Prolog
1908
Graue Regenwolken schoben sich vor den unvollkommenen Mond am nächtlichen Himmel. Die Luft war kalt. Nebel hing zwischen den Bäumen, Sträuchern und Gebäuden wie eine undurchdringliche, dickflüssige Masse und ließ die Konturen der Umgebung verschwimmen. Eine dunkle Gestalt, nicht mehr als ein Schatten, verharrte auf der Brücke jenseits der schützenden Brüstung und blickte in das schwarze, leise gurgelnde Wasser hinunter. Sie wagte einen winzigen Schritt nach vorn, sodass ihre Schuhspitzen gefährlich weit über den Brückenstein hinausragten.
Ein Windstoß blähte den weiten Mantel der Person auf, brachte sie aus dem Gleichgewicht, und nur mit einem kräftigen Rudern der Arme konnte sie einen Sturz in das kalte Nass verhindern.
Minutenlang krallte sie sich mit einer Hand an den vom Nebel feuchten Mauerpfosten fest, bis sich ihr erhöhter Herzschlag wieder beruhigte. Ihr Blick wurde von der dunklen Wasseroberfläche angezogen, die sich in der Undurchdringlichkeit des Nebels verlor.
Es würde endgültig sein. Für immer vorbei! Aber war es wirklich so einfach, wie ihr Gehirn es ihr auszumalen versuchte? Warum wehrte sich ihr Herz gegen den so sorgfältig erdachten Plan?
Schwere, gemächliche Schritte näherten sich der Brücke, auf der sie noch immer gefangen in ihrer Unschlüssigkeit verharrte. Es war an der Zeit, dass sie eine Entscheidung traf.