke. Mach’ ich, wenn ich den Wunsch verspüre.«
»Doktor Rong?«
»Ja.«
»Herr Latiani erwartet Sie. Ich melde Sie sofort an.« Rong sah sich
im Empfangszimmer um. Nichts dagegen zu
sagen, die Sache schien auf soliden Füßen zu stehen. An der
Einrichtung wurde jedenfalls nicht gespart, das
sah man. »Bitte!«
Auf dicken, weichen Teppichen durchschritt er die
einladend geöffnete Tür. Hinter einem Schreibtisch erhob sich ein hochgewachsener Mann mit Glatze und mattbleichem Gesicht.
»Sehr angenehm, Doktor Rong! Nehmen Sie bitte
Platz.« Rong setzte sich.
»Wenn ich Doktor Kirby richtig verstanden habe, möchten
Sie bei uns arbeiten?«
»Sie haben Doktor Kirby richtig verstanden, aber zunächst
würde ich gern etwas über den Charakter der Arbeit
erfahren.«
»Selbstverständlich. Wenn Sie nichts dagegen haben,
werden wir uns darüber unterhalten, nachdem ich Ihnen ein
paar Fragen gestellt habe.«
»Bitte sehr.«
»Sie haben bei Doktor Kirby gearbeitet. Sind Sie dort
weggegangen, weil die Ergebnisse Ihrer Tätigkeit die
ursprünglichen Hoffnungen nicht gerechtfertigt haben?« »So ist
es.«
»War nicht die Idee als solche…«
»Entschuldigen Sie, aber ich bin durch meine Unterschrift
gebunden, und ich möchte nicht…« Rong runzelte die Stirn. »Um
Gottes willen! Mich interessieren keine
Firmengeheimnisse. Ich möchte nur wissen, ob nicht die
Idee
als solche beim heutigen Stand der Wissenschaft ein
bißchen
verfrüht war, sagen wir, ein bißchen phantastisch?« »Die
ursprünglichen Annahmen haben sich nicht bestätigt.
Darum kann man sie, wenn Sie so wollen, als phantastisch
bezeichnen.«
»Ausgezeichnet! Zweite Frage: Sind Sie ein Freund von
alkoholischen Getränken?«
Eine ulkige Art, sich mit einem künftigen Mitarbeiter
bekannt zu machen, dachte Rong.
»Ein Enthaltsamkeitsgelübde habe ich nicht abgelegt«,
antwortete er brüsk, »aber während der Arbeit trinke ich
nicht. Machen Sie sich darüber keine Sorgen.«
»Gewiß nicht, gewiß nicht!« Latiani schien begeistert zu
sein.
»Nichts weckt die Phantasie so sehr wie ein guter Kognak.
Meinetwegen sogar bei der Arbeit. Glauben Sie mir, das
interessiert uns überhaupt nicht. Und wie steht es mit
Rauschgift?«
»Entschuldigung«, sagte Rong und erhob sich, »aber ich
glaube, wenn das Gespräch in diesem Ton weitergeht…« Latiani sprang
auf. »Was haben Sie denn, lieber Doktor
Rong? Ich wollte Ihnen keineswegs zu nahe treten. Die
Wissenschaftler, die bei uns am Problem arbeiten,
genießen
völlige Bewegungsfreiheit, und wir denken gar nicht
daran,
ihnen während der Arbeit Alkohol und Rauschgift zu
verbieten, im Gegenteil, wir ermuntern sie sogar…«
»Wozu?«
»Zu allem, was der Aktivierung der Phantasie dient. Das
ist
eine Besonderheit unserer schöpferischen Methode.« Die Sache roch
geradezu nach einer plumpen Mystifikation. »Hören Sie, Herr
Latiani«, sagte Rong, »vielleicht machen
Sie mich doch erst einmal mit dem Wesen des Problems
bekannt, dann werden wir sehen, ob es überhaupt lohnt,
von
Einzelheiten zu sprechen.«
Latiani schmunzelte.
»Ich würde es gerne tun, verehrter Doktor Rong, aber
weder
ich noch die Wissenschaftler, die am Problem arbeiten,
haben
die leiseste Ahnung, worin es besteht.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ganz einfach. Das Problem ist im Programm der Maschine
chiffriert. Sie liefern Ideen, und die Maschine analysiert
sie.
Was untauglich ist, wird aussortiert, und was später
einmal
genutzt werden kann, wird gespeichert.«
»Und wozu soll das gut sein?«
»Sehen Sie, eine Maschine kann noch so vollkommen sein,
das Wichtigste wird ihr immer fehlen – die Phantasie.
Darum
ist die Maschine hilflos, wenn es darum geht, neue Ideen
zu
finden. Sie kommt über die Grenzen der Logik nicht
hinaus,
andernfalls würde Unsinn entstehen.«
»Und Sie wollen…«
»… mit der Maschine die menschliche Phantasie nutzen.
Sie verliert niemals ihren Wert. Selbst die
Wahnvorstellungen eines Schizophrenen bestehen aus konkreten
Elementen, wie phantastisch diese auch
zusammengesetzt sein mögen. Können Sie mir folgen?« »Denkquanten.«
Rong grinste.
»Völlig richtig!«
»Und auf diese Weise wollen Sie ein kompliziertes
biochemisches Problem lösen?«
»Habe ich etwa gesagt, daß es ein biochemisches Problem
ist?«
»Entschuldigen Sie, aber was wollen Sie dann von mir?« »Oh, bei uns
arbeiten Wissenschaftler aller Fachrichtungen:
Physiker, Mathematiker, Physiologen, Konstrukteure,
Psychiater, Kybernetiker und sogar ein Astrologe.« »Ist das auch
ein Wissenschaftler?«
»In seiner Art, ja.«
Rong wischte sich verblüfft die Stirn.
»Aber ich verstehe immer noch nicht, was meine Aufgabe
sein wird.«
»Sie kommen am Vormittag um elf und halten sich vier
Stunden lang in Ihrem Kabinett auf. In dieser Zeit haben
Sie
zu denken, ganz egal an was, wenn es nur mit Ihrem
Fachgebiet zu tun hat. Je kühner Ihre Hypothesen sind,
desto
besser.«
»Das ist alles?«
»Ja. Für den Anfang erhalten Sie dreitausend Soles im
Monat.«
Oho! Das war dreimal mehr, als Rong in seiner früheren
Firma verdient hatte.
»Später steigt Ihr Gehalt automatisch mit der Zahl der
Ideen, die die Maschine akzeptiert hat.«
»Aber ich bin doch Experimentator.«
»Na großartig! Stellen Sie Denkexperimente an!« »Und wie erfahre
ich die Ergebnisse? Dazu brauche ich
doch richtige Versuche.«
»Ja, Sie. Die Maschine aber analysiert nach Methoden, die
eine Fixierung der Ergebnisse ohne Experiment
ermöglichen.«
»Aber werde ich das Ergebnis wenigstens erfahren?« »Nein. Die
Maschine liefert keinerlei Angaben, bevor die
Arbeit am Problem beendet ist.«
»Und dann?«
»Weiß ich nicht. Das überschreitet meine Kompetenzen.
Sicherlich gibt es eine Gruppe von Personen, die über die
Ergebnisse der Arbeit am Problem informiert wird. Ich
kenne
diese Personen nicht.«
Rong überlegte. »Offen gestanden, ich weiß nicht recht«,
sagte er, »das ist alles so ungewöhnlich.«
»Bestimmt.«
»Ich bezweifle, daß überhaupt etwas dabei herauskommt.« »Das
braucht nicht Ihre Sorge zu sein, Doktor Rong. Von
Ihnen werden nur Ideen verlangt; ich wiederhole, ganz
egal
welche, wenn sie nur kühn sind. Alles übrige besorgt die
Maschine. Denken Sie daran, daß Sie erstens nicht allein
sind
und daß zweitens einstweilen nur Vorarbeiten laufen. Die
eigentliche Arbeit am Problem beginnt etwas später, wenn
genügend Material gespeichert ist.«
»Eine letzte Frage«, sagte Rong. »Kann ich hier meine
eigentliche wissenschaftliche Arbeit fortsetzen?«
»Das ist unerwünscht«, antwortete Latiani nach kurzem
Überlegen. »Sie sollen keine systematische Arbeit
liefern.
Nur Annahmen, Teilstücke sozusagen. Im übrigen können
Sie Ihre Ideen später nach Gutdünken verwenden. Wir
verlangen von Ihnen keine Unterschrift.«
»Na schön«, Rong seufzte, »ich versuch’s, obwohl ich
nicht
weiß…«
»Großartig! Kommen Sie, ich zeig Ihnen Ihr Kabinett.« Ein
gigantischer Krake streckte seine Fangarme über eine Fläche von
mehreren hundert Quadratmetern. Eine opalisierende rosa Flüssigkeit
wallte in durchsichtigen Röhren, von flackernden Birnen beleuchtet.
Rote, violette und grüne Lichtreflexe huschten durch
übereinandergetürmte sonderbare Apparate, glühten auf matten
Bildschirmen auf, versanken in einem chaotischen Gewirr von
Antennen und
Leitungen.
Der kybernetische Moloch verdaute die Opfergaben seiner
Untertanen.
Latiani schlug mit der Faust gegen eine durchsichtige
Wand, die den Maschinensaal abschloß.
»Härter als Panzerstahl. Ein guter Schutz bei
Zwischenfällen, nicht?«
Rong nickte und schwieg, beeindruckt von den
Dimensionen und der Phantastik der Anlage.
Auf der anderen Seite gab es zahlreiche mit schwarzem
Leder beschlagene Türen. Latiani öffnete eine von ihnen. »Das ist
Ihr Kabinett«, sagte er, während er ein
Pappschildchen mit der Abbildung einer Margerite an der
Tür
befestigte. »Aus verschiedenen Gründen wünschen viele
unserer Mitarbeiter nicht, daß ihre Tätigkeit bei uns
publik
wird, und wir sind auch gar nicht daran interessiert. Sie
können sich nach der Beschilderung orientieren. Hier ist
der
Schlüssel. Das Betreten fremder Kabinette ist streng
verboten. Die Bibliothek liegt am Ende des Korridors.
Also,
morgen um elf.«
Rong warf einen Blick durch die Tür. Seltsame
Einrichtung.
Da sollte man wissenschaftlich arbeiten? Ein kleines
Zimmer
mit rosa Tapeten. Die Lampe an der mit Drachen bemalten
Decke gab sparsames Licht. Kein Fenster. An der Wand eine
Liege mit einer Menge Kissen. Darüber eine rätselhafte Vorrichtung,
die in der Form an einen Trog erinnerte. Ein niedriges Tischchen,
darauf Flaschen mit bunten Etiketten und Schachteln mit
irgendwelchen Medikamenten. Nicht mal
ein Schreibtisch.
Latiani bemerkte Rongs Befremden.
»Nicht wundern, verehrter Doktor. Daran haben Sie sich
bald gewöhnt. Das ergibt sich aus der Besonderheit
unserer
Arbeit.«
Denken, denken, denken! Woran? Ganz egal, nur denken, dafür wirst du bezahlt. Stell Hypothesen auf, je kühner, desto besser. Na los, denke! Ein Schweinehund ist dieser Kirby! Wenn er es wagt, die Ergebnisse ohne die Kontrollversuchs reihe zu veröffentlichen…
Nein, nicht daran denken! Aber woran? Verdammt! Seit fünf Tagen erschien Rong regelmäßig zur Arbeit, und jeden Tag war es dasselbe.
Denke!
Ihm war, als würde es ihm selbst auf der Folter nicht gelingen,
einen noch so winzigen Gedanken aus sich
herauszuquetschen.
Denke!
Er machte eine wegwerfende Handbewegung, erhob sich von der Liege
und ging in die Bibliothek.
Ein wahres Chaos herrschte in den Regalen. Bücher über Kernphysik,
Biologie und Mathematik lagen zwischen Nachschlagewerken über
Chiromantie, Beschreibungen telepathischer Versuche und
Pergamentrollen, deren Sprache Rong nicht kannte. Auf dem Tisch lag
ein großer Foliant mit beschabtem Schweinsledereinband: »Die
schwarze und die weiße Magie«.
Ist ja egal, je sinnloser, desto besser! dachte er, nahm das Buch
unter den Arm und trottete zurück in sein Kabinett.
Ausgestreckt liegend, blätterte er träge die vergilbten Seiten mit
den kabbalistischen Zeichen durch.
Interessant. Einige Figuren erinnerten an logische
Strukturbezeichnungen.
Wer weiß, vielleicht ist dieses ganze Abrakadabra nichts als eine
Chiffrierung irgendwelcher logischer Begriffe, dachte er.
In der Vorrichtung über der Liege ertönte ein lautes Schmatzen. Ein
grünes Lämpchen glühte auf und erlosch. Rongs Gedanke schien der
Maschine zu munden.
Hast’s gefressen? Na, dann wollen wir mal weiterdenken. Aber woran?
Ganz egal, nur denken!
Rong warf das Buch in die Ecke, goß sich aus einer Flasche vom
Tisch ein Glas von der aromatischen Flüssigkeit ein und kippte es
hinunter.
Denke!
»Sie interessieren sich, wie unsere Kuh ihr Futter wiederkäut?«
Rong drehte sich um. Neben ihm stand ein fetter Kerl in zerdrücktem Anzug, das Gesicht mit grauen Bartstoppeln bedeckt. Aus seinem Mund kam zusammen mit asthmatischem Röchelatem eine Schnapsfahne.
»Ja, wirklich.«
»Wenn man denkt«, Rongs Gesprächspartner schlug mit der Faust gegen
die durchsichtige Trennwand, »wenn man denkt, daß ich fünfzehn
Jahre meines Lebens für den Bau dieses Viehs geopfert
habe!«
»Sie sind der Konstrukteur?« fragte Rong.
»Nun, nicht ich allein, aber vieles von dem, was Sie hier sehen,
ist Jan Doriks Werk.«
Dieser Name war Rong nicht unbekannt. Dorik war ein glänzender
Kybernetiker und früher einer der populärsten Männer in Donomag.
Seine Arbeiten waren schon immer von Geheimnissen umwoben gewesen.
Während des Krieges hatte General Dorik an der Spitze des
Braintrusts gestanden, dem Wissenschaftler der verschiedensten
Fachrichtungen angehörten. Aber seit etwa fünf Jahren war es still
um ihn geworden.
Rong blickte ihn neugierig an.
»Dann stellen Sie also das Programm auf?« fragte er.
»Das Programm!« Doriks Gesicht überzog sich mit roten Flecken.
»Verdammt noch mal! Ich bin hier genauso ein kleines Kaninchen wie
Sie. Keiner von denen, die hier arbeiten, hat auch nur die leiseste
Vorstellung vom Problem. Dazu ist man zu vorsichtig.«
»Wer ist ›man‹?«
»Die, die uns bezahlen.«
»Latiani?«
»Latiani ist ein Bauer, eine vorgeschobene Figur. Bestimmt kennt
auch er die eigentlichen Chefs nicht.«
»Warum wird denn alles so – geheimgehalten?«
Dorik zuckte die Achseln. »Das hängt wohl mit der Art des Problems
zusammen.«
»Und was machen Sie hier?« fragte Rong.
»Seit heute nichts mehr. Ich bin entlassen worden, wegen mangelnder
Einbildungskraft. Ich habe zuwenig Phantasie.«
Wieder schlug Dorik mit der Faust gegen die Trennwand.
»Sehen Sie? Da ist er, der Parasit, der sich von unsern
Gehirnsäften ernährt. Ein arrogantes, gemütsarmes Vieh! Was
bedeuten schon wir Ameisen gegen das Ekel, das hinter diesem
durchsichtigen Panzer versteckt ist! Obendrein ist es
unsterblich!«
»Na wissen Sie«, sagte Rong, »jede Maschine hat doch…«
»Schauen Sie!« Dorik zeigte mit dem Finger. »Sehen Sie die
Schildkröten dort?«
Rongs Blick folgte dem ausgestreckten Zeigefinger. In dem Gewirr
von Leuchtbirnen, Kondensatoren und Widerständen bewegten sich zwei
kleine Apparate, die wie Panzer aussahen.
»Ja, ich sehe.«
»Sämtliche Systeme der Maschine existieren doppelt. Wenn in einem
von ihnen irgendein Element ausfällt, schaltet sich automatisch das
Reservesystem ein. Die Schildkröte, die sich in der Nähe der
Havariestelle befindet, baut das defekte Teil aus und setzt ein
neues ein; die Ersatzteile holt sie aus den Speichern, die über die
ganze Maschine verstreut sind. Toll, was?«
»Interessant.«
»Das ist meine Erfindung«, sagte Dorik stolz. »Absolute Sicherheit
des ganzen Systems. Na, machen Sie’s gut! Schließlich dürfen Sie
gar nicht mit mir reden. Wenn Latiani davon erfährt, gibt es
Unannehmlichkeiten. Wissen Sie was?« Er senkte die Stimme bis zum
Flüstern. »Ich rate Ihnen: Machen Sie sich schleunigst aus dem
Staube! Glauben Sie meiner Erfahrung, das kann kein gutes Ende
nehmen.«
Dorik zog ein kariertes Schnupftuch aus der Tasche, stieß einen
Trompetenton hinein und schritt winkend dem Ausgang zu.
Denk nicht an Dorik, denk nicht an Kirby, denk nicht an Latiani, denk nur an wissenschaftliche Probleme. Je kühner die Annahmen, desto besser. Denke, denke, denke. Denk nicht an Dorik… Rong blickte auf die Uhr: Gott sei Dank! Der Arbeitstag war zu Ende, er konnte nach Hause gehen.
Als er schon kurz vor dem Ausgang war, wurde plötzlich eine Tür aufgerissen, und eine junge Frau kam taumelig in den Korridor.
»Noda, du?«
»Ah, Dan! Du bist also auch hier?«
»Was machst du denn hier?« fragte Rong. »Arbeitest du
nicht mehr an der Universität?«
»Das ist eine lange Geschichte, Dan. Noda Storn existiert
nicht mehr. Es gibt nur noch die Chrysantheme, und die
dient
der Maschine als Mathematikerin. Die Schönheit, der Stolz
des Problems.« Sie grinste schief.
Erst jetzt fiel Rong auf, daß ihr Gesicht leichenblaß
aussah
und ihre Pupillen unnatürlich erweitert waren.
»Was hast du, Noda?«
»Nichts weiter! Das kommt vom Heroin. In der letzten
Woche hab’ ich zuviel davon genommen. Aber ich hab’ auch
was geliefert dafür! Eine Phantasmagorie im
sechsdimensionalen Raum. Huch, mir ist schwindlig!« Sie
wankte und hielt sich an Rongs Schulter fest.
»Komm«, sagte er und nahm sie am Arm. »Ich bringe dich
nach Hause. Du bist krank.«
»Ich will nicht nach Hause. Dort… Hörst du, Dan, hast du
auch manchmal Halluzinationen?«
»Vorläufig noch nicht.«
»Aber ich habe welche. Bestimmt vom Heroin.«
»Du mußt sofort ins Bett.«
»Ich will nicht ins Bett. Ich habe Hunger. Schließlich
habe
ich drei Tage nichts… Bring mich irgendwohin, wo man was
essen kann. Hauptsache, da sind Menschen und – Musik.« Noda aß
angewidert ein paar Löffel Suppe und schob dann
den Teller zurück.
»Ich kann nicht mehr. Hör mal, Dan, wie bist du denn
dorthin geraten?«
»Eigentlich ganz zufällig. Und du, bist du schon lange da?« »Ja,
schon über sechs Monate.«
»Aber warum? Deine Stellung an der Universität…« »Oh, Dan! Das hat
schon vor langer Zeit angefangen, als ich
noch studierte. Erinnerst du dich an unsere geselligen
Abende? Aus kindischer Bravour nahmen wir Rauschgift. So
bin ich da hineingeraten. Die wissen doch alles, haben
mich
wahrscheinlich beobachten lassen. Dann boten sie mir die
Stellung an. Die Bezahlung ist nobel, und Heroin gibt’s
soviel man will. Früher hab’ ich nicht kapiert, was da vor
sich
geht, aber jetzt fange ich an dahinterzukommen…« »Du meinst das
Problem? Weißt du etwas darüber?« »Sehr wenig, aber du weißt doch,
daß ich Analytikerin bin.
Nachdem ich mißtrauisch geworden war, habe ich ein System
von Determinanten ausgearbeitet. Ich habe angefangen,
alles,
was die Maschine interessiert, zu systematisieren, und da…« Sie
hielt die Hände vors Gesicht.
»Ach, Dan, das ist alles so furchtbar! Und das
Schlimmste,
du und ich, wir sind völlig hilflos. Niemand kennt das
Programm der Maschine, obendrein sind gut ein Drittel der
Alkoholiker und Rauschgiftsüchtigen, die dort arbeiten,
ehemalige Militärs. Kannst du dir vorstellen, wozu die
fähig
sind?«
»Du meinst, das Problem hat mit einer neuen Waffe zu
tun?« fragte Rong. »Aber warum haben die dann mich
hinzugezogen? Ich bin Biochemiker.«
Noda brach in hysterisches Gelächter aus.
»Du bist ein Kindskopf, Dan! Die suchen nach neuen Ideen,
hauptsächlich in den Grenzbereichen der verschiedenen
Wissenschaften. Alles, was die Menschheit seit Urzeiten
irgendwann einmal gewußt hat, wird abgeklopft, verglichen
und analysiert.« Sie senkte die Stimme. »Du weißt, es gibt
in
der Geometrie imaginäre Größen. Noch nie hat jemand über ihren
physikalischen Sinn nachgedacht. Aber wenn ein Mensch… Na ja, wenn
er Heroin genommen hat, geistert ihm mancher Irrsinn durch den
Kopf. Ja, und was ich hierzu gedacht habe, hat die Maschine restlos
gefressen. Ist dir nicht aufgefallen, daß selbst bei den
unwahrscheinlichsten
Aufnahmen die Lampe über dir aufleuchtet?«
Rong überlegte.
»Das mag stimmen. Einmal, kurz vor Arbeitsschluß, war
ich sehr abgespannt und fühlte mich schlecht, da kam mir
der
verrückte Gedanke: Wenn das Blut außer Hämoglobin auch
noch Chlorophyll enthielte und die Haut durchsichtig
wäre,
könnte sich der Gasaustausch im Organismus in
geschlossenem Zyklus vollziehen.«
»Na und?« Noda beugte sich zu Rong hinüber. »Wie hat sie
darauf reagiert?«
»Sie hat geschmatzt wie ein Schwein am Futtertrog.« »Da hast du’s!
Ich war sicher, da mußte etwas in dieser Art
sein!«
»Ich weiß nicht«, sagte Rong nachdenklich, »das ist alles
sehr sonderbar, aber ich kann mir nicht denken, daß auf
der
Basis solcher Vorstellungen irgendeine Waffe…«
»Vielleicht ist es keine Waffe«, fiel ihm Noda ins Wort,
»aber wenn mein Verdacht stimmt, will sich da ein
Häufchen
Besessener Mittel zur Versklavung anderer verschaffen,
gegen die selbst die finstersten Zeiten der Geschichte
von
Donomag ein Kinderspiel sind. Es kommt doch nicht von
ungefähr, daß die keinerlei Gelder scheuen und vor nichts
haltmachen, um die Wissenschaftler zu kriegen, die sie
brauchen.«
»Aber was können wir tun, Noda?«
»Ich brauche noch zwei Tage, um meine Hypothese zu
überprüfen. Wenn sich alles bestätigt, müssen wir uns an
die
Öffentlichkeit wenden. Vielleicht an die Zeitungen…« »Aber wer wird
uns glauben?«
»Dann müssen wir eben die Maschine zerstören«, sagte sie
und erhob sich. »Und jetzt bring mich nach Hause, Dan.
Ich
muß vor dem morgigen Kampf ausschlafen.«
Zwei Tage vergingen. Rong konnte sich nicht mit Noda verständigen. Ihre Tür war stets von innen verschlossen, und auf sein Klopfen erfolgte keine Antwort.
Rong wurde sorgenvolle Vorahnung nicht los. Was ihn schon die ganze Zeit unbewußt beunruhigt hatte, war nach dem Gespräch mit Noda zur Gewißheit geworden. Er zweifelte nicht mehr daran, daß sich hinter dem geheimnisvollen Problem ein bösartiger Sinn verbarg, denn sonst hätte es nicht die isolierten Kabinette mit den chiffrierten Bezeichnungen ihrer Insassen gegeben, und man hätte die Maschine nicht mit solcher Sorgfalt gegen äußere Einwirkungen abgeschirmt.
Vergeblich wartete er am Ausgang auf Noda. Entweder hatte sie ihr Kabinett schon verlassen, oder Latiani hatte Lunte gerochen und Gegenmaßnahmen ergriffen.
Es war schon kurz vor drei, als plötzlich der
durchdringende Schrei einer Frau an sein Ohr drang.
Er stürmte in den Korridor und erblickte zwei vierschrötige Kerle
in weißen Kitteln, die Noda wegschleppten. Rong stürzte
hinterher.
»Sie wollen mich wegbringen«, schrie Noda, »bestimmt haben
sie…«
Ihre Worte erstickten in einer riesigen Pranke, die ihr den Mund
verschloß. Rong packte einen der Kerle am Kragen.
»Verpaß ihm eine, Mike«, brüllte der und drehte den Hals, »die sind
ja hier alle verrückt!«
Rong spürte einen dumpfen Schmerz in der Schläfe. Vor seinen Augen
rotierten glühende Kreise…
»Wo ist Latiani?«
»Vor einer halben Stunde weggefahren. Heute kommt er
nicht mehr her.«
Rong riß die Tür auf. Das Kabinett war leer.
»Wo habt ihr Noda Storn hingebracht?«
Die Sekretärin sah ihn verwundert an. »Entschuldigen Sie,
Doktor Rong, aber ich verstehe nicht…«
»Stellen Sie sich nicht dumm! Wo habt ihr Noda Storn
hingebracht, frage ich!«
»Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat Herr Latiani…« Rong
drohte ihr mit der Faust. »Na wartet, ich komm’ euch
schon auf die Schliche!«
Mit dem Fuß stieß er einen Stuhl beiseite und ging hinunter. Er
mußte einen Entschluß fassen.
Es bestand kein Zweifel – Noda war aus dem Wege geräumt
worden, weil sie dem Geheimnis dieser Verbrecherbande auf
der Spur gewesen war. Nichts ist einfacher, als eine
Frau,
deren Nervensystem durch ständigen Rauschgiftgenuß
zerrüttet ist, für geistesgestört zu erklären. Was Noda
auch
sagte, alles ließ sich als Geschwätz einer Irren
auslegen.
Schließlich vermochte sie keinerlei Beweise zu bringen. In die
Kissen gelehnt, versuchte Rong die Gedanken in
seinem Kopf zu ordnen, der von dem Schlag noch immer
schmerzte.
Noda zu finden würde höchst schwierig sein. Sicherlich
hatte man sie unter falschem Namen in einer
psychiatrischen
Klinik untergebracht. Aber selbst wenn es nicht so war,
so
gaben medizinische Institutionen dieser Art nur sehr
ungern
Auskunft über ihre Patienten. Wer war er auch, daß er solche
Auskünfte fordern konnte? Soviel er wußte, hatte Noda keine
Angehörigen. Er konnte ganz Donomag durchsuchen, ohne
auch nur das geringste zu erreichen.
Aber was sollte er tun, wenn er Noda nicht fand? Noch arbeitete die
Maschine, brachte das Problem mit
jedem Tag seiner schrecklichen Lösung näher. Verdammt!
Wenn er den durchsichtigen Panzer durchdringen könnte! Rong dachte
an die beiden Schildkröten, auf die Dorik ihn
aufmerksam gemacht hatte. Selbst wenn es ihm durch ein
Wunder gelang, eine Funktionsstörung herbeizuführen,
würden die beiden Schildkröten diese sofort beseitigen.
Sie
brauchten ja nur ein Signal… Stopp: Das war vielleicht
ein
Gedanke!
Vom angespannten Grübeln bedeckte sich Rongs Stirn mit
Schweißtröpfchen.
Wenn die Schildkröte das Signal erhält, daß ein Element
ausgefallen ist, muß sie sofort zur Havariestelle gehen
und
das defekte Teil auswechseln. Wenn man es einrichten
könnte, daß das Ausbleiben des Signals sie dazu brächte,
ein
intaktes Teil durch ein defektes zu ersetzen? Aber wie?
Vielleicht mußte man irgendwo in dem Schema einen
Eingangskontakt, auf Ausgang schalten. Wenn man die
Signalrichtung änderte, würde sich das
Selbstschutzprogramm der Maschine in Selbstmorddrang
verwandeln.
Über Rong knackte es, das grüne Signal leuchtete auf. Aha! Also
weiter! Wie komme ich durch die Panzerwand,
um die Kontakte umzuschalten? Ich nicht, die beiden
Schildkröten müßten es tun. Hurra! Tüchtig, Rong! Ein
Glück, daß es zwei sind! Sollen sie sich gegenseitig die
Anschlüsse umschalten!
Die zahlreichen Relais über ihm knackten pausenlos. Das
Lämpchen leuchtete grün. Die Maschine interessierte sich sichtlich
für diese Idee. Aber noch war nicht zu erkennen, ob
sie praktische Schlüsse daraus zog.
Rong trat hinaus auf den Korridor. Die Schildkröten waren
stehengeblieben und starrten einander mit roten Augen an.
Rong preßte sich an die Trennwand, sein Herz hämmerte. Ein paar
Minuten vergingen, da begann die eine Schildkröte
die andere mit dünnen Spinnenbeinen abzutasten. Mit einer
blitzschnellen Bewegung riß sie ihr den Deckel ab… Alle Zweifel
waren geschwunden. Die beiden Schildkröten
bewegten sich wieder längs der Maschine, nahmen
zahlreiche
Kondensatoren und Widerstände heraus. Nach der
Schnelligkeit zu urteilen, mit der sie ihre Arbeit
verrichteten,
würde in wenigen Stunden alles zu Ende sein. Rong
grinste.
Ihm blieb hier nichts mehr zu tun.
Am nächsten Morgen eilte er in Latianis
Kabinett. »Ah, Doktor Rong!« Ein spöttisches Lächeln spielte
um
Latianis Lippen. »Ich darf Ihnen gratulieren. Mit Wirkung
von heute wird Ihr Gehalt um fünfhundert Soles erhöht.
Ihre
Idee mit den Schildkröten hat es uns ermöglicht, die
Maschine noch unverletzlicher zu machen. Ich wundere
mich, daß wir die Möglichkeit einer solchen Sabotage
nicht
vorausgesehen haben.«
Rong packte ihn an der Kehle, »‘raus mit der Sprache: Wo
habt ihr Noda Storn hingebracht?«
»Ruhig, Rong!« Latiani versetzte ihm einen heftigen Stoß,
der ihn in einen Sessel warf. »Ihrer Noda ist nichts
passiert.
Sie wird sich eine Woche lang von ihrer Hysterie erholen
und
dann wiederkommen. Das war schon ein paarmal so. Wir
werden sie mit Vergnügen weiterbeschäftigen, obwohl die
Vorarbeiten jetzt beendet sind. Heute noch nimmt die
Maschine die Produktion auf – tausend Science-fictionstories pro
Jahr. In dieses Geschäft haben wir mehr als
hundert Millionen Soles investiert, und Sie Esel hätten
uns
beinah alles verpatzt. Ein Glück, daß der von Dorik
eingebaute Schutzmechanismus rechtzeitig den Strom
ausgeschaltet hat. Nichts gegen zu sagen, einen tüchtigen
Mitarbeiter hat uns Kirby geschickt! Aber er ist ja auch
einer
der Hauptaktionäre unserer Firma!«
Siegbert G. Günzel
Nichts als Ärger mit dem Personal
Das waren Alecs schönste Stunden. Nach einem anstrengenden Sechsstundentag saß er in seinem altmodischen, aber bequemen Sessel und sah sich eine Stereovisionssendung an, umwogt von den verschiedenartigsten Gerüchen, die der Duftkompositor ausspie. Die Sendung hatte eine einschläfernde Wirkung und bot ihm somit genau das, was er sich vom Feierabend erhoffte.
Alec zog ein Lederetui aus der Tasche, entnahm eine Zigarre, beschnupperte sie liebevoll und zündete sie schließlich an. Dann ließ er sich zurücksinken und verfolgte müde blinzelnd die Handlung auf der Mattscheibe.
Seine Frau riß ihn aus rosigen Träumen. »Worleys haben schon wieder einen neuen Roboter«, sagte sie und streifte Alec mit einem erwartungsvollen Blick. »Du scheinst überhaupt nicht zu merken, wie lächerlich wir uns mit dem schäbigen Kerl machen.« Beth deutete auf den in der Ecke stehenden John.
»Etwas mehr Takt!« zischte Alec. Die Anwesenheit des Robots machte ihn verlegen. »Kein Mensch hat heutzutage noch einen Robotangestellten aus Metall«, sagte Elisabeth schrill. »Er besitzt überhaupt keine Erziehung! Erinnere dich, wie er Lady Wimbledon beim Servieren das Eßbesteck auf den Teller warf.«
»Bei John wird ein Widerstand durchgebrannt sein«, murmelte Alec, bemüht, seiner zunehmenden Unsicherheit Herr zu werden.
»Sie bekam beinahe einen Herzanfall.«
»Lady Wimbledon hat mindestens fünfmal
wöchentlich ihren Herzanfall.«
»Du machst mich in der Gesellschaft unmöglich. Man munkelt schon,
du wärst am Rande des Bankrotts!« Ein Schluchzen erstickte
Elisabeths Stimme.
»Das ist doch völliger Blödsinn! Ich und bankrott! Nur weil ich mir
keinen anderen Robot anschaffe – idiotisch! Ich bestelle morgen
einen Mechaniker für John.«
»Wenn du einen bekommst! Wer will schon dieses antiquierte Stück
reparieren? Widersprich mir nicht! Er ist antiquiert. Sinn für Konventionen – schön und
gut, aber das geht zu weit… Neulich
habe ich mir eine Serie angesehen, Kybernetik in höchster Potenz,
sage ich dir! Es sind originalgetreue Kopien von Schauspielern,
Politikern, Sängern. Und gar nicht mal teuer. Zwischen achthundert
und tausend Pfund…«
»Tausend…« Alec versagte die Stimme.
»Dafür haben sie aber auch eine Menge Vorzüge«, sagte Beth
schwärmerisch. »Erstens das natürliche Aussehen – sie wirken echter
als die Originale –, zweitens die angenehme Stimme… die
Sängerduplikate können sogar singen! Außerdem sind sie gegenüber
John viel perfektionierter. Steht in den Prospekten. Auf allen
Gebieten!«
Alec sehnte sich nach Frieden, doch bevor er nicht einen singenden
Roboter anschaffte, würde er keinen ruhigen Abend haben. Er kannte
seine Frau. Oh, und das viele schwerverdiente Geld!
»Gib doch John in Zahlung«, sagte Beth und lächelte ihn unschuldig
an, »dann brauchst du nur noch siebenhundertfünfzig
Pfund!«
»Das kannst du nicht von mir verlangen!« ächzte Alec. Er fühlte,
wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Im Laufe der Jahre hatte
er sich an den alten Robot gewöhnt. Eine Trennung wäre ihm
schwergefallen.
»Meinetwegen behalt ihn. Mir geht’s nur darum, daß ich meinen Steve
Lesley bekomme.«
»Ausgerechnet diesen Schnulzensänger?«
»Mäßige dich, Alec! Wenn du schon nichts von Kunst verstehst,
solltest du es wenigstens nicht so offen zeigen. Ich finde ihn
bezaubernd. Das dürfte dir genügen!«
»Liebling, ich will dir gern jeden Wunsch erfüllen, aber ich kann
diesen Schnul… diesen Menschen einfach nicht ausstehen.«
»Du wirst ihn mir kaufen. Wenn nicht, findest du John morgen nicht
mehr in der Wohnung vor. Ist das klar?«
Verwunderung nahm Besitz von Alec, Verwunderung über die Tatsache,
daß er diese Frau geheiratet hatte. Resigniert gab er seine
Zustimmung.
»John, ab sofort stehst du nur noch mir zur Verfügung. Meine Frau will einen modernen Roboter, einen, der singt! Was hältst du davon?«
John hätte sicherlich die Nase gerümpft, wäre sein Gesicht nicht aus Chromstahl gewesen. Er begnügte sich daher mit einem verächtlichen Unterton in der Membranstimme, als er schnarrte: »Pah, die heutigen Roboter! Die Außenhülle ist luxuriös, aber für Roboter völlig unzweckmäßig. Und wenn man tiefer blickt, sind da keinerlei innere Werte. Allein die Verdrahtung…« Der Robot hüstelte, was wohl einem »Tz, tz, tz« ähneln sollte. Nach einer Pause kam düster und etwas unpassend: »Der Rest ist Schweigen…« John hatte erst vor kurzem mehrere Bände Shakespeare gelesen.
In dem alten John hatte Alec einen Verbündeten gefunden. Etwas gefaßter blickte er den Ereignissen entgegen, die unaufhaltsam näher rückten.
Und dann kam er, singend, forsch, vital. Er sah dem Sänger Steve Lesley verblüffend ähnlich. Vor Elisabeth machte er eine tiefe Verbeugung, und sie empfand es als wohltuend, daß seine Gelenke nicht quietschten. Alec begrüßte er kühler, seinen Ahnherrn John würdigte er keines Blickes.
»Die Robot Works Ltd. lassen Ihnen die besten Empfehlungen übermitteln«, flötete er. »Gestatten Sie, daß ich Ihnen zur Begrüßung ein kleines Ständchen bringe.« Und mit schmelzender Stimme begann er: »I love you o ho so so…«
Beth lauschte in stiller Verzückung.
Alec kämpfte mit dem unbestimmten Gefühl, einer seiner Schuhe wolle
sich selbständig machen. John stieß einen undefinierbaren Laut
aus.
In der Zukunft zeigte es sich, daß der synthetische Lesley dem
echten in bezug auf den Gesang nicht nachstand, im Gegenteil. Sang
der menschliche Steve Lesley hoch, so sang der synthetische höher,
tirilierte jener zart und schmelzend, so konnte dieser es mit einer
Nachtigall aufnehmen. Beth vergoß täglich mehrmals Tränen der
Rührung. Sie verwöhnte »ihren« Steve nach allen Regeln der Kunst
und ließ jede Woche einen Biomechaniker der Robot Works Ltd.
kommen, der die Eingeweide des Lieblings reinigte und ölte. Der
alte treue John stapfte weiterhin knarrend und quietschend durch
die Räume und hatte die grobe Hausarbeit ganz allein auf dem
Halse.
Nicht genug, daß Steves Liebeslieder Alecs Nerven unendlich
strapazierten, nein, der Bursche begann nach kurzer Zeit der
Eingewöhnung auch noch, seinen Herrn zu tyrannisieren. Eines Abends
– Alec hatte es sich wieder einmal im Sessel bequem gemacht – trat
Steve, Tonleitern trällernd, ins Zimmer.
»Es gilt als unschicklich, die Beine auf den Tisch zu legen, Sir!«
näselte er. Alec verschlug es die Sprache. Natürlich hatte
Elisabeth die Hand im Spiel. Sie hatte nichts Eiligeres zu tun
gehabt, als den Robot mit einem deutschen Lehrbuch für Höflichkeit
und gute Sitte zu füttern, um Alec Manieren beizubringen.
»Ich bin Brite und kümmere mich einen Deubel um ausländische
Gepflogenheiten. Im übrigen verbiete ich dir, mir Vorschriften zu
machen! Verstanden?«
»Gewiß, Sir. Indessen erkennen selbst Briten mit niedrigem
IQ* heute an, daß einige Bräuche des
Kontinents für Untertanen Ihrer Königlichen Majestät akzeptabel
sind, Sir.«
Wie der Kerl das »Sir« aussprach! An diesem Abend faßte Alec den
Vorsatz: der Roboter muß aus dem Haus, und wenn es ein Vermögen
kosten sollte. Er nahm sein Herz in beide Hände, ging an die Tür
und rief mit freundlicher Stimme: »Beth!«
»Ja, was ist?«
»Hast du einen Augenblick Zeit?«
»Tut mir leid, Alec, ich muß mich umziehen. Wir gehen heute in die
Oper.«
Alec war überrascht. »Davon hast du mir ja gar nichts gesagt. Na,
freut mich. Was sehen wir uns denn an?«
* Intelligenzqotient
»Du willst mit? Das geht nicht, ich habe nur zwei Karten. Steve begleitet mich. Es wird bestimmt ein wundervoller Abend.«
Alec schluckte.
»Davon bin ich überzeugt. Aber – hast du auch was Hübsches
anzuziehen? Ich habe kürzlich einen Nerzmantel gesehen, der dir
sicher gefallen würde.«
Wie der Blitz war Elisabeth im Zimmer. »Ein Nerzmantel?« Ihre Augen
wurden immer größer.
»Probier ihn mal an. Wenn du ihn magst, kauf ich ihn
dir.«
»Ach, Darling, du bist wunderbar! Ein Nerzmantel! Der Traum meines
Lebens!«
»Es ist nur so… da ist noch eine winzige Schwierigkeit…«
Mißtrauisch musterte sie ihn.
»Ja-a… Weißt du, ich habe nicht ganz soviel Geld. Es würde aber
reichen, wenn wir Steve zurückgäben… äh… ich meine,
dann…«
»Dachte ich mir’s doch, daß hinter deinem großzügigen Angebot eine
Gaunerei steckt. Zum letzten Male: Steve
bleibt hier! Und wenn du dich auf den Kopf
stellst.«
»Aber Beth! Laß uns doch vernünftig über die Sache reden. Ich
kann’s einfach nicht mehr mit ansehen, wie er mich von meinem Platz
als Ehemann verdrängt.« Alec schluckte mehrmals mühsam. »Ich komme
mir ja vor wie ein… ein…«
»Hampelmann!« half Beth nach. »Nun, vielleicht bist du einer. –
Steve, komm! Es wird Zeit für uns. Ich möchte die Ouvertüre nicht
versäumen.« Elisabeth rauschte, das Haupt erhoben, aus dem
Raum.
»Du, ich werd’ dir zeigen, ob ich ein Hampelmann bin oder nicht!«
rief er ihr wütend hinterher. Dann sank er in sich
zusammen.
Was Alec befürchtet hatte, traf ein. Zwischen den Robotern kam es
zum Streit.
John kennzeichnete, obwohl ihm kein höherentwickeltes
Kunstempfinden einprogrammiert war, Steve Lesleys Gesang als eine
Belastung, die dem normal entwickelten menschlichen Gehör nicht
zuzumuten ist. Mit seiner monotonen Stimme machte er Lesley auf die
angeschlagenen Nerven seines Herrn aufmerksam.
»Sie haben wohl eine kalte Lötstelle, wie? Ich werde mich bei Madam
über Sie beschweren. Ausschußfabrikat!«
John schlug es mehrere Sicherungen durch. Den ganzen Tag murmelte
er vor sich hin: »Kalte Lötstelle… Ausschußfabrikat…«
Es mußte etwas geschehen. Das Maß war voll. Entweder der
sangessüchtige Roboter strich die Segel, oder Alec würde John am
metallenen Arm nehmen und mit ihm auf und davon gehen.
John brachte ihn auf eine geniale Idee. Wie an jedem Morgen
informierte der Robot seinen Herrn über die wichtigsten
Pressemeldungen. Selbst Zeitung zu lesen war Alec zu zeitraubend.
Time is money.
»›The Times‹, Seite 1: Streik in Birmingham durch Roboter gebrochen
– Gewerkschaft fordert Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmer vor
Bedrohung durch Roboterkonkurrenz. Sprecher des Unterhauses
erklärt: Kurzsichtige Wirtschaftspolitik häuft sozialen
Konfliktstoff an…«
Alec bedeutete John, diesen Punkt zu übergehen. Seit Wochen
schienen die Zeitungsschreiber keinen anderen Gesprächsstoff zu
kennen als streikbrechende Robots. John fuhr mit der Zeitungsschau
fort: »Sensationelle Neuheit! Robot Works Ltd.
bieten an: weibliche Robotstars, der Schlager des Jahres! Sie
wählen unter hundertsechzig Typen, von Halory McLean bis Liz Ryan!
Unsere Vertreter besuchen Sie gern. Anruf
ausreichend!«
Alec sprang auf. Annähernd mit Schallgeschwindigkeit erreichte er
das Telefon. Das war’s! Schlangenbisse behandelt man mit
Schlangengift.
Den ganzen Tag trug er ein sonniges Lächeln zur Schau. Selbst als
der servierende Steve beim Dinner die Bemerkung machte, daß man im
Ausland Kartoffeln, auch wenn es sich um synthetische handelt,
nicht schneidet, sondern mit der Gabel zerteilt, schwand das
Lächeln nicht. Mit einen höflichen Neigen des Kopfes dankte er dem
Roboter für die Belehrung.
Am nächsten Morgen betrat eine üppige, rotblonde junge Dame das Haus. Modell Gloria Chapman in Luxusausführung, sogar mit Nabel, wie der Verkäufer glaubwürdig versichert hatte. Unruhig bemerkte Alec, daß ihr Anblick ihn nicht kaltließ. Nur der Gedanke an ihre unnatürliche Herkunft bewahrte ihn vor Handlungen, die sich für einen Mann seines Alters und seiner Stellung nicht geziemten.
Gloria war einfach ideal, sie hatte für ihn stets einen freundlichen Blick, der ihn tausendfach für das mürrische Gesicht seiner Gattin entschädigte. Sie begleitete ihn auf seinen Spaziergängen durch die City, holte ihn im Wagen von der Firma ab und aus dem Club; während der Konferenzen wich sie nicht von seiner Seite, kurz, sie war immer für ihn da. Alec hatte sich auf einen langen stummen Ehekampf eingestellt. Und als dieser nun eintrat, bemerkte er staunend, daß er ihm von Tag zu Tag mehr Freude bereitete.
Aber Beth schaltete sich sehr bald wieder in das Geschehen ein. Sie setzte sich auf die Couch, ihm gegenüber, und bat um eine Zigarette. Während sie den Rauch inhalierte, taxierte sie Alec geringschätzig. Da saß er, verlegen, tief in den Sessel gedrückt, als erhoffte er sich von dort Schutz und Hilfe. Sie sah seine Unbeholfenheit, die sie früher an ihm gemocht hatte. Etwas wie Mitleid kroch in ihr hoch und versuchte sich durchzusetzen. Doch brüsk verdrängte sie das aufkeimende Gefühl.
»Ich habe mit dir zu reden«, sagte Elisabeth
schließlich. »Ja, bitte?«
»Du weißt, es geht um deine Gloria… Oh, du mußt nicht
denken, daß es mir etwas ausmacht, überhaupt nichts. Aber ich denke an unser Prestige. Einer muß sich ja darum kümmern. Ja, ja, mein lieber Alec, unser Ansehen hat sehr gelitten.« Bekümmert senkte Elisabeth den Kopf. »Was gedenkst du zu tun?«
Alec straffte sich. Seine Stimme klang rauh.
»Ich werde Gloria zurückgeben…«
»Ich wußte, daß ich mich letzten Endes auf dich verlassen
kann.«
»M-Moment! Du hast mich nicht ausreden lassen.« Alec kam ins
Schwitzen. Er fuhr sich mit dem Handrücken über das rotglühende
Gesicht. »Ich gebe Gloria zurück, wenn du…«
Elisabeth schoß von der Couch hoch. »Bist du verrückt?«
»Ich bin der Herr im Haus, und ich
befehle es dir. Bedingungslos!« Er räusperte sich. »Du bekommst
auch einen Nerzmantel«, sagte er schwach. Er hob den Kopf und
blickte sie flehend an. »Und ein neues Abendkleid.«
Sie lächelte. »Gut, ich will nicht so sein«, sagte sie. »Man muß
auch mal nachgeben können. Ich könnte übrigens auch eine hübsche
Kette gebrauchen.«
In Alecs Kopf wirbelte es. Er hatte es geschafft! Ich bin ein Mann,
dachte er. Ich bin ein Mann. Ja!
Ich bin ein Mann!
So blieb Gloria trotz ihrer unvergleichlichen Tugenden nicht länger
als acht Tage bei Alec. Am nächsten Morgen verließ sie, lange vor
Ablauf der Probezeit, das Haus, begleitet von einer Sängerimitation
namens Steve Lesley. Etwas wehmütig blickte das Ehepaar den beiden
Robotern hinterher.
Seitdem versieht der alte John, mit quietschenden Gelenken, wieder
allein die Wirtschaft, zur Freude seines Herrn, geduldet von der
Dame des Hauses.