Old Mylecharane lebte nahe dem Meer,
Hoch droben in luftigen Höh’n.
Sein Land war vor Ginster so golden und gelb,
Sein Töchterchen jung und so schön.
»Ach Vater, man sagt, du hast Schätze ohn Zahl,
Doch versteckt sind sie, sehn nicht den Tag.
Das einzige Gold ist der Ginster allhier;
Was hast du getan damit, sag?«
»Mein Gold liegt versperrt in einer Truhe aus Holz,
Die ich warf in die See und die sank.
Und dort ruht es, schimmernd wie ein Anker aus Stahl,
So sicher und fest wie die Bank.«
»Ich mag dieses Lied«, sagte ich anerkennend, als Fenella geendet hatte.
»Das solltest du auch«, sagte Fenella. »Schließlich handelt es von unserem Vorfahr, deinem und meinem. Dem Großvater von Onkel Myles. Er hat sich mit Schmuggeln ein Vermögen erworben und es irgendwo versteckt, und kein Mensch weiß, wo.«
Ahnenkunde ist Fenellas starke Seite. Sie interessiert sich für alle ihre Vorfahren. Meine Neigungen sind rein moderner Natur. Die schwierige Gegenwart und die ungewisse Zukunft nehmen meine ganze Energie in Anspruch. Aber ich mag es, wenn Fenella die alten Balladen von der Isle of Man singt.
Fenella ist hinreißend. Sie ist meine leibliche Cousine und außerdem, von Zeit zu Zeit, meine Verlobte. Wenn bei uns finanzieller Optimismus herrscht, sind wir verlobt. Wenn uns eine entsprechende Woge des Pessimismus erfasst und uns klar wird, dass wir noch mindestens zehn Jahre mit dem Heiraten warten müssen, entloben wir uns wieder.
»Hat denn noch nie jemand versucht, den Schatz zu finden?«, erkundigte ich mich.
»Und ob! Aber man hat ihn nie gefunden.«
»Vielleicht hat man die Sache nicht systematisch angepackt.«
»Onkel Myles hat es mal allen Ernstes versucht«, sagte Fenella. »Er meinte, jeder Mensch mit ein bisschen Grips sollte eigentlich imstande sein, eine leichte Aufgabe wie diese zu lösen.«
Das klang ganz nach unserem Onkel Myles, einem kauzigen und exzentrischen alten Herrn, der auf der Isle of Man lebte und einen Hang zu kategorischen Aussagen hatte.
Genau in diesem Moment kam die Post – und der Brief!
»Allmächtiger!«, rief Fenella aus. »Wenn man vom Teufel spricht – von Engeln, meine ich. Onkel Myles ist tot!«
Sowohl sie als auch ich hatten unseren exzentrischen Verwandten nur zweimal gesehen, sodass keiner von uns vorgeben konnte, zutiefst betroffen zu sein. Der Brief kam von einer Anwaltskanzlei in Douglas und teilte uns mit, dass laut Testament von Mr Myles Mylecharane, verschieden, Fenella und ich zu gleichen Teilen Erben seines Nachlasses waren, bestehend aus einem Haus in der Nähe von Douglas und einem verschwindend kleinen Einkommen. Beigelegt war ein versiegelter Umschlag, der gemäß Mr Mylecharanes Verfügung nach seinem Tod an Fenella weiterzuleiten war. Diesen Brief öffneten wir und lasen den erstaunlichen Inhalt. Ich gebe ihn hier in voller Länge wieder, da es sich um ein wahrhaft charakteristisches Dokument handelt.
Liebe Fenella, lieber Juan (denn ich gehe davon aus, dass da, wo einer von Euch ist, der andere nicht weit entfernt sein kann – jedenfalls munkelt man das),
Ihr werdet Euch vielleicht erinnern, mich sagen gehört zu haben, für jeden Menschen mit ein bisschen Grips sei der Schatz mühelos zu finden, den dieser reizende Halunke von Großvater versteckt hat. Ich legte diesen Grips an den Tag – und mein Lohn waren vier Truhen mit purem Gold. Genau wie im Märchen, stimmt’s? An lebenden Verwandten habe ich nur vier, Euch beide, meinen Neffen Ewan Corjeag, von dem ich stets habe sagen hören, er sei ein ganz und gar übles Subjekt, und einen Vetter, einen Dr. Fayll, über den ich nur sehr wenig weiß, und dieses Wenige ist nichts Gutes. Meinen eigentlichen Besitz hinterlasse ich Euch beiden, aber ich glaube, dass mir eine gewisse Verpflichtung auferlegt ist bezüglich dieses »Schatzes«, der mir einzig und allein durch meine Findigkeit zugefallen ist. Mein reizender Vorfahr wäre, wie ich meine, höchst ungehalten über mich, wenn ich den Schatz lediglich weitervererben würde. Und darum habe ich mir nun meinerseits ein kleines Rätsel ausgedacht.
Es sind noch immer vier »Schatztruhen« vorhanden (wenn auch in zeitgemäßerer Form als Goldbarren oder Goldmünzen), und es soll vier Konkurrenten geben – meine vier lebenden Verwandten. Am gerechtesten wäre es natürlich, jedem von ihnen eine »Truhe« zuzuweisen – aber auf der Welt, liebe Kinder, geht es nun einmal nicht gerecht zu. Der Sieg gehört dem Schnellsten – und oft dem Skrupellosesten1. Wer bin ich, wider die Natur zu handeln? Ihr müsst eben Euren Verstand gegen die beiden anderen aufbieten. Eure Chancen stehen, wie ich fürchte, ziemlich schlecht. Gutmütigkeit und Arglosigkeit werden auf dieser Welt selten belohnt. Davon bin ich so felsenfest überzeugt, dass ich bewusst gemogelt habe (eine weitere Ungerechtigkeit, wie Ihr bemerken werdet!). Dieser Brief an Euch geht vierundzwanzig Stunden früher ab als die Briefe an die beiden anderen. Ihr habt somit eine gute Chance, Euch den ersten »Schatz« zu sichern – vierundzwanzig Stunden Vorsprung sollten, sofern Ihr nur ein bisschen Grips habt, genügen. Die Hinweise für das Aufspüren dieses Schatzes befinden sich in meinem Haus in Douglas. Die Hinweise für den zweiten »Schatz« werden erst bekannt gegeben, nachdem der erste Schatz gefunden wurde. Im zweiten und allen weiteren Fällen fangt Ihr also alle am gleichen Punkt an. Ich wünsche Euch viel Erfolg, und nichts würde mir größere Freude bereiten, als dass Ihr alle vier »Truhen« bekommt, aber aus Gründen, die ich bereits genannt habe, halte ich dies für höchst unwahrscheinlich. Denkt daran, dass sich der liebe Ewan nicht durch irgendwelche Skrupel wird aufhalten lassen. Begeht nicht den Fehler, ihm in irgendeiner Hinsicht zu trauen. Was Dr. Richard Fayll betrifft, so weiß, ich sehr wenig über ihn, aber ich könnte mir denken, dass man bei ihm auf alles gefasst sein muss.
Viel Glück Euch beiden1. Es grüßt Euch, mit wenig Hoffnung bezüglich Eures Erfolges,
Euer Onkel
Myles Mylecharane
Als wir zu Ende gelesen hatten, sprang Fenella mit einem Satz neben mir auf.
»Was ist denn?«, rief ich.
Fenella begann hastig im Kursbuch zu blättern.
»Wir müssen so schnell wie möglich auf die Isle of Man«, rief sie aus. »Wie kann er es wagen, uns gutmütig und arglos und blöd zu nennen! Dem werd ich’s zeigen! Juan, wir werden sämtliche vier Truhen finden, heiraten und glücklich leben bis an unser seliges Ende, mit Rolls-Royce-Limousinen und Lakaien und marmornen Bädern. Aber wir müssen auf der Stelle auf die Isle of Man!«
Inzwischen waren vierundzwanzig Stunden vergangen. Wir waren in Douglas eingetroffen, hatten mit den Anwälten gesprochen und standen nun in Maughold House vor Mrs Skillicorn, der Haushälterin unseres Onkels selig, einer etwas furchteinflößenden Frau, die sich angesichts Fenellas Eifer ein wenig zugänglicher zeigte.
»Hatte schon komische Einfälle, Ihr Onkel«, sagte sie. »Hat anderen immer gern was zum Knobeln und zum Sinnieren aufgegeben.«
»Aber die Hinweise!«, rief Fenella. »Was ist mit den Hinweisen?«
Bedächtig, wie sie alles tat, verließ Mrs Skillicorn das Zimmer. Nach mehrminütiger Abwesenheit kam sie zurück und hielt uns ein zusammengefaltetes Blatt Papier hin.
Wir entfalteten es begierig. Es enthielt einen holperigen Vers in der krakeligen Handschrift meines Onkels.*
S und W und N und O
Sind der Himmelsrichtungen vier.
Ostwind schadet Mensch und Tier.
Nach Westen geh, nach Norden und Süden,
Doch vor dem Osten sollst du dich hüten.
»Oh!«, sagte Fenella verständnislos.
»Oh!«, sagte ich etwa im gleichen Tonfall.
Mrs Skillicorn lächelte uns mit grimmigem Vergnügen an.
»Macht nicht gerade viel Sinn, was?«, sagte sie hilfreicherweise.
»Es ist – ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Fenella kläglich.
»Der Anfang«, sagte ich fröhlicher, als mir zu Mute war, »ist immer das Schwerste. Wenn wir erst einmal losgelegt haben – «
Mrs Skillicorn lächelte grimmiger denn je. Die Frau war wirklich deprimierend.
»Können Sie uns denn gar keinen Tipp geben?«, fragte Fenella einschmeichelnd.
»Ich weiß von überhaupt nichts. Hat mich ja nicht ins Vertrauen gezogen, Ihr Onkel. Ich habe ihm gleich gesagt, er soll sein Geld auf die Bank tun und Schluss. Keine Ahnung, was er da wieder ausgeheckt hat.«
»Ist er nie mit irgendwelchen Truhen oder etwas Ähnlichem weggegangen?«
»Bestimmt nicht.«
»Und Sie wissen nicht, wann er die Sachen versteckt hat – ob erst kürzlich oder schon vor längerer Zeit?«
Mrs Skillicorn schüttelte den Kopf.
»Tja«, sagte ich in bewusst aufmunterndem Ton, »da gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder der Schatz ist hier vergraben, direkt auf dem Grundstück, oder aber er ist irgendwo auf der Insel versteckt. Natürlich kommt es auf den Umfang an.«
Plötzlich hatte Fenella einen Geistesblitz.
»Sie haben nicht zufällig bemerkt, ob etwas fehlt?«, sagte sie. »Von den Sachen meines Onkels, meine ich.«
»Das ist ja komisch, dass Sie mich das fragen – «
»Also fehlt etwas?«
»Wie gesagt, wirklich komisch, dass Sie das fragen. Schnupftabakdosen – mindestens vier Stück davon sind einfach spurlos verschwunden.«
»Vier Stück!«, rief Fenella aus. »Das muss es sein! Wir sind auf der richtigen Spur. Lass uns in den Garten gehen und nachsehen.«
»Im Garten ist nichts«, sagte Mrs Skillicorn. »Wenn da was wäre, wüsste ich es. Ihr Onkel hätte da draußen nichts verbuddeln können, ohne dass ich was gemerkt hätte.«
»Er erwähnt Himmelsrichtungen«, sagte ich. »Das Erste, was wir brauchen, ist eine Karte der Insel.«
»Auf dem Schreibtisch liegt eine«, sagte Mrs Skillicorn.
Fenella entfaltete sie voller Eifer. Dabei flatterte etwas heraus. Ich hob es auf.
»Was haben wir denn da?«, sagte ich. »Sieht aus wie ein weiterer Hinweis.«
Wir beugten uns gespannt darüber.
Es schien eine Art Lageplan zu sein. Er zeigte ein Kreuz und einen Kreis und einen Pfeil und gab in etwa die Himmelsrichtungen an, war aber alles andere als aufschlussreich. Wir studierten ihn schweigend.*
»Nicht sehr aufschlussreich, stimmt’s?«, sagte Fenella.
»Man muss natürlich ein bisschen herumknobeln«, sagte ich. »Wir können nicht erwarten, dass es uns gleich in die Augen springt.«
Mrs Skillicorn unterbrach uns mit dem Vorschlag, zu Abend zu essen, den wir gerne annahmen.
»Und könnten wir bitte Kaffee bekommen?«, sagte Fenella. »Viel Kaffee – und sehr stark.«
Mrs Skillicorn setzte uns eine ausgezeichnete Mahlzeit vor und brachte uns zum Abschluss eine große Kanne Kaffee.
»Und jetzt«, sagte Fenella, »an die Arbeit!«
»Als Erstes«, sagte ich, »die Richtung. Das hier scheint eindeutig auf den Nordosten der Insel hinzuweisen.«
»Scheint so. Werfen wir einen Blick auf die Karte.«
Wir studierten aufmerksam die Karte.
»Alles hängt davon ab, wie man die Sache betrachtet«, sagte Fenella. »Stellt das Kreuz da den Schatz dar? Oder eher so etwas wie eine Kirche? Es sollte wirklich gewisse Spielregeln geben!«
»Das würde es zu leicht machen.«
»Wahrscheinlich. Warum sind nur auf der einen Seite des Kreises kleine Striche und auf der anderen nicht?«
»Keine Ahnung.«
»Gibt es hier noch mehr Karten?«
Wir saßen in der Bibliothek. Sie verfügte über ausgezeichnetes Kartenmaterial. Daneben gab es diverse Führer mit Beschreibungen der Insel. Außerdem ein Buch über die Folklore der Insel. Und ein Buch über die Geschichte der Insel. Wir lasen sie alle.
Und dann stellten wir eine mögliche Theorie auf.
»Sie scheint zu stimmen«, sagte Fenella schließlich. »Ich meine, die beiden zusammen stellen eine Konstellation dar, die es sonst nirgendwo zu geben scheint.«
»Es ist jedenfalls einen Versuch wert«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass wir heute Abend noch mehr tun können. Gleich morgen Früh mieten wir uns einen Wagen und fahren los und versuchen unser Glück.«
»Es ist schon morgen«, sagte Fenella. »Halb drei! Wer hätte das gedacht!«
Am nächsten Morgen waren wir beizeiten unterwegs. Wir hatten uns für eine Woche einen Mietwagen genommen, den wir selbst fuhren. Fenellas Stimmung hob sich, als wir Meile um Meile auf der ausgezeichneten Straße dahinbrausten.
»Wenn die beiden anderen nicht wären, könnte das einen Heidenspaß machen«, sagte sie. »Ist das nicht der Ort, wo das Derby ursprünglich stattfand? Bevor es nach Epsom verlegt wurde? Wirklich erstaunlich!«
Ich lenkte ihre Aufmerksamkeit auf einen Bauernhof.
»Das muss das Haus sein, von dem ein Geheimgang unter dem Meer hindurch auf die Insel dort drüben führen soll.«
»Toll! Ich liebe Geheimgänge, du nicht auch? O Juan, wir sind ganz nahe dran. Ich bin schrecklich aufgeregt. Hoffentlich haben wir Recht!«
Fünf Minuten später ließen wir den Wagen stehen.
»Alles ist genau an der richtigen Stelle«, sagte Fenella mit bebender Stimme.
Wir gingen weiter.
»Sechs Stück – das stimmt. Also zwischen diesen beiden. Hast du den Kompass?«
Fünf Minuten später sahen wir uns mit unbeschreiblicher Freude in den Gesichtern an – und auf meiner ausgestreckten hohlen Hand lag eine antike Schnupftabakdose.
Wir hatten es geschafft!
Bei unserer Rückkehr nach Maughold House empfing uns Mrs Skillicorn mit der Nachricht, dass zwei Gentlemen gekommen seien. Einer von ihnen war wieder gegangen, aber der andere wartete in der Bibliothek.
Ein hochgewachsener blonder Mann mit blühender Gesichtsfarbe erhob sich lächelnd aus einem Sessel, als wir das Zimmer betraten.
»Mr Faraker und Miss Mylecharane? Entzückt, Sie kennen zu lernen. Ich bin Richard Fayll, ein entfernter Verwandter von Ihnen. Amüsantes Spielchen, das Ganze, nicht wahr?«
Sein Auftreten war weltmännisch und verbindlich; dennoch fasste ich auf der Stelle eine heftige Abneigung gegen ihn. Ich hatte sofort das Gefühl, dass dieser Mann gefährlich war. Seine Verbindlichkeit war irgendwie zu verbindlich, und er sah einem nie direkt in die Augen.
»Wir haben leider schlechte Nachrichten für Sie«, sagte ich. »Miss Mylecharane und ich haben den ersten ›Schatz‹ bereits gefunden.«
Er nahm es sehr gut auf.
»Zu schade, wirklich zu schade. Die hiesige Post scheint nicht sehr zuverlässig zu sein. Barford und ich haben uns unverzüglich auf den Weg gemacht.«
Wir trauten uns nicht, Onkel Myles’ perfides Vorgehen offen zuzugeben.
»Wie dem auch sei, bei der zweiten Runde haben wir alle die gleiche Ausgangsposition«, sagte Fenella.
»Ausgezeichnet. Wie wäre es, wenn wir uns die Hinweise gleich ansähen? Ihre großartige Mrs – äh – Skillicorn hält sie ja wohl bereit?«
»Das wäre Mr Corjeag gegenüber nicht fair«, sagte Fenella rasch. »Wir müssen auf ihn warten.«
»Ja, richtig! Das hatte ich vergessen. Wir müssen uns so schnell wie möglich mit ihm in Verbindung setzen. Ich kümmere mich darum. Sie beide müssen sehr müde sein und möchten sich sicher ausruhen.«
Woraufhin er sich verabschiedete und ging. Ewan Corjeag musste unerwartet schwer zu finden gewesen sein, denn es war bereits kurz vor elf Uhr abends, als Dr. Fayll anrief. Er schlug vor, am nächsten Morgen um zehn Uhr mit Ewan nach Maughold House zu kommen, wo Mrs Skillicorn uns dann die Hinweise aushändigen sollte.
»Ein ausgezeichneter Vorschlag«, sagte Fenella. »Also morgen um zehn.«
Wir begaben uns müde, aber glücklich zu Bett.
Am nächsten Morgen wurden wir von Mrs Skillicorn geweckt, der ihre übliche pessimistische Seelenruhe völlig abhandengekommen war.
»Was glauben Sie, was passiert ist?«, keuchte sie. »Bei uns ist eingebrochen worden!«
»Einbrecher?«, rief ich ungläubig aus. »Wurde etwas gestohlen?«
»Rein gar nichts – das ist ja das Komische! Bestimmt waren sie hinter dem Silber her, aber weil die Tür von außen abgesperrt war, sind sie nicht weitergekommen.«
Fenella und ich begleiteten sie zum Schauplatz des Frevels, der zufälligerweise ihr eigenes Wohnzimmer war. Das Fenster dort war unbestreitbar aufgebrochen worden, aber es schien tatsächlich nichts gestohlen worden zu sein. Das Ganze war höchst sonderbar.
»Ich verstehe nicht, wonach sie gesucht haben könnten«, sagte Fenella.
»Es ist ja nicht so, als ob hier irgendwelche ›Schatztruhen‹ versteckt wären«, witzelte ich. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Ich wandte mich an Mrs Skillicorn. »Die Hinweise – wo sind die Hinweise, die Sie uns heute Morgen geben sollten?«
»Ach so, die. Die sind da drüben in der obersten Schublade.« Sie ging hin. »Ich fass es nicht! Sie sind nicht mehr da! Sie sind weg!«
»Also keine Einbrecher«, sagte ich, »sondern unsere geschätzten Verwandten!« Und ich erinnerte mich an Onkel Myles’ Warnung vor skrupellosen Machenschaften. Er hatte offenbar genau gewusst, wovon er sprach. So eine Gemeinheit!
»Still!«, sagte Fenella plötzlich mit erhobenem Zeigefinger. »Was war das?«
Das Geräusch, das sie gehört hatte, drang deutlich an unsere Ohren. Es war ein Stöhnen, und es kam von draußen. Wir gingen zum Fenster und beugten uns hinaus. Auf dieser Seite waren Sträucher am Haus entlang gepflanzt, sodass wir nichts sehen konnten; aber das Stöhnen kam erneut, und wir konnten erkennen, dass sich jemand in den Büschen zu schaffen gemacht hatte.
Wir eilten hinunter und um das Haus herum. Das Erste, was wir fanden, war eine umgestürzte Leiter, die zeigte, wie die Diebe an das Fenster gelangt waren. Einige Schritte weiter stießen wir auf die Stelle, wo der Mann lag.
Der Mann war ziemlich jung, dunkelhaarig und offensichtlich schwer verletzt, denn sein Kopf lag in einer Blutlache. Ich kniete neben ihm nieder.
»Wir müssen sofort einen Arzt holen. Ich fürchte, er wird es nicht überleben.«
Der Gärtner wurde eilends losgeschickt. Ich schob meine Hand in die Brusttasche des Mannes und holte seine Brieftasche heraus. Sie trug die Initialen E. C.
»Ewan Corjeag«, sagte Fenella.
Der Mann schlug die Augen auf. Er sagte mit schwacher Stimme: »Von der Leiter gefallen…« Dann verlor er wieder das Bewusstsein.
Dicht neben seinem Kopf lag ein großer scharfkantiger Stein, an dem Blut klebte.
»Der Fall ist klar«, sagte ich. »Die Leiter ist weggerutscht, und er ist heruntergestürzt und mit dem Kopf auf diesen Stein gefallen.«
»Glaubst du wirklich, dass es sich so abgespielt hat?«, fragte Fenella in einem merkwürdigen Ton.
Doch in dem Moment traf der Arzt ein. Er hatte nur wenig Hoffnung, dass der Mann wieder gesund werden würde. Ewan Corjeag wurde ins Haus gebracht, und es wurde nach einer Krankenschwester geschickt, die sich um ihn kümmern sollte. Aber es war nichts mehr zu machen, und er sollte wenige Stunden später sterben.
Man hatte uns rufen lassen, und wir standen an seinem Bett. Seine Augen waren offen und flackerten.
»Wir sind Verwandte von Ihnen, Juan und Fenella«, sagte ich. »Können wir irgendetwas für Sie tun?«
Er bewegte kaum merkbar verneinend den Kopf. Seine Lippen flüsterten etwas. Ich beugte mich über ihn.
»Wollen Sie den Hinweis? Mit mir ist es aus. Nehmen Sie sich vor Fayll in Acht.«
»Ja«, sagte Fenella. »Sagen Sie es uns.«
Über sein Gesicht huschte eine Art Grinsen. »D’ye ken – « begann er.
Dann fiel sein Kopf plötzlich zur Seite, und er starb.
»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Fenella unvermittelt. »Wie meinst du das?«
»Hör mal, Juan. Ewan hat die Hinweise gestohlen – er gibt zu, dass er von der Leiter gefallen ist. Aber wo sind sie? Wir haben den gesamten Inhalt seiner Taschen durchgesehen. Mrs Skillicorn sagt, es waren drei versiegelte Umschläge. Und diese versiegelten Umschläge sind nicht mehr da.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich glaube, dass da noch jemand war, jemand, der die Leiter wegstieß, damit er herunterfiel. Und dieser Stein – auf den ist er nie und nimmer gefallen. Der wurde von ganz woanders geholt, ich habe die Stelle gefunden. Und damit wurde ihm vorsätzlich der Schädel eingeschlagen.«
»Aber Fenella – das wäre ja Mord!«
»Ja«, sagte Fenella, ganz weiß im Gesicht. »Es war Mord. Vergiss nicht, dass Dr. Fayll heute Morgen um zehn nicht erschienen ist. Wo steckt er?«
»Du glaubst, dass er der Mörder ist?«
»Ja. Weißt du, dieser Schatz – es geht schließlich um eine Menge Geld, Juan.«
»Und wir haben keine Ahnung, wo wir suchen sollen«, sagte ich. »Wirklich zu schade, dass Corjeag nicht mehr sagen konnte, was er uns mitteilen wollte.«
»Eins könnte uns vielleicht weiterhelfen. Das hatte er in der Hand.«
Sie reichte mir das abgerissene Stück eines Fotos.*
»Angenommen, das wäre ein Hinweis. Der Mörder entreißt es Corjeag, ohne zu merken, dass eine Ecke zurückbleibt. Wenn wir die andere Hälfte finden würden…«
»Dazu«, sagte ich, »müssen wir den zweiten Schatz finden. Sehen wir uns das Bild genauer an.«
»Hm«, sagte ich, »da ist nicht viel zu erkennen. Das da in dem Kreis scheint eine Art Turm zu sein, aber er wäre sehr schwer zu identifizieren.«
Fenella nickte.
»Dr. Fayll hat die entscheidende Hälfte. Er weiß, wo er zu suchen hat. Wir müssen diesen Mann unbedingt finden, Juan, und ihn beobachten. Aber er darf natürlich nichts davon merken, dass wir ihn im Verdacht haben.«
»Ich frage mich, wo er sich gerade aufhält. Wenn wir das wüssten…«
Meine Gedanken wanderten zurück zu dem sterbenden Mann. Plötzlich setzte ich mich ruckartig auf.
»Fenella«, sagte ich. »Corjeag war doch kein Schotte, oder?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Aber verstehst du denn nicht? Ich meine, was er damit meinte?«
»Nein.«
Ich schrieb hastig etwas auf ein Blatt Papier und warf es ihr zu.
»Was ist das?«
»Der Name einer Firma, die uns weiterhelfen könnte.«
»Bellman und True. Sind das Anwälte?«
»Nein. Eher so etwas wie wir – Privatdetektive.«
Und dann erklärte ich es ihr.
»Dr. Fayll möchte Sie sprechen«, sagte Mrs Skillicorn.
Wir sahen uns an. Inzwischen waren vierundzwanzig Stunden vergangen. Wir waren zum zweiten Mal erfolgreich von unserer Suche zurückgekehrt. Da wir kein Aufsehen erregen wollten, hatten wir den Snaefell, einen Ausflugsomnibus, genommen.
»Ich bin gespannt, ob er weiß, dass wir ihn von Weitem gesehen haben«, murmelte Fenella.
»Es ist schon erstaunlich. Ohne den Tipp, den uns das Foto gegeben hat, wären wir – «
»Still – und sei bitte vorsichtig, Juan. Der Mann muss doch vor Wut schäumen, dass wir trotz allem schlauer waren als er.«
Dem Doktor war jedoch nichts anzumerken. Als er eintrat, war er gewandt und charmant und ich spürte, wie mein Glaube an Fenellas Theorie ins Wanken geriet.
»Eine entsetzliche Tragödie!«, sagte er. »Der arme Corjeag. Ich nehme an, dass er – nun ja – uns ein Schnippchen schlagen wollte. Aber die Strafe folgte auf dem Fuße. Nun ja, wir kannten ihn ja kaum, den armen Kerl. Sie haben sich sicher gefragt, warum ich heute Vormittag nicht verabredungsgemäß erschienen bin. Ich erhielt eine fingierte Nachricht – Corjeags Werk, wie ich annehme –, die mich auf die andere Seite der Insel lockte. Und nun haben Sie beide schon wieder das Rennen gemacht. Wie ist Ihnen das nur gelungen?«
In seiner Stimme schwang aufrichtige Neugier mit, was mir nicht entging.
»Vetter Ewan konnte zum Glück noch etwas sagen, bevor er starb«, sagte Fenella.
Ich beobachtete den Mann scharf, und ich hätte schwören können, dass ich in seinen Augen Furcht aufflammen sah.
»Äh, wie? Wie war das?«, sagte er.
»Er konnte uns gerade noch einen Hinweis auf das Versteck des Schatzes geben«, erläuterte Fenella.
»Ach! Ach so – ich verstehe. Das konnte ich natürlich nicht wissen – obgleich ich mich merkwürdigerweise ebenfalls in dem bewussten Teil der Insel aufhielt. Vielleicht haben Sie mich dort herumschlendern sehen.«
»Wir waren leider zu beschäftigt«, sagte Fenella entschuldigend.
»Gewiss, gewiss. Sie müssen mehr oder weniger durch Zufall darauf gestoßen sein. Das Glück ist Ihnen tatsächlich hold, habe ich Recht? Nun, was steht als Nächstes auf dem Programm? Wird Mrs Skillicorn uns mit weiteren Hinweisen erfreuen?«
Aber anscheinend waren die Hinweise für die dritte Suche bei den Anwälten hinterlegt worden, und so begaben wir uns alle drei in die Anwaltskanzlei, wo uns die versiegelten Umschläge ausgehändigt wurden.
Der Inhalt bestand schlicht aus einer Karte, auf der ein bestimmtes Gebiet gekennzeichnet war, sowie einem Blatt mit Anweisungen.*
Anno ‘85 machte dieser Ort Geschichte.
Zehn Schritte vom Orientierungspunkt
Gen Ost, dann weitere zehn Schritte
Nach Nord. Von dort den Blick
Gen Osten lenken. Zwei Bäume stehen in
Richtung des Blickes. Einer davon war einer
Der heiligen Bäume der Insel. Zieht die Linie
Eines Kreises fünf Fuß
Von spanischer Kastanie und geht mit
Gesenktem Kopf umher. Suchet, so werdet ihr finden.
»Mir scheint, dass wir uns heute tüchtig ins Gehege kommen werden«, bemerkte der Doktor.
Getreu meiner Politik der demonstrativen Freundlichkeit bot ich ihm an, mit uns im Wagen zu fahren, was er auch annahm. Wir aßen in Port Erin zu Mittag und machten uns dann auf die Suche.
Ich hatte mir den Kopf darüber zerbrochen, weshalb mein Onkel ausgerechnet diese Hinweise bei seinem Anwalt deponiert hatte. Hatte er die Möglichkeit eines Diebstahls in Betracht gezogen? Und hatte er sicherstellen wollen, dass dem Dieb nicht mehr als ein Satz Hinweise in die Hände fiel?
Die Schatzsuche an diesem Nachmittag hatte durchaus ihre komischen Seiten. Das bewusste Gebiet war begrenzt, und wir drei befanden uns ständig in Sichtweite. Wir beäugten einander argwöhnisch, und jeder versuchte herauszufinden, ob der andere schon weiter war oder einen Geistesblitz gehabt hatte.
»Das gehört alles zu Onkel Myles’ Plan«, sagte Fenella. »Er wollte, dass wir einander beobachten und Höllenqualen ausstehen bei dem Gedanken, dass der andere es schaffen könnte.«
»Pass auf«, sagte ich. »Lass uns die Sache mal systematisch anpacken. Wir haben hier einen definitiven Hinweis, an den wir uns halten können. ›Anno ‘85 machte dieser Ort Geschichte.‹ Schlag doch mal in den Büchern nach, die wir mitgenommen haben, ob wir dort der Sache auf die Spur kommen. Wenn das der Fall ist, dann – «
»Er sucht in der Hecke dort drüben«, fiel mir Fenella ins Wort. »Oh! Ich halte das nicht aus! Wenn er ihn gefunden hat – «
»Jetzt hör mir mal gut zu«, sagte ich bestimmt. »Es gibt nur eine einzige Methode, die Sache anzupacken, nämlich die richtige Methode.«
»Es gibt so wenig Bäume auf der Insel, dass es wesentlich leichter wäre, einfach nach einer Kastanie zu suchen!«, sagte Fenella.
Über die nächste Stunde will ich hinweggehen. Wir kamen ins Schwitzen und begannen zu verzagen – und wurden die ganze Zeit von der Angst gepeinigt, dass Fayll Erfolg haben könnte, während wir scheiterten.
»Ich habe einmal in einem Kriminalroman gelesen«, sagte ich, »wie jemand ein beschriebenes Blatt in ein Säurebad legte und plötzlich alle möglichen Wörter sichtbar wurden.«
»Du meinst, wir sollten –? Aber wir haben kein Säurebad!«
»Ich glaube nicht, dass Onkel Myles chemische Kenntnisse voraussetzen konnte. Aber es gibt schließlich die Feld-Wald-und-Wiesen-Methode.«
Wir schlüpften hinter eine Hecke, und schon nach kurzer Zeit hatte ich mit ein paar Zweigen ein Feuerchen entfacht. Ich hielt das Papier so dicht wie möglich an die Flamme, ohne dass es verbrannte. Ich wurde auf der Stelle belohnt, denn ich sah, wie unten auf dem Blatt Buchstaben zu erscheinen begannen. Es waren nur zwei Worte.
»Bahnhof Kirkhill«, las Fenella laut vor.
In dem Moment kam Fayll um die Ecke. Ob er uns gehört hatte oder nicht, konnten wir nicht beurteilen. Auf jeden Fall ließ er sich nichts anmerken.
»Aber Juan«, sagte Fenella, als er weiterging, »in Kirkhill gibt es gar keinen Bahnhof!« Sie hielt mir die Karte hin, während sie sprach.
»Nein«, sagte ich, nachdem ich mich vergewissert hatte, »aber schau mal.«
Und dann zeichnete ich mit dem Bleistift eine Linie ein.
»Natürlich! Und irgendwo auf dieser Linie – «
»Genau!«
»Wenn wir doch nur die exakte Stelle kennen würden!«
In diesem Moment hatte ich meinen zweiten Geistesblitz.
»Aber wir kennen sie ja!«, rief ich, griff wieder zum Bleistift und sagte: »Schau!«
Fenella stieß einen Freudenschrei aus.
»So etwas Idiotisches!«, rief sie aus. »Und einfach fabelhaft! Was für ein Reinfall! Ich muss schon sagen, Onkel Myles war wirklich ein höchst findiger alter Herr!«
Die Zeit für den letzten Hinweis war gekommen. Selbiger befand sich nicht im Besitz des Anwalts, wie dieser uns mitgeteilt hatte. Er sollte uns nach Erhalt einer von ihm abzuschickenden Postkarte zugesandt werden. Mehr wollte er dazu nicht sagen.
Doch an dem Morgen, an dem etwas hätte eintreffen sollen, kam nichts, und Fenella und ich standen Höllenqualen aus, da wir überzeugt waren, dass es Fayll irgendwie gelungen war, den bewussten Brief abzufangen. Am Tag darauf erwiesen sich unsere Befürchtungen jedoch als unbegründet, und der Schleier des Geheimnisses lüftete sich, als wir die folgenden von unkundiger Hand geschriebenen Zeilen erhielten:
Geerter Herr oder Dame
enschuldigen sie die Verspätung aber ich bin for lauter sechsern und siebenern gans durcheinander. Ich weis blos was der Herr Mylecharane mir gesagt hat und das ich soll ihnen das Schrifstück schiken wo seit fielen Jahren in meiner Familje ist, aber für wozu er es hat haben wollen weis ich nich. Es grüst sie hochachtungsfoll
Mary Kerruish
»Abgestempelt in Bride«, stellte ich fest. »Nun zu dem ›Schrifstück wo in meiner Familje ist.‹«*
Auf einem Stein ein Zeichen du siehst.
Oh, sag mir doch die Spitze von
Was das wohl ist? Erstens (A). Nahe
Dabei stehst plötzlich du vor dem Licht,
Das gesucht. Dann (B). Ein Haus. Eine
Kleine Kate mit Reetdach und Mauer.
Ein gewundener Pfad führt vorbei. Das ist alles.
»Es ist ausgesprochen unfair, mit einem Stein anzufangen«, sagte Fenella. »Hier sind doch überall Steine! Wie soll man da wissen, auf welchem sich das Zeichen befindet?«
»Wenn wir die Gegend wüssten«, sagte ich, »wäre es bestimmt nicht schwer, den Stein zu finden. Es muss eine Markierung darauf sein, die in eine bestimmte Richtung weist, und in dieser Richtung ist etwas versteckt, das Licht auf das Auffinden des Schatzes wirft.«
»So könnte es sein«, sagte Fenella.
»Das wäre dann A. Der nächste Hinweis wird uns einen Tipp geben, wo sich B befindet, nämlich die Kate. Der Schatz selbst ist irgendwo an einem Pfad versteckt, der an der Kate vorbeiführt. Aber zuerst müssen wir natürlich A finden.«
Aufgrund des schwierigen ersten Schrittes erwies sich Onkel Myles’ letztes Rätsel als eine harte Nuss. Die Ehre, sie geknackt zu haben, gebührt Fenella – und selbst sie benötigte dazu fast eine ganze Woche. Hin und wieder waren wir Fayll begegnet, während wir felsige Landstriche absuchten, aber das Gebiet war ziemlich groß.
Als wir endlich die entscheidende Entdeckung machten, war es später Abend. Zu spät, wie ich sagte, um sofort zu der bewussten Stelle aufzubrechen. Fenella widersprach.
»Angenommen, Fayll stößt ebenfalls darauf«, sagte sie. »Und wir warten bis morgen, während er sich noch heute Abend auf den Weg macht. Wir würden uns doch vor Wut in den Hintern beißen!«
Plötzlich hatte ich einen großartigen Einfall.
»Fenella«, sagte ich, »glaubst du immer noch, dass Fayll Ewan Corjeag ermordet hat?«
»O ja.«
»Dann, glaube ich, haben wir jetzt eine Chance, ihn dieses Verbrechens zu überführen.«
»Mir graut vor diesem Mann. Er ist durch und durch schlecht. Was willst du tun?«
»Lauthals verkünden, dass wir A gefunden haben, und dann losfahren. Ich wette zehn zu eins, dass er uns folgt. Die Gegend ist sehr einsam – genau das, was er braucht. Und wenn wir so tun, als ob wir den Schatz gefunden hätten, dann muss er sein wahres Gesicht zeigen.«
»Und dann?«
»Und dann«, sagte ich, »erwartet ihn eine kleine Überraschung.«
Es war kurz vor Mitternacht. Wir hatten den Wagen in einiger Entfernung stehen lassen und schlichen an einer Mauer entlang. Fenella hatte eine starke Taschenlampe mitgebracht, die uns gute Dienste leistete. Ich selbst hatte einen Revolver bei mir. Ich wollte nicht das geringste Risiko eingehen.
Plötzlich blieb Fenella mit einem leisen Aufschrei stehen.
»Schau mal, Juan«, rief sie. »Wir haben ihn gefunden. Endlich!«
Einen Moment lang war ich nicht auf der Hut. Ich wirbelte instinktiv herum – aber zu spät. Fayll stand sechs Schritte entfernt, und sein Revolver hielt uns beide in Schach.
»Guten Abend«, sagte er. »Diese Partie geht an mich. Wenn Sie mir also bitte den Schatz aushändigen würden?«
»Darf ich Ihnen noch etwas anderes aushändigen?«, fragte ich. »Einen halben Schnappschuss, der einem Sterbenden aus der Hand gerissen wurde. Ich glaube, die andere Hälfte haben Sie.«
Seine Hand zitterte.
»Wovon reden Sie?«, knurrte er.
»Wir wissen alles«, sagte ich. »Sie und Corjeag waren gemeinsam da. Sie zogen die Leiter weg und schlugen ihm mit einem Stein den Schädel ein. Die Polizei ist schlauer, als Sie denken, Dr. Fayll.«
»Sie haben sie informiert? Nun, dann werde ich eben für drei Morde baumeln statt für einen!«
»Runter, Fenella!«, schrie ich aus Leibeskräften. Und im gleichen Augenblick ging sein Revolver los.
Wir hatten uns beide ins Heidekraut geworfen, aber bevor er erneut abdrücken konnte, sprangen uniformierte Männer hinter der Mauer hervor, wo sie sich versteckt gehalten hatten. Einen Moment später wurde Fayll bereits in Handschellen abgeführt.
Ich riss Fenella in meine Arme.
»Ich wusste, dass ich Recht hatte«, sagte sie bebend.
»Wie konntest du nur so leichtsinnig sein, mein Schatz?«, rief ich. »Er hätte dich erschießen können.«
»Hat er aber nicht«, sagte Fenella. »Und wir wissen, wo der Schatz ist.«
»Wirklich?«
»Ja. Schau her.« Sie schrieb rasch ein Wort. »Morgen suchen wir danach. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort viele Verstecke gibt.«
Es war gerade Mittag, als Fenella leise sagte:
»Heureka! Die vierte Schnupftabakdose. Wir haben alle gefunden. Onkel Myles würde sich freuen. Und jetzt – «
»Jetzt«, sagte ich, »können wir heiraten und vergnügt leben bis an unser seliges Ende.«
»Wir werden auf die Isle of Man ziehen«, sagte Fenella.
»Und vom Gold der Insel leben«, sagte ich und lachte laut vor Glück.