KAPITEL 18

In der Stadt bellten Hunde, Pferde stampften auf hölzernen Stallplanken unruhig mit den Hufen, und über die Steinstufen, die zum Vordereingang führten, schlurften die Füße der Wachtposten. In der Halle des Hauses tickte schwerfällig eine Uhr, aber in dem Raum zu ebener Erde, der von Kerzen erleuchtet wurde, war das Rascheln von Papier der einzige Laut, bis der hochgewachsene, hakennasige Mann sich zurücklehnte und mit langen Fingern auf der Tischkante trommelte.

»Die Belagerung hat noch nicht begonnen?«

»Nein, Mylord.«

Der General beugte sich vor, zog über den Tisch eine quadratische Karte zu sich heran und legte den schlanken Finger auf eine weiße Stelle in ihrer Mitte.

»Hier?«

Major Michael Hogan trat ins Licht der Kerze. Die Karte zeigte das Land um Celorico, wo sie sich befanden, und das Grenzgebiet bis Ciudad Rodrigo. Quer über die Karte verliefen die Flüsse Coa und Agueda und teilten sie in drei Teile.

Der lange Finger zeigte auf eine Stelle zwischen den Flüssen, nördlich von Almeida.

»Soweit wir es beurteilen können, Mylord.«

»Und was, bitte, ist dort?«

Der Finger des Generals entspannte sich und rutschte ziellos ein wenig tiefer, sodass er auf die Schrift am unteren Kartenrand zeigte: Gezeichnet von Maj. Kearsey. Q’meister Gen’stab.

Hogan stellte die überflüssige Überlegung an, wann Kearsey diese Karte gezeichnet haben mochte, doch darauf kam es jetzt nicht an. Er holte ein Stück Papier zu sich heran.

»Vier neue französische Bataillone, Sir. Wir wissen, dass sich das 118. Frontbataillon dort aufhält, vermutlich in Sollstärke. Ein Regiment Ulanen, eines mit Chasseurs.«

Kurze Zeit herrschte Schweigen. Wellington schnaubte. »Sind hinter Nahrungsmitteln her, nehme ich an?«

»Jawohl, Mylord.«

»Und um die Stadt herum?«

Noch ein Stück Papier. »Ein lockerer Kordon, Mylord. Hauptsächlich im Süden, wo die Artillerie zusammengezogen wird. Wir wissen nur von zwei Bataillonen Infanterie, und natürlich gibt es dort Kavalleriepatrouillen.«

»Die Franzosen sind langsam, Hogan, so langsam!«

»Jawohl, Sir.«

Hogan wartete. Wenn die Franzosen langsam waren, umso besser. Die Berichte, die von Partisanen und Erkundungsoffizieren eingingen, deuteten darauf hin, dass Masséna Probleme mit der Organisation seiner Transporte hatte, mit seiner Ausrüstung für die Belagerung und vor allem mit dem Proviant. Außerdem ging ein Gerücht um, er habe seine Mätresse dabei und sträube sich, ihr komfortables Schlafgemach zu verlassen, um sich den Unbequemlichkeiten des Feldzuges zu stellen. Der General legte erneut seine Hand auf die Karte.

»Keine Neuigkeiten vom KGL?«

»Keine, Sir.«

»Verdammt, verdammt, verdammt«, stieß er leise, beinahe nachdenklich hervor.

Er nahm einen Brief zur Hand, der in London abgestempelt war, und las ihn laut vor, obwohl Hogan den Verdacht hatte, dass er den Text auswendig kannte.

»Ich wende mich im Vertrauen an Sie, wobei ich mich auf Ihre Diskretion verlasse, um Ihnen mitzuteilen, dass sich zwar das Heer in einer prekären Lage befinden mag, dass jedoch die unsere ihr in nichts nachsteht. Eine überhandnehmende Opposition, eine böswillige Presse und ein siecher Monarch tragen die Schuld daran, dass wir nicht hoffen können, vor dem Herbst weitere Gelder bewilligt zu bekommen. Wir sind auf Ihre eigenen Bemühungen angewiesen.« Er legte den Brief nieder, als wolle er die Befürchtungen der neuen Regierung abtun, und sah erneut die Karte an. »Ich frage mich, wo er bleibt.«

Es sah dem General nicht ähnlich, dachte Hogan, seinen Sorgen Ausdruck zu verleihen. »Wie ich ihn kenne, Sir, und ich kenne ihn gut, wird er Almeida vermeiden und auf direktem Wege herkommen.«

»In Almeida wäre er besser dran.«

»Das schon, Euer Lordschaft, aber damit hat niemand gerechnet. Und in zwei Tagen ...« Hogan zuckte mit den Schultern. In zwei Tagen würde der Feind die Stadt ebenso wirksam abgeriegelt haben wie das ganze Land.

Der General runzelte die Stirn und klopfte mit den Fingern auf den Tisch. »Soll ich Cox vorwarnen?«

Diese Frage war an ihn selbst gerichtet, nicht an Hogan, aber der Ire wusste, worum es Wellington ging. Je weniger Leute von dem Gold wussten, desto besser. Die spanische Regierung, ein machtloser, obskurer Haufen drüben in Cádiz, würde davon ausgehen, dass das Gold von den Franzosen erbeutet worden war, als die Armee im Norden zerschlagen wurde. Und wenn sie nun herausgefunden hätten, dass ausgerechnet ihre Verbündeten, die Briten, es entwendet hatten? Nein. Die Finger des Generals schlugen mit einer gewissen Endgültigkeit auf den Tisch. Er würde dem Kommandeur von Almeida nicht noch ein Problem aufladen.

»Wenn Sharpe überhaupt noch am Leben ist, Hogan, wollen wir annehmen, dass er sich so verhält, wie Sie sagen. Dass er Almeida meidet.« Er schob das Problem vorerst beiseite und blickte zu dem Iren auf. »Wie geht die Arbeit voran?«

»Nun, Mylord, ausgezeichnet. Allerdings ...«

»Ich weiß. Das Geld. Hat es noch eine Woche Zeit damit?«

»Zehn Tage.«

Wellington zog in gespielter Überraschung die Brauen hoch. »Das ist eine gute Nachricht. Hoffen wir auf mehr in dieser Art.«

Er wandte sich anderen Angelegenheiten zu, unter anderem einem Stabsbefehl, wonach Urlaube in Lissabon für Frontoffiziere auf vierundzwanzig Stunden zu begrenzen waren. Wenn sie innerhalb dieser Zeit keine Frau finden konnten, behauptete der General, sei es unnötig, dass sie als Zuschauer dablieben. Nur eine Ausnahme gab es. Die blauen Augen richteten sich auf Hogan.

»Wenn dieser verdammte Halunke wiederkommt, geben Sie ihm einen Monat.«

Der verdammte Halunke hielt, mit schmerzender Schulter und einem Gefühl unendlicher Frustration auf einem Pferd sitzend, soeben Einzug in die komplizierten Verteidigungsanlagen von Almeida. Lossow ritt neben ihm her.

»Tut mir leid, Sharpe. Wir hatten keine andere Wahl.«

»Ich weiß. Ich weiß.«

Es stimmte schon, so schwer es ihm auch fiel, das zuzugeben. Jeder ihrer Vorstöße war von den verdammten Franzosen abgefangen worden, die inzwischen überall zu sein schienen. Zweimal waren sie verfolgt worden, hatten dabei einen deutschen Reiter verloren, und am Ende hatten sie, erschöpft und gejagt, in der Stadt Schutz gesucht. Sharpe hatte die Absicht geäußert, draußen auszuharren und nur des Nachts zu marschieren, aber die Franzosen wussten Bescheid, und ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte, sich am Ostufer des Coa im Kreis herumhetzen zu lassen.

Mit Harz getränkte Strohfackeln brannten flackernd und rauchend in dem tunnelförmigen Zugang und warfen gespenstische Schatten auf die portugiesischen Infanteristen, die das gewaltige Tor geöffnet hatten und nun zusahen, wie die müden Männer auf Pferden oder zu Fuß die Stadt betraten. Die Innenseite von Sharpes Beinen war wund. Er war kein geübter Reiter, aber Lossow hatte darauf bestanden. Das Gold war auf die Rücken der Pferde umgeladen worden. Die Deutschen passten darauf auf, und Sharpe betrachtete ihre wachen Gesichter. Dann wandte er sich an Lossow.

»Warum reiten wir nicht gleich weiter? Am anderen Ende wieder hinaus?«

Lossow lachte. »Die brauchen Futter. Die Pferde, meine ich. Eine gute Maismahlzeit, und sie werden den französischen Linien zusetzen wie der Tripper einem Regiment. Wir ziehen morgen früh weiter, ja?«

»Bei Tagesanbruch?«

»Ja, mein Freund. Bei Tagesanbruch.«

Es bestand also Hoffnung. Die Franzosen hatten Almeida immer noch nicht umzingelt. Sie hatten die letzten paar Meilen zurückgelegt, ohne belästigt zu werden, daher nahm Sharpe an, dass sich die Kavalleriepatrouillen auf den Norden konzentrierten. Am südlichen Himmel, jenseits der gedrungenen Burg, sah er Feuer glühen und schloss daraus, dass die Franzosen das ebenere Gelände gewählt hatten, um darauf ihre Artillerie aufzubauen. Im Westen, wo der Fluss so verlockend nahe war, hatte er keine Feuer gesehen, außer in der Ferne, und das waren britische Lagerfeuer. So nahe lag der Erfolg.

Kearsey führte, wiederum auf einem geliehenen Pferd, die Marschkolonne auf die Plaza. Schloss und Kathedrale standen in der Nähe des nördlichen Tors, durch das sie gekommen waren, und der große zentrale Platz schien in der Stadt der einzige Ort zu sein, an dem etwas los war. Sharpe hielt Ausschau nach Knowles.

»Lieutenant?«

»Sir?«

»Gehen Sie in die Stadt hinunter. Dort finden Sie Quartiere. Brechen Sie einfach ein Haus auf.« Es gab Dutzende leer stehender Häuser. »Anschließend kommen Sie wieder hierher zu mir. Sergeant?«

Harper trat neben das Pferd, und Sharpe zeigte auf Teresa. »Sie wird eine Unterkunft brauchen. Ich schließe mich wieder der Kompanie an, sobald ich hier fertig bin.«

Harper grinste. »Jawohl, Sir.«

In Cox’ Hauptquartier brannte kein Licht, und Kearsey, Sharpe und Lossow mussten auf einem hallenden Flur warten, während ein verschlafener Adjutant hinaufging. Der deutsche Offizier grinste.

»Im Bett! Der Glückliche!«

»Major!« Cox stand mit zerzaustem Haar am oberen Rand der Treppe. Er trug einen langen roten Schlafrock, der um die Taille herum zugebunden war. »Sie sind zurück! Einen Moment! Gehen Sie doch in den Salon. Kerzen!«

Sharpe zog einen schweren Samtvorhang auf und konnte auf der anderen Seite der Plaza die dunklen Umrisse der gedrungenen Kathedrale sehen. Hinter ihm ging es geschäftig zu. Portugiesische Bedienstete brachten Kerzen, Wein und diverse Speisen. Er ließ den Vorhang los und nahm erschöpft in einem tiefen, bequemen Sessel Platz. Morgen, dachte er, geht es wieder auf die Straße. Eine letzte Anstrengung, ein letzter Überraschungsangriff, und es war geschafft. Er schenkte sich Wein ein, bot Lossow davon an und ignorierte den missbilligenden Blick, mit dem Kearsey ihn bedachte.

Die Tür ging auf.

»Sie haben sich schon selbst bedient. Gut!« Cox hatte Hemd und Hose übergezogen und sein Haar gebürstet. Er lächelte Sharpe liebenswürdig zu. »Captain. Rittmeister Lossow. Was kann ich für Sie tun?«

Sharpe setzte sich überrascht auf. Wusste Cox etwa nicht Bescheid? Er und Lossow sahen einander an, dann wandten sie sich Kearsey zu, in der Erwartung, dass der das Wort ergreifen würde, doch der Major saß mit zusammengepressten Lippen da. Sharpe stellte seinen Wein ab.

»Sie wissen von dem Gold, Sir?«

Cox nickte. Ein Schatten, der auf sein Gesicht fiel, verbarg seine Miene, aber Sharpe glaubte zu erkennen, dass sie zurückhaltend war. »Ich weiß davon, Captain.«

»Wir haben es, Sir. Wir müssen es nach Celorico schaffen. Wir wollen den Pferden Futter geben, uns ausruhen und bei Tagesanbruch wieder abziehen. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, hätten wir gern das westliche Tor eine Stunde vor Morgengrauen geöffnet.«

Cox nickte, beugte sich vor und goss sich ein kleines Glas Wein ein. »Wem gehört das Gold?«

Sharpe spürte, wie sich die immense Bürde erneut auf seine Schultern legte. »Ich unterstehe General Wellingtons Befehl, Sir. Meine Befehle besagen, dass ich das Gold zu ihm bringen soll.«

Cox zog ruckartig die Brauen hoch. »Gut! Dann zeigen Sie mal diese Befehle vor!«

Sharpe warf Kearsey einen Blick zu, worauf der errötete. Der Major räusperte sich. »Die Befehle wurden aus Versehen vernichtet, Sir. Captain Sharpe trifft daran keine Schuld.«

Cox’ Hoffnungen schienen zu schwinden. Er beäugte Kearsey über den Rand seines Weinglases. »Sie haben sie gesehen? Wie war der Wortlaut?«

»Dass alle Offiziere verpflichtet seien, Captain Sharpe behilflich zu sein«, sagte Kearsey mit neutraler Stimme.

Cox nickte. »Und dass Sharpe mit dem Gold zu Lord Wellington unterwegs ist, stimmt’s?«

Sharpe nickte, doch Kearsey mischte sich ein. »Davon war in den Befehlen nicht die Rede, Sir.«

»Um Himmels willen, Sir!«, explodierte Sharpe, aber Cox schlug mit der Faust auf den Tisch.

»War in Ihren Befehlen ausdrücklich die Rede von dem Gold?«

»Nein, Sir.«

Sharpe verfluchte Kearsey wegen seiner haarspalterischen Ehrlichkeit. Ohne die letzte Bemerkung des Majors hätte die Leichte Kompanie binnen weniger Stunden den Heimweg antreten können. Cox’ Finger schlugen einen Trommelwirbel auf die Tischfläche.

»Ich habe da ein Problem, meine Herren.« Er zog einige Papiere zu sich heran und murmelte etwas von Ordnung. Dann hob er ein dickes Stück Pergament hoch, das mit einem schweren Wachssiegel verschlossen war, und schwenkte es im Kerzenschein. »Ein Ersuchen der spanischen Regierung, also unserer Verbündeten, das Gold nicht durch britische Hände gehen zu lassen. Verdammt seltsame Angelegenheit, fürwahr.«

Lossow hüstelte. »Seltsam, Sir?«

Cox nickte. »Der Bursche trifft heute ein, in voller Gala, und erzählt mir von dem Gold. Ich höre zum ersten Mal davon. Er hat eine Eskorte dabei, um es mitzunehmen. Spanischer Oberst. Mit Namen Jovellanos.«

Sharpe sah Kearsey an. Er wusste, was das bedeutete. »Jovellanos?«

»El Católico.« Kearsey streckte die Hand nach dem Pergament aus und hielt das Siegel ans Licht, ehe er den Text durchlas. »Alles in Ordnung, Sir. Das Dokument ist echt.«

»Wie zum Teufel kann es in Ordnung sein?« Sharpe ballte die rechte Hand zur Faust. »Es handelt sich um einen verfluchten Banditen! Einen Betrüger! Er hat das verdammte Ding selbst verfasst! Wir, Sir, haben Befehl vom General. Von Lord Wellington persönlich. Das Gold wird nach Celorico gebracht!«

Cox, der bisher so freundlich gewesen war, betrachtete Sharpe mit gerunzelter Stirn. »Kein Grund, ausfallend zu werden, Captain Sharpe. Oberst Jovellanos ist hier, er ist mein Gast.«

»Aber, Sir ...«, mischte sich Lossow ein und warf Sharpe einen mitfühlenden Blick zu, »... Captain Sharpe sagt die Wahrheit. Man hat uns mitgeteilt, wie wichtig dieses Gold sei. Und dass es zu Lord Wellington muss.«

Cox atmete tief ein und wieder aus, tippte mit der Fußspitze auf den Boden. »Gottverdammt, meine Herren, mir steht eine Belagerung bevor, die jeden Tag beginnen kann. Die feindlichen Kanonen sind bereits in Sicht, die Stellungen werden ausgehoben, und Sie kommen mir mit so etwas?«

Sharpe wiederholte trotzig: »Wir haben eindeutige Befehle, Sir.«

»Behaupten Sie.« Cox nahm erneut das Pergament zur Hand. »Gibt es eine Junta für Kastilien?«

Kearsey nickte. »Jawohl, Sir.«

»Und handelt Joaquin Jovellanos mit ihrer Genehmigung?«

Kearsey nickte wieder.

»Und das Gold gehört den Spaniern?«

Noch ein Nicken.

Das Pergament fiel auf den Tisch. »Mir hat der General für diesen Fall keine Befehle gegeben!«

Sharpe seufzte. Ein englischer General im portugiesischen Heer, der es mit einem spanischen Oberst, einem englischen Captain, einem deutschen Kavallerieoffizier und spanischem Gold zu tun bekam und keine entsprechenden Befehle hatte. Da fiel ihm etwas ein.

»Sir, funktioniert der Telegraf?«

Lossow schnippte mit den Fingern. Cox fixierte den Deutschen mit gerunzelter Stirn. »Ja, Captain. Jenseits des Flusses, bei Pinhel, gibt es eine Relaisstation.«

»Wann kann die erste Meldung abgehen?«

Cox zuckte mit den Schultern. »Das hängt vom Wetter ab. Normalerweise eine Stunde nach Sonnenaufgang.«

Sharpe nickte ungeduldig. »Würden Sie in Betracht ziehen, Sir, dem General eine Nachricht zu schicken und um Befehle bezüglich des Goldes zu bitten?«

Cox blickte ihn an, zuckte erneut mit den Schultern. »Natürlich. Gleich morgen früh?«

»Ja, bitte, Sir.«

Cox stand auf. »Gut! Problem gelöst. Ich werde Oberst Jovellanos morgen davon unterrichten, und Sie können die Nacht über schlafen. Ich muss sagen, Sie sehen aus, als hätten Sie es nötig. Gütiger Himmel.« Er nahm Sharpes Schulter in Augenschein. »Sie sind ja verwundet!«

»Wird schon wieder heilen, Sir.« Sharpe trank seinen Wein aus. Er wollte verdammt sein, wenn er sich von den Geboten der Höflichkeit davon hätte abhalten lassen. Und Wellington sollte ebenfalls verdammt sein, weil er nicht bereit gewesen war, sich in die Karten sehen zu lassen, und dadurch Cox, einen anständigen Mann, in diese heikle Lage gebracht hatte. »Sir?«

Cox wandte sich an der Tür noch einmal um. »Sharpe?«

»Aus wie viel Mann besteht Oberst Jovellanos’ Eskorte?«

»Zweihundert, Sharpe. Gott schütze mich, denen möchte ich nicht in einer dunklen Gasse begegnen.«

Ich auch nicht, dachte Sharpe. Ich auch nicht. Er stand auf und wartete, bis der Kommandeur der Garnison gegangen war. Wo ist El Católico?, fragte er sich. Lag er im Obergeschoss und schlief? Oder hielt er hinter einem verdunkelten Fenster Ausschau?

Lossow zumindest verstand ihn. »Meine Männer übernehmen heute Nacht den Wachdienst.«

Sharpe lächelte dankbar. »Und morgen?«

Der Deutsche zuckte mit den Schultern und setzte sich den hohen Kalpak mit dem Federbusch auf. »Wenn wir nicht in der Morgendämmerung aufbrechen können, dann eben in der Abenddämmerung, mein Freund.«

Cox steckte noch einmal den Kopf durch die Tür. »Ich vergaß! Wie nachlässig von mir! Sie werden doch hierbleiben, meine Herren? Meine Adjutanten können Sie unterbringen.«

Kearsey nahm dankend an, aber Sharpe und Lossow baten darum, zu ihren Männern zurückkehren zu dürfen. Cox wünschte ihnen an der Vordertür eine gute Nacht, wie ein Gastgeber, der sich nach einem Bankett herzlich von Gästen verabschiedet. »Und schlafen Sie gut! Die Nachricht geht gleich morgen früh als Erstes ab!«

Knowles und Harper warteten draußen. Sie waren in Begleitung zweier Deutscher, einer davon ein tonnenförmiger Feldwebel, der grinste, als ihm mitgeteilt wurde, dass die Partisanen in der Stadt seien. Lossow sah erst seinen Feldwebel, dann Harper an.

»Ein schönes Paar!«

»Ich setze auf den Iren«, sagte Sharpe ohne beleidigende Absicht, und Lossow lachte.

»Nach Hause. Ins Bett!«

Knowles hatte seine Sache gut gemacht. Er hatte ein großes Haus aufbrechen lassen, das nicht nur die Pferde der Deutschen beherbergen konnte, sondern auch alle Mannschaften, und im zweiten Stock befand sich hinter einer großen, glänzend polierten Tür ein Schlafzimmer mit einer Federkernmatratze, einem Bett mit Baldachin und Teppichen, in dem es nach altem Holz und frischen Laken roch. Sharpe machte die Tür zu, schloss den Lärm seiner Männer aus, die gemeinsam mit den Deutschen dem Wein zusprachen, und sah Teresa an.

»El Católico ist hier.«

Sie nickte. »Was hattest du erwartet?«

Er schnallte seinen Gürtel ab, knotete die verblasste rote Schärpe auf und merkte, dass seine Schulter zu steif und schmerzend war, als dass er sich richtig hätte ausziehen können. Teresa sah es und zog das Laken weg, und er entdeckte, dass sie bereits nackt war. Sie kam zu ihm, half ihm und stieg an seiner Seite wieder in das riesige, weiche Bett. Sharpe lag flach auf dem Rücken, und Teresa stützte sich neben ihm auf den Ellbogen auf. »Was will er?«

»Später«, sagte Sharpe. »Später.« Sein rechter Arm war unversehrt, und er benutzte ihn, um die junge Frau auf sich zu ziehen. Er spürte, wie ihr Haar zu beiden Seiten seines Gesichts herabfiel, wie ihre Hände die Narben auf seinem Rücken ertasteten. Ihr Mund lag an seinem Ohr.

»Darf ich das Gewehr behalten?«

»Alles gehört dir«, sagte er. »Dir allein.« Und so war es auch.