9. KAPITEL
Es hörte sich so an, als wollte jemand die Tür einschlagen. Wenn es Luke war, würde es auch nicht mehr lange dauern. Cat setzte sich auf und lächelte Nick triumphierend an.
“Hallo, Nick? Bist du zu Hause?”
Nick knipste schnell die Lampe aus, zündete drei Kerzen an und bedeutete Cat, ihr Haar in Unordnung zu bringen und sich kräftig die Lippen zu reiben. “Ich komme gleich!”
“Wo kommst du denn her? Aus Peru?” Luke fiel fast in den Raum. “Ist Cat … ach, da bist du ja.” Er sah sich misstrauisch um. “Wieso ist es hier so kalt und dunkel?”
“Nick hat sich eine Klimaanlage angeschafft. Toll, was?”
“Was soll das denn? Die verbraucht doch nur eine Unmenge an Energie.” Er musterte den Raum, sah die Kerzen, die Weingläser, die Kissen auf einer Seite des Sofas. Er runzelte die Stirn, als er Cat in ihrem kurzen Top und den Shorts auf dem Sofa sitzen sah. Die Lippen sahen rot und geschwollen aus, das Haar war zerzaust, die Brustspitzen hart und gut sichtbar.
“Wie war denn dein ‘Geschäftsessen’?”, fragte Cat und streckte die nackten Beine lang auf dem Sofa aus.
“Die Kundin war begeistert.”
“Das kann ich mir vorstellen”, sagte Cat leise. “Möchtest du ein Glas Wein?” Sie griff nach der Flasche in dem Weinkühler.
“Nein. Deine Mutter ist am Telefon.”
Sie sah ihn überrascht an. “Meine Mutter?”
“Ja. Oben in meinem Apartment.”
“Und du lässt sie da am Telefon hängen?” Nick setzte sich auf die Sofalehne und legte Cat den Arm um die Schultern. “Woher ruft sie denn an?”
“Keine Ahnung.”
Cat stand auf und suchte nach ihren Sandalen. “Als ich zuletzt von ihr hörte, war sie in Portugal.”
“Du wirst ja gleich erfahren, wo sie ist und was sie will. Aber lehn auf alle Fälle ab, hörst du?”
“Ja, ja.” Sie strich sich das Haar aus der Stirn und drehte sich zu Nick um. “Vielen Dank für den schönen Abend.”
“Wollen wir weitermachen, mit dem Video, meine ich, wenn du wiederkommst?”
Cat lächelte. “Nein. Aber später gern, okay?”
“Von mir aus jederzeit.” Nick sah sie ernst an, seine Stimme klang enttäuscht. Er strich ihr kurz über die Wange, als sie an ihm vorbei zur Tür ging.
“Ich komme mit dir nach oben.” Luke trat schnell neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern.
“Lass mich erst mit ihr sprechen, ja?”
“Natürlich.” Er legte ihr die Hand unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Cat erbebte unter seiner Berührung. “Du brauchst nur abzulehnen, das weißt du doch. Wenn du eisern dabei bleibst, wird Faith es schon begreifen.”
Sie stand draußen auf dem Balkon, als er eine Viertelstunde später nach oben kam.
“Wie war’s?”, fragte er und trat neben sie ans Geländer. Das Telefon lag hinter ihr auf dem kleinen Tischchen.
Früher standen lediglich zwei bequeme Liegen, ein kleiner Tisch und ein paar leere Bierkisten auf dem Balkon. Heute konnte er jedem Dschungel Konkurrenz machen. Überall wucherten Pflanzen in braunen Tontöpfen, rankte und blühte es. Im Grunde fehlte nur noch ein Papagei. Doch Cat schien dafür momentan keinen Sinn zu haben. Sie starrte vor sich hin, das Gesicht blass und die Lippen zusammengepresst.
“Sie will wieder heiraten”, stieß sie leise hervor.
“O Cat.” Luke legte ihr liebevoll den Arm um die Schultern, und sie lehnte sich an ihn. Sanft streichelte er ihr den Arm und küsste sie zärtlich auf den Kopf. “Ich habe mir schon so was gedacht, weil es kein R-Gespräch war.” Wenn Faith Geld brauchte oder nicht wusste, wo sie bleiben sollte, oder sich einsam fühlte, telefonierte sie immer per R-Gespräch. Diese Frau saugte ihre Mitmenschen wirklich aus bis aufs Blut.
“Wann soll denn die Hochzeit sein?”
“Nächste Woche. Diesmal in Arizona. Sie will, dass ich wieder Brautjungfer bin.”
“Wie zartfühlend von ihr. Und dann noch sozusagen fünf Minuten vor zwölf anzurufen und zu erwarten, dass du gleich alles stehen und liegen lässt und zu ihr eilst.”
Cat wandte den Kopf und lächelte ihn traurig an. “Es ist am Wochenende, keine große Sache. Allmählich kann Faith mich auch nicht mehr überraschen.”
“Und der Wievielte ist das nun? Der neunte?”
Cat zuckte mit den Schultern. “Es ist der Mann ihrer Träume. Sie hörte sich zumindest glücklich an.”
“Dann hat er sicher genug Geld.”
“Das behauptet sie auch. Er heißt Chandler Roberts und ist ihr Schönheitschirurg.”
“Wie praktisch. Da ist er ja schon gut mit ihr beschäftigt. Wirst du denn wieder Brautjungfer spielen?”
“Ja.” Sie lachte kurz und bitter. “Ich werde mir wohl allmählich auch mal ein paar geschmacklose Glitzerkleider zulegen müssen, um die Männer zu betören.”
“Aber das entspricht doch gar nicht deinem Typ.”
“Nein?” Sie sah ihn an. “Was für ein Typ bin ich denn?”
Zärtlich, liebenswert, verdammt sexy. “Praktisch, vernünftig, bodenständig.”
“Oh, vielen Dank. Mit anderen Worten, vollkommen anders als meine Mutter.”
Er runzelte die Stirn. “Und die ist?”
“Sexy, voller Leben, schön.”
“Ich würde eher sagen, unsensibel, laut, geliftet und gestrafft. Die Frau ist doch eine wandelnde Kunstfigur.”
Cat musste lachen. “Wie ist es, kommst du mit zur Hochzeit?”
“Ja, wie immer.”
“Gut. Ich hol mir eben was zu trinken. Möchtest du auch etwas?”
“Nichts zu trinken, aber bring die Kekse mit, wenn du wiederkommst.” Luke sah auf die Bucht hinaus. Glücklicherweise hatte sich Cat allmählich mit den ständigen Hochzeiten ihrer Mutter abgefunden. Allerdings war Luke sich nicht sicher, ob ihre Gelassenheit nicht nur gespielt war. Es machte ihr sicher etwas aus, zu sehen, wie ihre Mutter einen Mann nach dem anderen heiratete, ohne daran zu denken, was wohl in ihrer Tochter vorging. Nach wie vor verwunderte es ihn, dass Cat unter diesen Bedingungen überhaupt an eine Ehe für sich selbst dachte.
Luke hatte schon als Kind gewusst, dass für ihn eine Ehe nicht infrage kam. Einer von beiden Ehepartnern würde immer bitter enttäuscht werden. Und selbst wenn die Erwachsenen sich im Guten trennten, waren doch immer die Kinder die Leidtragenden.
Nach der Scheidung seiner Eltern hatte seine Mutter sich so an ihn geklammert, dass er manchmal gewünscht hatte, sie wäre mehr wie Cats Mutter gewesen. Er erinnerte sich noch an viele Nächte, in denen er nicht schlafen konnte, weil seine Mutter stundenlang geheult hatte. Sie hatte zwar später wieder geheiratet, war aber über die Trennung von seinem Vater nie hinweggekommen.
Cat trat wieder auf den Balkon mit einem Glas Eiswasser und einem Teller mit Keksen. Die hatte er gestern gebacken, als sie mit irgendeinem Mann unterwegs war, den sie im Park kennengelernt hatte.
Luke ließ sich auf eine der Liegen fallen und streckte sich lang aus. Cat stellte ihm den Teller mit Keksen auf den Bauch und setzte sich neben ihn auf die Liege. Da sie beide Shorts trugen, berührten sich ihre nackten Beine, und Luke durchfuhr ein heißer Stoß der Erregung. Schnell griff er nach einem Keks, um sich abzulenken.
Er wollte sie fragen, was denn bei Nick vorgefallen war, wollte mit ihr über den Kuss sprechen, sachlich und nüchtern. Aber, dringender noch, er wollte sie bitten, sich auf die andere Liege zu setzen, einen Meter von ihm entfernt, damit er nicht in die Versuchung kam, sie an sich zu reißen. Aber sie sah so traurig aus, wie sie da mit hängenden Schultern neben ihm saß, dass er seine eigenen Probleme ganz schnell von sich schob.
“Möchtest du darüber sprechen?”, fragte er sanft.
Cat angelte einen Eiswürfel aus ihrem Glas. “Ach, das ist doch immer die alte Leier.” Sie blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. “Kühlt es hier eigentlich nie ab? Wo bleibt die berühmte frische Brise von San Francisco, von der man immer erzählt?”
Selbst eine Brise hätte auf ihn jetzt keine abkühlende Wirkung. Er konnte seine Gedanken einfach nicht von Cat lösen. Wie samtig ihre Haut war, wie erregend es gewesen war, sie zu küssen, wie gut sie roch.
“Die Hitze soll noch ein paar Tage anhalten. Aber wir können uns eine Klimaanlage anschaffen.” Apropos, was war denn eigentlich da unten bei Nick gelaufen?
“Nein, ich kann es schon noch aushalten.” Sie nahm den Kopf nach hinten und strich sich mit einem Stück Eis langsam über die Kehle, legte dann den Kopf zur Seite und kühlte den Nacken. Das Eis hinterließ eine glitzernde Spur auf ihrer Haut, und Luke atmete schneller.
Er räusperte sich. “Womit hat sie dich denn diesmal genervt?”
“Ach, das war diesmal eigentlich nicht schlimm. Sie ruft ja nur an, wenn sie … Egal, ich habe mich damit abgefunden und weiß, dass das, was sie tut, mit mir und meinem Leben nichts zu tun hat.”
“Was hat sie denn noch erzählt?”
“Sie ist gerade aus Paris zurückgekommen.” Cat lächelte kurz. “Diesmal sprach sie mit einem französischen Akzent. Sie hätte Ewigkeiten gebraucht, um all das zu kaufen, was sie unbedingt für ihr neues Leben brauche.”
“Hat sie sich zufällig auch mal danach erkundigt, wie es dir geht?”
“O ja. Sie fragte, ob ich auch die Gesichtscreme benutze, die sie in Deutschland für mich gekauft hatte.”
“Du? Du brauchst doch überhaupt keine Creme, bei deiner Haut.”
“Nein?” Sie sah ihn ernst an.
“Nein. Hast du eigentlich Nick heute Abend geküsst?”
“Nick?”
“Ja, Nick, meinen Partner. Mit dem du den Abend verbracht hast.” Oh, Mann, er würde noch den Verstand verlieren. Er fragte Sachen, die er lieber nicht fragen sollte, nur weil er den Blick nicht von der feuchten Spur auf ihrer Haut lösen konnte. Wenn er mit den Fingern diese Spur nachziehen würde, die Brüste berühren, die harten Brustspitzen reizen … Er zwang sich wegzusehen. Er musste doch an etwas anderes denken können als an Sex.
“Ach so, Nick. Also …” Sie strich sich die feuchten Haare aus der Stirn. “Ist dir auch so heiß?”
“Allerdings!” Wieder überfiel ihn heftiges Verlangen, und er hatte Mühe, die Hände ruhig zu halten. “Bitte, setz dich auf die andere Liege, Cat. Die Berührung macht mich schwitzen.”
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern und stand auf. “Kein Problem.”
“Cat, wenn keiner der Männer dich bisher besonders beeindruckt hat, kann ich dich auch noch mit ein paar anderen …”
Sie hob schnell die Hand. “Nicht nötig. Deine Auswahl war mehr als ausreichend. Ich habe den Richtigen schon gefunden.”
Luke blieb kurz der Mund offen stehen. “Was? Wer ist es denn?”, brachte er mit Mühe hervor.
“Ich sage es lieber noch nicht. Falls doch noch …”
“Wieso denn nicht? Wenn du absolut sicher bist. Und das bist du doch?”
“Oh, ja.” Sie hob das Glas und trank in durstigen Zügen. “Aber bevor ich die Sache weiterverfolge, möchte ich gern, dass du mir ein paar Tipps gibst.” Sie sah ihn treuherzig an. “Das würde mir sehr helfen, denn er ähnelt dir irgendwie.”
“Mir?”
“Ja. Charmant, cool, beherrscht. Ein Mann mit einer großen Wirkung auf Frauen.”
“Wohl so eine Art Playboy, was?”
Cat lächelte. “Genau. Und wenn jemand weiß, wie man diese Männer verführen kann, dann bist du es.”
Luke sprang auf, trat an das Geländer und sah über die Bucht. Erst nach ein paar endlosen Minuten drehte er sich wieder um. “Bist du denn ganz und gar verrückt geworden, Cat Harris? Wer ist es?”
“Ich habe dir doch schon gesagt, ich will nicht …”
“Kenne ich ihn?”
“Hör auf, Luke, das ist doch vollkommen egal. Ich bin doch nun wirklich alt genug, um mit einem Mann ins Bett zu gehen, und weiß, wann ich dazu bereit bin.”
Er sah sie drohend unter zusammengezogenen Augenbrauen an. “Du denkst, dieser ist der Richtige? Mit dem Mann seines Lebens hat man keine Affäre, den heiratet man, Cat. Bis dass der Tod euch scheidet.”
“Du brauchst gar nicht so zu schreien. Er wird mich nicht heiraten. Er hat Angst vor langen Bindungen. Genau wie du.”
“Aber du willst doch heiraten, willst ein Zuhause haben mit Kindern und Garten und allem, was dazugehört.”
“Ich werde froh sein, wenn ich mit ihm zusammen bin. Solange es dauert.”
“Nein, Cat, das ist nicht wahr. Du bist doch hergekommen, um einen Ehemann zu finden.”
“Ich habe meine Meinung eben geändert. Jetzt möchte ich einen Liebhaber.”
“Aber ich kenne dich doch.”
“Nicht so gut, wie du glaubst. Also hör auf, dich weiter so anzustellen. Ich glaube nur, dass kein interessanter Mann Lust hat, eine unbedarfte Jungfrau in die Geheimnisse der Liebe einzuführen. Kannst du mir nicht helfen, Luke, und mir zeigen, wie man das macht?”
“Aber, Cat!” Luke presste die Handflächen gegen die Schläfen und stöhnte leise. “Jeder Mann träumt davon, der erste bei einer Frau zu sein. In dem Punkt würde ich mir also keine Sorgen machen.”
“Ja, das ist eigentlich merkwürdig, nicht?” Cat streckte die Beine lang auf der Liege aus. “Jeder Mann möchte der erste für eine Frau sein und jede Frau die letzte für einen Mann.”
Luke atmete schwer und schwieg.
“Wo liegt denn das Problem?”, fragte Cat leichthin. “Meinst du, du kannst das nicht?”
“Kann was nicht?”
“Mir beibringen, wie ich meinen Traummann verführen kann.”
“Wenn ich es wollte, dann könnte ich es auch. Aber ich will nicht.”
Cat lehnte sich zurück und lächelte. “Wetten, dass du es nicht kannst?”