Fünftes Buch
SCHWEDEN
ÜBER DIE Wogen der graugrünen Ostsee kam die starke Flotte der Schweden windgetrieben her, Koggen Gallionen Korvetten. Bei Kalmar unter Öland, bei Västervik, Norrköping, Söderköping hatten sie die gezimmerten Brüste und Bäuche auf das kühle Wasser gelegt, schwammen daher. Die bunten langen Wimpel sirrten an den Seilen und Gestängen. Voran das Admiralsschiff Merkur mit zweiunddreißig Kanonen, dann Västervik mit sechsundzwanzig, Pelikan und Apollo mit zwanzig, Andromeda mit achtzehn; dreizehn auf Regenbogen, zwölf auf Storch und Delphin, zehn auf Papagei, acht auf dem Schwarzen Hund. Der Wind arbeitete an der Takelung, die Segel drückte er ein, die breiträumigen Schiffe bogen aus, stießen vor, glitten wie Wasser über Wasser. Dann griff der wehende Drang oben an, sie beugten sich vor, schnitten, rissen schräg wirre sprühende Schaumbahnen in die glatte fließende Fläche, stellten sich tänzelnd wieder auf. Die Tausende Mann, die Tausende Pferde auf den Planken. Das Meer lag versunken unter ihnen. Die Schiffe rannten herüber aus Älvsnabben, dem weiten Sammelplatz, nach einem anderen Land. Da stand die flache deutsche Küste. Wie Urtiere rollten torkelten watschelten die brusthebenden geschwollenen Segler, tauchten, hoben sich rahenschlagend aus dem herabrieselnden Wasser. Als die flachen Boote, die Kutter Briggen Schoner, vorm Ufer anschwirrten, erschien der weiße Strand. Triumphierend leuchteten die nassen bemalten Gallionen und Koggen. Auf den stillen verlassenen Strand stiegen Menschen nach Menschen, fremdländische Rufe. Drohend schlugen von den Schiffskastellen Kanonensalven über das Land.
Die Männer aus Svealand und Götaland, von Söderhamn Örebro Falun Eskilstuna, Fischer Meerfahrer Bergmänner Akkerer Schmiede, die starkbeinigen kleinen Menschen aus dem seenreichen Finnland, die noch mit den Bären und Füchsen zu kämpfen hatten, in Waffen geübt, schwärmten in Eisen und Stahl, Pferde Wagen und Kanonen führend, über die wehrlose Insel. Hinter ihnen kleine schwarzhaarige scheue Männer, behende Lappen, mit Pferden Pfeil und Bogen. Sie führten Faschinen Körbe, schleppten Brot und Bier.
Sie liefen Schloß Wolgast an; überschwemmten es im Nu. Die Oder floß breit und ruhig in die Ostsee; an ihr lag die Stadt des Pommernherzogs Bogislaw, Stettin. Er hatte jahrelang die Aussaugung und Bedrückung der friedländischen Truppen erduldet, war an die Kurfürsten gegangen, an den Kaiser in Regensburg. Weißhaarig mit einer kleinen Leibwache stand er auf dem Bollwerk, zitterte trotz der Wärme in seinem silbergestickten Röckchen. Im blauen Wams mit plumpem Wehrgehenk verhandelte ein schwedischer Kapitän mit ihm in der Sonne drei Stunden. Währenddessen fuhren langsam die achtundzwanzig Kriegsschiffe näher, Merkur mit zweiunddreißig Kanonen, Västervik mit sechsundzwanzig, Apollo, Pelikan mit zwanzig, Andromeda mit achtzehn, Regenbogen mit dreizehn, Storch Delphin mit zwölf, Papagei mit zehn, Schwarzer Hund mit acht. Hinter und zwischen ihnen schwankten die riesigen Transportschiffe. Da zog sich der Herzog, den Hut lüpfend, einige Minuten in ein Zelt zurück, das man hinter ihm aufgestellt hatte, und sprach mit seinem Oberst Damitz, der Pommerns Neutralität mit den Waffen der Bürger zu verteidigen schwur. Bogislaw schüttelte ihm, Tränen in den Augen, die Hand; es sei zuviel, erst die Kaiserlichen, dann die Schweden. Ging, nachdem er sich geschneuzt hatte, gebrochen zu dem stolz wartenden Parlamentär hinaus. Nach ihrer Unterhaltung zogen sich die Kriegsschiffe zurück, ließen den Transportern Platz; Hunderte auf Hunderte Schweden bestiegen das Bollwerk; der Herzog stand noch starr vor seinem Zelt, wurde nicht beachtet. Viertausend Mann nahm Stettin auf; die Bürgerfahnen zerstreuten sich ängstlich.
Nach fünf Tagen saß der Herzog im Stettiner Schloß mit dem beleibten blonden Gustav Adolf an einem Tisch; der erklärte ihm, während er schlaff zuhörte, sie hätten gemeinsame Interessen, die sie auch schriftlich formulieren müßten; der Römische Kaiser sei ihrer beider Feind. »Es ist mein Kaiser«, sagte Bogislaw, »dem ich Treue als Reichsfürst schuldig bin.« So einigten sie sich nach Gustavs mitleidigem Lächeln; demütig unterschrieb der Herzog, daß er sich mit dem Schweden zu gemeinsamer Verteidigung gegen die Landesverderber verbünde; »unbeschadet Kaiserlicher Majestät«, das setzte der Herzog selber zärtlich hin. Die pommerschen Stände fanden sich im Schloß ein; ihre große Not erörterte der König beredt vor ihnen; er suchte ihren Zorn auf den Kaiser zu entfachen. Nach einer Konferenz mit ihrem Herzog fanden sie sich bereit, dem schwedischen Ansinnen entsprechend zweihunderttausend Taler zu zahlen und eine dreiprozentige Hafenzollabgabe zu gewähren.
Wie die Schweden aus der traurigen Stadt, in der sie eine Besatzung zurückließen, hinausritten und -marschierten, stießen sie in ein leeres Land. Die wenigen Bauern liefen erstaunt um die fremden starken Scharen, die Lappen mit den Bogen, hörten durch Dolmetscher, daß diese Männer alle über die Ostsee gekommen seien, um sie zu beschützen in ihrem Glauben und gegen die Bedrückungen der Kaiserlichen. Sie verbreiteten das Gerücht von der anschwemmenden Menschenwelle weiter, retteten ihre Pferde und Vorräte an feste verborgene Orte. Durch Vorpommern verbreiteten sich die Fremden, zehntausend Infanteristen, zweitausendfünfhundert Reiter, in völliger Einsamkeit, bei Damgarten wippten sie über die Mecklenburger Grenze. Wie rann es durch die erwartungsvolle Seele des Königs und seiner Umgebung, daß dies das Land des gigantischen böhmischen Mannes war, das wehrlos vor ihnen lag.
Das Wort ließ der König wieder schwellend aus seinem Munde los, Trommler trugen es über die Dörfer: er sei der schwedische König, ein Bekenner der lutherischen Lehre, der mit seinen Männern zu Schiff herübergekommen sei, weil er von der Not seiner Glaubensverwandten gehört hätte. Er hätte es kühnlich gewagt herüberzukommen und die Löwenhöhle zu betreten, wenn auch ihn das Untier anspringen sollte. Sie aber seien zu seiner Verwunderung vom alleinseligmachenden Glauben abgefallen und in des bösen Wallenstein Dienste getreten. Sie sollten achtgeben. Wenn sie seinem Rufe nicht nachkämen, Hab und Gut mehr achteten als ihre Seligkeit, so wolle er sie als Meineidige, Treulose, Abtrünnige, ja ärgere Feinde und Verächter Gottes als die Kaiserlichen mit Feuer und Schwert verfolgen und bestrafen.
Vor dem harten Geschrei der Eindringlinge grinsten die Leute. Das Stillschweigen und Lächeln verbreitete sich wie ein Luftraum um das marschierende Heer, bis sie auf Savelli stießen, den kaiserlichen Feldmarschall, vor dessen stumm wartenden Massen sie grollend und fauchend zurückwichen, zurück durch den Paß von Ribnitz nach dem ausgemergelten Pommerland. Die prunkvollen Orlogs, die breiten Transporter schaukelten auf der Oder bis nach Dievenow; die Wochen aber schlichen hin. Untätig lungerten die Fremden auf dem pommerschen Boden, ihr feister König stieg mit seinem Sekretär, dem hinkenden Lars Grubbe, durch die Lager, sprach ihnen, äußerlich sorglos, zu, lachte gezwungen, wenn sie ihm nachriefen »Dickkopf, Schmerbauch«, gab, sich gemein machend, ihnen ihren Ton wieder. Sie duzten ihn: »Monsieur König, wenn du so streng bist, schaff uns auch Schuhe.« Er zog sich auf der Lagergasse seine hohen Stiefel aus, ging barfüßig weiter; sie schwenkten auf Stangen die Stiefel und warfen sie hinter ihn: »Zahl uns Sold!« Es hieß kurzen Prozeß machen; man konnte nicht in Pommern verkommen. Aus Preußen kamen schwedische Reiter herüber, man wartete auf sie in den eisigen Winter hinein.
Dann zogen sich die Schweden aus Stettin und Pommern, von den Schiffen und den Inseln zusammen wie ein Geschwür, das aufgehen will, belauerten vor Damm ein paar Wochen die Kaiserlichen, die drüben in Greifenhagen in Massen verdarben unter Schauenburg, dem Nachfolger des toten Torquato Conti, der das Land verelendet hatte. Am Weihnachtsmorgen um fünf Uhr begann drin das Läuten, die Kanonenschläge aus Eisen Kartätschen und Granaten legten sich über das gräberübersäte Vorgelände, die armseligen Häuschen draußen, in die verzweifelte Söldner aus der Stadt geflüchtet waren, schoben sich blitzend über Mauern und Kirchen, sprangen mit Geröll und Gekrach auf die verriegelten Tore. Die gingen auf nach Süden, und ehe eine Bresche geschlagen war, ergossen sich die armseligen Söldner über die Brücke, ihr Leben rettend durch die Flucht, wateten durch die mörderische Kälte des Stromes, trollten klagend durch den Schnee, viele ohne sich umzublikken, bis die Kanonen hinter ihnen verhallten, auf Frankfurt zu.
Zersprengt die ruhmreichen Regimenter Sparr Wallenstein Götz Altsachsen. In der Mauer ein Loch so groß, daß zwanzig Wagen einfahren konnten. Hindurch warfen sich im Schwung die Schweden, sprengte die schnaubende Kavallerie, weg über die Toten im Mist, über die Häuser hin, über die Bewohner, an deren Leib und Gut sie sich sättigten, bis die Trompeten bliesen. Geschrei Geächz Gejubel zum Himmel auf am Tage der Geburt des heiligen Christkindes.
Das Tosen der Fremden hielt tagelang an, ganz Pommern hatten die Deutschen geräumt. Wie ein Tänzer, der auf der Zehenspitze steht und sich wie zum Hinstürzen schräg nach vorn fallen läßt, um im wilden Wirrwarr davonzurasen, so blieben die Männer von Götaland eine Woche in Gartz und Greifenhagen; dann riß es sie über den pommerschen Boden, die flache breite Tenne.
Und in einem Sturz herunter nach Brandenburg. Der apathische Kurfürst Georg Wilhelm flehte, an seinem Land sei nichts mehr als Sand und Kiefern. Gustav richtete Kanonen auf Berlin. Den schwächlichen Schloßherrn ließ er zu sich in einer Kutsche ins Lager holen, dankte ihm für die endlich gefundene Entschlossenheit, und er werde ihm Gelegenheit geben, sich an dem Kampf für die evangelische Sache zu beteiligen, mit dreißigtausend Talern monatlicher Abgabe.
Der König erhob sein Herz. Sein Hauptquartier schlug er in Bärwalde auf. Sein Gesicht bekam Farbe. Er suchte Parteigänger.
Im Schlosse zu Upsala hatte er zwei Jahre zuvor zu acht Männern gesprochen: »Der Stein ist auf uns gelegt, daß wir den Kaiser entweder in Kalmar erwarten oder ihm in Stralsund begegnen. Nun muß mein letztes und höchstes Ziel sein ein neues Haupt der evangelischen Christenheit, das vorletzte eine neue Verfassung unter den evangelischen Ständen, das Mittel dazu der Krieg. Zugrunde gerichtet muß der Katholik werden, sonst kann der Evangelische nicht bestehen; ein Vergleich oder Mittelding besteht nicht.« Er hatte Männer und Kapital aus seinem Reich genommen, daß die Menschen in Ost- und Westgötland und Svealand sich von Baumrinde und Eicheln nährten; den Alleinverkauf von Getreide, ein Kupfer- und Salzmonopol hatte er an sich genommen, den Münzstand verwildert. Sein hahnenlautes Gekräh in Bärwalde: »Der König von Schweden ist hier«, lockte einen schuldenverkommenen verluderten deutschen Fürsten an, einen Landgrafen von Hessen-Kassel. Der verschwur sich, breitbeinig und feige vor dem lauernden König sich bückend, ihm seien seine Prozesse verdorben und durch die Parteilichkeit des Kammergerichts verloren gegangen; kein Recht hätte mehr der Evangelische im Reich. Der König, die Verlogenheit des bramarbasierenden Schlemmers vor sich erkennend, versprach mit tränenden Augen, empört zitternder Stimme, sich des Hilfeflehenden anzunehmen zur Ehre Gottes und zur Verteidigung unschuldig bedrängter Christen. Sie gingen nicht auseinander, ohne daß der Landgraf einen Geldvorschuß vom Schweden annahm unter ehrfürchtigem Speicheln von dem ritterlichen Amt des Eindringlings, dem er versprach, das Hessenvolk gegen den Kaiser rebellisch zu machen. Wogegen ihm der leutselige Fremde das Fürstbistum Paderborn, Höxter, das Eichsfeld, Hersfeld in baldige Aussicht stellte. Trunken zog der Hesse ab.
Eine geängstigte Sondergesandtschaft der alten Stadt Magdeburg lief ihm auf dem Wege unversehens zwischen die Beine; er führte sie im Triumph selbst in das Haus des schmerbäuchigen frommen Schweden, von dessen Lippen noch einmal Lobsprüche ableckend, ehe er sich in sein Land verkroch.
Den Magdeburgern hatte der Hesse das Herz schon mutiger gemacht mit seinem verführenden Jubelpreisen des Messias aus dem Norden; lecker rückten sie an vor ihm, der noch seinen Zorn ausschrie über das Unrecht, das der Hesse erfahren hatte. Sie standen zu fünf nebeneinander. Und nun erst, wo sie die sanfte und unverständlich sprudelnde Sprache der Türhüter, des einführenden Kämmerers hörten, fuhr ihnen ein kaltes peinliches Gefühl über die Haut. Sie verloren ihre Angriffskraft und brachten es auf das Zureden des listig sie anblickenden mächtigen Mannes auf dem Sessel nur zu matt gezimmerten Wendungen. Nur einem unter ihnen, einem jungen Habenichts, gelang es, über sein Unbehagen hinwegzukommen; er floß über von Scheltreden auf die Ligisten, den weiland Friedländer und sein Pack, stimmte ein, als jener liebreich nach dem Römischen Kaiser fragte, daß er nichts sei als ein gierig weites Maul und das sündhafte Restitutionsedikt das Tranchierbesteck, mit dem er sich den Braten zurecht machen wolle.
Die Worte fand der rot werdende Gustav verständig, schrie wieder des Hessischen Unrecht aus, und nach zehn Minuten standen da im hitzigen sich steigernden Wechselgespräch die fünf Männer mit geschwollenen Köpfen, schmähend auf den Römischen Kaiser, den blinden Hund, schändlichen volksverräterischen Papisten, gestikulierend, triefend vor Genugtuung, sich gegenseitig anrufend ermahnend, und ihnen korrespondierte das aufgewühlte schwerblütige Geschöpf aus Schweden, der überseeische König, der gierig den Kaiser schwur anzupacken gerade wie ein Hund den andern, bei der Schnauze, der Flanke, ihm die Seite aufzureißen, den Kiefer zu brechen für alle Schmach, die er der evangelischen Brüderschaft angetan habe. Ihre brühende Hingerissenheit verdampfte und sie spuckten noch; der König freute sich satt. Er dankte ihnen. Sie würden voneinander nicht lassen. Er schickte ihnen einen gewandten jungen Menschen mit, der ein unwiderstehliches Mundwerk hatte, Stalmann, der die alte Stadt Magdeburg in den Rausch der nahenden Befreiung setzen sollte. Die fünf zogen mit ihm, wie königlich belohnt, ab.
Gustav Adolf saß noch am Abend, wie sie ihn verließen, mit dem hinkenden blassen Grubbe und einem kahlen Riesenschädel, Oxenstirn, dem Kanzler, zusammen, prustete, schäumte. Sein Werk gedieh. Die Magdeburger wollte er nicht lassen. Lachte, grölte: trefflich hätte der Kaiser sie malträtiert, das Diversionswerk Magdeburg sollte geschmiedet, die halbe kaiserliche Armee daran gebunden werden, inzwischen werde er sich auf Frankfurt werfen. Auch Oxenstirn hegte volles Vertrauen auf die evangelische Festigkeit der Magdeburger, seufzte hoffnungsfreudig über Stalmann.
Noch in diesen Tagen beschlich den König in Bärwalde der Mann, den er lange erwartet hatte, der glotzäugige rotbäckige aus Bayern flüchtige Charnacé. Der Franzose fuhr ihm mit einem Jubelschrei an die Brust; nun sei endlich die Stunde da, wo er auf dem Boden des verruchten heimtückischen gewalttätigen Deutschland neben einem anderen Fremden stehe. Ja, sie stünden hier im Deutschen Reiche; der Kaiserliche sei von seinem Boden geflohen und er sei glücklich und freue sich, freue sich. Und er wiegte sich in den Hüften, öffnete liebevoll demütig die Hände vor dem König. »Ich bin«, tat Gustav grimmig, »nicht wie eine Maus in diese Scheuer gekrochen, um drin fremdes Korn zu beknabbern, sondern Ordnung zu schaffen und zerrissenen Glaubensverwandten zu helfen.« »Unermeßlich ist die Grausamkeit Habsburgs, Mörder und Totschläger sind seine verhungerten Soldaten. Wir wollen helfen, das Reich von dieser Plage zu befreien. Rechnet auf uns.« »Ihr seid katholisch. Hä! Ich mag die Katholischen nicht.« »Wir lieben Euch, Majestät von Schweden. Ich kann nur jubeln vor Euch, seht mich an. Was kommt es jetzt darauf an, ob katholisch oder evangelisch. Ihr steht in Pommern; wir betrampeln deutschen Boden, ohne daß es uns einer verwehren kann. Wir schlucken ihre Luft. Wenn Ihr Trompeterkorps Trommler habt, laßt sie schmettern und schlagen, schwedische Weisen; ich will Franzosen heranholen, daß sie blasen, man soll hören: Fremde sind im Heiligen Römischen Reich; der Habsburger sitzt in Wien: er soll kommen, uns verjagen.« Gustav staunte: »Habt Ihr einen abgründigen Haß, Herr.«
Dann begann das Feilschen; Soldaten hatte der Franzose nicht, aber Geld. Er leitete die Unterhandlungen ein mit dem grinsenden Hinweis auf seine Schlauheit; es sei ja im Regensburger Vertrag geschrieben, Frankreich dürfe keinen Feind des Kaisers unterstützen. Und er täte es doch. »Aber«, dabei lachte er wie ein Narr, »heimlich!« Wenn er sagte »hunderttausend Reichstaler«, schrie der König »nicht genug«. Sagte er »zweihunderttausend«, »nicht genug«. Gustav Adolf neben dem Riesenschädel Oxenstirns trieb den Franzosen höher und höher, schwur, er verkaufe seine Seligkeit nicht so billig, wenn er einen Papisten an sich hänge, müsse mehr haben dafür. Auf vierhunderttausend Reichstaler kam der Franzose. Da hatte der Schwede genug. Soviel sollte ihm der Franzose, lachte er mit Wonne, jährlich beisteuern, damit er den Götzendienern den Garaus machen könne und zuletzt vielleicht ihm selber, dem zarten Franzosen. Er wolle dreißigtausend Mann zu Fuß bereit halten, dazu sechstausend Reiter. In lärmender Freude, Hohn im Herzen, schied man voneinander.
Und wie der Hesse die Magdeburger geführt hatte, lockte der Welsche die Holländer hinter sich. Fast versprach sich Charnacé, als er mit der holländischen Deputation tuschelte: »Er ist ein Tölpel«, wollte er sagen, »man muß ihn vorsichtig nehmen, er ist verbissen in seinen evangelischen Aberwitz, man darf ihn nicht stören.« Dann fiel ihm ein, daß er Protestanten vor sich hatte, und schaukelte sich vergnügt neben ihnen: auf ganze vierhunderttausend Reichstaler hätte ihn stolz der Schmerbauch getrieben; achthunderttausend, nein, eine Million hätte er bieten können. Seien sie gewarnt. Sie dankten mürrisch, mißtrauisch ließen sie ihn nicht zu den Verhandlungen zu; die Hochmögenden im Haag zahlten dem Schweden soviel sie vermochten, weil es ihr Glaubensverwandter war.
DIE SCHWEDEN hatten bei Greifenhagen am Sieg gelutscht, Stiefel Brot Bier Geld strömte ihnen zu, man hatte nicht Lust zu verweilen, schob sich über Neubrandenburg, Treptow, Klempenow auf Demmin an der Mecklenburger Grenze, zwischen Morasten gelegen. Der römische Herzog Savelli, der den päpstlichen Dienst quittiert hatte, schlemmte hier. Den Bauern pflegte er die Pferde vom Pflug zu nehmen, um die Haut an den Schinder zu verkaufen. Nach drei Tagen Kapitulation. Der Schwede sagte lustig im Zelte dem Italiener, er bedaure, daß er zu Rom seinen herrlichen Posten verlassen habe. Dann, nachdem er trompetenblasende Abordnungen mehrerer Regimenter versammelt hatte, ließ er den eleganten Herzog mit goldenen Ketten, langem Zobelpelz, prächtigem ins Gesicht gezogenem Federhut vor einen Pflug spannen; ein aufgegriffener Bauer mußte ihn anzäumen. Die Soldaten trommelten, Hunde sprangen über den keuchenden Herzog, eine Pferdehaut mit Hufen und Schwanz wurde von rückwärts über seinen Prunk gebunden, er stürzte zusammen. Der König stand auf, die Knechte schwangen die Peitschen: »Mag sich das Fell seiner erbarmen. Pflüge! Pflüge!«
Auf das Gerücht von dem landfreundlichen Vorgehen des überseeischen Söldnerführers sammelten sich an der Brandenburger Grenze, aus der Gegend von Schwedt und dem Finowkanal, Bauern, zogen in dichten Rotten mit Fahnen dem König nach, den sie bei Anklam im Schneesturm mit seinem jubilierenden Heere stellten. Er wollte weiter südwärts, auf Kurbrandenburg. Die zehn alten Männer, die mit drei buntbemalten Fahnen demütig vor ihm standen, blickte von seinem ungeheuren Streitroß Gustav freudig an, gedachte eine evangelische Gesandtschaft zu begrüßen. Er war so ungeduldig, zu hören, was sie hatten, daß er ihnen nicht nachgab, sie im Quartier anzuhören, sondern sofort auf durchwehter kahler Landstraße zwischen dem Rollen des Trains und dem Flöten und Klappern der Soldaten. Sie mußten mehrfach die Plätze wechseln, weil der König sie nicht verstand, Dolmetscher dazwischenliefen, der Schnee ihnen in den Mund stäubte. Wenn der fremde König denn sich so der Bauern annehme, wie er vor Demmin an dem Landverderber Savelli gezeigt habe, so möge er an sie denken. Und dann zählten sie ihre Leiden auf; das Pferd des Königs bäumte sich, Gustav tauschte zornige Blicke mit seinen Begleitoffizieren. Mit einem Fluch warf er seinen Reitstock auf den Boden. Er zwang sich zur Ruhe, bückte sich herunter, als man ihn wieder aufhob, schrie dicht bei ihnen, ob sie evangelischen Glauben wirklich hätten, wie sie vorgäben, ob sie ihn nicht belögen, nicht wüßten, daß der Heiland für sie am Kreuz gestorben sei, aber nicht, damit sie das heilige Bekenntnis wie ein faules Stück Fleisch wegwürfen. Sie beteuerten, sie seien fromme lutherische Christen, aber sie verkämen, verhungerten mit Weib Kind und Vieh, wenn noch ein Heer in ihr Land fiele; baten mit aufgehobenen Händen ihn um ihres gemeinsamen Glaubens willen um Verschonung mit dem kriegerischen Einfall. Er wütend und speiend, sie umkreisend. Sie verstanden nicht, was er sagte, im Toben stotterte er mit gedunsenem Gesicht schwedisch; er hätte sein Volk geplündert, um den alleinseligmachenden Glauben zu bewahren, für sie an erster Stelle, und sie bettelten bei ihm. Sein Pferd sprang um sich; er ließ sie nicht von der Stelle. »Herr, wir sind fromme evangelische Christen, der Krieg verdirbt uns.« Da nahmen sich die Offiziere der Wut ihres Herrn an, der sich von ihnen nicht losreißen konnte; sie ritten auf die Bauern los, schlugen mit flachen Klingen auf ihre Köpfe. Gustav selbst, sich befreiend, riß sein Pferd herum; und sein schweres kettenschaukelndes Tier, zu langsamem Schritt gebändigt, stampfte zwei Bauern an; andere warfen sich in den Schnee. Er ritt davon, die Herren hinterdrein. Kreischend beluden sich die Bauern mit den getretenen Männern, die Fahnen zerschlugen sie: »Das ist kein Evangelischer, das ist kein Christ.« Kreischend marschierten sie Tag und Nacht durch die Dörfer. Jubilierend das schwedische Heer hinterher.
Der kleine eisgraue Brabanter war von Regensburg wie ein Glücksbetäubter aufgebrochen. Er hatte vor der Kriegsbühne gestanden, an dem Spiel neiddurchwühlt gemäkelt; durch einen Vorgang wie im Traum war er von seinem Platz bewegt, er, der Tilly, mitten ins Spiel gestellt. Der klagende strenge uralte Tserclaes von Tilly regierte die ungeheure Szene von dem weithin sichtbaren Platze aus, gegen den sich eben Kurfürsten und Stände erhoben hatten. Er wollte nicht mehr Tilly sein, der dem quälenden bayrischen Maximilian unterstellt war; verwischt, versenkt der fabelhafte Feldzug in Ungarn, die Jagd hinter Mansfeld, gnadenlose Vertilgung der Rebellen, Verschlingen der Dänen. Die Taten Wallensteins liefen wie Doggen, die man tritt, neben ihm; eines Tages werden sie verrekken. Heimlich schwellte es ihn, als er nach Norden zum Heere fuhr, das ihm von Wallenstein überkommen war; die prächtigen sechzehnspännigen Karossen Wallensteins trabten durch sein Gedächtnis, rotjuchtenüberzogene Troßwagen in langer Reihe, silberne Partisanen der Leibgarde. Es labte ihn; dabei stieg hinterrücks ein unheimliches Gefühl der Ohnmacht über ihn, er suchte ihm bang auszuweichen.
Und wie er nach Norden vorstieß, wehten wilde Gerüchte um ihn; es wurde deutlicher: das schwedische Heer hatte sich spielend der Außenforts des Reichs bemächtigt, auseinandergestoben die Regimenter des Savelli. Das konnte wahr sein. Tilly rang mit sich. Seine Nächte waren durchtobt vom keuschen sorgenvollen Widerstreben gegen seinen Ehrgeiz, die Sehnsucht. Es hieß Farbe bekennen. Er war tief verstrickt in diesen Kampf. Die Gerüchte wehten an ihm vorbei. Er wollte ein frommer Christ bleiben, nicht rebellieren, wie es auch kam.
Und zittrig schwur der alte Wicht eine Stunde, sich im Zaum zu haben, schüttelte in der nächsten Stunde den Friedländer am Kragen, schwitzte vor Freude, war matt und arm.
Draußen unter den Schneestürmen begann es von Tag zu Tag lebendiger zu werden. Der Lärm war kriegerisch, Reiter, Wagen, schreiende Marketender; einmal kämpfte die Begleitung des Brabanters mit bewaffneten Wegelagerern.
Da mußten die Vorhänge des Wagens geöffnet werden. Auf der Chaussee, auf den Feldern: es hatte sich etwas begeben!
Da lag nicht nur Schnee! Zertrümmerte Fähnlein schamlos unter ihren Führern vorbei! Bauernhöfe, vor denen Kanonen standen, riesige Rohre auf Wagen, um die sich keiner kümmerte. Diese Welt; es hatte sich etwas begeben. Der Schwede hat sich der Außenforts des Reichs bemächtigt, er steht bei Frankfurt.
Wo stehen die Wallensteiner? Wo ist Savelli?
Überall verhungerte aufgelöste Verbrecherbanden. Sie wollen ins Reich; hier ist alles kahlgefressen; der Schwede ist hinter ihnen. Den Herzog Savelli hat der Schwede bei lebendigem Leib geschunden, aus Rücken und Brust Riemen geschnitten. Bei Stettin steht kein Wallensteiner mehr, in Mecklenburg haust der Schwede, aus Brandenburg läuft alles davon.
Die Vorhänge blieben offen. Wimmelnde Felder. Rotten von versprengten Wallonen, Musketiere, die ihre Gewehre verkaufen. Sie gehorchen nicht; Weiber – wessen Frauen und Töchter –, Kühe, Ziegen treiben sie, die verruchten Wallensteiner. Schwappen, wie er sie angreifen will, ins Reich zurück, an ihm vorbei. Wie Sand durch Fugen, sind nicht zu stopfen. Als hätte der teuflische Friedländer, bevor er das Haus verließ, alle Balken eingesägt, Fundamente mit Pulver gelockert, Wände durchstoßen. Der Brabanter, mit Abscheu Entsetzen gefüllt, wurde von seiner Karosse in diese brandenburgischen Gegenden gerissen, vor das widrige Zerstörungswerk des bösen ungeheuerlichen Menschen. Die Schweden auf Usedom; Stettin eingenommen, Schauenburgs Truppen in Gartz, Greifenhagen verjagt; Demmin, Bärwalde. Nichts von Savelli, Torquato Conti, Schauenburg, die er anspannen wollte vor seinen Wagen.
Die Karosse, vom Strom der Flüchtenden zur Seite getrieben bei Brandenburg, hielt. Er sah: das war das Ende, stand im Schnee, war allein, der Feldhauptmann des Kaisers und der Liga. Vor dem sich Europa beugen sollte. Zerrissen lag er einige Tage im Brandenburger Schloß. In schwerer Erschütterung trug er sich herum; inwendig ausgekühlt unter der Niedertracht des Böhmen. Er suchte sich zurück. Kaum ein einziges Regiment fand er kriegsbrauchbar; die Verwüstung der alten Armee, seiner Armee, war bis ins einzelne gegangen. Noch sangen sie rechts und links Lieder vom Friedländer.
Er begann sein altes kleines Handwerk. Um Truppen zu haben, schleppte er seine eigenen herauf; drei Regimenter aus Oldenburg und Ostfriesland, sechshundert Reiter. Stumpf erwartete er sie. Und wie sie anrückten, war keine Nahrung für sie, kein Futter für die Pferde da. Kaum seiner Sinne mächtig, schrieb er; seine sehr matten Hände schrieben dem Bayern, dem bayrischen Maximilian Briefe wie früher; die Bundeskasse mußte um Hilfe angegangen werden; abgezählte zweihunderttausend Gulden schickte man herauf. Die Maschinerie arbeitete wieder, die Truppen waren da, da lagerten sie, sie wollten Futter Heu Brot. Aus Mecklenburg war nichts zu holen: Wallenstein, kam es zurück, hatte in sein Herzogtum Beamte seiner böhmischen Verwaltung geschickt, die an sich nahmen, was nicht niet- und nagelfest war; es konnte ihn keiner mehr beerben.
Vom Zorn angestachelt fand der Brabanter seine alte Zähigkeit und Klarheit wieder, er wollte hier im Eis nicht zum Gespött verkommen. Mit Sack und Pack rückte er gegen den König vor, reizte ihn zum Kampf. Der König wich aus, wich nach Pommern zu. Tilly gab nicht nach. Es mußte gefochten, geschlagen werden.
IN DER alten festen Stadt Magdeburg verpesteten Stalmann und der neu entsandte Falkenberg, Gustavs Hofmarschall, die Luft mit Lästerungen des Kaisers, Triumphliedern auf den Erretter Gustav Adolf, so lange, bis alles, was evangelisch und eigensinnig in der Stadt war, zu den Schweden schwor und ihnen glaubte: der König kommt bald.
Der Raufbold Graf Pappenheim, dessen Gesicht eine einzige Narbe war, der in der Schlacht am Weißen Berg für tot unter Leichenhaufen gelegen hatte, umzingelte die Stadt, knirschte sie in seine Arme hinein. Sie weigerte sich, kaiserliche Besatzung aufzunehmen. Der Graf vermochte allein nichts gegen die Stadt; er rief nach seinem Herrn. Der Brabanter ließ den Schweden. Er schwenkte. Langsam trollte er auf Magdeburg. Man sollte nicht über ihn spotten. Warnte voraus die Stadt im guten: »Man hat fremde undeutsche Potentaten ins Reich gelockt. Sie treten auf unter einem glänzenden Vorwande, als wenn sie Glaubensgenossen Beistand leisten, die deutsche Freiheit und Libertät verteidigen wollten. Und was dergleichen Redensarten sind. Sie suchen nichts als eigene Herrschaft; werfen Fürsten, Herren und Städten das Joch der Knechtschaft über den Hals.« Drin änderte sich nichts. Rückte mit vielem Geschütz und großer Macht vor die Stadt; nach sieben Tagen waren alle Schanzen vor der Stadt im Sturm erobert, oberhalb Magdeburg eine Brücke geschlagen. Ein kaisertreuer Alter Rat drängte zu kapitulieren, in der Stadt hielten sich Innungen und Gilden bei den Hälsen; eisern arbeiteten Stalmann und Falkenberg gegen den sinkenden Mut; auf die Kirchtürme lockten sie zweifelnde Räte, zeigten in der Ferne Feuer und Rauchwolken, die vom Schwedenlager aufsteigen sollten, lasen in den Stuben erlogene Briefe des Königs vor, mieteten zum Schein schon herrliches Quartier für ihn. Denn ihre Order lautete: die Stadt muß den kaiserlichen Feldherrn fesseln, bis der König mit Brandenburg fertig geworden ist und genugsam Truppen hat; jeder Tag ist gewonnen.
Stalmann, ein listiger langleibiger Mensch, machte sich rechtzeitig an die verwilderte Gilde der Schiffer und Fischer heran, die rebellisch in der Stadt herumlungerte, von ihm Lohn empfing. Er stachelte sie damit: die Reichen seien wankelmütig, wollten nur ihr verruchtes Regiment vom Kaiser stärken lassen, fürchteten die Gerechtigkeit des Schweden. Da fand man täglich Drohbriefe an gewissen Häusern, Überfälle, Totschläge fanden statt. Stalmann hatte die Stadt in der Hand; Falkenberg redete pathetisch im Rat: »Haltet aus! Habt Geduld!«
Prangend die alte feierliche Stadt am mächtigen Elbstrom, von einem starken begrasten Wall hinter dem Graben umgeben. Vom Sudenburger Tor quer durch die Stadt der köstlich gezierte Breite Weg, an den hohen Türmen des Kröckentors endend; zu beiden Seiten Gewimmel von Gassen und Märkten entlassend. Nahe dem Sudenburger Tor und der Düsteren Pforte der riesige Neue Markt, an dem sich die Gewalt der Domkirche erhob, die königlich hinüberblickte zu den Spitzen der andern Kirchen, Sankt Sebastian, Peter Paul, Sankt Katharina, Sankt Jakob, Sankt Peter, Sankt Johannes, Sankt Ulrich, Sankt Nikolai.
Und als Stalmann und Falkenberg sahen, daß ihr König nicht herankam, weil er gebunden war in Brandenburg, faßten sie, abgesperrt von ihm, aber seinen Gram mitfühlend, den Entschluß, ihm zu helfen wie sie konnten. Magdeburg war nichts, die deutschen Bürger jämmerlich verzagtes Lumpenpack. Sie sollten nicht die Freude haben, sich und die schwedische Sache an den kampflüsternen Tilly zu verkaufen, so daß alles umsonst wäre, alle Hoffnung ihres Königs, ihrer Männer, umsonst wäre Schweden geplündert worden, umsonst Borke der Bäume verschlungen von guten Schweden. Solche Erbärmlichkeit sollte dem kläglichen Gesindel, das sich sonntags evangelisch gebärdete, nicht gestattet werden.
Am Elbstrom, dicht vor dem Kirchhof von Sankt Peter, lag das Fischerbollwerk und Fischerufer mit den Häuschen der Gilde. Den gefährlichsten unbotmäßigen Gesellen von ihnen, den kahlköpfigen heiseren Hartmann Wilke, kaufte Stalmann. Sie wurden Brüder; seine eigene Magdeburger Liebste, ein ehrsames Fräulein, zwang Stalmann, sich dem rohen Wilke in die Arme zu werfen. Wilke hatte bald seinen Spaß daran, daß die Stadt sich nicht würde halten können; hereinkommen sollten nur die Kaiserlichen, verwüsten sollten sie, was die reichen Stände zusammengescharrt hatten: er würde sie nicht daran hindern; aber er und seine Gildeverwandten, dazu die wilden Brüder aus der Diebshenkergasse, würden helfen. Unmittelbar am Bollwerk beim Brücktor waren die Pulvermassen im Pulverhof aufbewahrt; es vergingen nicht acht Tage, Tage der zunehmenden Verwilderung unter den Städtern, daß zahllose Tonnen Pulver verschwanden aus den Magazinen, die Vorräte verteilt an die entschlossensten gehässigsten Gesellen.
Ein blauer süßer Maientag kam heran. Der Himmel prangte in Sanftheit, alles war zum Leben hingebreitet. Da trug sich vom Neuen Werk her bei Sankt Jakob das knurrende Untier aus der unkenntlichen Finsternis der blütendurchhauchten trunkenen Nacht an den Wall heran, zerbrach mit den Klauen, Pfoten Bollwerk und Rondelle, klatschte mit Ruck und Schwung seinen breiten prallen Leib mitten auf die morgendlich leeren Straßen, in denen hie und da einer gähnend die Fensterladen aufstieß, ein Mädchen im Vorgarten seine Blumen begoß. Mitten auf die Straßen.
Minutenlang lag es wie verzaubert still, öffnete dann das Maul zu dem herzlähmenden vereisenden Gebrüll. So daß die Menschen ihre Stunde wußten.
Nach wenig Zeit sollten sie alle bis auf einen kleinen Rest, Männer Frauen Kinder Kaisertreue Wankelmütige Herzhafte Alter und Neuer Rat, als sonderbar stille Kadaver auf der Erde, in den Stuben Kellern liegen mit trüben fragenden lächelnden bittenden verzweifelten Grimassen, in tollen ungekannten Stellungen, nachdem ihnen ihre Seelen entrissen waren, wie man einem Hahn den Kopf abreißt. In die Elbe gestürzt auf Karren Betten Wagen, was nicht auf Böden und zwischen Hafentrümmern faulte.
Als der riesige Kürassier Pappenheim, Todesverächter seitdem er Mensch war, mit den Regimentern Gronsfeld, Wangler, Savelli das Neue Werk auf Leitern erstiegen hatte, durch das Stücktor in die Große Lakenmachergasse gestürzt war, blies der Küster auf Sankt Jakob Sturm, hängte eine schwarze Fahne heraus. Mit Springstöcken liefen schon kaiserliche Pikeniere, rote Feldbinden, die Lakenmachergasse herunter, über den Weinberg, durch die Gärten. Ihr Geheul, blutdürstige Gesichter: »All gewonnen, all gewonnen!«
Die Türen sprangen auf; die ersten Menschen niedergestoßen. Der Strom der Kaiserlichen wurde von rückwärts gespeist; in kochender Lavaflut überwallte er die Straßen. Vom Alten Markt zogen ihm fünfhundert kaisertreue Bürger, die rote Feldbinde schwingend, Weiber und Kinder in der Mitte, entgegen. Waren im Augenblick von Kroaten und Wallonen bäuchlings rücklings seitlings hingestreckt und zertreten.
Sie ritten schon, schwangen von oben die Klingen. Am Neuen Markt fluchte Falkenberg unter dem Sturm von Sankt Jakob auf die schreienden Räte und Innungsmeister, die über ihrem Gezänk die Gräben hätten vertrocknen lassen. Sein Knecht schnallte ihm, während er ungeduldig stand und sich bewegte, Halsbrünne und Beinschienen um; den eisernen Topfhelm riß ihm Falkenberg aus der Hand, er entglitt ihm, klirrte auf die Steine. Der Schwede wechselte, die Faust gegen sie aufhebend, zehn leise Worte seitlich mit dem langen springfertigen waffenlosen Stalmann. Wie Falkenberg mit hundert Reitern gegen die Kaiserlichen vorstieß, hallte schwedisches Feldgeschrei unverhüllt und stolz im Breiten Weg. Viermal rannte er an, tausend Kaiserliche wurden erschlagen, nahe dem Stücktor krachte er stöhnend unter Musketenschüssen vom Pferde; das Tier bockte, schleifte ihn im Steigbügel im Kreis herum. Sein Herz im Sterben erzitterte vor Freude, weil er sah, wie an der Mauer die bettelnden Bürger gespießt wurden und ein dünner Qualm von allen Seiten wehte.
Denn zwischen schweren Reitern Pikenieren Musketenträgern flitzte vom Fischerufer und Fährgarten massenhaft lumpiges unheimliches Pack, kleine Säcke und Taschen auf Schultern Armen, erbrachen Häuser, ehe die Sieger eindrangen, stießen mit Dolchmessern beiseite, was sich in den Weg stellte, schütteten in die leeren Dachböden, in die Keller Pulver. Feuer, kleine Explosionen in allen Stadtteilen.
Flammen, Flammen, Flammen, Flammen, Flammen.
Stalmann schlug sich keuchend mit Wilke durch Bürger und Soldaten, Pulver werfend, die Kirchen sollten nicht vergessen werden. Raublüsterne Dragonerfähnlein rauschten prasselten durch die Straßen: »All gewonnen, all gewonnen!« Die splitternden aufgeschmetterten Türen.
Rauch, beizender brodelnder unendlicher Rauch. Unter dem blauen Himmel, gegen den Himmel auf eine trübe weit auseinanderquellende Last, von Feuer durchzuckt. Der Qualm zischte schwarz auseinander, fiel in die Stadt zurück.
Vor der Domkirche lagen hundert Zentner Pulver; Wilke spannte die Zündschnur: ein Rittmeister stieß ihm den Säbel von hinten durch den Hals, daß das Blut neben der Kehle aus ihm stürzte und er nach kurzem Zucken auf den Mund fiel. Stalmann, gebückt mit der brennenden Lunte, wurde von Pferdehufen getroffen, umgeworfen; von Kroaten gefaßt, wurde er mit Stricken gefesselt, um vor den Profoß geschafft zu werden. In ein Haus am Neuen Weg geworfen, sägte er den Strick an den Händen mit einem Glasscherben an, den er zwischen den Zähnen packte; ein glimmender Balken sengte den Rest durch, bis ins Fleisch brennend.
Am Abend plauderte Gustav Adolf vor seinem Zelt mit Lars Grubbe. Mit wachsendem Staunen den feierlich übergluteten Himmel betrachtend. In der Nacht drang Stalmann zu ihm. Der König bei der Kienfackel aufstehend küßte ihn stumm, als er verwirrt geredet gejammert und geflucht hatte. Und wie sie vor dem Zelt standen, die Röte immer ungeheurer stieg, weinte Gustav Adolf; in Wut schwur er: »Ich hoffe den Geier noch beim Aas zu ertappen und ihn zu packen, wenn ich gleich meinen letzten Soldaten dransetzen sollte.«
Pater Wiltheim ging mit Ordensbrüdern nach zwei Tagen durch das glimmende Sudenburger Tor in den Mauritiusdom. Wimmernde splitternackte Kinder, halbtote Frauen hingen auf den hohen geschnitzten Stühlen vor dem Chor, am Altar, im Schiff. Er wies sie, ein Dankgebet im Ornat sprechend, auf die Heiligenbilder, die allerseligste Jungfrau, den heiligen Mauritius, mahnte sie an ihren Abfall. Alle sprachen ihm den Englischen Gruß nach. Soldaten, goldene Ketten um den Hals, Becher Schinken Kleider in Säcken, halbnackte Weiber treibend, grölten zum offenen Tor herein: »Vor Jahren hat die alte Magd dem Kaiser einen Tanz versagt, jetzt tanzt sie mit dem alten Knecht, so geschieht dem stolzen Mädchen recht.«
PLÖTZLICH SASSEN die evangelischen Kurfürsten und Stände in Leipzig und jubelten über ihre Stunde. Das Reich war bedroht vom Schweden, von einem fremden Einbrecher, der Kaiser in Gefahr, sie wollten ihre Rache nehmen. Mit ihren Hoftheologen zogen sie an, ihre eigenen Streitigkeiten begrabend. Der sächsische Prediger Hoë von Hoënegg eröffnete den Konvent mit den schallenden Worten des Psalmisten Asaph wider die Feinde Israels: »Gott mache sie wie einen Wirbel, wie Stoppeln vor dem Winde.« Man blies die Backen auf; mit dem Schweden sollte der Kaiser gezüchtigt werden für seinen Übermut, das Restitutionsedikt, die Pressuren der friedländischen Soldateska. Man hatte keinen, keinen Grund, sich dem Schweden entgegenzustellen. Das war ein Krieg zwischen dem Kaiser und Gustav Adolf; die Stunde der Rache war da.
Von Leipzig gingen entschlossene Briefe nach Wien: sie wollten von den großen unerhörten und ganz unerträglichen Drangsalen des Krieges befreit sein, wollten in Zukunft Kontribution Einquartierung Durchzüge nicht dulden. Man kicherte in Leipzig: wie soll der Kaiser Krieg führen, wenn man ihm Quartier und Kontribution abschlägt? Gegen die katholischen Kurfürsten hoben sie die Hände auf, warnten, mit Kriegsvolk sie zu beschweren, unter welchem Vorwand auch immer. Man umarmte sich in Leipzig: dies hieße reinen Wein einschenken. Der Brandenburger und Sachse waren da mit vielen Ständen, man trank in allen Quartieren so viel, daß der schwedische Gesandte aus dem Lachen nicht herauskam. Die Deutschen aber saßen auf ihren Bänken und ließen sich bewundern wegen ihrer stolzen Briefe an den Kaiser. Wiederholten unter schwedischem Applaus nach Wien: was die Liga könne, könnten sie auch; wollten keinen, keinen in ihr Land lassen, würden sich ihrer Haut wehren.
Und damit gaben sie sich mutig eine Kriegsverfassung. Kursachsen begann ein Heer auf die Beine zu stellen. Viele Lobsprüche ernteten sie von Gustav Adolf. Am Tage Palmarum redete noch einmal Herr Hoë von Hoënegg, mit Geschmetter preisend die tapferen Entschlüsse des Konvents, zeigend auf das gräßliche Geschick Magdeburgs, der stolzen evangelischen Hochburg, die der Papist eingeäschert habe in unbezähmbarer Wut. Umsonst aber werde er die Krallen auf die sächsische und brandenburgische Brust legen. Der hochbetrübten Kirche würden glückliche Stunden nahen. Dem allgemeinen lieben Vaterlande deutscher Nation sei der ewige Friede in Aussicht.
ZWEI SÄTZE machte der Feldherr des Kaisers: einen nach Thüringen, den zweiten auf Sachsen.
Den ersten von Magdeburg auf Thüringen. Stadt und Land war kahlgefressen, brandverwüstet. Tilly suchte Entschädigung, weidete sein Heer in Thüringen. Jetzt erhob er schwere Kontribution, sah die Freude seiner Soldaten, wies die klagenden Bürger ab. Er, kaiserlicher Feldherr. War schon verwittert, daß ihn der Fluchname Brandstifter nicht berührte; ja, wehrte das Wort nicht ab; es labte ihn heimlich, weil niemand zu merken schien, welch Unglück ihn in Magdeburg betroffen hatte durch schwedische Infamie. Nicht einmal der Triumph der Eroberung Magdeburgs war ihm zugefallen. Kirrte in Thüringen den Landgrafen von Hessen, der einen großartig burlesken Widerstand gegen ihn inszenierte. Geschwollen rollten die vierundzwanzigtausend Mann auf Sachsen, hielten an der Grenze.
Tilly sah die Entscheidung kommen. Das eitle trotzige Benehmen des dicken sächsischen Bierkönigs reizte ihn. Wenn der Sachse so bliebe, er würde ihn binden. Von Süden strömten ihm neue guterhaltene Truppenmassen zu. Mit vierzigtausend Mann fing er über die Grenze eine Unterhaltung mit dem Sachsen an; hatte Vollmacht, den Kurfürsten zur Vernunft zu bringen. Er fragte, wie es wäre mit den Reden, die am Tage Palmarum in Leipzig gehalten wären, wer die Stoppeln und der Wirbel wären. Der Kurfürst stammelte, man möchte gut zu ihm reden, sei des Heiligen Römischen Reiches Kurfürst.
Wer, fragte Tilly, kaiserlicher Feldherr, zurück, die Stoppeln und der Wirbel wären: wenn drüben des Reiches Kurfürst rede, ob hier nicht des Römischen Reiches Feldherr ein Wörtlein zu sagen habe.
Zu sagen, zu sagen! Er sei ein sanfter Landesvater, wolle sein Volk und Land vor den Pressuren und Qualen des Krieges bewahren; man verdenke es ihm nicht.
Sein Land ist Reichsland, wir müssen hinein.
Er möchte es nicht darauf ankommen lassen; man habe ein Heer, er wisse es vielleicht schon, aufgestellt, um sich zu schützen.
Her mit den Soldaten; es sind kaiserliche; der Kurfürst hat kein Recht auf Truppen.
Da zog sich Johann Georg Socken über die Füße, tapste nach Torgau. Klagte und plärrte unterwegs viel; sei der treueste Reichsfürst, ihm tue man dies an; was ihn die Händel des Kaisers mit dem Schweden scherten, wolle sie gewiß nicht stören. Und dieser Gedanke rührte ihn so, daß er noch einmal zurücklief an die Grenze Tilly gegenüber, ihm dies zu verkünden. Als wäre es eine Erleuchtung, bedeutete er den Feldherrn; ihre ganze Unterhaltung sei verkehrt gewesen, vorbeigeschossen; denn worum drehe es sich? Doch nicht um den Kaiser und ihn, den untertänigen Sachsen. Sondern um den Kaiser und den Schweden. Den Schweden. Hallo, große mächtige Reichshändel zwischen der Römischen Majestät und der königlichen Würde aus Schweden.
Und?
Und? Vermöchte er, der beliebige Fürst, sich anzumaßen, sich in die Händel solcher Potentaten einzumischen und ihnen in den Weg zu treten.
Gewiß nicht, grunzte es von drüben.
Warum also wolle man es ihm verargen, wenn er seiner Wege gehen wolle.
Was, was wolle er mit seinem Heere.
Man lasse das doch mit seinem armseligen, unglückseligen Heerchen, es wäre ihm lieber, er hätte es nicht.
Also gebt mir euer Heer. –
Wieder wartete der Sachse, ob er mehr hörte. Zog sachte, ängstlich plärrend auf Torgau. Gustav Adolf hatte sich mit kleiner Kavalkade da eingefunden, er empfing schmunzelnd in seinem Quartier den alten betrübten Herrn. Der jammerte, dies sei der Dank dafür, daß er sich neutral habe halten wollen. – »Habt Ihr das wollen?« drohte mit einer sehr lauten Stimme der riesenhafte Schwede. »Nicht doch, nicht doch. Nur sozusagen, vor dem Kaiser. Wißt doch, was ich meine.« Ratlos winselte der betrübte Mann.
Gütig gab ihm der Schwede zu verstehen, es sei das beste, gerade Wege zu gehen; man könne nicht dem Kaiser dienen und der evangelischen Kirche Beschützer sein wollen. – »Er hat mich nie angegriffen.« Grob der Schwede: »Also rund: was hat der Herr vor?« Nach langem Drücken brachte der Sachse seinen Kummer heraus: ob Gustav schon vernommen habe, daß der Kaiser ihm Meißen, Naumburg, Merseburg abnehmen wolle auf Grund des Restitutionsedikts. – Kalt bejahte der Schwede. Die Finte stammte von seinen Unterhändlern. Traurig legte Johann Georg seinen Kopf auf den Tisch, weinte. Er saß rechts und links in der Klemme.
Man brachte Bier, um ihn zu besänftigen. Er schwur Stein und Bein, daß er treu zum Kaiser gestanden habe und dies nicht verdient habe. Vom Schweden und seinen zudringenden Begleitern wurde ihm auseinandergesetzt, daß Tilly nichts weiter vorhabe im Augenblick, als ihm die Stifter wegzunehmen. Lange zögerte Johann Georg. Man gab ihm viel zu trinken, um ihm den Entschluß zu erleichtern. Plötzlich stand er auf: Zum Schaden den Spott wolle er nicht tragen; er wolle später nicht mit Schimpf in der Geschichte seines Hauses genannt werden; man solle ihm noch einmal sagen, was der Kaiser von seinem Besitz fordere. Wortlos schüttelte darauf lange Minuten der Sachse den dicken Kopf unter der Pelzkappe, während er starr vor sich glotzte: »Es soll ihm nicht gelingen!« Den begleitenden Herren seines Hofes rief er zu, ob sie gehört hätten; ihr Vaterland sei in Gefahr; die evangelische Sache werde bedroht. Lebzelter brachte ihn zu Bett.
Am nächsten Morgen schloß er, den die Unruhe um seine Treue zum Kaiser und um seine Stifter die Nacht schlecht hatte schlafen lassen, mit dem Schweden einen Vertrag. Mit resignierten Blicken erklärte er seinen Räten: es sei dahin gekommen, daß er sein Haus gegen den Römischen Kaiser verteidigen müsse. Sie bestätigten es; Gustav Adolf hatte ihnen goldene Ketten und Geld geschenkt.
»Wie ein Mann wollen wir zusammenstehen«, sagte Johann Georg zum Schweden, als sie sich die Hände reichten. Rührungstränen vergoß der weiche Sachse, segnete beim Abschied den Schweden.
Der stand mit Oxenstirn, einem kümmerlichen Menschengestell, das ein Schädelmonstrum auf dem Hals vorsichtig balancierte, und dem hinkenden Grubbe, seinem Sekretär, hinter der abfahrenden sächsischen Karosse. Schaute die beiden abwechselnd an, perplex. »Ist es wahr oder ist es nicht wahr? Der Kursachse hat sich mir verschworen? Ist es wahr?« Und dann ins Haus steigend: »Ich hätte eher geglaubt, der Bayer verbündet sich mit mir als der Sachse. Was hat er denn für einen Vorteil davon?« »Aber Meißen, Naumburg, Merseburg! « »Mein Gott, Allmächtiger. Er fragt nicht einmal nach beim Kaiser, er glaubt es mir!« Grubbe grinste: »Eure Majestät wirken sehr überzeugend.« »Oxenstirn, was sagt Ihr dazu. Er glaubt das mit Meißen. Ist die Welt verrückt?« »Wir können ruhig sagen, Eure Majestät ist von Gott gesegnet. Ihr könnt füglich noch ganz andere Sachen sagen, man wird sie glauben.« »Da fährt er hin. Erlaubt, Herren, ich muß mich erst beruhigen.« Grubbe kraulte sich am Kinnbart: »Wenn man es recht ansieht: was bleibt dem Sachsen weiter übrig als Euch zu glauben. Wir hätten ihm die Insel Bornholm anbieten können; er hätte es glauben müssen.« Der Schwede staunte noch: »Um dreier Stifter willen fällt ein deutscher Kurfürst von seinem Kaiser ab und verrät ihn. Was für ein Reich.« »Längst reif, von schwedischen Händen auf seine Baufälligkeit geprüft zu werden.« »Oxenstirn, der Sachse macht mir Mut. Es ist eine Freude, im Reich zu sein. Melde nach Haus: unsere Sachen stehen gut – besser als ich ahnen konnte.« Sie stiegen in ihre Wagen, lachten Tränen zu dritt, als Oxenstirn meinte: »Es läßt sich schön arbeiten in dem Wald, wo die Bäume laufen und betteln: holz uns doch ab.«
Es waren heiße Sommertage. Dem Brabanter entgegen wälzte sich mit vollkommener Ruhe Gustav Adolf. Über Frankfurt nahm er seinen Weg, in der Stadt verschüttete er an einem Tage sieben kaiserliche Regimenter zu Fuß, eins zu Pferde. In seine Hände fielen einundzwanzig Kanonen, sechsundzwanzig Fahnen, neunhundert Zentner Pulver, zwölfhundert Zentner Blei, siebenhundert Zentner Lunte, tausend eiserne Kugeln. Siebzehnhundert Leichen waren zu begraben.
Es war schon kein schwedischer König mehr. Seine Stimme ertönte metallisch von dem Religionskrieg, den er führte. Man möge zu ihm kommen, wie der Sachse Brandenburger und Pommer gekommen wäre. Die Stunde der Abrechnung mit dem katholischen Übermut war gekommen. Herrisch trieb seine Stimme, trieb zu Wut und Angst. Den Nahesitzenden, Geistlichen und Weltlichen, jagte er Schauer von Zorn über. Sie wurden, erst fade lächelnd, dann verstört schwankend, aus ihren Höhlen gescheucht, legten die Hände suchend an ihre Degen, mühten sich den Rumpf gerade zu halten und ihm entgegenzugehen. Gerächt würden werden die Menschen – dröhnte es von drüben –, die armseligen, die in Magdeburg dem Feuertod durch Tilly übergeben seien. Die Pfälzer, deren Land verwüstet sei. Die beklagenswertesten aller Geborenen, die Böhmen, die gefoltert und gepeinigt wurden, ihre Habseligkeiten verloren, ihre liebe Heimat verlassen mußten, Böhmen. Man werde als evangelischer Christ dies Land nicht vergessen, solange es einen reinen Glauben gebe, werde des Scheusals nicht vergessen, das sich der Kaiser aus diesem Land gezogen habe, damit er das Reich zu einem Höllenpfuhl mache, des Friedländers, der bis nach Dänemark seine Untaten trieb.
Mehr und mehr kamen aus den Höhlen, schwankten in sein Lager. Wie er sich auf Wittenberg schob, hatte sein Heer dreißigtausend Mann zu Fuß und fünftausend Reiter. Und zahllose davon waren Deutsche. Liefen mit dem Schweden, weil er viele Städte erobert hatte, mit gutem französischem Geld zahlte.
Er war so dick und schwer in seiner Rüstung, daß es im ganzen Heere nicht fünf Pferde gab, die ihn tragen konnten. Streng und bigott war er. Bigotterie gehörte zu seiner Geradheit, Entschlossenheit, Wucht. Er dachte nicht nach, glaubte an Luther und das Evangelium so stier wie an die Festigkeit seines Streithammers. Kannte keine Furcht vor irgendeiner Überlegenheit.
Aber auch der gespenstige kleine Brabanter, der die Saale überschritt gegen ihn her, kannte sie nicht. Er hatte einen tiefen Ekel vor dem Mann, der die Religion ohne Unterlaß im Munde führte und ohne Unterlaß den frommen katholischen Glauben schmähte, er, der Kriegsmann, den es anwiderte, daß der andere kein ehrlicher Krieger war. Er sehnte sich, ihn zu beseitigen, drängte heftig vor. Nie hatte er, in keiner früheren Schlacht, solch heftiges Verlangen gehabt, seinen Gegner zu schlagen. Wie er einfältig nach Wien berichtete: dies sei kein rechter Feind. Genoß die Freude, seinem Herzensdrang ungesäumt nachzugeben.
Die Höhen nördlich Breitenfeld bezog er unter Trommelschlag und klingendem Spiel mit seinen Massen. Sechzehn Regimenter zu Fuß, sechzehn zu Pferd zog er hinauf. Der Schwede und Sachse kamen an. Sie konnten nicht rasch genug ihr Blut mischen.
Von morgens neun bis mittags vier wurden achttausend zu Leichnamen aus Tillys Soldaten, fünftausend aus den schwedischen und sächsischen gemacht. Unter den schweren Kürissern zerriß sich vor Kriegswut Gustav Adolf, sein ungeheurer Gaul mochte ihn tragen, wohin er wollte. Ihm war die Welt versunken. »Gott mit uns«, schrie er automatisch, sein Schwert raste, hatte teil an seiner Bestimmung. Das Leben der Leichen stieg stürmisch in ihn über, machte sein Gehirn trübe und trunken, dehnte ihn zum Klagen und Platzen. Er prustete im Schlachten, wieherte wie ein Hengst. Sein Schwert kämmte, er kämmte die Kaiserlichen, war ein Barbier. »Gott mit uns«, brüllte er. Die Leben blühten ihm erstickend zu, er konnte sich ihrer nicht erwehren, es war zuviel. Kanonenkugeln sausten über ihm; eine fegte ihm den weißen Hut mit der dicken grünen Feder ab; er atmete tief den Luftzug, der mit ihr kam; wenn nur bald wieder einer käme.
Sie schlachteten sich mit großer List ab, suchten sich den Wind abzufangen, um den andern vom Staub blenden zu lassen. Als ein einziger mächtiger Klotz, auf spanische Art gefügt, stand Tillys Heer da, das Treffen zehn Glieder tief, gespalten in sehr große tiefe Vierecke. Der Feind kam an, Livländer Kurländer Finnen Schweden Sachsen, den Wind im Gesicht, den breiten Loberbach überschreitend, sein Gestrüpp durchbrechend, bewegliche Brigaden, auf den Flügeln Reiter mit Musketieren wechselnd. Seine Kavallerie sprengte drei Reihen hoch, schoß, wie sie das Weiße im Auge sah, zwei Salven, zog den Degen.
Tillysche Regimenter gaben eine Salve ab. Die Sachsen warfen das Hasenpanier auf, Fahnen und Geschütze lassend. Tobend sprangen die Kaiserlichen in die Lücke, drehten die sächsischen Kanonen um auf die schwedischen Regimenter. Die klammerten sich an den aufgerissenen Boden, massierten sich dichter von Minute zu Minute.
Und wie ein Trompeter nach langem Ziehen aus tiefster Brust einen endlosen schmetternden Schrei von sich gibt, der sich wie eine Schwalbe in den Wolken verliert, so stießen die Schweden aus vierundfünfzig Geschützen eine Feuerwoge über die Deutschen, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden, die Luft anfüllend mit Fünfpfündern Zehnpfündern, anwachsend und nicht nachgebend mit halben Kartaunen, stampfend stampfend mit ganzen Kartaunen. Wie eine Mauer, im Fundament erschüttert, brach, lange an sich haltend, schwer das deutsche Heer über das Schlachtfeld hin. Stürzte die Reiterei, wurde begraben das Geschütz, das Fußvolk.
Auf die rieselnde staubende menschenstreuende Flucht nahm das Regiment Cronberg den verlorenen Brabanter mit. Das Morden in ihrem Rücken ging weiter. Sie hörten den frenetischen König im Dunkel Viktoria auf dem Felde schießen. Er schrie schweißtriefend, halb besinnungslos lachend, nach allen Seiten winkend: »Gott ist lutherisch geworden, Gott ist lutherisch geworden.« Tote wurden in der hereinfallenden Nacht weit und breit gesät, die Schweden blieben an der Arbeit.
Tilly floh, floh, tat nichts als fliehen.
Hinterher marschierten die Regimenter Starrschädel schwarzgelb, Löser rotweiß, Klitzing blauweiß, Arnim rotschwarz, Schwalbach rotgelb, Stålhandske, Wunsch, Tott, Westgötland, Småland, Ostgötland.
ALS VON den Wiesen und vom See her weiße Nebelschwaden unter den Brücken gegen die Stadt zu schwammen, die östlichen Straßenzüge Mantuas durchwanderten, stieg fröstelnd der Kaiser, weißgekleidet, aus dem Wagen, um an die Häuser zu treten. An der Karmeliterkirche, bei der Brücke San Giorgio, wo sie als Mädchen die erste Kommunion empfangen hatte, wollte ihn die Kaiserin in ihrem Wagen erwarten. Die voranreitenden Hatschiere suchten unter den Ruinen; an einer abschüssigen Gasse sah man unten einen Wagenzug, Reiter voraus, sechsspännige kaiserliche Wagen, Türen geschlossen. Die Hatschiere Ferdinands gaben den kaiserlichen Trompetenruf; die Türen blieben geschlossen. Langsam wanderte Ferdinand die verödete morastige Gasse herunter; wie er den ersten Wagenschlag öffnete, schluchzte es drin. Er hatte es erwartet, setzte sich neben Eleonore.
Die Tiere zogen an; sanft sagte er, die Schulter der Schwarzverschleierten umfassend: »Bei den Karmeliterinnen habe ich dich gesucht. Aber du konntest wohl das Kloster nicht finden.« »Hast du es gefunden?« kam nach langem leisem Weinen unter dem Schleier hervor. »Die Stadt sieht schlimm aus, Eleonore. Was ist dies für ein Glück, Krieg führen. Dein Vetter hätte es besser gehabt, wenn er zugegriffen hätte bei meinem Friedensantrag. Nun liegt alles verderbt da; er muß die Franzosen bitten, seine Schulden zu bezahlen.« »Mir ist an meinem Vetter nichts gelegen. Du hast Frieden mit ihm gemacht; warum ist Mantua nicht geschont worden?« »Er kam meinen Generalen zu spät, Eleonore, mit seiner Nachgiebigkeit.« »Und ich? Und ich? Warum hast du mir das angetan?« »Weine nicht. Ich will dir alles wieder aufbauen.« »Ich will es nicht. Es ist geschehen. Du hast es getan. Es nützt nichts mehr. Es ist geschehen.« Er blieb still: »Wie sollte es anders kommen. Ich konnte es nicht mehr aufhalten.« »Du hattest es in der Hand, doch und dennoch. Du hast in Regensburg deinen Feldherrn entlassen, es lag bei dir.« »Ihm ist kein Unrecht geschehen; Nevers hat kindisch gehandelt, er wollte mit mir spielen, ich war es meinem Amt schuldig, Eleonore, nicht nachzugeben.« »Deinem Amt? Nein dir, dir. Und mir? Mir bist du nichts schuldig. Mir wird meine Heimat zerschlagen, wie man eine Ketzerstadt zerschlägt; wie man Magdeburg zerschlagen hat.« »Auch in Magdeburg haben Frauen und Kinder geweint. Ich hab’ es vorher gewußt.« Sie hatte ihren Schleier zurückgeworfen, ein weißglühendes Gesicht bot sie ihm, der Wagen hatte angezogen, sie fuhren langsam über Schutt. Dicht saß sie an ihm, beide Hände an ihren Schläfen, flüsternd: »Versteh mich doch recht, Ferdinand. Wenn in Magdeburg die Frauen weinen und du dennoch befohlen hast, die Stadt zu verwüsten – ich fasse es nicht. Und wenn die Frauen weinen, meinetwegen, sag, es sind beliebige Frauen. Aber ich, Mantua, sieh doch, Mantua, wohin du mit mir reist.« »Ich muß trauern, mein Kind, gewiß, mit dir. Um diese schöne Stadt und für dich.« Sie stierte ihm lange ohne Verständnis in die ruhigen wehmütigen Augen; sagte dann zögernd: »Weißt du, Ferdinand, böse sein von Natur ist ein Unglück, der Mensch ist wohl dann wehrlos gegen seine Mitgift. Aber wie du böse sein wollen, wissen, daß man böse ist, das ist mehr als schlecht und sündhaft.« »Wie ist es dann?« »Grausig, du fragst noch? Das willst du auch wissen? Ekelhaft. Ich hab’s gesagt.«
Ihre Augen brannten gegen ihn, sie riß den Schleier wieder herunter. Sie fuhren schweigend in einem Nebelmeer. Er fing an: »So ist mein Amt, so bin ich durch mein Amt geworden. Es gab einmal eine Zeit, wo ich dich in jedem Punkt verstanden hätte; als ich diesen Wallenstein nach Ungarn hinter den Mansfeld geschickt hatte und mir Schandtaten gemeldet wurden. Damals wollte ich ihn wegschicken. Er bot es selbst an, meine Zweifel erschienen ihm komisch. Alle Räte widersprachen mir, die frommen Patres. Ich habe mich gewöhnt daran. Jetzt kenne ich nichts anderes.«
Beim Kloster der Ursulinerinnen vor der Stadt hielten sie im Nebel. Nach einer Weile stiegen sie aus. Durch ein Seitentor traten sie in die Kapelle. Der langgedehnte dunkle Raum, schwankendes Licht von brennenden Kerzen am Altar vor aufblinkenden bunten Bildern. Seitlich von oben tönte eine männliche tiefe Stimme. Die Nonnen kniend, kopfgebeugt, Reihe hinter Reihe.
»Ihr fühlt, es graut euch, ihr seid ausgestoßen, weil ihr Weiber seid. Ja, ihr ängstigt euch, der Fluch liege auf euch. Der Teufel treibt sein Spiel mit euch; gegen wen Satanas am grimmigsten seine Zähne fletscht, dem hält er ein Weib vor; so wäre es das beste, man rottete das ganze weibliche Geschlecht auf einmal aus.
Oh, verzagt nicht, christliche Schwestern, o gedenket, daß ihr Menschen seid. Gedenket dessen, der für uns alle am Kreuze hing.
Seine Mutter war Maria. Ja, Jesus hatte eine Mutter. Stündlich seht ihr Christum, den Herrn, am Kreuze hängen, seht seinen klagenden Mund, seine brechenden Augen, ihr weint über die Löcher, die in seine heiligen Glieder gerissen sind, ihr seht den strömenden Blutquell aus seiner Seite, mit dem er die Welt beglücken kam.
Ihr seht Jesum hängen.
Maria habt ihr nicht gesehen.
Es ist nicht ihr Bild, das glückselige Lächeln der Mutter. Die Hingestrecktheit vor dem Kreuze ist es, der Graus, die Erstarrung unter dem, was ihrem Sohn geschah.
Die goldenen Haare, die wonnigen Lippen, die Brust, mit der sie ihn einmal stillte, die Arme, mit denen sie ihn einlullte, der Schoß, in dem sie ihn trug, die Füße, auf denen sie mit ihm herumwandelte. Maria habt ihr nie gesehen.
Sie hing nicht am Kreuze wie ihr Sohn. Ehe ihr Sohn geboren war, war sie fast vernichtet worden, hatte sie schon alles durcherlebt. Allen Schmerz, den ihr Sohn grausend und zu unserem Heil durchfühlen mußte, hatte sie vorgefühlt. Denn in ihres Leibes Fleisch fraß die Liebe Gottes, die zehrende, zerreißende, schmelzende. Gottes Liebe zu Maria ist nicht wie das Blatt einer Rose, das über ein Gesicht fällt und streifend einen Duft hinterläßt, unter dem sich die Augen glückselig betäubt schließen. Es ist kein Flötenhauch, Sommerfaden vor dem Wind. Wen Gott berührt, der weiß nur, was Sterben heißt. Bitter, so bitter voller tötender Stacheln ist seine Wonne. Wen Gott berührt, der weiß nicht, daß dies die Berührung Gottes ist. Er kennt keine keine Beruhigung. Wer so empfangen wird, dem kann nur Tod und Ewigkeit mitgegeben sein auf seinen Weg und kann nicht lange auf dieser Erde verweilen. Als Gott Maria berührte, wurde für Jesum das Kreuz aufgerichtet. Er ist der Sohn seiner Mutter; das Entsetzen der Menschheit aus der Berührung mit Gott trug er mit sich in sein Leben und in unser Dasein. Siedendes Berühren von Feuer und Wasser; sein Leben nichts als ein Rauch, eine schmerzensreiche Flucht aufwärts.
Maria!
Maria! Mutter Christi!
Laßt sie uns lobpreisen. Von allen Frauen sie die erwählte, von allen Menschen die erwählte, unsere Fürsprecherin beim ewigen Thron, unsere Besinnung, unsere Befreiung, Befriedigung, Beseelung. Himmlisch war sie, zu unserem Glück, daß sie Gottes Blick auf sich zog, sie das Wunder der Welt. Der Wein ihres Bräutigams, seine seufzerquellende Traube. Maria! Du Schönste, du Süßeste, du Herrlichste, Gottes erschlossener Garten. Der Wohllaut der Erde.
Aus ihrem Körper quillt alle Stärke, ihre Adern dehnen sich aus und senken sich in unser Herz, in das Herz der Erde, wie Wurzeln. Das Lebende, Sonne und Gestirne zieht sie an sich. Ihr Herz drängt sich hoch, uns zu tragen, alle, Schwestern euch, Brüder uns. Ihr Leib wälzt und wühlt sich. Ihre Füße zittern und schlagen wie im Frost unter ihren Kleidern. Sie blutet, sie gebiert unser Glück.
Laßt uns weinen, liebe Schwestern, weinen und beten zu Maria. Laßt uns auf sie hoffen und uns freuen.«
Durch das Bistum Brixen, über Lienz, Judenburg kehrte der Kaiser langsam nach Wien zurück. In der Hofburg begannen die Empfänge; Adlige und Stände wollten den zurückgekehrten Kaiser begrüßen.
Man machte einen ungeheuren Saal für sie auf. Wer auf die glatte weitquadrierte Fläche hinblickte von der Tür, wurde hilflos, Schwindel erfaßte ihn. Die Decke war ein Urwald von Quadraten, Rechtecken, Achtecken, Balken um Balken, schwarze, überwuchert von Bildern, die über ihren Rahmen hinausgriffen, über die halbe Decke fluteten, plötzlich abrissen. Und dicht unter der Decke, an den Pfeilern der von zwanzig Fenstern aufgerissenen Längswandungen spießten Hirschgeweihe hervor, Pfeiler um Pfeiler gekrönt von ungeheuren Hirschköpfen, wild herausblickend aus gemaltem Rankenwerk von Blättern, Blumen, Ästen, oft noch Tierbeine auf die Wand aufgesetzt. Riesige Tafelbilder von den Wänden herunter, die Stirn nach vorn senkend, knapp über dem Boden aufgestellt. Aus dem niedrigen Prunktor der Schmalwand, das von steinerngrauen lanzentragenden Römern bewacht wurde, über dem sich bis zum Plafond ein wimmelndes Schlachtengemälde auswirkte in greller Buntheit, aus dieser dunklen engen Spannung quoll der farbige Hofstaat.
Auf der purpurbezogenen Thronbank unter dem goldenen glatten Holzbaldachin saßen hutbedeckt nebeneinander Kaiser und Kaiserin. Helles weißes Morgenlicht aus den zwanzig Bogenfenstern. Da kamen über den Parkettboden die Männer und Weiber angeschritten, die schloßentstiegene fröhliche Erdenherrlichkeit. Sie schritten wie bei einer Hochzeit zum Fakkeltanz, die schmuckreichen Paare, wehende Bärte, schaukelnde Röcke. Ein Balkon über dem Tore, durch den Aufbau eines silbernen Ritters Georg, von Löwen besprungen, geteilt; abwechselnd klangen Stimmen von einer Seite, bliesen aus langen goldenen Posaunen von der anderen Seite rotgekleidete Männer herunter. Die weitröckigen seidenbeschuhten Damen, Kornähren im Haar der blonden lachenden Gestalten. Stolze nackenbiegende Köpfe, zähneentblößend, Hälse von Ketten umspielt, gedeckt die Schultern von Hermelin, die fleischstrotzenden Arme nackt, offen im breiten Ausschnitt die geschwellten Brüste wiegend. Die Knie langsam fügsam wechselnd unter den fließenden Atlasvorhängen, Schleppen hinter sich lassend, wie Hündinnen ihren Geruch. Die weißen Arme, peitschen- und zügelgewöhnt, schleppten rafften die Masse der Kleiderpracht. Auf dem Postament der starken Schenkel trugen sich biegsam mit der Posaunenmusik die feinhäutigen gepflegten duftgebadeten Leiber, in denen sich bewegten wie in einem Zauberkessel das verwöhnte begierige Herz, die tiefatmenden Lungen, der weinsüchtige Magen, der lange weiße Darm, gesättigt und gestopft mit Pasteten, Pfirsichen, gebratenen Krammetsvögeln, die heißen kostbaren Verstecke und Wege der Zeugung. Die Augen, die offen sind für prunkende Bilder Maskeraden Schlittenfahrten, pürschende Hunde, Tänze in gedrängten Sälen, die Münder, die befehlen beten küssen, Lieder singen, Ohren, die offen sind für glückliche Worte. In Atlaskleidern, gebändigt von weißen sinkenden Armen, das kniewiegende stolze Chaos heranschreitend, das der Sonne, der Luft, den Blumen, Gewittern trotzt.
Gebückt auf der Purpurbank sitzend, den graubärtigen Mund leicht geöffnet, empfing der Kaiser ihren Anblick, warf ihnen Hände entgegen. Sein Kopf versank zwischen den hochgedrängten Schultern, der hohe weiße Hermelinkragen schob sich über den Nacken und hinter die Ohren herauf. Seine Beine breit nebeneinander gestellt schoben seinen Körper hoch. Er wand die manschettengeschmückten Arme aus dem schweren Thronmantel. Sie rauschten sicher an ihm vorbei, ihre starken lächelnden Leiber beugten sie vor ihm; er schwang stumm, wie er ihnen entgegenstrahlte als einer glücklichen Selbstverständlichkeit, beide Arme seitlich zu der herrischen trauervollen Frau neben ihm, als wenn er sagte: Nicht mir. Sie lächelte, und als wenn sie sich an der schmetternden stoßenden Musik und der herangeführten Menschenpracht wärmten, verdunkelten sich ihre Augen und schwammen in Feuchtigkeit.
Immer erneut die festen Münder zum Essen Trinken Beten Singen, knierauschende Atlaskleider, von weißen bloßen Armen gebändigt, ohne Scham auf den wandernden Postamenten das begierige Herz, der weinsüchtige Magen. Die goldenen Posaunen bliesen, das Tageslicht verfinsterte sich unter Wolken, es wurde in dem ungeheuer durchschrittenen Saal keinen Augenblick bemerkt.
Die Kaiserin, von blauem Samt lose umflossen, an ihrem goldenen Brustkreuz spielend, saß auf einem überdeckten Balkon, die Füße auf eine niedrige Bank ausgestreckt. Die stumpfgesichtige Gräfin Kollonitsch, vollbusig milde, lehnte sich über das marmorne Balkongitter, einen Arm um das Bein einer Amourette, blickte freudig und erschöpft in das grüne Blättergewühl des Parkes, trällernd. »Wem siehst du nach?« fragte die Kaiserin. »Ich? Wem seh ich nach? Ich seh in die Bäume.« »Wer läuft da? Ich höre doch jemand laufen.« »Im Park, Lore?« »Ja wo denn. Wer läuft da?« Die Gräfin, noch in Atlas, dunkle Nelken in dem hochfrisierten Haar, gegen den Stuhl der Kaiserin, die sich auf dem linken Ellenbogen hochstemmte, sah zu ihr fragend herunter.
Wie die sich ganz aufgerichtet hatte, gespannt nach dem Park hinhorchend, klang von unten ein unsicheres Scharren, absatzweise, als riebe jemand an einem Baume, als fiele ein Ast, glitte einer vorsichtig über Sand. Im Nu war die Kaiserin auf den Füßen. Blick, Mienen, Hände rasten: »Hörst du nicht, wer ist da. Da unten geht einer.« Die junge Kollonitsch wich ängstlich gegen die Balkontür, die Kaiserin, scharf herunteräugend, wo nur grüner Park und Kieswege waren, sprang zurück, suchte an der Gräfin: »Was hast du da. Hast du keinen Stein oder ein Messer.« Sie lief in das Zimmer, die Gräfin wollte zur Tür, die Wache rufen, die Kaiserin hielt sie mit wildem Ausdruck fest: »Ganz still.« Riß eine Pike, ein kleines Handbeil von der Wand; die Pike ließ sie neben sich fallen, mit dem Beil stürzte sie an das Balkongitter, nach kurzem Suchen schleuderte sie die angehobene aufblitzende Waffe zwischen die Bäume. Horchte herunter; als alles still blieb, lief sie an der sprachlos stehenden Gräfin vorbei wieder in das Zimmer, zerrte die Pike hinter sich, keuchte, suchte den riesigen Schaft auf das Gitter zu ziehen.
Und als er da oben lag, keuchte sie hochrot: »Komm hilf.« Die kam langsam an, faßte, immer die Kaiserin anblickend, den Schaft mit an. Einen Moment streifte die Kaiserin ihr bewegungsloses fragendes Gesicht mit einem Blick, blieb dann an ihrem Gesicht hängen, Hand an Hand mit ihr den Schaft haltend. Sie sahen sich an.
Die Kollonitsch fragte bittend, leise: »Was machen wir?« Die andere schob noch an dem Schaft, suchte unten zwischen den Blättern, heftete sich ruhig an die ratlosen Mienen der Gräfin, ließ mürrisch, verlegen, noch fliegend von der Stange: »Sieh, wer da unten ist.« Die Gräfin stand steif: »Es kann doch niemand in deinem Park sein.« Lange sah die Kaiserin, leicht am ganzen Körper zitternd, vom Balkon herunter; dann sich zurückwendend: »Denk, wenn das ein Mensch gewesen wäre, wäre er tot.« Die Kollonitsch schleifte die Stange ins Zimmer; wie sie bei der anderen stand, sich die Handteller rieb, hauchte sie: »Es ist ja keiner unten gewesen.« »Laß mich, laß mich«, wehrte die Kaiserin ab, die sich heftiger zitternd und sehr blaß, seufzend auf ihren Sessel fallen ließ, um ihre Fußbank bat. Sie wiederholte mit grellen Blicken gegen den Balkon: »Denk, ich hätte ihn umgebracht, wenn es ein Mensch gewesen wäre.«
Nach kurzem Besinnen setzte sich die schwarze Kollonitsch, die Schleppe heraufwerfend, neben sie: »Aber ich habe ganz vergessen, dich nach dem Empfang zu fragen. Es waren so viele, weil wir dich trösten wollten. Und nun sag, hat es dich erfreut.« »Ihr seid freundlich und lieb. – Was war das eben nur? Verstehst du es. Ich hab’ mich erschreckt, nicht wahr?« »Ich hab’ mich selbst erschreckt, Leonore. Es war nichts. Also: es hat dich erfreut.« »Eins aber sag’ ich dir, Angelika«, damit beugte sich die Kaiserin vor, drehte den Kopf, runzelte drohend die Stirn, »ich habe nichts dazu getan, wenn es einen getroffen hätte. Ich habe mich erschreckt, und – wie sonderbar, ich bin eine Frau und kam auf den Einfall, ihn totzuschlagen.« Sie zitterte wieder heftiger, ihr Kleid raschelte.
»Es war herrlich, wie der Chor sang.« Die Kaiserin schüttelte den Kopf, träumte mit wandernden Augen: »Ja, Angelika.« Später: »Ich bin besessen, Angelika, ich fürchte mich. Sag es nicht weiter. Wenn es der Bamberger Bischof erfährt, der Philipp Adolf, macht er einen Hexenbrand aus mir. Lache nicht. Wie ist es möglich?«
Sie nahm, als die Kollonitsch gegangen war, gedankenlos den kleinen Spiegel vom Tisch. In einem sechseckigen Elfenbeinrahmen stand er; ihn umgaben Menschen, Männer und Frauen, nacktleibig sich um seine geschliffene Randung hebend, schwimmend gegen die Höhe, auf der der Weltenrichter Christus thronte mit dem Schwerte, angebetet kniefällig von zwei Gestalten. Ohne sich zu sehen, hielt sie ihn vor ihr Gesicht; dann erblickte sie sich, bedeckte den Spiegel mit der Hand: »Wie kann ich ihn verwünschen, wenn ich selber so bin. Ich bin vom Teufel besessen. Ich bin’s. Er ist in mich gefahren und hat mich.«
AUS HALBERSTADT am vierten Tag nach der Schlacht machte sich der blasse deutsche Leutnant Regensberger mit einem Brief des verwundeten frommen Generals auf. Wurde in Wien sogleich vor den Fürsten Eggenberg geführt. Die Girlanden wanden sich am Plafond des langen rechteckigen Raumes in dem Kerzenlicht; dem jungen Reiter, der zu erzählen anfing, träufelten die Tränen aus den Augen. Der alte Fürst behielt ihn bei sich. In vollster Bestürzung bat er seine Freunde Trautmannsdorf und den Abt Anton zu sich. Sie fanden ihn, als sie nach Stunden eintrafen, noch auf demselben Stuhl sitzen, auf dem er den Leutnant angehört hatte, grau im Gesicht, vergrämt das Kinn aufstützend. Er sei, gab er kopfschüttelnd von sich, keines Gedankens mächtig, sie möchten selber lesen, was des Feldmarschalls Tilly Liebden geschrieben habe von der Schlacht mit dem König aus Schweden.
Und während sie lasen, jammerte er, er könne nicht denken, er werde gehen, er müsse sich zurückziehen vom Hofe. Im seidenen blauen Schlafrock schlürfte er über den Teppich; sie sprachen unter sich; er saß da, spielte mit seinen kalten blauen Händen, hörte nicht zu, und plötzlich blickte er sie kläglich nacheinander an, horchte, was sie redeten, als wenn er sein Urteil erwarte.
Der bucklige Graf sezierte mitleidlos, die Augen klein kneifend: jetzt könne jedenfalls das Reich auseinanderfallen, auch mit den Kurfürsten; man hätte sich ja vorher gefürchtet, ohne sie zu bestehen. Der Fürst wandte sich fast verzweifelnd an den Abt, der ihn traurig ansah: aber er hätte ja gerade die Kurfürsten gewählt, weil sie ihm sicher schienen für das Reich, sicherer als der Friedländer. Trautmannsdorf schob frostig die Arme aneinander, beschnüffelte den Brief: man habe sich eben getäuscht, getäuscht, getäuscht. »Was nun?« flehte der Fürst. Abt Anton strich ihm die Hände, Trautmannsdorf blieb dabei, die Hauptsache sei, zunächst zu sehen, daß man sich getäuscht habe. Eggenberg winselte: »Was wollt Ihr von mir. Ihr wißt, wie ich mich dem Erzhause und Kaiserhause gewidmet habe, wie ich es gemeint habe mit dem Kaiser von seiner Jugend auf. Ich habe mich getäuscht, Ihr hättet es verhindern können. Rettung, seid gnädig, Trautmannsdorf.« Anton stellte sich hinter den Fürsten, sanft sprechend neben seinem Ohr: »Ihr tut ihm ja unrecht, Fürst. Er will Euch nicht quälen, er will nur Klarheit. Ihr kennt ihn doch.« Trautmannsdorf: »Schlüsse zu ziehen aus der Situation ist ganz überflüssig. Man braucht nur die Ausgangsdaten nebeneinander zu stellen, so ergeben sich die Schlüsse von selbst.« Angstvoll hing Eggenberg an seinem ruhigen Gesicht, drängend: »Wie also?« Der Graf trommelte nervös, er wolle seine Weisheiten schon dem Fürsten nicht aufdrängen, geschweige denn die Trivialitäten. »Was denn, was denn?« bettelte der Fürst. Auf den vorwurfsvollen Blick Antons wurde der Graf herzlicher, sprach leise, las mit ihnen den Brief noch einmal durch und erklärte: Einrenken sei die richtige Behandlung. Wenn man ein Glied, mit dem man bisher gut gegangen sei, ausgerenkt habe, in der Hoffnung, noch besser zu gehen, nun, so renke man es wieder ein, wenn man den Schaden bemerke. Der Fürst war aber viel zu verwirrt. Er verfiel in ein verzweifeltes Selbstanklagen, man mußte ihn beruhigen, dann beteuerte er wieder seine Unschuld.
Tags drauf empfing ihn der Kaiser; der Leutnant Regensberger war zur Audienz geladen, erstattete zaghaft seinen Bericht. Milde erkundigte sich Ferdinand nach seinen Eltern und wo er in der Schlacht gefochten habe, sprach seine Freude aus, daß er entronnen sei. Er ließ seinen Obersthofmeister rufen: man möchte den Leutnant bei Hof gut unterhalten, ihm hundert Taler zum Dank für seine Meldung verabfolgen, und der Leutnant möchte sich vor seiner Abreise noch melden.
Dann, allein mit dem Fürsten, der noch kaum gesprochen hatte, betrachtete der Kaiser lange seinen unglücklichen alten Freund. Was in ihn gefahren sei, wie er aussehe, ob er sich wieder krank fühle; er hätte sich dann hinlegen mögen, warum habe er sich in diesem Zustand bemüht. Eggenberg nach langem Schlucken gab nach, stürzte dem Kaiser, der vor seiner Schreibkommode stand, zu Füßen, weinte schluckte und schnarchte hilflos. Verwundert trat Ferdinand zurück: was er denn wolle. Dann stammelte Eggenberg, der jede Haltung verloren hatte, um Verzeihung. Ja, wofür, ob er die Schlacht bei Breitenfeld gegen den schrecklichen Ketzer verloren hätte; ob sich sein lieber alter Eggenberg einbilde, der liebe Gott zu sein, der alles füge; und schließlich: »Wir müssen uns fügen und nachdenken, wie alles zusammenhängt.« Der kleine Fürst stand mit blutrotem Gesicht auf; Ferdinand lächelte, wie er an seinen Spitzenmanschetten zupfte, näher tretend: aber krank sehe Eggenberg aus, und er sei doch damals beim Regensburger Tag nicht folgsam genug in Istrien geblieben. Eggenberg hauchte aufblickend: er hätte nicht ruhen können aus Sorge um das kaiserliche Haus.
Der Kaiser, dem Geläut von Sankt Stephan lauschend, setzte sich auf seinen breiten Stuhl, einen Abtstuhl, dunkles Buchsholz, über Armlehnen, Rückenlehnen braune stille Figuren, die sich gegen Hand und Nacken des Sitzenden bewegten, faltenwerfende Männer, betende Frauen, singende haarflechtende Mädchen, Frauen mit Säuglingen an der Brust, segnende stabgestützte Bischöfe. Er hätte es sich gedacht, gab er von sich, sie drängten ihn, drängten ihn, wollten die Gewalt in ihren Händen haben, und nachher könnten sie sie nicht meistern. Nun stünden sie da wie arme Sünder und es sei ihnen kläglich ums Herz.
Ferdinand hatte die Knie übereinandergelegt, seine Hand befühlte einen Säugling, der am Bein der Mutter herunterrutschte. Am meisten jammere ihn sein Vetter Maximilian, der stolze Mann; ein unerbittlicher Feind stünde nicht weit vor seinen Grenzen. Daß man sich nicht niederdrücken lasse von dem Zufall, daß man dem Bayern gleich ausreichende Hilfe gewähre. »Wir sind ungerüstet, Kaiserliche Majestät; wir wissen jetzt nicht, wie uns unserer Haut wehren.«
»Schreibt ihm, er solle unbesorgt sein. Wenn er fürchtet um seinen Vater, solle er ihn herschicken zu mir. Sie sollen bei mir als Gäste wohnen.«
»Majestät, wir wissen nicht, wie wir uns unserer eigenen Haut wehren sollen. Der König aus Schweden rückt mit einer so furchtbaren Macht heran; die Kurfürstliche Gnaden von Sachsen hat sich ihm angeschlossen. Tillys und unsere eigenen Truppen sind auf der Flucht.«
»Bewahre Gott, lieber Eggenberg, Ihr wäret jetzt auf meinem Platz. So wäre das Erzhaus verloren. Seid doch wieder munter, listenreicher Odysseus. Wie seid Ihr gedrückt, Eggenberg. Warum?«
Der bewegte seine zittrigen Arme nach vorne, ließ sie fallen; freundlich winkte der Kaiser ab, sich die Augen bedeckend: »Laßt, lieber Freund. Was ist die Lage leicht für uns. Friedland ist als Freund von uns geschieden. Die Fürsten werden ihren Widerspruch gegen ihn aufgeben. Wir können uns alle auf ihn verlassen, er war schon schwereren Lagen als jetzt gewachsen.«
Und so leicht und beruhigend sprach der Kaiser, der sich wohlig schwer zurücklegte, daß Eggenberg den Eindruck hatte, die Sache ginge ihm nicht nah, ginge ihn nichts an. Mit weißlichhellen Augen blickte Ferdinand leicht zerstreut auf den kleinen Geheimrat, in den Raum hinein, seitlich auf die bernsteinbesetzten Fächer seines Schreibkabinetts.
Ferdinand brachte seine irrenden Blicke einen Augenblick zur Ruhe, heftete sie weich auf das ängstliche fragende Geschöpf, das ihn liebte: »Eggenberg, treuer Eggenberg, was seid Ihr verstört. Hat Euch der Regensberger solche Furcht gemacht. Geht hin zum Friedländer. Er ist unser Schwert. Nehmt es nur wieder.« Vergnügt fuhr er fort: »Ich weiß zwar nicht, ob er jetzt zarter zugreift als die vergangenen Jahre. Auch wird er sich einen guten Lohn im Reich holen. Dafür ist er unser alter werter Friedländer. Holt ihn nur. Er soll wieder kommen. Er wird sich freuen, daß es ohne ihn nicht gegangen ist.«
Und als der alte Mann sich verneigte, verabschiedete er ihn zwischen Summen und Pfeifen, sich tiefer zwischen die faltenwerfenden Männer, die betenden Frauen, singenden Mädchen drängend.
Ohne Mantel Hut Wehrgehenk kam abends Ferdinand der Mantuanerin an der Tür seiner Anticamera entgegen; man schloß die Türen. Eleonore raffte ihr goldfarbenes Kleid vorn, drückte ihn, auf ihn rauschend, auf die Fensterbank, drückte auf seine Schultern mit den Fäusten, das Gesicht an seine stopplige Wange reibend: »Tu mir das nicht an. Nimm ihn nicht. Ich will es nicht haben.« Dann: »Willst du mich ermorden, nimm ihn. Was hast du es auf mich abgesehen?« Dann: »Ich lass’ es nicht zu. Niemals, niemals. Und wenn ich dich wieder und ganz verlassen sollte.« Das Gesicht von ihm entfernend, ihn anstierend: »Mann, du, wer bist du, daß du das alles anhörst. Daß du hier so sitzest. Vor mir. Nein, ich lass’ es nicht zu. Ich siedle mich auf den Trümmern von Mantua an. Bei den Ursulinerinnen, und zeige der Welt: so geht es einem Weib, einer Ehefrau, der angetrauten Frau des deutschen Kaisers.« Er ließ sie gewähren, zog sie an der Hüfte neben sich, an ihrer langen Perlenkette spielten seine Finger, leise begütigte er: »Du warst schon in Regensburg so wild. Ich muß überall herumgehen und trösten. Ich hatte noch nie soviel gutzumachen und zu besänftigen wie jetzt. Eben erst unsern guten Eggenberg.« Und er ging zum Nachtmahl. Sie begleitete ihn nicht.
Hinterher schmauste und pokulierte er im langen Spanischen Saal, wo die ganze Wand quadratisch gefeldert war und aus jedem Holzquadrat ein Fürstenbildnis des Pietro Rosa aus Brescia herblickte. Sechzig Fürsten blickten in der Runde, wie Ferdinand zwischen seinen lustigen Kämmerern, Offizieren, Gästen Bären Tannenzapfen Windmühlen Lastwagen Schiffe als Trinkgeschirre vor sich anfahren ließ und sie im Kreise fuhren; wie man Hund und Katze zusammen ans Bein eines fetten Schweins band, das der Kaiser mit seinem goldenen Degen durch den Raum jagte. Ein brauner kurzschwänziger Affe saß in der Mitte der Tafel, trank an Kannen, stieß sie im Sprung um. Der Kaiser war alle Abende von gleichmäßiger unbeweglicher Heiterkeit.
AN MAXIMILIANS Hofe hielt man ein kleines mißwachsenes menschliches Geschöpf als Narren, ein Wesen von einer unglaublichen Gefräßigkeit. Meist lungerte er um die Küchen Keller Tafeln Bankette – wie er sagte, den Mist zu prüfen, auf dem sein Spargel wuchs. Er verabscheute ehrlich die Fresser und Saufer, sie hatten mit ihm nichts zu tun. Bäuche von Schweinen, Kälberknorpel, der schön gedämpfte und gepfefferte Rindermagen bedeuteten ihm mehr als Leibesfüllung. Wie ein Pferd beim Klingen der Musik ins Tänzeln gerät, so bewegte sich sein schlafffaltiges blaurotes altes Gesicht, sein Herz belebte sich, seine Hände griffen zum Gabelrapier, wenn die würzigen Gerüche in sein Näslein zogen.
Er ging den Speisen wie ein Kämpfer entgegen. Mit seiner Beute hockte er sich beiseite hin, hielt sie wie einen noch nicht bezwungenen Widersacher unter sich. Er liebte es, daß man ihn allein ließ, ihm nicht zusah. Knurrte wie ein Hund beim Essen. Lang ließ er die dicke wulstige Zunge über die Zähne hängen, die Hände hoben die Speise, der Mund schnappte ihr entgegen. Wenn die Vertilgung der Speisen vor sich ging, die Soßen wie Blut aus den Mundwinkeln rannen, fing das Schnalzen Schmatzen Knacken Knuspern Reißen Schlürfen Knirschen an. Hier wurde nicht gefressen und geschlungen, sondern völlig vernichtet und restlos einverleibt. Und dies war der Vorgang, der ihn berauschte. Er konnte es nicht unterlassen, wüste Bemerkungen dabei auszustoßen, obwohl er bisweilen halbtot dafür geschlagen wurde; er lästerte von dem neuen besseren Meßopfer, das er vollzog, jetzt werde er Kalb mit dem Kalb, Schwein mit dem Schwein, Fisch, Kapaun. Er vollziehe das Meßopfer nicht zum Himmel herauf, sondern nach unten herunter. Rachedurstige Äußerungen stieß er aus, ihnen die frommen Gedanken zu besudeln, widerstandslos von der Inbrunst des Wütens und Wühlens geschleudert. Und so empfing er bisweilen, wenn er böse gelaunt war, irgendwelchen Edlen vor der Kirche oder der Neuen Kapelle, würdevoll gespreizt einen Rinderknochen mit einem Fähnlein auf seinem Spieß vor ihnen tragend, wie ein Chorknabe Räucherbecken oder Kruzifix, keifend, näselnd: »Auf zum Gebet vor dem Rehbraten. Auf zum Speikübel und Nachttopf. Auf, meine lieben Herren, lasset nicht nach, nicht nach im Eifer. Gehet in euch!«
An diesen Tagen waren die Herren und Damen an der Tafel sehr empfindlich gegen Lärm, man mochte ihn nicht hören. Der Zwerg wurde unter dem Tisch aus seinem Winkel hervorgezogen; wie schlaftrunken hing er, kauend speichelnd stöhnend knurrend, in den Händen der Pagen, die ihn schüttelten. Er schlug um sich, wußte, daß er nicht wie ein Hund knacken und knirschen sollte. Gestäupt und wieder eingelassen, schleppte sich das gebückte klingelnde Mißgeschöpf an den Tafeln entlang in seine Ecke, bald schweigend in Wut, bald die Tische mit einem Wust von Giftigkeiten überquasend, ruckweise anhaltend, unter seinem Asthma keuchend, beschämend mit Zoten und Unflat die jungen Hansen und Pagen, die wartenden Kämmerer.
»Er tut es gern, das Knirschen, er tut es gern«, schrie triumphierend der jesuitische Beichtvater, nach hinten blickend auf ihn, wie er vorbeigetrieben wurde. Mit Abscheu sah der Zwerg, wie die Herren vor den vollen Schüsseln speisten, sanft gedankenlos die erlesenen Gerichte in die Münder steckten, sich leise unterhielten, der Musik lauschten. Der Verrat an den Speisen; die Lumpen vor diesem Braten. Er taumelte vor die Tür. Der seidenbehängte Oberstkämmerer wandte sich angewidert über seinen Teller.
In den Grottenhof der Residenz wurde am Nachmittag der Zwerg geführt. Da ging eben hinaus der alte langbärtige Angermair, Elfenbeinschreiner, traurigen Gesichts; einen ganzen Tisch mit Elfenbeinmustern trugen ihm zwei Gehilfen nach. Zwischen ausgebreiteten Kartons und Wandteppichen stand inmitten des blumigen Hofes der üppige schwarzlockige Hans van der Biest, Maler; Maximilian hörte ihm nicht zu. Neben dem Kurfürsten, der im knappen spanischen Kostüm am Springbrunnbecken saß, stützte sich der junge Küttner, der Rat, auf den silbernen Kavalierdegen, sein Gesicht zuckte. »Ich will mich ekeln«, spielte Maximilian mit dem Messer; der Maler zog sich auf Küttners Handbewegungen unter stolzen Verbeugungen zurück.
»Küttner, der Arzt hat mir befohlen, ich soll mich ekeln. Das helfe mir am raschesten.« »Ich weiß, Kurfürstliche Gnaden. Da ist der Narr.« »Fang an«, stieß Maximilian hervor. »Was soll ich?« schrie der angetriebene Narr bleich. »Fang an, Bärenhäuter.« »Was soll ich anfangen?« »Willst du anfangen, Schelm!« »Was schimpft Ihr mich Schelm, Schuft, Bärenhäuter. Reißt doch Euer Maul selbst auf und sagt, was Ihr wollt.« Müd drehte Maximilian den Kopf zur Seite, leise: »Sprecht Ihr mit ihm, Küttner. Macht es kurz.« Küttner, der feine junge Mensch, stolz, französisch elegant, ging, den Degen in der Hand, auf den Narren mit den weiten Nasenlöchern los, wispernd: »Mach deine Späße, Hund; du weißt, wozu du da bist.« »Der Hund, wozu der da ist? Zum Fressen, du geleckter Welscher.« »Du, du bist Narr, weißt nicht, was du zu tun hast.« Küttner schwenkte zornig die Klinge; er kam aus Paris, lebte wenig am Hof, wußte nicht; was die Künste des Geschöpfes waren. Der Kurfürst blickte beiden stier und erbittert zu; so apathisch war er, daß er nicht imstande war zu sprechen: »Fang an, fängst du an!«
Von der Terrasse stieg ein zahmer Storch mit seinen hohen roten Stelzen feierlich näher, von Zeit zu Zeit wuchtig in den sumpfigen Boden hackend; er ging dem Wasserlauf nach, der zu dem Springbrunnen führte. Küttner begann in seiner Ohnmacht den Zwerg mit der flachen Klinge zu prügeln. Maximilian, die Fäuste ballend, verfolgte die Szene. Der Zwerg sprang erbost unter dem Hageln der Hiebe herum. »Friß. Er soll fressen«, schrie Maximilian. Der Zwerg machte sich heulend los: »Was soll ich fressen? Was soll ich fressen? Bringt mich nicht um.« Unter den steifen Blicken Maximilians, den in den Sand spritzenden Schlägen Küttners stürzte er sich kreischend, verzweifelt die Arme aufwerfend, in den Sand vor dem Becken.
Und da kam mit gravitätischem Schritt der langbeinige Schnabelträger her. Wie der Zwerg das Geräusch hörte, zuckte er zusammen. In Todesangst kroch er hoch und nun warf er sich auf den Storch. Er war nicht höher als die Beine des Vogels waren. Mit den Armen packte er nach der Brust des Tiers, das krächzend flügelschlagend zurückwich, sich schüttelte, sogleich gegen das kleine Wesen losging. Es hieb wie ein Drescher mit dem Schnabel auf den Zwerg herunter, der ungeschützt einen Hieb dicht unter dem Hals empfing. Seine Kappe zerriß, er knickte auf die Knie; schien aber sonst nichts zu bemerken. Nur auf die federbesetzte Brust des großen Vogels starrte er, schon hing er mit beiden umschlingenden Armen an seinem Hals, der sich wand, drehte, sich zu entziehen versuchte. Seine Beine zappelten unten, das starke Tier stand krächzend krächzend einen Augenblick, bis es vornübersank. Der Narr wälzte sich mit dem Storch im Sand. Sein Gesicht war nicht zu sehen, es war in die Brust des schreienden, fast menschlich kreischenden Tieres vergraben. Er spie Federn, kaute und biß an der zähen Haut, dem krampfhaft zuckenden Fleisch; sein eigenes Blut lief unter ihn; das Tierblut leckte und schlürfte er. Und nun, noch eben in der Angst der Degenhiebe, vergaß er, wer hinter ihm stand, wer auf dem Stuhl sitzend vornübergebeugt mit langgezogenem Gesicht ihm zusah; er fing an seine Kiefer zu bewegen und erst mit Widerwillen, dann mit wilder Besessenheit zu fressen, zu vernichten, das zuckende schreiende Tier zu vernichten. Der Storch, auf der Seite liegend, suchte, wie ein gefallenes Pferd den Hals rekkend, mit den Beinen ausschlagend, hochzukommen. Das schwere Gewicht des malmenden Zwerges zerrte ihn herunter. Wie der Vogel einen hellen durchdringenden Trompetenschrei ausstieß, verlangte der Kurfürst, daß Küttner, der seitwärts schielend dastand, mit seinem Degen spielte, den Zwerg abrisse. Küttner bückte sich herangehend, packte den Zwerg am Rücken. Der, verbissen, ließ das Tier nicht los. Als Küttner ruckartig an dem Geschöpf zog, ließ der Zwerg die Arme vom Hals des Tieres los, aber in gräßlicher Weise hing er mit dem Gesicht wie verwachsen im roten klebrigen Sudel an der Brust des Vogels; rechts und links lief und spritzte hellrotes Blut den Boden. Mit einem Fluch klemmte der Kavalier seinen Degen zwischen die Beine, laut hörbar wurde das brünstige Mahlen, Knurren, Schlürfen, Schlucken des Zwerges, der mit den Armen wieder versuchte, nach dem Hals des Vogels zu hangeln; der Storch hielt den Hals senkrecht über ihn, entsetzliche Hiebe mit dem Schnabel fuhren blitzschnell auf die Waden und den Rücken des Mörders, dazwischen die schrecklichen hohen Schreie. Küttner griff zu, die Beine des Menschen packte er, ein Zug, er schwang den Zwerg um sich, ließ ihn ins Beet absausen. Der Vogel schwankte mitgerissen, krächzte, stand im Augenblick auf den Beinen, von oben troff das Blut, flügelschlagend machte er kehrt, taumelte davon. Aus dem Beet kam der grauenvoll beschmierte Zwergenkopf hervor; Wutgeheul, Tränen. Der Kurfürst ging rasch an ihm vorbei; er nahm Küttners Degen, stieg ausspeiend auf das Beet zurück, spießte, senkrecht von oben stechend, den anstrebenden Zwerg mit dem rechten Oberschenkel am Boden an.
In der Kunstkammer vor einer kostbaren Truhe, Stuckrelief mit keulenschwingenden Kentauren, die vergeblich andrangen gegen die sanfte Menschengruppe der Gerechtigkeit Weisheit Stärke Mäßigkeit, standen sich Maximilian und Küttner im Halbdunkel eines Pfeilers gegenüber. Maximilian hieß ihn sich seinen Degen holen; der Zwerg zeterte noch. Als Küttner mit der blutigen Klinge wiederkehrte, saß der Kurfürst nahe einem Fenster. Sie hörten dem sich entfernenden Gejammer zu. In der Stille schüttelte sich der auf der Truhe, Maximilian: »So sollte mein Arzt schreien.« Stieß ein hitziges Lachen aus, seine Augen blitzten erregt. »Wißt Ihr, Küttner, was heute für ein Tag ist?« »Michaelstag, Durchlaucht.« »Sankt Michael. Das ist der Schirmherr der Deutschen. Wir haben eben gut gekämpft; er wird uns loben.« Maximilian lachte sanfter und erschöpft. Küttner bog seinen frauenhaft weichen Leib vor, hob die langfingrigen Hände vor die spitzenbesetzte Brust: »Der Narr war ein Vieh, Euer Durchlaucht. Wo gibt es so etwas in der Welt.« »Wir haben beide tapfer gefochten. Sankt Michael hat im Lande Moab dem Satan die Leiche Moses’ abgerungen. So habt Ihr gerungen. Ich bin matt, Küttner, und fühle mich besser.« Der lächelte verbindlich, schwieg. »Ihr seid mir der liebste Mensch am Hofe, Küttner; Euch vertraue ich wie fast keinem.« Plötzlich hob, nach einigem Suchen, Maximilian leidenschaftlich die Arme, hauchte aufflammend: »Küttner, was soll geschehen!« Er zog den anderen an der Hand zu sich herunter: »Ich bin verloren. Ich –« Er stammelte. »Vor dem wüstesten Menschen der Erde liege ich, vor diesem Goten. Er wird sich eine Freude daraus machen, mich zu beschimpfen. Heiland, mein Heiland, wohin sind wir geraten.« Der Fürst schien vor einem Tränenausbruch, jammernd und zähnekrachend sah er zu Küttner auf. Verlegen wich der mit den Augen aus; es gäbe himmlischen Schutz für Deutschland. »Sagt mir das noch einmal, Küttner. Ihr seid soviel jünger als ich. Wenn es keinen himmlischen Schutz für uns gibt: ich sehe keine Rettung. Ich hab’ mich übernommen. Es war zuviel für mich. Setzt Euch neben mich. Habt keine Scheu. Laßt mich an Euch anlehnen. Ich habe keine Frau, keinen Freund. Mein Vater ist krank. Ich will mich aussprechen, Ihr werdet mich nicht verraten. Regensburg ist mir nicht geschenkt worden. Ich bin wie ein Lump, der alles verwettet hat. Ich kann nur greinen.« Nun weinte er wirklich, Küttners Schulter umfassend.
Der hatte seine Scheu rasch überwunden; er kannte die Krankhaftigkeit des Kurfürsten, gab nach: »Was soll dies für ein Michaelstag in Deutschland sein, wo Eure Durchlaucht zerknirscht ist. Wir geben nicht nach, der Satan wird unser nicht Herr werden, und wenn er sich mit den ledernen Kanonen der Finnen und allen schwedischen Neuigkeiten bewaffnet.« »Mir wär’ wohl, Küttner, ich hätte diesen Tag nicht erlebt. Wie hab’ ich mich hoch über meinem Vater gefühlt, der mir das Land hat abgeben müssen, weil es fast ruiniert war. Aber ich! Aber ich! Seht hin, nein, seht nicht hin. Sehe keiner hin. Es ist ein Grauen. Wir haben den Krieg über die Pfalz und Böhmen getragen; es hat uns nichts ausgemacht, die brennenden Dörfer, die Leichen auf den Straßen haben uns eine Freude gemacht, wir sind als Sieger durchgezogen. Was haben wir gesehen. Wir waren Sieger. Küttner, jetzt soll Bayern, mein Land, für das wir gesorgt und gegeizt haben, alles dulden. Ich hab’ mich lästern lassen als Geizkragen und schlechten Filz; seht hin, wie alles gediehen ist, wie alles prangt und wohl ist. Für dies Land hab’ ich alles eingesetzt, mich selbst mit, mein Haus, die Ehre meines Namens, den Ruhm der vergangenen Geschlechter. Wißt Ihr, wer nun kommen wird, wer das ist. Ein dicker roher plumper Mann, der die lutherischen Schimpfworte vom Morgen bis Abend wie einen Wohlgeschmack im Mund führt. In unseren reinen reichen Kirchen wird er sich wälzen wie ein Schwein. Meine gehegten geliebten Städte, o Ihr kennt sie ja, er wird drin herumschnüffeln, Feuer wird er auf sie werfen, arm wird er sie erpressen. Ich werde nicht da sein, ich werde irgendwo mit dem Hof sitzen. Oh, ich will nicht. Ihr Menschen, was ist über mich verhängt. Wie hab’ ich das versündigt.« Den jungen Gesandten hatte er losgelassen, sein Kopf hing seitlich über der Brust, er schluchzte, stammelte.
Küttner kniete vor ihm, streichelte sein Knie: »Sprecht nicht so laut, gnädiger Herr; man könnte Euch hören. Seht doch mich an, hebt Euren Kopf, wo ich bin. Ich bin Euer Gesandter in Paris. Erinnert Euch des Königs Ludwig. Laßt Eure Seele nicht so im Sumpf. König Ludwig will Euch wohl, er braucht Euch. Graf Tilly ist bei Leipzig nicht vernichtet. Der Schwede wird aufgehalten werden.« »Das glaubst du, Küttner? Freue dich. Ich bin schon halb auf der Flucht. Ich jammere schon und beklage meine armen Münchener, die frommen Klöster, die ganze Herrlichkeit. Es gibt keine Rettung.« »Man rechnet in Paris auf Eure Durchlaucht. Man hofft, Ihr werdet den Augenblick verstehen.« »Was ist, Küttner.« »Ihr seid kein Freund Habsburgs, glaubt man zu wissen, und sicher kein Freund Spaniens, weil es Euch die Pfalz mißgönnt. Man meint in Paris, Ihr werdet nach dem Leipziger Schlage begreifen, worum es sich dreht. Ihr werdet irgendwie mit dem Schweden paktieren. Frankreich hat es schon getan.« Der Kurfürst wischte sich das Gesicht; abgewandt bat er: »Setz dich neben mich, Küttner. Knie nicht da. Erzähle.« »Ich hab’ Euch nur zu melden: der Pater Joseph sagte mir, als die Nachricht von Breitenfeld einlief: ich sollte verhindern, daß mein kurfürstlicher Herr sich von diesem Unglück getroffen fühlt. Das kaiserliche Heer sei geschlagen. Es sei eine Warnung, über den Regensburger Weg hinauszugehen – nach Wien; ein Wink für Eure Kurfürstliche Durchlaucht, nicht mit der falschen Partei zu halten.« »Ich bin nicht geschlagen, ich bin nicht geschlagen.« »Vielmehr meinte der so gelehrte und weltkundige Pater: Ihr hättet sozusagen einen Vorteil errungen. Ihr hättet es in der Hand, den Kaiser wissen zu lassen, wie es steht und wie Ihr es auffaßt. Schließlich habt Ihr nicht Pommern und Niedersachsen zu verteidigen. Die Liga ist nicht gegründet, um Pommern zu befreien.« Mit gezwungenem Lächeln betrachtete Maximilian ihn von der Seite: »Du, lieber Küttner, meinst, ich bin nicht besiegt. Es wird alles wieder gut.« »Kurfürstliche Gnaden, Eure Stunde kommt. Ich spreche, was mir der Kardinal und der Pater oft eindringlich nahegelegt haben: Ihr solltet Mut haben. Der Kaiser ist gerichtet. Alle deutschen Stände wenden sich nach den friedländischen Untaten, die er begünstigt hat, von ihm ab. Greift zu. Jetzt seid Ihr in Notwehr. Es geht um Euer Land und Euer edles Haus.« »Was hat Richelieu gesagt?« »Stellt Euch dem Schweden nicht in den Weg. Haltet es wie der Allerchristlichste König: begünstigt ihn und sucht Euren Vorteil. Frankreich rät Euch das. Es rät Euch das, weil Ihr sein Bundesgenosse, sein natürlicher Bundesgenosse im Kampf gegen Habsburg seid. Frankreich hat einen Vorteil von Euch; es wird Euch nicht Schlechtes raten.«
Maximilian, den Arm auf der Schulter des schlanken Jünglings, blieb still, sein Gesicht wurde länger, seine Nase rümpfte sich, leise: »Glaubst du, daß er den Storch umgebracht hat?« Leicht verwirrt Küttner: »Sehr tief war die Wunde nicht.« »Ein ekler Mensch. Laß dich doch ansehen. Das ist also ein Mensch, der mich nicht aufgibt. Ich muß mich wohl an dich halten. Und wie hat Richelieu gemeint, Küttner, besänftige ich den Schweden am besten?« »Besänftigen, Durchlaucht – ich rede mit aller Offenheit, die Ihr erlaubt –, es ist ja nicht nötig. Wer, glaubt Ihr, sei der Schwede. Ich habe mir viel von ihm erzählen lassen. Er rechnet wie Ihr und ich. Er hat seinen Haß wie ein dummer Lutheraner, aber das verwirrt seine Rechnung nicht. Zuerst Eure Liga aus dem Spiel: seid gewiß, Ihr braucht ihn nicht mehr mit Worten zu besänftigen.« »Daß ich so wie von einem Fall gelähmt bin. Mir liegt – ich habe ein dumpfes Gefühl – eine ziehende Angst in den Knochen. Bin ich nicht in einem wilden gräßlichen Traum, der mich nicht losläßt.« »Also hätte Eure Durchlaucht nur darüber anzuordnen: wie sich Graf Tilly verhalten soll. Befehlt ihm, Waffenruhe anzubieten.« »Ich wäre nicht besiegt, ich wäre nicht geschlagen, meint Richelieu.« »Ein Entschluß hilft Eurer Durchlaucht.« »Es ist nicht denkbar. Mein Arm, meine Knochen.« »Die Lage hat sich zu Euren Gunsten gewandt; Ihr könnt eine entscheidende Rolle spielen.« »Nun will ich aufstehen. Du hilfst mir, Küttner, und begleitest mich auf meine Kammer. Ich freue mich. Es geht mir besser.« Maximilian schwankte am Arm des schlanken sanften Küttner durch die lange Kunstkammer. Sie gingen über den Hof. Den Fürsten schauerte es in der Herbstluft. Er sah lächelnd seinen Begleiter an. Der Oberstkämmerer erwartete ihn auf der großen Freitreppe. Der Kurfürst hatte das Gefühl, bald froh zu schlafen wie lange nicht. Nur als er in der finstern Nacht erwachte, fühlte er, auf dem Rücken liegend, die fremdartige Geschlagenheit, Zerbrochenheit, Zermalmung in seinen Gliedern. Er flüchtete, mit ihr ringend, in den Schlaf.
Der französische Gesandte Charnacé, der rothäutige Soldat, und Küttner, am nächsten Tage vom Kurfürsten und seinen Geheimen Räten gemeinsam empfangen, reisten zu Gustav Adolf ab. Sie brauchten nicht weit zu reisen. Jenseits des Thüringer Waldes stand er in Erfurt, nachdem er Leipzig Halle und Querfurt überzogen hatte. Vierzehntausend Schweden bevölkerten die Stadt. Der König wohnte im Gasthof zur Hohen Lilie. Er nahm die Gesandten auf einen Umritt mit; auf dem Petersberg, wo das Jesuitenkloster stand, fingen sie ihre Gespräche an. Der dicke König war von deutschen Fürsten umringt, er war lärmend freundlich zu ihnen, sie kamen zu keinem Ende. Er lud sie bei seinem Aufbruch, als sie mißmutig ihre Lage bedachten, ein, ihm noch einige Tage zu folgen.
Über Gotha und Schmalkalden in einem Haufen, über Arnstadt und Schleusingen im andern schob sich das Schwedenheer durch den Thüringer Wald. Während dieses Marsches ließ der König und keiner seiner Umgebung sich sprechen; die Gesandten wurden herrlich verpflegt; mit Jammern und Schmerz sah der weiche Küttner, mit welcher Schnelligkeit man südlich kam, Charnacé erklärte fluchend, er werde nach zwei drei Tagen das Lager verlassen. Ihm graute auch; er sagte: zwei drei Tage, konnte sich aber von dem betäubenden Vormarsch nicht trennen; er mußte sehen, wohin das ging, ob es gar gegen Westen auf den Rhein zu ging. Vor ihnen ergab sich die würzburgische Festung Königshofen auf das Anblasen der Trompeter. Mit stiller Trommel wich die kleine kaiserliche Besatzung aus Schweinfurt. Der panische Schrecken lief dem Schwedenheer voraus. Würzburg näherte man sich, der reichen Stadt des Fürstbischofs Franz von Hatzfeld. Die Stadt kapitulierte auf den Trompetenruf. Am linken Mainufer auf steilabfallendem Felsen das feste Schloß Marienberg: der Kommandant übergab es nicht. In der Nacht wurde es gestürmt innerhalb einer einzigen Stunde, keiner von der Besatzung entkam.
Man besichtigte die Beute: Reliquien, silberne vergoldete Brustbilder Ornate Kelche Kirchenschätze. Alles ritt in die Stadt ein; aus der fürstlichen Silberkammer wählte Gustav, dem Franzosen mit seiner plumpen Hand einzelnes weisend, für sich Edelsteine Perlen Gold und Silbergerät aus; die Hauptmasse stellte er seinen Offizieren zur Verfügung. Da war noch die berühmte fürstbischöfliche Bibliothek, für die der hochgelehrte Echter von Mespelbrunn jahrzehntelang gesammelt hatte; an ihr ritt man vorbei; der König gab Befehl, sie und die Bibliotheken der Universität und des Jesuitenkollegs in Ruhe einzupacken für den Transport nach Upsala.
Endlich ließ im Zeughaus der Schwede sich zu einer Unterhaltung mit den beiden fremden Herren herbei; Charnacé sprach erst für sich mit dem König. Der setzte sich auf den Rand einer Pauke, schlug vergnügt mit dem Seitengewehr auf das brummende Fell, umarmte Charnacé, brüllend: »Zu saufen, Marquis, zu saufen, zu saufen. Was hat uns unsere Freundschaft so weit geholfen. Laßt sie uns begießen.« Man trug auf das Rufen des Königs Wein in Kannen und Becher her; flau trank Charnacé; er hoffe noch größeren Gewinn des Feldzugs und worauf der König hinauswolle. Das wollten sie alle, schluckte Gustav, von ihm wissen; wisse es selbst nicht so genau; die Fortuna des Kriegs sei da Meisterin. Er tat dann, als verstünde er den Welschen nicht, wie weit er gegen den Rhein wolle; zeigte ein übermütig joviales Verhalten; nur nebenbei konnte der andere anbringen, daß sein König auf Metz gezogen sei, das ja seit Jahrzehnten unter französischem Schutz stünde, und daß er die Bevölkerung dort, die ihn gerufen habe, beruhigen wolle. Schmetternd lachte der Schwede und freute sich; ja er wüßte, daß sie ihn fürchten, sei wohl der Gottseibeiuns für sie, fräße und verschlucke sie, es sei ein Spaß. Er war nicht zu fassen.
Beim Hinzutritt des Bayern wurde der Schwede, der sich in übertriebenen Komplimenten erging, noch lärmender. Nun mußten Stühle und Bänke herangeschleppt werden; Grubbe und Oxenstirn sollten mit ihnen festieren hier im Zeughaus, wo alles sich so freue. Küttner mußte vorbringen, daß er um besonderes Gehör mit seinem französischen Freund bäte. Das fand Gustav kostbar und auch sehr schön. So würden sie denn zu dritt hier sitzen, miteinander schwatzen; er, der Küttner, von dem er schon gehört habe, sei ja ein prächtiger junger Herr; wie spaßhaft: man könnte glauben, der Herr sei ein Edelfräulein, so schön und vornehm sei er; darum sollte er auch doppelt festlich aufgenommen werden von ihm und seinem Hauptquartier, nach echt schwedischer Art. Nun fing Küttner, der blaß und traurig war, da der fremde König nicht auf sein Geleis biegen wollte, mitten im prahlenden Gewäsch und Gekicher sein leises Vorbringen an; Gustav veränderte sein Gehaben nicht, sie sollten nur abblasen, dieses hier, diesen außerordentlichen Wein zu verschmähen; aber Küttner solle sich nicht stören lassen, er sei ein prächtiger junger Herr, er höre ihm mit wirklichem Behagen zu. Und so mußte Küttner, vorsichtig von Charnacé, der neben ihm saß, sekundiert, erzählen, was sein Herr ihm aufgetragen hatte: von dem bayrischen Wunsch, den gewaltigen Siegeslauf des Schweden nicht aufzuhalten und in Neutralität zu treten. Gustav schrie, sich von der Pauke erhebend und seinen Becher absetzend, das sei ja ein Glückstag, ein unerhörter Glückstag; was sei ihm denn lieber als mit anderen Menschen in Frieden zu leben. Er streckte, gewaltig im Lederwams mit der Riesenschärpe stehend, zu beiden Seiten seine Arme in die Höhe: so möchten zerschmettert werden, die Feindschaft und Tod durch ihr gehässiges tyrannisches Gebaren in die Welt trügen; er freue sich über alles Maß, daß alles so käme, wie er sich gedacht habe. Er umarmte den errötenden Küttner; Charnacé lächelte melancholisch. So umarme er mit ihm den bayrischen Kurfürsten. Und darauf rülpste er stark. Sie sollten bald Bescheid erhalten. Er verabschiedete sich herzlich und immer wieder menschenfresserisch lachend und schmetternd von ihnen, die er seinem Kanzler empfahl.
An der Würzburger Domkirche vor den Gittern unterhielten die schwedischen Soldaten vier offene Spieltische; Säcke mit Talern und Dukaten standen neben ihnen; auf dem großen Platz brüllte zusammengetriebenes Vieh; für einen Reichstaler wurde die Kuh losgeschlagen, ein Schaf für einige Batzen. Wie in dem allgemeinen Lärm der Regimentsmusiken Spieler Tiere die Gesandten nach einigen Tagen über den Domplatz ritten, kam der königliche Kurier hinter ihnen her mit einem Brief. In ihrem Quartier lasen sie dann den schrecklichen schwedischen Bescheid. Neutralität des Bayern nähme der König herzlich gern an, jedoch müsse die Liga ihre herzliche Gesinnung ihrerseits auch beweisen, so, indem sie ihre Truppen auf zehntausend Mann vermindere, natürlich auch alles zurückgebe, was sie Evangelischen genommen habe, den König in allem Besitz lasse, den er okkupiere und okkupieren werde. Dafür werde der König Bayern nicht überziehen; er gewähre einen vierzehntägigen Stillstand zur Überlegung.
Nur dies war Küttner sicher, daß er sogleich aus Würzburg aufbrechen wollte; wohin, wußte er nicht. Er klagte: »Ich kann nicht zu meinem Herrn mit diesem Bescheid.« Ihm stand vor Augen der ernste Abschied von Maximilian. »Kommt!« lockte Charnacé; den reizte die Begegnung mit dem Bayern, der sich so lange gegen das Bündnis mit Frankreich gesträubt hatte: »Ihr müßt hin.« »Helft mir, Marquis, ach, unterstützt mich vor ihm.« »Habt Ihr Furcht vor Eurem Herrn? Ihr habt Eure Sache so gut gemacht.«
Maximilian nahm den Franzosen nicht an; vor Küttner hingesunken, stöhnte er: »Es ist eine Rettung; vierzehn Tage Zeit; ich kann es noch abwenden. Oder es ist eine Folter: ich muß es vierzehn Tage hinziehen und es muß doch geschehen, ich muß mein Land und mich vernichten lassen, wenn ich in Ehren bestehen soll. Verratet mich bei meinem Vater nicht, Küttner; bleibt bei mir die Wochen. Es könnte doch sein, daß sich alles ändert. Glaubst du nicht, daß sich noch alles wenden kann. Es kann doch nicht wirklich sein, was mir jetzt passiert.«
Küttner weinte, wie er allein war.
UNTER DER Annäherung der fremden Eroberer entstanden Revolten bei den bayrischen Landfahnen; viele flüchteten, suchten ihre Habe zu verstecken, sich und die Angehörigen in Sicherheit zu bringen. In dem straff regierten Lande ereignete es sich zum erstenmal, daß die Landstände gegen die neu auferlegten Kriegssteuern protestierten, auf der einberufenen Versammlung in München fehlten viele: Aufrührer gingen durchs Land. Vor Preising stellte sich ein kurzer Kerl hin, das Gesicht wie ein Waldmensch umwachsen, die Leute liefen ihm zu, predigte vom Schindeldach eines Häusleins:
Da käme der Schwede und juch, sie hätten den Krieg im Land. Würde ihnen das behagen! Der Krieg ist Sache der großen Herren. Bevor man ihnen nicht die Köpfe abschnitte, verharrten sie dabei, den Krieg auf die kleinen Leute zu jagen. »Der Kurfürst in München hat es in der Hand, Frieden zu machen; es wird ihm nicht passen; er hat Pferde und ist bald davon. Legt die Fürsten lahm, alle zu Hauf. Es geht um eure Haut, ihr habt nichts weiter zu verlieren. Wollt ihr Lumpen und Hundsfötter werden, bis der gnädige Herr euch beim Schopf hat? Bis er euch gepreßt hat mit Weibeln, Profossen, Korporalen und seiner ganzen Teufelsgarde, daß ihr ihm dient im Krieg als seine Söldner und totgeschlagen und geschunden werdet, während der Schwede euer Vieh frißt, eure Scheunen ansteckt, euer Weibsvolk verschändet, die Kinder ins Feuer wirft. Des Kurfürsten Korporale werden mit euch ihr Spiel treiben, seht euch vor. Träges faules Volk ihr. Was ist denn ein Fürst, ein Herr, ein Kurfürst und großgewaltiger Kaiser. Macht einen krummen Buckel vor ihm und er ist euer Kaiser. Zeigt ihm den Steiß alle zusammen und ihr werdet sehen, wie lange er noch Kaiser ist. Er ist ja nur mächtig, weil ihr Furcht habt und Angsthasen seid. Er hat keine Macht. Aber seht eure Hosenböden an, da findet ihr sie. Betrug und Einbildung ist die Regiererei, auf dem niedrigsten und höchsten Thron. Ihr seid schuld daran, ihr alle, daß es uns so geht, man müßte euch mit Knüppeln totschlagen, daß ihr so dasteht und die Mäuler aufreißt. Der Krieg täte euch gut, damit ihr seht und fühlt und schmeckt, was ihr für gottvergessene Schurken und Hundsfötter seid. Was ihr versündigt habt durch Dummheit und Narrheit, wird kein Heiland gutmachen; er könnte zu euch kommen und ihr würdet ihn noch nicht ansehen, wenn er euch helfen will. Durch eure Dummheit und Furcht regieren die Fürsten, in eurem Kopf steht ihr Thron, für ihre Schandtaten und ihren Übermut bürgt ihr. Eure Jämmerlichkeit ist so groß, daß ich ein Maul wie der babylonische Turm haben müßte, um sie zu beschreiben. Es ist ja an der ganzen gefürchteten Macht der Fürsten und Tyrannen nicht viel mehr als an einem Traumschrecken, einem eingebildeten Alb. Feige Schufte haben die Fürsten groß werden lassen. O ihr jammerbaren Schächer und Klötze. Die Fürsten sind eine Schande, sie sind eure Schande. Sind die leibhaftigen Teufel und ihr seid des Teufels Mutter und Großmutter. Bald wird der Schwede da sein und ihr werdet sehen, wie sich der Teufel seine Gehilfen ausgesucht hat zum Dank, daß ihr ihn so dick gemästet habt. Lauft nach München. Da sitzt einer auf dem Thron, den ihr ihm gebaut habt, damit er in Ruhe Riemen aus eurer Haut schneiden kann. Sagt, es wird Krieg, Herr Kurfürst! Kommt der Schwede herein oder kommt er nicht herein. Helft uns. Er wird euch totschlagen lassen für sich. Tut euch zusammen zu einem Gewalthaufen. Nehmt eure Messer. Und wenn er nicht sagt, was euch gefällt, so könnt ihr eine Freude haben: die Fürsten haben einen Hals zwischen dem Kopf und den Schultern; macht euch einen Spaß. So ein Mann spritzt nicht mehr Blut wie ein Kalb.«
ÜBER DEN Thüringer Wald herüber auf Königshofen, Würzburg. Westwärts mainabwärts durch den winterlichen fränkischen Kreis. »Die Goten kommen, die Vandalen kommen!«
In Würzburg inthronisierte sich der Schwede als Herzog von Franken; die Stiftsangehörigen, geladen auf den Markt von Statthalter Kanzler und Räten, schwuren betäubt mit handgebender Treue einen Eid zu Gott und auf das aufgeschlagene Evangelium, niemanden anders als die Königliche Majestät von Schweden, deren Nachkommen und Regierung als alleinige Landes- und Erbherrschaft anzuerkennen. In dem Tosen des Marktes feierte ein schwedischer General, von einer Freitreppe radebrechend, die Würzburger, die die Köpfe senkten, als seine neuen Landsleute und gute Schweden. Ausschwärmend nahm der Schwede von dem Land Besitz. Abteien und Klöster Frankens fielen seinen Generalsoffizieren zu. Es gab nur herrenloses Land, Menschen und Gut. Dem schwedischen General Herzog Georg von Lüneburg wurde die Stadt Minden, das mainzische Eichsfeld zuteil. Die freie Reichsritterschaft schickte huldigend ihren Direktor, den großmäuligen Adam von Rotenhan, samt zwei Grafen von Erbach; sie erhielten hingeworfen die Benediktinerabtei Amorbach. »Der evangelische Glaube siegt!« brüllten die beladenen Finnen, die Schweden auf ihren keuchenden Beutepferden; es durfte niemand ihnen etwas verwehren, sich und seine Habe verschließen. Sie übten Gerechtigkeit mit Feuer Schwert und Torturen, in schmachvoller Knechtschaft hatte das Reich bis da gelegen, den Papisten durfte es nicht gut ergehen, den Lutherischen nicht besser: so stachelten sich die Fremden.
Immer mehr Deutsche schlichen um den leckeren Tisch. Dem Grafen Löwenstein-Wertheim stopfte man den Rachen. Der Rat der Reichsstadt Schweinfurt verbeugte sich vor den Knechten Offizieren Generalen und der königlichen Würde selber; vierzehn würzburgische Dörfer, dazu Güter des Hauses Echter und Klöster waren für die Stadt zu haben. Nürnberg lag im Rücken, man ließ es nicht vorbei, es sollte sich entschließen; die Korona der städtischen Hochgelehrten und Genannten beriet sich, der schreckliche Herzog von Franken fragte sie dringend durch seinen Unterhändler nach ihrer Gesinnung; sie unterwarfen sich, versprachen zu liefern, was er wollte. Der ganze Kreis, mit Peitschenhieben und Sporenstößen angefahren, gelobte zweiundsiebzig Römermonate für das gemeine evangelische Wesen zu bewilligen. Zu Regensburg hatten die drei geistlichen Kurfürsten das große Heilige Reich mitordnen helfen, sie hatten das gewaltige Tier Wallenstein von seiner Armee gejagt, die Armada zerblasen. Ihre Macht waren jetzt Buchstaben, geschrieben auf brennbarem Papier; Reichsgrundgesetze, kaiserliche Wahlkapitulation: der König der Schweden Goten und Vandalen wollte nicht lesen. Er fragte nach der Zahl ihrer Knechte. Dann fragte er, ob sie seine Freunde wären, und sie sollten ihm für diesen Fall monatlich vierzigtausend Reichstaler zahlen, Proviant liefern, ihre Festungen überlassen. Sonst werde er ihre Städte verwüsten, und wenn sie rebellierten, das Kind im Mutterleibe nicht schonen. Die geistlichen Herren spien.
Er zog mit zwölftausend Mann auf Frankfurt am Main, zum Bockenheimer Tor hinaus auf Höchst. Kastel, Bingen und Mäuseturm in seiner Gewalt. Eisiger Winter. Er bedurfte schon keiner Truppen mehr zum Sieg. Acht schwedische Reiter überfielen die Stadt Eberbach am Neckar, nahmen sie ein; Beute machten sie, die Behörden ließen sie einsperren. Mit sechstausend Mann zu Fuß, dreitausend Reitern, dabei vielen Engländern, richtete sich das Heer auf Mainz. Das steckte nach zwei Tagen die weiße Fahne aus; von Wittenhorst saß drin, mit Sack und Pack, Ober- und Seitengewehr, zwei Feldstücken zog er aus nach Luxemburg.
Dann saß die schwedische Majestät, die aus Upsala über die Ostsee mit Schiffen gefahren war, Pommern und Brandenburg unterworfen, bei Breitenfeld Tilly den kaiserlichen Feldherrn beiseite geschleudert hatte, in der Sankt Martinsburg und überwinterte. In Ruhe, barbarischer Lust breiteten die Schweden sich in der Stadt aus. Furchtbare Summen wurden der Geistlichkeit und Bürgerschaft auferlegt. Die Brandschatzung konnte nicht gezahlt werden, da liefen die Fremden in die Kirchen Klöster Kollegien, versteigerten zum Fenster hinaus die Ausstattung an Bürger aus Frankfurt und Hanau. Die Schatzung der Bürger wurde auf sie häuserweise verteilt, die Häuser der Schuldner niedergerissen straßenweise, das Holzwerk verkauft. Rasch ging man ans Schanzen, riß Klöster und Kapellen nieder, die Kirchen verwandelten sich in Ruinen für Festungswerke. Beim Abbruch sang man den Katholischen zum Hohn: »Ein feste Burg ist unser Gott«, die Sankt Albanskirche streckte man hin als Schanze Gustavsburg an der Einmündung des Mains; so half sie, sagte der schwedische General, Gott loben.
Der Schwedenkönig ruhte monatelang in Mainz. Er lag in dem grellen Licht des Schreckens. Die Deutschen liefen um ihn. Von drüben, von Schweden, hörte er nicht viel. Einsilbig waren die Nachrichten, klagend über den schweren Druck, der auf dem Lande liege, grollend über das verzehrende deutsche Wesen: daniederliegt der Handel, kein Silber im Land, die Kupfermünzung betrügerisch; unerhörte Teuerung, verödet ganze Bezirke, Kirchspiele ohne einen kräftigen Arm. Der König fragte vorsichtig an um sechs Regimenter zu Fuß, der Reichsrat bewilligte knapp drei. Es kam in der Antwort heraus: so wild eroberisch sei der deutsche Krieg nicht gedacht gewesen. Seinen Ärger blies Gustav von sich; so war die Sache nicht gedacht, aber er hatte Deutschland, sie würden sich ändern. Er wollte die evangelische Vormacht in Europa an sich nehmen und sich dem Kaiser, dem Haupt der Papisten, starr gegenübersetzen als Haupt des evangelischen Wesens.
Und in der Tat: wenn er schon gläubig gewesen war, nach seinen Siegen ließ er Taten sprechen. Gnadenlos fielen in diesem Winter alle fremden Gotteshäuser und Kapellen; er sagte: es solle, soweit er gebieten könne, kein Spott mit dem Namen Gottes getrieben werden. So gewalttätig fest er war, hier fürchtete er, etwas zu versehen. Oxenstirn selbst wunderte sich, wie wahnsinnig die Augen des Königs flackerten, wenn Flüche um ihn laut wurden, wie er mit eigener Hand gottlästernde Knechte den Profossen übergab und sich nicht eher beruhigte, bis er sie am Galgen sah. In der Martinsburg sprach er zu Weihnachten die Herren aus Nürnberg an, wies ihnen eine Schrift, das Buch eines Archidiakonus zu Rochlitz, vom dreifachen schwedischen Lorbeerkranz und der triumphierenden Siegeskrone; darin nannte man ihn Josua, Gideon, Mattathias; man berief sich auf die Apokalypse, sprach davon, er solle nach Rom gehen und die Stadt zerstören. Um die nürnbergischen Herren wogte der Schrecken, sie hörten demütig zu. Der schmerbäuchige Riese stand vor ihnen mit einem mächtigen schmucklosen Hut, unwiderstehlich sicher wie Lämmern blickte er ihnen ins Gesicht: was Bayern und die katholischen Erblande früher vermocht hätten! Wenn sich alles zusammentäte: Pommern, Mecklenburg, Ober- und Niedersachsen, die Pfalz, Franken, Schwaben, Reichs- und Hansastädte. Sie waren froh, entlassen zu werden.
Und wie vor den ausruhenden Löwen immer neue Gesandte der deutschen verängstigten Stände zogen, bündnisbeladen, kontributionspflichtig abrückten, der Herzog von Celle, Bischof von Minden, Grafen von der Wetterau und vom Westerwald, Räte der Stadt Braunschweig, Ulm, Lübeck, Lüneburg, Bremen, der vertriebene Herzog von Mecklenburg, da nahm auch der schöne feine Friedrich von der Pfalz Abschied von den Hochmögenden im Haag. Der Stein sollte wieder auf einen Wagen gehoben werden. Die ganze Versammlung stand auf von den Bänken, als er an der Tür erschien, den buntfedrigen Hut zog, sein schlaffes leicht gedunsenes sehr ernstes Gesicht bot und den linken Arm schwenkend über sie mit strengen blauen Augen blickte, die wie Glocken läuteten. Nun gehe er glücklichen Zeiten entgegen, nickte schwer der greise Vorsitzende, der, den Hut auf dem Kopfe, sitzen blieb; sie freuten sich, seine Wirte, ihren Gast und Freund so nahe an der Erfüllung seiner Wünsche zu sehen; wer ausharre, werde gekrönt. Friedrich bewegte stumm die Lippen. Er war mit den Gedanken nicht anwesend, nickte nur; hörte, daß man ihm eine Ehrengabe von fünfzehntausend Talern zudachte. Niederländische Reiter nahmen ihn, die englische jubeljauchzende Elisabeth und den Hof in ihre Mitte; bis in das wintervergrabene Hessen gaben sie das Geleit. Das war Hessen, das war Frankfurt, das war Mainz. Die Karossen fuhren hinter den Trompetern in die Stadt. Vor der fahnenschwingenden teppichbehängten Martinsburg, zwischen den Ruinen der Häuser, wimmelnden Schweden und Finnen, auf einem gepanzerten Pferd der ungeheure, Gelächter abprotzende Gustav Adolf. Schnee fiel über ihre Schultern. Am Arm der schwedischen königlichen Würde kletterte die aufblühende üppige Engländerin in den weiten Speisesaal, auf dessen Kredenzen der Raub deutscher Landschaften prunkte. Hinterher schleifte verschwiegen und wehrlosen Blicks der schlanke Winterkönig, die gehobenen Finger einer mageren langen Frau berührend, hektische Wangen, purpurner schwerer Brokat, die von Minute zu Minute vor Hysterie schrie, das Weib des Fremden.
Ein leichter Schwindel befiel den Pfälzer bei Tisch, als der Fremde ihn »Majestät« nannte. Woran wurde er erinnert; man reichte Waschbecken und Handtuch, der Fremde wollte sich erst nach ihm waschen, der König aus Schweden: warum tat er das? Man wollte ihn mit Kunst lebendig machen. Maskenball. Pechfackeln auf vier Ecksäulen in allen Sälen; Halbdunkel in der Flucht der geöffneten Säle. Geigenmusik von bischöflichen Kapellen, Trompetenbläser, Hatschiere. Der König tanzte im russischen Kleid plumpe Nationaltänze; sein Kaftan aus Goldstoff, sein Kopf unter der weißen eiförmigen Mütze versank im hohen Zobelkragen, die Füße traten und stampften in stumpfen roten Schuhen, vorn mit Perlen besetzt; die Arme warf er nach rechts und links, sie steckten in röhrenförmigen weiten Ärmeln. Die pfälzische Dame sprang als türkischer Krieger daneben, wies ihre dicken Beine in schwarzsamtenen Strümpfen, geschlitzten Schuhen; bis auf die Knie fiel ihr weitfaltiger violettgeblümter Rock; der grüne Turban schlang sich um die Ohren; man sah die blonden Haare nicht, nur das sprühende glührote volle Gesicht. Unkostümiert mattäugig der Pfälzer, trinkend in einem dunklen Erker, allein einen Tisch rundum umfassend. Der kleine spitze Rusdorf trat grüßend an. »Rusdorf! Was willst du, Rusdorf? Tanz mit, Rusdorf!« »Ich bin nicht geladen, Kurfürstliche Gnaden.« »Ksss-s, tanz! Der König ist auch nicht geladen, er tanzt auch.« »Der König? Der König ist Wirt.« »Laß mich in Ruhe. Er ist nicht geladen.« Rusdorf hielt seinen Herrn für betrunken, suchte ihm über den Tisch ins Gesicht zu sehen. »Ihr hetzt mich, Ihr hetzt mich, Ihr laßt mir keine Ruhe.« »Der Herr Kurfürst ist so allein, ich rufe die durchlauchtige Frau.« »Ich sag’s dir laut: ich lebe und sterbe als der ich bin. Das hättest du hier mir nicht zeigen sollen, dazu hättest du mich nicht holen sollen, daran hab’ ich kein Teil.« Leise Rusdorf: »Dann blieb Euch nichts als Euch dem Kaiser zu unterwerfen.« »Hätt’ es sollen. Ihr habt es mir nicht geraten.« »Der König!« flüsterte Rusdorf; die Schwedenmajestäten näherten sich. Friedrich trank, trank, stöhnte; seine Augen begannen zu glitzern.
NICHT EINMAL, als die erschütternden Nachrichten aus dem Westen kamen, konnten sich die Wiener Räte zu der Wiederberufung des Friedländers verstehen. Man nahm zu der Schreckensnachricht von Mainz die Botschaft hin, daß sich der Trierer Philipp Sötern unter den Schutz des Franzosenkönigs gestellt, die Festungen Koblenz und Ehrenbreitstein aus Entsetzen vor dem Schweden den Franzosen übergeben hatte. Eine tief beschämende Kunde lief ein aus Köln; dorthin hatten sich die Fürstbischöfe von Mainz Würzburg Osnabrück Worms geflüchtet; sie versicherten durch den Mund des Kölners Ferdinand, in kaiserlicher Devotion zu verharren. Aber der Kaiser sei weit, ihre Lande, die Kirche, ihr eigenes Leben in furchtbarster Gefahr; sie hätten, ohne die kaiserliche Zustimmung abwarten zu können, sich entschlossen, den Allerchristlichsten König Ludwig um Hilfe anzugehen. Ihre Vertreter seien nach Paris unterwegs.
»Was kann uns noch geschehen?« fragte Trautmannsdorf, »wir sind in Deutschland ein wurmstichiger Apfel; Habsburg ist faul, der Schwede ist der Wurm und der Franzose ist der Wurm. Hilft nur schneiden.« »Was bleibt von dem Apfel übrig.« »Es wird uns bald nichts übrigbleiben, mein lieber Freund Eggenberg, als der Schwedentrunk oder ein schmerzloser Schwertschlag durchs Genick von unserem alten Gönner Wallenstein.« »Ich weiß, daß Ihr den Friedländer wollt, und der Kaiser ist nicht abgeneigt. Und wie lange dauert es, bittet der bayrische Maximilian ihn wieder zu bestallen. Wir werden ihn holen müssen. Es ist kein Gut daran, Trautmannsdorf.« »Nun dacht’ ich, mein liebwerter Freund sei von seiner Abneigung durch das Breitenfelder Treffen befreit.« »Der Friedländer ist stark wie der Teufel; ich hab’ es von Anbeginn gewußt. Wir hätten gewiß den Schweden nicht gehabt, wir hätten aber ein anderes Unheil gehabt. Wer weiß, ob der Kaiser noch in Wien säße, ob Ihr und ich uns über Reichsangelegenheiten unterhalten könnten.« Der Graf lachte: »Wär’ es ein Schade? Ihr meint, der Friedländer säße dann hier. Ihr wißt, ich konnte mich auch nicht dafür begeistern. Aber ich meine: ist es angenehm, den Schwedentrunk hier zu schlucken? Angenehmer als sich vom Friedland den Kopf schmerzlos abschlagen zu lassen?«
Es blieb Rettung bei Spanien und dem Papst zu suchen. Spanien war zu jeder Leistung bereit. Zum Papst Urban reiste aus Preßburg Pázmány, der Erzbischof von Gran, die Leuchte des Glaubens. Liebevoll hatte Ferdinand seinen alten Ratgeber Eggenberg empfangen, hatte angehört, was er unternehmen wollte, den Brief gelesen, den er für den Heiligen Vater entworfen hatte. »Wir werden verlassen von denen, deren Sache mit der unsrigen gleich sein sollte. Und nicht bloß das: der König, der den Namen ›der Allerchristlichste‹ führt, gibt dem Schweden Geld und andere Mittel, uns zu bekriegen. Es betrifft nicht nur uns, sondern den Bestand der Kirche und damit Eurer Heiligkeit. Zu Eurer Heiligkeit strecken die Angehörigen der Kirche in Deutschland um Hilfe flehend die Hände empor. Wir bitten, daß Eure Heiligkeit den Allerchristlichsten König abmahne von dem schwedischen Bündnis, das er geschlossen hat wider den Regensburger Vertrag, und ihn auffordere, gegen den Zerstörer der Kirche an unsere Seite zu treten.«
»Wie könnt Ihr schöne Briefe schreiben, Eggenberg. Schön stilisieren! Schlau setzen. Welcher Advokat ist an Euch verlorengegangen.« »Unsere Not ist groß, gnädigster Herr, sie ist ungeheuerlich, kaum aussprechbar. Das Reich war noch nie in solcher Gefahr.« »Und ist es nicht recht beschämend für uns, dem Heiligen Vater solchen Brief zu schreiben.« »Nur eins bitte ich Eure Kaiserliche Majestät: mir diesmal willfahren zu wollen.« »Warum so ernst, Eggenberg; will Euch ja gern willfahren.« Und als Eggenberg ihm nur stumm die Feder hinhielt: »Sieh da, wie Ihr zittert!« Steif hielt Eggenberg die Feder, wortlos schrieb Ferdinand nach einer Weile.
Und lautlos, als er unterschrieben hatte, stand Ferdinand, wie von einer Eingebung berührt, von seinem Stuhle auf; das rieselnde Gewimmel der geschnitzten Männer und Frauen an den Lehnen sank hinter ihm herunter, sein Gesicht gesenkt, von einem Lächeln der Spannung verzogen, seine Stimme hoch leise fragend: »Es ist gut, daß ich dies unterschrieb. Der Weg ist gut, Eggenberg. Ich billige ihn. Ich bin dabei. Ihr wollt den Heiligen Vater befragen. Es soll mir eine Freude sein, ihn zu hören. Ich möchte eine Stimme von ihm hören.« Und dann, als Eggenberg dankbar antwortete: »Eggenberg, dies hat dir die Jungfrau eingegeben. Woher hast du das? Du willst den Heiligen Vater befragen. Siehe da, wir werden den Heiligen Vater sprechen hören. Wir werden ihn hören.« »Er wird uns nicht im Stich lassen.«
Ferdinand hob den linken Arm, streckte den Zeigefinger in die Höhe: »Die Frage wird an ihn herantreten. Er wird ihr nicht aus dem Weg gehen können; sein Geist wird antworten müssen. Ein Versuch. Eine Versuchung.« Mit den Händen rückwärts den Stuhl abtastend, ließ er sich nieder; er lachte wieder gutmütig und zerstreut, den Kopf auf den Tisch über dem Schriftstück aufstützend: »Ich weiß, wie er antworten wird, Urban der Achte in Rom.«
Der große Pázmány hatte sich auf den Weg gemacht, den Heiligen Vater zum Schutz des alleinseligmachenden Glaubens im Römischen Reiche zu bewegen. Einen Monat reiste er aus Ungarn, während der schreckliche Schwede seine Verwüstungen weitertrug. Ehre erweisend kamen ihm römische Edle und Kardinäle vor Rom entgegen. Den Kardinalshut verlieh ihm der Papst, ehe er sprechen durfte. Dann suchte ihn der Papst zurückzuschrecken, indem er ihn warnte, sich zum Gesandten herzugeben, ein Kardinal, der im Rang eines Königs stände. Die Nachgiebigkeit Pázmánys ebnete alles; der Papst konnte nicht ausweichen.
Wohin der Heilige Vater es kommen lassen wolle in seiner Furcht vor Habsburg; ob die vielen Millionen frommer rechtgläubiger deutscher Seelen es bezahlen sollten mit ihrer Seligkeit, wenn der Ketzer über sie käme. Da verbat sich der Italiener, nervös die Zähne fletschend, die vulgäre Rhetorik. Pázmány gab nicht nach, obwohl ihn schauerte; er dachte an das, was ihm Lamormain vom Kaiser gesagt hatte; mühte sich für den Kaiser. Der Papst, starkknochig herumwandernd um den stehenden Ungarn, grollte heftiger, je mehr er fühlte, daß der Fremde ihn bloßlegen wollte; er schrie drohte höhnte wurde giftig. Bei der zweiten Begegnung kam es, wie erwartet, zu keiner Unterhaltung; Urban, seinen Schnauz- und Backenbart reibend, gab schmatzend und wohlgelaunt von sich, was er den Bescheid nannte; ein Zettelchen, auf dem er die Punkte notiert hatte. Den Franzosenkönig abziehen vom schwedischen Bündnis? Er hätte König Ludwig immer für einen frommen Katholiken gehalten, versehe sich von ihm nur Gutes für den Glauben, werde ihn ermahnen. Ein Bündnis mit Spanien und Habsburg? Nein; er kämpfe so wenig gegen Habsburg wie gegen Frankreich. Geldunterstützung? Er hätte kein Geld. »Genug; weiter kein Wort. Ihr seid als Kardinal hierher gekommen, ich habe genug von Euch als Gesandten gehört; entwürdigt Euch nicht, raubt Euch nicht selbst kostbare Zeit.« Sitzungen, Feiern, Messen.
Und dann in seinem Rücken der ausbrechende Jubel des Adels auf dem Kapitol: »Der Kaiserliche zieht ab! Gottes Rache! Gottes Rache! Gottes Barmherzigkeit hat sie ihr Ziel nicht erreichen lassen. Jetzt werden sie Rom nicht plündern.«
In Scham fuhr der große Lehrer Pázmány ab; der päpstliche Pomp begleitete ihn eine Strecke. Scham und Erschütterung: es war erwiesen, daß die Kirche nicht einte. Die Fahrt ging ihm zu schnell, er wollte zwei Monate, drei Monate reisen. Und nach drei Monaten war nichts gebessert; er wollte schneller hin, alles ablegen, sich in die Bücher verstecken. Die Schmach vor den Ketzern.
Wie ein feuersprühender Drache stand der unscheinbare kleine so freundliche Eggenberg vor ihm: »Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen. Ich weiß, Ihr habt getan, was ein Mensch tun kann. Dieser da in Rom hat nicht getan wie ein Mensch. Das ist der Ruin. Das ist der Verrat am päpstlichen Stuhle. Wir in Not, unser Land mit Millionen Katholiken, und an Politik gedacht! Wir am treuesten ihm anhängig, am reichsten der Kirche spendend, und er kann uns nicht unterstützen, hat keine Waffen und kein Geld.« Trauervoll besänftigte ihn Pázmány; Eggenberg wurde bitterer, stand vernichtet. »Dies heißt, der Papst legt uns Wallenstein auf. Befiehlt uns, selber Hand an uns zu legen. Ein niederer, o so niederer falscher Zug. Das hat ihm Richelieu zugeflüstert; es ist so unmenschlich schlau, ich weiß nichts dagegen. Sie haben wohl schon alles beredet mit dem Friedländer, es läßt sich mit ihm leicht regieren. Sie werden sich täuschen. Wie er über das Reich und über Habsburg fallen wird, so über den Papst und Frankreich. Sie werden bereuen, was sie uns angetan haben. Daß sich die Waffe gegen sie wende, daß sich das Verbrechen gegen sie selber richte.« Stundenlang sprach Pázmány auf seinen verstörten Freund ein, dann Abschied mit verwirrten Worten, Hals über Kopf aus Wien; nach Ungarn.
Eggenberg zog sich mit Riemen am nächsten Tag vor Ferdinand, jeden Schritt bezahlte er mit einem Entschluß. Wie Ferdinand ihn kommen sah, richtete er sich mit demselben sonderbar gespannten Ausdruck aus dem Stuhl auf ihn, hauchend: »Seht, seht, da kommt Ihr. Nun, was werdet Ihr mir berichten.« Eggenberg berichtete, Pázmány sei erzürnt zurückgekehrt aus Rom, wo er den Papst gesprochen habe. Der Kaiser, immer stehend: »Seht, er hat den Papst gesprochen. Und der Papst, ja, was hat er gesagt?« »Er hat nichts Schriftliches mitgegeben. Hat auf einem Zettelchen sich drei Punkte notiert und das hat er dem Kardinal vorgelesen.« »So ist es. Dies hat er vorgelesen.« »Es soll nicht möglich sein, mehr Geld zu steuern an uns wie jetzt; es ginge nicht an, den französischen König scharf zu verwarnen oder an unsere Seite zu verweisen, und uns anschließen könnte sich der Papst gar nicht.« »Es ist nicht möglich, Geld zu steuern und sich mit mir zu verbünden. Er kann den König Ludwig nicht scharf verwarnen. Seht Ihr! Seht Ihr!«
Fassungslos heulte der alte Eggenberg an seinem Kaiser, die Tränen liefen ihm in die breitgezogenen Mundwinkel; er weinte, ohne das Gesicht abzuwenden, wiegte in Schauder und Schmerz den Kopf hin und her. Gleichgültig spielte Ferdinand mit seiner Schärpe, schlenkerte das Goldene Vlies. Als wenn es nichts wäre, meinte er, Eggenberg möchte doch nicht weinen. »Weinen. Wer wird weinen. Was im Leben alles geschieht. Sind wir denn verlassen? Was einem begegnet.«
Und er gähnte, während sein Blick plötzlich schielend abwich. Aufstehend und blaß tiefsinnig an seinen Gamaschen heruntersehend rekelte er sich: »Das war also diese Geschichte. Vom Papst. Man muß nicht alles tragisch nehmen.« Legte heruntersteigend, munter schwatzend seinen Arm von rückwärts um Eggenbergs Leib, zog ihn: »Ich weiß etwas. Wißt Ihr, wie spät es jetzt ist? Bald vier. Es ist Schneewetter, daher diese Trübe. Kommt mit, mein Freund, Schlittenfahren.« Und er pfiff und sang: »Wer läßt sich Lasten auf die Schultern legen, die er nicht mag.« »Ich bin noch glücklich«, lächelte abwesend verlegen, plötzlich dunkel bestürzt der Rat, »daß Majestät es leicht nehmen.« »Ach, wenn Ihr wüßtet, was einem für Dinge über den Weg laufen.«
Ferdinand gähnte laut an der Tür, rollte seinen Rumpf plötzlich welk zusammen. Er seufzte aus sich klagevoll und irre heraus, sagte sanft etwas zu sich selbst.
Verabschiedete sich schwärmerisch zärtlich, heiter gespannt, stolzierend wie ein Schauspieler von seinem Besucher, dem er die Hände drückte und vor die Brust klopfte.
AM BAUMBESTANDENEN Hradschin über der breitfließenden Moldau kauerte der Böhme. Michna, der fette kurzatmige Riese, wie er ihn so sitzen sah, wollte sich vor ihm retten; die friedländische Herrlichkeit war erloschen, er wollte sich losreißen und fuhr nach Wien. Mit Wonne empfingen ihn die Herren; Abt Anton schnurrte wie eine Katze um ihn; der würde sie vom Friedländer loskaufen. Wie sich Michna zurechtmachte, einen Teil seiner Güter zu verkaufen, um sich am Kaiserhofe mit Darlehen festzusetzen, traf ihn Wallensteins Schlag. Er hatte den Böhmen für tot und abgetan gehalten, sein Platz schien ihm frei zu sein; da sauste die Hand des andern gegen ihn. Die Güter waren verkauft, der größte Teil seines Vermögens; ehe aber die neuen Besitzer zahlten und das Land übernahmen, rückten Gewalt brauchend Wallensteiner, Musketiere und Kürisser, die in Prag auf Kosten des Herzogs hausten, über den Boden, besetzten ihn, ließen, einen unerhörten Rechtsbruch begehend, nicht davon, obwohl aus der Kanzlei des böhmischen Gouverneurs Schreiben über Schreiben bei ihnen und dem Herzog einliefen.
Michna, am Wiener Hofe tobend, glaubte leichtes Spiel gegen den abgedankten General zu haben. Aber die Kriegsräte wollten unerwarteterweise mit Maßnahmen nicht heran. Michna forderte Truppen, die Schweden zogen alle auf sich. Die Räte legten sich darauf, den Herzog zu bitten, die Söldner zurückzuziehen. Vom Hradschin her kam erst kein Bescheid und dann: Wallenstein vermöge nichts über ausschreitende Kompagnien. Man mußte biegen oder brechen; die Räte baten den Serben, die betrübliche Sache nicht weiter zu verfolgen, er kenne die Notlage des Reiches, den Zerfall des Heeres; schließlich: sie könnten nichts gegen den Herzog von Friedland unternehmen, man könne es nicht wagen; ob sich denn versöhnlich nichts in der Sache machen ließe. So sah sich Michna, im Begriff, ins Nest des Friedländers zu fliegen, genötigt, mit ihm zu verhandeln.
Mußte zurück von Wien, mußte nach Prag, mußte, als Briefe und Kuriere nicht angenommen wurden, zum Hradschin und wurde auch nicht angenommen. Jeder Tag verminderte seinen Reichtum, die Soldaten verpraßten seine Habe, verschleuderten seine Geräte, trieben die Verwalter heraus. Eine halbe Woche lang lief Michna im Hut durch die Gassen, stand besinnungslos in seiner Stube, wartete an der Tür. Als er am Hradschin empfangen wurde, zählte Wallenstein, der leise sprach, die Silben, gab ihm einen Teil der Güter wieder heraus, aber nur einen Teil. Auf einen Zettel hatte der Herzog vor sich ein Verzeichnis der freigegebenen Güter; Michna, seufzend und ohne Gedanken, tastete nach der Feder, um das Verzeichnis durch seine Unterschrift anzuerkennen. Er blieb in Prag.
Der Vorfall lockte den gewaltigen de Witte in die Stube des niedergeschlagenen Mannes. Mit stummer Neugier und Kopfschütteln hörte er die Einzelheiten; man müsse vorsichtig sein, warnte er, aus dem Ereignis ginge hervor, daß der Herzog das Spiel nicht verloren gebe und daß man sich in Wien vor ihm fürchte. Auf der Hut müsse man sein, es werde von allen Seiten gesagt, der Herzog plane etwas. Michna möge sich aufrichten; es sei im Reich noch immer der Friedländer, durch den man zu Besitz komme; er lächelte: »Der Schlüssel zu allen Schränken.« Mit breitem grämlichem Mund Michna: »Ich mag nicht mehr.«
Der Herzog wartete am Hradschin. Spielerische höfliche huldvolle Briefe des Habsburgers kamen an; die Kuriere wurden verschwenderisch belohnt, die Briefe mit immer größerem Behagen gelesen. Auf dem Schloß stellte sich häufiger der Schwager aus dem Hause der Trzka von Lipa ein, der Graf Adam Erdmann, ein fröhlicher blondbärtiger Mensch, der einen kollernden Baß sprach, im Tanz seine süße Maximiliane herumführte, mit ihrer Schwester, der Frau des Herzogs, ein sanftes Getue Kosen und Lärmen trieb. Der Herzog sah es gern, er liebte seinen Schwager. Die böhmischen Vettern, die den Herzog aufhetzen wollten, die Rebellion in Böhmen zu organisieren, half der Trzka lustig verjagen. Nicht aus dem Hause nach Dimokur, seinem Sitz, wollte ihn der leidende Friedländer lassen; auch die Herzogin bat ihn zu bleiben.
In eine sonderbare Verfassung war Wallenstein geraten. Er alterte furchtbar. Sein hartes Gesicht war mit Runzeln übersät. Die Haare über den Ohren wurden weiß, standen in Büscheln ab, die Augenhöhlen waren zu weit für die kleinen Augäpfel, ganz im Grunde lagen sie da hinter ihren Häuten, im Begriff, völlig in den Kopf zu schlüpfen. Die Breitenfelder Affäre war in dem kritischen Augenblick über ihn gestürzt, als er mit de Witte plante, nach Hamburg zu gehen, seine gesamten böhmischen Liegenschaften zu verkaufen, von dieser Ecke des Reiches zusammen mit den Hansastädten, vielleicht dem sehr still gewordenen Dänen Christian etwas zu unternehmen. Der Kurier, der die Breitenfelder Nachricht brachte, sah – er glaubte wie alle, dem Herzog etwas Freudiges zu melden – bestürzt den verabschiedeten Generalissimus, der im herbstlichen Gartenhaus neben Trzka auf einer Bank saß und mit Muscheln vor sich warf, tief erblassen, die dünnen Lippen sich öffnen. Die scharfen Äuglein irrten zitternd von Lidwinkel zu Lidwinkel, wichen schielend auseinander; sachte rutschte der lange Oberkörper die Lehne herunter über die Bank, hing mit baumelnden Armen zum Parkett herunter.
Nach einer Stunde stand Friedland, torkelte am Arm des Trzka vor den Bogenfenstern seines Pfeilersaales auf und ab, schob den Kiefer vor, kaute gräßlich: »Er ist mir zuvorgekommen, der dicke Schwede. Ich habe es mir gedacht. Hat den Tilly zerschlagen. Er kommt über den Kaiser. Sie sind wehrlos. Für den Schweden hab’ ich gearbeitet, für das Großmaul aus Upsala.« Er spie, fuchtelte höhnend, mordsüchtig mit der Faust: »Aber der Tilly. Der gute Alte. Gute Alte. Der Spaniole. Gedachte mich zu beerben. Beim heiligen Blut Jesu, ich hätte ihn gern verenden sehen. Der Schwede wird glauben, er könne kommen, das Reich liege da, es warte nur auf ihn. Wo steht der Schwede. Du mußt hin zu ihm, zu Arnim. Ich bin noch nicht tot.«
Krächzend, laut brüllend, jammernd: »Zottle nicht herum. Setz mich ab. Wo der Schwede steht. Mich schlägt er selber tot. Wie lange sind wir noch in Böhmen. Wir sind ja wehrlos. An jedem Tag rückt das Vieh vorwärts; und ich kann mich nicht regen.« Wimmernd, von Wut betäubt, ließ er sich auf seiner Fensterbank gegen die Rückenlehne schieben: »Mit mir ist es aus für alle Welt. Der lutherische Lump, nun hat er sich den Augenblick ausgesucht, schluckt den Braten. Du wirst sehen, er schluckt ihn. Mich mit.« Er suchte mit seiner schüttelnden schlagenden Hand in den Taschen seines grünseidenen Schlafrocks, ein Papier knisterte: »Der Ferdinand. Mich hat er beschwichtigen wollen, damit ich ihm nichts tue. Nun kommt der andere. Dem schreibt er keine Briefe. Ich – ich – ich kann nicht denken.« Er wollte verzerrt lachen, wieder wurden seine Lippen weiß. Trzka hielt ihn fest, schrie nach Wein. Sie trugen ihn auf seine Schlafkammer.
Nach Zuziehung des Rittmeisters Neumann besprachen sie sich in die Nacht hinein. Da kam heraus, daß der Friedländer durch verschwiegene Leute längst mit dem Schweden angebunden hatte; der Herzog hatte um eine Zahl Regimenter nach Böhmen gebeten, wollte mit dem Schweden gemeinsam über den Kaiser fallen; der Schwede hatte heimtückisch die Sache hingezogen; wie sich gar Johann Georg mit seinen sächsischen Regimentern anschloß, schwieg sich der Satan ganz aus. Der Herzog ballte die Fäuste auf der Decke: »Er hat mich betölpeln wollen und hat’s getan. Glaubt jetzt sein Spiel gewonnen. Der Tilly hat mit der Schlacht seinen Ruhm und Ehre verloren. Ich nicht minder, wenn ich mich nicht rühre.«
Frühmorgens war der verschüchterte Kurier in Trzkas Kammer geschlichen, bat um Urlaub; seine Schlafkammer lag über der des Herzogs, er hatte die ganze Nacht gehört, wie der Friedländer ihn schmähte, ihm die Pestilenz anwünschte. Das Gebrüll war erst vor einer Stunde verstummt.
Hinter dem Kurier war schon der Reisewagen Trzkas angefahren. An den Toren trennten sie sich; der Graf galoppierte mit seinen vier Pferden auf Tod und Leben nach Norden. Im Wagen neben ihm saß ein armseliger glutäugiger Schächer in einen Winkel gedrückt, eine federlose Pelzkappe auf dem struppigen Tschechenhaar, Jaroslaw Raschin, Exulant, einer der Geheimboten Wallensteins an den Schweden, der unter Lebensgefahr aus Sachsen verkleidet zum Herzog drang. Hinter Teplitz nahmen sie Pferde, ritten über das Gebirge durch die nebligen Tage. Allein schlug sich Raschin weiter, rief den Arnim, jetzt sächsischer Feldmarschall, nach Chemnitz.
Ob, fragte Graf Trzka, Arnim den Herzog zu Friedland hasse oder bereit wäre, mit ihm über Dinge des Gemeinwohls zu verhandeln. Dann: ob der Feldmarschall bereit wäre, augenblicklich und gänzlich ohne Zögern zum Besuch des Herzogs zu Friedland auf Schloß Kaunitz, zwischen Pardubitz und Prag, aufzubrechen. Die leidenschaftliche Dringlichkeit der beiden Männer bestimmte den Arnim, Wagen und Pferde mit ihnen gemeinsam zu bestellen. So überfallen war er von der Plötzlichkeit ihres Verlangens, daß er erst hinter Chemnitz den Befehl an seinen Leutnant abgab und in einem unsicheren Vorgefühl schriftlich anordnete, mit jeder erdenklichen Deutlichkeit, nichts und gar nichts von den Anordnungen des schwedischen Hauptquartiers durchzuführen, das ihm nicht zu Gesicht gekommen wäre. Dann saß der Uckermärker unter den Massen der Schafpelze zwischen den beiden, ließ sich gebirgwärts rasen, dachte mit zunehmender Bedrücktheit an seine Lage. In ihm schwang frisch angestoßen ein heftiges Gefühl der Anhänglichkeit an den einsamen Herzog. Sein Herzog rief ihn, sie hatten sich seit den glückshohen Augenblicken nicht gesehen, wo Friedland ihn nach Polen schickte. Der große Friedland brauchte ihn; beschämt und fast gequält machte er den Weg über das Gebirge. Wallenstein war noch nicht auf Kaunitz, als sie ankamen. Der Marschall nahm einen Gaul; mit Raschin traf er den Herzog in der langsamen Sänfte auf der Landstraße. Ein wehes Stechen in der Kehle und hinter dem Brustbein fühlte der Marschall beim Anblick seines alten Herrn; der winkte aus der Sänfte, lachte ihn verrunzelt an, den Kopf hervorstreckend, wünschte ihm gurgelnd Glück zu den neuen Ereignissen: »Ich wollte doch teil daran haben, darum ließ ich Euch bitten.« Und er kollerte in seiner alten verschmitzten Weise.
In seiner schon geheizten teppichbeladenen Schlafkammer stieg Wallenstein am spanischen Rohr rastlos herum. Vor Arnim stand ein Tischchen mit Wein. Der lange Herzog: »Es weiß niemand, daß ich von Prag abgereist bin. Mein Arzt sitzt in meiner Stube. Sie glauben, ich bin krank, ich liege im Bett. Ich habe lange genug im Bett gelegen. Findet Ihr nicht auch, Arnim? Ist eine herrliche Zeit jetzt. Ein prächtiger Mann, Euer Schwede. Bringt Wind in die Welt.«
Flüsternd: »Und er hat ihn am Schopf. Der Tilly ist gelaufen. Ihr seid tapfere Kerle. Hat mich gefreut. Ihr wollt mich gar rächen an ihnen. Muß mich bedanken.« Arnim, um seine Erregung zu verbergen, berichtete Lobendes von Gustav Adolf. Ein stechender Blick Wallensteins.
Als er schweigend rasch das Zimmer durchstiegen hatte: »Er hat Euch auch im Sack, Arnim? – Wir wollen Ruhe schaffen in Deutschland. Macht der Metzelei ein Ende. Der Augenblick ist günstig, ich wollte Euch das sagen. Ihr dürft nichts versäumen. Und Ihr dürft Euch nicht vom Schweden mißbrauchen lassen. Mich freut, daß Ihr beim Kursachsen in Gunst steht. Denkt daran, daß Ihr auch mir ein Teilchen davon verdankt. Es heißt jetzt kurz und gründlich handeln. Nach rechts und links entschlossen sein. Das wollt’ ich Euch sagen.« Nachdem er Arnim über seine Pläne ausgeforscht hatte, brachte er hervor: der Kaiser und die Liga seien in größter Schnelle vor ein Ultimatum zu stellen; Friede oder völlige Niederlage mit gnadenlosen Bedingungen. Er verlangte zum Erschrecken Arnims von ihm den Einmarsch in Böhmen. Gab sehr genaue Zahlen über die Truppen des sehr wenig aufmerksamen Marradas, der jetzt in Böhmen kommandierte; der sächsische Einmarsch werde das Signal des böhmischen Aufstandes sein, der Kaiser umklammert. Er stand vor Arnim, der sich auch erhoben hatte. Redete stoßweise dicht am Gesicht des andern, die Augen niedergeschlagen, mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Tisch klopfend. Nur beim Abschied blickte er lange scharf seinen ehemaligen Untergebenen an. Der hatte leidend zugehört; unverhüllter schmerzvoller Rachedurst schien sich vor ihm zu entblößen. Die Angaben Wallensteins über Böhmen, er kannte die Zahlen ungefähr, waren wahr; der Herzog setzte bei dem geforderten Einmarsch seine eigenen riesigen Güter aufs Spiel. In einer Mischung von Besorgnis Erregung Freude Verwirrung reiste er ab mit Raschin, der ihn leidenschaftlich auszuforschen suchte: »Ist es soweit?« Es war die Frage, die täglich von den böhmischen Vertriebenen im Hauptquartier gestellt wurde.
Friedland und Trzka rasselten trompetenblasend in den Hof des verschneiten Palastes am Hradschin. Seine liebe anlaufende Herzensfreundin begrüßte mit Küssen der glückliche leicht gedämpfte Trzka. Den Herzog selber faßte die weiche Elisabeth bei den Händen, führte, ihn umfassend, vorsichtig in den Flur. Wie sie alle schauerten unter seiner wilden kalten Stimme. Sie hatten sie viele Monate nicht gehört. Mit wem gingen sie da, wen führte die weiche Herzogin an den Händen. Wer hinkte da und erzählte lachend von der erfreulichen Begegnung mit seinem alten Arnim. Die Herzogin ließ die Hände los, aber nur für einen Augenblick, dann zog sich ihr Herz in einer beseligenden Erinnerung zusammen: wie sie, das höfische Fräulein, vor langen Jahren zum erstenmal unter dieser Stimme gebebt hatte und dann diesem als Unmensch verschrienen Böhmen verfallen war, der durch sie, wie man warnte, nur Hofbeziehungen suchte. Zaghaft nahm sie die Hände wieder, die sie küßte. Sie hörte wonnevoll und demütig die schnarrende metallische Stimme an. Und schon an der Tür zu seinem Empfangszimmer drehte sich der Herzog, seinen Pelz abwerfend, zu Trzka und seinen Begleitern um, beugte sich schief herunter, listig ihnen zuflüsternd: das Schäkern hätte nun bald ein Ende in diesem schönen Schloß; sie müßten mit allen Siebensachen wandern, eher heute als morgen; trara, bläst der Postillon, und wer sagt, wohin es geht. Und zu der rasch erblaßten Elisabeth: aber sie führe diesmal mit, er stürbe ihr auch nicht so leicht weg, wie sie fürchte; sie müßten ja fliehen, ob sie’s nicht wüßten; vor wem doch?
Zu aller Schrecken befahl er in der Tat noch am Abend, und der ernste straffe Rittmeister Neumann verbreitete sehr geheim den Befehl, zu packen, was man Wertes und Wichtiges besäße. Die weitere Dienerschaft wurde nicht benachrichtigt. Von Tag zu Tag fuhren nun unauffällig ein zwei Wagen stark bedeckt aus dem Palasthofe. Nach Mähren, hieß es. Nach einigen Wochen war eines späten dunklen Winterabends der Herzog mit seinem Anhang abgereist. Dies war, während der Schwede in Kurmainz thronte, zwei Tage vor dem Einfall Arnims mit den sächsischen Truppen in Böhmen.
Denn unter dem maßlosen Wehegeschrei der Landbevölkerung trieben schon die Sachsen Arnims heran. Marradas stand als Oberkommandierender in Prag; Wallenstein hatte ihm noch, als die Gefahr sichtbar geworden war, achselzuckend geraten, Widerstand zu leisten. Aber bei dem rasenden Tempo des Anmarsches war kein Widerstand möglich. Plötzlich, als wenn sie einen Traum erlebten, sahen die Böhmen die Kaiserlichen aus der Hauptstadt flüchten; tags drauf scholl der Gesang der Sachsen auf dem Altstädter Ring, vor der Teynkirche.
Auf den Zinnen des Altstädter Brückentors ragten an Stangen und Spießen verdorrte Menschenköpfe, denen die Rümpfe abgeschlagen waren. Sie hießen, als sie noch lebten, Kaplíř, Budowetz, Dvořecký, Bila, Otto von Los, Valentin Kochan, Tobias Šteffek, Michalowitz, Kober, Haunschild, Jessenius. An diesem Freudentag der Sachsen war den Finken kein Spaß bereitet; ihre Nester in den Mündern und auf den Köpfen der Rebellen wurden zerstört. Prächtige Särge wurden gefertigt. Hinein wurden gelegt die Köpfe samt den Stangen, auf denen sie gesteckt waren und die ihnen in der langen Zeit zum zweiten Leib geworden waren. Aus der blendenden Helle gingen die müden Gesichter in die stillen Kammern unter der Erde.
Plötzlich war die Schlacht am Weißen Berge – nicht geschlagen.
Plötzlich war das Land – frei.
Der Gouverneur flüchtig.
Friedland, der Hauptverbrecher, flüchtig.
Die Bürger liefen aus den Häusern, besahen sich den Ring, liefen auf die Brücke. Sie stand, wie sie stand, die Köpfe waren weg. Sollte man sich freuen? Und vor der königlichen Burg stand eine unwahrscheinliche Gestalt, von der man sich erzählte, an die man nicht mehr glaubte: der weißbärtige Graf Thurn. Stand da im Getümmel johlender frenetischer Böhmen auf dem wasserflutenden Hradschinplatz unter den verhängten Fenstern der Burg, die Libussa und Wladislaus gebaut hatten. Die Schutztürme Daliborka und Mihulka; Matthias, der Kaiser, Rudolf, der Kaiser, wohnten nicht mehr hier; wohnte der blinde Hund Ferdinand, der Idiot, noch in Wien? In den kaiserlichen Zimmern hauste der Böhme Thurn und der schützende sächsische Feldmarschall Arnim von Boitzenburg. In dem erstickenden Jubel dieser Wintertage wurden die Türen der Geheimkonventikel gesprengt, die Träger der alten gefeierten Namen rannten auf die Gassen und Plätze; ungeheure Umzüge spontan wachsend in allen Stadtteilen. Sie stiegen in glorreichen Gedanken vor die Staatskanzlei, wehten unter Gebrüll und Gesang die alten Fahnen, vor sich die Fenster der Landtagsstube, aus denen von den Männern der Befreiung die Verräter Martinitz Slawata Fabricius in die Wallgrube geworfen waren. Im Wladislaussaal, im alten Huldigungssaal der Burg, standen sie vor Thurn und faßten es nicht. Einmal stürzte ein tumultuarischer Zug in den Veitsdom, marschierte hüte- und waffenschwenkend in die reiche Wenzelskapelle; ein Priester aus ihrem Haufen griff nach dem Bronzering an der Kapellentür. Sich biegend vor Hingerissenheit jubelte er weitäugig; an diesem Ring hatte sich ihr Wenzel sterbend und unverzagt in Altbunzlau gehalten. Schon wollten die lüsternen und rachedurstigen Massen in der Stadt und auf den Ländereien plündern. Da besetzte Arnim eine Anzahl der verlassenen Häuser und Schlösser; die friedländischen zuerst; seine Söldner patrouillierten mit Pike und Muskete die Straßen ab. Erschießungen von Plünderern fanden statt.
Ein Schreck fuhr in die Menge. Graf Thurn suchte besänftigend einzugreifen. Die Adligen, ihr wirres Gefolge bezichtigten ihn des Verrats, weil er nicht den Sturm auf die Häuser der Kaiserlichen befahl. Man hatte ein Recht, Rache zu üben. Er wies auf die Sachsen hin, die es nicht dulden wollten. Nicht die Böhmen hatten das Land erobert. Sie verlangten sofortige Berufung und Bewaffnung der Emigranten und Verjagten aus Sachsen, Herstellung ihrer Habe, Entschädigung. »Gerechtigkeit, Rache!« tobte es vor der Burg. Thurn warf vor Wut und in Zerrissenheit seinen Hut aus dem Fenster, verfluchte die Stunde, die ihn nach Prag zu ihnen geführt hatte. Man ließ ihn nicht weitersprechen, Steine und Waffen krachten durch die Luft. Draußen führten der prahlende Sohn des Berka, der sich aus der Gefangenschaft nach der Prager Schlacht befreit hatte, und Smil von Hodějovský. Sie waren als Jünglinge aus ihrer Heimat geflohen, keine Freude hatten sie gehabt in Sachsen, die ihnen nicht durch Sehnsucht nach dem Mütterchen an der Moldau getrübt war; sie klirrten als ungezügelte entschlossene Männer gepanzert vor den Haufen einher, die sich so wenig wie sie einschüchtern lassen wollten. Die Waffen wurden ihnen abgenommen, sie selbst in der Burg in Eisen geworfen.
In den Häusern schwoll die Enttäuschung, rachsüchtig schlugen die Konventikel die Türen hinter sich zu. Es mußte zu einem Ausbruch kommen. Die Sachsen waren froh, als das randalierende Volk die ersten Angriffe auf die Judenstadt machte.
IN ZNAIM nahm der Herzog Privatlogis; die Bewohner von fünf Häusern mietete er aus. Doktor Stroperus sah mit Verwunderung, wie die Gichtknoten an Wallensteins Händen, den Ohrläppchen Zehen aufbrachen, der Herzog hellere Farben bekam, rastlos durch die Zimmer ging, in denen Raum neben Raum rasch für besondere Zwecke eingerichtet waren, wie der Herzog nur abends keifte, auf den Kammerdiener losschlug, in der alten gehässigen Weise ihn selbst mit dem Tode bedrohte, weil er ihn verderben ließe. Briefe und Kuriere liefen wieder täglich aus.
Der Herzog bat vertraulich die Obersten der in der Nähe stehenden Regimenter zu sich, dann weiter entfernte. Er stellte fest, wie es sich mit der Auffüllung ihrer Truppen verhielt, mit Armierung Verproviantierung Kriegslust; wies sie an, Mut auf Werbung und Ausbildung zu legen, seiner Kasse gemäß nichts zu versäumen. Das Reich liege in Nöten; wenn der Kaiser sie nicht rufen würde oder nicht für sie aufkommen könne, er würde nicht verschlossenen Mundes zusehen, wie der Schwede sein Höllenspiel auf deutschen Gassen zu Ende führen würde. Möchten sich im schlimmsten Fall um ihn, den Reichsfürsten und Herzog zu Mecklenburg, stellen.
Aus den Äußerungen der Herren, die einzeln, dann in kleinen Rotten sich in den dürftigen Znaimer Häusern versammelten, klang, gelockt von diesem Anruf, hervor, wie sie die Niederlage unter dem Schweden empfanden und den Kaiser anklagten, das Heer in die Jauche gedrückt zu haben. »Es ist kein Gut am Grafen Tilly«, schrien sie an der klirrenden Weintafel, an der sie mit dem langen Herzog saßen, »er hat den evangelischen Obristen die Patente abgenommen. Die Ligisten sind Mucker. Wir sind keine kaiserliche Armee mehr. Wer regiert? Seine Knausrigkeit die Durchlaucht von Bayern.« »Wir beten zu Jesus und Maria. Aber unsere protestantischen Kameraden sind tapfer und brav. Man hätte sie nicht davonjagen müssen, als wären sie Heiden.« »Man hat getan, als führten wir einen Krieg für die Mönche. Wir sind Soldaten. Wer uns Ehre gibt und wacker zahlt, ist unser Mann. Tilly ist geschlagen, wir sitzen im Mauseloch und knabbern an Strohhalmen. Das walt’ die Sucht.« »Haben bei der Durchlaucht zu Friedland getreulich gestanden; hat uns die Schnödigkeit seines Loses genugsam gejammert. Sitzen als seine Gäste, um ihm nicht bloß zu versaufen, was er uns vorsetzt; wollen auch bekennen, daß wir seiner mit Verlangen denken.« »Haben ihn nicht davongehen heißen, die Durchlaucht zu Friedland. Haben Tränen nach ihm vergossen, als wäre uns Mutter und Vater an einem Tage gestorben und wir selbst an den Bettelsack geraten. Da wir ihm einmal mit Handschlag und Mund die Treue gelobt als Feldhauptmann des Römischen Kaisers, wollen wir ihn, wenn uns keiner mag, in seinem Gram nicht verlassen. Sei er unser gewiß.« »Sei er auch unser gewiß.«
Im Geschrei und erhitzten Stampfen und Tischschlagen – der lange Friedland im braunen Lederkoller ließ still hockend und Blicke werfend die Reden um sich gehen, als säße er wie ein Rabe auf dem Ast, der Wind schaukelt ihn spielerisch und bläst ihm unter die Federn – stieg ein schärpenschleppender breiter hoher Mann mit glattgeschorenem kleinem Kopf auf seinen Schemel, hatte ein glühendes geschwollenes Gesicht, hielt seinen Becher im Stehen noch dicht vor seinen bärtigen Mund, schwieg, als ihn schon alle anriefen. Dann keifte, krähte er unter Gesten der linken Hand: »Der Schwedenkönig steht im Reich. Bis Mainz steht er jetzt. Der Sachse steht in Böhmen, Mit wieviel Mann? Mit sechstausend. Wo sind unsere Armeen? Sie sind weggelaufen. Wo steht Conti, Savelli? Weggelaufen. Marradas? Weggelaufen. Wir sind Hunde. Wir sind zum Krepieren reif. Ich lasse die Herren wissen, wir sind für den Schinder reif. Das bitte ich nicht zu vergessen, wenn man von uns spricht.« Stieg vom Stuhl, kaute mit leerem Mund, trank stierend an seinem Becher.
Zuerst bezogen die Obersten der in Mähren gelegenen Regimenter vom Herzog zu Friedland Geld, Darlehen, Winke für die Werbung, den Proviant. Dann zog er rasch, sich ihrer bedienend, die entfernteren Regimenter in seinen Bereich. In seinen Zimmern zu Znaim arbeiteten die aufgetriebenen Beamten seiner früheren Verwaltung. Er erklärte, mit dem Kaiser in dauernder Korrespondenz zu stehen; sei ermächtigt, mit Umgehung der Wiener Herren den Obersten mit Rat und Tat beizustehen, wie er als Privatperson von Sachkenntnis und Vermögen fähig wäre. Was niemanden quälte.
Die Gräfin Trzka, spätabends mit dem Grafen und der Schwester antanzend, erhielt einen raschen Schlag auf die Hand, als sie den Herzog vom krachenden Schreibkabinett wegziehen wollte. Seufzend zog er sich am Arm des Rittmeisters Neumann hoch: »Trzka, du stehst nicht auf, wenn du Würfel spielst und im Begriff bist zu verlieren. Du wirst es nicht tun, wenn du anfängst zu gewinnen.«
Er gluckste zwischen den beiden Frauen hinaus, den Kopf zwischen den Schultern einziehend: »Weißt du, weißt du, herzliebes Weib, wer ich bin?« »Aber ich weiß, mein herzlieber Gemahl, wer du bist.« »Willst du mir Botschaft geben?« »Mein herzlieber Gemahl.« »Ich bin ein Mensch, der einen Kopf auf dem Rumpf trägt und auf den zwei Beinen steht, die ihm seine Mutter in der Geburt mitgegeben hat. Hä. Sie werden es merken. Die jesuitischen Stinkböcke, die verzagten schulfuchsigen Herzen. Und der dicke Schelm. Äußert Euch unbeschwert, sagt unverhohlen, daß Ihr mir kein Vertrauen schenkt, Ihr.« Er fuchtelte gegen Abwesende: »Jetzt springt links, jetzt dreht Euch rechts. Es heißt bezahlen. Müßt heran, ob Ihr wollt oder nicht. Bezahlen heißt es. Siehst du, herzliebe Elisabeth. Hä. Sie werden bezahlen. Sachte, sachte will ich ihnen das Köpfchen bieten und an das Hälschen gehen.«
Seine Tafeleien und Verhandlungen mit den Obersten ließ er in die Welt schreien. An den Wiener Hofkriegsrat schickte er, Briefe des Kaisers lässig beantwortend, einen Kurier mit der Frage, ob die Kammer wüßte, daß sein Mecklenburger Herzogtum, dazu sein böhmischer Besitz, Friedland Sagan Großglogau, alles hin und verloren sei, und was man ihm, dem Reichsfürsten, an die Hand gebe, sich vor unverschuldeter Armut zu schützen. Dann drohte zwei Wochen darauf ein zweiter Kurier: man schweige sich aus, der erwählte Kaiser des Heiligen Reiches ließe ihn im Stich; er sitze in Znaim auf der Flucht, nur mit dem Notdürftigsten versehen. Sei das Reich zerbrochen? Müsse er sich selbst schützen? Man möge es sagen. Er warte, träfe Anstalten, sich seiner Haut zu wehren, wie es ihm geblieben sei.
Graf Trzka bekam den Auftrag: ihm gebe er, sagte Friedland, mit auf die Reise seine beiden blauen Augen und die treue Miene. Damit solle er sich vor den Schweden oder Oxenstirn stellen, sie fangen und sagen, er, der Friedländer, sei im Begriff, ein meuterndes kaiserliches Heer an sich zu ziehen und damit nach Belieben zu verfahren. Ob ihm das Königreich Böhmen garantiert werde? Ferner, wieviel schwedische und sächsische Truppen rasch zu ihm stoßen könnten im Augenblick des Losbruchs. Den Bescheid möchte er sich schriftlich von Oxenstirn oder dem Schweden selbst geben lassen. Möchte sich beeilen.
Trzka war einen Augenblick erschreckt und unsicher. Friedland schrie: »Lacht nicht. Behaltet Euer Gesicht im Zaum.« Stieß ihn drohend mit den hageren Armen zur Tür hinaus.
UNTER DEM niederdrückenden Bescheid des Kardinals Pázmány, den Nachrichten, die die Gefahr einer Umklammerung greifbar nahelegten, getrieben von stöhnenden Briefen des Kurfürsten Maximilian, trat Fürst Eggenberg mit dem hohen Rat in der Burg zusammen.
Maximilians Lage war ihnen allen klar. Er hatte in der furchtbaren Not nach der alten Verbindung mit den Franzosen gegriffen, diesmal aber nicht, um Habsburg Paroli zu bieten, ja er hatte sich durchzuschlagen versucht, indem er den Schweden selbst erweichte: nicht anders konnte ja sein neulicher Waffenstillstand gedeutet werden. Und dann sah der Bayer ein, daß er kein Erbarmen von dem Vandalen aus Skandinavien zu gewärtigen hatte, daß es doch nur ein kleiner Aufschub war. In einer Verzweiflungstollheit war Tilly, ehe noch der Stillstand ganz beendet war, losgebrochen und hatte in dem Entscheidungskampf dieses neuen Jahres als erster auf den menschenmordenden Schweden losgeschlagen, auf den Mann, der ohne Erbarmen trompetete: er werde keinen Pakt zwischen Evangelischen und Katholiken zulassen, es müsse einer von beiden in das grüne Gras beißen.
Der kleine Fürst Eggenberg, gebückt und übermüdet hinter seinem Schemel stehend, verkündete mit schmerzlichem Kopfnicken den anderen Herren, daß jetzt, zum ersten Male vielleicht, kein Zweifel an der Gutwilligkeit des Bayern möglich sei, und der Bayer selbst ließe die qualvollsten Briefe, die heftigsten Bitten durch seinen Gesandten an den kaiserlichen Hof ergehen: zu helfen, nicht zuzusehen, wie man, Kaiser und Liga, vor das Äußerste, die glatte Kapitulation, gestellt würde. Es sei das Schreckliche, kaum Wiedererzählbare Wirklichkeit geworden, daß der Mann, der jetzt auf dem Thron des Stellvertreters Christi säße, den Fischerring trüge, daß ebender Mann, Barberini, sich in einer Kälte, die an Hohn grenze, apathisch für das Interesse des katholischen Glaubens gezeigt habe. Er habe es in seiner Gewalt gehabt, was katholisch in der Welt sei, zu einigen gegen den unheimlichen, alles verheerenden Ansturm des Ketzerkönigs aus dem Norden. Man habe ihm den vertrauenswürdigsten Menschen zur Unterhandlung geschickt, den Erzbischof von Gran, den Primas von Ungarn; beschämt, zerschmettert sei der von Wien nach dem Bericht abgereist, habe nichts seinem Bericht zugesetzt als: er wünsche sich in Zukunft nur seinen Arbeiten zu widmen. Und nun sei es zu allem Unglück auch noch geschehen, daß die letzte Säule des Hauses Habsburg, der gewesene Feldhauptmann zu Friedland, zu wanken beginne. Unter dem überraschenden Einmarsch der Sachsen habe er fliehen müssen; wieviel an seinen Gütern, die seinen Reichtum ausmachen, noch unversehrt ist, könne er nicht feststellen. Der Herzog sitze mit seiner Familie und Anhang in Znaim. Das Wetter zieht auch über ihn herauf. »Woran sollen wir uns halten?«
Aus der gespannt beieinander sitzenden Gesellschaft fand Questenberg, der kurzbeinige schnauzbärtige, ein Wort; das Unglück habe dann wenigstens das mit sich gebracht, daß bis da zweideutige Freunde sichere Freunde geworden seien, ob sie wollten oder nicht; man könne sich auf den Bayern und den Friedländer verlassen; ja der Friedländer müsse sich glücklich preisen, wenn Habsburg mit ihm zur Erlangung seines Besitzes gemeinsame Sache machen wolle.
Stillschweigen.
Um die Unterhaltung weiterzuführen, beugte sich der verwachsene Graf gegen Questenberg hin; freilich habe dieser Friedländer, wie auch seine Briefe zeigten, nun auch nichts, und warum solle also dann Habsburg mit ihm gemeinsame Sache machen. Und indem er forschend den welk in seinem Armsessel ruhenden Fürsten Eggenberg anblickte: man habe vielleicht Interesse daran, dem Herzog nicht zu helfen; Friedland spreche auch jetzt sonderbar drohend. Er sondierte: bekanntlich ist es gut und zweckmäßig, Schlangen, die man fürchtet, die Giftzähne auszubrechen, um des Heilands willen ihm keine neuen einsetzen.
Eggenberg hielt die Augen des anderen fest; leise, pointiert tropfend; das sei der entscheidende Punkt: wie denke man sich ohne Wallenstein die Situation? Die Faust setzte Questenberg auf den Tisch: »Wir brauchen Wallenstein zum zweiten Male und dauernd, bis Ruhe ist.«
Am Tisch im weißen Mühlsteinkragen der schlanke Fechter, der Spanier Oñate; er hob den Zeigefinger: »Wir bieten eine Million Gulden, wenn Wallenstein das Heer organisiert.«
»Seht Ihr«, breitete Eggenberg gegen Trautmannsdorf den Arm aus.
»Nichts sehe ich, als daß wir vermutlich auch noch das Fell des Löwen verteilen, bevor wir ihn haben; zunächst steht es ja nicht fest, daß der Herzog zurückwill.«
Oñate: »Er will. Er will.«
»Ja, wie er will.«
Oñate einfach: »Als Generalfeldhauptmann wie vorher, zugleich als Haupt der spanischen Armee im Reich.«
»Mein Gott, wißt Ihr denn, Graf Oñate, von wem Ihr redet? Seine Briefe sind sonderbar. Es könnte sein, daß er in der Situation, in der er sich jetzt befindet, nach Schwund seines Vermögens, bereit ist zum Kommando. Vielleicht. Vielleicht hat er auch etwas anderes vor. Der Wallenstein! Er wird schnappen! So groß wird kein Rachen eines Wolfes sein wie seiner, wenn er schnappen wird. Er freut sich unserer Lage; sie verspricht ihm viel. Was meint Ihr, Eggenberg, und Ihr, Graf: wird es nötig sein, daß Ihr Euch noch retten laßt von ihm? Er wird Euch retten, soweit es ihm Spaß machen wird, und von dem Braten speisen, mit Fettsoße, Zwiebeln, Gemüse und Pastete, soviel er mag. Das Reich wird anders aussehen nach dieser Rettung als vorher. Ich wünsche Euch guten Geschmack – für ihn.«
Eggenberg: »Was ratet Ihr?«
»Mit Schweden paktieren. Rasch.«
Eggenberg: »Nein, sagt, Graf Trautmannsdorf, laßt dies einen Augenblick: ist der Herzog nach Eurer Meinung so gefährlich?«
»Euer Feind. Weiter nichts. Gewiß nicht meiner. Er kann Euch jetzt vielleicht nicht viel schaden; Ihr müßt damit zufrieden sein. – Ihr wißt übrigens, daß ich ihn liebe und hochschätze. Die Dinge haben es leider dahin gebracht, daß er mit dem Erzhause verfeindet wurde.«
Trautmannsdorf war traurig und stützte den Kopf. Wieder Stillschweigen. Am Tisch saß neben Questenberg der Beichtvater, der große Lamormain. Man müsse sich der Menschen bedienen, wie sie sind. Man hätte Machtmittel in der Hand gegen den Herzog. Friedland scheine sich schon jetzt zu irgendeinem Schlag zu heben. Er sei offenbar noch kräftig. Man müsse sich seiner in beliebiger Weise bemächtigen.
Questenberg bitter gegen Trautmannsdorf: ob der Herr Graf wisse, daß der Friedländer fast alle Obersten Mährens und Niederösterreichs an sich gezogen habe, die kaiserlichen Obersten? Zerschmettert die Armee, verzweifelt, schlecht entlohnt, in ihrem Ehrgefühl gekränkt die Offiziere. »Es kann geschehen, daß unsere Regimenter zu Wallenstein übergehen, ohne daß wir etwas dagegen ausrichten können; wir sind ja nichts. Wir sind Geschlagene, schlechte Politiker, da wir ihnen diesen Wallenstein weggenommen haben. Und er: er ist imstande, nimmt die Regimenter, die Juden zahlen, was er braucht; er erobert sich seine Güter, verträgt sich mit dem Schweden. Es ist alles möglich. Läßt man ihn, ist man vor nichts sicher.«
»Und wer ist schuld daran?« Trautmannsdorf zog brüsk die Arme vom Tisch, schrie: »Ihr. Er war nicht unser Feind. Ihr habt ihn dazu gemacht. – Aber ich will davon nicht sprechen.« Er preßte sich erglühend in seinen Stuhl: »Wenn es wahr ist, daß der Papst diesen Bescheid dem ungarischen Primas gegeben hat, so wird man diesen Bescheid den geheimsten Geheimbüchern des Erzhauses einverleiben müssen. Man wird es nicht nur in die kaiserlichen Erinnerungsbücher für die Richtung der kommenden Politiker schreiben, sondern für jeden im Reich und außerhalb des Reichs, der Interesse am katholischen Glauben hat. Es ist unmöglich und zum Himmel schreiend, daß die grausige Not, vor der sich Bayern und Österreich, alle Königreiche und Erblande krümmen, blinde Augen beim Heiligen Vater findet. Er hat es abgelehnt, das in höchster Not schwebende und fast zu gänzlichem Untergang neigende Römische Reich aufzurichten. Er wird seine Schuld vor dem zu verantworten haben, dessen Stellvertreter er ist. Und nicht ist. Die Schuld liegt auch bei Euch, Fürst Eggenberg. Es war alles unnötig. Wir waren in Macht, wir saßen im Sattel, dann kam der böse Anzetteler, der treulose baumstarke Verderber des Reiches, der Bayer. Er hat die Kurfürsten gegen Habsburg aufgewiegelt; wir hätten stark bleiben können und sollen. Statt dessen hattet Ihr Furcht. Von Anbeginn. Ich sage Euch: Friedland war treu bis zu dem Augenblick in Memmingen, wo wir ihn fallen ließen und wo er sah: dem Kaiser liegt nichts an ihm. Er wurde nach solchen Diensten für uns wie ein räudiges Tier zur Tür hinausgestoßen. Kaum daß die Kaiserliche Majestät selber in ihrer persönlichen Liebe für den General ihn vor dem Äußersten bewahrte: vor der offenen Infamie, der Degradierung, Absprechung der Titel und Besitztümer. Warum? Die Herren wissen alle: um nichts. Wegen des alten Hasses des Bayern, der hinter Habsburg wie die Bremse ist und in den Wahnsinn stachelt. Was wäre geschehen? Fast wäre Deutschland ein Kaiserreich geworden. Nun sitzen wir da, winseln vor dem Papst, werden vor dem Herzog winseln. Jetzt hat er Rebellisches vor, ich zweifle nicht daran. Er macht sich unsere Not zunutze. Wär' er doch ein Seraph, wenn er’s nicht täte. Er haßt uns alle, wie wir hier sitzen. Ich kann meine Liebe zu ihm nicht verbergen und ihm nur recht geben. Ich muß es tun. Ihr seid schuld, Fürst Eggenberg. Ihr habt einen Keil in uns getrieben und uns schwach gemacht. Ihr habt uns und dem Kaiser den Mut genommen, daß wir in Regensburg nicht sprechen konnten. Das Reich wird es Euch nie vergessen dürfen. In hundert und tausend Jahren nicht.«
Verzweifelt lächelnd blickte der kleine Fürst auf seine zitternden kalten Finger: »Wollt mir doch wenigstens das auch nicht vergessen, daß ich das Beste gewollt habe, daß wir alle doch schon so schwer gebüßt haben.« »Noch nicht genug. Der Schwede wird noch andere Register ziehen. Es ist so weit gekommen, Fürst Eggenberg, daß ich ein offenes Wort hier sprechen muß. Ihr hättet Euren Kopf dem Kaiser nach der Breitenfelder Schlacht anbieten müssen. Sie war das Resultat Eurer Politik. Ihr habt die Versöhnungstaktik dem Kaiser geraten. Habt Ihr das getan?«
Gedankenlos blöde lächelte ohne Aufblick der Fürst: »Liegt Euch soviel an meinem Kopf?«
»Habt Ihr ihn dem Kaiser angeboten?«
Der Fürst fahl, eingefallen, einen Moment die Augen beschattend: »Nun will ich Euch sagen, Trautmannsdorf, daß das, was Ihr mit mir tut, anfängt, unertragbar zu werden. Was habt Ihr mit mir vor?«
»Sollen wir nicht das Recht haben, über Euch zu Gericht zu sitzen, und seid Ihr hier nicht Rechenschaft schuldig?«
»Was ich getan habe, verantworte ich. Ihr seid in Eurer Liebe zu Wallenstein ohne Verstand.«
»Meine Liebe zu Wallenstein. Ich will nicht nur Rache nehmen dafür, daß ich gezwungen wurde, gegen ihn aufzutreten. Ich muß Protest erheben gegen die Verwüstung der stärksten Position in der Welt, die das Reich hatte. Friedland hätte das habsburgische Reich halten können. Nun ist er zunichte geworden, verschandelt, in einen gräßlichen Dämon verwandelt, vor dem wir zittern müssen. Aber eins gegen das andere: ist Wallenstein nichts und ist Habsburg nichts: ist es da recht, daß Ihr etwas seid, der beide zu nichts gemacht hat. Das sag’ ich hier am Tisch: ich liebe Habsburg und hänge unserer Kaiserlichen Majestät an – aber Ihr, Fürst Eggenberg, tätet gut, Euch jetzt und für alle Zukunft zu verstecken, weil Ihr und kein anderer schuld seid an diesem vermaledeiten Regensburger Tag.«
»Die Herren werden alle einsehen, daß diese Debatte nicht so fortgehen kann. Ich habe stets alles frei aufgenommen, was hier beraten wurde, und dem Kaiser berichtet. Er kennt alle Standpunkte und Gesichtspunkte. Man hat es hier mehr auf meinen Kopf als auf etwas anderes abgesehen. Ich will Euch einladen, Graf Trautmannsdorf: kommt mit vor den Kaiser.«
»Wozu soll das? Der Kaiser ist jetzt machtlos.«
»Er ist Richter.«
»Was soll das?«
»Kommt mit. Ich bin Euch Genugtuung schuldig für Euren Wallenstein. Ich begehre es von Euch.«
»Was soll das?«
»Ich bin Euch wohlgesinnt. Ich versteh’, was Ihr fühlt.«
DER KAISER in dem menschenfließenden Abtstuhl: »Das ist wohl eine Art Gericht. Ihr seid der Ankläger und Fürst Eggenberg der Malefizer. Oder umgekehrt.«
Eggenberg: »Ich möchte wissen, was die Kaiserliche Majestät urteilt.«
»Was, Urteil, Eggenberg?«
»Ich habe viel gelitten unter den letzten Ereignissen. Majestät weiß davon. Aber die Dinge sind in der Tat so ungeheuerlich in ihren Folgen, Nebenumständen, können verhängnisvoll werden, daß ich mich nicht mit einer bloßen Besänftigung und Hinnahme begnügen kann, sondern rund um ein Urteil bitte. Ich habe alles verschuldet. Es muß mir abgenommen werden. Oder der Kopf, der die Erinnerung an das alles aufbewahrt, muß herunter.«
Der Kaiser: »Und dies scheint auch die Meinung unseres Trautmannsdorf zu sein?«
Trautmannsdorf: »Ich habe den Fürsten, meinen alten Freund, nicht hierher gezogen.«
Der Kaiser: »Jedenfalls – steht es wahrhaft um uns so?«
Beide Herren sahen zu Boden.
»Und an dieser Lawine begehrt mein guter Eggenberg schon wiederum schuld zu sein? Regensburg, Abdankung des Generals, Schweden, Breitenfeld und so weiter?«
»Ich nehme die Abdankung des Generals auf meine Kappe.«
Der Kaiser, sich hochstemmend, schleifte herum um die grüne Marmorsäule: »Schon gut. Ich dachte es eigentlich anders.« Er legte die leichten Hände auf Eggenbergs Schulter mit dunklen Blicken, leise redend: »Sprecht nicht von Regensburg. Laßt das. Ihr seid nicht daran schuld. Ich hab’ mit Euch ja gar nicht darüber gesprochen. Da ist nichts von Schuld. Wollt das nicht bemäkeln.«
Eggenberg öffnete den Mund, der Kaiser fuhr fort: »Sprecht nicht. Es ist wie ich sage. Man soll an den Dingen nicht deuteln und sich nicht versündigen.« Er ließ seine Arme sinken. Sah sein Spiegelbild über die Säule fließen. Ging gegen die hohe Tür; die beiden Herren betrachtete er; seine Miene nahm etwas Überdrüssiges, Feindseliges an. Das verließ ihn erst langsam, wie er wieder im Stuhl saß. Da lachte er in kleinen leisen Stößen, streckte die Arme von sich breit nach beiden Seiten: »Frieden, Ihr Herren. Wir sind nur Werkzeuge, wer weiß in wessen Händen. Ich hoffe, in Gottes, Marias und der Heiligen.«
Die beiden Herren blickten aneinander vorbei.
Der Kaiser, träumerisch herumwandernd, an den Puscheln seines Schlafrocks spielend: »Es nimmt alles so guten Verlauf. Wenn ich nur wüßte, wovon Ihr redet.«
Eggenberg: »Der Schwede –«
Der Kaiser: »Ah, der Schwede. Ihr werdet ihm, ich sagte es schon, den Wallenstein entgegensetzen müssen. Ich – möchte diesen Wallenstein gern wieder sehen. Seht, wie gut, daß ich den Wallenstein nicht von mir reißen ließ. Das hab’ ich gut gemacht, nicht wahr?«
Er dachte vor ihnen angestrengt nach: »Also, bringt ihn vor mich. Ich möchte ihn sehen.«
Als sich der Fürst und der höchst betretene Graf voneinander trennten, waren sie übereingekommen, sich umarmend, sich drückend und einander alles abbittend, angesichts der erschreckenden unfaßbaren Apathie des Kaisers sich nicht voneinander zu trennen und alle Entschlüsse gemeinsam zu fassen; für den Augenblick den, das Generalat Wallensteins zu erneuern, als Gegengewicht aber sich des Bayern und Spaniens zu versichern.
DIE ANKÜNDIGUNG des Besuches Eggenbergs wirkte auf den Herzog, der in ruhelosem Konspirieren begriffen war, so erschreckend, daß er im Zimmer des Rittmeisters Neumann einen Nervenanfall erlitt. Er schluchzte eine halbe Stunde, auf dem Stuhl am geöffneten Fenster sitzend, nach dem öden Garten zu sitzend, hatte eine wachsfarbene schmale Nase, griff oft nach seiner Brust, war nach seinen leeren Blicken nicht ganz bei Besinnung. Nachher schmähte er noch schluchzend auf den Rittmeister, auf seine Ärzte. In seiner Schlafkammer saß er weitäugig, verstört, schlaffrückig neben Elisabeth, flüsterte: »Ich bin nicht mehr der alte, Elisabeth. Irgendwie bin ich wurmstichig. Irgendwie haben sie mich wurmstichig gemacht.« Und wütend aufstehend, brüllte er, fäusteschüttelnd, tierisch herumtrampelnd: »Sie haben mich wurmstichig gemacht. Sie haben mir die Federn ausgerissen. Das haben sie erreicht. Sie sollen es bezahlen. Wenn es im Himmel einen Gott gibt, wenn Maria die Mutter Gottes ist, wenn mich die Heiligen beschützen, bei meiner Seligkeit und Ehre, ich will ein Erztropf und Schindhund sein, wenn sie es mir nicht bezahlen mit allem, was sie haben. Daß sie die Hand Gottes rühre.« Vor dem Bildnis des Christophorus, der die Fluten überschreitet, stehend, schäumte er gierig unter Anschwellen der Venen an dem dürren glühen Hals, mit beiden Unterarmen gegen die Tapete trommelnd: »Galgenschelme, Galgenschelme.« Kreischte heiser. Elisabeth ließ ihn, weinend das Kinn auf die Brust legend, stehen.
Am späten Abend saß er nach Verabschiedung der Herren in seiner kleinen Gaststube mit ihr allein vor der unabgedeckten Tafel, lächelte plötzlich, sich zusammenziehend, grimmig, haßvoll, mit glücktrunken funkelnden Augen: »Gott hat sie mir in die Hand gegeben. Ich werde sie wie einen Floh zwischen den Nägeln zerknacken.«
Sie drückte sich an ihn; sie konnte sich nicht erwehren, sie liebte ihn in seinem Unglück von Tag zu Tag mehr, schämte sich unklar ihrer Liebe.
Der Herzog ging an seinem spanischen Rohr dem Fürsten Eggenberg auf der gefrorenen Znaimer Landstraße einige hundert Schritt entgegen. Sie sprachen über ihr gemeinsames Podagra. Drin wurde der Herzog der Freude des Kaisers über seine alte unveränderte Anhänglichkeit versichert, Wallenstein bot, ohne sich zu binden, die Aufstellung einer Armee von vierzigtausend Mann an, die er allmählich auf hunderttausend bringen wolle. Aber er lehnte jede Abmachung über seinen Eintritt in das Generalat ab, klagte über seine Hinfälligkeit.
Und Eggenberg, der gefaßt die Verhandlung führte, mußte zugeben, wie er den langen gelben Mann hohläugig vor sich im überweiten Lederkoller fuchteln und stöhnen sah, daß es gut sei, mit solchem Mann nicht gar zu lange Verträge zu machen. Und in Eggenbergs Seele kam ein leichtes unsicheres Staunen und wehe Müdigkeit, wie sonderbar unerwartet sich die Dinge gestalteten. »Wir müssen alle sterben«, seufzte Eggenberg, über sich sinkend. Der Herzog zog, den Kopf zurückbiegend, spöttisch die Mundwinkel herunter, ließ von oben einen lauernden freudigen Blick über den andern spielen.
Man wollte am Hof wissen, welche Forderungen der Herzog gestellt habe. Der alte Fürst gab schwermütig von sich, sie sollten sich erst den Herzog ansehen, er werde bald kommen.
Und nach Wien eingeladen, kam der Herzog. Nicht wie beim Antritt des ersten Generalats, mit zwanzig Karossen; versilberte Partisanen der Vorreiter, Zaumzeug und Schabracken, wie der Kaiser sie führte, Lakaien und Pagen in feinsten französischen Stoffen, eine halbe kriegsstarke Kompagnie voraus, eine halbe hinterher. Sondern geräuschlos mit zwanzig Mann Bedeckung und drei Leibwagen. Er führte auf der eisigen Stiege seines Znaimer Häuschens noch ein murmelndes Gespräch mit dem heißblütigen jungen Sesima Raschin und seinem Trzka. Keinen Augenblick sollten sie sich durch die Änderung in seiner Stellung zum Kaiser in ihren Aufgaben stören lassen, jede erreichbare Bindung an den Schweden und den Sachsen für ihn erstreben. Es solle alles so weitergeführt werden, als geschehe nichts. Gab keine schriftlichen Vollmachten von sich; er mache sich nicht, räusperte er sich aus dem Fenster des Wagens heraus, bevor er die Decke vorzog, zum Sklaven des Kursachsen oder Gustavs. Sie begriffen, der Herzog, der langsam auf der Landstraße fuhr, hatte etwas Besonderes mit dem Kaiser vor.
In dem schneidendklaren Januarlicht stellte sich der Böhme, am Stock herangeschleift, hoch und mager vor dem Kaiser auf, der ihm selbst einen Sessel heranrückte.
Beide fanden in der gräßlichen Deutlichkeit des Tages, daß der Tod den andern an Auge, Nase, Mund, ja an den Händen gezeichnet habe. Beide wußten es nur von dem andern.
Ferdinand las in seiner Verwirrung dem Herzog einen Brief der Mantuanerin vor, den er eben erhalten hatte aus Schönbrunn, worin sie ihre baldige Rückkehr nach Wien anzeigte. Währenddessen und nach den ersten heiseren Worten des Herzogs veränderte sich dessen Bild vor ihm, und in ihm tauchte wieder auf der unersättliche regsame Lindwurm, der kriechende langschweifige tausendfüßige Leib. Den hatte er einmal gefürchtet. Nun war es klar. Es sollte wieder etwas wie Krieg geben; er mußte sich einen Augenblick wirklich besinnen, gegen wen; dachte im ersten Moment an den Bayern. Also jetzt ist der Schwede an der Reihe. Dieser Herzog hat es auf den abgesehen. Er wird ihn wahrscheinlich besiegen. Vielleicht wird ihn auch gelegentlich der Schwede besiegen; diese Dinge sind unübersehbar. Eine sonderbare Sache.
Der Herzog sprach von den schon getroffenen Maßnahmen zur Aufstellung eines Heeres, und daß in der Tat der Schwede und Kursachse alle Vorteile habe. Heiser schrie er; wie seine böhmischen Augen dabei feucht schillerten.
Man braucht solche Menschen hier. Sache des Kaisers ist es, sie zu belohnen. Sie hungern zu lassen und zu füttern, je nach den Umständen, um sie desto willfähriger zu haben. Das ist das Geschäft des Kaisers. Die Aufgabe der Krone. Es ist in allen Ländern so. Man verliert die Krone ohne dies Spiel. Man sollte vielleicht diese Menschen auf den Thron lassen, das wäre wohl das Richtigste, das Glatteste.
Als sie ihr Gegenüber beendet hatten, ließ der Kaiser, ohne den Platz zu wechseln, stumm den Fürsten Eggenberg kommen, fragte ihn, was er nun zu tun hätte. Plötzlich war es dem Kaiser geworden, als ob er die Balance verlor, schwindlig wurde und in einer kichernden bewußtlosen Freude nicht wußte, was heute war, was morgen sein wird, in welchen Zimmern er ging, in wessen Zimmern er ging. Ja, das große Geheimnis, das ihn tief beglückte, wollte er dem Fürsten Eggenberg nicht verraten, vielleicht aber der Mantuanerin, die bald kommen mußte: daß er manchmal nicht wußte, in wessen Kleidern er hier herumging, er auf zwei hebenden fühlenden Beinen, mit einem beweglichen Kopf; daß ihn die Unterschriften tief fesselten, die seine eigenen Hände zogen; manu propria, hieß es, mit eigener Hand. Sieh da, sieh da, der Ferdinand.
Und Eggenberg wurde von ihm umarmt, Ferdinand scherzte mit ihm, daß er sich von Trautmannsdorf nicht habe in den Tod jagen lassen. Nun werde er wohl auch wissen, was mit dem Herzog zu geschehen habe, wie man ihn belohnen und abfinden müsse; nun sei doch der Geheime Rat ganz beruhigt. Friedland sei bei ihnen, der Schwede werde bald nicht mehr auf der Landkarte zu finden sein.
Der Fürst kniff schwermütig die Augen zu; ob man den Herzog werde abfinden können, wisse keiner, er schwiege sich aus. Man wisse nicht, womit nach der Aufstellung der Armeen der Herzog kommen werde; nicht viel geben, nicht viel geben sei der gemeinsame Wunsch aller Herren. Auf seiner Schreibtafel stand, als er sich verabschiedete, die Bestätigung des Herzogs als Reichsfürsten zu Mecklenburg, ein Geschenk des Kaisers von vierhunderttausend Reichstalern, soviel der Friedländer noch für gekaufte Güter der böhmischen Kammer schuldete; man gedachte ihm schließlich pfandweise für die Auslagen das schlesische Herzogtum Großglogau zu überlassen.
Als am folgenden Nachmittag die Mantuanerin den Kaiser nicht aufgesucht hatte, obwohl ihre Ankunft am letzten Abend gemeldet war, ließ sich der Kaiser zu ihr hinüberfahren. Sie war nicht in ihren Zimmern, nicht auf den Höfen, nicht in den Gärten. Mit ihrem Fräulein Kollonitsch war sie vor kurzem, hieß es bei der Wache, zu Fuß, tief verschleiert, zur Burg hinausgegangen. Daß ihn solche Sehnsucht nach ihr erfaßte. In einer herzlichen Trauer lag er allein eine halbe Stunde in seiner Kammer, ließ sich dann umziehen mit brauner Kniehose, glatter Jacke, weiter loser Hose, wie ein gewöhnlicher Mann, ein Handwerker, ein Bieranstecher; farbige Strümpfe und fliegende Bänder trug er, eine braune niedrige Kappe stülpte er sich gedankenlos auf; der Leibkammerdiener folgte ihm nach wenigen Minuten, hinterher in zwanzig Schritt Entfernung wie eine Magistratsperson wandernd mit kleinem Degen, in einem hohen braunen Filzhut; der einfache Anzug gelb, die mageren Waden in roten Strümpfen.
Der Handwerker, eine Weide in der Hand, irrte erst vor der Burg hin und her, schritt am Zeughaus vorbei, an der Niederösterreichischen Kanzlei, kehrte wieder um. Es war ein regnerisches Wetter, der Kot lag hoch, es war neblig, bald mußte es dunkel werden.
Wie Ferdinand das schwerfällige Gebäude der Minoriten passierte, sah er jemand laufen. Und eine unerklärliche Bewegung zwang ihn zu folgen. Sie bog in Gäßchen auf Gäßchen ein, blieb in Torwegen stehen, nestelte an sich. Durch den Kohlmarkt zum Graben. Zurück; man ging, durch Sänften und Karren getrennt, über eine lange schmale Holzbrücke. Eine Scheu bedrückte ihn, sie könnte eine Dirne sein; er zögerte. Die Kirchtürme von Sankt Niklas. Da ging sie in das kleine Schwesternhäuschen neben der Kirche. Die Tür fiel zu. Er stand draußen. »Wie sonderbar, daß ich hier stehe. Und daß ich nicht weggehe.« Er hob den Klöppel der Glocke, fragte, wer eben gekommen sei; ein Mädchen hatte geöffnet; man schrie entfernt: »Man hat geschickt.«
Über den dunklen Gang lief etwas an, sah ihm ins Gesicht, stand zitternd da. »Was ich will? Eleonore, ich weiß selbst nicht, was ich will. Ich weiß nur, ich möchte mit dir gehen.«
»Siehst du. Jetzt holst du mich. Jetzt bereust du deinen Starrsinn.« Er hing an ihrem Arm, sie wickelte den Schleier um den Hals. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Eleonore. Wir wollen davon nicht reden. Es ist weiter nichts, als daß ich gern mit dir gehe.«
Über die Brücke. »Versprich mir. Ich will nichts von Mantua reden und nichts von dir. Versprich mir, du wirst den Teufel von Herzog nicht wieder holen.« »Sprich weiter.« »Wenn du ihn brauchst, wirst du ihn zwingen, Ferdinand. Du mußt ihn wie einen Knecht, einen schlechten Demütigen, in der Hand haben, dem man nicht traut.« »Sprich nur weiter.« »Machst du dich lustig über mich?« »Nein, ich gehe gern mit dir.«
Stumm kamen sie vor die Burg. Im Regen gingen sie durch eine Seitentür, die ihnen der Diener aufschloß. »Komm zu mir, Eleonore.«
»Weiter nichts?« Sie weinte.
Er leise: »Eleonore. Ich weiß selbst nicht, was ist. An mich kommt nichts heran. Alles beglückt mich. Deine Stimme beglückt mich, dein Weinen beglückt mich, dein Klagen beglückt mich. Als wenn ich um mich eine Schale zugemacht hätte.«
Sie weinte weiter. Er: »Könnte ich dich nicht auch erfreuen?«
VOM MAIN her südwärts schwoll verendend die Armee des unglücklichen Grafen Tilly.
Mit dem Rest seiner Truppen, zwölftausend Mann, dazu achttausend gepreßten Bauern, griff er in der Schärfe des Winters den schwedischen General Horn an, trieb ihn in die Stadt Bamberg hinein. Drin ließ er die Schweden bis auf den flüchtigen Rest massakrieren.
Da hatte sich der mordgewaffnete König aus seinem Mainzer Lager erhoben, ließ den Rhein los. Hinter ihm blieben ein junger Herzog Bernhard von Weimar und ein Pfalzgraf von Birkenfeld.
Und wie der Schwede anschnob, wich Tilly erzitternd aus Bamberg, wich die geschwollene Regnitz entlang, durch das Ansbachische, an Nördlingen vorbei auf Donauwörth. Wollte sich hinter die Donau verstecken.
Der Tritt des Schwedenkönigs tapprig schwer hinter ihm, langsam. Rechts schlürfte er, links fraß er; er kaute, spie, schnüffelte. Er legte sich über Nürnberg; der hohe Rat wischte eingezogenen Schweifs zu ihm heraus vor das Tor, goldene Trinkgefäße auf den kalten Händen tragend. Sie kreischten und pfiffen: »Der Makkabäer!« »Gideon!« »Josua.« Er rollte die Augen und ließ es sich, da es ihn kitzelte, wohlgefallen.
»Es war ein schöner Winter dies Jahr«, gönnte er den Ratsherren, »gebe Gott, daß auch der Sommer gut wird. Ich predige euch das Evangelium auf eine Weise, wie ihr nicht wieder hören werdet.« Er setzte die Beine vorwärts, Staub und Dampf von sich gebend: »Seid fromm, daß Gott weiter hilft.« Hinter sich ließ er die Besatzung. Hunderttausend Taler stopften sie ihm bei, wie er wanderte.
In Donauwörth konnte Tilly nicht bleiben; der Kurfürst warf Boten nach Boten gegen ihn: wie weit er denn fliehen wolle, wie weit noch München entfernt sei. »Ich will schon nicht mehr fliehen, als ich muß«, knirschte die Augen verdrehend der kleine General, das Papier in den Händen zerreibend, »ich will mich schon stellen. Nur Ruhe, Ruhe.«
Aber der Schwede plumpte, murrte, knurrte, trampste näher. »Ich will stehenbleiben.« Und zitternd in einem unsäglichen Hinschmelzen gab er schon wieder den Befehl nach rückwärts. Hinter die Donau, über die Lechbrücken. Schwindlig, den Mund weit offen, stand er da auf den Stoppelfeldern, Bayern lag in seinem Rücken. Schwindlig mit verwehenden Gedanken sagte er, lächelte er, die Zähne kaum entblößend, zu seinen Offizieren: »Wir werden hier nicht weggehen. Der Schwede kommt heran. Wir werden Bayern schützen.«
Es wurde befohlen, auf Ingolstadt Truppen zur Verteidigung zu werfen, die Zugangsstraßen von Augsburg und Ingolstadt mit vierzehn Kompagnien zu sperren. Dann lagerte das Heer sich hinter dem Lech in einem dichten Wald. Und wie Tilly das rückwärtige Terrain besichtigte, stoben Alarmreiter an, Alarmreiter, Alarmreiter. Flüchtende Bauern. Flüchtende Bauern. Auf Wagenreihen Dörfer, Dörfer, ganze Dörfer. Als hätte der Schwede sie entwurzelt, warf sie ein Orkan mit Sack und Pack vor sich. Tag und Nacht, Tag und Nacht. Es regnete Städte.
Der geborstene Tilly hielt sich steif. Lief, ein schallendes Knochengestell, flach mit Muskeln Sehnen Nerven gepolstert; der Bauch, die Brust, der Schädel breit geöffnet. Hervorquoll seine blutbegossene Seele selbst. Geschrei, Kreischen, Brüllen, Knirschen, Knurren, dünnes Piepsen umging ihn. Seine Gedanken schlugen wie überlange nasse Haare über sein Gesicht, über Stirn und Augen, blendeten ihn.
Er lächelte süß, in bewußtloser Hingerissenheit, hin und her dunkel flutender, sich hebender Verzweiflung. Er betete und erreichte sich nicht. Er war ein Mensch, den man mit Pech bestreicht und in Federn wälzt; ganz hinter seinen Taten verschwunden. Keine Gedanken an Wallenstein hatte er mehr. Er suchte zu umdenken sein Leben, seine Oberkommandantin Maria, mit der er jeden Tag seines Lebens angefangen hatte; knickte zusammen. »Ich bin ein frommer Katholik gewesen all meine Zeit«, winselte er vor seinem Feldkaplan, der verwundert vor ihm stand, ihm tönend zusprach.
Als die ersten Kanonenschüsse fielen, sauste er auf den Feldern herum, suchte von irgendwoher zu hören, ob er sich nicht doch noch auf Ingolstadt zurückziehen sollte. Fürchtete sich, fürchtete sich: begriff mit einmal, daß er sich fürchtete. »Ich bin ein alter Mann, habe keine Messe versäumt«, zuckte es staunend in ihm.
Zweiundsiebzig Geschütze ließ Gustav auffahren gegen den Wald, in dem die Kaiserlichen lagen. Unter grausem Krachen und Prasseln barsten die Stämme. Als die Feinde eine Insel bei Oberndorf fanden, die schrecklichen Finnen, schwammen sie Trupp auf Trupp wie Wasserratten an. Man schlug einige tot, es kamen neue. Schwedische Kanonen fuhren über einer Brücke auf, die niemand über Nacht hatte entstehen sehen. Ein heulender zähnefletschender lehmwühlender Kampf halb im Wasser, halb auf der Erde fing an. Die Schweden Finnen, es waren keine Menschen. Kaum gab es Tiere, die ihnen glichen, wie sie schlammbedeckt, graubraune Hautfarbe, tangtriefend, armschwenkend sich aus dem Wasser erhoben, krumm anwateten, schluckten, knauten, spritzten, pfiffen. Sie waren so schlecht, so ekel, so totschlagwürdig, daß erst zaghaft die Kaiserlichen, die Bauern auf sie eindrangen, geführt, gelockt, dann von dem Grimm und der Scham, dem Entsetzen gerufen geworfen: »Um des Heilands willen.«
Sie schrien zu Hunderten und Tausenden, die Kaiserlichen, auf dem überhöhten Ufer des Lechs, als sie das beispiellose kotige regsame Grauen aus dem Wasser auf sich zukommen sahen. Es gab wenige unter ihnen, die nicht in diesen Augenblikken die blinde Entschlossenheit angewandelt hätte, zu sterben oder diese Unwesen sich aus dem Gedächtnis zu wischen. Sie drangen herab auf die Fratzen.
Mörderisch tobten die Kanonen in ihrem Rücken; Sprengen Klatschen Reißen von stöhnender unterirdischer Gewalt. Aber Tilly auf seinem hochbeinig tanzenden Schimmel irrte zwischen den Fremden und den Kanonen hin und her; träumte, ohne zu wissen was, lachte, wimmerte. Die Fragen seiner Offiziere beantwortete er nicht. Seine bis zur Weiße aufgerissenen Augen wurden immer wieder von den silbernen brabantischen Aufschlägen angezogen an seinem eigenen linken Ärmel. Um diese Aufschläge war ein Geheimnis. Bei jedem Kanonenschuß zuckte er zusammen, duckte sich, sah um sich. Das Wort »Maria« mahlte er zwischen den Zähnen, während seine Augen suchten auf dieser Holzbrücke, in dem plantschenden Wasser. Wie an einem vom Himmel herabhängenden Faden zog sich seine Sehnsucht und Ratlosigkeit in die dünne Höhe. Ein Dreipfünder, dessen Abschuß er nicht einmal gehört hatte, warf seinen Schimmel um, zerschmetterte ihm selbst den rechten Schenkel über dem Knie. Er dachte und träumte lange nichts.
Aus der bodenlosen Schwärze tauchte er auf; es schneite. Abend, ein Troßwagen, wühlender Schmerz im Bein. Wagenknarren, Getümmel um ihn. Im Stroh neben ihm hockend der Feldscher. Tonlos auf durchbluteten Wolldecken der General: was sei, wo man sei. Bei Ingolstadt; der Widersacher habe versucht, sie von Bayern abzuschneiden, es sei mißlungen, der König selber hätte beinah sein Leben dabei gelassen.
»Was, was!« Tilly, der Totenkopf, furchtbar erregt, »abschneiden, was ist!« Und dann ächzte er, ließ seine Offiziere kommen, die in der Nähe ritten. Sie krochen einzeln herein, wiederholten ihm, der halb taub schien, dutzend Male die Ereignisse. Er rieb sich die Nase, die Stirn, fragte ängstlich von neuem, stöhnte: »Regensburg! Regensburg!«, faßte sie bei den Händen, bittend. Dann erst bemerkte er die lähmungsartige Schwere, diese sonderbare dumpfe, in allen Gelenken, tief in den Knochen, in die Därme, Lunge, die Schultern aufsteigend; die Dürre in seinem Mund.
Der Kaplan kauerte neben dem Feldscher. Der Wagen ratterte über die Chausseelöcher, oft legte er sich schief auf die Seite. Aus der bodenlosen Schwärze wieder auftauchend, langsam, nicht ganz entlassen: »Der Kaplan! Ah, Regensburg, das Heer auf Regensburg führen.« Der Kaplan. Dies waren die Sterbesakramente. Jetzt daran festhalten, fest einbeißen. Maria, der Himmel, die Heiligen; das waren nur leere Worte, man konnte sie sprechen, sie ließen sich nicht denken. Das Bohren, Sägen, Drehen im Bein, das wogende Unbehagen den Leib hinauf, die alles überflutende zurückebbende wieder anschwemmende Lähmung, diese verdunkelnde knochenfüllende knochenzerknackende wirbelverschiebende tödliche Lähmung. Jetzt hieß es sich entscheiden. Aus dem Wege alles. Maria, Jesus. Er spie, rollte die Augen; hier ist nicht die Rede vom Schweden. Der Kaplan hielt seine Hände; Tilly bat, ihm Maria zuzurufen, wenn ihm das Bewußtsein schwinden wolle. Scharf blies der Schneestaub in den Wagen. Er weinte in sich: »Ich habe mein ganzes Leben Maria gedient, ich will sie jetzt halten, ich darf sie nicht verlieren. Der Kaplan hat mir Absolution erteilt, es wird alles gut.«
Die Wellen der Lähmung und Verdunklung rollten stürmischer an, mit kaltem Schmerz gemischt. Alle Glieder fielen von ihm ab. Und er fing an zu ringen. Zwischen jeder Welle schrie er: »Maria!« Der Kaplan im Wechselruf: »Maria!«
Schlagartig rollte es heran. Aus gelben grasgrünen braunen Wolken fuhren die Stöße gegen Bein und Leib. Sie knatterten zwischen die Schulterblätter in den Hals. Die Wolken waren widrig, schwammig feucht, wühlten ineinander. Es waren die Finnen, die anwateten, die aus Blutschande gezeugten. Er spie, schrie heftiger, kreischte, röchelte vor Entsetzen.
Der Kaplan rief: »Maria!« Tilly sah entsetzt, wie er die Lippen bewegte.
Furchtbare Hammerhiebe aus den Wolken. Mit jedem Hieb zuckte er zusammen. Den Atem benehmend; er war der Amboß. Was sagte der Kaplan. Er mußte wissen, was der Kaplan sagte.
Dumpf wetternd, zermalmend, niederklafternd.
Niederklafternd.
Zusammengezogen lag er, auf die Seite gestoßen.
Verröchelte, die Arme schützend vor der Brust.
Da löste sich das Gespensterheer von dem warmen blutsikkernden kleinen Körper. Zappelnde Rümpfe der gemetzelten Türken Franzosen Pfälzer, der jaulenden hängenden zertretenen Hunde, kletternden Pferde, die mit den Hufen sich an ihm hielten. Zwischen ihnen gezogen matt, noch naß, seine eigene erstickte Seele.
Verknäult flogen sie, unaufhörlich rufend, durch die verschneite Luft, ihrem dunklen Ort zu.
HINTER DEM toten Tilly zog der Schwedenkönig; Torstenson auf dem linken Lechufer, mit schwerem Geschütz deckend. Er stieß auf Nürnberg. In sein Lager zu Fürth schleppte man täglich sechsunddreißigtausend Pfund Brot und hundert Eimer Bier. Er klatschte sich den Leib vor Freude, als er durch das Laufer Tor ritt. Die Ratsherren boten ihm eine silberne Erdund Himmelskugel, zwei Fuder Wein und zwei Fuder Hafer: »Ich hätte mich eher des Jüngsten Gerichts versehen, als nach Nürnberg zu kommen.« Nichts hielt mehr vor ihm. Aus seiner herrlichen Residenz scheuchte er den Bayernfürsten, der hinter sich ließ, woran er sein Leben über gebaut hatte. Der Schwede wußte, daß bei diesem Gedanken an München sich das Herz des Bayern in Todesschmerz zusammenziehen würde. Nach Freising waren ihm entgegengeritten der Münchener Bürgermeister Friedrich von Ligsalz, die Patrizier Barth und Parstorffer, ihm die Schlüssel ihrer Stadt zu bieten. Er hob auf der musikschallenden Landstraße den Degen: den Schlüssel habe er schon; was machten sie für Scherze; er werde sie mit einer halben Million Talern beschweren. Und so ritt er, eskortiert von drei Infanterie- und Kavallerieregimentern, an der Spitze von Dutzenden deutscher Fürsten in die Stadt ein, deren Kirchen er durch seinen Besuch schändete.
Es war warmes sprießendes Frühjahr geworden; die Jesuiten berief der König in den Garten ihrer Kirche zusammen, verächtlich grob sprach er zu ihnen: »Es ist ja Frühjahr geworden, die Macht der katholischen Kirche neigt ihrem Ende zu. Wie Strohhalme sind ihre Säulen geknickt, der Kaiser und der bayrische Kurfürst. Seid friedlich und besinnt euch. Ihr seht selbst, Gott ist nicht wider mich.« Erst dachte das schwedische Heer an Plündern, und der Kriegsrat kam stundenlang nicht zur Entscheidung; denn von hier war unermeßlicher Haß gegen den evangelischen Glauben in das Reich ausgegangen. Satt erklärte der König, man solle sich mit dem Betrag von dreihunderttausend Gulden begnügen. Einen kleinen Teil der Summe verehrte er den ihn begleitenden Fürsten, besonders dem Pfälzer Friedrich.
Der blonde Friedrich überwand seine Melancholie nicht. Er spazierte in der Stadt des anderen Wittelsbachers herum, dem er sein Unglück verdankte. Nicht einmal nach Prag zu gehen, in das ihm entrissene Königreich, hatte der Schwede den Pfälzer vermocht. Am schönen Schrannenplatz residierte Gustav. In einer verschwiegenen Resignation folgte der noch immer schöne, stark gedunsene Mann dem König, folgte ihm wie seinem Schicksal, gesenkten Kopfes und ohne Widerstreben. Die unzerstörte Üppigkeit seiner Frau ging, erschreckend unberührbar, menschenunähnlich neben ihm, riß ihn manchmal zu Orgien fort. Rusdorf, der kleine, lockte ihn, sich zu freuen. Zu freuen! zu freuen! Wo gab es auf dem Festland soviel Siege wie bei dem Schweden! Gingen sie nicht hinter dem König wie hinter einer Feuersäule.
Sporenklirrend wanderte, die Hände auf dem Rücken, der Pfälzer mit seinem Rat den langen runden Gang in der Neuen Feste entlang, dessen Wände mit den Bildnissen der Wittelsbacher tief behängt waren. Er sah das Gemälde Esthers, die verzweifelt Ahasver um Gnade für ihr Volk bat. Schweigend hörte er den Rat schwatzen. »Ihr habt recht, Rusdorf«, brachte er heraus, sein schlaffes Gesicht mit den Händen bedeckend, »und ich bin verloren. Ich bin verloren. Ich muß mich gewiß freuen, wie Ihr sagt.« Später: »Ich tadle Euch gewiß nicht. Ich will Euch in Eurem Eifer nicht lähmen, Rusdorf. Wahrscheinlich werden meine Nachfahren Euch wie einem Helden danken. Ich? Wir verkommen alle samt und sonders. Ich wie der Kurfürst von Brandenburg und Sachsen. Wie der Maximilian von Bayern, der meinen Kurhut trägt. Wir werden zu nichts. Die schwedische Zeit bricht an für das Deutsche Reich. Ich – ertrag’ es nicht. Wie ich Euch sagte: ich bin verloren.« Dann hielt er an einer Fensternische den kleinen Rat fest: »Eins sage ich, Rusdorf«, dabei blitzten seine blauen großen Augen heiß, »wer mir das widerraten hat, den Kaiser in Regensburg um Verzeihung zu bitten, den Kniefall vor ihm zu tun, der hat nicht gut an mir getan. Wißt Ihr! Ich hätte gebüßt, es wäre mir manches verlorengegangen. Jetzt sitz’ ich in der Falle. Ich bin zum Bettler und zum Fremdenknecht, zu einem Verräter geworden: ja, so steh’ ich vor mir. Glaubt Ihr, ich könnte vor diesen Wittelsbachern meines Hauses gehen, ohne mich zu schämen bis in meine Nächte?« Die Beruhigungen des Rates nutzten nichts; Friedrich legte den Arm um die Schultern des kleinen tiefbedrückten Mannes, leise sprechend: »Die Welt ist noch nicht zu Ende. Glaubt Ihr nicht, daß der Schwede noch eines Tages geschlagen wird? Gott läßt die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ich warte, ich weiß, was ich tue.« »Was?« »Der Kaiser ist ein gütiger Herr. Er wird mein Unglück mitfühlen. Meine Reue ist tief. Ich bin jung und kenntnislos gewesen. Er wird mir verzeihen.« Und er wanderte leise weiter mit Rusdorf. Zwischen den hängenden Bildern der Wittelsbacher auf und ab.
Und Rusdorf erfuhr nicht und konnte nicht verhindern, daß Friedrich im größten Geheim einen eigenhändigen Brief an den flüchtigen Maximilian schickte, in dem er um Verzeihung bat, daß er sich ohne seine Einladung zum Besuch in München aufhielte. Nicht er hasse Maximilian; sie seien Wittelsbacher, von einem Blut; Max möge gewiß sein, daß nichts an seinen Bildern und Gebäuden zerstört würde. Nicht er hätte den Schweden in das Deutsche Reich geführt. Nein, er sei es nicht gewesen. Und fast demütig bat er ihn, bei Kaiserlicher Majestät zu versichern, daß er sich unverändert als des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation treu anhänglicher Sohn fühle.
Dies war ein Brief, nach dem er sich wohler als in vielen Jahren fand; es klang in seinen Ohren gut: »Als des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation treu anhänglicher Sohn.« Rusdorf hatte es nicht leicht in diesen Wochen, ihn beim schwedischen Herrn zurückzuhalten. Seine Fluchtneigung gelangte sogar an den König, der gutmütig bei Tisch meinte: »Laßt ihn. Deutschland ist ein Kranker, der nur durch starke Mittel gesund wird. Ich bin erst im Beginn der Kur.«
Nach Warschau verkündete Gustav dem Reichstag durch Boten: er gedenke die Krone Polens, die ihm zustehe, in nicht zu ferner Zeit mit der Böhmens und Ungarns zu vereinigen. Venezianer, die mit Briefen und Geschenken vor ihn traten, führte er an dem stumm grüßenden Pfälzer vorbei durch die Residenz. Im Vierschimmelsaal setzte er sich zum Verschnaufen. Er dankte ihnen; die Signoria solle gewiß sein, daß das Haus Österreich auch in Italien noch heute lache und morgen nicht mehr.
So mächtig war, bis über die Donau, bis nach Straßburg vorgedrungen das schwedische Heer, daß die Herren in Paris ins Zittern gerieten. Ein unerträglicher Anblick war dieser Gotenkönig, wie er über das gefürchtete Riesenreich ähnlich einem mittelalterlichen Belagerungsturm hinschwankte, Pechströme und Bomben werfend; der alberne schlaue Klotz aus Upsala. Sie fingen beim Kurfürsten von Sachsen zu stechen an, ob es sein deutsches Selbstgefühl ertrage, dem Schweden Bütteldienste zu leisten, und ob man in ihm oder Gustav Adolf das evangelische Oberhaupt des Reiches zu sehen habe. Sie irrten unruhig von protestantischem Hof zu Hofe. Die katholischen fast verzweifelten Herren beschworen sie festzubleiben.
Der gereizte König Ludwig konnte seine Nervosität nicht zähmen, weder der Kardinal noch der Pater Joseph konnten ihn mehr zurückhalten. Seine Furcht, der Schwede würde ihm im Elsaß und am Rhein zuvorkommen. Man ließ ihn.
Das Heer in der Hand, stieg er auf Metz, nahm Moyenvic, Pont-à-Mousson. Es befriedigte ihn noch nicht. Da war Nancy. Er mußte rasch, rasch an den Rhein, ehe Gustav in Bayern fertig war. Er mußte auf Trier. Es war alles reif für ihn.
INDESSEN MIT aller Ruhe der Friedländer sein ungeheures Heer in Mähren auf den Fuß stellte. Die Klagen des Bischofs von Bamberg, der Reichsstadt Regensburg, des flüchtigen Bayern, die Rufe aus dem Elsaß, den westfälischen Stiftern fanden ihn taub. Er sammelte, ließ im Reich geschehen, gab nicht eine Kompagnie ab.
Seine Güter besetzt. Die Geschäftsfreunde zögerten keinen Augenblick mit ihrem Vertrauen. Die Börse in Hamburg, Bankhäuser in Augsburg gewährten ihm und dem Herrn de Witte und Bassewi alle geforderten ungeheuren Kredite. Auf Schleichwegen wurden aus Prag von der verzweifelten Judenschaft mächtige Barren Gold und Silbergefäße in gewöhnlichen Heuwagen in sein Quartier gefahren.
Das Reich barst. Er schob sein Heer in die Winterquartiere. Sie sollten ihn nicht bedrängen, sagte er nach Wien; drei Monate brauche er zum Sammeln des Heeres.
Der alte Apparat war wieder in Funktion. Seine Werbepatente galten für das Reich, Spanien und die Staaten Italiens. Obrigkeiten wurden im Augenblick für die Zweige des Heeres geschaffen, Generalkommissare bestimmt für Böhmen, darunter der Graf Michna von Weizenhofen, der wie vom Blitz getroffen war, als ihm die Ernennung zuging; für Schlesien Stredele von Montani, für Mähren Oberst Miniati, für Niederösterreich Questenberg. Holk wurde Kapo der Reiterjustiz, Obristschultheiß Ludwig von Sestich. Das Generalvikariat füllte aus der Pater Florius von Cremona. Des Herzogs Generalleutnant nach Collalto, der bei Mantua hingerafft war, wurde Gallas, der Welschtiroler, mit Aldringen in spanischen Diensten aufgewachsen.
Die Trümmer, die Tilly hinterlassen hatte, zehntausend Mann, übernahm er, ein mißmutiges geschlagenes fast waffenloses Heer. Etwas Rasendes, Zerbrechendes war jetzt in der Art des Böhmen, sich über die Dinge zu werfen. Er hatte in dem Augenblick, wo er sich den Arbeiten näherte, etwas von einer Flamme an sich, die aus einem langen Schornstein gequalmt hat und nun heulend den Schornstein am Boden umbricht, wütend in die entsetzte Luft hineintobt. Die Vertreter der Banken, die sich in seinen Kammern bewegten, staunten über die Verwendung des Geldes, das sie heranbrachten. Es lief scheffelweise von ihm, verdampfte an ihm; er schien es nicht rasch genug unter die Menschen werfen zu können. Seine Glut, sagten die einen, stamme daher, daß er sich bei seinem eingetretenen Verfall das letzte Leben auspresse; die andern spotteten, er sei zu gierig nach seinem verlorenen Besitz.
Seine nahe Umgebung aber fühlte längst, daß er sich veränderte, wilder und brutaler als je, daß er etwas Unklares leidenschaftlich betrieb. Er hatte kein Wort des Interesses oder Trauer über seine Güter verloren. Sie wußten auch, daß etwas Besonderes mit diesem Verlust an den Hans von Arnim war, der diese Güter und Schlösser wie seine eigenen schonte. Die Fremden in Wallensteins Hauptquartier schwankten zwischen Schrekken und Widerwillen; so arbeitete ein Größenwahnsinniger. Daß Wallenstein in den dänischen Feldzug mit zahllosen Karossen und Juchtenwagen gezogen war, war weltbekannt. Jetzt standen die Karossen und der Marstall verwahrlost in Prag, er kümmerte sich nicht um sie und um keinen anderen Prunk.
Die Sturmtruppen waren mit Piken und Bruststücken auszurüsten; in Pardubitz wurden ganze Straßen von Holzschuppen gebaut für die Unzahl der angeforderten Waffen. Es wurde bekannt, daß Wallenstein jede kalkulierte Zahl eines Bedürfnisses mit zwei und drei multiplizierte und dann noch unbefriedigt war und hinzuforderte. Abenteuerliche Mengen Pulver lagerten entlang der böhmischen Grenze; bei Pardubitz waren alle Brotfrüchte Böhmens aufgespeichert, die mit Steuerabschlag verrechnet wurden. Wallenstein hatte erklärt, das Heer auf eine begrenzte Zahl bringen zu wollen; er schien aber keine Grenze zu finden. Oberst auf Oberst wurde ernannt; auf die Frage des erschöpften Hauptquartiers, wieviel Patente annähernd noch ausgegeben würden, bekam man den Bescheid, soviel sich bis März vergeben ließen. Die Träger der Namen Fugger Colloredo Holk Merode Chiesa erschienen wieder im Hauptquartier des Herzogs zu Friedland, der zuletzt in Memmingen furchtdrohend nach Italien und dem Elsaß residiert hatte und von ihnen gegangen war wie das Licht, das die Erde verläßt. Sie ritten selig zu ihm, der sie zu Merode, Chiesa, Colloredo gemacht hatte, zu ihrem wahren Vater. Sie standen betroffen in seiner Nähe wie die anderen vor dem Prasseln und geradezu höllischen Verderb und Wachsen. Einige Vertreter der Börsen reisten Hals über Kopf ab, unfähig, diesen Weltuntergang, der sich um den Herzog vollzog, mit anzusehen. Michna konnte sie nicht beruhigen, sie verstanden das Lachen dieses klugen Mannes und gar Bassewis nicht, welche beteuerten, so sei es immer um den Friedländer. Die Obersten schwammen flossenschlagend in ihrem Element, schluckten, atmeten die besonders lichtbrechende Luft, die um den Herzog schwebte, erlebten die blitzartige Versengung und Verkohlung aller Besorgnis, die Verzauberung. Sie zogen nach sich Montard von Noyrel, Přichowitz, Corpus, Wiltberg, Lamboy, Giesenburg, Felipe Corrasco.
Im frühen April hielt Friedland, mürrisch gegen den Wind die Augen kneifend, seine schärpenprunkenden Herren ignorierend, mit Ordonnanzen scheltend, bald in der Sänfte, bald zu Fuß, bald auf dem Pferd, Heerschau zu Rakonitz auf dem Hügel ab. Zweihundertvierzehn Reitergeschwader, hundertzwanzig Fußkompagnien, vierundvierzig Feldstücke, zweitausend Wagen mußten vorbei. Er hielt nur einige Stunden aus; nach fünf Tagen war man fertig.
Dann wollte er sich verabschieden. Und als die kaiserlichen Herren, Oñate und Eggenberg, ihm den Brief Ferdinands gaben, er möchte bleiben und den Oberbefehl im Kriege führen, nörgelte er erst, erhob dann das alte heisere Geschrei: ob sie ihm noch nicht genug getan hätten, von Ungarn ab bis Regensburg, ob sie ihn für einen Verurteilten oder Verrückten hielten; er wolle seiner Wege gehen, vor ihnen sicher sein. Er machte, wie er hinkte, am Stock durch das Zimmer in Rakonitz schlich, einen verbrauchten Eindruck.
Die Herren hatten nichts anderes erwartet; sie saßen, warteten. Fürst Eggenberg wußte, daß er als Geschlagener vor dem häßlichen Sieger saß und im Begriff war, die schrecklichen Bedingungen entgegenzunehmen. Es tat ihm wohl, an die früheren guten Zeiten erinnert zu werden; er wurde hart dabei, konnte sich wappnen. Es wurde klar, daß der Herzog vorhatte, an ihnen eine unerhörte Grausamkeit zu verüben; Eggenberg und Oñate wollten sich nicht wehren, der Herzog würde an ihnen erlahmen. Das Keifen zu Ende, fragte Wallenstein, gehässig und listig auf sie blickend, was sie ihm brächten; es klang: wie sie sich denn freikaufen wollten. Dies war der Augenblick, wo sich die beiden zum Abschied erheben konnten, um zu sagen, sie sähen in ihrem Quartier seinen schriftlichen Vorschlägen entgegen; er möge in aller Muße den Kreis seiner Wünsche aufzeichnen.
Sie nahmen dann ohne weiteres an, was Wallenstein in dem überbrachten Schreiben forderte, das Ungeheuerlichste, was ein Mensch von einem Kaiser des Heiligen Reiches verlangen konnte, ohne ihn zu töten: absolutes Generalat, Bestallung als Generalissimus des Hauses Österreich und Spanien, Konfiskationsrecht im Reich ohne Einspruch des Hofrats, der Hofkammer und des Kammergerichts, Versicherung auf die Erblande als Rekompensation, Lieferung aller begehrten Unkosten; die Erblande stehen ihm zum Rückzug beliebig offen, er muß in die Friedensverhandlungen eingeschlossen werden. Dies unterschrieben schaudernd die beiden Unterhändler, nachdem sie es gelesen hatten, im Namen des Kaisers, von dem sie Blankovollmacht hatten. Waren dabei von einer wütenden Lust erfüllt: sie hatten ihn entlarvt, nun sah man, woran man war. Hier verhandelte kein Feldherr wegen seiner Anstellung, sondern ein Tyrann, der seine Rachsucht befriedigen wollte.
Auf der Rückfahrt erwogen sie: der Schwede wird in seinem Vormarsch aufgehalten werden, Böhmen befreit, Bayern befreit werden; dann kann sich die Liga erholen, ein spanisches Heer kann vom Elsaß erscheinen. »Wenn er sich nicht mit den Widersachern verbindet, mit Schweden und Sachsen«, murmelte der Spanier. »Er wagt das nicht«, dachte Eggenberg nach, »zunächst folgt ihm die Armada dazu nicht. Für den nächsten Augenblick haben wir das nicht zu fürchten.« »Wer weiß«, murmelte Oñate. »Und dennoch! Und dennoch!« jubelte Trautmannsdorf, als sie in Wien vor Wallensteins Kapitulation saßen und nichts sprachen. Er streichelte liebevoll tröstend dem alten Fürsten die Hände unter dem Tisch und drückte ihn an sich.
Sofort brach der Herzog die Verhandlungen mit Gustav und dem Sachsen ab. Ohne Zeitversäumnis alarmierte er seine Armada, bat durch Eilboten Arnim zu sich, den Führer des sächsischen Heeres in Böhmen. Der Herzog war gegen seinen Freund in Znaim kalt und entschlossen: »Arnim, Ihr müßt aus Böhmen heraus mit Euren Sachsen. Ihr werdet das einsehen; es bleibt zu fragen, was soll dann geschehen.« »Ich werde mich in Sachsen verteidigen.« Darauf war der Herzog erregt; das sei eine trotzige verkehrte und verbohrte Denkweise. Was wollte er denn in Sachsen verteidigen? Wen? Ob sie Erzlappen seien, daß sie sich die Köpfe zerschmissen für nichts. Auf Arnims Frage, was denn weiter geschehen solle und ob Arnim etwa vor dem Herzog auf schimpfliche Weise samt seiner Armee das Gewehr ins Korn werfen sollte, schnitt Wallenstein die Unterhaltung ab: Arnim möchte sich überlegen, was er, der Herzog, eben gesagt habe; es sei ihm lieb, drüben bei den Widersachern ihn zu haben. Er werde begreifen, daß dieser Krieg nicht so weitergehen könne, diese Schmach, diese Gaukelei für Affen. Verteidigung in Sachsen! Nach weiteren Schimpfworten auf den Schweden und auf die Wiener Politik verabschiedete der Herzog den andern, der fluchte, sich einen Tölpel nannte, über das Gespräch nicht ins klare kam.
Wallenstein gab ihm einige Wochen Zeit. Dann warf er das Heer, das sich an Ort und Stelle nicht mehr ernähren konnte, nach Böhmen, die Sachsen liefen auseinander. Friedland stürzte vom Weißen Berg über Prag her. Die Stadt war wieder kaiserlich.
Arnim, noch zweifelnd, ob der Herzog wirklich etwas Ernstes vorhatte, suchte sich in Leitmeritz zu halten. Zu seinem Schrecken, der sich mit Widerwillen mischte, umzingelte ihn Friedland und schien ihn vom Heer abschneiden zu wollen. Da raffte er, was er an Truppen hatte, zusammen, bereitete den Friedländern Schaden rechts und links, schlug sich von Ort zu Ort. Böhmen mußte er ganz aufgeben.
Die Juden lachten. Die unterdrückten Böhmen höhnten, warteten. Thurn, der alte Graf, Arnim nachkriechend, flüchtete vergrämt nach Dresden. Und ein Angstschauer lief über Sachsen, als Friedland in Böhmen nicht haltmachte, sich dem Erzgebirge mit weit ausgebreiteten Armen näherte, an die Überwältigung des Erzgebirges ging.
Plötzlich wandte er sich auf Bayern. Keiner wußte, ob er etwas gegen den Kurfürsten oder den Schweden vorhatte.
Der Schwedenkönig, sich mästend am südlichen und westlichen Deutschland, hatte nur zwanzigtausend Mann bei sich; am Rhein, Main, nördlich und südlich standen vier Armeen unter Banér, Tott, dem Weimarer Herzog, dem hessischen Landgrafen, verwüsteten das Land, trieben ihr Spiel mit der Bevölkerung.
Erst war der feiste König nur verblüfft, wie Wallenstein als Generalhauptmann des Kaisers auftrat, wartete ab, wessen er sich von dem verschlagenen Mann zu versehen haben würde, machte sich Vorwürfe, daß er ihm bei den Unterhandlungen nicht mehr entgegengekommen war. Er hoffte noch. Dann erfolgte der Angriff auf den Hradschin, die unglaubliche treulose Umzingelung Arnims. Ein Sturm von Unruhe ging durch Gustav. Ehe er noch mit dem Herzog Fühlung nehmen konnte, hatte der sich erklärt. Wallenstein hatte kehrtgemacht. Front gegen ihn selbst. Das Spiel war klar. Wallenstein wollte Gewalt mit ihm reden.
Der König stieß nach Osten, um den Friedländer nicht mit dem Bayern zusammenströmen zu lassen. Zu spät. Bei Eger nahm Friedland die Trümmer des ligistischen Heeres auf. Von Weiden und Eger stieg die feindliche Heeresmacht herunter, schob sich auf Tirschenreuth. Der Friedländer wollte mit ungeheurer Überlegenheit ihm seinen Willen aufzwingen. Tief erschrocken, an Haß erkrankend, über Friedland erstaunend, gab der König nach, und Flüche auf Deutschland werfend, setzte er sich in Nürnberg fest. Der Herzog hatte ihn bei den Ohren; wenn er wollte, konnte er ihn zerschmettern, so schwach war er. Von Pegnitz zu Pegnitz zog der Schwede in gewaltigem Bogen Schanzen. Die Stadt wurde angerufen, den evangelischen Glauben zu verteidigen; mit leiser Unsicherheit, nur seinen Nächsten auffallend, hielt der König eine seiner schmetternden Ansprachen an den Rat. Es glückte; der Rat schwur, wie Magdeburg zur evangelischen Fahne zu stehen bis zum Verderben.
Mit viertausendachthundert Söldnern, dreihundert Reitern stellte sich Nürnberg in seinen Dienst, dreitausend Bürgersoldaten kamen hinzu, alle Waffenfähigen vom fünfzehnten bis vierzigsten Jahr. Sie wollten Gott und dem wahren Glauben dienen. Vierundzwanzig Abc-Fähnlein ließen sie fliegen; der König musterte sie trübe. Auf den Fähnlein stand: »Dies Fähnlein fliegt zu Gottes Ehr, fürs Gewissen, frei’ und reine Lehr.« »Saul, Saul, was verfolgst du mich? Laß ab, laß ab und beßre dich!« Der König hatte kein Gefühl von Dankbarkeit für sie; mit einer sonderbaren ihm fremden Rachsucht griff er in diesen Wochen Deutsche an, erging sich unaufhörlich bei festlichen Tänzen in der Stadt in Schmähungen über die deutschen Fürsten; sie müßten hart hart kuriert werden. Auch der Pfälzer war zugegen, als er sich so ausließ bei einem großen Bankett in Ayrmanns Saal beim Laufer Tor. Friedrich verließ offen den Saal mit dem Markgrafen Christian, der das Bankett veranstaltet hatte. Der flehte draußen auf der dunklen Stiege den Pfälzer mit Tränen in den Augen um Verzeihung. Sie umarmten sich; »keine Rettung«, schluckte der Markgraf. Friedrich: »Manchmal denke ich, der Friedländer könnte uns helfen.«
Schanzen, Redouten, Palisaden, Gräben, Batterien wurden um die Stadt in den warmen Junitagen aufgeworfen, die Vorstädte Wöhrd und Gostenhof mit einbezogen. Das Lager ließ sich der König errichten vor Wöhrd bis auf den Gleishammer, das Weiherhaus und den Lichtenhof; bei Lichtenhof stellte er das stärkste Werk hin. Er rückte ein mit vierundneunzig Kornettreitern, hundert Fahnen Fußvolk, achtunddreißig Geschützen, zweitausend Wagen.
Von Tirschenreuth nahte über Sulzbach der Kaiserliche. In das wandernde Volk geriet Oberst Taupadel mit Dragonern und vier Kompagnien des schwedischen Regiments Sperreuter hinein und wurde zermalmt. Sie umgingen wandernd Nürnberg, schoben sich zu beiden Seiten des blanken glatten Flüßchens Bibert an Zirndorf heran. Da in der lieblichen, von grauen Schafherden begangenen Landschaft fanden sie eine niedrige Hochfläche, von Wiesen eingenommen, die rückwärts in einen kühlen dichten Wald führten. Nur wenige Kilometer von dem Schweden entfernt machten sie halt, setzten sich hin und verschanzten sich.
Der bayrische Maximilian, von Küttner begleitet, ritt täglich durch das Lagergewühl zum Herzog herüber, nicht vom Hals seines Schimmels aufsehend. Er war ein Gefangener und ging seine Gefangenschaft beenden. Friedland wohnte mitten im Lager in einem erbeuteten rosaroten Türkenzelt, das weiß und blau orientalisch bestickt war. Einen riesigen viereckigen Raum bedeckte es; darüber erhob sich eine wimpelgeschmückte Leinwandkuppel. Am Eingang hielten Reihen von Bambusrohren einen goldbefransten Baldachin. In dem teppichbeladenen Empfangsraum nahm ihn der Herzog inmitten der Obersten und Generalspersonen an, selten sprachen sie sich allein.
Der Herzog sollte angreifen, war der Tenor der bayrischen Reden; er zeigte auf die ungeheure Überlegenheit, die man im Augenblick besaß und in zwei drei Wochen verliere. Erst kam der Herzog, zwischen tausend Geschäften, trinkend, ihn mißachtend, mit allgemeinen Einwänden; man müsse die Stärke des Schweden noch besser erkunden; eine Schlacht sei leicht begonnen und schwer beendet. Der Kurfürst hörte nicht das Gespött des Friedländers hinter ihm: »Nun habe ich den Maximilian so weit gebracht, daß er mir nicht allein gehorsamen, sondern mit der Pike auf der Schulter aufwarten muß.« Wie der Bayer zäh drängte – mit jedem Tag wurde sein Land verwüstet, er durfte nicht sagen, daß eine kaiserliche Niederlage ihn Land und Leben kosten würde –, traten die Obersten des Herzogs mit den Resultaten ihrer Beratungen hervor. Der Refrain lautete: wir sind zahlenmäßig überlegen, aber man kann nicht auf den Mut der Söldner bauen; sie müssen sich erst an Gefechte gewöhnen; es genügt, den Schweden zu stören, ihn zu zwacken und beuteln. Dabei blieb es. Sie zogen es hin; sein Land verdarb. Aus dem Kreise dieser Herren, die in alter friedländischer Üppigkeit lebten und fürstlich satt stolzierten, kam einmal die hochmütige Frage, ob man im bayrischen Lager vermeine, besser Krieg zu führen als der Herzog; man habe bei Breitenfeld Gelegenheit gehabt, sich zu beweisen. Hindurch durch die fünffachen Spaliere der Leibwache des Herzogs, starre Reihe der aufgestellten niederländischen Helmbarten, riesig ausgezogene Spießklingen mit Quasten und Kugeln am Klingenansatz, gräßliche Totenköpfe und hackende Schnäbel eingeätzt. Durch das Getümmel der ausschwirrenden ungarischen und polnischen Reiter, auf den Pferden am Sattel die kupfernen Kesselpauken; sie ritten über den aufgerissenen Wiesengrund, schneller, schneller, die Münder gespitzt, grell wirbelnd das Schlagfell aus Menschenhaut.
»Was hat der Herzog vor?« fragte der Kurfürst seine Räte, die er aus Regensburg kommen ließ. »Er säumt.« »Er säumt nicht«, der Kurfürst mit leeren Augen.
Die Widersacher lagen sich Wochen um Wochen gegenüber. Der Juli zog herauf, August; brünstige Hitze fiel hernieder. Sumpfig war der Wiesengrund von Friedlands Lager, das Wasser der Pegnitz nur mit Kampf erreichbar. Sie fochten täglich um das Wasser, schickten ihre Kranken und Verbrecher immer zuerst voraus, ließen sie abschießen, später erst stürmten sie vor dem Schutz der abgefeuerten Musketen. Fünfzehntausend Weiber strömten in das Lager, zu den Menschen kamen dreißigtausend Pferde. Mensch und Getier hatte nur die Aufgabe: zu liegen, zu liegen, dem Schweden die Fourage abzujagen, ihn zu ermatten. In des Schweden Lager stürzten die Scharen der Flüchtlinge ein. Nürnberg lief voll von ihnen. Wie eine Geißel umlauerten die Kroaten und Ungarn des Böhmen die Stadt, rissen das Lebendige nieder.
Heimlich betrieb Friedland seine Sachen. Gab Arnim keine Ruhe. Aus Böhmen sei er mit seinen Sachsen verjagt; die Kurfürstliche Durchlaucht von Sachsen möge gewarnt sein; sie sollten sich verständigen. Aus Sachsen kam Bescheid: der Kurfürst gedenke in Treue sich nicht von seinem schwedischen Bundesgenossen zu trennen. Da lösten sich Kavalleriemassen aus dem Zirndorfer Lager, erst Hunderte, dann Tausende. Holk mit seinen Kroaten setzte sich in Bewegung auf das offene Vogtland. Sie machten unterwegs Vaganten Versprengte Gesindel beritten; sollten um sich ein solches noch nicht gesehenes Verderben anrichten, daß man ihre Kraft erkenne. Unter dem von Plauen und Zwickau her einsetzenden Lodern der Städte und Dörfer, den Abschlachtungen und Schändungen der Menschen flüchteten selbst Arnim und der Kurfürst. Die bodenzerstörenden Unholde verkündeten hinter ihnen, sie seien nicht lange allein; Graf Gallas käme mit einer Schar doppelt so groß wie sie.
Bei Nürnberg lagen sich die Widersacher gegenüber.
Im Schwedenlager mußten die Pferde trockenes Gras rupfen. Eine Pest schlich unter den Menschen. Der Schwede, auf Verstärkung wartend, predigte Mut Manneszucht. Blaß und zornig ritt er täglich die Palisaden entlang, blickte herüber. Dies war kein Feldherr, kein Krieger, der zehnfach überlegen sich nicht zur Schlacht zu stellen wagte. Der hatte etwas Unmenschliches vor: Ermattung. Wenn erst Banér da wäre, sollte es ihm bezahlt werden. Und täglich fraß der dicke Gustav an seinem Widerwillen. Die deutschen Fürsten wichen von ihm, der Pfälzer betrieb offen seine Abreise.
Da hatte der Schwede an sich gezogen, was er suchte. Regimenter des Oxenstirn vom Rhein, Banér und Herzog Bernhard mit Truppen aus Oberschwaben, viertausend Hessen, der Herzog Wilhelm mit sechstausend Mann. Sie trafen bei Windsheim zusammen. Der vergrauste Sachse, seine ganze Hoffnung auf den Schweden setzend, warf sieben Regimenter zu Fuß, zwei zu Pferd herüber. Sie drangen gemeinsam in die Stadt Nürnberg ein, die von Leichen stank, in der man sie mit Weinen und Schreckensgeschrei empfing, daß man nun vor Hunger ganz zugrunde gehen müsse. Und so bitter war die Not, so grausig schmolzen unter der Pest die Menschen zusammen, so wutgespannt war der König, daß auch nicht einen Tag mit der Entscheidung gewartet wurde.
Sein Heer hob sich gegen die Nordseite des kaiserlichen Lagers. Die Sachsen überschwemmten die Schanzen. Eine so furchtbare Artillerie arbeitete gegen sie mit brüllenden Salven, daß die Baumwipfel des Waldes im Dampf verschwanden, die Hochfläche des Lagers in Feuer und Rauch begraben wurde. Zwölf Stunden rannten die Schweden an. Als sie den östlichen starken Ausläufer des Höhenzugs, den Burgstall, hatten, regnete es; sie konnten die Geschütze nicht hinaufziehen. Bis in die Nacht wühlten die Massen ineinander, zweitausend Schweden blieben liegen. Finsternis und strömender Regen. Der Schwede ließ los.
Lag wieder in Nürnberg. Tastete nach Verhandlungen, dachte, der andere habe auch genug. Keine Antwort. Ließ nach drüben gelangen: man solle ihm Mecklenburg lassen; der andere möge sich Franken nehmen. Verbissen und finster gab Gustav das Signal zum Aufbruch. Von sechzehntausend Mann war die schwedische Kavallerie auf viertausend gesunken; die Fußkompagnie hatte statt hundertfünfzig Mann nicht sechzig. Die meisten deutschen Fürsten, auch der Pfälzer, hatten ihn in den letzten Tagen verlassen. An der Nordseite des Lagers marschierte er vorbei; noch einmal forderte er durch Kanonenschüsse den Feind zur Schlacht heraus. Drin rührte sich nichts. Eine Handvoll Weiber lief vergnügt an das unverteidigte Wasser. Johlten durch die hohlen Hände: »Wir haben dem Kaiser eine Schanze gebaut und haben dem Schweden den Paß verbaut.« Sogar das Gepäck ließ der Friedländer unbehelligt passieren. Eine kleine Besatzung war in der Stadt geblieben; der Friedländer nahm von ihr keine Kenntnis. Wie der Schwede westwärts zog, langsam, unter großer Sicherung, dachte er, der Herzog werde folgen. Der blieb bei Zirndorf liegen. Brach erst nach fünf Tagen sein Lager ab; seine Vorhut fühlte nordwärts auf Forchheim vor.
Noch einmal wurde der träg hinziehende geschlagene Schwedenkönig von einem wilden Angriffsdrang befallen, als er sah, daß Friedland sich nicht um ihn kümmerte. Er verteilte seine Streitkräfte, machte plötzlich mit elftausend Mann kehrt, wandte sich auf dem alten sieggezeichneten Weg südwärts nach Donauwörth, über die Donau. Nur den Bayern zog er vom Herzog ab, der sein Land schützen wollte, eine armselige Schar mit sich führte. Der Herzog blieb starr. Maximilian hatte es nicht erreichen können, daß Friedland sich Bayerns annahm. In den bayrischen Regimentern wußte man, daß der Kurfürst bei seiner letzten Bitte an den Herzog um Truppen von ihm angeschrien wurde. Maximilian suchte seine Räte über die Situation mit schmerzlichem Lächeln wegzutäuschen: »Nun sind wir alle froh, daß er uns entlassen hat. Er hätte uns noch alle umgebracht.«
Sie brauchten dem Schweden nicht lange folgen. Es war nichts als eine qualgeborene Selbsttäuschung Gustavs gewesen, daß er noch Entschlußfreiheit habe. Inzwischen meldeten alle Kundschafter, daß der ungeheure Wallenstein weiter nach Norden marschiere. Es war klar, er ging nach Sachsen, wollte nach den Untaten Holks den Kurfürsten knebeln, wollte ans Meer, die Schweden von ihrer Basis abschneiden.
Bei Donauwörth stand Gustav, krampfhaft erregt auf eine Tat aus, die ihn aus der Verstrickung löse, als ihn diese erschütternde Nachricht traf. Zwei warme sanfte Tage ruhte sein Heer in der bergigen Sommerlandschaft. Hier war Friede, kein Feind in der Nähe. In ein Wäldchen zog sich der König zurück, lag wie ein Kranker vor seinem geöffneten Zelt. Lautlos gingen in weitem Bogen um sein Zelt die Wachen; sie trugen die einheimischen braunen langen Röcke; sicher saßen auf ihren runden blonden Köpfen die hohen blauen rotgeränderten Mützen. Von Zeit zu Zeit schlichen Weiber flüsternd über das weiche Gras an sie heran; die schönen blonden Haare, Zöpfe bis zur Brust, märchenrote grelle Mützen aufgesetzt; kaum bewegten sie ihre faltigen blauen Röcke. Das war Schweden.
Der König wollte mit jemand sprechen. Der blanke kolossale Schädel Oxenstirns; Grubbe, sein Sekretär, mit stiller diskreter Miene. Gustav hatte sich aufgesetzt. Es sei kein Grund zu verzagen; was sie meinten. Als sie sich geäußert hatten, schwieg der große schwere Mann, dessen Gesicht bleigrau und schweißbedeckt war; er sagte in Scham, während der Kopf zwischen die Schultern einsank: »Die Sachsen sind ja nicht mehr mein. Was werden unsere Frauen sagen?« Auf ihre Berechnungen: »Ich bin zu groß daher gefahren. Es hat dem Herrn nicht gefallen. Ich war eitel. Ich habe seine Sache nicht rein erhalten. Wenn das Licht im Innern Finsternis ist – welch eine Finsternis! Niemand kann zwei Herren dienen. Schweden war mir alles. Jetzt kommen die Deutschen daher. Darum wollen sie mich vertreiben. Darum wird der Sachse und Pommer und Brandenburger nicht mehr bei mir halten. Hätt’ ich nicht dem Götzen gedient, wären sie bei mir geblieben. Wäre der Herr über mir geblieben. Mein Auge taugt nichts mehr. Darum ist der Pfälzer davongegangen.«
Sie blieben, während er grübelnd den Tag und die Nacht über mit sich rang, in seiner Nähe. Am nächsten Morgen war er heller, zog sich sein Kettenhemd an, gab Befehl zum Aufbruch, predigte selbst seinem Leibregiment über das Matthäuswort: »Häuft auch keine Schätze an auf Erden, wo Motten und Rost zerstören, wo Diebe einbrechen und stehlen; sammelt euch aber Schätze im Himmel.«
Die Herren erfuhren von ihm, der straff zwischen ihnen ritt: »Hochmut taugt nicht. Man muß sich nicht vermessen, alle Dinge meistern zu wollen. Wir werden eine klare Linie ziehen müssen zwischen dem, was erforderlich, und dem, was überflüssig und schädlich ist. Der Friedländer wird in Kürze von uns eine Bataille zu bestehen haben, die ihm zeigen wird, auf welcher Seite Gott steht. Noch müssen wir Gott erringen und auf unsere Seite zwingen. Gedenkt auch ihr daran, wie ich daran denke. Wenn wir Gott zu uns gezogen haben, sind wir unbesiegbar.«
Auf diesem Rückmarsch nach Norden, den die Truppen mit Drohen und Murren antraten, gab es kein Ausreiten, wildes Fouragieren, Plündern. Der König war selbst Tag und Nacht unterwegs.
NACH WOLKERSDORF war der Kaiser aufgebrochen zur Jagd, die Mantuanerin hatte er in der Burg zurückgelassen.
Das Sausen und Schütteln des mächtigen Herbstwindes gegen seine schmale holzgebaute Schlafkammer. Er stand, während die Kerze von dem einströmenden Luftzug flackerte und erlöschen wollte, mit nackten Füßen auf dem Teppich, an dem losen Schlafmantel zerrte er, die Mütze lag am Boden. Arbeitete mit den Armen: »Gebt Raum!«
Schnaufend, schnaufend. Glänzend vor Lachen sein Gesicht, inbrünstig stampfend seine Beine, vorwärts drängend. Mit den Ellbogen seitwärts ausschlagend, als arbeite er durch Gestrüpp. »Gebt Raum!« Lange Zeit. Erschöpft in den Sessel sinkend, lachend.
Bei Tag kamen Eggenberg und Trautmannsdorf herüber. Sie lobten den Herzog Friedland und daß alles ein besseres Aussehen gewinne. Bei Nürnberg habe sich der Schwedenkönig gewaltig die Hörner eingerannt, laufe jetzt hinter dem Friedland her, der ihm bald den Rest geben werde.
Der Kaiser dachte: der Schwede und der Friedland, diese werfen sich jetzt übereinander; sie zerfleischen sich, dann werden sie voneinander lassen. Ruhig und freudig besprachen die beiden vor ihm, daß man hoffe, auch den Friedland in der Gewalt zu behalten.
Was war das? Bald den besiegen, bald den besiegen. Jetzt wieder den Friedland. Jeder will die Macht haben.
Der Kaiser fragte nach dem Friedland und was sie da Sonderbares besorgten.
Er hätte zuviel Gewalt an sich genommen; man müsse bei seiner Leidenschaft auf der Hut vor ihm sein.
Auch das. Auf der Hut vor dem Friedland. Wie sich die Welt rasch verändert, wenn man sie nicht dauernd im Auge behält.
Die Herren fragten sonderbar, ob die Majestät lange in Wolkersdorf zu bleiben gedenke, und ob die Majestät ihnen für dringliche Fälle Vollmacht gebe.
Sie sahen ihm etwas an? Wollten die Hunde den Erzherzog Leopold wieder hervorziehen? Wie in den wonnesamen Tagen. »Ich weiß noch nicht«, brachte Ferdinand heraus, seine Augen bedeckend. Er grollte; es war nicht entschieden bei ihm. Er zitterte, wie er sich den beiden, die ihn beobachteten, gegenübersah; sie kamen ihm wie Inquisitoren vor. Er entließ sie leise drohend und abweisend. Sah, wie sie gegangen waren, den Saal noch im Nebel. Entwich auf die Jagd.
Sie fanden auf der Rückfahrt, man müsse Lamormain gegen den Kaiser vorschicken. Der Kaiser versinke in unheimlicher Weise in sich; beide dachten, ohne es auszusprechen, an den geisteskranken Kaiser Rudolf.
Wie es Abend wurde und der Mond aus dem Birkengehölz trat, stand der Kaiser mit nackten Füßen auf seinem Teppich, schnaufend, arbeitend: »Gebt Raum, gebt Raum!« Inbrünstig lachend, stampfend; ein lakenweißes mondgetauchtes kleines Menschenwesen. Alles war wieder klar vor ihm. Er erschöpfte sich nicht. Pelzschuhe zog er sich an, einen wattierten grünen Mantel warf er um die Schultern. Träumend, gierig, fast lüstern legte er sich in das offene schmale Fenster, sah in die scharf gezackte raschelnde Blättermasse.
An ihm sauste es vorbei. Aus dem Zimmer heraus. In das Zimmer hinein. Über den Schultern, neben den Ohren. Ungeniert ging es hin und her. Sauste mit Schwung, klirrend in den strahlenden Kiesboden. Schlich warm dicht neben seinem Hals, neben seinen Armen hinaus, eine große Katze, ein langes behaartes geschwänztes Tier. Wesen, die ihn kannten. Vielerlei Wesen, die hier ihren Aufenthalt hatten, keine Notiz von seiner Anwesenheit nahmen. Er war grade zwischen sie geraten. Schwindlig und müde machte es ihn in der ziehenden Aufgeregtheit, daß er den Kopf fallen ließ und die Augen schloß.
Die Kammer war zu ebener Erde. Er fühlte sich gedrängt, einen Sessel zu nehmen und über das Fensterbrett ins Freie zu steigen. Sie halfen ihm rechts und links steigen. Faßten ihn bei den Händen, wie er herunterstieg. Er ging ein paarmal zwischen den schwarzen Bäumen. Lief plötzlich, um es zu machen wie sie, rasch laufen, weich andrängen, sich anheben, fliegen. Sie schwirrten um Äste und Gipfel, stürzten ab, blieben klatschend liegen. Man konnte sie zertreten, sie zerflossen wie Schatten in die Erde. Dieses Anrufen, Lärmen, plötzliches Verstummen.
Ein Teufel, dessen Größe er im Dunkel nicht erkennen konnte, legte ihm die Hand auf die Schulter, fragte ihn, wo er entlang gehen wolle, sagte mit sonderbar schluchzender Stimme immer wieder: »Lieber Ferdinand, lieber Ferdinand.« Der führte ihn riesengroß wie er war an sein Fenster zurück, hob ihn auf das Fensterbrett, so daß er herunterglitt. So groß war der Rücken des Teufels, daß das ganze Fenster schwarz war.
»Gebt Raum«, lispelte Ferdinand angezogen auf dem Bett, schlief.
»Ich muß zu einem Priester gehen«, sagte er sich, als die Hähne krähten. Und wunderte sich, daß er gar keine Angst vor Lamormain hatte. »Wenn ich einen Priester sprechen könnte. Ich muß wissen, wie es bei Gott ist.« Tiefsinnig dachte er es, ohne sich über seine Gedanken Rechenschaft abzulegen.
Man ließ ihn an den jagdfreien Tagen ungestört sich in den Waldungen ergehen. Er ging im weiß und grünen Rock hinaus. Langsam spazierte er, versuchte an Wallenstein zu denken. Daß man die Macht über so ungeheure Tiere hatte; er wollte sie gar nicht. Er wollte nur tiefer in den Wald gehen.
Während er tiefsinnig dachte, führte man ihn rechts und links. Nicht schneller gingen sie als er, breite behagliche Tiere, eins an der rechten Hand, eins an der linken. Er ging mit.
Als er wieder zu Hause war, meldete ihm ein Bericht Questenbergs den näheren Verlauf des Nürnberger Treffens und wie der Herzog zu Friedland jetzt vorhabe, dem König den Weg zum Meere abzuschneiden, nachdem er ihm schon den Weg nach Süden abgeschnitten hatte.
»Kostbar«, sagte in sich der Kaiser.
Und plötzlich schüttelte er sich; erinnerte sich des dicken Tausendfußes, des Drachens Wallenstein; umpackten sich diese zwei da, an den weißen Hälsen, an den Knien, den glatten widrigen Bäuchen. Ihn ekelte so, daß das Wasser ihm im Schwall aus dem Mund hervorquoll.
Zaghaft schlich er vor das hohe silberne stehende Kruzifix, legte sich still und sehr langsam davor hin. Wartete, hob den Kopf, sah es an. Seufzte.
DER KURFÜRST Maximilian war ohne Lärmen in das leere München eingezogen. Über die Höhe der gezahlten Kontributionen wurde ihm Bericht erstattet. Gebeugt saß er in seiner Neuen Feste. Die reichen Bauten Münchens waren ihm ein zu weites Kleid; der Herzog zu Friedland ging das Reich erobern. Ihn hatte er kujoniert. Keine Hilfe bei den geistlichen Kurfürsten; die lagen in französischen Armen. Vom Kaiser hieß es, er werde abdanken, hätte keinen Sinn mehr für das Reich. Doktor Leuker meldete vertraulich aus Wien, der König in Spanien habe ein starkes Heer für Deutschland ausgerüstet, es werde für spanisch-niederländische Zwecke dienen, aber eine Reserve bilden, die das Kaiserhaus gegen jede, jegliche Gefahr, auch vor Friedland, schützen sollte. Man könnte mit Spanien zusammengehen, von Richelieu war nichts zu erwarten. Er tröstete den hilflosen Kurfürsten, daß er sich an Richelieu rächen könnte, indem er die spanische Partei nahm.
Aber alles lag noch in weitem Felde. Man hörte, der Herzog rücke weiter nach Norden; noch ein Schlag für den Schweden wie Nürnberg, und niemand konnte an Friedland heran. Er würde die Despotie über Deutschland errichten. Maximilian fühlte, er konnte sich nicht rühren. So verlassen wie jetzt war er noch nie. Eine so schaurige Gefahr drohte ihm.
HINTER HOLK kam Gallas, über Wunsiedel, Hof. Hinter Gallas der Herzog. Durch Forchheim, Bamberg, die Grafschaft Reuß ins Land Meißen, das gebrandschatzt wurde. Auf die Saale zu. Die Flußübergänge sollten gesperrt werden.
Dem Heere liefen voraus die Boten auf dampfenden Pferden an Arnim, der in Schlesien stand, durch Sesima Raschin an den Grafen Thurn: der Kursachse solle, solle sich von dem Schweden trennen. Es solle müsse und werde Friede gemacht werden, ob er sich sperre oder nicht. Und Johann Georg, schwer verzagt über den Landesverwüster Holk, beim Aufbruch des entsetzlichen Schwarms von Nürnberg, schlug sich die Brust, er werde Frieden machen, sonst werde es ihm gehen wie dem Pfälzer, er werde wandern müssen mit leerem Säckel hinter dem Schweden, er, der Deutsche, das Haupt der Evangelischen. Und schon hatte sein Rat ein Angebot an den Friedländer und den Römischen Kaiser ausgefertigt, als eigene Kuriere Gustavs den Kurfürsten hießen, Ruhe zu bewahren. Gustav renne hinter dem Herzog her, er werde helfen, es geschehe nichts, er werde ihn nicht weit kommen lassen. Arnim selbst meldete Eilmärsche aus Schlesien.
Wütend, alles Widerspruchs überdrüssig, erklärte Johann Georg im Kabinett: »Friede muß sein. Irgendwie. Befehlen soll mir keiner etwas. Bringt der Schwede keinen, bringt ihn der Kaiser. Wir sind alle Christenmenschen, kein Vieh, das so unsäglich leiden muß. Diesmal noch. Ich hab’s satt.«
Quer über Sachsen warf sich krachend der Herzog, in Leipzig nahm er Quartier, auf Torgau stieß er. Bald war der Schwede da. Die Pässe bei Hildburghausen und Schleusingen hatte ihm in rasenden Kavallerievorstößen der Herzog Bernhard von Weimar offengehalten, den Thüringer Wald durchbrauste der König; er mußte zurück in die Nähe seines ersten entscheidenden Sieges über den toten, von der Erde weggewälzten Tilly. Durch Arnstadt Kösen Naumburg. Verzweifeltes hilfeflehendes Volk lag geworfen auf den Straßen, an den Wegen. »Was wollen sie von mir«, zuckte zähneknirschend der König die Achseln, »ich tue meine Pflicht, Gott muß sie erretten.« Er gedachte wie bei Nürnberg sich erst zu verstärken, bis er angriff.
Als aber Friedland seinen General Pappenheim ausschickte, um Hans von Arnim, der sich ausgeschwiegen hatte, schon auf dem Marsche zurückzuschlagen, hielt der Schwede, von feierlicher Sicherheit durchströmt, seinen Augenblick für gekommen. Er wollte nicht warten, bis der Winter hereinbrach, er hatte keine Zeit bis zum Frühling: »Der Friedländer ist in meine Hand gegeben«, fühlte er, als er von dem Abritt Pappenheims auf Halle hörte.
Um ihn wimmelte es von Menschen, den Männern aus Småland, Ost- und Westgötland, den Leuten Horns, Banérs, Totts, Stålhandskes, Klitzings, Lösers, Bernhards; sie werden zermalmt sein wie ein Ameisenhaufen von einem Fußtritt, sah er, wenn sie nicht siegen. Sie haben den rechten Glauben; Schweden, ganz Schweden hat seine Habe hierher gegeben, sie werden nicht unterliegen. Während er besessen die Augen schloß, dachte ihm dies.
»Wir werden siegen«, beschloß er. Er ritt befehlend in den nebligen Herbstabend. »Sie werden keinen besseren Markt haben als der Tilly bei Breitenfeld.« Inbrünstig ging er das Werk schmieden.
Widerwillig kam der Friedländer. In seinem Hauptquartier war, wie sie den rachedurstigen Schweden nahen sahen, die Parole ausgegeben: nicht siegen, den Widersacher schwächen, schrecken, gedeckter Abmarsch, sobald die eigenen Verluste stark werden. Nach Pappenheim rief man: der Herr solle alles stehen und liegen lassen und herwärts jagen. Um die Steigbügel des Pferdes Wallensteins, der reiten wollte, wurden Seidenbäusche gewickelt.
Regimenter der Schweden: Karberg, Herzog Bernhard, Wrangel, Dieshausen, Courville, Stechnitz, Steinbach, Brandenstein, Anhalt, Löwenstein, Hofkirch. Dann Ußlar, der hessische Landgraf, Bulacher, Goldstein, Wilhelm von Weimar, das gelbe Leibregiment, das blaue Regiment unter Winkel, Generalmajor Graf Brahe.
Regimenter der Deutschen: Colloredo, Chiesa, Savelli, Gallas, Holk, achtundzwanzig Schwadronen Ungarn und Kroaten mit Isolani, vierundzwanzig Schwadronen Kürassiere mit Octavio Piccolomini, Strozzi, Gonzaga, Coronini.
Vom nebligen Herbstmorgen bis zum Abend acht Stunden zerhieben sich die Heere zwischen dem dünnen Mühlgraben und Floßgraben bei Markranstädt und Lützen; der Galgenberg buckelte dazwischen mit vierzehn Riesenhaubitzen Wallensteins. Am Abend und in der Nacht standen die beiden Heere noch auf dem Feld und rissen aneinander.
Tot war Gustav Adolf und Tausende aus allen Regimentern der Schweden und der Kaiserlichen.
Den Grafen Pappenheim donnerte eine Drahtkugel in den Tod.
Unbekümmert um die Nachrede schnurrte der Herzog davon, nach Leipzig zurück, aus Sachsen heraus.
DIE SCHWEDEN tasteten ihm auf dem Schlachtfeld nur wenig nach. Vor Schwäche konnten sie sich nicht rühren. Tage vergingen. Sie lagen in Angst. Kroaten, die Kanonen rauben wollten, verscheuchten sie. Was um Gustav gewesen war, schwur, sich nicht zerreißen zu lassen. Oxenstirn nahm die Zügel in die Hand. Die Armee sollte Bernhard von Weimar führen. Der Winter sollte sie nicht verderben, sie wollten sich keine Furcht anmerken lassen.
In das winterliche Prag zog Wallenstein ein, hielt Gericht. Geschenke bis fünfundachtzigtausend Gulden fielen über den Grafen Merode, den Marquis de Grana, das Comargische Regiment, Breuners.
Vor dem Rathaus in Prag, auf der mit schwarzem Tuch behangenen Bühne, wurden hingerichtet elf Offiziere aus den vornehmsten Familien, die meisten vom Regiment Sparr. Eine Anzahl wurde an einen neuen Galgen gehängt, einigen der Degen unter dem Galgen zerbrochen, sie selbst für Schelme erklärt, die Namen von vierzig flüchtigen Offizieren an den Galgen geschlagen.
Die Finnen, das braune Rattengewimmel Tillys, Reiter des Stålhandske, fanden den schwerleibigen Gustav Adolf, das abgelebte breitgequetschte Gesicht an die Erde angedrückt. Vierhundert småländische Reiter, den Pallasch gezogen, der Rest des Regimentes, an dessen Spitze er gefallen war, eskortierten ihn über Weißenfels nach Wittenberg, nach Wolgast, wo die Totenfeierlichkeiten erfolgten an dem Meere, über das er gefahren war mit Koggen Gallionen Korvetten, das Admiralsschiff Merkur mit zweiunddreißig Kanonen, dahinter Västervik, Pelikan, Apollo, Andromeda, Regenbogen, Storch, Delphin, Papagei, Schwarzer Hund.
Hier am salzigen ruhelosen Meer, unter dem Tosen der Winterstürme, hatte sich eine stumme Gesellschaft aus Metall Holz Tuchen versammelt, um den verwesenden ausgeweideten Leib zu erwarten: hohe silberne Gueridons, florumwickelte Wachskerzen, ein Trauergerüst in der Kirche, der Katafalk, das Schmerzenspult. Lebende Menschen und Tiere wogten um die bewußtlosen Gegenstände, den bei Lützen vor Monaten zuletzt fühlenden Leib, der jetzt nicht mehr war als die Gegenstände, die für ihn geschnitzt, genäht, geschmiedet wurden. In einen Zypressensarg war die verhüllte triefende Zentnermasse von Fleisch und Knochen geschoben, auf einen samtbeschlagenen Leichenwagen gestellt. Den bloßen Degen unter dem Arm gingen die Leibgardisten voran, das Bataillenpferd folgte, die Blutfahne, Hoffouriere, Marschälle, Trabanten mit verkehrten Gewehren, Herolde, Pauker, das Wappen. Die Zipfel der Sargdecke trugen Offiziere, Kavaliere in stumpfem Tuche, ohne Handschuh neben dem schleppenden Wagen, Trabanten mit umgekehrten umflorten Partisanen. Hinter dem Wagen Marschälle mit Stäben, Minister, Hofkavaliere, Beamte, geführte schleierübergossene Frauen, deren Schleppen man trug. Die Königin, grau und weiß gekleidet.
Ihr war noch kein Sarg gezimmert wie dem toten Gemahl. Mit Entsetzen ging sie in dem Zug. In einem Zypressensarg vorn unter einer schwarzen Samtdecke, an der Offiziere zerrten, lag eine gedunsene dicke Masse, zerfließend, die ein blauschwarzes Gesicht hatte, an der Arme und Beine hingen, etwas, das an Fleisch erinnerte und das Gustav Adolf, der starke singende jähzornige Mann, der Vater ihrer springenden kleinen Tochter, sein sollte. Es ekelte, graute sie; sie konnte nicht entrinnen, man führte sie; eine Brechneigung stieg in ihr auf; sie wurde hier vergewaltigt; blind taumelte sie am Arme ihrer Hofdamen, Zittern in den Beinmuskeln.
In das dunkle hochgeweitete Kirchenschiff hinein. Trompeter bliesen vorn: »Mit Fried und Freud ich fahr dahin.«
Hinter dem kostbaren Trauergerüst riesengroß in sich bäumender Bewegung ein metallener Schmerzensmann am Kreuz; angenagelte Hände und Füße, Stöhnen aus dem offenen Mund, Blutrinnsale vor den Ohren, keuchend zusammengepreßte Rippen, muldenhaft eingezogener Leib.
Gebrüll der Kanonen.