Teil 3: Grauen
„Alles in Ordnung?“, fragte Nathalie, und half dem in die Knie gegangenen Schamanen wieder auf die Beine.
Er winkte ab. „Nur das Alter“, versicherte er ihr, und deutete den vor ihnen liegenden Anbau runter. „Ich denke, er hat etwas entdeckt“, machte er auf den schreienden David aufmerksam.
Sie war kurz hin und hergerissen.
„Nun machen Sie schon“, drängte er und gab ihr einen leichten Schubs. „Ich muss mich nur etwas ausruhen.“
„Wie Sie meinen“, sagte sie besorgt, „aber sollte es schlimmer werden dann...“
Ihre Blicke trafen sich.
Nathalie gab nach: „Okay, es ist Ihr Körper, aber das mir hinterher keine Klagen kommen.“
*
Er setzte sein typisches Sonntagslächeln auf. „Klagen hört man nur von den Unzufriedenen“, sagte er und hockte sich dabei in das getrocknete Gras.
Aus der hinter ihr liegenden Böschung wurde Davids Stimme laut. Murphy verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit und erschien mit jeder verstreichenden Sekunde penetranter. Die Worte waren zwar nur schwer verständlich, gaben aber dennoch Aufschluss, dass er wirklich fündig geworden war.
Sie stieß einen gemurmelten Fluch aus und begann vorsichtig die Schrägwand hinabzuklettern.
„Kaffeekränzchen?“, fragte er launisch und bot ihr einen Arm an.
Sie lehnte ab. „Ihm geht’s nicht so gut“, sagte sie und überwand die restliche Distanz mit gespielter Leichtigkeit. „Will sich nur etwas ausruhen...“ Ihre Augen fielen auf einen stark verwitterten Durchgang.
David kräuselte die Lippen. „Der richtige Augenblick“, schnarrte er und nickte zu dem schmalen Torbogen. „Lust auf eine kleine Entdeckungsreise?“
„Sie sind verrückt“, bekannte Nathalie und schlüpfte an ihm vorbei.
Der Durchgang führte die Beiden in eine zum Teil eingestürzte Halle. Es stank nach Moder und Fäulnis, einige der Wände hatten eine schwarze Färbung angenommen.
„Dela Rosa soll das Buch in einer angrenzenden Kapelle gefunden haben“, raunte David ihr zu. „Hobbyarchäologen sind ein seltsames Volk, finden Sie nicht auch. Ich meine, welcher normal denkende Mensch verbringt so seine Freizeit?“
„Immer noch besser, als es aus einem Zwang heraus zu tun.“
Er räusperte sich. „Mag sein, aber ich war schon an weitaus widerwärtigeren Orten.“
„Ihre Wohnung?“ Sie hatte dies mit solcher Trockenheit ausgesprochen, dass kurz stehen blieb und ihr einen bösen Blick zuwarf.
„Wir sollten uns doch besser auf das Wesentliche konzentrieren“, entgegnete er mit leichter Zornesröte und linste eine schmale Treppe runter. Einige der Stufen waren stark demoliert. Moose und Efeu hatten sich in den Rissen breit gemacht und dafür Sorge getragen, dass die Zerstörung noch weiter ausartete. „Ich geh zuerst“, sagte er und machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts. „Haben Sie übrigens ein Handy dabei?“
„In Manhattan“, erklärte sie, „wieso?“
„Für den Notfall“, antwortete er knapp, „so ein Sturz kann offen gesagt, sehr schmerzvoll ausfallen, daher...“ Er trat ins Leere, versuchte noch Halt zu finden und polterte mit lautem Fluchen die restlichen Stufen hinab.
Nathalie Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Sie taumelte entsetzt vor und lugte mit dem Schlimmsten rechnend, die Treppe runter.
Von unten blinkte ein Lichtkegel auf. „Sie können ruhig kommen“, hallte Davids Stimme hoch. „Passen Sie nur mit der Mitte ein bisschen auf. Die fehlt irgendwie...“ Was folgte waren einige derbe Sprüche gegen Gott und die Welt, in welcher er sich, als schutzloses Opfer sah.
„Keine Knochenbrüche“, wollte Nathalie wissen. Sie leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht und wurde mit einer quer über die Stirn, laufenden Wunde konfrontiert.
„Ein Kratzer“, beruhigte er sie und wischte sich mit der Handfläche das Blut weg. „Sehen Sie, kaum der Rede wert.“ Er stemmte sich eine hinter ihm liegende Erhöhung hoch, und schnaufte dabei erschöpft aus.
„Unverwüstlich, wie?“ Sie richtete die Taschenlampe auf den grauen Steinquader. „Bei ihrer Sitzgelegenheit, scheint es sich im übrigen um einen Sarg zu handeln“, schlussfolgerte sie aus der Form des Steins und bemerkte ein plötzliches Aufflackern von Ekel in seinen Augen.
„Einmal nur möchte ich die mir zugesagte Ruhe erleben“, maulte er und setzte wieder auf den Boden auf. „Der hier Bestattete hat wohl ein gutes Leben geführt.“
Sie verfolgte wie er leicht gegen das untere Drittel tippte. „Was genau meinen Sie?“
David war in die Hocke gegangen und kratzte nun vorsichtig ein von Staub und anderem Unrat verstecktes Emblem frei. „Gute Handwerksarbeit“, murmelte er aus den Mundwinkeln. „Der Herr war vermögend...“ Er hielt inne, ging die freigelegten Furchen mit den Fingernägeln nach und pfiff leise durch die Zähne.
Nathalies Anspannung wuchs. Sie ging neben ihm in die Knie und beäugte neugierig, das trotz jahrhundertelanger Verwitterung vorhandene Symbol. Ein Kreuz mit verbreiterten Balkenenden. „Templer...?“, hauchte sie.
Davids Stirnfalten nahmen weiter zu.„Die gab es wohl auch in dieser Welt“, murmelte er und zog sich schnaufend hoch.
„Was haben Sie vor?“
Er umpackte die aufgelegte Platte und wartete ungeduldig auf ihre Beteiligung. „Unter Hilfe verstehe ich etwas anderes“, beklagte er sich und schielte ärgerlich zu ihr rüber.
„Halten Sie das für klug?“
„Nein, keineswegs, aber wie Ihnen sicherlich aufgefallen ist“, er hob die Augenbrauen, „bleibt uns nichts anderes übrig. Entweder so oder so. Eine Wahl bleibt uns nicht...“
„Sie klingen mittlerweile wie der Schamane“, fiel sie ihm ins Wort und nahm Position ein. „Auf drei?“
„Auf drei.“
Der Deckel ließ sich anders, wie erwartet, ohne Probleme zur Seite schieben. Ein widerliches Kratzgeräusch, das eine Gänsehaut verursachte.
„Das reicht“, erklärte David und wischte sich die schmutzbehafteten Finger an den Beinkleidern ab. „Wollen doch mal sehen, was der alte Rittersmann für uns bereithält. „Leuchten Sie bitte“, bat er Nathalie und beugte sich mit dem Oberkörper schräg vor.
„Und?“ Nathalie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.
David gab ein rätselndes Murmeln ab. „Sieht tot aus“, erklärte er kurz angebunden.
Sie lachte. „Ihre Beobachtungsgabe ist aufzeichnungswürdig.“
„Ihr Humor ist unangebracht...“ Er wollte gerade wieder in eine aufrechte Haltung übergehen, als plötzlich eine skelettierte Klauenhand vorschnellte und sich um seinen Hals legte.
*
Ihre neu entwickelten Glieder zuckten erwartungsvoll auf. „Nicht mehr lange“, zischte sie und warf dem Lykaner einen lüsternen Blick zu. „Warum so traurig?“
Hank stieß ein zähnefletschendes Knurren aus. Er hatte sich wie ein Hund zusammengerollt und starrte sie unverhohlen an.
Margie stieß ein leises Kichern aus. „Plagen dich Sorgen?“, verhöhnte sie ihn und begann das Letzte der Herzen an den vorgesehenen Platz zu postieren. „Dein Herrschen wird schon bald zurückkehren. Solange musst du wohl noch ausharren...“
Der Lykaner stieß ein wütendes Fauchen aus. Er befand sich plötzlich wieder auf den Beinen und trottete drohend auf sie zu.
Margie sah kurz von ihrer Arbeit auf, und schenkte der näher kommenden Bestie ein süffisantes Lächeln. „Wage es Köter...“, flüsterte sie lauernd, und konzentrierte ihr Denken bereits auf die mit ihrem Körper verwachsenen Waffen. „Ich habe mal gehört, das abgerissene Arme sehr schmerzhaft sind. – Wollen wir es ausprobieren?“
Hank winkelte die Beine an. Geifer tropfte ihm von den Lefzen.
„Du bist widerlich.“ Sie breitete ihre Arme aus, spreizte die Finger, und fühlte bereits die wohlige Kälte des Stahls. Die Waffen glitten ihre Schulterblätter hoch, verharrten dort kurz und richteten ihre scharfen Klingen auf den anrückenden Gegner aus.
Schneidende Messer, die den Lykaner noch im Sprung stoppen würden. „Komm schon“, zischte sie und bleckte anmaßend die Zähne. „Nun komm schon, du verfluchtes Mistvieh!“ Die Waffen griffen an, schellten wie die Köpfe einer Muräne vor und arbeiteten dabei auf ein gemeinsames Ziel hin.
Hank machte einen Satz zurück. Er wuchtete seinen Körper gegen die seitliche Wand und kletterte mit imposanter Geschwindigkeit an ihr hoch.
Margie spie angewidert aus. „Feigling...“ Sie zog die Sicheln enttäuscht zurück. „...ich werde sie dir in den hässlichen Schädel rammen“, flötete sie und schwang sich wie ein exotische Tänzerin auf das leere Parkett.
Über ihr fauchte der Lykaner.
Sie wusste von seinem Hass, seinem Widerwillen. Er akzeptierte sie nicht, duldete nur mehr seinesgleichen und wollte ihre Wenigkeit tot sehen.
Sie streckte die Sicheln aus, ließ die optischen Organe vorgleiten und ließ sie gierig die Dunkelheit durchforsten. Feine sensorische Schwingungen die vor ihren geistigen Augen, feste Konturen annahmen. Sie konnte mit ihnen sehen und war sogar fähig die Aktionen anderer vorauszuahnen.
„Da bist du ja“, hauchte sie und spürte wie Sicheln, ohne ihr weiteres Zutun bereits nach oben schnellten.
Der Lykaner wich ein weiteres Mal aus und landete unweit ihres eigenen Standortes. Seine Nüstern waren geweitet, das Fell gesträubt. Er wirkte größer, gefährlicher.
Margies Blick wurde stechend. „Du willst es wirklich wissen“, giftete sie und tänzelte dabei zur Seite. „Hast du eine Ahnung, was er mit dir machen wird, wenn...“, sie hielt inne, streichelte Kehle und Jochbein entlang, „...er von deiner kleinen Ausuferung erfährt?“
Er stieß ein zorniges Heulen aus, setzte an und schoss im direkten Galopp auf sie zu. Die Sinne nur noch auf die zierliche Person der Hexe gelenkt, versagte sein Instinkt und registrierte den aus dem Nichts donnernden Schatten erst, als es zu spät war.
Der geöffnete Rachen des Götterwolfes schnappte vor, packte den im Vergleich geradezu kümmerlichen Körper des Dieners und zertrümmerte das Genick mit einem lauten Bersten.
Während er sich am Blut des schlapp zwischen seinen Lefzen hängenden Leibes gütlich tat, war Margie in ein diebisches Gelächter verfallen.
Fenrir begann sich an den auslaufenden Eingeweiden zu laben. Seine kalten Tieraugen suchten das Pendant zu der Menschenfrau. „Keine Spiele mehr“, knurrte er über das Brechen der Knochen weg und spie einige Splitter aus.
„Waren deine vorherigen Diener auch so dämlich?“ Sie ließ sich auf den Boden sinken, räkelte sich lasziv nach allen Richtungen aus und beobachte angeregt die Fressgewohnheiten ihres Meisters. „Obwohl mir scheint, dass er am Ende doch noch für was gut war...“ Sie seufzte, spürte wie die Sicheln an ihren angestammten Platz zurückkehrten und biss sich dabei auf die Unterlippe. „Ich meine, hat er wenigstens Geschmack...?“
Fenrir achtete nicht auf die letzte Bemerkung. Er schlang das Fleisch seines getöteten Artgenossen gierig runter und gab dabei bluttriefende Schmatzlaute von sich. „...sein Blut wird mich stärken.“
„Hat das was mit unserer neu eröffneten Organbank zu tun?“ Sie warf den aufgebahrten Herzen einen sehnsüchtigen Blick zu. „Wir hatten Patienten, die für so was 'ne hübsche Stange Geld hingeblättert hätten.“
„Materielle Güter haben dich nicht mehr zu interessieren“, gurgelte der Götterwolf und schleuderte die zerfetzten Überreste achtlos die Tribüne hinunter. „Ich habe dir diese Kräfte aus gutem Grund zu Teil werden lassen..“ Er richtete sich zur vollen Größe auf. „Dass du sie für dein persönliches Vergnügen missbrauchst, zeugt nur von deiner niederen Art...“
Sie rollte sich auf den Bauch, legte das Kinn in die zusammengefalteten Handflächen, und stierte gelangweilt vor sich hin. „Ich soll ihn finden...“, entgegnete sie leise. „Ihn aufspüren... aber bis jetzt, konntest du mir keine Möglichkeit nennen, wie genau, dies geschehen soll...“
„Du warst mit ihm verbunden“, grollte Fenrir und marschierte mit mächtigen Schritten auf die Herzsammlung zu. „Hast sowohl seinen Atem, wie auch den Atem der Macht gespürt...“
Sie seufzte gelangweilt aus. „Das Buch, du redest von diesem kranken Wälzer...“ Ihre Lippen spitzen sich zu einem Kussmund. „Und wie sollen uns diese... Was tust du!“
Die Augen weit aufgerissen, konnte sie nicht glauben was sie sah.
Die Herzen schwebten in einer epileptischen Laufbahn um den Körper des Götterwolfes – wurden immer schneller und schienen sich dabei in ihre Bestandteile aufzulösen. Ein dunkelroter Ring aus Blut und Fleisch.
„Komm her“, befahl er ihr und streckte eine seiner Pranken vor. „Nicht mehr lange und es wird in meinen Besitzt übergehen.“
Sie sah seinen heißen Atem aufsteigen. Angst umkrallte ihre Seele und das erste mal seit ihrer Wiedergeburt, zweifelte sie...
„Du wirst mir gehorchen!“ Der Schädel des Götterwolfes verfiel in heftige Zuckungen. Von den Raubtierhauern tröpfelnder Geifer, geriet in den epileptischen Strudel, und vermischte sich mit dem organischen Gelee. „Deine Bestimmung wartet...“
Margie kam wieder auf die Beine. Ihre Knie zitterten, und in ihrem Kopf pochte eine ungewisse Furcht. Eine Furcht, die sie wie eine willenlos erscheinende Puppe vorwärts schreiten ließ.
Fenrirs Krallen lockten. „Gehe durch den Ring und du wirst verstehen.“
Sie zögerte, blieb wie angewurzelt stehen und wagte es nicht den letzten Schritt zu tun.
Die Entscheidung wurde ihr abgenommen.
Als die Pranken des Götterwolfes plötzlich vorschossen und sich um ihre Schultern krallten, kämpfte sie in einem letzten Aufbegehren dagegen an - und musste doch einsehen, dass es zwecklos war. Er zerrte sie zu sich und vollführte somit die letzte Ausführung des Rituals.
Margies Kehle zersprang. Der dunkle Ring legte sich wie eine Kapsel um ihre beider Körper, und entzog ihnen den Sauerstoff. Ihre Augen quollen hervor. Äderchen platzen auf und tränkten die Pupillen in rote Seen.
„Konzentriere dich auf seine Präsenz“, keimten die Worte des Meisters in ihrem Geist auf. „Suche ihn, finde ihn...“ Sie verlor die Besinnung, wurde von den Krallen des Monsters zurückgerissen und musste es erneut versuchen. Eine grauenhafte Tortur, in derer ihre Seele sich über die ganze Welt zu verteilen schien.
Es mussten Stunden gewesen sein... Sie war am Ende, nicht mehr als eine blasse Erscheinung, aber irgendwo in den unglaublichen Weiten dieses Wahnsinns leuchtete es schwach auf. „...ich habe ihn...“ weinte sie, „...ich habe ihn...“
„Sehr gut“, lobte Fenrir und ging zum letzten Akt über. Er ritzte sich quer über die Brust und entfachte einen schwarzen Blutstrom. Der sie umschlossen haltende Raum füllte sich, schoss zu ihnen auf und verschluckte sie schließlich ganz.
*
Ein Gefühl, als würde man sterben und wiedergeboren werden. Nachdem er die ersten Sekunden damit verbracht hatte zu verstehen, was soeben geschehen war, erschienen ihm die äußeren Umstände ungleich interessanter.
Eine große sichelförmige Halle in deren Zentrum ein wuchtiger Thron aufgebahrt war. Lehnen aus Elfenbein, erkannte David die Konstruktion und begutachtete neugierig die darauf ruhende Gestalt.
Das jugendliche Antlitz des Mächtigen musste schon vor langer Zeit verblasst sein. Die Haut wirkte wie Pergament, und die zahlreichen Falten ließen ihn mumifiziert wirken. Der kahle Schädel war mit drei ineinanderübergehenden Sicheln verziert.
Davids Blick schweifte zu einer kleinen Erhöhung, dicht neben dem Thron.
Die kränkliche Hand schützend darüber haltend, streichelten die Finger des Mächtigen sanft über das Leder, und schlossen sich dabei immer wieder zu kargen, toten starren Fäusten zusammen. „Nicht mehr lange“, flüsterte er verschwörerisch und hob den Schädel leicht an.
Das Tor hinter David schwang polternd zur Seite und entließ eine Truppe stark gepanzerter Männer. Ihre Kettenrüstungen wie die Wappen auf ihren Schildern, deklarierten sie als Ritter des Templer Ordens.
„Willkommen“, begrüßte sie der Mächtige und gestikulierte ihnen mit einer freien Hand näher zu kommen.
David fiel auf, dass er sehr bedacht schien, auch weiterhin den Kontakt zu dem Buch zu wahren, als wäre...
„Es ist aus“, entgegnete der wahrscheinliche Anführer der Templer und riss sich den verschmutzen Helm vom Schädel. „Deine Armeen sind geschlagen...“ Während die übrigen Ritter, Stellung bezogen und den Saal absuchten, trat der bärtige Recke langsam näher. „...und deine Ländereien werden den unseren hinzugefügt.“
Die ausgetrockneten Lippen des Mächtigen verzogen sich zu einem wissenden Grinsen. „Ihr irrt Euch“, hauchte er nach Atem ringend, und verfiel in heftiges Husten. „...nur mehr ein Zyklus“, krächzte er, „hört Ihr! Ein letztes Mal wird sich der Kreislauf wiederholen und dann...“
Der Ritter legte eine Hand auf den Knauf seines Schwertes. „Ihr irrt Euch“, erwiderte er und zog es mit einer eleganten Drehung aus der Scheide. „Nichts wird sich wiederholen.“
Der Mächtige riss den Kopf in den Nacken, präsentierte einen grauen durch tiefe Furchen entstellten Hals. „Dann nur zu“ drängte er, „worauf wartet Ihr? Bringt es zu Ende...“
Die Klinge bereits vorgestreckt, hielt der Ritter plötzlich inne. Sein Blick glitt zu dem Foliant.
David kam näher, betrachtete voller Unbehagen die sich hier abspielende Szene und wurde einem gierigem Aufglimmen in des Ritters Augen gewahr.
„My Lord“, unterbrach einer der übrigen Ritter das unheimliche Schauspiel, „die Hölle wartet auf ihn. Ihr solltet das gerechte Los nicht länger aufschieben.“
Der Anführer, wankte hielt sich für einen kurzen Moment die Brust.
Die Ritter wechselten besorgte Blicke aus. „My Lord, ist ...?“
Er fing sich wieder. „Du hast recht“, gab der Anführer entschlossen zurück und verzog bei einem erneuten Hustenanfall des Mächtigen angewidert das Gesicht. Er machte einen Schritt zurück, hob das Schwert über den Kopf und...
*
„...ließ es in einem endgültigen Hieb nach unten sausen“, beendeten die mumifizierten Überreste des Templers ihre Geschichte. Die schwarzen Augenhöhlen des nun aufrecht in seinem Sarg liegenden Toten richteten sich auf Davids kalkweißes Gesicht.
Er und Nathalie hatten sich gegen eine der hinteren Wände gepresst und verfolgten einem Horror gleich wie das Fast-Skelett das untere Drittel des Schädels nach unten klappen ließ.
„Er hat recht“, würgte David unruhig hervor. „Genau so hat es sich abgespielt.“
Nathalie erwiderte nichts. Die Augen fest verschlossen, setzte sie alles daran, diesen Wahnsinn nur schnell vergessen zu machen.
Der Tote schaffte es, den Oberkörper leicht zur Seite zu drehen. Aus seinem Rachen klang ein staubiges Krächzen. „Er verfügt über die Gabe der Verschmelzung.“
Nathalie stöhnte auf. Ihre Fingernägel bohrten sich in Davids Handballen und ritzten dabei bis unter die Haut.
„Nun gut, mein Freund.“ Der Spalt zwischen den Kiefern versuchte ein missgestaltetes Grinsen. „Wenn du so vorausschauend bist, dann kannst du uns auch sicherlich verraten, was es mit dem ...Buch auf sich hat.“ Er stieß ein gehässiges Lachen aus. David fühlte wie sich etwas unter seine Hosenbeine schob. Als er das leise Fiepen vernahm, verwandelte sich die Vorahnung in lautes Geschrei. Er gab der Ratte einen Tritt und schleuderte das Tier im hohen Bogen Richtung Sarg.
Der Templer verfiel in keifendes Gelächter. „Geht man so mit lieben Antworten um.“ Er zeigte auf die kreischende Nathalie, und vollführte dabei eine schließende Faustbewegung. „Sie soll ihren Mund verschließen. Sie könnte Tote erwecken...“ Er nahm das Gelächter wieder auf und schien dabei einem zerstörerischen Anfall zu erliegen. Teile seines Skeletts lösten sich vom Körper und fielen splitternd zu Boden.
„Wir müssen weg“, raunte Nathalie Murphy zu. Ihre Stimme klang schrill, fast panisch. Sie packte ihn an der blutenden Hand und wollte ihn Richtung Ausgang zerren.
„Ich denke nicht, dass dies das Gebaren eines ehrwürdigen Templers ist“, schnarrte David. Seine Augen hatten einen lauernden Ausdruck angenommen. Er streifte Nathalies Hand ab, machte einen vorsichtigen Schritt vorwärts.
„Neuer Mut?“, kicherte der Tote und versuchte mit Hilfe seiner knöchernen Klauen ein applaudierendes Klatschen. „Aber den brauchst du. Hörst du, den brauchst du sogar unbedingt!“
David verschränkte die Arme. „Wer bist du wirklich?“, forderte er mit Nachdruck.
Schlagartige Stille kehrte ein. Sowohl der Tote, wie auch die in sich gekehrte Nathalie, verfolgten nun wie der Dämonenjäger in geschmeidigen Bewegungen unsichtbare Symbole in die Luft zeichnete.
„Was tust du?“ Der Tote bäumte sich auf. Der untere Kiefer schob sich über den Oberkiefer, und verwandelte den vormals grinsenden Schädel in eine bösartige Maske. „Wage es nicht! Hörst du, hörst du!“
Die Luft begann zu flimmern, seltsam anmutende Lichtreflexionen, die sich wie Girlanden um die Knochen des Templers legten und damit begannen ihn von innen heraus auszuleuchten. Davids Blick fiel auf die von ihm getötete Ratte. Erkenntnis blitzte auf.
Nathalie hatte sich in die hinterste Ecke zurückgezogen. Sie atmete nur noch durch die Nase, wollte jedes Geräusch vermeiden, und beobachtete gebannt die Szenerie. Sah wie der gelbliche Knochenschädel, einem schlecht zusammengebauten Baukastenprojekt gleich, auseinanderbrach und wurde Zeuge, wie der zerschmetterte Körper der Ratte sich wieder aufrichtete.
Das Tier stieß einen schrillen, fast menschlichen Schrei aus, sträubte das braungefleckte Fell und suchte verwirrt die nahe Umgebung ab.
„Suchst du ein Versteck?“, knirschte David, und versperrte dem fliehenden Nager mit einem Fuß das Weiterkommen. „Oh nein.“ Er warf sich ohne Rücksicht auf herumliegendes Geröll zu Boden und schnappte mit hastigen Bewegungen nach dem zurückweichenden Körper des Tieres.
„David...“ Nathalies Stimme brach ab, wurde durch das erneute Geschrei der nun gefangenen Ratte abgeschnitten. Sie reckte ihren Hals ein Stück vor. „...was machen Sie da?“
Er hielt das sich windende Tier einen Armbreit vor sich und gestikulierte Nathalie zu sich. „Nun kommen Sie schon“, beruhigte er sie und genehmigte sich dabei einen intensiven Atemzug.
„Was ist mit dem Toten?“, fragte sie besorgt nach, wagte dabei aber schon einen Schritt vor. Sie stellte sich auf die Zehnspitzen und linste misstrauisch in den Sarg.
„Der ist tot und der bleibt auch tot“, er schlingerte die Ratte ein wenig durch die Luft, „hab ich nicht recht?“
Das Tier ließ ein erbärmliches Fiepen ertönen.
„Als würde es flehen, nicht wahr?“ Seine Augenbrauen senkten sich. „Jetzt raus mit der Sprache – für wen arbeitest du?“
Nathalie legte ihren Kopf schief. Das schwarze Haar fiel ihr wirr über die Stirn und verdeckte das nachdenkliche Stirnrunzeln nur bedingt. „Geht es Ihnen gut?“ Sie blickte erst zu ihm dann zu der kreischenden Ratte... deren schmaler, langgezogener Schädel plötzlich zu expandieren schien. „Mein Gott“, hauchte Nathalie und schlug dabei die Hände vor den Mund zusammen.
„Oh nein, Gott hat damit nichts zu tun“, schnaubte David. „Was wir hier haben, geht viel weiter zurück, habe ich recht?“
Die eigentliche Schnauze der Ratte, gewann an Masse, verbreitete sich zu den Seiten hin, und formte innerhalb weniger Sekunden, die Gesichtszüge eines menschlichen Antlitzes. Eine plattgedrückte Nase, über die zwei tief in den Höhlen liegenden Augen hervor quollen. Die wulstigen Lippen öffneten sich einen Spalt und präsentierten eine Reihe von spitzzulaufenden Zähnen. Ebenso schwarz wie die Seele, dachte David und hörte was die Kreatur zu sagen hatte:
„Es ist zu spät“, zischte sie und versuchte noch immer sich seinem Griff zu entwinden. „Der 13. Zyklus steht kurz bevor und kann nicht mehr verhindert werden. Er wird es zu Ende bringen und ihm auf ewig die Herrschaft sichern.“
„Red endlich Klartext“, drohte David, „was zu Ende bringen?“
Nathalie war wieder zurück in ihre Ecke geflüchtet. Ihr Magen rebellierte und ließ sich nur mehr schwer unter Kontrolle halten. „Was ist er?“, würgte sie einem Brechreiz nahe, hervor.
„Ein Betrüger“, echote es plötzlich auf.
Alle Augenpaare, menschliche wie dämonische, richteten sich wie im Takt dem Treppenaufstieg zu, und blieben dort an der muskulösen Gestalt des Aborigins haften. Der Schamane verblieb einige Sekunden an selbiger Stelle. Musste sich abstützen und schien schwer angeschlagen. Sein Atem ging rasselnd, als wenn er Probleme mit dem herrschenden Luftgemisch hatte.
„Noch mehr Geheimnisse?“, wollte David wissen und machte ihm dabei Platz. Der Mann schien, innerhalb der letzten halben Stunde um Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte gealtert. Sein Blick erschien müde und ausgelaugt.
Als David ihn darauf ansprechen wollte, winkte er trotzig ab. „Es gibt Wichtigeres“, flüsterte er hölzern und musste am Sargrand halt suchen. „Diese Kreatur, ich kenne sie.“
Die Ratte begann wieder zu kreischen, versuchte David zu beißen und konnte nur mit erhöhtem Gewalteinsatz zum schweigen gebracht werden. „Fahr fort, Freund“, sprach er dem Schamanen gut zu und bekam aus den Augenwinkeln mit wie Nathalie sich wieder zu ihnen gesellte.
„Es war während meiner Reise zur Traumwelt. Fernab meines Stammes suchte ich die Höhlen der Vorväter auf und verfiel in einen langen Schlaf. Diese Kreatur...“, er hielt sich nur schwer unter Kontrolle, „...erschien mir, in der selben Form wie sie jetzt so erbärmlich um ihre Existenz bettelt. Sie wusste um meine Herkunft, wusste um meine Zukunft und zeigte mir mein Schicksal auf. Ich sah viele fremde Dinge; Dinge die ich nicht verstand und auch die Rückkehr des Bösen in Form zweier, um die Macht konkurrierender Wesen.“ Er ließ einige Momente verstreichen, bevor er fortfuhr. „Ich sah wie meine Leute dem Götterwolf in die Hände fielen, und musste tatenlos miterleben wie er sie zu seinesgleichen machte. Aber auch anderes bereitete mir Angst. Die Mächte des Buches loderten wie nach einem langen Winter auf und drohten in ihrem Größenwahn alles einzunehmen.“ Er strich sich das welke Haar aus der Stirn, hatte Mühe den Arm zu bewegen. „Und ich sah auch euch beide“, er blickte von einem Gesicht zum anderen.
David runzelte die Stirn. „Soll das heißen, das du mir nur auf Grund der Aussage eines Nagers gefolgt bist?“ Er schüttelte den Körper der Mensch-Ratte wie ein abartiges Stofftier. „Und du fängst endlich an zu reden“, verlangte er mit bebender Stimme. Er ballte die Finger der freien Hand zur Faust und murmelte eine weitere Beschwörungsformel.
„Freund...“, fing der Schamane an und wich dabei beschämt den Blicken des Dämonenjägers aus, „...wenn du ihn tötest, wird uns das auch nicht weiterbringen, es...“
„Ich werde ihn nicht töten“, erwiderte David und ließ den sich windenden Körper, mit einem widerlichen Klatschen zu Boden fallen.
Er setzte einen selbstgefälligen Blick auf, hob beide Zeigefinger, und ließ einen grünlichen, von der Decke reichenden Strahl erscheinen. Bevor die Ratte in der Lage war sich aufzurichten, wurde sie in einer geraden Linie hochgerissen, verblieb kurze Zeit in der Mitte, um noch im selben Moment Bekanntschaft mit einem runterhängenden Steinquader zu machen.
„Das ist Folter“, raunte Nathalie ihm zu.
„Subtile Konversation“, gab David zurück und ließ die Ratte wieder zurück auf den Boden klatschen. Er trat einen Schritt zur Seite und beäugte mit aufgesetztem Grinsen, den nach Luft schnappenden Dämon. „Etwas gesprächiger?“, fragte er mit ruhiger Stimme nach und bekam als Antwort ein gezischtes Fauchen.
„Ich denke nicht, dass es reden wird“, meinte der Schamane. „Er ist listig und...“
„Listig vielleicht, aber wenn ich mit ihm fertig bin, wird das auch nicht mehr viel nützen.“ Er wiederholte die Prozedur, stellte erneut seine Fragen und erntete nichts, als Gequieke und gelegentliche Schmerzensschreie, die mit einem Mal feste Sätze bildeten: „Saqur! Der Mächtige!“, keifte der Gefolterte und wälzte sich gedemütigt auf den Rücken. Eines der Ohren hing abgeknickt über dem rechten Auge und versperrte die Sicht auf eine tief gehende Platzwunde.
„Geht doch“, japste David und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er schielte zu Nathalie. „Sehen Sie – subtil.“
Sie verzog die Mundwinkel. „Es kann nicht mehr stehen, ein Wunder, wenn es noch Töne erzeugen kann.“
„Dein Mitleid ist fehl am Platz“, meldete sich der Schamane zu Wort, „in der Zukunft, welche mir der Dämon offenbarte, hättest du den Tod finden müssen.“
David kräuselte die Lippen. „Bitte keine Genfer Konventionen“, maulte er und beugte sich mit dem Gesicht über die ermattete Mensch-Ratte. „Saqur, sagtest du? Ist das der Typ aus der Vision, gehört ihm das Buch?“
Das Maul der Ratte verzog sich zu einer gehässigen Grimasse. „Ihm gehört alles. Raum Zeit, eure Seelen...“
„Ich warne dich“, flüsterte David, und wippte dabei drohend mit dem Zeigefinger. „Wir könne das Spiel gerne wiederholen.“
Der Dämon zuckte bei dieser Geste unmerklich zusammen.„Mesopotamien“, giftete er, „er beherrschte Mesopotamien...“
„Das ist doch schon mal was, aber es bringt uns auch nicht sonderlich weiter... Welche Rolle ist dir in diesem Wahnsinn zugedacht?“
„Ich musste Sorge tragen, dass die Zyklen sich erfüllten.“
Murphy kratzte sich nachdenklich den Hals. „Diese Zyklen, was genau ist damit gemeint?“
„Er redet von Zeit“, munkelte der Schamane. „Verstehst du nicht Freund, das Foliant hat nachweislich unser Schicksal verändert. Die Gegenwart in neuen Bahnen gelenkt.“
„Der Narr spricht Wahres“, krächzte die Ratte und kratzte dabei wehleidig über den ausgelegten Schiefer. „...und doch tappt ihr weiterhin im Dunkeln. Aber dies spielt nun keine Rolle mehr...“ Der Dämon bäumte sich auf, schwarzes Blut quoll zwischen den Mundwinkeln hervor. „...das Buch hat die Kontrolle erlangt, verschmolz mit dem Hüter und wird bald seine letzte Reise antreten.“
Nathalie schob David ruppig zur Seite und kniete nieder. „Von welchem Hüter redest du?“, sie bohrte angewidert einen Finger in den aufgedunsenen Bauch. „Rede endlich“, knirschte sie und verstärkte den Druck.
„Subtil...“, ermahnte David und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.
Sie stieß einen ärgerlichen Fluch aus. „Er weiß es. Diese verdammte Mistvieh weiß wo er steckt...“
Die Augen des Dämons gingen ins Weiße über. „...ich sorgte dafür“, stieß er keuchend aus, „ich überbrachte dem Einen ... sein Schicksal, spürte ein letztes Mal...“ Die menschlichen Züge gingen in einen breiigen Schleim über. Er strecke die bekrallte Pfote hoch, schien etwas greifen zu wollen und beendete dabei seine letzten Worte... „den warmen Atem meiner ... Heimat.“
„Tot“, betitelte David den Abgang und läutete eine bedrückende Stille ein.
Nathalie sank zusammen. Der voranschreitende Zersetzungsgestank des Dämons schien ihr nichts aus zu machen. Ihr schneeweißes Gesicht war zu einer traurigen Maske erkaltet. „Und jetzt“, hauchte sie, „wir stehen vor dem Nichts...“
„Das wäre nicht das erste Mal“, kommentierte David ihre ausbrechende Depression. „Hast du nicht eine Idee? Ich meine, jetzt wo die Sache mit dem vorbestimmten Schicksal erledigt ist.
Der Blick des Schamanen war teilnahmslos gen Boden gerichtet. Er scharrte betrübt über den durch die Jahrhunderte angereicherten Schmutz und summte mitleidig vor sich her. „Ich wurde benutzt“, flüsterte er, „diese verfluchten Teufel wollten, den Götterwolf beseitigt wissen, dass war der einzige Grund, nur deswegen...“
Der Dämonenjäger lehnte sich erschöpft gegen den Sarg. „Wir sind schon ein trauriger Haufen“, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu den anderen.
Die Drei verfielen in Schweigen, grübelten über das bisher erlebte nach, und suchten verzweifelt nach einem Ausweg.
„Er sprach von Heimat“, keimte plötzlich Nathalies Stimme auf.
Davids gesunkene Schultern hoben sich ein Stück. „Ich verstehe nicht ganz...“
„Der Dämon...“, unterbrach sie ihn, „bevor er starb, erwähnte er seine Heimat.“ Sie setzte sich auf, wartete wie ihr Einfall Fuß fasste.
In den Augen des Schamanen wucherte Erkenntnis auf „Babylon“, murmelte er, und geriet in, für ihn untypische Hast. „Was auch immer dieser 13. Zyklus verlauten wird, es muss im Zentrum der alten und neuen Macht geschehen.“
„Könnt ihr was arrangieren?“, wollte Nathalie wissen, und massierte sich dabei den im Verband liegenden Arm. „Ich meine, dieses Vieh hier“, sie deutete mit einer Fußspitze zu der breiigen Masse, „wird doch wohl kaum den nächsten Flieger genommen haben.“
„Teleportation?“ David fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und knetete nachdenklich die Wangenknochen. „Wenn ich so was drauf hätte, wäre ich bestimmt nicht hier, sondern an einem sonnigen Strand in...“
„Es ist möglich“, fiel ihm der Schamane ins Wort.
Nathalies Augenbrauen hoben sich. „Und damit rücken Sie erst jetzt raus?“
„Es gehört mit zu den schwierigsten Formen der Magie und ist somit auch sehr kräfteraubend.“
David runzelte die Stirn. „Kein Zuckerschlecken also“, erwiderte er und rümpfte dabei die Nase. „Unser verblichener Kamerad hier verpestet so langsam aber sicher unsere Atemluft.“ Er setzte in Richtung Ausgang.
„Der Freund spricht weise Worte“, pflichtete ihm der Schamane bei. „Für das, was wir nun in die Wege leiten werden, brauchen wir Platz.“ Seine Stimme verkam zu einem Raunen. „Sehr viel Platz...“
*
Als Haytham die Oberfläche erreichte, herrschte bereits tiefste Nacht. Sein Martyrium musste Stunden gedauert haben. Er passierte die letzten Meter, sackte den Götter dankend zu Boden und begann in Tränen auszubrechen. Die, welche er kannte waren tot. Ermordet von etwas, dessen Grausamkeit nicht in Worte zu fassen war.
Nachdem er die ersten Minuten seiner gefallenen Kameraden gedacht hatte, bemerkte er einen seltsamen Geruch. Verbrannte Erde, formte er den Sinnesreiz um und schleppte sich mit gebrechlichem Gebärden einen kleinen Hang hoch.
Das Gefängnis war in einem der äußeren Stadtbezirke erbaut worden. Fernab des Heiligtums, dem Jahrtausende alten Zentrum dieser Stadt.
Einer Stadt, die im Chaos ertrank. Flammen züngelten empor, entfachten Brände und steuerten Babylon einem endgültigen Schicksal entgegen.
Seine zuvor an den Tag gelegte Freude, kehrte sich in die exakte Nachbildung eines wahrgewordenen Alptraumes um. „...das kann nicht...“, stammelte er, „...das kann einfach nicht...“
Nur wenige Häuserblocks entfernt detonierte eine Bombe. Das Gebäude, ein mehrstöckiges Hochhaus, brach in einer Lawine aus Schutt und Rauch zusammen.
Haytham torkelte vorwärts. Er verlor die Balance, taumelte und kippte niedergerungen den Abhang hinunter. Der Dämon keimte in ihm, der unmissverständliche Gedanke, eines Zusammenhangs auf. Die Götter hatten sie verlassen und sie in die Hände des Bösen gespielt.
Er stemmte sich hoch, würgte den bei dem Sturz aufgenommen Staub hervor. „Teufel...“, zischte er und kratzte über das aufgewühlte Erdreich.
Neue Explosionen, neue Brandherde, welche den Rauch verhangenen Himmel in einen rötlichen Schauer tauchten, in ein den Tod bringendes Gemälde der Zerstörung.
Von den Straßen hallten die Schreie der Verlorenen hoch. Entsetzliche Laute, derer menschlicher Kern nicht mehr vorhanden schien. Verloren...
Haytham zuckte zusammen. Hinter dem jungen Soldaten war ein lauerndes Lachen erklungen. Er ist es, wisperten ihm seine Gedanken zu, er ist gekommen um dich zu holen.
„Steh auf“, verlangte die emotionslose Stimme des Dämons. „Steh auf und werde Teil einer neuen Ära...“
Er sprang hoch, rutschte aus und landete in der vorherigen Ausgangsposition. Seine Arme schossen vor, klammerten sich verzweifelt an eine aus dem Boden ragende Wurzel. Etwas packte seinen rechten Fuß, zerrte ihn wieder den Hügel hoch.
„Zwecklos sich gegen das Schicksal zu sträuben“, höhnte der Dämon und ließ in einer überraschenden Geste von dem wimmernden Mann ab. „Unser Herold, der Behüter der Zyklen... wurde ermordet...“ Er atmete scharf aus. „Zwei mächtige Parteien, die ihre dreckigen Leiber nach der Macht ausgestreckt haben. Ich spüre bereits die Präsenz...“ Er verharrte.
Haytham hob leicht den Kopf, wurde einer unheimlichen Veränderung gewahr.