- Douglas Adams
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Vom Stochern in der
Asche
Es gibt eine Geschichte aus meiner
Jugend, die mich nie losgelassen hat, weil ich sie einfach nicht
verstand. Erst nach vielen Jahren fand ich heraus, daß es die
Geschichte der Sibyllinischen Bücher war. Zu diesem Zeitpunkt
hatten sich alle Einzelheiten der Geschichte in meiner Erinnerung
verändert, aber die wesentlichen Bestandteile waren unverändert
geblieben. Nachdem ich ein Jahr lang einige der gefährdeten
Lebensräume der Welt erkundet habe, glaube ich die Geschichte
endlich verstanden zu haben.
Es geht um eine uralte Stadt – es ist
unwichtig, wo sie war oder wie sie hieß –, eine blühende,
gedeihende Stadt, die inmitten einer großen Ebene lag. Eines
Sommers, als die Stadtmenschen eifrig mit dem Weiterblühen und
-gedeihen beschäftigt waren, tauchte eine seltsame alte Bettlerin
vor den Toren auf, die zwölf Bücher bei sich trug und den
Stadtmenschen zum Verkauf anbot. Sie sagte, die Bücher enthielten
alles Wissen und alle Weisheit der Welt und daß sie sie der Stadt
für einen Sack voll Gold überlassen wolle.
Das hielten die Stadtmenschen für ein
ziemlich ulkiges Angebot. Sie antworteten ihr, sie habe
offensichtlich überhaupt keinen Begriff vom Wert des Goldes und
solle im Interesse aller am besten wieder
verschwinden.
Das wolle sie gern tun, sagte sie,
aber zuerst werde sie die Hälfte der Bücher vor den Augen der
Stadtmenschen vernichten. Sie errichtete einen kleinen
Scheiterhaufen, verbrannte sechs der Bücher, die alles Wissen und
alle Weisheit der Welt enthielten, vor aller Augen und ging dann
ihrer Wege.
Der Winter, ein strenger Winter, kam
und ging, aber die Stadt schaffte es hindurchzuflorieren, und im
nächsten Sommer kehrte die alte Frau zurück.
»Oh, du schon wieder«, sagten die
Stadtmenschen. »Wie geht's denn so voran mit Wissen und
Weisheit?«
»Sechs Bücher«, sagte sie, »es sind
nur noch sechs übrig. Die Hälfte allen Wissens und aller Weisheit
dieser Welt. Ich biete sie euch noch einmal zum Verkauf
an.«
»Ach ja?« giggelten die
Stadtmenschen.
»Nur hat sich der Preis
geändert.«
»Wundert uns nicht.«
»Zwei Säcke voll Gold.«
»Wie?«
»Zwei Säcke voll Gold für die sechs
verbliebenen Bücher des Wissens und der Weisheit. Schlagt ein oder
laßt es bleiben.«
»Uns will scheinen«, sagten die
Stadtmenschen, »daß es mit deiner eigenen Weisheit und deinem
Wissen nicht weit her sein kann, da du sonst begreifen müßtest, daß
man auf einem von Angebot und Nachfrage regulierten Markt nicht
einfach rumgehen und einen ohnehin schon unerhörten Preis noch
vervierfachen kann. Sollte das die Art Wissen und Weisheit sein,
mit der du hausieren gehst, kannst du sie, offen gesagt, behalten –
und zwar zu jedem Preis.«
»Wollt ihr sie haben oder
nicht?«
»Nein.«
»Na schön. Ich werde euch um ein
wenig Feuerholz bemühen müssen.«
Sie errichtete einen weiteren
Scheiterhaufen, verbrannte drei der verbliebenen Bücher und machte
sich erneut über die Ebene davon.
In jener Nacht stahlen sich ein paar
neugierige Stadtmenschen nach draußen und stocherten in der Asche,
um zu sehen, ob die eine oder andere Seite zu retten sei, aber das
Feuer hatte alles gründlich verbrannt, und die alte Frau hatte die
Glut geschürt. Es war nichts mehr da.
Ein weiterer harter Winter forderte
seinen Tribut von der Stadt und bescherte ihr kleinere Probleme mit
Hungersnöten und Krankheiten, aber die Geschäfte gingen gut, und so
waren alle wieder in leidlich guter Verfassung, als der folgende
Sommer kam und die alte Frau erneut auftauchte.
»Bist früh dran dieses Jahr«, sagten
sie.
»Hab nicht mehr viel zu tragen«,
erwiderte die alte Frau und zeigte ihnen die drei Bücher, die sie
noch bei sich hatte. »Ein Viertel allen Wissens und aller Weisheit
dieser Welt. Wollt ihr es haben?«
»Wie ist der Preis?«
»Vier Säcke voll Gold.«
»Du bist völlig verrückt, alte Frau.
Von allem anderen mal abgesehen, stecken wir, wirtschaftlich
gesehen, gerade ein bißchen in der Klemme. Säcke voll Gold kommen
überhaupt nicht in Frage.«
»Feuerholz, bitte.«
»Jetzt warte doch mal«, sagten die
Stadtmenschen. »Davon hat doch niemand was. Wir haben uns die Sache
durch den Kopf gehen lassen und einen kleinen Ausschuß gebildet,
der sich deine Bücher einmal ansehen soll. Laß sie uns ein paar
Monate zur Beurteilung hier, laß uns sehen, ob sie irgendeinen Wert
für uns haben, dann können wir dir nächstes Jahr, wenn du
wiederkommst, vielleicht ein vernünftiges Angebot machen. Über
Säcke voll Gold allerdings lassen wir nicht mit uns
reden.«
Die alte Frau schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte sie. »Bringt mir Feuerholz.«
»Das wird dich was
kosten.«
»Dann eben nicht«, sagte die Frau und
zuckte die Achseln. »Die Bücher werden auch so
brennen.«
Und mit diesen Worten machte sie sich
daran, zwei der Bücher in Stücke zu reißen, die schnell in Flammen
aufgingen. Rasch verschwand sie über die Ebene und überließ die
Stadtmenschen ein weiteres Jahr ihrem Schicksal.
Im späten Frühling war sie
zurück.
»Nur noch dieses eine Buch ist
übrig«, sagte sie und legte es vor sich auf den Boden. »Und diesmal
habe ich mir mein eigenes Feuerholz mitgebracht.«
»Wieviel?« fragten die
Stadtmenschen.
»Sechzehn Säcke voll
Gold.«
»Wir hatten nur acht
eingeplant.«
»Wie ihr wollt.«
»Warte hier!«
Die Stadtmenschen berieten sich und
kehrten eine halbe Stunde später zurück.
»Sechzehn Säcke ist alles, was wir
noch haben«, flehten sie. »Die Zeiten sind hart. Du mußt uns irgend
etwas lassen.«
Die alte Frau summte bloß vor sich
hin und begann, das Brennmaterial aufzuhäufen.
»Na gut!« riefen sie schließlich,
öffneten die Tore der Stadt und führten zwei Ochsenkarren hinaus,
beide mit acht Säcken voll Gold beladen. »Aber dann hat es
gefälligst auch gut zu sein.«
»Danke«, sagte die alte Frau. »Das
ist es. Und ihr hättet den Rest sehen sollen.«
Sie führte die beiden Ochsenkarren
über die Ebene mit sich und überließ es den Stadtmenschen, so gut
wie möglich mit dem einen verbliebenen Zwölftel allen Wissens und
aller Weisheit, die es auf der Welt gegeben hatte, zu
überleben.