10. KAPITEL
Luke lag im Dunkeln auf dem Sofa und starrte an die Decke. Er dachte an Cat und ihr Angebot. Anfangs hatte er der Versuchung kaum widerstehen können, und erst allmählich hatte er wieder einen klaren Kopf bekommen. Nun wartete er auf sie. Sie war ausgegangen.
Seit Wochen hatte er ihretwegen keine seiner Freundinnen mehr getroffen. Von Liebesleben konnte keine Rede sein. Kein Wunder, dass er oft erregt war und häufig unter der kalten Dusche stand.
Ihr Traummann.
Wie hatte sie den so schnell finden können? Und was hatte der Kerl nur an sich, dass sie bereit war, für ihn ihren Traum von einer glücklichen Ehe aufzugeben?
Und wäre er, Luke, bereit, die eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte hintenanzustellen, wenn es wirklich der Mann ihrer Träume war? Schon die Vorstellung, dass sie jemand anderem gehörte …
Aber keine Frau gehörte einem Mann. Egal, wie auch immer man es nannte, er wollte nicht, dass sie irgendjemanden liebte. Nie.
Er wälzte sich rastlos auf dem Sofa hin und her. Es war wieder sehr heiß. Er trug nur seine dünnen Boxershorts, wegen Cat. Die noch nicht einmal zu Hause war. Wenn er wenigstens mit Nick über das Ganze sprechen könnte. Aber Nick hielt sich in den letzten Tagen verdächtig zurück.
Luke sprang auf. So ging es nicht weiter, er musste irgendetwas tun. Er würde Brot backen.
Mit ein paar langen Schritten war er in der Küche und knipste das Licht an. Das würde ihn ablenken. Er gab die Zutaten in eine große Schüssel und fing an, den Teig zu kneten. Das tat gut. Nicht so gut, wie mit Cat zu schlafen, aber immerhin.
Mit wem war sie denn eigentlich weggegangen? Ted, Allan, Bob, etwa wieder Nick? Wer war dieser Traummann? Und fiel ihr nicht auf, dass all diese Männer es keineswegs ernst mit ihr meinten?
Luke formte den Teig zu einer flachen Kugel und deckte ein Handtuch über die Schüssel, um ihn gehen zu lassen.
Im Grunde war es rücksichtslos von ihr, immer so spät nach Hause zu kommen. Wie sollte er tagsüber sein Pensum schaffen, wenn er nachts so lange aufsitzen musste? Es war zwar erst kurz nach neun, und er ging normalerweise nicht vor elf ins Bett, aber trotzdem.
Cat als Siebzehnjährige. Wieder musste er an diesen verdammten Geburtstag denken. Sie war mit ein paar Freundinnen ausgegangen, und er hatte am Küchenfenster gestanden und auf ihre Rückkehr gewartet. Als sie dann tänzelnd den Weg zum Haus hinaufkam, war er erschreckt über seine spontane körperliche Reaktion.
Sie darf dich nicht sehen, hatte er nur gedacht, aber er war wie angewurzelt stehen geblieben. Einmal nur wollte er sie küssen und dann sterben. Er wusste, dass er sterben würde, wenn sein Vater ihn zusammen mit ihr erwischte. Sie hatten sich geschworen, Cat vor allem Übel dieser Welt zu schützen.
“Oh, Luke, wie schön, dass du gekommen bist”, hatte sie strahlend gesagt. Er war aufgestanden und auf sie zugegangen und hatte gewusst, dass es jetzt passieren musste.
Sie war ihm entgegengelaufen und hatte sich ihm in die Arme geworfen.
Seine Umarmung war alles andere als brüderlich gewesen. Er hatte sie an sich gepresst und sie sofort geküsst, hart und wild. Und sie hatte sich dem Kuss hingegeben und sich mit ihren festen Brüsten gegen ihn gedrückt.
Ihre Bereitschaft hatte ihn vollkommen überrascht. Er hatte nicht mehr denken können, hatte nur noch gefühlt. Er schob sie gegen den Kühlschrank und küsste sie wie besinnungslos, bis sie beide nach Luft rangen. Er spürte ihre Brüste unter dem dünnen Kleid, umfasste sie, drückte sie. Er wollte sie hier nackt vor sich sehen, wollte sie auf den Küchentisch legen und sie jetzt und sofort lieben.
Dann endlich bemerkte er, dass Cat versuchte, ihn zurückzustoßen. Noch heute, nach neun Jahren, spürte er die Scham, die er damals empfand. Es gab keine Entschuldigung für sein Verhalten, auch nicht, dass er vierundzwanzig war und sexuell ausgehungert, weil er nur sporadische Abenteuer kannte.
Er ließ sie sofort los, aber nicht schnell genug, und Cat übergab sich noch sozusagen in seinen Armen. Sie hatte ihn entsetzt angestarrt und war geflohen.
Am nächsten Tag hatte er sich bei ihr entschuldigt, und Cat war so gewesen wie immer. Ruhig und fröhlich, eben die kleine Schwester. Danach hatte er sich ihr nie wieder auf diese Art und Weise genähert. Er war ihr Bruder und nichts weiter. Und das hatte auch gut geklappt. Bis jetzt.
Vielleicht sollte er ans andere Ende der Welt gehen. Auch in China brauchte man sicher Architekten.
“Hm, das riecht gut! Hast du gebacken?” Cat warf ihre Tasche auf den Tisch und sah Luke lächelnd an. Er trug eine blauweiß gestreifte Schürze und nicht sehr viel mehr. “Ist das die neueste Mode?”
“Es ist heiß hier drin.”
“Wirklich?” Obwohl sie ihr Haar hochgesteckt hatte und nur ein kurzes Kleid trug, war auch ihr heiß. Lukes Anblick wirkte auch nicht gerade abkühlend. Sie sah sich kurz in der Küche um. “Was ist denn los?”
“Nichts. Wieso?”
“Normalerweise backst du, um dich abzureagieren.”
“Unsinn. Ich backe dann, wenn ich gerade Appetit auf das habe, was ich backe.”
“Ist das Brot schon fertig?”
Luke schob ihr das mit einem Handtuch bedeckte Brot zu. “Hier, bitte.” Er schnitt eine dicke Scheibe ab und schob Cat die Butter zu. “Hattest du einen netten Abend?”
Sie bestrich sich die Scheibe mit Butter und biss ab. “Hm, sehr gut. Ja, es war … fantastisch.” Fantastisch war dieser Männerkörper hier vor ihr, fast nackt, behaart und bronzebraun.
“Ich habe noch jemanden, den du kennenlernen solltest”, sagte er schnell. “Steve Manfield.”
“Nicht nötig. Ich habe dir doch schon gesagt, ich habe meinen Traummann gefunden.”
“Ist es etwa Ted?”
“Nein, nicht Ted.”
“Gut. Aber du solltest Steve unbedingt noch treffen, bevor du eine endgültige Entscheidung fällst. Ein sehr angenehmer Mann, finanziell solide, hat seine eigene Versicherungsagentur. Er besitzt ein tolles Haus mit Pool, hat ein paar Hunde, liebt Kinder. Also, ich glaube, du und Steve, ihr würdet gut zusammenpassen.”
“Du liebe Zeit!” Cat lachte. “Einer solchen Empfehlung kann man ja kaum widerstehen. Aber ich habe trotzdem kein Interesse.”
“Warum denn nicht? Du kannst ihn dir doch wenigstens mal ansehen. Vielleicht am kommenden Wochenende.”
“Nein, ich weiß jetzt, wen ich will. Außerdem müssen wir zu einer Hochzeit, erinnerst du dich?” Sie hob den Arm und kratzte sich zwischen den Schulterblättern.
“Ich habe versucht, es zu verdrängen.” Er runzelte die Stirn. “Warum kratzt du dich denn dauernd?”
“Weil es juckt.” Sie schob sich an ihm vorbei und öffnete den Kühlschrank, um sich ein Glas Milch einzuschenken.
Luke hielt sie am Arm fest. “Ist dir klar, dass deine Haut ganz rot ist?”
“Ja, ich weiß.”
“Hast du Muscheln gegessen?”
Cat rieb sich den Oberarm. “Bist du so lieb und gießt mir ein Glas Milch ein? Ich glaube, die Soße war mit Krabben und Hummerfleisch angereichert.” Sie hatte sich am Hafen eine kleine Portion Krabben gekauft, bevor sie allein ins Kino gegangen war.
Er goss die Milch ein und reichte ihr das Glas. “Hier, nimm. Ich hol mal eben die Tinktur.”
Er ging ins Bad, und sie stellte gerührt fest, dass er die Tinktur, die nur sie allein brauchte, auch nach fünf Jahren noch in seinem Arzneischrank verwahrte.
Mit kleinen Schlucken trank sie die Milch. Luke in Boxershorts und Schürze war das Aufregendste, was sie je gesehen hatte. Cat biss sich auf die Lippen. Wie sollte sie am besten vorgehen? Sich nackt auf den Boden zu seinen Füßen legen?
Luke kam mit Watte und dem Fläschchen zurück. “Dreh dich um.”
Hm, das war angenehm kalt. Die Schürze berührte Cats Schenkel, als er dicht an sie herantrat.
“Was machst du denn da?” Luke betupfte ihre Schultern mit der feuchten Watte.
Sie hatte den Reißverschluss hinten am Kleid aufgezogen und öffnete jetzt den BH. “So kannst du doch besser an meinen Rücken ran.”
“Hör auf zu kratzen.” Er schob ihre Hand beiseite und strich mit dem Wattebausch über ihren Rücken. Sie schloss kurz die Augen. Was für ein wunderbares Gefühl. Sie hielt das Kleid vorne zusammen, damit es nicht herunterrutschte.
Vielleicht sollte sie einfach loslassen und sich umdrehen. Aber sie war zu feige, war es immer schon gewesen, auch als Kind. Sie erinnerte sich noch gut daran, als sie auf dem Fünfmeterbrett stand und sich nicht traute, zu springen. Eins, zwei, drei …
Sie ließ das Kleid vorne los.
“Was soll das denn?”, stieß Luke hervor. Er stand direkt hinter ihr, konnte also den zarten Duft ihrer Haut wahrnehmen, sah auf ihren schmalen Rücken. Er biss die Zähne zusammen und konnte sich nur mit Mühe davon zurückhalten, sie an sich zu reißen. Sein Körper reagierte sofort, und Luke trat schnell einen halben Schritt zurück.
“Ich werde mich vorn einreiben”, sagte sie mit einem kleinen Lächeln und hielt ihm die Hand hin. “Gib mir bitte das Fläschchen.”
Eine Sekunde lang sah Cat ihm in die Augen, dann kurz auf seinen Mund.
Himmel, dachte Luke, sie hat keine Ahnung, wie dieser Blick auf einen Mann wirkt. Er begehrte sie so sehr. Aber er wusste, wenn er sie jetzt in die Arme nahm, dann würde alles nur noch schlimmer. Er hätte sie nicht nur in ihrem Vertrauen enttäuscht, er würde nie mehr von ihr loskommen. Dieser Schritt wäre unwiderruflich.
Und deshalb musste er sich beherrschen, selbst wenn es ihn umbrachte.
Wortlos gab er ihr die kleine Flasche, und als sie sich ihm halb zuwandte, konnte er einen kurzen Blick auf eine ihrer festen vollen Brüste werfen. Er schloss kurz die Augen.
Cat schien völlig ahnungslos zu sein, welche Reaktion sie in ihm auslöste. Es war nicht nur sexuelles Verlangen, sondern auch ein überwältigendes Gefühl, das er in dieser Art noch nie empfunden hatte. Und dann sah er sich selbst mit ihren Augen.
Was verkörperte er für sie? Vertrauen, Sicherheit, Zuverlässigkeit. Dieser Gedanke wirkte wie eine eiskalte Dusche.
Leider nicht ganz.
Er litt Folterqualen. Glücklicherweise war sie so gutgläubig, dass sie sich voll auf ihn verließ. Er durfte sie nicht enttäuschen.
Mit angehaltenem Atem strich er mit dem feuchten Wattebausch über ihren Rücken. “Kannst du den Rest selbst machen?” Seine Stimme klang fremd. “Oder soll ich …?”
Sie griff schnell nach hinten und zog den Reißverschluss ganz auf. Luke erstarrte. “Du hast nichts darunter an?”
“Doch, eins von diesen winzigen Dingern.” Sie kratzte sich. “Der Ausschlag scheint bis hier unten zu reichen. Kannst du es sehen?”
Warum gab es jetzt kein Erdbeben, keine alles verschlingende Flut? Irgendetwas musste passieren. Und zwar sofort.
“Luke?”
Er riss sich zusammen und betupfte die roten Stellen. “Okay, das war’s, oder?”
Sie zog den Stoff über die Schenkel hoch. “Wenn du vielleicht hier oben noch meine Beine …” Sie zog das Kleid schnell wieder herunter. “Nein, lass nur.”
Er atmete auf. Er hätte sich auch keine Sekunde länger beherrschen können. “War eigentlich was mit dem Mann heute Abend, wie hieß er noch gleich?”
Cat seufzte leise und zog das Vorderteil wieder hoch. Dann drehte sie sich zu ihm um. “Was soll denn gewesen sein? Mit ihm habe ich keine Probleme.”
Luke strich ihr kurz über die Wange. Dann lehnte er sich gegen den Küchentresen und legte die Hände vor dem Unterkörper zusammen. “Worin besteht denn dann dein Problem, Cat? Vielleicht kann ich dir helfen.”
“Mein Traummann weiß noch nicht einmal, dass es mich überhaupt gibt.” Sie sah ihn eindringlich an. “Meinst du, du kannst da etwas tun?”
“Wie kann ich dir deiner Meinung nach helfen? Du brauchst es nur zu sagen. Du weißt, ich würde alles für dich tun. Oder soll ich dir einen Vorschlag machen?”
“Ja, gern.” Sie zog sich mit einem schnellen Schwung auf den Tresen hoch. “Ich habe ein Problem … mein Traummann ist absolut ahnungslos.” Sie lehnte sich leicht zurück, sodass das kurze Kleid die Schenkel nur noch halb bedeckte.
Luke schluckte und sah schnell zur Seite.
“Was soll ich denn tun in einem solchen Fall, Luke? Alle Hemmungen fallen lassen und ihn verführen?”
“Um Himmels willen, nein. Auf keinen Fall!” Er sah sie so entsetzt an, dass sie beinahe lachen musste.
“Du brauchst nicht gleich zu schreien, es war ja nur eine Frage. Du wolltest mir ja nicht beibringen, wie man einen Mann verführt. Nun muss ich es eben selbst ausprobieren. Aber wie kann ich ihn dazu bringen, dass er mich begehrt? Du musst es doch wissen, bei deinen Erfahrungen.”
“Worin bestehen denn nun die Schwierigkeiten?”
“Ich weiß ganz sicher, dass er mich mag, aber ich möchte, dass er mich liebt. Im Augenblick betrachtet er mich eigentlich mehr wie eine … gute Freundin.”
“Das ist doch gar nicht so schlecht”, sagte Luke und warf ihr einen schnellen Blick zu. “Im Gegenteil. Viele Paare verbindet anfangs noch nicht einmal Freundschaft.”
“Ja, das kann schon sein. Aber ich muss die Sache etwas beschleunigen. Weitere zwanzig Jahre bloß als Freundin bringen mich um.”
Irgendetwas an ihrem Ton ließ ihn aufhorchen. Nick. Sie sprach von Nick! “Was empfindest du denn nun wirklich für diesen Mann, Cat?”
Sie sahen sich an. Dann sagte Cat leise: “Ich liebe ihn von ganzem Herzen.”