KAPITEL 11

Mit der Hochstimmung war es vorbei. Das Versagen machte sich als Katerstimmung bemerkbar, holte sich seinen Tribut an Depression und Bedauern, während Sharpe von Casatejada aus gen Westen marschierte, den beiden Flüssen entgegen, die die Leichte Kompanie und das zum Untergang verurteilte britische Heer trennten.

Sharpe war verärgert und enttäuscht, er fühlte sich betrogen. Der Abschied war wenig freundlich ausgefallen. Ramon hatte ihn nach spanischer Sitte umarmt, mit einem Knoblauchkuss auf beide Wangen, und der junge Mann hatte den Eindruck erweckt, als sei er über die Trennung von der Leichten Kompanie wirklich betrübt. »Denken Sie an Ihr Versprechen, Captain. Ein Gewehr.«

Sharpe hatte es versprochen, aber er fragte sich niedergeschlagen, wie er sein Versprechen halten sollte. Schon bald würde sich Almeida im Belagerungszustand befinden, die Franzosen würden das Land zwischen den Flüssen beherrschen, und die Briten, denen die endgültige Niederlage drohte, würden sich westwärts in Richtung Meer zurückziehen. Und alles, was zwischen der Fortsetzung des Feldzuges und der ruhmlosen, erbitterten Einschiffung stand, war sein Verdacht, dass das Gold noch in Casatejada war, ebenso geschickt verborgen, wie die Partisanen ihre Nahrungsmittel und ihre Waffen versteckten. Er erinnerte sich an Wellingtons Worte. »Müssen, haben Sie gehört? Müssen!«

Es gibt doch sicher noch anderes Gold, dachte Sharpe. Gold in den Kellern von London, in den Handelsbanken, den Kontoren, den Bäuchen der Handelsschiffe. Warum gerade dieses Gold? Die Frage war nicht zu beantworten, und die drohende Niederlage begleitete die Leichte Kompanie wie die Regenwolken, die sich nach wie vor im Norden zusammenbrauten, auf ihrem ereignislosen Marsch zum Agueda-Fluss.

Die Partisanen zogen ebenfalls nach Westen, und während der ersten Stunde hatte Sharpe die Reiter beobachtet, die auf dem Grat einer niedrigen Hügelkette im Süden dahinritten. El Católico hatte davon gesprochen, die französischen Konvois zu überfallen, die mit Munition in Richtung Almeida unterwegs waren. Aber Sharpe konnte, obwohl er des Öfteren Kearseys blauen Rock unter den Berittenen ausmachte, den grauen Umhang El Católicos nirgends entdecken. Er hatte José gefragt, einen von El Católicos Stellvertretern und Befehlshaber der Eskorte für die Kompanie, wo der Partisanenführer sei, doch José hatte mit den Schultern gezuckt.

»Ist vorausgeritten.« Der Spanier gab seinem Pferd die Sporen und entfernte sich.

Patrick Harper hatte zu Sharpe aufgeholt und blickte seinem Captain ins Gesicht. »Erlaubnis zu sprechen, Sir?«

Sharpe sah ihn ärgerlich an. »Du fragst doch sonst nicht. Was ist?«

Harper wies auf die Eskorte. »Woran erinnern die Sie, Sir?«

Sharpe betrachtete die langen schwarzen Umhänge, die breitkrempigen Hüte und das Sattelzeug mit den langen Steigbügeln. Er zuckte mit den Schultern. »Sag es mir.«

Harper blickte zu den schwerfälligen Wolken am nördlichen Himmel auf. »Ich erinnere mich dabei an die Zeit, Sir, als ich noch Rekrut war. So war es, wahrhaftig, als wir von Derry marschiert sind.« Sharpe war die ausschweifende Sprechweise des Sergeants gewohnt. Wenn die Möglichkeit bestand, Informationen mittels einer Geschichte weiterzugeben, machte der Ire bevorzugt Gebrauch davon, und Sharpe, der gelernt hatte, dass es sich zuzuhören lohnte, unterbrach ihn nicht. »Und sie haben uns eine Eskorte mitgegeben, Sir, genau wie diese. Reiter vor uns, neben uns, hinter uns, ringsherum, damit auch nicht ein Hundesohn sich unterwegs dünnemachen konnte. Ich kam mir wie ein Gefangener vor, Sir, wahrhaftig, und zwar den ganzen Weg lang! Eingeschlossen hat man uns während der Nacht, in einer Scheune bei Maghera, und wir waren auf ihrer Seite, wahrhaftig!«

Im Gesicht des Sergeants stand jene flüchtige Traurigkeit geschrieben, die sich manchmal zeigte, wenn er von der Heimat sprach, seinem geliebten Ulster, einem Land so arm, dass ihm nichts anderes übrig geblieben war, als sich dem Heer seiner Feinde anzuschließen. Der Ausdruck verschwand, und Harper grinste wieder. »Verstehen Sie, was ich sagen will, Sir? Das ist ein verdammter Gefangenentransport. Denen geht es darum, dass wir von ihrem Land verschwinden, wahrhaftig.«

»Na und?« Die beiden Männer hatten ihre Schritte beschleunigt, sodass sie vor der Kompanie hergingen, außer Hörweite.

»Die Schweinehunde lügen, was das Zeug hält«, sagte Harper mit stillem Behagen, als sei er überzeugt, ihre Lügen seien ebenso leicht zu durchkreuzen, wie er sie durchschaute.

José hielt vor ihnen auf dem Grat an und suchte den Boden ab, ehe er erneut sein Pferd anspornte. Die Kompanie war allein inmitten einer Weite aus braunem Gras, Steinen und ausgetrockneten Flussbetten. Die Sonne verbrannte alles, ließ die dunstige Luft schimmern und im Boden hauchfeine Risse auftreten. Sharpe wusste, dass sie bald anhalten und sich ausruhen mussten, obwohl seine Männer sich nicht beklagten, nicht einmal die Verwundeten, sondern sich weiter durch die Hitze und den Staub schleppten, den fernen blauen Konturen der Hügel um Almeida entgegen.

»Also gut. Warum lügen sie?«

»Was hat ihr Mann gestern gesagt?« Harper meinte damit El Católico, aber die Frage verlangte von Sharpe keine Antwort. Der Sergeant fuhr mit Nachdruck fort: »Wir standen an diesem Grab, erinnern Sie sich? Und er hat gesagt, er habe den Mann vor sechs Tagen beerdigt. Erinnern Sie sich daran?«

Sharpe nickte. Er hatte selbst über dieses Grab nachgedacht, doch die Worte seines Sergeants eröffneten neue Möglichkeiten. »Sprich weiter.«

»Gestern war Sonnabend. Ich habe den Lieutenant gefragt. Er weiß immer den Tag und das Datum. Das heißt also, er hat seinen Bediensteten an einem Sonntag beerdigt.«

»Was ist daran ungewöhnlich?«

»Gott schütze Irland, Sir, so etwas würden die niemals tun! Nicht an einem Sonntag und nicht an einem Feiertag. Die sind Katholiken, Sir, nicht heidnische Protestanten. An einem Sonntag! Auf keinen Fall!«

Sharpe grinste über seine Heftigkeit. »Bist du sicher?«

»Ob ich sicher bin? Ich bin’s, sonst wär mein Name nicht Patrick Augustine Harper, und wir wären in Tangaveane trotz der verfluchten Engländer nicht allesamt gute Katholiken. Nun sehen Sie sich das an, Sir!«

»Was denn?« Sharpe war beunruhigt, dass der Sergeant unvermittelt gen Norden zeigte, als sei dort eine französische Patrouille erschienen.

»Ein roter Milan, Sir. Davon bekommt man nicht viele zu sehen.«

Sharpe sah einen Vogel, der wie ein Habicht aussah, aber für ihn sahen die meisten Vögel, vom Kuckuck bis zum Adler, wie Habichte aus. Er ging weiter. Harper hatte seinen Verdacht bestärkt und erhöht. Er ließ seine Gedanken über die vagen Gefühle schweifen, die ihn beunruhigten. Der Stein über der Gruft, der bei Kearsey nicht das geringste Misstrauen erregt hatte. Dann die Eile, mit der El Católico den polnischen Feldwebel umgebracht und auf das übliche Vergnügen verzichtet hatte, den Mann zu foltern. Gewiss, überlegte Sharpe, war das geschehen, damit dem Mann im Sterben keine Zeit blieb, die unangenehme Tatsache herauszuposaunen, dass die Franzosen nichts von dem Gold wussten. Das war an sich noch kein Grund, Verdacht zu schöpfen. In der kurzen Zeit, während derer der Ulan ihr Gefangener gewesen war, hatte Sharpe nicht einmal eine Sprache gefunden, in der sie sich hätten verständigen können. Aber das konnte El Católico nicht wissen.

Der Stein, der plötzliche Tod des Ulanen und obendrein Sharpes ursprünglicher Verdacht, dass sich die Franzosen, wenn sie den Schatz entdeckt hätten, nicht lange in dem hoch gelegenen Tal aufgehalten hätten, sondern schnellstens mit ihrer Beute nach Ciudad Rodrigo geritten wären. Nun kam noch Harpers Gedanke hinzu, dass das Grab auf dem Friedhof, falls El Católico die Wahrheit gesagt hatte, an einem Sonntag ausgehoben worden sein musste, was allein schon verdächtig war.

Sharpe ging weiter und spürte, wie ihm der Schweiß über den Rücken lief. Er versuchte, sich an El Católicos Worte zu erinnern. Hatte er gesagt: »Ich habe ihn vor weniger als einer Woche beerdigt?« Aber wenn nun Harper recht hatte, wenn er mit den sechs Tagen recht hatte? Wieder regte sich sein Verdacht und ließ sich an nichts festmachen, was den Plan gerechtfertigt hätte, der ihm durch den Kopf ging. Wie auch immer, El Católico hatte gelogen. Er hatte keinen Beweis, nur die Gewissheit. Er wandte sich wieder an Harper.

»Glaubst du, das Gold liegt in diesem Grab?«

»Das hat was für sich, Sir. Jedenfalls ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass es sich nicht um ein christliches Begräbnis gehandelt haben kann.«

»Er könnte den Mann doch an einem Samstag beerdigt haben.«

»Das könnte er, Sir, das könnte er. Aber da ist noch die Tatsache, dass es nicht geschändet worden ist. Seltsam.« Wieder konnte Sharpe dem Gedankengang des Iren nicht folgen. Harper grinste ihn an. »Sagen wir mal, Sie wollten ein paar tausend Goldmünzen stehlen, Sir, und die wären in einer Gruft verborgen. Würden Sie etwa allen die gute Nachricht zukommen lassen, dass Sie sie an sich genommen haben? Nicht, wenn Sie einen Funken Verstand besitzen, Sir. Stattdessen schaffen Sie es im Schutz der Friedhofsmauern ein kurzes Stück weit weg und verstecken es wieder. In einem schönen, frischen Grab.«

»Und wenn ich ein französischer Offizier wäre ...«, Sharpe dachte laut nach, »... wäre der erste Ort, an dem ich nach verstecktem Gut suche, nach Waffen, Nahrungsmitteln und Ähnlichem, ein schönes, frisches Grab.«

Harper nickte. Er hatte aufgehört zu grinsen. »Und wenn Sie darin den Leichnam eines britischen Offiziers gefunden hätten, Sir? Was würden Sie dann tun?«

Der Sergeant war Sharpe gedanklich vorausgeeilt, und dieser fügte nun die Vorstellung seinen Verdachtsmomenten hinzu. Wo zum Teufel war Hardy? Wenn die Franzosen einen britischen Offizier in einem Grab vorfanden, würden sie es nicht weiter schänden. Sie würden wieder Erde darüberschaufeln und vielleicht gar ein Gebet sprechen. Er pfiff leise. »Aber ...«

»Ich weiß, Sir«, unterbrach Harper ihn. Dies war seine persönliche, wohl durchdachte Theorie, und er beeilte sich, sie zu vertreten. »Das ist das Komische. Die sind nicht bereit, euch heidnische Engländer auf heiligem Boden zu bestatten, weil die Gefahr besteht, dass ihr ihn für uns gute Katholiken verderbt. Aber könnte man nicht annehmen, Sir, dass sechzehntausend Goldmünzen ihre Furcht vor der ewigen Verdammnis auslöschen würden? Ich wäre versucht, es zu glauben. Man kann schließlich den Leichnam jederzeit verlegen, wenn man das Gold ausgräbt, und mit zwei Ave Maria würde einem der Himmel wieder offen stehen.« Harper nickte, befriedigt über seine Theorie. »Haben Sie, Sir, mit dem Vater des Mädchens gesprochen?«

»Ja, aber er wusste nichts.« Was nicht der Wahrheit entsprach, dachte Sharpe. Er hatte sich auf dem ausgebrannten Hof vor dem Haus des Witwers mit Cesar Moreno unterhalten, und der ergraute Kopf hatte sich gesenkt, als Sharpe sich erkundigt hatte, was aus Captain Hardy geworden sei. »Ich weiß es nicht.« Moreno hatte Sharpe einen Blick zugeworfen, als wolle er ihn anflehen, nicht weiter in ihn zu dringen.

»Und das Gold, Sir?«

Teresas Vater hatte sich jäh von Sharpe abgewandt. »Das Gold! Immer dieses Gold! Ich wollte, dass es nach Lissabon gelangt. El Católico will, dass es auf dem Landweg transportiert wird! Die Franzosen haben es! Hätte Ihre Kavallerie nicht versagt, Captain, wäre es unterwegs nach Cádiz. Nun ist gar kein Gold mehr da.«

In der Stimme des Mannes war eine Verzweiflung zu spüren gewesen, die in Sharpe den Wunsch aufkommen ließ, weiter nachzuhaken, mit sanften Fragen an Morenos Ehrlichkeit zu appellieren, doch El Católico war mit Teresa am Tor erschienen, und die Gelegenheit war vertan gewesen. Nun bot Harper jedoch einen neuen Gedanken an, einen, auf den Sharpe niemals selbst gekommen wäre: dass das Grab auf dem ummauerten Friedhof den Schatz enthielt und dass der Leichnam darin, wie bei den geheimnisvollen urzeitlichen Grabstätten Britanniens, von Gold umgeben war. Um diese Grabstätten rankte sich ein Aberglaube, an den Sharpe sich wohl erinnerte, dass nämlich jede von einem schlafenden Drachen bewacht wurde, von einem Drachen, der beim ersten Schlag einer diebischen Spitzhacke erwachen würde. Mit dem Drachen musste man es also aufnehmen.

Sharpe ließ dem Gedanken Flügel wachsen, sodass er sich in die Lüfte schwang. Konnte das Gold in Casatejada sein? So einfach? Konnte es sein, dass sich das Gold auf dem Friedhof befand und dort darauf wartete, dass die Heere weiterzogen, dass El Católico es ausgraben konnte, ungefährdet durch französische Patrouillen oder übereifrige Erkundungsoffiziere? Warum hatte El Católico dann Kearsey aufgefordert, weiter bei den Partisanen zu bleiben? Beziehungsweise, erinnerte er sich, Sharpe zugeredet, zusammen mit seinen Rifles dazubleiben? Wenn jedoch Harper recht hatte, wenn sein eigener Verdacht zutraf, war das Grab an einem Sonntag ausgehoben worden, was gegen das Gesetz der Kirche verstieß. Und in ihm lagen das Gold und die Leiche des Geliebten von Josefina. Vielleicht hatte El Católico sie nur eingeladen, bei den Partisanen zu bleiben, weil das ihr Misstrauen verringern würde, weil El Católico alle Zeit der Welt und es nicht sonderlich eilig hatte, die Münzen auszugraben.

Das Ganze erschien ihm fantastisch, ein feines Netz unhaltbarer Vermutungen. Dennoch wusste er, wenn er jetzt keine Entscheidung traf, würde alles unwiderruflich verloren sein. Er lachte laut heraus über diese absurde Angelegenheit, über seine Sorge, er könne sich damit, dass er unrecht hatte, in Schwierigkeiten bringen, als wenn es beim Ausgang des Feldzuges in diesem Sommer darauf angekommen wäre. José fuhr herum, erschreckt von dem plötzlichen Auflachen.

»Captain?«

»Wir müssen Rast machen. Zehn Minuten.«

Die Männer ließen sich dankbar nieder, streiften ihre Tornister ab und legten sich der Länge nach hin. Sharpe begab sich nach hinten, um mit den Verwundeten zu sprechen, die von ihren Kameraden mitgeschleppt wurden. Er hörte Batten murren und blieb stehen.

»Keine Sorge, Batten, es ist nicht mehr weit.«

Die misstrauischen Augen blickten zu Sharpe auf. »Es ist ein heißer Tag, Sir.«

»Du würdest dich beschweren, wenn es kälter wäre.« Die Männer in seiner Nähe grinsten. »Wie dem auch sei, morgen wirst du in Almeida sein und übermorgen wieder vereint mit dem Bataillon.«

Er sprach der Eskorte zuliebe laut, und während er sprach, wusste er, die Entscheidung war gefallen. Sie würden morgen nicht in Almeida sein, auch nicht am übernächsten Tag, sondern wieder in Casatejada, wo es ein Grab zu öffnen gab. Dies war die einzige Möglichkeit, den Verdacht loszuwerden.

Allerdings war sich Sharpe darüber im Klaren, dass er sich damit Feinde machen würde, die gefährlicher waren als die Franzosen. Wenn sich das Gold dort befand – die erschreckende Aussicht, dass dem nicht so war, konnte er momentan verdrängen –, musste die Kompanie es über zwanzig Meilen feindliches Terrain transportieren, musste den Franzosen aus dem Weg gehen und, schlimmer noch, die Partisanen abwehren, die das Gelände kannten und wussten, wie man darin zu kämpfen hatte. Im Augenblick konnte er nichts weiter tun, als den sauertöpfischen José zu überzeugen, dass er die Absicht hatte, geradewegs zum Heer zurückzukehren. Sharpe wurde, zur Verblüffung seiner Männer, plötzlich ganz redselig und fidel.

»Morgen gibt’s gekochtes Rindfleisch, Jungs. Kein Gemüseeintopf mehr! Eine Ration Rum, ein Wiedersehen mit euren Frauen und dem Regiments-Sergeant, alles, was ihr so sehr vermisst habt. Freut ihr euch denn nicht darauf?« Sie grinsten ihn an, freuten sich über seinen Frohsinn. »Und für uns unverheiratete Männer die besten Frauen in Portugal!« Daraufhin kam zotenreicher Beifall auf, und der Partisan, der sich im Sattel ausruhte, sah missbilligend zu.

»Ihre Männer kämpfen für Frauen, Captain?«

Sharpe nickte fröhlich. »Und für Schnaps. Und für einen Schilling pro Tag mit Abzügen.«

Knowles kam mit aufgeklappter Taschenuhr nach vorn. »Die zehn Minuten sind um, Sir.«

»Auf die Beine!« Sharpe klatschte in die Hände. »Kommt, Jungs! Gehen wir heim. Paraden, volle Ration und Mrs Roach zum Wäschewaschen!«

Die Männer erhoben sich gut gelaunt, schnallten ihre Tornister um und schulterten ihre Waffen. Sharpe bemerkte Josés geringschätzigen Blick. Er hatte den Eindruck erweckt, den einigermaßen zutreffenden Eindruck, dass es der Leichten Kompanie nur um Schnaps und Frauen zu tun war, und solche Verbündete waren nicht nach Josés Geschmack. Sharpe wollte erreichen, dass man sie verachtete und unterschätzte, und wenn der Spanier nach Casatejada zurückkehrte und der Meinung war, die Männer des South Essex seien unbeholfen, grob und allein darauf erpicht, die Bordelle von Lissabon zu erreichen, dann war Sharpe das recht.

Patrick Harper, das siebenläufige Gewehr hoch auf der Schulter, glich wiederum seine Schritte denen von Sharpe an. »Wir gehen also zurück?«

Sharpe nickte. »Das braucht aber kein anderer zu wissen. Wie bist du darauf gekommen?«

Harper lachte.

Er blickte Sharpe aufmerksam an, als wolle er die Weisheit seiner Antwort abwägen, schien jedoch zu glauben, dass er sie sich leisten konnte. »Weil Sie hinter der Frau von diesem Schweinehund her sind.«

Sharpe lächelte. »Und hinter dem Gold, Patrick. Vergiss nicht das Gold.«

Sie erreichten den Agueda bei Einbruch der Dunkelheit, als sich über dem langsamen Strom nach Norden die Mücken in Wolken versammelten. Sharpe war versucht, am Ostufer zu kampieren, wusste jedoch, dass ein derartiges Vorgehen den Verdacht der Partisanen erregt hätte. Daher watete die Leichte Kompanie durch den Fluss und marschierte eine halbe Meile weiter unter die Bäume, die das westliche Hügelland säumten. Die Eskorte zog nicht etwa ab, sondern blieb am fernen Ufer stehen und beobachtete sie, und einen Moment lang fragte sich Sharpe, ob die Spanier die britischen Soldaten im Verdacht hatten, über Nacht nach Casatejada zurückkehren zu wollen. Er wandte sich an den fröstelnden Lieutenant Knowles. »Lassen Sie ein Feuer anzünden.«

»Ein Feuer?« Knowles blickte erstaunt drein. »Aber die Franzosen ...«

»Ich weiß. Machen Sie Feuer. Ein großes.«

Die Männer waren begeistert. Die mit den scharfen Sägebajonetten hackten auf die Zweige der Korkeichen ein, andere sammelten Zunder, und binnen Minuten erhob sich der bläuliche Holzrauch wie ein schwankendes Signal in den Abendhimmel. Patrick Harper stand mit tropfenden Hemdzipfeln da und hielt seine durchnässte Hose übers Feuer. Er warf seinem Captain einen fragenden Blick zu, als wolle er darauf hinweisen, dass dieses Feuer gefährlich sei. Aber darum ging es Sharpe gerade, denn die Partisanen würden, wenn sie es sahen, von der Unfähigkeit der britischen Infanterie noch überzeugter sein. Jeder Mann, der auf einem Gelände, das vom Feind patrouilliert wurde, ein Feuer entfachte, konnte nicht damit rechnen, lange zu leben.

Ob nun ausgelöst durch den Anblick des Feuers oder wegen der späten Stunde, beschloss José, sich zu verabschieden. Sharpe, der in dem Schatten am Rand des Baumbestandes kauerte, sah zu, wie die Reiter kehrtmachten und ihre Pferde anspornten, zurück nach Osten. Die Kompanie war allein.

»Lieutenant!«

Knowles trat ans Feuer. »Sir.«

»Wir gehen zurück. Heute Nacht.« Er beobachtete Knowles auf seine Reaktion hin, doch der junge Mann aus dem Norden nickte nur, als komme die Neuigkeit nicht unerwartet. Sharpe war irgendwie enttäuscht. »Wir nehmen die Verwundeten nicht mit. Sergeant Read kann sie nach Almeida bringen. Geben Sie ihm drei Mann zur Unterstützung mit, und sagen Sie ihm, er soll sich einen Konvoi zurück über den Coa-Fluss suchen. Verstanden?«

»Jawohl, Sir.«

»Und wir werden uns heute Nacht aufteilen. Ich gehe mit den Rifles voraus. Sie kommen nach. Sie finden uns auf dem Friedhof in Casatejada.«

Knowles kratzte sich den Kopf. »Sie glauben, dass dort das Gold ist, Sir?«

Sharpe nickte. »Vielleicht. Jedenfalls will ich nachsehen.« Er grinste dem Lieutenant zu, steckte ihn mit seinem Enthusiasmus an. »Leiten Sie alles in die Wege, Robert, dann sagen Sie mir Bescheid, ob es Probleme gibt.«

Die Nacht senkte sich schnell herab, und die Dunkelheit kam Sharpe zweimal so tief vor wie sonst. Der Mond verbarg sich hinter aufragenden Wolken, die langsam, unendlich langsam die Sterne auslöschten. Eine sanfte, kalte Brise von Norden her erinnerte Sharpe daran, dass das Wetter irgendwann umschlagen musste. Hoffentlich nicht heute Abend, dachte er, denn Regen würde sie aufhalten, würde den schwierigen Marsch noch gefährlicher machen, und er musste in Casatejada ankommen, so lange es noch dunkel war. Es überraschte und freute ihn sehr, dass die Nachricht, sie würden nicht nach Almeida weiterziehen, die Männer zu erregen schien. Sie grinsten ihm zu, aber es herrschte eine Unruhe in der Kompanie, die von ihrem Bedürfnis zeugte, ihre gestellte Aufgabe zu erfüllen. Knowles kehrte zurück, ein Schatten in der Dunkelheit.

»Probleme?«

»Nur mit Read, Sir. Will ein Papier.«

Sharpe lachte. Sergeant Read war so eigen wie eine brütende Henne und glaubte zweifellos, dass seiner kleinen Schar größere Gefahr von der eigenen Seite drohte als von den Franzosen. Wenn die Militärpolizei eine kleine Gruppe abseits ihres Bataillons entdeckte, konnte es sein, dass sie sie für Deserteure hielt und ihre langen Seile hervorholte. Sharpe kritzelte mit Bleistift auf eine Seite aus Knowles’ Notizbuch, ohne im Dunkeln zu wissen, ob das Geschriebene überhaupt lesbar war. »Gib ihm das hier.« Knowles zog sich nicht zurück, und Sharpe konnte hören, dass er sich rastlos bewegte.

»Was ist denn?«

Die Stimme des Lieutenants klang leise und besorgt. »Wissen Sie bestimmt, dass sich das Gold dort befindet, Sir?«

»Sie wissen doch, dass ich es nicht weiß.«

Nun trat eine Pause ein. Knowles trat von einem Bein aufs andere. »Das ist riskant, Sir.«

»Inwiefern?« Sharpe wusste, dass es seinem Lieutenant nicht an Courage mangelte.

»Ich dachte, Major Kearsey hätte Ihnen befohlen, zum Heer zurückzukehren, Sir. Wenn er zurückkommt und entdeckt, dass wir in Casatejada herumstöbern, wird er nicht gerade beglückt sein. Und El Católico wird uns nicht mit offenen Armen willkommen heißen. Und ...« Seine Stimme versiegte.

»Und was?«

»Na ja, Sir.« Knowles kauerte sich zu Sharpe nieder, und seine Stimme wurde noch leiser. »Jeder weiß, dass Sie wegen der Profose Schwierigkeiten mit dem General hatten, Sir. Wenn Kearsey sich über Sie beschwert, Sir, na ja ...« Wieder gingen ihm die Worte aus.

»Dann könnte es sein, dass ich noch größere Probleme bekomme, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir. Und das ist noch nicht alles.« Auf einmal sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus, als habe er sie sich seit Tagen oder gar Wochen verkniffen. »Wir wissen alle, dass Ihre Beförderung noch nicht bestätigt ist, Sir, und das ist so ungerecht! Nur weil Sie einmal einfacher Soldat waren, scheinen die nichts zu unternehmen, und der Adler zählt auch nichts.«

»Nein, nein, nein.« Sharpe unterbrach seinen Redefluss. Er war verlegen, gerührt, ja sogar überrascht. »Das Militär ist nicht ungerecht, nur langsam.«

Er glaubte es selbst nicht, aber wenn er zugelassen hätte, dass er seine wahren Gedanken aussprach, wäre seine Erbitterung allzu deutlich zum Vorschein gekommen. Er dachte an den Triumph des Augenblicks, den er vor einem Jahr empfunden hatte, als der General ihn zum Captain befördert hatte, aber seither hatten die Horse Guards nichts von sich hören lassen. Er fragte sich, ob die Beförderung bereits abgelehnt war und nur niemand wagte, es ihm zu sagen. Das war schon vorgekommen, und die Bataillonskommandeure hatten den Sold dann persönlich aufstocken müssen. Zur Hölle mit dem Militär, zur Hölle mit dem Rangsystem. Er sah Knowles an.

»Wie lange sind Sie schon Lieutenant?«

»Zwei Jahre und neun Monate, Sir.« Sharpe war kaum überrascht, dass die Antwort so vollständig und so rasch erfolgte. Die meisten Lieutenants zählten die Tage, bis sie drei Jahre Dienstzeit beisammenhatten. »Demnach werden Sie um Weihnachten herum Captain sein?«

Knowles wirkte peinlich berührt. »Mein Vater bezahlt es, Sir. Er hat mir das Geld nach Talavera versprochen.«

»Sie haben es verdient.« Sharpe spürte einen Anflug von Neid. Er konnte die fünfzehnhundert Pfund für den Rang eines Captains nicht aufbringen, und Knowles hatte Glück mit seinem Vater. Sharpe verbarg seine Bedrücktheit mit einem Lachen. »Wenn meine Beförderung misslingt, Robert, werden wir um Weihnachten herum die Plätze vertauscht haben!« Er stand auf, blickte über das dunkle Tal hinweg. »Zeit zum Aufbruch. Gott weiß, wie wir den Weg finden sollen. Aber viel Glück.«

Eintausend Meilen entfernt im Nordosten blickte ein kleiner Mann mit einem zerzausten Haarschopf und einem unersättlichen Appetit auf Arbeit auf den Stapel Papiere, mit denen er sich beschäftigt hatte, und grunzte anerkennend, nachdem er noch einmal die letzten Abschnitte der neuesten Depesche von Marschall André Masséna durchgelesen hatte. Er fragte sich, ob der Marschall, den er persönlich zum Fürsten von Essling ernannt hatte, dabei war nachzulassen. Das britische Heer war so klein – die Zeitungen aus London berichteten, dass es ganze dreiundzwanzigtausend seien und zweiundzwanzigtausend portugiesische Verbündete – und das französische Heer so groß, und Masséna schien sich verdammt lange damit aufzuhalten.

In der Depesche hieß es allerdings, dass sie auf dem Vormarsch seien, ins Landesinnere von Portugal, und dass die Briten bald mit dem Rücken zum Meer stehen würden und nichts mehr zu erwarten hätten als Entsetzen, Schande und Unterwerfung.

Der kleine Mann gähnte. Er wusste alles, was sich in seinem riesigen Weltreich ereignete, selbst dass der Fürst von Essling eine junge Frau mit in den Krieg genommen hatte, um des Nachts sein Bett warm zu halten, aber das sollte ihm verziehen werden. Ein Mann brauchte so etwas, vor allem dann, wenn sich die Jahre nur so hinzogen, und der Sieg machte alles verzeihlich.

Als ihm der Bericht eines Geheimagenten einfiel, wonach Massénas Geliebte in Husarenuniform verkleidet war, lachte er so laut heraus, dass ein Lakai aufschreckte und die Kerzen flackerten. Aber was machte das schon? Das Kaiserreich war gesichert, und der kleine Mann legte sich neben seiner Fürstin zur Ruhe, ohne von der Kompanie zu wissen, die durch sein Territorium marschierte, in der Hoffnung, ihm in den folgenden Monaten viele schlaflose Nächte zu bereiten.