DAS AUDIENZGESUCH der fünf Herren lag vor. In den Kaiser aber war der Zorn gedrungen, nicht über die Herren, sondern über die Knechtung, die diese Sache über seine Seele ausübte. Seine Augen Porzellanschälchen mit blaßblauen Rundungen bemalt, hell, fast weißlich. Wenn die kleinen Pupillen sich verengerten, gaben die Augen noch mehr Licht ab. In dunklen Gängen, auf Treppen nachts schwebten sie wie zwei Kelche nebeneinander.
Seine glashellen Augen belehrten den alten Frey rasch: der Kaiser heischte die Herren zu sprechen.
»Was begehrt Ihr von mir?« schrie er sie ohne Form an.
– Sie wollten als berufene Ratgeber der Krone ihre Stimme erheben.
– Wenn der Kaiser ihren Rat wünsche, werde er ihn einfordern; er vermöge zu denken; man möge nicht glauben, er brauche das Gängelband.
– Das Vertrauen des Kaisers zu seinem Geheimkolleg hätte sich zu ihrem tiefen Gram getrübt.
– Der Kaiser bete zu Gott und den Heiligen; er sei nicht mehr unbeschützt; er würdige die Herren nach Verdienst.
– Das Geheimkolleg fühle schmerzlich, aber doch mit einer gewissen Befriedigung, daß die Majestät ihrer nicht mehr bedürfe.
– Er werde sie gehen heißen, wenn es ihm beliebe. Sie möchten sich des nicht gewünschten aufsässigen Tones entschlagen. Ob man nicht wisse, wer Kaiser sei, er, Ferdinand der Andere von Habsburg, oder Hans Ulrich von Eggenberg oder der kleine Trautmannsdorf.
Zu Boden neigte sich Trautmannsdorf; sie hätten den Spott nicht verdient; der bayrische Herzog reibe sich an Habsburg; sie wollten ihm das wehren; sie hätten den Spott nicht verdient.
Lippenbeißend stand Ferdinand da: »Ich werde mit Euch reden, Graf Trautmannsdorf, wenn wir zu zweit allein sind. Jetzt muß Euer Kopf sehr heiß sein.«
Dem glühten die Augen im Kopf; unwillkürlich machte er einen Schritt vorwärts.
»Blickt zur Tür«, brüllte der Kaiser, »blickt zur Decke, wagt nicht, mich so anzugaffen. Ich rufe die Wache und lasse Euch in Eisen werfen. – Ich will Euch nicht hören, Euch allesamt nicht. Ihr seid meine Feinde; wie wagt Ihr es, über Max zu reden? Geht hinaus! Thonradl! Zum zweitenmal! Habt Ihr nicht etwas in der Tasche, ein Schriftstück, das ich unterschreiben soll? Seht Ihr nicht die Kette an meinem Hals, mit der Ihr mich erwürgen wollt. Ich will Euch nicht sehen.«
Tiefblaß, zähnebeißend, gab Trautmannsdorf den andern einen Wink mit den Augen.
Vom Schreibtisch zurückkehrend fragte Ferdinand, wer von den Herren zu dieser Audienz geraten habe. Als Fürst Eggenberg sich nannte, bedachte sich der Kaiser lang: »Ich will den Herrn anhören. Der Herr erwäge aber, mit wem er spricht, und erwäge jedes Wörtlein.«
Der sprach. Als er geredet, hatte er keinen Satz gesprochen, der nicht klug und vorsichtig schattiert gewesen wäre und dem Kaiser nicht jeden Weg zum Nachgeben geöffnet hätte.
Ferdinand trank seinen Wein; eine Zeitlang drehte er den Herren den Rücken halb, scheinbar ins Glas blickend. Er war tief beschämt. Er war von namenlosem Grimm auf Maximilian erfüllt.
Die Herren boten ihm ihre Hilfe gegen den Bayern an; sie durchschauten ihn; er war nicht mehr ihr Kaiser; er mußte ihre Hilfe annehmen.
Er sagte, wer von den Herren noch etwas hinzusetzen wolle, möge sprechen. Er ging auf und ab, um eine grüne Marmorsäule. Als er sie mit der schlaffen Hand berührte, sah er in der blanken Fläche sein langes, hochgezogenes Spiegelbild. Er erschrak, das Bild taumelte seitlich herunter, er ging weiter.
Eggenberg erklärte, Rat und Kammer würden unverzüglich das Nötige zur Übertragung der Kur an Bayern bereitstellen. In Verwirrung, zermahlen und zerfasert, konnte Ferdinand nur lächeln. Er reichte jedem die Hand. Sie wußten angesichts seines zerstreuten Gebarens nicht, ob sie entlassen waren.
Bis er aufblickte und ihnen zunickte, die Arme über die Brust verschränkend.
WAS FERDINAND tags drauf nach langem Sinnieren und Seufzen begann, war ein überstürztes Briefschreiben und Kuriersenden nach der Stadt, deren Namen vor seinen Augen brannte. Hatte er einen Brief beendet und verschlossen, so war er für Stunden ruhig, in denen er sich labte, um die Auseinandersetzung wieder zu beginnen. Es mußte leise alles vor sich gehen, weder Obersthofmeister noch Beichtvater noch Geheime Räte durften etwas erfahren, geräuschlos rasch ohne Pausen sollte alles hinter ihrem Rücken vollendet werden. Er trug eine kleine Schreibtafel am Gürtel, die er nicht einmal seinem Leibkammerdiener abtrat; und während der Tafel ereignete es sich bisweilen, daß er in tiefer Umwölkung Notizen aufmalte. Seine Stimmung war heiterer als vorher, aber leicht erregt und gespannt. Wie viele Briefe er an Digby schrieb, allmählich, von Tag und Nacht zu Tag, wußte er nicht. Es war ein Schwall, während er glaubte, eben begonnen zu haben. Zuerst war es Digby, der Graf von Bristol, ein vor kurzem neu eingetroffener britischer Sondergesandter, mit einem rauhen Wesen, blutrotem Gesicht, häßlichen aufdringlichen Blicken, einer Ischias, dem er schrieb. Bald setzte er sich mit einem andern auseinander, der für ihn in München im geheimen wirkte, sein eigner vertrauter Sondergesandter, sein intimer, unausgesprochen ihm anheimgegebener Freund, sein Glückswunder. Von Tag zu Tag war diesem mehr zu sagen. Er mußte die Briten aufklären und doch nicht aufklären, ein Brief sagte zu viel, einer zu wenig. In München mußte Digby gehört haben, was geschehen war; aber es war nicht so geschehen, er hatte mit ihm kein Doppelspiel getrieben, indem er ihn zur Vermittlung ermutigte, und doch war alles schon gebunden und nicht mehr auflösbar und neu zu knüpfen. Er mußte ihm zu verstehen geben, zwischen den Zeilen, daß es ganz anders war, daß er sich nicht gebunden hatte, sondern daß er einmal gefesselt worden war, in einem verwirrten betäubten Augenblick, in dem er nicht rechnen konnte oder wie es sonst gewesen war. Daß er damals sonderbar eingeschüchtert worden war vom Bayern, nachgab, seine junge Kaiserwürde schon verloren glaubte, sich aus Scham nicht hatte offenbaren können. Das mußte schmeichelnd in halber Abbitte zwischen den Zeilen geseufzt werden. Und gebeten werden um Befreiung – jedoch nicht zu deutlich, denn man war Römische Majestät und jener Brite, und ein Ungläubiger. Mit Politik mußte alles versteckt und maskiert werden; welches lebhafte Interesse mußte nicht England haben, den Bayern zum Nachgeben zu zwingen, um des pfälzischen Kurfürsten, des englischen Schwiegersohnes und seiner Kinder willen; ja Ferdinand ging so weit, durchscheinen zu lassen, daß er appellieren möchte an das Interesse Englands, eine starke protestantische Partei auf dem Festlande zu haben; schmerzlich und grausam weh tat ihm diese Bemerkung. Er hielt diesen Brief, vor dem er sich selbst entsetzte, lange zurück, trug ihn bei sich, mußte ihn von sich reißen, um ihn seinem alten Frey in die Hand zu drücken. Jeder Brief erklärte neu, kühner. Und er erwartete keine Antwort, dachte nie daran, was Digby meinen würde, glaubte jahrelang mit ihm umgegangen zu sein.
Eggenberg, dessen Haus durch einen Geheimgang mit der Burg verbunden war, staunte, als der Kaiser öfter unversehens mit geröteten Wangen freudig und müde bei ihm erschien, gedankenlos plauderte, sich an sein Bett setzte, eine große Zärtlichkeit gegen ihn und andre an den Tag legte, daß er Gnadengeschenke verteilte, ohne sich um Gurlands Bedenken zu kümmern; er beschenkte Gurland selbst noch.
Die Briefe aber liefen alle durch die Hände des feinen gewissenhaften und automatischen Gelehrten Kaspar Frey. Dieser hatte keine Neigung, sich zu lebhaft in die Geschäfte seines Herrn zu mischen; sein Respekt war zugleich Bequemlichkeit; ein Schutz vor übermäßiger Inanspruchnahme. Ihm fehlte die Herzlichkeit; sein scharfes Urteil war im Laufe der Jahrzehnte eingerostet im humanistischen Spintisieren über Vergil und Sueton. Für Ferdinand war das Geheimnis des Briefes vollendet mit dem Binden des Fadens, gelegentlich siegelte er. Das übrige vertraute er Frey an. So kamen ein zwei ungesiegelte Briefe den üblichen Weg in die Hände des Obersthofmeisters, der bei der Auffälligkeit der Situation, der Häufigkeit von Briefen an diesen englischen Empfänger, Verdacht schöpfte, heimlich einen las, ihren Inhalt auf der Stelle dem verblüfften Eggenberg mitteilte, bevor er das kaiserliche Siegel beifügte. Eggenberg wagte angesichts des unglaublichen Vorfalls nur noch den höchst verschwiegenen Abt Anton ins Geheimnis zu ziehen; Behutsamkeit schien ihm das Wichtigste für den Augenblick. Sie kamen, in der stillen Behausung des Abtes umeinandergehend, überein, nunmehr planmäßig jeden Brief zu öffnen, aufzufangen und entsprechend seinem Inhalt zu handeln. Der Obersthofmeister hatte schon unabhängig von ihnen die Öffnung der letzten Briefe vorgenommen; jetzt erfolgte dies im verschlossenen Dienstzimmer des Meggau in der Burg vor den beiden Geheimen Räten. Es schien einmal, als hätte Ferdinand Verdacht geschöpft, sein Kurier lief unprotokolliert durch; da ließ ihn Meggau auf der Straße hinter Wien niederwerfen von gedungenen Zigeunern; dieser Brief enthielt den erschreckenden Hinweis auf das evangelische Interesse des Königs Jakob. Es schlug dem Faß den Boden aus. Man konnte nicht ohne Trautmannsdorf weiter. Erstaunlicherweise zeigte der sich gar nicht verwundert, schien etwas Ähnliches vermutet zu haben. Nach seinem Rat wurden alle Briefe durchgelassen, aber dauernd die Kuriere auf den Straßen niedergeworfen und beraubt; dem Kaiser sollte Mitteilung werden von der Unsicherheit der Wege durch malkontente Ungarn und entlassene Söldner.
Furchtbar, unerwartet schwer traf dieser Bericht den versunkenen, ja zärtlich ausgeglichenen, verspielten Kaiser. Jäh brüllte er, man vernachlässige die Sicherheit seiner Korrespondenz. Steif und kalt standen vor ihn gerufen Eggenberg und Trautmannsdorf, entschlossen, nichts zu antworten. Es fehlte nicht viel, daß der Kaiser sich zu direkten Drohungen gegen sie herbeiließ. »Man hat Interesse an meinen Briefen«, schrie verzweifelt Ferdinand. Er konnte nicht fassen, daß die Worte, die er mit Liebe gemalt hatte, vor nichtswürdige berechnende Gesichter gezogen waren, auf der Straße lagen. Rasend war er; geschändet, tief beleidigt kam er sich vor. Und im Hintergrund verstand er, was man mit ihm vornahm. Was diese hier mit ihm vornahmen. Der jähe Umschwung ließ ihn verwirrt fünfmal dasselbe fragen. Rasch gingen die Räte. Eggenberg war draußen im Vorsaal leichenblaß, zitterte; er war so erschüttert, daß er nur immer sagte: »Es muß ein Ende nehmen damit, Trautmannsdorf.« Abt Anton gab ihm bekümmert recht. Der verwachsene Graf hielt sich still für sich; etwas Geduld; die Situation würde sich bald klären.
IN DIESEN Tagen war es, wo der Kapuzinermönch Valeriano Magni, eine Kreatur Maximilians, seit Wochen unterwegs, am Hofe ankam, um im Auftrag seines Fürsten die Ausstellung eines Diploms, betreffend die Übertragung der Kur an Max, zu erbitten. Schweigend verwies ihn Ferdinand an den Abt Anton zurück, der noch erzählte, jener Mönch komme, wie verlaute, aus Paris, wo Bayern sonderbare Fühlung mit dem Staatssekretär Puisieux genommen hätte. »Warum nicht?« lachte stoßweise der Kaiser. »Ja, warum nicht«, bekreuzigte sich Anton.
»Singt mir was vor«, schrie der Kaiser den Johann Valentini an; und der Chor mußte stundenlang in der Anticamera singen. Die Sänger waren erschöpft, der Tenor Pichelmayer versagte, der Kaiser wanderte ruhelos an der Wand vor einem Gobelin, welcher die Befruchtung Ios darstellte, hin und her; schwieg die Kapelle, so schrie er bald gegen die Bänke: »Ihr sollt singen.« Er ließ sich Tirolerwein kommen; dann mußten die Streicher und Flötisten spielen; er wurde nicht müde zu wandern. Keiner der vertrauten Kammerherren vermochte an ihn heran; Frey erlebte nichts als unverständliche Jähzornausbrüche.
Wie eines Mittags Ferdinand, gedunsener Kopf, sehr starre Augen, durch ein Fenster auf einen kleinen Burghof blickte, saß da einsam neben einem leeren Wagen in der braunen Bergmannsgugel sein Narr Jonas auf dem Steinboden und arbeitete etwas. Rasch schlug Ferdinand das Fenster zu, stieg, dem Diener abwinkend, auf einer Wendeltreppe hinab. Der Hof grasbewachsen, heiß, leer. Es lag da vor einem Schuppen ein Sandhaufen. Ohne daß der Zwerg ihn beachtete, setzte sich der Kaiser, ohne Hut, in grüner loser Joppe, auf ein geschlossenes Faß am Eingang des Schuppens. Es tat ihm wohl, hier zu sitzen; wie gedrängt war er heruntergegangen; es tat ihm sehr wohl. An einen Balken legte er den Kopf, dachte an nichts, während er gerade vor sich blickte. Dann fiel ihm ein, es möchte möglich sein, hier zu schlafen; schob sich tiefer unter den kleinen Schuppen, atmete tief und, wie er die Augen schloß, schlief er schon, fest und streng, wie er begehrte. Nach einer Weile rührte der Narr mehrmals den Schuh des Kaisers. Der Kaiser zuckte, öffnete die Augen.
Der alte Schalk gurgelte heimlich, neugierig zudringend: »Hast mir zugeguckt, Ferdel?«
Der rührte sich nicht.
»Gelt, hast mir zugeguckt. Sag’s. Was meinst du?« Als der nicht antwortete, machte sich der Wicht an sein Geschäft.
Nach einer Weile schwebte der Schatten Ferdinands von rückwärts über das Zeichenbrett des Narren; der Kleine hob listig den Finger: »Gelt, du hast mir zugeguckt. Ich arbeite, ich arbeite.«
»Was ist?« Der Narr hatte auf einem Kistenbrett im Sand große leere Folianten liegen; aus einem Krügchen goß er Tinte vorsichtig über sie, tuschte die Tinte sorgfältig in breiten Pinselstrichen aus in die Ecken, an die Ränder.
»Ich dichte.«
»Was ist mit der Tinte?«
»Ich schreibe ein großes Werk über die Sterne, den Himmel, die Hexen und die Teufel. Bald ist’s geschehen.«
Wie sonderbar, daß der Kaiser nicht lächelte, starr und streng auf die Bogen sah, das Gesicht nicht verzog; er schlief wohl noch.
»Wenn die Sonne schön warm und hell scheinen wird diese Woche, ist es fertig. Es kommt nur auf die Sonne an, Ferdel, im Dunkel geht es nicht voran.«
»Was ist.«
»Wenn du mich nicht verraten willst, grüner Löwe, will ich’s sagen. Und wenn du mir etwas geben willst.«
»Was ist.«
Er bewegte sich vorwärts. Der Narr greinte: »Jeden Bissen schnappen sie mir vor der Nase weg. Wenn du gestern gesehen hättest, von den Forellen. Kaum hab’ ich etwas gesehen davon.«
»Komm mit.«
Weinend schleppte der Zwerg sich hinter ihn, deckte mit einem Sack alles sorgfältig zu: »Nicht schlafen kann ich vor Kummer. Aber doch bin ich ihnen allen über.«
Er sah den Mann neben sich strahlend an: »Ich zeig’s dir. Komm zurück. Ich schreibe ein großes Werk über die Geister. Die Weisheit muß verbreitet werden unter die Menschen. Aber es dauert alles so lange, hab’ ich gesehen, ein Buch jahrelang, jahrelang. Viele Weise sterben, grüner Löwe, ehe sie ihr Buch fertig haben. Und darum –.« Er sah zu, wie sich Ferdinand wieder in den Sand setzte, fragte gespannt: »Aber du verrätst mich nicht.«
»Nicht, nicht.«
»Es gibt viele, die mir alles absprechen und mich am liebsten umkommen lassen würden.« Bang hob er den kleinen Tintenkrug unter dem Brett hervor, wies ihn: »Sieh selber, was ich für einer bin. Mein Buch ist, wenn unser Herr Petrus im Himmel will, bald fertig. Ich lass’ es dich zuerst sehen dann.« Und der Kleine goß über einen frischen Bogen Papier einen Strom Tinte, fing an zu wischen, entzückt plappernd: »Sieh an, wie es geht. Sieh, wie es läuft. Ich mache es auf einmal. Da, eine ganze Seite auf einmal, aus dem Fäßlein kommt der Brunnen. Im Nu. Gewischt in die Ecke, eins, zwei. Ich bin nicht so dumm, mir Federchen schnitzeln, in die Tinte stoßen, Tröpflein herausfischen. Ja, glaub’s schon, kann lange fischen, bis das Fäßlein leer ist. Und wenn das Fäßlein nicht eintrocknet, fischen sie drei Jahre daran. Seht bei mir. Flink, hurtig, im Nu. Das ist der ganze Witz. Sieh her, Ferdel, hier unten.«
Auf dem Sand standen sechs kleine Krüge. »Seit gestern«, flüsterte geheimnisvoll der Schalk, deckte sie rasch zu. »Ich hol’ die Krüglein aus deiner Kanzlei, sie schimpfen, daß sie weg sind; morgen setz’ ich ihnen mein erstes Büchlein hin, die Krüglein daneben: werden sie Augen reißen. Ist von Gespenstern, Hexen und allen sieben Gestirnen, hab’ mir weidlich alle ausgedacht und hurtig drauflosgeschrieben. Oh, was sie alles drin lesen werden; auch von dir, Ferdel, und meinen Feinden! Finden sich alle drin.«
»Nun muß ich sorgen, lieber Jonas, daß du Doktor werdest ohne Studium und Examen.«
Glücklich, die Händchen schlagend: »Oh, wann gibst du mir meinen Schmaus? Du wirst sehen, es wird noch besser. Wenn du mich bloß nicht verrätst.«
»Nur zu trinken, Jonas. Feiern wir dich auf der Stelle; zeig mir, wo es in den Keller geht.«
»Komm, ich weis’ dir’s.«
Mütterlich deckte er seinen Platz ab. Dicht am Schuppen in die Mauer war eine niedrige kistenverstellte Tür eingelassen, an sie schob er sich heran; eine Stiege senkte sich herab; schwerer kühler Geruch schwoll herauf.
»Wo bist du, Jonas?«
»Sst. Still. Ich bin unten. Vielleicht hört uns jemand. Komm. Hier.«
»Bist du allein?«
»Nein.«
»Wer ist bei dir?«
»Der Wein, der Jonas und du. Wir alle drei.«
Der Kaiser tastete sich herunter. »Setz dich gleich hier an die Stiege, Jonas, in den Winkel. Und laß die Tür auf, damit wir sehen können.«
»Ferdel, kannst du am Hahn trinken?«
»Hol mir einen Becher, wo du willst; leise; stehen überall Leute.«
Lange Stille in dem Dunkel. Große Umrisse von schwarzen Fässern, Tonnen, Bottichen, Leitern lösten sich; der Keller wuchs in die Tiefe.
»Jonas!«
»Hier das artige Becherlein. Ich bediene dich.«
»Wir wollen dich feiern, Jonas, morgen schenk’ ich dir deinen Zuckerzweig.« Sie tranken, tranken. Jonas lachte manchmal schallend, bald fing auch der Kaiser an. Jonas schrie herausplatzend: »Herr Rektor, Euer Liebden haben keine rote Robe an. Es ehrt mich nicht genugsam.«
»Jonas«, sagte nach einer Weile Ferdinand, »bring mir meinen Hund.«
Schon schlich der Zwerg davon. »Hier, Ferdel, hier ist das Hündelein.«
Es war eine Katze. Der Kaiser hatte sie auf den Armen, rang mit ihr. »Ich kann sie nicht halten.« Jonas, mit einem Griff am Nacken, preßte sie ihm an die Brust; sie hielt still.
Die blauen großen Augen des Kaisers, die grellen Schlitze des Tiers. »Gebt mir Euer Messer, Herr Doktorande. Das Kätzlein muß mir sein Fell für einen roten Mantel verkaufen.« Er vertiefte sich in den ängstlichen lauernden Blick, suchte sie plötzlich am Hals zu packen. Die Katze schlug um sich, der Zwerg zustürzend aber hatte ihr im Nu mit seiner scharfen Klinge den Hals durchgeschnitten. Während sie noch hell pfiff, spritzte, zappelte, auf die Steine kollerte, schlitzte er ihr kreischend knirschend das Fell von der Kehle bis zum Schwanz, riß es rechts links von dem heißen nassen Rumpf ab, von den zitternden Beinchen.
Ferdinand schluckte heftiger den Wein. Das dunstige blutende Fellchen legte er sich auf den Rücken, rieb sich die Finger.
Die Glocke schlug oben im Hof. »Jonas, lauf hinauf, ehe wir anfangen, dich zu feiern. Rasch. Spute dich. Sag meinem Leibdiener, du hättest einen Auftrag von mir zu bestellen. Sag’s dem Kammerherrn in meiner Vorkammer. Wenn man mich suchen sollte – ich hielte Sitzung ab. Sie sollen’s dem Abt Anton bestellen. Hier hast du meinen Ring, und bring ihn gleich wieder.«
Der Narr schaukelte den Kopf: »Ich soll nicht erzählen, wo du sitzest?«
»Nicht erzählen, Jonas.«
»Was wird mein armer Buckel dazu sagen?« quarrte er.
»Scher dich!«
Atemlos kam er bald angestürzt: »Sie waren hinter mir her. Ich hab’ sie irregeführt.«
»Mein Ring.«
Der Narr hatte ihn an.
»Schelm, gib den Ring.«
Ferdinand spie, während er den Schalk schüttelte: »Zu saufen, Kerl. Was du hast. Ich hab’ Durst, Kerl.«
Der entwischte, blieb weg, laut schmatzte er in der Nähe. Ferdinand taumelte zu ihm in den Winkel, wo eine Laterne brannte; da stopfte der Kobold Rettich, trocknes Brot. Ferdinand brüllte lachend: »Verfluchtes Vieh«, riß den Korb her; der Schalk hielt sich schreiend am Henkel, sie stopften rissen schluckten und spien zerrten. Das Katzenfell, das rutschte, legte sich Ferdinand immer wieder auf die linke Schulter. Allein ließ er hingestreckt seinen Becher vollaufen, schlürfte, während ihm der Kopf wackelte und er den Korb vor die Brust zog. Plötzlich machte der Narr einen Ruck, kroch mit seiner Beute zehn Schritt davon, kreischte giftig: »Nichts kriegst du mehr! Verrecken kannst du, Dieb abscheulicher.« Er saß im Dunkeln versteckt. »Gibst mir Rettich, du Hund?« »Verrecken kannst du.« Ferdinand kroch auf allen vieren mit baumelndem Kopf, rief heiser, drohte bettelte. Der Schalk verzog sich weiter. Listig bat der Kaiser: »Ein Stückchen, Herr Doktor, bloß ein Stückchen.« »Nichts, gar nichts. Nicht die Krume kriegst du Strolch.« »Ich will was haben«, brüllte der Kaiser, »ich kann nicht verrecken hier.« »Du Dieb, ich werde dir zeigen.« »Was habe ich dir getan, Jonas?« »Nichts. Verrecken! Verrecken!« »Ein Stückchen.« Ferdinand saß unter einem laufenden Faß, flennte: »Nichts gibt er mir. Seht den Kerl an, den Jonas. Den ganzen Korb hat er voll. Das wird kein Doktor.« »Verrecken.« Da hob Ferdinand, sich auf den Bauch werfend, an der Katzenleiche ausgleitend, mit den Beinen strampelnd, sinnlos aus vollem Halse brüllend, die Arme auf, schmetterte sie auf den Boden, salbte sich aufbäumend sein Gesicht mit dem Schmutz: »So behandelst du mich, so behandelst du mich. Ich verklag’ dich.« Wütend rutschte der Zwerg heran, schlug von hinten mit dem Korb gegen seine Beine. »Verklagen, du mich? Du Dieb.« »Er bringt mich um. Hilfe. Grausame Not. Was habe ich dir getan?«
»Verleumder, mich willst du verklagen.«
»Laß meinen Fuß.«
Oben stiegen Leute scheltend heran, warfen Licht in den Raum.
Der Zwerg geiferte frohlockend: »Jetzt sieh zu, wie du auswischst! Haha. Vor denen da! Du Dickwanst.« Johlte gegen das Gewölbe bei Ferdinand: »Hier bin ich! Walkt den Dieb!«
Kroch weg, schleuderte seinen leeren Korb zurück, meckerte vergnügt, mit dem linken Schuh des Herrn klappernd; dicht zu ihm schlüpfend, drehte er einen Hahn auf; der Weinstrom prasselte auf die Steine. Da heulte beim Anblick des leeren Korbs der Kaiser vor den beiden Küferknechten, die ihn drohend anhoben, dann den beschmierten Sabbernden zitternd zurechtsetzten.
»Alles hat er gefressen. Er ist schlecht. Es ist kein Gelehrter. Er ist ein Siebenfraß, ein unbarmherziger. Mich läßt er verrecken. Fangt ihn doch. Den Unbarmherzigen, den Gottseibeiuns.«
GRAF JOHANN Paar war seit Hoheneich nicht am Hof erschienen. Ferdinand sagte knirschend zu Frey, der sich vor ihm entsetzte: »Ich will gnädig mit ihm verfahren, mit dem Hans. Will ihm nicht Hatschiere schicken, sondern dich und den Jonas. Ihr beiden sollt ihn holen.« Dann schwankte er lange, ob er nicht seinen Leibkammerdiener schicken sollte. Gebunden wurde dann eines Nachts Paar von den Hatschieren auf einem Wagen in die Burg gefahren, ohne Hut, ohne Degen, wie sie ihn in seiner Stadtherberge ergriffen hatten. »Wahrhaftig«, höhnte der Kaiser, der ihn in der Schlafkammer sitzend empfing, »der Graf Paar.«
Dünnlippig stand der da, die gefesselten Hände auf dem Rücken. »Ich war ehrsüchtig«, erklärte er langsam, »der Molart hatte mich gereizt. Ich hab’ mich von der Eifersucht auf Molart bewegen lassen.«
Der Kaiser lachte giftig. Der blieb dabei: er bereue. Ferdinand fragte: »Das war es, das war alles?«
Paar dachte an die Stöße, die er erduldet hatte; langsam wiederholte er, er sei eifersüchtig auf Molart gewesen. Der Kammerdiener mußte ihm die Fesseln abnehmen; es stünde ihm frei, in seine Heimat zu fahren. Er sah nicht, wie der Leibdiener sich beiseite wandte, die bettelnden, zerreißenden Blicke des fast unbeherrschten Ferdinand, sah nicht, daß Ferdinand schrecklich erblassend im Begriff war, wackelnd auf seinem Sitz sich an seine Brust zu werfen.
Er fiel vor Ferdinand auf die Knie; starren rachsüchtigen Herzens sagte er: er bereue.
Der Kaiser bat ihn entsetzt um Entschuldigung, hieß ihn gehen.
BEI DER zweiten Besprechung, die Digby auf den weiten geweihprunkenden Korridoren der Alten Residenz zu München mit dem Geheimrat Richel führte – einem Herrn so groß wie er, so breitschultrig wie er, mit glattrasiertem verärgertem bäurischem Gesicht, mißtrauischen Blicken, von unbestimmtem Alter –, meinte der Herr am Geländer der Wendeltreppe zu ihm, wenn es dem englischen Edlen beliebe, nach Thalkirchen oder sonst in die Umgebung zu spazieren: es sei sehr schön hier, die Witterung gut, er möchte es nicht versäumen; des Herzogs Bescheid träfe ihn rechtzeitig. Digby amüsierte sich vor den Pfälzern, daß dieser furchtbare Unruhstifter, diese männliche Kriegsfurie, der Maximilian, nicht aus dem Beten herauskäme; wenn man nach ihm frage, immer heiße es; er ist zur Messe, er hält Andacht, heute Beichte, morgen Beichte, der Herzog belagere förmlich den lieben Gott. Er witzelte in seiner selbstvergnüglichen Art: ob der Max vielleicht darum so viel bete, damit kein anderer an Gott herankäme.
Schwere Luft wehte in München. Das mönchisch strenge Wesen des Hofes drückte auf die Stadt. Fensterln und Gunkeln war verboten, die üppigen gemeinsamen Badestuben aufgehoben; still trollten des Herzogs Maximilian einzige Freunde, die Brüder vieler Orden, Nonnen durch die Straßen der Stadt; Weibsen, die zu kurze Röcke trugen, Männer, die in Spinnstuben lachten, wußten, was ihnen drohte; in Eisen auf Wochen, wen die Lust anwandelte zu schuhplatteln. Lord Digby zog in krebsrotem Gewand zu Roß über den Großen Markt mit einem Schwanz von zehn gemieteten Knechten, purpurn wie er; er mußte es tobend dulden, daß beim Aveläuten sich keulenbewehrte Büttel auf sie stürzten, sie auf die Erde warfen und nicht eher sich erheben ließen, als das Geläut zu Ende war. Vor den Obersten Hofmeister, den majestätischen hochgeborenen Grafen Johann zu Hohenzollern stürmend, fand er keineswegs ein Ohr; es schien sogar, als ob dieser Graf Mißfallen darüber empfand, daß die Büttel nicht auch ihn selbst niedergeworfen hätten.
Nun langten die erstaunlichen Briefe des Kaisers Ferdinand bei Digby an, von vielbemerkten kaiserlichen Kurieren getragen, Briefe, über die sich nicht schweigen ließ. Digby geriet in immer größeres Entzücken; er begann für sein Verhältnis zum Kaiser Ausdrücke zu finden wie: der könne ihm nicht entwischen. Er unterließ Antworten nur, weil er nicht wußte, welche familiäre Anrede er dem Kaiser geben sollte. Ohne weiteres langte er eben angekommene Briefe, oft unentsiegelt, lässig dem Rusdorf oder dem weniger gewiegten Pawel; es war Langeweile, was ihn dazu veranlaßte. Prahlende Äußerungen stieß er in der Öffentlichkeit aus; er drohte, er gebe dem Herzog noch zwei Wochen Zeit zur Besinnung, dann kümmerte er sich um nichts; wagte es, während die Räte sich in der Masse versteckten, an einer Prozession bedeckten Hauptes herausfordernd vorbeizureiten. Die Räte waren verständnislos für die Briefe des Kaisers. Schon traf Rusdorf beklommen Anstalt, sich dem sehr gnädigen Digby wieder zu unterwerfen. Da blieben die Briefe aus. Digby, größenwahnsinnig, merkte tagelang nichts; argwöhnisch, schließlich spöttisch forschte Rusdorf. Nach einer Woche wunderte sich der Lord. Vielleicht, daß er hätte antworten sollen; aber es machte ihm zuviel Mühe; irgend etwas nagte dazu an ihm, lähmte seine Hand; seine Gedanken sprach höhnisch der spitzgesichtige Rusdorf aus: der Kaiser hätte ihn zum besten gehabt. Einen Boten fertigte Hals über Kopf der Brite ab nach Wien, den Kaiser fragend; er kam zurück mit dem Briefe und einem Vermerk der Hofkanzlei zu Händen des Abtes Anton: das Schreiben trüge irrtümlich die Adresse des Kaisers. Die Wut dröhnte durch den Lord, er war betrogen, planmäßig, England planmäßig verhöhnt. Die Augen der Räte leuchteten.
Die Torwache hatte dem Herzog gemeldet, daß Kuriere in den erzherzoglichen Farben fast täglich zu dem englischen Gesandten liefen; der Kammerdiener Verdunk erkundete, berichtete Näheres. Da traf Maximilian Anstalten zu antworten.
Die Sorte Bauernmädchen bei Thalkirchen behagte Digby vortrefflich; er griff zu; Liebesszenen arteten in Schlägereien aus: das gefiel ihm. Die beiden bayrischen Ehrenkavaliere waren sehr besorgt, daß es zu Zwischenfällen käme, wollten gern schweigen, auch die Pfarrer besänftigen, denn der Engländer verspielte wilde Summen an sie und ihr Gehalt war mager.
Schon vier Wochen trieben sie zu dritt ihr Unwesen rings um Thalkirchen; da stand eines Nachts der Graf von Bristol hinter seiner Herberge in einem Kohlfelde, hatte eine Zaunlatte in der Hand, verteidigte sich gegen einen anspringenden messerbewehrten untersetzten Bauernburschen, der weite Hosen und sonst nichts trug. Digbys seidener Schlafrock war bis über eine Schulter aufgerissen. Und während des Kampfes, der von beiden Seiten stumm mit großer Entschlossenheit geführt wurde, erleuchtete sich der Himmel mit einem auffallenden, immer stärker und breiter flammenden Rot. Beide sahen unruhig beim Schlagen und Zustoßen auf, kamen überein, den Kampf auszusetzen, in der nächsten Nacht sich wieder zu treffen.
Der Lord weckte, da sich zudem ein ferner ungewöhnlicher Lärm erhob, seine Herren, die erschreckt den Schein sahen; es klang, als ob in einem riesigen Feuer ganz München zusammenprassele, dann wie eine Schlacht mit Menschengeschrei Wagengefahre Schießen. Sie liefen auf einen Hügel. Der Feuerschein stand über München. Erregt standen sie; ob es nicht bald Morgen würde; der Weg durch den Wald war im Finstern ungangbar. Mit dem ersten Grauen zogen sie die Pferde aus dem Stall; schwarz traten die Bäume aus der Dämmerung hervor, die Dorfstraße wurde kenntlich. Lord Dibgy saß zuerst oben; in seiner Ungeduld stürzte er sogleich, fluchte, blieb im Steigbügel hängen. Der heranstolpernde Bursche, mit dem er gefochten hatte, half ihm freundlich auf; sie winkten sich zu. Roß hinter Roß trabten sie vorsichtig durch die Waldung. Das Rasseln Klirren Dröhnen wurde vernehmbarer. Die Hauptchaussee auf München war erreicht; da standen zehn Mann mit Musketen quer über dem Weg: Durchritt auf München untersagt; wollten sie in die Stadt, müßten sie im Bogen herum durch den Wald. Keine Auskunft; ständen seit dem Abend hier. Als sie zu dritt auf die von Süden einfallende Chaussee stießen, war der Weg verstopft und es war die bayrische Armee selbst, mit Fußvolk Artillerie und Reiterei, mit Troß Bagage Munition und allem Volk, das durch München rückte. Es ging nach Norden. Digby wurde mitgerissen; war eingekeilt zwischen Wagen. Sie stiegen ab; sie hielten im Getümmel ihre Pferde fest am Zaum, da man sie ihnen mit List und Gewalt nehmen wollte; man ließ das Pech der Fackeln auf ihre Hände tropfen. Sie kamen zwischen zwei Trupps Wallonen. Offen trugen die Herren ihre blanken Degen in der Hand. Dem Lord gelang es, vor dem Austritt aus der Stadt sich herauszuhauen; die beiden anderen kamen nach Stunden zum Vorschein ohne Degen und Hut, nachdem ihnen ein geschmeichelter Kornett zu ihren Pferden verholfen hatte. Stundenlang mußte Digby in seiner Herberge sitzen in heftigem Zorn, denn die Straßen waren überfüllt. Er trieb am Abend seinen Kammerdiener zu Richel: wann er ihm eine Aufwartung machen könnte. Statt Antwort kam am folgenden Vormittag ein unbekannter Herr in Jesuitentracht zu ihm mit einem kurzen Empfehlungs- und Beglaubigungsschreiben des Geheimrats: dies sei der gestrenge, besonders vertraute, vielliebe Herr von der Gesellschaft Jesu, der Pater und gelehrte Doktor Jakob Keller, Rektor des Münchener Kollegs, in alles wohl eingeweiht und dem britischen Gesandten zu schuldiger Observanz bereit. Er erklärte mit lieblichen Worten, des Herren williger Freund um so mehr zu sein, als er eben zurzeit den Besuch des englischen Jesuitenprovinzials Partius empfangen habe, der überaus angenehme Zeitungen aus diesem wohlregierten Lande gebracht habe. Der Anblick des Paters, der ihm gleich diesen fatalen Knüppel zwischen die Beine warf, vermehrte seinen Zorn; er begehrte zu wissen, was der Herr Rektor bei ihm abzulegen hätte. Und als sich der friedlich zu Rede und Antwort erbot, toste er los, was dies sei, dieser Heereszug mitten im Frieden, während der Friedensverhandlungen; welche deutschen Methoden sich hier kundtäten nach den freundlichen, huldreichen Worten des Kaisers. Was den Herrn Rektor, der sich zu setzen verschmähte bei Seiner Gnaden dem Lord und Grafen, ehrlich betrübte, sofern nämlich ihm nichts bis zu diesem allerdings wichtigen Augenblick von einem Frieden bewußt sei zwischen der bayrischen Durchlaucht und dem proskribierten Ächter, vielmehr übe der Herzog im Namen des Heiligen Reiches, wie verabredet, die Exekution gegen jenen aus, der in der Oberpfalz erschreckend hause; man würde bald das bedauerlich heimgesuchte Land von seinen Brandschatzern befreit und in den allgemeinen deutschen Frieden einbezogen haben. Auch Digby blieb an seinem Stuhl stehen, fragte heiser, warum man aber, warum aber der wohledle Herr Bartholomäus Richel, Seiner Durchlaucht in Bayern Vizekanzler und Geheimer Rat, ihm dies verschwiegen habe bei seinem zweimaligen Besuche, wiewohl des längeren und breiteren Kriegs- und Friedensfragen durchgegangen seien. Warum habe man oder Herr Richel angehört, daß er beruhigende Depeschen nach England und dem Haag schickte.
Oh, man werde doch nicht wagen, einem erfahrenen Gesandten von dem Rufe des Lord Digby Vorschriften zu machen über seine Depeschen. Wie überaus erfreut Herr Richel, dieser würdige und fromme Mann, von dem Besuche und der ausgesprochenen Friedensliebe des hohen Gastes gewesen sei, wie sehr er bedauert hätte, nicht auch die beiden pfälzischen Räte zu empfangen, die sich auf Abgabe ihrer Instruktionen und Denkschriften beschränkt, könne er bezeugen. Bei längerdauerndem mündlichem Verkehr der beiden Parteien, daran zweifle er, der Jakob Keller, nicht, wäre ihr Verhältnis zum wohledlen Bartholomäus Richel noch herzlicher geworden, und er hoffe auch jetzt noch, daß man keinen Vorwurf auf diesen untadligen Herrn werfe.
Dies sei also ein Krieg zur Besetzung der Oberpfalz? Es könne doch nicht bestritten werden.
Keineswegs. Keineswegs könne es freilich auch behauptet werden. Es sei die Reichsexekution gegen den Ächter Mansfeld, der auf oberpfälzischem Boden stände.
Digby warf den Stuhl ab; diesen Boden verteidige sein Herr, sein Landesfürst, ferner der Kurfürst Friedrich; gegen ihn kämpfe der Bayernherzog, man solle es zugeben und nur schnöde die Verhandlungen brechen.
Beliebe der Herr solche Untat nicht von einem frommen Mann wie Richel und gar Herzoglicher Durchlaucht zu glauben. Die Verhandlungen sollen um des Erlösers willen nicht abgebrochen werden, der ganze tief religiöse Standpunkt der bayrischen Regierung widerstrebe einem kriegerischen Wesen, immer sollten die Verhandlungen weitergehen, immer weiter. Ja, er, der Keller, sei hier, um die Punktation zu fördern.
Verhandeln? England jetzt verhandeln? Er warne den Herrn.
Der Pater schaute in seinen Hut. So läge es gewiß nicht an Bayern, wenn das Friedenswerk nicht gefördert werde; das betrübe ihn bitterlich. Gerade in diesem Augenblick würde man ergiebig verhandeln können und zweifellos am besten nach der Vollendung der Exekution. So müsse er »Vale« sagen.
An der Tür meinte er lächelnd, bevor er sich bedeckte: so wisse er freilich auch nicht, ob er bei dem Herrn Lord die Geneigtheit des Herzogs vorbringen sollte, ihn in Audienz zu empfangen; eben sei der Herzog zurückgekehrt; sein erstes sei die Frage nach dem Unterhändler gewesen.
»WO HABT Ihr gesteckt, Ihr Herren; hinter dem Gitter, im Affenkäfig? Habt Ihr geschaut, gewinkt, wie sie Trompeten geblasen haben? War ein Spaß, nicht wahr?«
Rusdorf hatte sich bei anhebendem Getöse nachts aufgemacht, hatte sich von der zechenden Stadtwache zwei Begleiter erzwungen, war mit ihnen, während Pawel die Papiere im Losament bewachte, das jeden Augenblick unter Vorwänden geplündert werden konnte, zur alten Residenz, zum Richel, Jocher oder wen er träfe, gedrungen, um inständig Auskunft zu erbitten. Hatte sich vor die verschlossenen Tore drohend gestellt, war wegen seiner Neigung, französische Brocken zu gebrauchen, für einen Spion von einem vorüberziehenden Schwerereitertrupp gehalten worden. Die Stadtwache verließ ihn auf finsterer fackeldurchwehter Straße; man beschimpfte und kujonierte ihn. Troßbuben Sergeant Profoß, wen er fragte, jauchzten aber dasselbe: »Es geht auf die Oberpfalz.« Keine neue Frage änderte die Gewißheit: man überfiel mit Übermacht sein Land, sein Heimatland. Dann bebte Pawels Schlafkammer unter dem verzweifelten Wutgeschrei des bettgeworfenen kleinen Rats und dem bitteren Gestöhn des kniend betenden anderen. An ihre Fenster schlug der freche Lärm der vorüberwandernden Regimenter, das Fauchen des verwüstenden siegesdurstigen räuberischen Heereswurms, Fackellicht auf Fackellicht bläkte gegen ihre Decke; die Nacht rückte vor. Volkes kein Ende! Ihr armes Land sollte ersäuft werden.
Als Digby mit zerrauften Kleidern wild am Morgen in ihre Zimmer fuhr, schwankten sie übernächtig zorngebläht vor ihn; er mußte sich erschreckt den Hut abreißen, in eine Ecke drängen, sie schienen halb wahnsinnig ihn meucheln zu wollen. Schrien »Verrat« über ihn: »Der Herr hat uns an den Bayern verkauft, er hat es uns angedroht, er hat es getan; ein Pfaffenhund ist er.« Er zog sich knirschend zwischen ihren Degen an die Tür, sie wollten ihm nicht glauben, daß er selbst übertölpelt sei; erst standen zwei Hunde vor ihm, jetzt wiesen schnarchende Bestien ihm Zähne. Nicht Digby war es, sondern Pawel, sich am Stock schleppend, der befahl mit einer knirschenden Ruhe, sogleich aufzubrechen aus Bayern, das treulose verlockende höllische Land zu verlassen und sich zu Mansfeld zu schlagen. Die Wagen wurden ihnen vom herzoglichen Hofe nebst Salvaguardia an alle Truppenteile gestellt, das Bedauern ausgesprochen, die Herren so eilig zu sehen.
Hinter Amberg stießen sie nach Tagen auf die schwärmenden Vorhuten Mansfelds. Sie ließen den Grafen von Bristol nicht los, bis er die kostbaren Geschenke des Kaisers Ferdinand mit Einschluß der goldenen Waschschüssel verkauft, den Ertrag gezwungenermaßen dem Bastard geschenkt hatte. Nach einer furchtbaren Szene zwischen den dreien in der Gegend von Cham hinter dem abgebrochenen Hauptquartier des Feldherrn verließ Digby die deutschen Herren, verließ über Brüssel bläkend rachedurstig den Kontinent.
Die beiden wandten sich nach Norden, nach dem Haag, an den Pfälzer Erzratgeber, den Doktor Ludwig Camerarius. Rusdorf wollte nicht säumen, nicht rasten; das bayrische Heer, die Wiener Tage brannten in seinem Herzen; er trug die Flamme weiter; Camerarius hieß ihn den Dänenkönig und den Schweden aufstacheln.
Pawel trennte sich bei der Abreise aus dem Haag von ihm; er lehnte weitere Gesandtendienste ab; sehr freundlich und gütig sagte der schwermütige kranke Mann zu dem springenden anderen: »Es ist gut, was der Herr vorhat, mein Segen ist bei Ihm. Doch wird Er sehen, wir haben die Fortuna nicht auf unserer Seite. Wird bald alles wieder anfangen wie in London und Wien; werden betteln; man wird uns nichts ersparen. Ich bin dem nicht gewachsen.« Mit vieler Liebe umarmten sie sich vor dem Postwagen; auch Rusdorf zerbiß sich schluchzend den Mund.
Als Doktor Jesaias Leuker, prächtig in Zobel getan, einen goldenen Gnadenpfennig an der Halskette, blutroten Gesichts die kaiserliche Anticamera betrat, stand gebückt ein schwarzer ungeheurer Mann neben dem Stuhl des Kaisers, der Beichtvater Lamormain, ein Luxemburger. Bemalte Leinewand und bunte Tafeln waren auf dem Teppich vor ihnen hingeschichtet. Ferdinand hielt den Kopf gesenkt, als Leuker vom siegreichen Vormarsch auf die Oberpfalz berichtete. Als er sein mattes aufgedunsenes Gesicht ihm wieder zugewandt hatte, sagte er halb fragend zu Lamormain und dem Bayern zugleich: »So möge Unser frommer Schwager auf dem Zuge von Uns jeder Hilfe und Vorschubs gewärtig sein.«
Und während er den Blick suchend richtete auf das Bildchen in seiner Rechten – die blaumantlige Maria mit dem geneigten Haupt, einen goldenen Stern auf der rechten Schulter, in einem Schutthaufen am Tiber von Dominicus a Jesu Maria gefunden –, war plötzlich ein Licht in ihm erloschen; er sah sich an der Wand auf einer schwarzen Bank in einer finsteren Kammer sitzen, sich langsam aufrichten, die Hände an die Schläfen legen, zusammenlegen zum Gebet; und er sprach nach, ohne es zu verstehen, was dem Gebundenen auf der Bank von den Lippen ging: »Es ist geschehen. Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes.«
AUS SEINEM Bau, um den herum er mit Schonung fraß, stöberte das bayrische Heer den Bastard von Mansfeld. Von da strömte ihm, wegweisend, pestilenzialischer Geruch entgegen. Eine Seuche war in dem Lager bei Beidhaus ausgebrochen, hatte sich mit Werbern Fourieren Streifkorps beutemachenden Tummlern blitzartig durch die Wälder und Berge verbreitet, zuckte unter Bauern und Knechte, gepanzerte Kürisser, Musketenträger. Aus den Tümpeln stieg die Brut der Mücken und Stechfliegen. Unter der schilfdurchstochenen Oberfläche der Wasser, dicht am Spiegel, hingen die Millionen Larven wie herrenlose Naturtrümmer, gleichmäßig Luft saugend durch ihre kleinen Atemröhren. Dick schwoll ihr Kopf an, hob sich über den Spiegel, die Schale zitterte, knisterte, spannte sich, riß über der Schläfe, seitlich; langsam drängte sich das lange junge Gebilde durch, engangelegt Fühler Glieder Flügel, rastete, sich spreizend, auf einem Blatt der Wasserlinse, hing flügelspannend großbeinig an einer Schilfscheide. Surrte in der Dämmerung aus. Die Luft mit Zirpen und feinem hohem Singen durchadernd. Spürsame surrende Mücke mit schwankendem Ringelleib, vor sich zwischen hauchartigen Fühlern gerade ausgestemmt den langen Stechrüssel, der wie ein Spieß steif auf dem Köpfchen wuchs, vor dem Prellbock des klobigen Brustwürfels. Das trug sich tausendfach, zehntausendfach, millionenfach durch die Abendluft mit gläsernen Flügelchen. Setzte sich an den Mund, an die Stirn, auf die Hand, die ein Brot brach, an den Hals, zwischen den geschnittenen Bart des Kornetts und Rittmeisters und die venezianischen Kragen. Riß sich einer, vom Pferde springend, schweißbegossen das Wams auf, kühle Luft gegen nasse Brust gehen zu lassen, so krallte sich das kleine Flügelwesen ungesehen an die warme Haut, sog sein Tröpfchen Blut, speichelte im Biß ein Tröpfchen Gift ein. Dann konnten die Soldaten auf ihre Jagd gehen, die Leute an Torsäulen und Brunnen aufhenken, das Vieh forttreiben, gewaltig prassen – inzwischen liefen die Fieber durch ihre Körper, Abend um Abend, verwandelten ihr Blut in einen tropischen Sumpf. Kornetts mochten brüllen, den sauren Wein dieses Jahr in Kannen schlucken, gefahrdrohend auf ihren Gäulen vor hundert Mann durch die stillen schornsteindampfenden Dörfer segeln, Leder vor der Brust, dichtmachende Papiere um den Hals, breitbackig und heiß auf den übersättigten Tieren: es vibrierte in den Knien, der Koller mußte herunter, die Waden waren schwach, vor den Augen flimmerten Regenbogen; das Frieren und Zähneklappern fing an, die Nacht lag man im Heu, im Bett, drohte heiser, als wäre nichts, und tags darauf war man schwächer, von Ritt zu Ritt gespenstischer. Und das fiel über die Obersten, die Pikeniere wie über die Huren und ihre Weibel. Die Seuche tötete nicht viele. Wen sie befiel, den machte sie schwach und noch rasender, als er schon war. Wer starb, verweste, wo er fiel. Gelb, schwach lachend ging man umeinander in der Hitze.
Bis noch das Gerücht sich verbreitete, erst im Lager bei Beidhaus, dann in Weiden, im Markte Kohlberg, es hätten sich Leute gefunden, die ein neuartiges Wesen von Krankheit zeigten. Pestbarbiere erzählten verstört von Bauern, die eine neue Krankheit in ihren Betten hätten. Die Läuse fielen das Heer an. In den geraubten Wämsern Leintüchern Betten Pelzen Schabracken wuchsen sie an den Söldnern hoch, die im Schmutz der Wälder und Straßen verkamen, machten feuchte und trokkene Krätzen; bei sehr vielen geschah es unversehens, daß das tierische Gift sich in ihre Adern senkte. Sie begannen irre und fiebrig zu reden, manche zu rasen, Ausschläge bis zu Erbsengröße erhoben sich auf der zerbissenen Haut, Blutflecken sprossen in grausenerregender Weise hervor; schlafsüchtig, taub gingen sie, wo sie sich hingeflüchtet hatten, gemieden, eingesperrt, dazu verhungert zugrunde. Ohnmächtig sprachen die gelehrten Schüler des Paracelsus von den merkurialisch-schwefligen Zeichen der Seuche, von den merkurialisch-salzigen, dem Heißhunger, den Harnbeschwerden, der Wasseransammlung in den Beinen, Blutspeien, Brustgeschwulst, Melancholie.
Eine Verwarnung Maximilians ging an sämtliche Stände der Oberpfalz, ging dem drängenden Heere voraus. Stark, gut gewaffnet, wohlstaffiert rückten die Söldner vor; man sah ihnen das Geld an, das der zusammenraffende Herzog an sie gesetzt hatte. Da wich der geschwächte Mansfeld zurück, hinter Amberg, streckte die Pfote aus gegen Maximilian mit einem offenen Grinsen, das der verstand. Es kostete sechshundertfünfzigtausend Dukaten, daß der Bastard sich auf die Beine machte; mit dem gleichen Grinsen erbat er sich und wurde ihm gewährt eine vierzehntägige Wartezeit zur Wahrung seiner Ehre, bis ein Bescheid des verlassenen Pfalzgrafen Friedrich zur Billigung des Akkords einträfe. Dann huschte er, das hungrige Volk hinter ihm, aus dem üppigen Land heraus, das er nicht hatte abgrasen dürfen. Zwanzigtausend Mann hatte er noch, fünfhundert Bagagewagen und einen starken Troß. An der Grenze des Landes war es, wo er Digby traf, den englischen Gesandten, der, gefolgt von den beiden Räten, ihm vierzigtausend Gulden gab, bittend, daß er die Pfälzer Partei nicht verlasse. Der Bastard, der verkrüppelte Wicht mit der gespaltenen Oberlippe, der Hasenscharte, nahm an, dankte, huschte weiter. Über die Grenze weggetrabt, stieß er seinen gellenden Kriegsruf aus, brünstiges Gebrüll der Söldner hinter ihm, die Reiter atmeten Luft. Maximilian hatte ihn auf die Unterpfalz loslassen wollen, wo die verhaßten Spanier saßen, denen der Bayer das Land nicht gönnte. Mansfeld pfiff; der Rhein lockte.
Durch Ansbach Hall, über Mannheim auf Speyer; sündhaft reich das Bistum. Da hamsterte schon der englische Freibeuter Horatius Veer. Rasch hatte der einen Hieb vor die Schnauze. Die Gäule in die Ställe; Muskete auf der Schulter, Pike in der Hand, knurrend die Mägen zogen sie auf Menschenjagd. Schossen durch die Fenster, in die Scheunen, unter die Betten. In die Kirchen stiegen sie ein, vor den aufgesprengten Portalen machten sie die Pulverprobe, übten Anfänglinge im Treffen auf Heiligenbilder, die stillhielten, und schreiende Kinder. Priester samt Gemeinde schossen sie ab von den Fenstersimsen; nachher gingen sie in die Ecken, hoben den Rest auf Piken. Sie bestrichen ihre Schuhe mit dem Heiligen Öl und Chrisam, zu Rotten trieben sie die Weiber und Mädchen zusammen auf Marktplätze, in Scheunen, in Waldlichtungen, verderbten sie am hellen Tag mit Unzucht. Wenn sie sich schnaubend von ihren Späßen erholt hatten, wischten sie sich die Mäuler, nahmen ein Bad mit den Weibern, die sie unter das blasenquellende Wasser hielten, bis sie sich ruhig gezappelt hatten. Da wollten sich einige üben im Menschenfleischessen, mußten es aber zum Gelächter der anderen aufgeben, meinten, katholisches Fleisch schmecke sauer. Wollte ein Bauer frei sein, mußte er den Kot eines anderen fressen, den der eben gelassen hatte; ging es nicht rasch, erstickten sie ihn kopfüber in dem warmen Gesudel. In der Wollust der Grausamkeit gingen sie wie Wahnsinnige herum; nicht viel fehlte, daß sie mit den Steinen am Wege zu kämpfen anfingen, die Vorlauben niedermetzelten, die Luft anspien, daß sie die Pferde zwischen ihren Schenkeln mit Stichen zu Tode quälten. Junge Weibsbilder, an denen sie ihren Mutwillen verübt hatten, lagen tagelang tot, unbekleidet, halb verbrannt auf offenen Wegen; die Bauern in den Nachbarhäusern wurden gehindert, sie zu beerdigen; wer sich daran machte, dem wurde der madenwimmelnde Leichnam in die Stube gelegt. Sie konnten sich nicht lange in den Stiftslanden aufhalten; trafen ausschwärmend bald nur leere brennende Dörfer, flammende Kornscheuern. Einige hetzte die Wildheit, daß sie toll gegen die heimflutenden Bauern rannten, süchtig, selber gemartert zu werden.
Der überschäumende Mansfeld, seine blutrünstigen Horden schwangen über den Rhein zurück nach Osten gegen den Neckar. Ein rasender anderer Rebell erwartete sie da, der alte Markgraf von Baden-Durlach. Dem hatte es die Lebenslust weggefressen, daß er nicht Erbe sein sollte der oberen Markgrafschaft, weil er Protestant war. Mit zwanzigtausend Mann, vierzig Feldstücken, fünfunddreißig kleinen Geschützen, siebzig Wagenmörsern, achtzehnhundert Wagen stand er am Tage nach Christi Himmelfahrt auf den Höhen zwischen dem Neckar und Böllingerbach; überschüttet alle Täler und Berge unter dem blendenden Maienhimmel vom jungen Grün, von weißer Apfelblüte. Vor Glück wollte er zerbrechen in seiner schwarzen Eisenrüstung auf dem gepanzerten Pferd, als drüben jenseits des Waldes die Ligisten aufzogen, die Bayern voran; inmitten der Hakenspieße Streitäxte Reiterhämmer, des klingenden Kompagniefeldspiels schrie der Graubart, sein schweres schottisches Schwert mit beiden Fäusten über sich hebend: »Sie müssen unser sein! Was wollen sie gegen uns!« Einige Stunden darauf war das Grün jung wie vorher, die Apfelblüte schimmerte wonnig, das badische Heer zerschmettert wie loser Kalk am Boden, der alte Markgraf, von Qualen geschüttelt, von wenigen Offizieren gefolgt, auf dem rasselnden Pferd durch sanfte Wälder über träumende Wiesen zwitschernde Gärten nach Stuttgart, daß sich der Württemberger seines Sohnes annähme und die Flüche auf die Bayern höre.
Die siegesheißen Ligisten, Bayern an der Spitze, schoben sich in die Kurpfalz; das Land wehrte sich nicht, sein Herr irrte mit der englischen Königstochter im Elsaß herum. Die Kartaunen und Mauernbrecher der Überwinder, zu Hunderten versammelt, noch glühend wie ihre Führer, heulten Tag und Nacht auf den Bergen vor Heidelberg; als der Sitz des flüchtigen Kurfürsten brannte, ging ein Freudenschauer durch das Heer; über die blanke, dunkle Platte des geschlängelten Flusses warfen sie sich. Geplündert Heidelberg, geplündert Mannheim.
Zu dem Heere stießen Völker aus Böhmen Mähren Spanien. Und wie sie sich gegen den Main wälzten, sprang sie der dritte Ächter an, Christian, der tolle Bischof von Halberstadt. Der unbändige Mann konnte kaum lesen, kaum schreiben, an seinem Hut trug er den Handschuh der schönen, flüchtigen Pfalzgräfin. »Alles für Gott und für sie« stand auf der roten Standarte, die seine Leibgarde trug; darauf gemalt war ein doppelköpfiger Adler, dem rechts und links ein Löwe päpstliche Tiara und Reichskrone mit erhobenen Pranken abzureißen suchte. Er kam stracks von Paderborn, wo er in der Kirche die Silberstatue des heiligen Liborius umarmt hatte, dem Heiligen dankend, daß er auf ihn gewartet hatte; er münzte ihn aus zu Trutztalern auf die Pfaffen. Der barbarische Recke und Mansfeld, der Kobold, zogen zusammen. Am Main prallten sie an die anrollende Heereswoge, bei Höchst wurden sie von der Woge verschlungen.
Friedrich schickte Boten an den Bastard und den tollen Bischof, sie möchten, sofern sie noch lebten, zu ihm kommen in das Lager von Zabern. Die lebten beide noch. Mit niedergeschlagenen Augen, wie nach einem mißglückten Selbstmord, fluchend haßgeschwollen schleppten sie sich auf den Muster- und Werbeplatz in der sanften hügeligen Landschaft. In das Wirbeln der Trommeln, zwischen die lockenden Wappenschilder, die geldtragenden Schreibertische, in das Bänderschwingen und trotzige Rumoren der jungen Arkebusiere tauchten sie wie lakenschleppende Gespenster ein. Man schob sie vor ein offenes prächtiges Zelt, aus dem Musik scholl. Hinter ihnen Würfel, auf Trommeln geworfen, Rauch Bratenduft Gebrüll des Viehs. Die Musik zu Ende, hob Mansfeld den kleinen Seitenvorhang, an dem feine Glöckchen hingen. Hinter einem Tisch mit Weinkannen und Bechern, den abgelösten Degen und Gurt vor sich am Boden zwischen den Füßen, saß barhäuptig, das edelgeschnittene Gesicht ihm zugewandt, der blonde Pfalzgraf, perlmutterweiß die Haut, halb schlafend, die ausgestreckten langen Beine in losen Stulpen, mit Spitzen verziert, die offene Jacke aus blauem gepreßtem Samt, silberne brandenburgische Aufschläge an den Ärmeln; weiß quoll das Spitzenhemd an der Brust und den Ärmeln hervor. Er schien die beiden bestäubten Herren für Traumbilder zu halten, zwinkerte öffnete schloß die Augen. Dann riß er sie plötzlich auf, das schulterwallende Haar schaukelte über die Backen; stellte sich, die Hand auf den Tisch stemmend, auf die Beine, erkannte sie, streckte beide Arme nach ihnen, während ihm die Knie zitterten.
Dann nahm er aus ihren Gesichtern sein Verhängnis hin.
Er hielt ihre Finger fest; erst als sie nicht vom Boden aufsahen, ging er ein paar Schritt rückwärts, hob seinen Degen auf, setzte sich, ihn über den Knien, an den Tisch; liebevoll und leise sagte er: »Nun ist wohl Zeit, meine lieben getreuen Herren, daß ich mich für einige Weile aus dem Spiel zurückziehe. Mein Land hin, mein Kurhut hin, meine Kinder Bettler, meine Untertanen Papisten.«
Mansfeld zischte den langen Braunschweiger an: »Gibst du’s auf, Christian? Gehst du zu Max?«
»Spotte Er meiner nicht.«
Mansfeld, nach einigem Zögern, klirrte dicht an den Stuhl des Pfalzgrafen, rauh sagte er: »Kann mich nicht entschließen, dem gottverdammten Habsburg Dienste zu tun, Herr Pfalzgraf, verzeiht mir. Muß mich entschließen, Euch den Dienst aufzukündigen.«
Der Pfalzgraf lächelte todernst: »Nur eine Weile. Habt Geduld mit mir. Der Dachstuhl brennt bei mir, gedenk’ es bald zu schaffen.«
»Bis sich der Herr erholt hat, sei Er meiner, des Mansfeld, sicher.«
»Habt Geduld, Mansfeld.«
Christian kniete tobend, die Fäuste sich vor der Nase schüttelnd: »Gehört Euch jegliches Knöchelein meines Leibes, Herr Pfalzgraf. Ist noch nicht aller Tage Abend. Bin selber krank, bis ich nicht in Papistenblut gebadet hab’.«
Sie schütteten sich am Tisch Wein in den Hals. »Herr Pfalzgraf, Mut!«
»Geht jeder von uns seiner Wege, Ihr Herren«, stöhnte Friedrich, die feine diamantengeschmückte Hand vor den Augen.
Aber während der hitzige Bastard auf die Platte donnerte, schluckte der geschlagene Pfalzgraf hinter seinen verschränkten Händen Tränen mit Wein gemischt. »All verloren, all verloren«, schrie er in seiner Trunkenheit.
Ließ seinen Musterplatz dem Mansfeld. Nach Sedan brach er scheu auf, wo der Herzog von Bouillon wohnte, sein Oheim und Erzieher, der strenge Calvinist. Hielt mit der üppigen Elisabeth kleinen dürftigen Hof, jagte, schlug Ball.
ZU LAMORMAIN, seinem Beichtvater, sagte der Kaiser: »Ich werde gedrängt, abzudanken.«
Erschreckt schloß der Pater den roten Teppichvorhang, der den offenen, nach dem Garten führenden Erker gegen die Schlafkammer abgrenzte, in der sich zwei Kammerdiener bewegten. Still sprach der Kaiser, mit den Knien an die Knie des Jesuiten stoßend, der dicht an ihn gerückt war: »Sie müssen aber noch Geduld haben, die mich drängen. Ich habe Pflichten gegen mein Haus. Mein Sohn hat Anspruch auf meine Unterstützung. Ich muß ihn in den Sattel setzen.«
Lamormain, in die Handteller blickend, schüttelte den geschorenen eckigen Kopf: »Majestät führen eine Regierung, die Gott und die Heiligen sichtbar segnen. Bis in die letzten Tage hinein. Wir müssen gehorsam gegen Gott sein; er hat seinen Willen ausgesprochen, es darf nicht beim Dank verbleiben. Sein Segen bindet.«
»Ich muß den Ferdinand erst in den Sattel setzen, dann mögen die Herren recht haben. Ich vermag dann nicht länger hier zu sitzen; Pater, glaubt es mir. Sagt ihnen, sie möchten sich solange gedulden.«
Zwischen seine Hände hatte der Pater die rechte heiße Hand des zusammengesunkenen blicklosen Mannes vor sich schlüpfen lassen; bedeckt und umschlossen von den starken Fleischmassen, zwischen den Knochengittern lag sie da; der Luxemburger flüsterte: »Römische Majestät sind von einer argen Schwermut befallen. Ich werde niemandem etwas berichten. Aber mit meinem Beichtkinde um die Gnade unseres Heilands und seiner Mutter beten. Wie gebt Ihr Euch Euren Gedanken hin.«
»Bis Ferdinand gesichert ist, mögen sie sich gedulden. Ich verspreche auch stillzuhalten bis dahin. Man möge mich nicht zum Äußersten treiben. Ich habe es nicht verdient um sie. Ich will Euch sagen, Pater, was es ist. Ich habe den Stolz dieser Männer hier an meinem Hofe und anderswo bis zum Höchsten getrieben, so daß ich nichts mehr bin. Man macht sich Menschen nicht zu Gehilfen und nicht ergeben, wenn man sie beschenkt, wie ich es getan habe; man reizt sie gegen sich auf. Manche von ihnen, ich weiß es, haben öfter lose wackelige Köpfe gehabt, so waren ihre Taten, nicht nur ihre Gesinnungen; ich habe manchen gesehen; vieles wurde mir hintertragen. Ich habe geschwiegen, ich habe sie gebraucht. So habe ich sie geehrt, wie mich niemals etwas geehrt hat. Ich habe mir jeden echten Dank, jeden Lobspruch und Blicklein erringen müssen, ich habe danach kriechen müssen. Aber das ist Menschenart. Man hat mir abgewunden, was ich nie hergeben konnte, ja laßt meine Hand, Pater, man hat es getan. Ich brauch’ meine Hand, um es vor Euch zu beschwören. Man hat mich hier sitzen lassen in diesem Erkerchen, wo ich keinem schaden kann, und gibt mir zu essen und zu trinken; man nimmt mir gar nichts weg, um keinen Argwohn zu erregen bei den Leuten draußen, den Ständen, den Edlen, den Bürgern und was weiter weg ist. Man hat mich aus Bequemlichkeit bei Reich und Regierung gelassen und möcht’ es so weiter treiben. Man wird erbost sein, wenn ich gehe. Ich jammere nicht, mein Mißgeschick ist es; mir wurde nicht mehr verliehen. Aber diese Mauer, die jetzt über meine Schultern fällt, die ich – meine Schande spreche ich aus – selbst habe aufrichten helfen mit meinen Händen, das tut zuviel an mir. Sagt, Ehrwürden, den Herren, den Siegern über Mansfeld und über mich, sie möchten etwas an sich halten.«
»Ich sage nichts, ich sage es nicht, Majestät.«
»Ehrwürden, Pater, an wen soll ich mich wenden. Ich kann sie nicht selber bitten. Ihr seid mir vom Heiligen Vater gegeben zu meinem Beistand. Ihr seid meine Hilfe. Tut mir ein Liebes an.«
DURCH DEN Wind und die graue Nässe schwankte die schwere massige Gestalt des Mannes unter dem viereckigen Hut. Der Regen peitschte die Pflastersteine vor der orgeldurchtosten Augustinerkapelle glatt, in den Gäßchen tat sich ein Morast auf, Rinnsale fluteten aus den Ställen und Schweinekoben. Der alte Jesuitenpater hob und senkte sich im Nebel, hinkend mit dem rechten Bein, er tauchte ungebeugt aus den überschüttenden Wassermassen auf, drang wie ein Keil durch das erbitterte Geprassel vorwärts. Es war schon Abend, die Plätze und Straßen leer; aus den Tanzhäusern scholl die erste Lautenmusik, sie zitterte durch die dicke Luft aus unbestimmter Richtung, suchte wie das Zünglein eines blinden Kätzchens herum. Das Efeugeranke wurde von den überstehenden Balkons abgerissen, hing aufflatternd, gesunken wie ein verwilderter Bart über die Straßen, in den sich vorbeisausende Sänften verfingen, vor dem Pferde sich aufstellten.
Das steilgieblige Haus des Grafen Stralendorf. Die Vorhalle abgeplattet, wie niedergedrückt von dem Wetter. Fackeln, in Eisenringe gestoßen, brannten im Flur. Vor der Wendeltreppe hielten zwei Pikeniere der Stadtgarde den ungestüm eindringenden triefenden Schwarzhut zurück; er mußte finster warten, bis hinter zwei Kerzenträgern der dürre hohe Stralendorf hustend und augenzwinkernd die Stufen herunterkam und, von dem herrischen Priester angerufen, die Soldaten scheltend zur Seite treten ließ. In einer winzigen Treppenkammer riß sich der Pater Mantel und Hut ab, klatschte sie an den Boden; in dem dicken Schafspelz des Grafen und einer polnischen Kappe stieg er hinter einem hochschäftigen Pikenier den letzten Treppenabsatz hoch. Sie tauchten auf in einem violetten ganz leeren Vorsaal, der von der Fackel des Soldaten mit ungeheuren Schatten und trübem Licht belebt wurde. Grauweich war der Teppich, der den ganzen länglichen Saal auslegte – der Söldner stand hinter dem Pater auf der Schwelle –, und vor den Füßen des kaiserlichen Beichtvaters legte sich furchtbar der Schatten schwarz hin an den Boden, kletterte an der getünchten rankenbemalten Gegenwand hoch, wackelte umbrechend von der Decke herunter mit geschwollenem Kopf. Die Decke kam niedrig herab mit ihren schweren Balken; die Fensterwand war völlig mit gerafften Leinentüchern verhängt. Ab und zu, wenn das Licht stillstand, blinkten goldene Ovale von der Wand, mit sanften Szenen ausgemalt, Rehe, die aus einem Mondgehölz äugten, weidende Pferde. Kein Laut in dem windgerüttelten Haus; bisweilen eine schwache entfernte Stimme, Gemurre, das sich steigerte, als ob im andern Stockwerk Stühle geschoben würden, viele durcheinander sprächen.
Plötzlich trat hinter zwei Kerzenträgern Stralendorf aus einer im Dunkel liegenden Tür. Der Soldat dröhnte die Treppe herunter. Verlegen und langsam, unter Verbeugungen äußerte der Graf, es seien einige Herren zu einer Besprechung bei ihm; es hielte schwer, sie zu verabschieden; ob die Angelegenheit des ehrwürdigen Gastes sich vielleicht in Kürze erledigen lasse. Lamormain fragte ruhig und den Herrn fixierend nach den Namen der Herren; er fügte hinzu, ehe der Herr, der sich den Bart strich, zu einer Antwort gelangt war, es ließe sich vielleicht ermöglichen, daß beide Besprechungen zusammengelegt würden, dies wäre wenigstens ihm das Genehmste, und er dürfe wohl annehmen, daß im Hause des frommen Grafen Stralendorf nichts verhandelt würde, was nicht ein Kind der Gesellschaft Jesu anhören könnte. Er lächelte unverbindlich. Stralendorf schwieg, verbeugte sich, schwieg. Dann sagte er entschlossen, nach der Hand seines Gastes greifend, es sei in der Tat das Bequemste; es sei in der Tat ein glückliches Zusammentreffen; der Pater möchte bei der Unterhaltung nur nicht vergessen, was er etwa ihm Besonderes zu offenbaren hätte.
Das Zimmer, aus dem das Geräusch drang, lag nur zwei Säle entfernt in demselben Stock. In dem engen gewölbeartigen Eckraum, unter den weißen Lichtern von vier Paaren hoher Wandkerzen fuhren die Herren auseinander, die sich mit weitauslangenden Gesten gegenübergestanden hatten, und wichen gegen die Wand. An sich herunterzeigend bat der Jesuit um Verzeihung; er sei auch in dem sonderbaren Kleid der Freund der Herren, Lamormain. Auf einem Tisch am Winkel standen Krüge und Weinbecher; Wein war über den roten steinernen Boden ausgegossen; die Gesichter der Herren erhitzt; zwei Offiziere in Elenkoller hielten sich ihre Degen vor die Brust. Questenberg klobig pausbäckig, rittlings auf einem Schemel, trank ruhig weiter nach dem Eintritt des riesigen Mannes im Schafspelz, hielt über die Lehne vor sich gestreckt seinen Becher. Stralendorf lächelte, die Herren möchten sich in ihrer Unterhaltung nicht stören lassen, sie wüßten, wer der Pater Lamormain wäre. Vergeblich ersuchte der Pater, indem er sich still in den Winkel setzte, fern von den andern, sie möchten seine Gegenwart nicht beachten. Er fühlte selbst die kriegerische Stimmung, in die er geraten war.
Man schwieg hartnäckig. Der hagere Vizekanzler füllte einen gläsernen Jungfernschuh mit rotem Traminer. Schon stand einer der beiden Obersten auf, rüttelte an seinem Schemel, stieß einen halblauten Fluch aus. Da rekelte sich der feiste Questenberg, lüftete seinen spanischen Kragen, füllte sich die Backen mit Wein und fragte schluckend, mit einem stieren Blick auf den ruhig beobachtenden Pater, wer den ehrwürdigen Gelehrten geschickt hätte. Der Oberst, einfallend, machte sporenrasselnd Front gegen den Gast: »Der Herr kommt gerade recht und wird uns wenig verdrießen, von ihm belauscht zu werden. Was wir anbringen, mag gut in seine Ohren gehen.«
»Was könnte wohl den Herrn Julian zu der Annahme verleiten, daß mich jemand geschickt hätte? Und wer sollte das wohl sein?«
Questenberg polterte: »Geht weg, Oberst. Ehrwürden, es trifft uns überraschend. Trink’ Er, Oberst, und lass’ Er’s gut sein.«
Der spitzbärtige Offizier, als wenn er in lustiger Kompagnie wäre, intonierte lachend herausfordernd das Spottlied auf den Pfälzer Friedrich: »Das Heidelberger Faß gar groß, vor Zeit voll Wein, jetzt bodenlos.«
Lamormain nickte herüber: »Vortreffliches Lied, vortrefflich gesungen.«
Der Soldat, dunkelrot im Gesicht, mit schwarzen Blicken, die Stirn runzelnd: »Denkt der ehrwürdige Herr mich zu foppen?«
»Bewahre Gott.«
»Er will mich foppen und wird es bereuen.«
Questenberg stampfte mit den Füßen, brünstig sich schüttelnd: »Weiter, weiter, die Herren!«
Behaglich seufzte der Priester: »Sag auch: weiter, weiter. Aber hilft doch nicht; muß mir alleine weiter singen: ›Er sitzt darauf, sehr schwach und krank vom böhmischen Bürgertrank; sein Magen nicht mehr dauen kann.‹«
In den hallenden Lärm schrie der kleinere schmalgesichtige Offizier, der atemlos gewartet hatte: »Nun soll uns der Pater Lamormain verraten, ob er auch wagen würde, an einem andern Ort so zu singen und zu stolzieren.«
»An welchem denn? Im Konvent? Im Profeßhaus? Auf der Kanzel? Im Beichtstuhl? Liebwerter Herr Oberst, nein.«
»Geglaubt. An einem andern Ort. Von dem er herkommt. Vor einem andern Gesicht.«
Lamormain türmte sich ernst hoch: »Vor welchem mag der Herr wohl meinen?«
»Ganz recht! Denkt weiter! Eben vor dem.«
»Vor –«
»Eben vor dem. Nun!«
»Ihr meint vor dem Gesicht unseres allergnädigsten Herrn.«
»Nun, Herr Pater, wann habt Ihr ihm zuletzt das Lied von dem Winterkönig gesungen, wie sein Magen nicht mehr dauen kann und Länder von sich gibt? Wir allesamt kennen das Gesicht des Kaisers, das er damals geschnitten hat.«
Sie schwiegen im Augenblick. Dies war ein Signal. Finster blickte der massive Priester auf die Fliesen: »Ihr redet eine schlimme Sprache, Oberst.«
»Sprecht einmal«, grunzte und knurrte in die Stille, die Arme wie zwei Balken über dem Schemel wiegend, der verbissene unbeirrbare Questenberg, »wohin hat es geführt, daß wir über die aufständischen Böhmen gesiegt haben? Und wohin hat es geführt, daß Mansfeld geschlagen ist, der Durlacher dazu? Jetzt hat der Pfalzgraf den Schwanz eingekniffen und ist davon, unter die Fittiche seiner Verwandten, er wagt nicht, den Schnabel zum Nest herauszustrecken. Und in Wien, in der Hofburg – gibt’s Trauer! Das reimt Euch zusammen! Wir wagen nicht zu sprechen von Sieg.« Den Schnauzbärtigen sah lange still der Pater an: »Ihr wußtet früher etwas anderes. Es war mir eine leise, gewiß freudige Überraschung, Euch bei unserem werten Freund Stralendorf zu finden. Im Geheimen Rat soll einer geklagt haben über den Krieg; er schätzte den habsburgischen Gewinn aus dem Feldzug sehr gering ein. Viel höher, Euer Liebden, soll er den Gewinn eines gewissen verwandten erlauchten Hauses bemessen haben.«
»Darum sitz’ ich hier. Wir haben erkannt, daß sich Bayern zuviel vom Siege einsackt. Das ist auch Habsburgs Krieg. Man drängt uns an die Wand. Ihr wißt, Pater, was das kaiserliche Haus bezahlen muß. Darum greif ich lustig nach dem Sieg als meinem Sieg. Wie viele Gefangene hat der alte Tilly gemacht, wieviel Kartaunen Singerinnen Feldstücke und Totenorgeln haben sie eingeheimst in dem einen Sommer! Standarten Fahnen! Und wir wagen nicht, den Mund aufzumachen – als wenn es unsere Kanonen sind, die uns abgenommen wären, als ob wir mit eignen Leibern geblutet hätten. Lamormain, sing’ Er vom Heidelberger Faß vor der Römischen Majestät! Und erzähl’ uns, welche Aufnahme Er gefunden hat.«
Der hagere Vizekanzler war neben dem Priester stehengeblieben; er zog ihn neben sich auf einen Schemel. »Sprecht, Lamormain. Wohin soll dies führen? Die Dinge laufen noch gut im Geleise. Wir sind in Sorge. Seht, das ist alles. Ferdinand hat etwas im Sinn, dessen wir nicht gewiß sind. Wie hat die himmlische Mutter die katholische und kaiserliche Sache gesegnet. Wir sind besorgt.«
»Graf Stralendorf vermeint doch nicht, mein Beichtkind möchte unserm Glauben Abbruch tun?«
»Tut es der Kaiser nicht mit Plan, tut er’s ohne. Aber Ihr seht hier diese rechtschaffnen und kundigen Männer in Unruhe. Und möchtet Ihr sagen: ohne Grund?«
Der Pater sann beiseite gegen seinen rechten Arm im struppigen Schafspelz: »Der Kaiser hat dem letzten Unternehmen nicht den geringsten Widerstand entgegengesetzt. Ihr vermöchtet ihm nicht die leiseste Erschwerung der Angelegenheiten nachzuweisen.« Der jüngere Oberst krähte: »Wir wollen nicht das Reich gut regiert sehen wider den Willen des erwählten Kaisers. Der Bayer hat den Krieg gegen die Böhmen glücklich geführt, jetzt hat er den Hauptanteil an der Zerschmetterung der Freibeuter. Da seht!«
»Wohl, Ihr Herren«, trommelte Questenberg mit den Hakken, »es bleibt bestehen, daß der Kaiser grollt, sich nicht in die Dinge fügt, und daß er den Engländer Digby beschenkt hat, der den Frieden zwischen Habsburg und dem Pfälzer vermitteln sollte. Das gefährdet das Reich.«
Lamormain: »Soll dies hier ein Gericht sein über des Römischen Kaisers Majestät?«
Stralendorf, der Vizekanzler, schlug die Hände zusammen. Was seien das für bittere Worte. Die beiden Obersten lachten, zuckten mit den Achseln, drehten den Rücken. Questenberg hielt fest: sie hätten hier Lamormain wie ein Zeichen des Himmels, er solle seinen Einfluß auf den Kaiser geltend machen. Um? Um auf ihn zu wirken. Und in welchem Sinne? Nicht ihn zu knebeln, sondern ihn zu führen, wie es die Dinge fordern.
Lamormain war ein Bauer, in dem Ardennendorf Dochamps bei dem zerstörten La Moire Mannie aufgewachsen, sein rechter Fuß hinkte, weil er sich mit der Sense beim Mähen in den Knochen geschlagen hatte; als kleiner jesuitischer Lehrer wäre er verkommen, wenn nicht sein Oheim Koch beim Kaiser Rudolf gewesen wäre, ihm einen freien Stiftsplatz in Prag verschafft hätte. Bestimmt legte er hin: »Ich bin der Herren getreuer Diener. Es darf nichts gegen den Kaiser geschehen, nichts gegen ihn geplant werden, nichts an meine Ohren gelangen. Statt ihn zu fesseln, ist meine Aufgabe, ihn in Schutz zu nehmen und ihn als sein Gewissensrat in unverzügliche Kenntnis von jedwedem Anschlag zu setzen.«
Die Herren, nach einem klanglosen Auflachen des kleinen Obersten, baten um Dispens für Minuten, während deren sie das Gemach verließen.
Dann: Was sich Lamormain verspräche, wenn der jüngere Bruder des Kaisers, der Erzherzog Leopold, an der Regierung teilnähme.
Die Herren seien von einer ungeheuren Offenheit.
Es heißt den Dingen ins Auge sehen. Es ist notwendig, die andern Mitglieder des Hauses Habsburg von der drohenden Gefahr zu orientieren. Man muß sich sichern vor den Ausbrüchen einer unberechenbaren persönlichen Politik, die jetzt nur schweigt.
Es heißt klar sehen. Mansfeld und Durlach sind das A, England heißt das B, Dänemark das C, und das ganze furchtbare steinerne Abc solle zerbeißen ein schlechtgezimmertes Deutschland, Kurfürsten, die sich entzweien, Rechtgläubige Protestierende Calvinisten. »Wir wollen noch einmal sagen, der Katholizismus steht auf dem Spiel, wenn wir nicht eingreifen und vorbeugen. An dem Schicksal des Reichs nimmt ja der geistliche Herr kein Interesse.«
Plötzlich lachte der stehende Priester in kleinen herausfordernden Stößen: »Woher aber, edle und gestrenge Herren, seid Ihr meiner so gewiß, daß Ihr also deutlich vor mir sprecht?«
Questenberg in seinen hohen Reiterstiefeln machte eine Verbeugung vor ihm, während er die Arme öffnete, die Hände öffnete und eine stumme lächelnde Demutserklärung ablegte. Der hagere Oberst klopfte sich heiß gegen die lederbeengte Brust; mit verzerrtem gehässigem Ausdruck bog er den vibrierenden Kopf zurück: »Ist uns der geistliche Herr recht gekommen. Hätten uns, wie wir hier saßen, auch unserem kaiserlichen allergnädigsten Herrn nicht versagt. Brauchen nicht den Esel beim Schwanz aufzuzäumen, packen, mit jeglichem Verlaub, den Stier bei den Hörnern.«
Milde zog der Priester seinen Pelz zusammen: »Zu gütig, daß mich mein Herr für ein so verwegenes Tier hält. Aber wenn nun der Stier stößt?«
Questenberg, unter den drohenden Ausrufen und spöttischem Achselzucken: »Nur zu! Wird uns ein Vergnügen sein. Werdet zwei Stunden zu spät kommen.«
»Mich schwitzt«, sagte Lamormain, blickte zur Tür, »in so dichter edler Bundesgenossenschaft bin ich lange nicht gewesen. Es ist nicht mehr so windig, edler Graf Stralendorf. Ich denke, Euch den Pelz zurückzugeben und nach einem neuen Mantel zu schicken, mit Eurer Gunst.«
Er beobachtete lippenbeißend die erhitzten Gesichter: »Seht, Ihr edlen Herren, jetzt seid Ihr aufmerksam. Jetzt fragt Ihr, auf welche Seite stellt sich der lange Lamormain und wird er uns verraten? Ich werde Euch nicht verraten.«
Damit drängte er gegen die Tür. Der kleine Oberst rührte ihn am Arm: »Ist das alles, Herr?«
Verächtlich Lamormain über die Schulter: »Ist das nicht genug? Ist Euch der Kopf auf der Schulter nicht genug?«
ALS LAMORMAIN am nächsten Mittag aus der Burg vom Besuch eines schwerkranken kaiserlichen Leibarztes, des witzigen Menschenkenners und Menschenfeindes Gabriel Ferrara, kam, trugen ihm in der Taschnergasse und dann am Hafnersteig verängstigte Novizen seines Ordens, unversehens aus Häusern sich nähernd, zu, daß der Platz vor dem Kolleghaus, der Universität, von einem ganzen Fähnlein grober Berittener besetzt sei, die sich ganz ruhig verhielten. Sie hätten den Eindruck, als ob auch hier und da in den Straßen verstreut sich Bewaffnete befänden; trügen große Sorge seinetwegen, um so mehr, als vor einer halben Stunde, bald nachdem er zu dem frommen Gabriel Ferrara gegangen sei, eine Anzahl Karossen und Sänften vor dem Profeßhaus hinter der Universität erschienen wären; die edlen Insassen hätten nach ihm, dem ehrwürdigen Pater und Beichtvater der Römischen Majestät, gefragt, hätten im Empfangssaal und den Vorkammern Platz genommen. Sie hätten zuerst die Abwesenheit des Paters nicht glauben wollen, hätten die Gänge und einige Gemächer durchsucht, freilich auch um Entschuldigung gebeten, weil es sich um dringliche Angelegenheiten handle. Die Zöglinge waren außerordentlich erregt, in Furcht auch um sich. Beklommen folgten sie dem ruhigen Mann auf den hufklappernden waffenstarrenden Platz, wo die Reiter auf Anruf ihres degenschwingenden Kornetts eine Gasse machten, die sich hinter dem Jesuiten schloß.
Lamormain stand lange vor der löwengeschmückten Freitreppe des Profeßhauses, bei den Sänften und Karossen der Herren, deren bunte Trabanten und Kutscher sich vor ihm entblößten, verneigten. Er hielt beide Arme fest über die schwarzverhängte Brust verschlungen, öffnete sie nicht, kopfgesenkt, als er die Stufen sehr langsam emporstieg, grimmige Blicke nach der Seite gegen die jungen Schüler schickend, die ihm folgen wollten, verscheucht sich um die steinernen, maulöffnenden Löwen hin und her bewegten. Der untere breite, blankgescheuerte Gang war leer; an jedem Pfeiler der unabsehbaren Fensterwand hing ein hohes Gemälde vom Wirken und Tod eines Märtyrers. Als der Priester sich gebunden vor der stummen, schmerzlodernden Reihe entlangschob, wurde er von einem knielähmenden Schwindel in eine Nische gedrückt, gerade vor einen Altar und Glasschrein, der Knöchelchen der heiligen Rosina enthielt. Mit den Zähnen rieb der Ohnmächtige an der gerieften Silberfassung des Schränkchens; wie er schluckte, das knirschende Metall biß, fand er sich, halbseitlich über dem Schrein liegend, die Arme schräg herabbaumelnd, in Gefahr, mit dem Gesicht die obere Glasplatte durchzudrücken. Hinten im Gang stand etwas Großes in einem Türrahmen, eine wilde dreifarbige Soldatenfeder schaukelte dem nach vorn über die Augen. Den Glasschrein umarmte der Priester mit vieler Zärtlichkeit, küßte die Platte, sprach ein lautloses Gebet. Als er den Rest des Weges zu der besetzten Tür ging, bewegte er sich in der trauten wonnigen Gesellschaft der Seligen, die von den Wänden her ihn überdrangen.
Das war die Bibliothek; der Offizier zog den Hut, trat zurück. In dem weißgetünchten langen Säulenraum des Saals verloren sich die zehn Herren, zu denen ihn, nahe einem kleinen Springbrunnen mit Blattpflanzen, über die Strohmatte der Offizier führte. Unter der geschnörkelten Stuckdecke, zwischen den Städtebildern, den Köpfen, Amouretten, den vollen Bücherschränken, den Tischen mit Globen Büsten Kruzifixen saßen gelassen die Politiker und Soldaten; mit tiefer Verachtung, fremd, saß unter dem Springbrunnen der Jesuit mit den kurzen weißen Haaren, der knolligen Nase zwischen ihnen, betrachtete sie wie eine Ziegenherde. Als Lamormain statt einer Klage ruhig eingeladen hatte: »Mögen die Herren beginnen«, dienerte der alte galante Harrach, nach rechts und links lächelnd, sie hätten gestern mit Vergnügen seine Geneigtheit vernommen, sich ihren Gedankengängen anzuschließen, müßten aus nicht näher zu erörternden Gründen sogleich in nähere Besprechung mit ihm eintreten. Er könnte aus dem Formlosen ihrer Gegenwart erkennen, wie dringlich ihnen die Zustimmung des ehrwürdigen Paters und Beichtvaters der Römischen Majestät sei. Es seien in aller Kürze schwerwiegende Beschlüsse zu fassen, bei denen die Herren unbedingt gewiß seiner Haltung sein müßten.
Da konnte Lamormain nicht umhin, lächelnd den Arm zu erheben; eben entstand draußen ein heftiges Rufen und Pferdetrappeln; offenbar drangen Berittene in den Hof des Hauses; es lief auf dem Gang, in den oberen Zimmern; Aufschreie, flüsterndes Stimmengewirr vor der Saaltür. »Wie glaubt Ihr, soll meine Haltung sein unter diesen Umständen?«
»Wir haben geglaubt, Euch den Entschluß erleichtern zu müssen. Es muß Euch, in dem Falle Ihr nicht beistimmt, eine Genugtuung selbst sein, nur eben diesen Umständen die Verantwortung aufzuladen.«
»Ihr seid doch ein Mensch«, sprach ihm bieder Questenberg zu; sie nickten alle. Wieder lief der Schwindel unter dem fassungslosen Zorn über Lamormain; wie er sich bezwang, kam es fast kläglich aus seinem weißen Mund: »Was soll geschehen?« Sie verlangten von ihm einen vorbehaltlosen Eid über seine Verschwiegenheit, dann eine ebensolche Versicherung, daß er ihnen nichts in den Weg legen würde, wenn er es vermöchte, daß er den Kaiser beeinflussen würde zu einer veränderten Haltung gegen die notwendigen Ereignisse, zu einer Mitregierung des Erzherzogs Leopold.
»Wenn dies alles nun nicht meine Meinung, meine Überzeugung, mein Wunsch ist – was, glauben meine Herren, wird der Weltenrichter Jesus beim Letzten Gericht, wenn die Posaune ruft, urteilen über diese Tat: rechts meine Pflicht und links in der Waage die Umstände? Diese Pferde, Musketen, Spieße gegen mich?« »Ich glaube«, dröhnte Questenberg, »gegen so viele Soldaten zu erliegen macht dem tapfersten Krieger keine Unehre. Was vermeinen die Herren? Wir werden nicht Weltenrichter spielen, aber es ist so.«
Harrach lächelte verbindlich, aufdringlich vertraut in einer Weise gegen ihn, die den Priester tief reizte: »So denke ich, daß darüber der Lehrer der Gesellschaft Jesu sich am besten äußern wird, auch gegen unsern Heiland. Wir sind unwürdige schlechte Menschen, werden ihm nicht in sein Handwerk pfuschen. Wir können schließlich nichts als unsere Bosheit erkennen mit Schmerz, mit Reue und können nicht aus unsrer Rolle fahren.« Der hagere Oberst, mit dem starren Blick auf den Priester, schloß: »Und letztlich sind wir Christen und getrösten uns, daß Jesus sein heiliges Blut um unserer Sünden willen, die er auf sich nahm, vergossen hat.«
Lamormain horchte auf das ängstliche Geflüster vor dem Saal; seine innere Ruhe wuchs; er fand sich heiter. Und mitten während einiger Sätze, die er sprach, durchzuckte es ihn: diese Herren glaubten, es ginge hier für ihn auf Tod und Leben, und stellten ihm nichts entgegen als Soldaten, Pferde. Hundert gewappnete Reiter suchen mit ihren Lanzen den schwebenden Geist der heiligen Kirche zu durchbohren! Wehen ihn mit jeder Bewegung höher!
Er saß ganz still, war traurig wegen der geängstigten Freunde draußen. Mit welchen faden Gesellen saß er in seiner Bibliothek zusammen. Es mußte leicht sein, mit ihnen zu herrschen. Er neckte sie, ohne daß sie es merkten: er hätte keine Kompetenz, müsse erst seinen Vorgesetzten, den General des Ordens in Rom, befragen. Sie wurden wütend, häuften leicht widerlegbare Gegeneinwände. Dann berieten sie, im Ernst. Schließlich hatten sie bei sich eine Papierrolle, die sie ihm zum Lesen, Unterschreiben hinschoben; von innerlichem Gelächter war er erschüttert: »Auch das noch.« Sie waren Kinder zum Erbarmen.
Als er allein stand, prustete er hinter den abrasselnden Wagen: »Wir werden zusammen regieren.« Getümmel von Pferden; der Lärm verhallte.
Auf dem Gange küßten ihm die Scholaren, die entsetzten älteren Brüder die Hände; das Haus von Wehrufen und Protesten erfüllt. Lamormain hinkte durch das Gewimmel. Vor den frommen Bildern an der Fensterwand erinnerte er sich seines leidenschaftlichen Entschlusses beim Kommen, nicht nachzugeben, der Heiligen gedenk zu sein. Er machte sich scherzend den Vorwurf, zum Märtyrer kein Zeug zu haben.
Er hatte das Dokument nur flüchtig gelesen. Darin stand, sie wären genötigt, den Kaiser gefangenzunehmen, um eine Störung der Politik durch ihn zu verhindern. Man sehe vorläufig davon ab, wenn der Beichtvater es übernehme, den Kaiser zum Nachgeben zu zwingen. Es wird garantiert: die geheiligte Person des Kaisers bleibt unangetastet. Der Kaiser solle sich – wie sie es nannten – der politischen Notwendigkeit fügen.
AM DRITTEN Tage trat Eggenberg in die kaiserliche Anticamera, lud den Kaiser zu einer Sitzung von Hofrat und Geheimem Rat. Ferdinand sagte zu, erschien nicht. Tags darauf berichtete Eggenberg neben Gleichgültigem, es seien im Rat lebhafte Stimmen laut geworden, man müsse dem allgemeinen Verlangen Rechnung tragen, das bei den frommen Reichsständen bestünde, und der Freude über den siegreichen Fortschritt des rechten Glaubens, die zerschmetternden Niederlagen der Reichsfeinde öffentlichen geziemenden Ausdruck geben. Auf die Frage Ferdinands, wer diesen Wunsch im Rat vorgetragen hätte, antwortete Eggenberg, es ließe sich bei der freudigen Erregtheit, die nur durch die Abwesenheit des allergnädigsten Herrn getrübt war, nicht sicher sagen, wer zuerst gesprochen hätte; das dringende Verlangen sei allgemein gewesen, mit dem Kaiser in einer Feier sich zu vereinigen. Ferdinand ging herum, riß an seiner goldenen Halskette, lachte heiser; er wollte wissen, wer damit angefangen hätte. Und dieser klägliche gequälte Blick aus den schwarz umrahmten Augen jammerte den grauen Hofmann, erschreckte ihn so, daß seine Stimme zerriß. Er hielt dafür, man müsse rasch aller Welt, auch der feindlichen, zeigen, welcher Siege man sich bewußt sei; der Pfälzer und sein freibeuterischer Anhang sei in alle Winde geblasen; möge man den fremdländischen Beschützern der Friedensbrecher zeigen, daß man halte, was man habe, daß man den Mut zu Erfolgen habe, daß man auch wagen werde, weiter zu siegen, wenn einer darauf dringen sollte.
Mit einem gezwungenen Lächeln fragte Ferdinand vorbeispazierend: »Sind Eure Kassen gefüllt?«
»Zur Siegesfeier?«
»Nein, zu neuen Kriegen.«
Zur Zeit stünde alles gut, man könne nicht zu weit denken, es sei jedenfalls gut, so zu scheinen, als herrsche Überfluß; auch darum sei die Feier nötig, um als Drohung zu wirken; es müßten von mehreren dem Kaiser nahestehenden Seiten, jedoch nicht von kaiserlichen Beamten, heftige Reden an der Tafel und öffentlich geführt werden; auf die Fremden sei mit vielem Pomp zu wirken.
»Ich habe nur zu erscheinen und mich zu freuen?«
»Nicht doch, Majestät. Daß die Römische Majestät sich Ihrer Siege freut, weiß alle Welt. Sie mag nun offen zeigen, wie Sie sich freut. Wenn ich ein biblisches Bild nehmen darf, ohne in das Gebiet meines Gönners und Freundes, des ehrwürdigen Paters Lamormain, zu pfuschen, so möchte ich an den judäischen König David erinnern, der singend und lauteschlagend, ja tanzend hinter der Bundeslade einherzog, nachdem er die Feinde geschlagen hatte.«
»Wie hieß noch die, die aus dem Fenster sah, als er vorüberzog?«
Die Anticamera des Kaisers war von einem dunklen Licht erfüllt, das aus den beiden bunt verblendeten Fenstern über den Tisch Ferdinands nur wenig in den tiefen Raum vordrang und die riesigen Figuren erhellte, die in den Wandnischen saßen, Maria mit ihrem Kinde, den glühenden Heiland, der das Kreuz in den Händen vor sich trug; zwischen den Pfeilerpaaren der Längsseite üppige Gemälde neben Gemälden auf der Wandfläche, deckenhoch, von goldflügeligen Engelsköpfen umgeben; zwei mächtige ebenholzschwarze Engelleiber lagen über dem Türrahmen, blickten blind nach oben. Eggenberg war nicht die beiden Stufen zu dem Sitz Ferdinands hinaufgestiegen; beklommen stand er auf dem Fußteppich, sah den Fürsten zu sich heruntertreten: »Was soll es mit dem Weib?«
»Ich möchte wissen, wer mir zusehen wird bei dem Feste.«
»Die Heiligen im Himmel werden zusehen, die für uns gestritten haben.«
Beide Hände Ferdinands lagen zitternd auf Eggenbergs Schultern: »Oh, Ihr! Wie seid Ihr rasch avanciert zu Heiligen; ich bin Euch wohl noch Anbetung schuldig. Und Ihr, Eggenberg, wenn ich Euch doch noch kenne, von Grätz, wißt Ihr, wo Ihr noch nicht so viel wart, ist Euch nicht bange bei Eurer Rolle? Sagt von der Leber; es wird das einzige sein, was mich an Euch erfreut. Hat man Euch dies aufgehalst, und steht Ihr nun hier –, nicht wahr, es ist jämmerlich, und Ihr merkt es?«
»Allergnädigster Herr«, sagte der alte Mann, seine Unterlippe bebte; er schwieg.
»Sprecht weiter, Eggenberg.«
»Allergnädigster Herr –«, Eggenberg raffte sich zusammen.
»Weiter, mein alter Freund, Brautführer meiner Schwester nach Spanien.«
Leise der Geheimrat, den Kopf hebend: »Es war eine schöne Zeit, als ich nach Spanien zum König Philipp ging. Majestät ist jetzt viel allein; wie gern wollte ich meine alten Glieder ölen und wieder solchen Gang tun im Dienste Eurer Majestät. Ja, Majestät.«
»Warum ist die Majestät so viel allein, Hans Ulrich?«
»Majestät ziehen sich zurück von uns. Wir werden ein Fest feiern. Es soll ein Siegesfest sein. Wenn es doch auch zugleich eine Friedensfeier sein dürfte zwischen dem allergnädigsten Herrn und uns allen, die verlassen sind.«
Ferdinand stand hinter seinem Schreibsessel, den er mit beiden Armen von hinten umfaßt hielt; matt hauchte er, ausdruckslosen fremden Gesichts: »Hört auf, Herr. Redet nicht so weiter zu mir. Macht mich nicht schwach.«
Er hob den Sessel auf, stieß ihn kurz auf den Boden, knirschte mit den Zähnen: »Über Euer Fest, Herr, werdet Ihr morgen beschieden werden.«
AUF DEM Gang zur Kapelle blickte sich fünf Tage vergeblich Ferdinand nach seinem Beichtvater um. Da standen in zwei Reihen die Hellebardenträger, breitbeinig, in den erzherzoglichen Panierfarben Rot und Weiß, Blau und Gelb; die Hellebarden geätzt, mit langen stählernen Spießklingen, die emporwuchsen aus dem starken Schaft, der halbmondförmige Beile und Haken trug; in die Spießklingen eingetragen der kaiserliche Wahlspruch: Legitime certantibus. Türhüter Pagen eröffneten den feierlichen Kirchgang, Kammerherren mit hohen Namen folgten blickesenkend; hinter seinem Obersthofmeister, dem weißen Grafen von Meggau, ging mit lahmen Füßen in einem scharlachroten Kleid Ferdinand, Diamanten an dem Hute, Diamanten am langen schmalen Degen. Schwingende Bronzeglocken der Schloßkapelle. Sie gingen schweigend von Kammer zu Kammer, durch das dichte, sich immer mehr verengernde Spalier. Aus allen Gängen und Seitengemächern quollen goldtressige duftende Herren, blonde und greise; italienische Gesichter und deutsche breite Schultern, Soldatenmienen, Schreiberblässe, schwarze Jesuiten, fremde Herren in polnischen Mützen, siebenbürgische Gesandte. Die Zimmer hoben sich mit hohen Decken; weißer üppiger Stuck war darüber geworfen, in vielen Gemächern lagen die Balken oben grad nebeneinander dunkel von Beize, in neuen gossen sich Bilder über die Flächen, vielfarbig, jäh nach Troja entführend, in die Liebesabenteuer Jupiters; dann tauchten Gewölbe, Kreuzgänge auf, und das Scharren der seidenen Jacken, das Schleifen der Sohlen, das Klingeln der goldenen und silbernen Behänge wurde in Hall und Widerhall von den schweren Mauern begrüßt, murrend angesprochen.
Über breite Marmortreppen senkten sie sich herunter in eine kurze Tannenallee; weiß und golden am Ende die Kapelle. Gewaltige Glockenschläge. Missa solemnis. Die erzbeschlagenen Türen.
TRIUMPHIEREND SCHLURRTE der Kaiser neben der ihn überschattenden Gestalt Lamormains durch den blühenden Garten seines Schlosses Schönbrunn. Den rotbefrackten Narren Jonas hatte er fortgejagt in die Brunnenstube. Pfauen spazierten auf den kiesbestreuten Wegen. Durch die warme, dicke Luft schwammen Häherschreie; es sangen unsichtbare Vögel auf den Ästen; mit langen Melodien sprachen sie sich an, die Melodien endeten fast immer mit einem rauhen, tonlosen: Ze kirrh, zekrütt rrr – öh, bisweilen brachen sie in der Mitte ab, standen still, wartend; dann kam nach einer immer bestimmten Pause die leicht modulierte Antwort; schließlich gab es ein Schwirren in den Blättern, die Vögel flogen fort; an einer andern Stelle fing es an in der hin und her wandernden Süße, die Töne beugend und verschlingend, als wäre ein Drahtarbeiter Netzflechter am Werk, der den Eisenfaden rasch hin und her zieht, im Nu Körbchen neben Körbchen hinsetzt. Die Koppeln der französischen Hunde schlugen von Zeit zu Zeit in der Nähe an. Die Bäume standen in vollem Grün hinter dem mauerumzogenen Schloß; dick gebläht und breit hockte das Laubwerk auf den mächtigen verwurzelten Stämmen, wiegte sich oben wie eine geplusterte Henne nach allen Seiten. Unten stand und ging der kurzatmige Habsburger, wich der grellen Sonne aus, gestikulierte mit dem goldknopfigen Rohrstöckchen.
»Sie haben mir die Verantwortung abgenommen. Sie haben, was jetzt kommt, Kriege mit der ganzen Welt, Niederlagen, Verlust des Vermögens, Vertreibung von Krone und Land, selbst und allein zu verantworten.«
»Allergnädigster Herr, was hätte man tun sollen?«
»Sie hätten mich beseitigen müssen. Was anders wäre ihre Pflicht gewesen. Sie hätten mich beseitigen müssen. Sie haben es nicht getan. Die Schuld haben sie auf sich geladen.« Er sprach mit Haß und Inbrunst: »Mögen die Dänen, die Franzosen, Engländer, Schweden das Reich, die Erbkönigreiche von Grund aus verwüsten. Herzhaft, herzhaft. Das Reich auflösen und hinlegen. Mag es auf sie fallen, die geduldet haben, daß Maximilian den Pfälzer von der Scholle vertrieb, daß er jetzt die Kur an sich nimmt. Sie lassen es zu, sie billigen es, sie fallen ihm nicht in die Zügel. Mag das Unglück ihr Begleiter sein! Mögen die Länder zerfallen, die Grenzen überschwemmt und zerfressen werden, die Städte leer, gebrandschatzt, die Klöster verbrannt, Bauern in Aufruhr – nichts als die Haut über den Knochen, Seuchen im Blut. Das soll ihr Lohn sein, daß sie Maximilian haben gewähren lassen und mich nicht beseitigt haben.«
Lamormain besah sein schäumendes Beichtkind mit Kälte: »Hört Ihr die Vöglein? Sprechen sie miteinander? Und wenn das armselige Getier seine Zunge und Kehle gebraucht, warum habt Ihr es, allergnädigster Herr, nicht getan? Ihr hättet hingehen sollen zu ihm.«
Ferdinand hörte nicht zu: »Sie, haha, sie alle, die Säulen meines Hauses, meine Brüder, meine Kinder, meine Generäle, meine Räte, sie haben nicht gesehen, wohin es ging, haben mich wüsten lassen wie einen Alb in der Nacht. Und als sie es gesehen hatten – haben sie mich nicht beseitigt! Nicht! Nicht! Den Kurhut lassen sie ihn sich aufsetzen! Paßt auf, Lamormain, paßt auf. Habt Ihr Spaß daran!«
»Ihr hättet hingehen sollen zu ihm.«
»Zu ihm. Zu wem?«
»Zu Maximilian in Bayern.«
»Was hätte ich bei Max sollen?«
»Ihr hättet zu ihm hingehen sollen bis in seine Residenz. Und nicht warten. Und wenn sein Barbier morgens bei ihm stünde, hättet Ihr zu ihm eindringen müssen.«
»Und was hätte ich drin zu tun gehabt?«
»Ich frag’ Euch.«
»Ich?«
»Ihr wißt es. Nicht den Blick herunter, allergnädigster Herr. Bin ich Euer Beichtiger? Seht in meine Augen.«
»Ich hätt’ es nicht gekonnt. Ihn niederwerfen! Ich hätt’ es nicht getan.«
»Und dennoch wie Ihr sagtet: ›Das Unglück soll ihr Begleiter sein, die Klöster verbrannt, über den Knochen nichts als die Haut‹.«
»Pater, ich bin ein Mensch. Was wollt Ihr von mir?«
»Gebt mir Antwort: Warum gingt Ihr nicht zu ihm? Später, nachdem Euch die Niederlage vor ihm gereut hat?«
»Ihr wollt mir meine Ruhe nehmen.«
»Ich will Euch die Bürde abnehmen, allergnädigster Herr, da Ihr mein Beichtkind seid. Sprecht. Ist Euch nicht wohl?«
Ferdinand, ganz in weißer Seide, hatte seinen Hut abgerissen, in raschem Tempo ging er dem hinkenden Pater voraus, der schwer schnaufte und sich den Halskragen hinter ihm öffnete. Rechts seitlich traten die Bäume auseinander, im Hintergrund eines schattigen Platzes wurde ein niedriges kreuztragendes Bauwerk sichtbar, von Galerien umgeben, das Tor hoch und bildergeschmückt: eine Kapelle der heiligen Magdalena. Ferdinand, bläulichweißen Gesichts, stob in die Mitte des Platzes, aber der Pater folgte; er stützte sich auf seinen Krückstock, hielt den fliehenden Mann im Auge, folgte.
»Kommt Ihr mit, Pater?« schrie der Weißseidene nach rückwärts. Vor ihm sprang das Tor auf. Da war Kühle und ein weiter stiller Raum. Von traulichen warmen Farben die Luft durchblüht, die runden Fenster prangten mit holden Bildern; seitlich und hinter dem Altar spielten Lichtstrahlen um die Bildsäulen, die Sockel mit heiligen knienden betenden erbarmenden Frauen, tönten sie blau violett purpurrot. Magdalena, die Büßerin, über den grünen Rasen geschmolzen, in ihrer Mitte, die goldene Aureole über dem Haar. Das Tor knarrte hinter ihnen; Ferdinand stand gehetzt, heftig schnaufend, mit dem Rücken gegen die Tür an einem der Pfeiler, die zu viert an jeder Seite durch den Raum liefen.
Der Stock des Priesters stieß auf den gestampften Mörtelboden: »Ich war nicht so rasch auf den Füßen wie Ihr, allergnädigster Herr. Ich suchte Euch. Ist Euch nicht wohl? Sprecht Euch aus, allergnädigster Herr.«
»Mir ist gewiß wohl.«
»Ich konnte die letzten Tage nicht zu Euch kommen, ich wollte, daß die Besinnung in Euch erwache. Ich bin Priester, Majestät, mit einem großen Amt gegen Euch vertraut. Ich lass’ Euch nicht aus, was Ihr auch unternehmt. Ihr wißt, daß Himmel und Erde versperrt sind und daß es keine Rettung und Flucht gibt, es sei denn in die Hölle.«
»Dies alles versteh’ ich nicht, lieber Pater Lamormain, mein lieber Freund.«
»Ja, das bin ich. Es ist gut, daß Ihr es fühlt. Ich muß mehr Mut haben, als Ihr gegen Euren Schwager Max in Bayern. Ich muß, wie Ihr Euch auch spannt, mich einzig vor Gott verdient machen um Euch.«
»Mein Heiland, wer seid Ihr? Was wollt Ihr?«
»Ich bin der gottesfürchtigen Gesellschaft Jesu Pater; Euer Führer an den Thron Gottes.«
»Ihr seid nicht der Satan. Mich schauert’s.«
»Weicht mir nicht aus. Wißt Ihr, was Ihr seid? Allergnädigster Herr: Ihr seid feige, sündhaft, hochmütig, grausam.«
Der Priester flüsterte eindringlich, seine bäurischen Züge waren unverändert ruhig, er hielt den Blick gegen den Boden; seine Faust ruhte schwer auf dem Stock. Der andere wölbte an der Säule müde und ergeben den Rücken, er ließ die Arme abwärts fallen: »Ihr seid nicht der Satan. So will ich hingehen zu Maximilian; ich bin der Kaiser, er hat mir nichts abzuzwingen mit Gewalt und Drohung, ich will es ihm sagen, ich will gerecht sein gegen den Pfälzer, wie es einem Kaiser gebührt; jetzt soll es geschehen.«
»Ihr werdet nicht hingehen.«
Der Kaiser drehte den schweißtropfenden Kopf gegen den Priester; von den Schläfen lief der Schweiß über die Ohren, rann auf die Schultern, wo die Seide dunkel wurde; die blanke Nase schien gedunsen, die Augen waren schwer beweglich, stumpf, als wenn sie nicht rollen könnten auf ihrer Rundung, der weiche Schlemmermund stand offen; hilflos, ohne Ton kam es hervor: »Was soll ich tun?«
»Kommt. Ein paar Schritt, kommt.«
Lamormain hinkte zurück gegen die Tür. In einer Nische stand ein hölzerner Aufbau, mit schwerem schwarzem Tuch behängt, ein Beichtstuhl. Der Priester öffnete; als der andere vor der Tür zögerte, zog er ihn an der Hand herein; der Vorhang bedeckte sie. Lamormain hauchte: »Allergnädigster Herr, beichtet.«
Als aber der Kaiser hinkniete in der völlig verfinsterten Enge, flüsterte Lamormain über ihm: »Bleibt knien. Bleibt. Macht Euch fertig. Nun will ich Euch töten. Steht nicht auf. Es muß sein. Ihr habt es selbst gesagt und empfunden: man muß Euch beseitigen.«
Der Kaiser suchte sich stöhnend und klagend zu erheben. Lamormain rührte ihn nicht an, auf seine Worte sank der andre immer wieder hin: »Euer ältester Sohn wird wissen, warum Ihr gestorben seid. Ihr seid reif. Ihr seid ohnmächtig, von Haß geschwollen. Ihr wißt es selbst. Ihr wißt keinen Ausweg, und ich weiß keinen. Wollet mit mir beten, damit Ihr nicht verloren seid.«
Der andre stammelte durcheinander entsetzt: »Ja. Ich muß beten. Ich bin bereit. Wer seid Ihr? Lamormain, wer seid Ihr? Hilfe.«
»Es ist Hilfe. Fangt an zu beten.«
»Hilfe. Wie soll ich beten?«
»So öffnet Eure Brust. Macht Euren Hals frei.«
Er tastete nach dem Kragen des Kaisers.
»Laßt; befleckt Euch nicht an mir. Ich tu’ es selbst.«
Er winselte: »Es ist das beste; ich weiß es, ich muß Euch dankbar sein. Mein Heiland.«
Er hatte sich die Jacke aufgerissen. Die Brust halb offen umklammerte er die Knie des Paters: »Wer seid Ihr?«
Lamormain streifte ihn von sich ab, er richtete sich gleichgültig auf: »Laßt sein, allergnädigster Herr. Steht auf. Ja, gewiß, steht auf.«
Verzweifelt drückte der Kaiser seine Hand an den Mund: »Was ist, Lamormain? Was habt Ihr mit mir vor?«
»Sollte es sein, daß Ihr noch den Wunsch habt, zu leben?«
»Weh mir.«
DURCH DIE nördlichen Tore Wiens rollten die Wagen mit den Gefangenen, in kleinen Trupps liefen sie gebunden hinter Reitern. Dann Lafetten Kartaunen Feldstücke von vielen hundert Gäulen geschleppt. Abordnungen trafen ein von den Regimentern, die sich bei Höchst Wimpfen Lorbeeren erworben hatten.
Die Logis der großen Stadt waren gestopft mit Offizieren Söldnern Beamten Gesindel Troßbuben Dirnen. Vier Tage dauerte die Siegesfeier, deren dröhnende Reden Europa erschreckten. Neben dem regierenden Habsburger saß auf der Schrannenstiege unter dem roten Baldachin sein hitziger Bruder, Leopold, der aus Innsbruck hergereist war und Wien nicht mehr verließ, Leopold, der von einer abenteuerlichen kriegerischen Korona umgeben war und mit seinen gewagten politischen Kombinationen alle Höfe und Gesandten mißtrauisch machte. Dem prangenden Vorbeizug der Gefangenen Kanonen Wagen Fahnen und Standarten wohnten auf dem Hohen Markte in ihrer Karosse auch die beiden dänischen Geschäftsträger bei, die Herren Heinrich Rantzau auf Schmol und Julius Adolf von Witersheim, die einen drohenden Ton angeschlagen hatten; sie empfingen auf den Ämtern freundliche Worte. Was sie auf dem Hohen Markt sahen, war andres Register; sie hatten es eilig, abzureisen.
Es war inzwischen bekanntgeworden, daß sich wichtige Ereignisse am Kaiserhof vorbereiteten, bei denen sie nicht stören wollten. Bestimmter verlautete, der Römische Kaiser wolle freien. Bediente der Häuser Eggenberg und Trautmannsdorf berichteten von auffälligen Reisevorbereitungen ihrer Herren, von Kurieren, die zwischen Wien und einer oberitalienischen Stadt liefen.
In der halbfertigen Kaisergruft des Kapuzinerklosters, für deren Kapelle die Gemahlin des toten Kaisers Matthias ihr Silbergeschirr und ihre Gemälde hingegeben hatte, in dem langen düsteren Gewölbe hinter dem Neuen Markt diktierte noch während der Siegesfeierlichkeiten Ferdinand sein Testament. Der feine Abt von Kremsmünster war für die Mittagsstunde in die Gruftkapelle bestellt mit seinem Geheimschreiber. Unmittelbar vom Quintanrennen in klirrender schwarzer Turniertracht, die Sturmhaube in der Hand, stieg Ferdinand mit seinem Gespenst, dem Grafen Paar, den er an sich gelockt hatte, über Balken und Steine zu dem Abt her. Die Baugrube war nicht geschlossen; von oben seitlich fiel ein scharfes Bündel Licht herunter; über das Tischchen gebeugt, ohne sich zu setzen, diktierte Ferdinand: »Wenn es der göttlichen Majestät gefällig sein wird, uns aus diesem irdischen Jammertal durch den zeitlichen Tod abzufordern, so befehlen wir unsere edle Seele im alten katholischen Glauben, in starker Hoffnung auf unsern einigen Seligmacher Jesum in sein heilig unschuldiges Leiden und Sterben. Und wir rufen in ganz inbrünstigen Bitten ihn an, er wolle durch das unaussprechliche Werk seiner gnadenreichen Erlösung uns unsre Sünden, unsre Übertretungen gnädiglich verzeihen; auch durch Fürbitte seiner allerheiligsten, glorwürdigsten Mutter, der allerreinsten Jungfrau Maria, des heiligen Evangelisten Johannes, der heiligen Augustin, Antonius von Padua, der heiligen Maria Magdalena, Cäcilie, Katharina und des seligen Ignaz, des Stifters der Jesugesellschaft. Er wolle unsre arme Seele mit seinen göttlichen Gnaden in die himmlische Freude aufnehmen.« Er traf die Bestimmung, daß seine Eingeweide am Sterbeort bestattet würden, sein Leichnam in der von ihm erbauten Kapelle der heiligen Jungfrau und Martyrin Katharina zu Grätz, das Herz zu den Klarissinnen.
Nicht lange darauf, noch vor Beginn des Winters, erlebte die Hauptstadt die größten Festlichkeiten seit Menschengedenken in ihren Mauern: die Vermählung des kaiserlichen Witwers mit der jungen wunderschönen Prinzessin Eleonore von Mantua. Entschlossen hatten Räte und Lamormain darauf gedrungen; der Kaiser, erst außer sich, dann in der Furcht, ganz verdrängt zu werden, widerstrebte nicht. Mit vieler Sanftheit und Ehrerbietung, schmerzvoll und demütig bat der alte Eggenberg, seines Fürsten Freiwerber zu sein. Auf einer Pilgerfahrt nach Loreto, angesichts der wunderbergenden morschen Hütte, die Engel von Bethlehem nach Oberitalien getragen hatten, aus dem Türkenlande in die beglückte Christenlandschaft, begegnete Eggenberg zuerst der eleganten und zarten Eleonore, brachte ihrem Vater und ihr die Wünsche des Imperators des Heiligen Römischen Reiches vor. Der Herzog von Mantua sprach seiner Tochter kaum zu; da sie wußte, daß er es wollte, verneigte sie sich tief, legte ergeben ihre Hand in die offenen Hände des feinen alten Höflings, der so liebevoll von seinem mächtigen, in der nordischen Barbarei hausenden Herrn redete; ihm verlobte sie sich in Vertretung an; der Bischof von Mantua, der sie getauft hatte, sprach den Segen beim Ringwechsel. An diesem Tage hatte in Wien der Kaiser die Erhebung seines Freiwerbers zum Herzog von Krumau verfügt. In der Hofkirche zu Innsbruck begegneten sie sich, von Priestern einander zugeführt; sie sahen sich vor dem Altar zum erstenmal. Die Prinzessin blickte weg, erschüttert von dem gramzerrissenen, halb hilfeflehenden, halb stumpfen Gesicht, das über den ungeheuren Prunkmänteln, über den millionenwerten Halsketten Agraffen Spitzen Bordüren und Ringen sich bewegte; das verquollene ältliche graubärtige Wesen, versteckt in der Schale, mißtrauisch und leidend. Sie wußte nicht, wie sie erschrak und zu der goldenen klingelnden Monstranz blickte – den Baum des Lebens darstellend, der sich hoch mit Blattwerk wand, in dessen Laub wunderbar verborgen Maria saß und singenden Engeln zuhörte –, daß auch der andere sie fürchtete und sich in leisem Haß zusammenzog. Reich war sie gekleidet, ein hochrotes Kostüm trug sie, die Perlenkrone auf dem braunen spröden Haar hatte nicht mehr Farbe als ihr kleines sicher geschnittenes Gesicht mit den dunklen dicken Augenbrauen und dem unentwickelten Mund, der plötzlich trocken wurde. Ihr Oberkleid und Unterkleid trug goldene Ornamente; in den linken Unterärmel war das Wappen von Österreich eingewebt, die Schleife an ihrer Hüfte zeigte den Namenszug Ferdinands. Auf aller Pracht saß ihr eigener, alter, weißer Spitzenkragen und sprach schmachtend dem kalten Hals und dem übermütigen Kinn zu. Ein langer Zug alter Männer, Bürger, Edle und Geistliche, trat am Nachmittag vor die Angetrauten in den vom Erzherzog Leopold verschwenderisch geschmückten Rittersaal des Schlosses; sie brachten achtzigtausend Gulden als Geschenk der Landschaft. Salzburg und das heimatliche Grätz wurde berührt. Als man sich Wien näherte, war das Gefolge so groß, daß die Bürgerschaft der Stadt einen Teil ihrer Quartiere räumen und Baracken beziehen mußte. Vier Kompagnien schwerer Reiter zogen dem Kaiserpaar entgegen. Noch war das Stubentor zu bewältigen, wo Herr Daniel Moser, der Bürgermeister der Stadt, wartete auf einem Schimmel mit den Schlüsseln Wiens, hinter ihm der Stadtrichter Paul Wiedemann, sein Beisitzer; mit silbernen Stäben auf ihren Pferden die Stadträte, die Scharen der Stadtschreiber Stadtkämmerer Unterkämmerer Spittelmeister Brückenmeister Mautner Kirchenmeister Steuermeister Viertelmeister, verstaubt und hochglühend von dem heißen Sturm. Unter dem Baldachin, den sechs Stadträte trugen, bei wogendem Glockenjubel schob man sich, von Scharen windlichttragender Knaben geführt, an das Sankt Stephanstor, wo Botschafter und Universität sprachen; Tedeum im Dom, Segensspruch Verospis, des Nuntius.
Und in den Gängen, durch die Säle und Höfe der stolzen Burg bewegte sich bald neben einem verschwiegenen verschlafenen Kaiser eine verwirrte fremdblickende Kaiserin.
Auf das prächtigste wirtschaftete Erzherzog Leopold; mit Theater Maskeraden Banketten Karussells vergnügte er den Hof; Kaiser und Kaiserin waren dankbar. Eggenberg und Lamormain beglückwünschten ihn zu seinen Erfolgen; frisch wie er war, ließ er sich von ihnen im Reiten, Schmausen, Jagen in die schwebenden Angelegenheiten einweihen.
Der Kaiser wurde nach einigen Wochen von einer unvermuteten Neugier nach seiner Gemahlin, der jungen fremdartigen Fürstin, die fromm und reserviert unter ihren Damen ging, ergriffen. Als die Obersthofmeisterin der Kaiserin, Gräfin Portia, Leopold davon berichtete, drängte er den Kaiser zu einem Aufenthalt in Schönbrunn. In Schönbrunn schlug die Neugier des Kaisers in heftiges besinnungsloses Entzücken um, das Eleonore mit Verwunderung und Unruhe entgegennahm. Unter Lamormains Mitwirkung wurde ihr ein Beichtvater bestimmt.
VON DEM schwerkranken Papst Gregor dem Fünfzehnten empfing Verospi, der Nuntius, ein nachdenklicher wissenschaftlicher Mann, ein Breve, worin der Römische Kaiser ermahnt wurde, mit der Übertragung der siebenten Kurwürde an den Herzog in Bayern nunmehr nicht länger zu zögern. Er hatte nicht viel Glück bei den Räten, machte sie nervös mit seinen Erörterungen, seinem langweiligen wortlosen Herumstehen; Verospi vergaß bei Gesprächspausen gern, wo er war, erinnerte sich theologischer Probleme; aus seinem Nachsinnen aufgestört, fing er von vorn an.
Hyacinth von Casale, ein Kapuziner, erschien nach ihm; er setzte nur durch, daß der Abt Anton ihm Empfehlungen nach Madrid mitgab; der Kaiser könnte nicht, sagte Anton, ohne Zustimmung Spaniens handeln. So wanderte der Kapuziner nach Madrid, während Oñate, der elastische leidenschaftliche Gesandte Philipps in Wien, erregt auf allen Ämtern gegen die päpstlichen und bayrischen Absichten kämpfte, schreiend: dahinter stecke die Absicht, das Haus Habsburg zu schwächen, wenn man den listigen, kriegerischen Führer der Liga in das Kurfürstenkolleg einführe. Hätte man vergessen, wie sich Maximilian früher gesträubt habe, einem Habsburger Einfluß auf die Liga zu geben, ja nur gleichberechtigt ihn ins Direktorium aufzunehmen, aus keinem andern Grunde, als weil die Liga das Kampfinstrument Maximilians gegen den Kaiser sei? Hätte man das vergessen? Der Wittelsbacher sei schlau, verschlagen, kühn und ehrgeizig; da er nicht hätte Kaiser sein können, suche er der Kaisermacht Abtrag zu tun, risse die deutschen Fürsten an sich unter dem Vorwand des gemeinsamen Schutzes gegen äußere Feinde, wüßte nur einen Feind, in Wien. Eins, zwei, drei, so ist es klar. Und jetzt werde er versuchen, die Kurfürsten an sich zu ziehen! Oñate war ein hitziger ehrlicher Anhänger seines Königs, verstand nichts als Spanien; die Räte lächelten und ehrten ihn.
Denn der Abt Anton wie Trautmannsdorf hatten mit ihrem Zögern nur vor, den bayrischen Herzog zu erproben; sie wollten sehen, wie weit er gehen würde, ihm in jedem Fall nachgeben. Sie wollten ihn die Größe des Geschenks fühlen lassen.
Als eines Tages hintereinander der trottelige Verospi und der biedere massive bayrische Rat Leuker beim Abt Anton vorgesprochen hatten – der kleine Trautmannsdorf saß stumm, als ginge es ihn nichts an, auf breitem teppichgetragenem Sessel neben ihm in der dunklen Bibliothek, blies sich über den Handrücken –, seufzte Anton tief auf. Trautmannsdorf nahm von nichts Notiz. Der Abt hob sein Käppchen ab, wischte sich die Tonsur, bat: »Herr Trautmannsdorf.«
Der sah auf.
»Denkt Euch, es ist noch ein Schreiben von der spanischen Majestät eingelaufen.«
»Ja, Ehrwürden.«
»Mein Freund, der Kapuziner Hyacinth von Casale, dieser gelehrte, sehr gelehrte würdige Mann, hat mir auf fünf Folioseiten seinen Standpunkt in dieser Sache entwickelt.«
»Ich verstehe, Ehrwürden.«
»Ich glaub’ nicht, Herr Trautmannsdorf. Dann hat erneut ein gewisser Pfalzgraf von Neuburg – Ihr erinnert Euch der Skandalaffäre – seinen Kammerdiener mit Gründen, schriftlich niedergelegten, mündlich zu diskutierenden Gründen in mein Haus geschickt. Wie es dann noch mit Herrn Oñate, diesem trefflichen Mann des spanischen Königs, in dieser Sache enden wird, läßt sich nicht absehen; ich habe Vorkehrungen getroffen, daß er mich nicht allein spricht und daß mich rechtzeitig zwei oder drei Musketiere schützen können gegen ihn.«
»Ich verstehe, Ehrwürden. Ist nicht bequem, die pfälzische Angelegenheit zu bearbeiten.«
Abt Anton seufzte: »Wißt, Herr, ich gebe nach. Gewiß. Ich gebe nach. Einmal muß es geschehen. Wozu das Sträuben!«
Da lachte Trautmannsdorf heftig: »Tut es, Ehrwürden. Es fiel mir schon vorhin ein. Der Kammerdiener des Pfalzgrafen von Neuburg soll nicht unverrichteter Dinge heimkehren; sagt zu.«
»Von ihm ist nicht die Rede. Er hat Gründe, ich kann sie Euch im Moment nicht entwickeln; es sind jedenfalls so viele, daß sie ein besonderes Fach in meinem Schranke füllen.«
»Nun?« lachte spitzbübisch der kleine Herr, als er sah, daß der Abt behaglicher wurde.
»Wahrhaft, ein volles großes Fach; Ihr könnt es besehen, bevor Ihr geht; ich zeig’ es jedem unserer Freunde, die mich besuchen und in diesen Angelegenheiten befaßt sind. Staunen alle; sind alle erschlagen von der Fülle dieser Argumente.«
»So gebt ihm recht und Ihr habt Ruhe. Laßt das Gericht beschließen.«
»Was seid Ihr für ein loser Vogel, mein Trautmannsdorf.«
»So habt Ihr die Sache vom Hals.«
»Wo bleiben wir, wenn wir jedem wie ein Salomo recht geben wollten. Sie disputierten mir den Stuhl unter den Beinen weg, auf dem ich sitze; von Gründen würde mir die Kappe weggeblasen werden. Recht, Recht ist nur eine Begleiterscheinung.«
Trautmannsdorf rieb sich vergnügt die Hände: »Wenn es so ist, so würde ich in der Lage von Ehrwürden gar nicht, aber gar nicht nach Gründen fragen und mein Gehirn strapazieren lassen, meine Schränke vollstopfen lassen. Tut, was Euch beliebt, bleibt auf Eurem Stuhl, nehmt für die Kur den Bayern, den Pfalzgrafen –, nehmt meinetwegen mich.«
»Nicht doch«, quietschte Anton, »ich würde Euch gewiß gern nehmen, Ihr verdientet den Kurhut, Trautmannsdorf, Euch würde ich ihn am liebsten geben. Aber seht, es muß alles ein gewisses Ansehen haben, daher kann ich von Gründen nicht ablassen, so gern ich es wollte. Das Wichtigste bleibt immerhin: das Recht muß erkämpft werden. Wird es das nicht –«
»So ist es kein Recht.«
Der Abt lachte heftig, fing wieder an, aus einem Blumenkorb, der auf einer riesigen Truhe stand, Rose nach Rose zu entblättern, an den Blättern zu saugen, sie zu zerkauen und auszuspucken: »Nein, keineswegs, durchaus nicht. Wir wollen niemandem Gewalt antun. Es bleibt Recht. Nur: es geht uns nichts an. Sagt selbst, Trautmannsdorf, wen geht denn jedes Recht in der Welt an? Und wenn ich denke, wie viel Unrecht in der Welt geschieht. Die Unsumme Böses: ja, es ist so viel Böses von Haus aus in der Welt, daß der Heiland erscheinen mußte, um alles auf sich zu nehmen. Es ist die größte Tat, wir wissen es, die in der Welt geschehen ist. Was soll da ein kaiserliches Hofgericht, und selbst wenn es auf der Doktoren- und Adligenbank Männer hat wie Euch? Von mir zu schweigen.«
Der Abt saß auf seiner Truhe, hielt den Korb auf dem Schoß und schaukelte sich wie ein kleines Mädchen. Trautmannsdorf beobachtete ihn von unten, blies sich über den Handrükken: »Im Grunde ist es das Richtigste, man schickt die Leute, die Recht suchen, die glauben, daß ihnen ihr Recht nicht geschieht, beten.«
»Freilich.«
»Dazu ist der Heiland erschienen.«
Sie lachten eine Weile zusammen, während der Abt kauend mit dem Finger zu seinem Gast herüberdrohte, der aber nicht aufsah.
»Und was bleibt für das Hofgericht, Ehrwürden?«
»Zählt es Euch selbst ab.«
»Demnach nur die, die nicht –«
»Freilich, freilich, die Bayern.«
»Ich meine die Gottlosen, Ehrwürden.«
»Aber, Trautmannsdorf«, er war heruntergerutscht und umschlang die Schultern des Kleinen von rückwärts, »was führt Ihr für lästerliche Redensarten. Eure Gedanken sind jetzt nicht klar, Ihr entbehrt gänzlich der Logik. Man wird doch nicht Gegensätze machen, wo man gruppieren kann. Maximilian ist fromm, – aber schwerhörig. Ihr habt die Schwerhörigkeit nicht in Eure Rechnung eingestellt. Steht ein Stier da und hat zwei Hörner, senkt den Kopf und will mich spießen, so hilft mir keine Anrede, keine Ermahnung, Verwarnung, Belehrung; der Stier hört nicht; ich bin nicht heilig genug wie Franziskus von Assisi, um mich mit dem Tier zu verständigen. Ich werde also dem Stier recht geben; ich werde ihm aus dem Wege gehen. Und dem Bayernherzog werden wir die Tür zum Kurfürstenkolleg öffnen.«
»Tut es, tut es, bald.«
»Wir müssen, Trautmannsdorf, wir müssen. Ich kann mich mit dem gehörnten Stier nicht unterhalten. Er hört nicht.«
IN FEIERLICHSTER Weise, in Gegenwart der gesamten Doktoren- und Edlenbank des Hofgerichts, des Reichshofrats, der Hofkammer, eröffnete, beauftragt von der kaiserlichen Majestät, im langgestreckten Sitzungssaal der Abt Anton von Kremsmünster dem vorgeladenen Vertreter des bayrischen Herzogs, dem stillstehenden Koloß Jesaias Leuker, er, der graziöse gütige Mann, der, während er las, nach rechts und links die an der Wand sitzenden Herren mit sonderbaren abwesenden Blicken grüßte, mit der linken Hand an den violetten Gürtelfransen spielend, daß sich die Hofkammer allein und an sich nicht kompetent erachte, auch die kaiserliche Person allein und an sich nicht vermöge, den geringsten Bescheid, ja auch nur Auskunft in Sachen der dem Pfälzer aberkannten Kur zu erteilen. Vielmehr bleibe alles dies in der Schwebe nach den beschworenen Grundgesetzen des Heiligen Römischen Reiches, und nur die harmonische Zusammenwirkung von kaiserlicher Person mit dem gebietenden ehrsamen Kurkollegium sei befugt und erachte sich bevollmächtigt, ernannt und berufen, die Frage des pfälzischen Vermächtnisses, schwerwiegender Gewalt, von sich aus zu beantworten und gültig zu lösen. Es sei daher zu beschreiten als einzig vorgesehener und allseitig innezuhaltender Weg und Straße die Einberufung einer Deputation auf einen festzusetzenden Tag, zu welchem Ladung erfolgen werde durch des Reiches Erzkanzler, des Kurfürsten Erzbischofs Durchlaucht von Mainz, Johann, an beschließende hohe Instanzen und an alle sonst, die es angeht.
Nach welcher festlichen Bekundung und formellem Akt sich der das Präsidium führende Abt nebst Sekretär und Protokollant entfernte, die übrigen Herren sich in stürmischem Erstaunen untereinandermischten. Vornehmlich der völlig vor den Kopf gestoßene Bayer vermochte sich nicht zu beruhigen. Denn diese seriöse Entladung des hohen Hofkammergerichts erfolgte auf ein Angehen, das gar nicht bestand. Gar nicht war ja offiziell Herr Abt Anton, dieser liebenswürdige Pfiffikus, um Entscheidung oder nur Auskunft in Sachen Kurpfalz gebeten worden; nach allen Seiten hin beteuerte Leuker, bald seinen Gnadenpfennig malträtierend, bald seinen Degen, der gegen sein krankes Bein schlug, wegschleudernd, daß er gänzlich ahnungslos sei, daß vielleicht eine unmaßgebliche, vielleicht mißgünstige Person über seinen Kopf weg vorgegangen sei und diese Peinlichkeit heraufbeschworen habe. »Peinlichkeit, Peinlichkeit«, rief er jedem zu, der in seinen Gesprächskreis trat; man möge nicht schlecht und in falscher Richtung argumentieren; »ja, was ist das, was ist das?« und zeigte sich so konsterniert, wie er wirklich war. Er wußte auch nicht, wohin mit sich in diesem Augenblick; einen Moment raste er im Raum herum, redete den an, beschwor jenen, es werde doch nichts Eigenmächtiges von Bayern in dieser Sache geplant, es liege alles in der Waage der Gerechtigkeit, des ehrsamen Kurkollegiums und so weiter; im nächsten Moment drängte er nach der Tür, um Hals über Kopf Kuriere nach München zu schicken von dieser nicht auszudenkenden Bloßstellung oder über den kleinen Abt herzufallen, ihn büßen zu lassen für diesen Affront; denn was bedeutete das nur! Triumphierend standen zwei Doktoren mit einmal ihm gegenüber, im Talar, mit großen Brillen, Herren, deren bezahlte Freundschaft mit dem Kanzler des Pfalzgrafen Philipp von Pfalz-Neuburg bekannt und berüchtigt war; sie erklärten ihm, es sei gar kein Grund vorhanden für ihn, sich beschuldigt zu fühlen, sich reinigen zu müssen; sie seien mehrfach sehr entschieden für das legitime Recht, beruhend auf Verwandtschaft, gegen Macht, beruhend auf Siegen, in Sache der Kurvergebung eingetreten. Was sei nur geschehen? Maximilian habe mitsiegen helfen über den Pfälzer und seinen Anhang, dadurch schaffe er sich keinen Beweistitel für seine Ansprüche auf die Kur, – da nämlich näher geboren der alte Pfalzneuburger sei. Würde man nur nach Siegen und ähnlichem äußerem Geschehen urteilen und entscheiden, barbarischen Bräuchen, so würde die ganze Staatenordnung Europas und besonders des Heiligen Reiches ins Wanken kommen. Sie sprachen ganz, als sei die Sache schon für sie entschieden.
Leuker in heller Wut lächelte, bat um Entschuldigung, man möchte nichts mißverstehen, drehte sich ein paarmal wie ein Verbrecher im Kreise, saß in seinem Wagen.
Drin brauste die Unterhaltung. Einige faßten die Entscheidung angesichts des bekannten Ansturms Bayerns auf den Kaiser als eine entschlossene Absage auf; Harrach, grüngelb von einem noch nicht abgeklungenen Gallensteinanfall, an zwei Stöcken vorsichtig sich schiebend, ließ vor Vergnügen seine Augen blitzen. Questenberg zog den weisen, gelinden Fürsten Eggenberg »Hans Ulrich, du geliebter« an sich, pfeifend: »Der neue Kurs« und »Habsburg zur Attacke!« Man sang das Loblied Leopolds. Eggenberg ließ sich rechts und links Glück wünschen. Seinen dicken Freund Questenberg zog er aber kopfschüttelnd auf eine ganz leere Polsterbank; zeigte auf die erregt diskutierenden Gruppen, sah auf seine Füße; er blieb dabei, der Vorfall sei ihm unverständlich; es sei ein Hieb, der für den Abt Anton doch zu stark sei.
Völlig starr saß Anton eine halbe Stunde später vor seinem Gast, dem dröhnenden drohenden verzweifelten Doktor Jesaias Leuker, der ihn nicht zu Worte kommen ließ, fast tätlich auf ihn eindrang. Kremsmünster wurde etwas erleichtert durch das Eintreten Trautmannsdorfs, der ironisch höflich den Bayern nach dessen zerstreuter Verneigung bat, sich nicht stören zu lassen, sich selbst auf dem gewohnten Hocker niederließ und sich über den Handrücken blies. Als der bayrische, französisch gespickte Schwall zu ebben anfing, begann Anton mit Interjektionen vorzugehen, um das Versiegen zu beschleunigen. Und so mit »Nein«, »Nicht doch«, »Mein gestrenger viellieber Herr«, »So bitte ich« gelang es ihm, sukzessive Raum für ganze Sätze zu gewinnen, schließlich sich vor dem matten, hilflos keuchenden Bayern zu bewegen, selbst freilich schon mehr erregt, als er vorhatte. Also er staune, gestand er, er könne sich keines anderen Ausdrucks bedienen, er sei völlig seines Begriffsvermögens beraubt. Er trage eine Rede, eine Entscheidung vor, die so aus dem Wesen der Sache stamme, wie überhaupt ein Urteil aus dem Körper eines Gerichts. Und nachdem dies geschehen, spontan ungereizt unhofiert und ungescholten, schmähe man ihn. Ja, sei er Präsident der kaiserlichen Hofkammer oder sei er es nicht? Sei er Richter oder nicht?
»Lächerlich«, brüllte Leuker wieder, »lästerlich und absurd. Was hat den Herrn veranlaßt, mich zu schockieren, wo ihm nichts von mir widerfahren ist?«
»Weiß Gott, nichts, Herr Geheimrat. Ich bezeug’s Euch gern. Ich bin jedoch nicht in bayrischer Dependance – noch einmal gesagt –, um eines Zeichens zum Redebeginn von Euch zu bedürfen. Sprecht Ihr, Herr Trautmannsdorf, hab’ ich mir Unziemliches erlaubt, die Grenzen meiner Kompetenz überschritten? Ihr mögt es hören, Herr Leuker.«
Trautmannsdorf brauchte lange, bis er seine vollen Bakken ausgeblasen hatte, dann lächelte er diskret: »Ich weiß nicht.«
»Seht!« trotzte Leuker.
»Nämlich ich weiß nicht, ob Ehrwürden entsprechend mit der Kaiserlichen Majestät oder mit seinem hohen Bruder beraten haben.«
»Erzherzog Leopolds Hoheit hat auf kaiserliches Mandat das geschehene Verfahren gebilligt und befohlen.«
Trautmannsdorf wandte sich armhebend an Leuker: »So ist ja alles Klagen und Anklagen überflüssig. Ihr erschießt einen Sperling und meint den Falken.«
»Es ist nicht denkbar«, jammerte Leuker, dem es vor dem Bericht an Maximilian graute, »nichts ist geschehen, was solchen Schritt gegen Bayern rechtfertigen könnte. Wir haben kaiserliche Majestät und Euch nicht herausgefordert. Ich muß protestieren gegen den Erzherzog.«
»Er wohnt nicht hier«, lächelte Trautmannsdorf.
Nun schwiegen sie, die beiden Kaiserlichen ruhig abwartend, der Bayer ratlos.
Der Abt fing wieder an, versöhnlich: »Übrigens, ohne mich in bayrische Politik mischen zu wollen, deren Methoden gewiß besonders studiert werden müssen: ich sehe nicht, welchen Anlaß Ihr habt, mit mir unzufrieden zu sein. Es geht Eurer Sache ja so gut. Euer Wagen fährt so rasch, wie Ihr nur wünschen könnt.«
Das bestätigte der kleine Rat mit kurzem Nicken.
Leuker setzte sich, sah die Herren an; er war vor Angst völlig perplex, hätte am liebsten die Herren um irgendeinen Rat gefragt.
»In zwei drei Monaten hat Euer Herzog den pfälzischen Kurhut; die Wittelsbacher in München haben die in Heidelberg geschlagen. Es kommt nur darauf an, die Kurfürsten zur Zustimmung zu bringen. Ich habe weiter nichts gesagt – vor allen Ohren, hört es –: die Sache ist, was den Kaiser anlangt, entschieden, nämlich für München. Ich hab’ es laut gesagt, damit im Reich niemand daran zweifelt, daß wir uns hier gebunden erachten. Und ich hab’ es weiter darum gegen jedermann offenbart, damit es nicht heißt, wir handeln im dunkeln. Die andern lesen heraus, daß wir gerecht sein wollen; Ihr müßt erkennen, daß auch für Euch diese Meinung von Wert ist. Öffentlicher Deputationstag, öffentliche vorherige Erklärung. Es kommt uns auf Gerechtigkeit an.«
Beruhigt und doch beunruhigt hakte Leuker ein, der sich tief atmend im Stuhl zurücklehnte, was das heißen solle, Gerechtigkeit, was er damit gesagt haben wolle; er rieb sein krankes Bein, das ihm plötzlich wieder einfiel: »Nicht doch, Gerechtigkeit, laßt das Wort. Der Schein der Gerechtigkeit, wollen wir so sagen. Wir kommen ohne den Schein nicht aus. Ihr auch nicht.«
Die beiden schwiegen undurchdringlich.
Mit entschlossenem würdevollem Brustton entgegnete der Bayer: »Uns liegt durchaus an der Gerechtigkeit. Wir scheuen sie nicht. Wir wollen nur nicht gar zu spitzfindiges Eingehen auf juristische Kompliziertheiten; man kommt damit nicht weiter. Die Realitäten müssen durchdringen, Anerkennung finden.«
»So und nicht anders verstehe ich Gerechtigkeit«, bestätigte der Abt.
Bevor Leuker ging, befriedigt und doch mißtrauisch, ein Duplikat der heutigen Kammermitteilung in der Hand, unklar zweifelnd, sagte er noch einmal halb fragend, es stände also alles gut.
»Für wen?« meinte Trautmannsdorf.
»Ich meine«, verbesserte sich der an der Tür, »es lag ein Mißverständnis vor.«
»Von wem?« schüttelte ernst Trautmannsdorf den Kopf.
Anton schüttelte dem Bayer die Hand: »Ihr werdet, besonders lieber Herr, vornehmlich wenn Ihr die Sache nachher in Ruhe überlegt, zugeben, daß Euch nichts Übles widerfahren ist von mir.«
Dann saßen Anton und Trautmannsdorf sich allein gegenüber, und Trautmannsdorf blickte den Abt an.
Der hatte auf der Truhe plötzlich einen ernsten Ausdruck, als wenn er eine Maske ablegte, einen verdrossenen harten Blick; winkte ab, bevor der Kleine die Stimme erhob.
»Ihr gesteht, Trautmannsdorf, nachdem Ihr zu meiner Freude dies mit angehört habt, daß ich nicht zu weit gegangen bin. Ließ ich es gehen, wie Leuker und sein Herr es wollten, so wären wir Knechte und Schürzenträger der Bayern. Sie glauben, wir seien dazu verpflichtet. Das ist zu viel, überschreitet das Maß. Was wir geben, muß geachtet werden. Forderungen an die Römische Majestät dulde ich nicht.«
Still der Kleine: »Ihr sprecht aus meiner Meinung.«
»Schließlich kann ich, und ich weiß, kann der Kaiser und der Erzherzog nicht die Verantwortung für das Folgende übernehmen. Mag sie der Bayer selbst tragen. Wir nehmen sie ihm nicht ab. Niemals. Wir haben keinen Grund dafür, gegen ihn milde zu sein. Denkt an, Herr, ich will es Euch nicht verhehlen, ich habe ihn nach Rücksprache mit Eggenberg anfragen lassen sub rosa, wodurch und wie sich die Römische Majestät von ihm freikaufen könnte, von ihren Pfälzer Verbindlichkeiten. Ich habe den Erzherzog nichts davon wissen lassen. Ich wollte einen runden Betrag. Den hat er genannt.«
»So sprecht doch, Ehrwürden.«
»Das Herz kann es mir zerreißen. Ich bin ein Christ, Katholik, und dazu bin ich geweihter Priester. Mir steht kein Haß oder Abscheu gegen Menschen zu. Schon gewiß nicht gegen einen andern, der Christ, Katholik ist und – ein Verwandter unseres Herrn. Aber die Wut zerreißt mir die Eingeweide, wenn ich es bedenke. Noch nie ist dieser getreue gerade Kaiser so geschmäht und infernalisch gehöhnt als durch diese Antwort.«
»Ein unerschwinglicher Betrag. Und Ihr?«
»Dreizehn Millionen Gulden. Hört, denkt«, der Abt fast schreiend, dann erschreckt hinter sich blickend, mit heftiger Flüsterstimme und Gesten auf den Grafen eindringend, der im Nachdenken die Augen schloß, »dreizehn Millionen Gulden. Man muß es sich vorstellen, man muß sich ihn vorstellen, den Bayern. – Laßt mich einmal sehen; die Fensterläden geschlossen, einer auf dem Flur?«
Als er bebend auf und ab schritt auf dem Längsläufer, öffnete Trautmannsdorf die Augen: »Ihr seht jetzt: der Wittelsbacher verachtet uns. Uns alle, samt unserm allergnädigsten Herrn. Dreizehn Millionen: da hat er gelacht und seinen Vater gefragt: ›Wollen sehen, was das Bettelpack antworten wird.‹ Römischer Kaiser und Herzog in Bayern. Oh, wir hätten ihm wohl doch beistehen müssen, damals, dem Kaiser, als die Exekution gegen die Oberpfalz begann. Wir hätten es müssen, Ehrwürden. Der Bayer suchte Macht gegen uns. Es wäre nicht so weit gekommen mit dem Kaiser. Jetzt wagt er dies; er weiß, warum der Kaiser beiseite steht und warum der Erzherzog Leopold am Hofe lebt.«
»Liebwerter Freund, wir hätten es müssen? Es hätte auf ihn keinen Eindruck gemacht, er kennt uns beinah besser als wir uns. Es war schon alles gut; wir haben nichts verfehlt. Er weiß, wie wir ihn brauchen.«
»So laßt es nun sein, ihm den Kurhut zu erschweren. So nützt es doch nichts.«
Der Abt hielt, noch im Schreiten, die Hände vor das Gesicht und weinte fast: »Nehmt mir nicht allen Trost. Ich weiß ja, ich will nicht denken. Darum muß ich ihm nicht Vorschub leisten. Ich entlarve seine Schliche. Ich will ihm diese Stunde nie vergessen, mit dem Brieflein um dreizehn Millionen. Seht, mir habe ich’s in der Brust geschworen, in Treue um unsern allergnädigsten Herrn, dem ich nichts von der Botschaft verriet: die dreizehn Millionen soll er uns bezahlen; er soll denken: nie kann ich genugsam Geld aufbieten, um mir Habsburg wieder freund zu machen, und ich kann’s nie. Dies will ich ihm nicht ersparen.«
»Ihr habt die Siegesfeier für gut gehalten.«
»Es soll die letzte gewesen sein, Trautmannsdorf.«
»Dies war’s, was Ihr mir so dringlich vorgestern mitteilen wolltet; ich war verreist. Und was habt Ihr erreicht mit Eurem Beschluß von vorhin?«
»Einen Wutanfall Maximilians, ich weiß. Weiter nichts. Nur soll er uns nicht für Narren halten, für solche Narren, wie ich es beispielsweise bis jetzt war.«
»Wißt Ihr, Ehrwürden«, begann nach einer Pause der unbewegliche Graf, »einen Schritt könnten wir gleich weiter gehen.«
»Und?«
»Wir könnten versuchen, den Erzherzog Leopold –«
»In diesem Augenblick dachte ich daran. Wir müssen es an Lamormain bringen. Ich weiß freilich noch nicht, wie er von meinem ersten Schritt denkt.«
»Ist er bayrisch gesinnt?«
»Nicht so und nicht kaiserisch. Er ist von der Gesellschaft Jesu und gehorcht dem Papst.«
»Vielleicht also bayrisch. Er wird, wofern Ihr ihm das Brieflein zeigt, seine Stellung ändern. Er ist tatendurstig, das Brieflein wird ihm als Angriff auf seine Macht vorkommen.«
»Der Bayer soll seine Freude haben an dem Kurfürsten«, drohte der Abt, schwang sich auf die Truhe.
»Mich müßt Ihr beurlauben, und ich kann jetzt nicht Euer Gast sein, Ehrwürden. Ich war nicht in meinem Quartier von der Reise. Und ich möchte dann mit einigen Herren, später mit Euch, beraten, wann wir zu unserem allergnädigsten Herrn hinausfahren, um Audienz zu erbitten. Ich denke wie Ihr: wir sind es ihm schuldig – wenn er auch nicht viel Freude daran haben wird.«
»Lebt wohl, liebwerter Freund.«
Trautmannsdorf flüsterte schalkhaft: »Ich möchte auch gleich zum Herrn Leuker; ihn trösten, beruhigen.«
»Tut es«, lächelte gezwungen der immer wieder zitternde Abt auf der Schwelle, in dem Flur nach rechts und links blikkend, als wenn er Gespenster erwarte.
IN SACHSEN, in Dresden, wie in dem brandenburgischen Berlin hielt man sich die Seiten vor Lachen über den neuen Wiener Vorschlag, die Pfälzer Angelegenheit gänzlich durch ein Dekret des gesamten Kurfürstenkollegs aus der Welt zu schaffen. Johann Georg, dem Kurfürsten, behagte die neue Kunde ebenso kostbar wie seinem Ratspräsidenten, dem Kaspar von Schönberg; er ließ für einige Tage seine Hauptsorge außer acht, die Aufsicht und Reglementierung der Braugesellschaften, das Herumschnüffeln nach verborgenen Braufinessen. Wie andere Hoheiten Gesandte in fremden Ländern, so hatte er geschmackskundige Vertrauensleute in größeren Flecken seines Landes, vereinzelte auch in den berühmten Hansestädten, die für ihn herumspionierten und ihm berichteten, auch die feinsten Tönnchen, das sorgfältigste Gebräu versiegelt und plombiert unter Geheimchiffren durch Kuriere zurollen ließen. War das Gebräu in der Tat erlesen, das aufgedeckte Geheimnis absonderlich, so konnte es dem gewandten gelehrten Entdecker so bald an nichts fehlen; er hatte sich legitimiert für den Zutritt zum kursächsischen Hof; der Merseburger Bierkönig, wie Johann Georg sich gern nennen ließ, mit Stolz – wenngleich die Leipziger Studenten ihn damit zu verspotten glaubten –, empfing ihn feierlich, dankbar und ehrend, wie es sich gebührte gegen jemand, der dem kursächsischen Leib wohlgetan hatte. Würdig gemächlich und etwas schwach im Kopfe war Johann Georg; er hatte den Blick für das Wesentliche im Leben nicht verloren, eine liebevolle Kenntnis der menschlichen Schwächen war ihm eigen. Für die Details des Daseins, auch des Amtsverkehrs, hatte er sich den Kaspar von Schönberg engagiert, den er noch, damit er nicht gar zu üppig werde, mit dem Schwergewicht einiger seiner edlen Vertrauensleute behängte; mit Gott, im Vertrauen auf die ererbte pfaffenfeindliche Religion konnte er so stattlich den Regierungswagen kutschieren. Kopfschüttelnd hatte er den Lauf des Pfälzers Friedrich mit angesehen; der Mann hatte den rechten Glauben, auch die rechte Frau, ein schönes fettes englisches Weib, nach dem sich ein armer Deutscher die Finger lecken konnte. Aber wohin konnte es führen, sagte Johann Georg in versunkenen Momenten, wenn einer dies Weib in einem Schiff den Rhein und Neckar hinauf nach Heidelberg geleite, in einem Schiff, das Silberkammern Schlafkammern Ritterstuben Badekammern habe. Und die Kammern ließe man sich noch gefallen, und sie seien würdig eines solchen geborenen Kurfürsten, auch Königs, und eines so leckeren Frauchens; aber woher das Geld, wofern es nicht er, sondern der König von England, Jakob der Griesgram, der Dickkopf hat? Ja, was dann; so sei alles Glück und Hoffnung sogleich auf Sand gebaut. Ein deutscher Fürst – ja, es sei so, und so mußte es kommen, und so hätte es kommen müssen mit allen Folgen für ihn, für den Kaiser Ferdinand, für das Heilige Römische Reich, für den evangelischen Glauben; das Weitere sei auch alles so zu erwarten. Das war die Direktive für den »kursächsischen Aktuar und das Spitzmäuschen«, wie er den Schönberg huldvoll benannte, und auch bei dem neuen Entschluß, die Pfälzer Angelegenheit durch kurfürstliches Kollegialdekret zu beenden.
Es war Spätherbst; in einem Saale seiner Kunstkammer saß Johann Georg auf einem Rollstuhl, mit blauer Nase, frierend in seinem wattierten Wams, seinem Rock aus Wolfspelz, über beide Ohren die Pelzkappe, unter einem dicken Hut; mit Sämischlederhandschuhen, über die er ungeheure Wolfshandschuhe gestülpt hatte; die Beine in Lammfell geschlagen. Über das Wams floß ihm ein breiter gewellter grauer Bart, grün die Mundstoppeln. Den herumspintisierenden Kaspar von Schönberg, dieses arrogante dienernde Gerüst, verabschiedete er kurzerhand. Dann betrachtete er wohlwollend seinen asthmatischen Kammerdiener, den Lebzelter, der vor einem Pult mit dem aufgeschlagenen prächtig illuminierten eichstättischen Tulpenbuch stand und im Stehen sich Notizen machte. Denn Lebzelter notierte alles, was er sah, was um ihn geschah, seit zwei Jahrzehnten, aus Ordnung, aus Reinlichkeit, damit man nicht wie ein Tier ohne Gedächtnis herumlaufe. »Was hältst du von dem Handel, Lebzelter?« Eifrig sprang der herbei, hob abwehrend beide Hände, riß ehrerbietig die Augen auf, bis unter die lockige graue Perücke:
»Kurfürstliche Gnaden: nicht anrühren! Geheimer Rat Kaspar denkt im Nu, im Hui; Lebzelter – Eure Gnaden wissen.«
»Woran liegt’s, Lebzelter? Was werden wir machen?«
»Nicht anrühren, Eure kurfürstliche Gnaden. Nicht heute, nicht morgen. Das Natürliche braucht seine Zeit. Ich werde notieren.«
»Übermorgen, Lebzelter. Und laß mir den Kaspar nicht vor.«
Nach zwei Tagen staffierte der Diener seinen Herrn sorgsam aus, und als er ihn recht vor die Schränke gehoben hatte, den Bierhumpen zur Seite gestellt, daneben ein Körbchen Salzbretzel, machte er rasch seinen Eintrag, stäubte sich ab, verbeugte sich zum Vortrag. Aber Johann Georg bemerkte schon nach dem ersten tiefen Schluck, es müßte erst festgestellt werden, ob sie auch übereinstimmten in der Hauptsache.
Die Hauptsache sei – Lebzelter erhielt das Wort –, den beiden protestierenden Kurfürsten samt allen Ständen, die sie im Kolleg vertreten, solle das Fell über die Ohren gezogen werden, von kaiserlichen Händen. Gerührt reichte ihm Johann Georg die Hand: »Lebzelter, feuchte dich an.« Alsdann kehre man, meinte geschmeichelt der Kammerdiener, mit kurfürstlich sächsischem Konsens zum Ausgangspunkt zurück: man lache. Denn die Albernheit der deputierten kaiserlichen Räte in dieser Affäre sei zu groß; sähe doch jeder Sachse, Brandenburger, jedes Kind: das Kurfürstenkolleg solle gutheißen, bezahlen, was der Kaiser esse. Es sei den Herrchen, hochzuehrenden, strengen, wohledlen allzusamt, allgemach zu schwer geworden in Wien, die Verantwortung und die Kosten selbst zu übernehmen; so mag es der Kurfürst mit dem guten, breiten Buckel.
»Ich will dir aber sagen«, bemerkte, den Wolfshandschuh abstreifend, nachdrücklich der Herr, »alles lieb und honorig, was Römische Majestät unternimmt und mit kaiserlicher Potenz sich unterfängt. Nur lach du mir nicht zuviel. Es tut nicht gut und hält nicht gut, es verstößt gegen den Respekt. Was soll ich denn, der doch einmal dein Kurfürst, dein gnädiger Herr ist, sagen, wenn Ihr lacht, wo das Reich erschüttert wird?«
Lebzelter hob gravitätisch, überlegen wieder beide Hände: »Wird nicht! Und geschieht nicht! Darum mit jedem Verlaub, kurfürstliche Gnaden, eben lacht man: weil man sich drüben täuscht. Was ist das für ein Gelächter? Ein Spottgelächter, ein vergnügtes, sehr ernstes, ablehnendes Gelächter.«
»So lass’ ich mir’s gefallen. Wir lehnen ab.«
»Wir lehnen ab, kurfürstliche Gnaden. Geschieht das gleiche wie mit dem Pfalzgrafen Friedrich und seinem Schiff.«
»Warum, mein Sohn?«
»In diesem Fall hatte der Engländer das Geld, und darum konnte der Pfälzer nicht lange Schiff fahren. Jetzt will der Bayer und die Majestät fahren, und –«
»Gut. Ich habe aber auch kein Geld. Gut, Lebzelter. Von den Menschen soll jeder Freude und Lasten allein tragen, denn so hat ihn unser Herre Gott geschaffen. Der Kaiser ist ein würdiger, seriöser Mann und gar erst der bayrische Maximilian. Bin ihnen beiden redlich zugetan und treu wohlgesinnt. Sie verstoßen aber gegen Gottes Gesetz; sie müssen mit ihren eigenen Beinen laufen.« »Ich werde, wenn Eure Gnaden befehlen, dem Kaspar Schönberg dies als Eure strenge unabweichbare Gesinnung offenbaren.«
»Dem Kaspar befehle ich –. Ich befehl’ ihm nichts. Er soll sein Spitzmäulchen da nicht hineinstecken. Er hat mir auch zuviel gelacht über die Affäre, er sieht Respekt und Ernst nicht.«
»Was befehlen kurfürstliche Gnaden?« Unwirsch arbeitete der Fürst an seinem Wolfspelz. »Wir wollen uns nicht mit Politik übernehmen, Lebzelter. Ihr schnakt zu keck in die Welt. Mir wird heiß. Sauf' er und lauf', was meine kranke Mutter macht.«
WAS DIE Brandenburger, der Landgraf Ludwig von Hessen-Darmstadt dachten, gelangte bald an den kaiserlichen Hof: man erkenne die kaiserliche Gerechtigkeit an, man werde ordentliches Gericht über den Pfalzgrafen Friedrich verlangen, die Gründe seiner Ächtung zur Diskussion stellen. Das war die Parade.
Die Unterschriften zu der Einladung zum Regensburger Fürstentag wurden vom Kaiser vollzogen; er selbst ließ sich von den Räten, auch von seinem vielgeliebten Eggenberg, nicht sprechen. Auf die wiederholte Audienzbitte gingen ihnen durch den kaiserlichen Obersthofmeister gnädige Dankesworte der Majestät zu, der sie an seinen Bruder Leopold wandte. Wie der Kaiser Rudolf mit seinen Astrologen Malern Alchimisten sich von der Welt absonderte, so sein Nachkomme mit seiner jungen frommen Gemahlin. Lebte mit ihr in Laxenburg, Wolkersdorf im tiefsten Frieden; Diplomaten und Räte saßen oft an seiner Tafel, sahen, wie wohl und kräftig ihr Herr war, wie er schmauste. Hexenfolterungen Maskeraden Ballspiele Wallfahrten Jagden Messebesuch füllten die Zeit ganz mit Wohlgefühl aus. Die Ausstattung aller Jagdschlösser mußte erneut werden. Um die Kaiserin sammelte sich ein immer größerer Hofstaat. Der Kaiser machte ihr ohne aufzuhören Geschenke von riesigem Wert, in Geld und Schmuck, die zu beschaffen er, ohne zu fragen, seinem Schatzmeister auferlegte. Nach den Unterschriften für die Regensburger Tagung ließ er die Räte seiner besonderen Huld versichern; die Kaiserin würde ihn nach Regensburg begleiten. Und dann kein Wort über die dringend zu fassenden Entschlüsse, nur Gerüchte von ungeheuren pompösen Vorkehrungen, Prachtgewändern der Kaiserin, der Bedienung, Beschaffung von Pferden, Ausbau der kaiserlichen Donauflottille, Herrichtung kaiserlicher Gemächer in Regensburg, Zitierung von Malern Bildhauern aus München, Florenz, den Niederlanden zur Ausstattung der Departements.
Erzherzog Leopold, der Projektenmacher, ging in dem Rausch seiner Allmacht umher; plante zu heiraten, um sich in Wien zu konsolidieren; war in leidige Geldgeschichten vertieft, von denen er sich jetzt rapid erholte; dirigierte rechts, dirigierte links; die Ehrfurcht der berühmten Staatsmänner, der Eggenberg Meggau Kremsmünster blendete ihn. Als man ihm den Reichshofratsbeschluß betreffs Kollegialtag vorlegte, krähte er Beifall; Ordnung müsse sein, bravo, dazu schlau gehandelt, hinterlistig, echt diplomatisch, dächte gewiß niemand daran, daß der Kollegialtag gegen den Bayern sein könnte.
Lange vor dem festgesetzten Termin brach man von Wien auf. In den schönen braunen Herbst fuhr man hinein. In dem ersten Schiffe Ferdinand und die Mantuanerin, einsam. Sie dachte nur, wie sie dem Gemahl, der ihr von Gott zugeführt war, dienstbar sein könne; war ängstlich, ihr Beichtvater führte sie behutsam; sie hatte eine feine verschwiegene verschlagene Art; öfter hatte einer Lust, ihr Politisches zu suggerieren; er erkannte leicht an ihrer Art zuzuhören, den verlegenen Blick zur Erde, den Mund sehr streng, daß sie nichts damit anzufangen wußte und sich nicht stören lassen wollte auf ihren Wegen. Ferdinand schien es ausnehmenden Spaß zu machen, solchen Unterhaltungen beizuwohnen; es war manchmal, als ob er den und jenen aus seiner Umgebung ermunterte zu einer politischen Attacke auf seine Gemahlin. Er träumte währenddessen und mischte sich nicht ein.
Bevor die Flottille in Regensburg landete, machten der Fürst Eggenberg und Graf Trautmannsdorf einen letzten Versuch, den Kaiser zu sprechen. Und zu ihrem großen Erstaunen nahm er sie auf seiner Kammer an. Schalt sie freundlich, in weißem Anzug herumgehend, sich setzend, daß sie durch Geschäfte seine Lustreise verderben wollten; ob sie es vor seiner Gemahlin verantworten könnten. Die Herren durften sich zu ihm in dem ebenholzbekleideten, sehr weiten, sehr niedrigen Gemach setzen, in das die Sonne blitzte, Ruderschläge hineinklangen. Eggenberg, nachdem er seine Freude über das Wohlbefinden des Herrschers ausgesprochen hatte, wies auf die Unklarheit der kommenden Situation und daß noch ein endgiltiger Entscheid fehle über die Taktik, die Wien auf der Tagung befolgen wolle. Ruhig, ohne die Beine zu wechseln, meinte Ferdinand, vornübergebeugt an seiner Sessellehne vorbeiblikkend, es sei doch alles klar und gegeben. Oder seien neue Ereignisse eingetreten, die ihm nicht zu Ohren gekommen wären. Eggenberg, mit dem stummen Trautmannsdorf Blicke wechselnd, vermochte nicht von dem Affront zu reden, den Maximilian dem Hause erwiesen hatte; er lispelte undeutlich, man müsse wissen, wie weit man Wittelsbach, respektive dem Herzog in Bayern folgen wolle. Der Kaiser wandte sich rasch an Trautmannsdorf: »Was meint mein Herr?« Trautmannsdorf, verblüfft über die scharfen Blicke Ferdinands, versicherte, seine Worte zählend, es sei so. Nun, rekelte sich der Kaiser, ihm sei da nicht ersichtlich, wo Schwierigkeiten entstehen sollten; Maximilian erhält die Kur. Die beiden Herren schwiegen. »Ja, mein«, hob Ferdinand, plötzlich sich geradesetzend, die Hände, »wo liegen denn für die Herren Schwierigkeiten? Und seit wann machen sich die Herren Bedenken? Was ist diese Fahrt? Wir belehnen unsern Schwager Maximilian. « Es sei beschlossen, bemerkte Trautmannsdorf vorsichtig, seitens des Rates, und so verkündet, daß die Entscheidung der Pfälzer Frage in die Hände der Kurfürsten gelegt werde; so stehe man auf dem Boden der Grundgesetze des Reiches. Wieder hob der Kaiser die Hände: »Ja, dazu eben fahren wir. Das Kolleg muß hinzugezogen werden. Wir werden die Kurfürsten zu unserer Meinung bewegen; sie werden sich unsern Gründen nicht verschließen. Die Belehnung erfolgt nach den Reichsgesetzen.« Man dachte, artikulierte Trautmannsdorf weiter, seitens der kaiserlichen Gewalt ganz von einer Teilnahme oder Beeinflussung abzusehen; man dachte, ganz, auch ganz den Kurfürsten die Schwere der Entscheidung aufzubürden.
»Ohne die Kaiserliche Majestät?« Die Herren bejahten.
Da stand Ferdinand auf, ging einige Male in dem rollenden, leicht schwankenden Gemach hin und her. Rauhe Stimme: »Wo ist Erzherzog Leopold? Ach, in Wien.« Nach einigem Herumwandern stand der Kaiser vor ihnen: »Bleibt sitzen. Ist etwas eingetreten inzwischen?«
Trautmannsdorf verneinte mit fingiertem Erstaunen; im Gegenteil hätte Herzog Max sich bereit erklärt, um dem kaiserlicherzherzoglichen Hause Weiterungen zu ersparen, auf alle Rechte und Ansprüche um dreizehn Millionen zu verzichten; er sei keineswegs auf die Kur versessen.
Rot blühte es über das volle bärtige Gesicht des Kaisers; als schämte er sich, drehte er sich ab. Er senkte, wie wenn er einen Schlag erwartete, den Kopf, den Rücken gegen sie.
»Was habt Ihr geantwortet?«
»Nichts Sonderliches«, meinte sehr gelassen der verwachsene Graf, »als eben dieses, das Recht nicht zu verzögern. Der Geheime Rat ist übereinstimmend der Auffassung gewesen, daß dem Kurfürstenkolleg eine entscheidende Äußerung in der Sache zustehe.«
»So also habt Ihr geantwortet.«
»Die Kaiserliche Majestät werde dem gefällten Urteil nichts in den Weg legen.«
»Und er?«
»Des Herzogs Maximilian Durchlaucht hat geschwiegen.«
Ferdinand setzte sich, nachdem er sich zusammengerafft hatte, schlug eine flache Hand auf die Lehne, blickte sie fest an: »Gesteht, ich bin es nicht gewesen, der das geraten hat. Ich war es nicht, der diese Wendung herbeigeführt hat.«
Eggenberg bejahte warm, hielt den Atem an.
»Es bleibt dabei, Herren. Wir wollen Ruhe haben. Wir wollen nichts mehr aufrühren. Ja, widersprecht nicht. Das ist beschlossen. Dies und nichts anderes.«
Er verharrte auch dabei auf Trautmannsdorfs Vorhalt.
»Die Herren mögen mich erschlagen, aber nicht versuchen, mich einen Finger breit in meiner Meinung zu verrücken. Mein Schwager selbst bringt mich davon nicht ab; ich bin kein Händler. Ich habe mein kaiserliches Wort hingegeben; die Kur könnte ihm nur entgehen, wenn ich vom Thron weggenommen würde. Dies muß ihm geantwortet werden.«
Sie schwiegen auf seine leidenschaftliche Art.
Als die Herren sich auf sein Kopfnicken erhoben, drückte er dem Fürsten Eggenberg heftig die Hand: »Ich müßte Euch hassen, Eggenberg, daß Ihr mir eben dies angetan habt. Trautmannsdorf, Ihr habt mir einen Schmerz bereitet. Ich sag’ es Euch beiden. Dann danke ich Euch, daß Ihr bei mir waret.«
Er hielt inne, blickte sie abwechselnd mit glühen Augen an: »Wie wäre alles gewesen, wäret Ihr immer mit mir gegangen. Ahnt Ihr das. Ahnt Ihr das. Was ist inzwischen geschehen. Jetzt seid Ihr da.«
»Mein Schwager erhält die Kur«, wiederholte er fest den beiden auf der Schwelle. Die Ruder schlugen, Kastanien prasselten am Ufer von den Bäumen, barsten.
WAS ERWARTET wurde, trat ein. Nach der Ankunft des Kaisers sammelten sich nach und nach Kurfürsten und Fürsten in Regensburg; als aber der Kaiser zum Anfang des neuen Jahres den Konvent im Rathaussaal eröffnete, um die Proposition dem Reichserzkanzler, dem Kurfürsten Erzbischof Johann Schweikhard von Mainz, dem würdigsten ernstesten ältesten der Herren, zu übergeben, fehlten Kursachsen und Kurbrandenburg. Gesandte von ihnen waren da. Ihre Tätigkeit: zuhören berichten keine Instruktion haben protestieren hinhalten. Die Anwesenden ließen sich nicht düpieren, Ratsgang auf Ratsgang fand statt ohne die evangelischen Herren. Tollköpfe Jesuiten und Kapuziner wollten rasch ohne sie zum Entscheid kommen. Pommern, das erwartet wurde, kam nicht, Braunschweig entschuldigte sich; nur viel umworben sah man den ehrgeizigen, sich anschmeichelnden Landgrafen Ludwig von Hessen-Darmstadt in den Fürstenquartieren herumreiten als einzigen Protestanten.
Während die kaiserlichen Räte nervös wurden im Warten und Hoffen auf Kursachsen und Brandenburg, während sich der ehrlich über den Zwiespalt betrübte Mainzer abmühte in Vermittlungsversuchen, saß in seinem gediegenen Quartier an der Grube der junge überstolze Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg. Sein Vater, erkrankt, war ganz faselig geworden; notgedrungen wurde der Sohn ins Vertrauen gezogen; er ging wild wie ein Stier auf die Sache los, staunend und grollend, in welchen Geheimnissen er blind lebte, zornig entschlossen, es mit aller Welt zu verderben, um die sonnenklaren Ansprüche Neuburgs durchzusetzen. Sein Vater überflutete ihn von Neuburg mit Ratschlägen und Vermahnungen; es konnte geschehen – der Sohn fürchtete es –, daß der Alte selbst anfuhr. Jenes stolze Gebaren der neuburgischen Doktoren gegen Leuker in Wien war nur ein Abglanz der Haltung Wolfgang Wilhelms; hochfahrend gebieterisch trat er in Regensburg gegen kaiserliche Räte Kurfürsten und Fürsten auf; man sah ihn mit den prächtigsten Gäulen und Kutschen in dem schneebeladenen Tummelgarten bei den Barfüßern; seinen Aufwand trug er in drohender Weise zur Schau. Die Gemahlin, eine Schwester des bayrischen Max, hatte er wider ihren Willen nach Regensburg geschleppt, sie fürchtete ihren Bruder; Wolfgang Wilhelm setzte ihr mit schmähenden Äußerungen zu, daß sie geboren sei zum Aschenputtel, zur Winkelsteherin; hätte nicht an ihren Bruder zu denken, sondern an ihn, und an ihren Bruder mit Bitternis, denn er wolle ihm das Recht streitig machen, ihm, ihr, ihren unmündigen Kindern. Da saß die unschöne kränkliche Frau, in italienische Kostbarkeiten gehüllt, in dem heißen Empfangssaal an der Grube. Vor die Angesichter aller Kurfürsten wurde sie geschleppt, bald sollte sie zur Audienz erscheinen bei den kaiserlichen Majestäten, bald sollte Maximilian aus München in Regensburg landen.
Der kaum dreißigjährige Pfalzgraf, braunlockig, in französische Schillerseide gekleidet, hatte schmutziggraue Farben an den Backen bekommen, seitdem ihn der Kurfürstenteufel ritt; sein Blick, ehemals flüchtig, jetzt steif und abwesend; die Haltung ohne Zusammenhang, bald versunken, bald kalt abweisend und herrscherisch. Der Alte hatte noch von der Universität Löwen ein ausführliches Gutachten anfertigen lassen zur Begründung seiner Rechtsansprüche; das Gutachten verbreitete der Sohn in Abschriften; vergnügt lasen der spanische wie französische Botschafter, Mainzer Kölner Trierer Räte, sächsische Abgeordnete, die Vertreter Maximilians von Bayern, wie gut fundiert die Neuburger Ansprüche waren. Die Goldene Bulle war zitiert, Titula sieben, Paragraph fünf, worin stand, daß beim Erlöschen einer Kurlinie über die Neubelehnung der Kaiser unter Hinzuziehung der Kurfürsten zu entscheiden habe. Die nahe Verwandtschaft, ehemalige Mitbelehnung war angerufen und daß keiner aus der Linie Neuburg die geringste Schuld an dem böhmischen Kriege habe.
Erschreckend wirkte es auf alle, die dem Schauspiel beiwohnten, daß plötzlich ein regelrechter Buckelhans auf der Bildfläche erschien, im Quartier des Mainzer Kanzlers anrückte, sich offenbarend als Friedrich von Zweibrücken-Birkenfeld und, da er stumm war, durch seine dämonisch erregte Frau und einen imperatorischen Kammerdiener bekundend: er und kein anderer sei nächstberechtigt bei einer Neubelehnung. Man hatte Mühe, mit diesem Prätendenten fertig zu werden, vor allem, da er ersichtlich von Geist schwach, vielleicht völlig blöde war und auch die Möglichkeit bestand, daß er gar nichts wußte von den Dingen, die man mit ihm machte. Aber der gute vielgequälte Schweikhard sah schließlich keine Rettung vor den drei Birkenfeldern: die verwandtschaftlich begründeten Ansprüche mußten protokolliert werden, ihren Weg laufen. Es gab eine Szene von großer Peinlichkeit, als Schweikhard es dann nicht verhindern konnte, daß bei einem Schauessen im Kartäuserkloster vor der Stadt der pompöse stocksteife Neuburger mit der Birkenfelder pfalzgräflichen Trias zusammentraf. Aus dem Konventsaal, in dem Truchsesse und Pagen speisten, kamen die drei geirrt in das feierliche Refektorium, in dem feine Geigenmusik erscholl, Kaiser und Fürsten hinter einer langen Tafel saßen, darauf ein zinkerner Berg Parnaß Wasser und Wein verspritzte, ein Pegasus aus Zucker die Flügel schwang. Neben Wolfgang Wilhelm setzte man den tauben blöden Buckelhans ab; rechts und links blieben Sessel frei. Man lächelte drüben, flüsterte sich ins Ohr; dies waren die beiden Prätendenten. Aber manche wandten sich betreten und ergriffen ihrem Mahl zu; Schweikhard, weißhaarig, Gesicht einer fetten, alten Frau, mit mächtigem Kehlbraten, zittrigen Lippen, sah schmerzlich vorwurfsvoll zum Obersthofmeister herüber. Verschwunden war die nächsten Tage der Neuburger; man erzählte von Duellen, die zwei seiner Kavaliere mit Franzosen hatten, die in einem Atem Neuburg und Birkenfeld besprachen. Der Leidensweg Wolfgang Wilhelms wäre so lang wie der Fürstentag geworden, hätte Graf Oñate, der spanische Gesandte, nicht die beiden Prätendenten zusammengeführt, einen Vertrag zwischen ihnen veranlaßt und den stark geduckten Wolfgang Wilhelm als seinen Kandidaten ausgerufen. Die drei Birkenfelder waren bereit, sich mit Geld abfinden zu lassen, blieben aber böswillig in Regensburg, lauerten; sie saßen dem Neuburger auf den Fersen, zähneknirschend mußte er sich umwenden, lieb Kind mit ihnen spielen; die vulgäre Dienstmagd, Birkenfelds Weib, wagte sich hausfraulich neben die bedrückte Schwester Maximilians.
DIE VERHANDLUNGEN klärten die Situation vollständig; dem Schwanken und Widerstreben der Kurfürsten stand die unerschütterliche kaiserliche Forderung der Belehnung Bayerns gegenüber. Wie ein Wurm wand sich das Kolleg unter der täglich stärker drückenden kaiserlichen Faust. Tobsüchtig raste Oñate; sein wildestes Argument: man möchte doch den Franzosen, Monsieur de Baugy, ansehen, wie er sich freue über Bayerns Aussichten – ob dahinter Gutes stecken könne. Und Baugy erklärte in der Tat höflich und spitz, dem frommen König von Frankreich widerfahre bei Ausführung des heiligen Werkes der Belehnung eine persönliche Freude; dies könne dem Heiligen Reich doch nur angenehm sein, vielleicht nicht dem Spanier. Die sächsischen Vertreter stießen täglich und unter zunehmendem Tumult Drohungen aus, die Übertragung der Kur sei kein Mittel zum Frieden im Reich; der Kaiser hätte nicht ohne ordentlichen Prozeß Acht zu verhängen. Die Brandenburger standen ihnen bei. Das ganze Kolleg zuletzt, von Kurmainz geführt, erhob sich, schloß sich den Sachsen an: es würden sich bösartige Kriege an diese Tat anreihen, der Kaiser könne nicht dies verantworten. Der Erzbischofkanzler beschwor persönlich den Kaiser; schwere Stunden durchlebten die Räte, die aufs innigste hofften, Ferdinand werde Gebrauch von der Stimmung des Kollegs machen. Aber Ferdinand blieb unbeweglich; bei vollkommener Liebenswürdigkeit antwortete er, die Sache sei zwischen ihm und Maximilian längst geregelt, die Kur vergeben. Es bedurfte der hingebungsvollen Diplomatie der Räte, die voll Bitterkeit erkannten, daß dem Kaiser keine Wahl geblieben war, und der Konzilianz des Mainzers, um die andern katholischen Stimmen zu besänftigen. Sie erkannten alle den ungeheuren Fortschritt der katholischen Sache. Die katholischen Herren gingen nur widerwillig an die Entscheidung heran und stimmten zu; sie sahen in dem Vorgang einen bedrohlichen kaiserlichen Übergriff, der sich auch einmal gegen sie richten könne. Dazu war das böse sehr törichte Wort aus der Kanzlei der Wiener gekommen: Daß die Aberkennung und Neuübertragung der Kur der kaiserlichen Wahlkapitulation widerspreche, sei sonnenklar; aber keine menschlichen Gesetze seien so ewig und beständig, daß sie alle Fälle der Notwendigkeit ausschlössen. Als Maximilian selbst, blaß erregt in Regensburg eintreffend, sich bei Ferdinand nach den Aussichten erkundigte, bekam er den kalten fast befremdeten Bescheid, die Sache sei doch abgemacht.
Ohne daß außer den anwesenden Kurfürsten irgendwer formell benachrichtigt wäre, erfolgte dann eines Tages, vor einem Auditorium von nur Jesuiten Mönchen Beamten, die Belehnung des Bayern in der Ritterstube des Rathauses zu Regensburg. Kniend empfing der Bayer den Kurhut aus der Hand des Kaisers. Zwei Stunden darauf versah er zum erstenmal das Amt als Truchseß an der Tafel des Kaisers, trug die erste Schüssel auf, wurde zum Mahl geladen. Ein Eilbote lief zugleich nach Rom, um in Maximilians Auftrag dem Papst die freudige Kunde zu bringen; die Kanonen donnerten auf der Engelsburg; zum Tedeum zog der Papst Gregor in die Peterskirche.
Die Regensburger hatten dem kaiserlichen Paar ein besonderes Prachtschiff gebaut. Das Kolleg löste sich auf.
Der Franzose hatte gekämpft, um den Bayern in seinem Spiel zu haben, wenn es gegen Spanien ging oder gegen den Kaiser.
Der Spanier hatte gekämpft, um sich England freundlich zu erhalten, den Verwandten des geächteten Mannes.
Den Bayern hatten Rache, Größensucht und Stolz getrieben. Der Kampf war zu Ende.
Es pries am Schluß der großen Prozession vom Wolfgangsdom zum heiligen Emmeram der Kapuzinerpater Hyacinth das geschehene Werk, predigend, man dürfe nicht Furcht vor den drohenden Allianzen und Personen haben; wenn nur der katholische Glaube gefestigt und gefördert werde.
Kochenden Herzens ging aus dieser Predigt hinaus der graublasse Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Neuburg; er reiste sogleich dem spanischen Gesandten nach, allein; seine erschöpfte Frau hatte als erste dem Bruder Glück gewünscht, begleitete ihn nach München. Die Birkenfelder Trias war längst mit spanischem Gelde abgeschwommen.
Herr Meggau, Fürst Eggenberg, Abt Anton, Herr Trautmannsdorf, die Recken von Regensburg, begleiteten den Herrn heim, eine ehrerbietige stark verbitterte ratlose fast verzweifelte Runde, am heftigsten sich selbst grollend. Der Kaiser war fröhlich mit seiner Gemahlin, empfing freudig noch auf dem Schiff zwischen Passau und Linz seinen Bruder Leopold, den er beim Abschied in Wien dem hohen Rat mit dem Bemerken empfahl, man möchte sich auch in Zukunft bis auf weiteres an den Erzherzog halten. Er selbst nehme Aufenthalt in Laxenburg und Wolkersdorf.
IN MÜNCHEN, in der Residenz, saß der Melancholiker Maximilian, äugte nach allen Seiten. Saß über seiner Beute. Er konnte sie nicht wie ein wildes Tier in eine Ecke schleppen, sie allein schlingen. Aber während er sich mit rasselnder Brust an ihrem Besitz sättigte, funkelten seine Augen. Er knurrte fauchte sprühte. Das Blut troff in zwei Rinnsalen aus seinen Mundwinkeln, bildete Lachen auf dem Boden, indessen seine Hinterbeine schon zum Sprung eingezogen waren, die Vorderpranken locker; der Atem rauschend.
Er warnte den Kaiser, er möge auf der Hut sein. Er schrie nach Wien. Eggenberg Questenberg Trautmannsdorf flüsterten höhnisch: er mag sich verteidigen. Bayern liegt wie ein Wall vor Österreich; wenn Feinde kommen, gehen sie auf die Pfalz; mag Bayern sich strecken.
Max drohte: ich habe dem Kaiser die Krone auf dem Kopf erhalten. Der Kaiser, kaum daß er’s hörte. Er lächelte mit seinen Räten: Max hat meine Hand gefühlt.
Maximilians Gebete waren ein Zischen nach Beruhigung. Aber seine Haltung wurde starrer als sonst. Er wartete gespannt, daß sich die Wut der Feinde auf ihn werfen würde. Er dachte schon daran, wie er sich aus dem Spiel stehlen könnte. Heimlich ging bei ihm ein und aus Charnacé, der französische Geschäftsträger. Maximilian hätschelte ihn, stieß ihn von sich, hätschelte ihn.