Teil 2: Verdammnis
Er schwebte. Spürte den peitschenden Wind des Himmels und verstand zum ersten Mal in seinem Leben, was es bedeutete Teil dieser Welt zu sein. Sanft wie eine Feder.
Er sank langsam herab, nahm dabei begierig die näher kommende Welt auf. Berge und Täler, grüner und fruchtbarer, als alles ihm bekannte. Ein Paradies, in dem exotische Vogelschwärme in einen, von einer goldenen Sonne, beherrschten Himmel emporstiegen. Unberührt, fand David die richtige Beschreibung eine jungfräuliche Erde. Frei von Tod und Verderben.
Er irrte. Wie sehr sollte er schon bald erfahren.
*
Unweit seiner Position; cirka fünf Yards über dem Boden und eine halbe Meile entfernt, ragten die gekrümmten Mauern einer großen, zu den Seiten geöffneten Konstruktion auf. Wuchtig, und doch auf eine altertümliche Weise fast schon kunstvoll.
David vollführte eine Rolle, schwenkte galant um und paddelte wie ein verstörendes Abbild Peter Pans auf das von lautem Gesang befangene Bauwerk zu. Es nahm Gestalt an. Ähnelte den Arenen der Römer, behielt sich jedoch seinen ganz eigenen Stil vor. Grober und härter. Ein kreisrundes Areal, welches sich aus tonnenschweren Steinquadern zusammensetzte.
Eine Hochkultur... Aber von welchem Volk...?
Von einem zerrenden Sog erfasst, wandelte sich sein vorübergehender Schwebezustand in eine brutale Folter. Er spürte wie ihm das Blut vom Schädel, irgend woanders hin und wieder zurück schoss. Ihm wurde schwindlig. Ein Gefühl der Übelkeit, dem eine tunnelartige Perspektive folgte. Die Welt um ihn herum wurde schwarz. Was blieb war ein heller blauer Fleck, welcher sich bei näherer Betrachtung, als blaue von weißen Schleiern umfangene Kugel entpuppte. Er hörte leisen Gesang, rhythmische Klänge, die ihn an die Beschwörungsriten afrikanischer Urvölker erinnerten. Die Kugel kam näher, erschien plötzlich gewaltig, offenbarte verschiedenste Verzierungen und dirigierte den nach Atem hechelnden Dämonenjäger kommentarlos an einen Punkt, dem das heutige Frankreich entstammt.
Wieder die Arena, wieder der Gesang. Eine drängende Menschenmenge, alle in dieselben roten Gewänder gekleidet. David schwebte nun knapp über ihren Köpfen. Die Männer hatten sich grüne und blaue Federn durch die Haare geflochten. Die Frauen trugen eine Art Efeukranz, mit verschieden farbigen Blütenblättern, die ihn an Seerosen erinnerten. Den Gesichtszügen nach musste es sich um frühe Europäer handeln. Nur ihre Haut und Haarfarbe gaben dem Dämonenjäger Rätsel auf. Ein stetiges Gleichgewicht, heller, wie dunkler Hauttypen.
Im Zentrum der Arena thronte eine die Ränge überragende Stufenpyramide, deren Ende in einer ovalen Platte mündete. Er erkannte vier Gestalten. Zwei in derselben roten Kleidung wie der Rest, einer in Lila und... die dritte nackt und von geradezu anziehender Schönheit.
David schwebte über die Gesänge der Massen hinweg, kam mit pochenden Herzen zum Stillstand und wurde der einnehmenden Stimme des Redners gewahr. Die Sprache schien uralt. Es fehlten die Vokale und machten ein Verstehen oder einordnen somit unmöglich. Aus der rechten Wange des Redners ragten drei in einer Kurve angelegte Zacken. Sie waren leicht nach innen gebogen, bläuliche kreisrunde Flecken wiesen auf den kurzen Zeitraum ihres Einsetzens hin.
Dem unverständlichen Kauderwelsch überdrüssig, wandte er sein Augenmerk auf die Frau. Sie war wirklich nackt. Von beeindruckender Erscheinung und entstammte allem Anschein nach dem östlichen Mittelmeerraum. Arabien. Die Verachtung, mit welcher sie den Lilagekleideten strafte, ließ nur wenig Spielraum auf ihre Rolle offen. Ein Opfer, kombinierte David und bemerkte ein kurzes Aufflackern ihrer roten Augen. Ohne den Kopf zu drehen, zielten ihre Blicke auf seinen direkten Standort. David glaubte Erstaunen zu sehen. Das alles dauerte nur wenige Sekunden und doch war er nun absolut sicher, dass sie ihn wahrnahm.
Der Lilatyp, der höchsten Wahrscheinlichkeit nach, Hohepriester oder Oberguru, breitete mit einem gekonnten Aufschrei die Arme aus und präsentierte der tobenden Menge zwei schmale Steintafeln. Obwohl nicht viel größer als die Seiten eines Comicheftes, registrierte David eine ungewohnt starke Ausrichtung schwarzmagischer Energien. Die Teile waren heiß – verdammt heiß... und die Frau wusste es.
In den dunklen Bächen ihrer Seele gierte eine ausgehungerte Meute. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn, legte sich wie eine zweite Haut über ihre ockerfarbene Tönung und gab ihrem Äußeren eine gebieterische Anziehungskraft. Sie schien über alles erhaben...
Der unbewölkte Himmel schaltete innerhalb eines Augenaufschlags mehrere Graustufen runter. Die Sonne kehrte ihr Licht ein, versteckte sich hinter trister Unscheinbarkeit.
Der Priester fiel ungebremst auf die Knie. Sein Gesicht, die Grimasse eines mit Muntermachern vollgedröhnten Junkies. Die Menge verstummte, starrte wie gebannt in den Himmel und wartete auf eine Reaktion.
David biss sich auf die Unterlippe. Das Paradies hatte die Tarnung abgeworfen und präsentierte dem Unbeteiligten einen nicht von der Hand zu weisenden Fanatismus, welcher sich allem Anschein nach auf die Steintafeln berief.
Ein Raunen ging um. Die Stimmen der Menschen vereinten sich zu einer einzigen. Wiederholten, immer und immer wieder ein und das selbe Wort. David spitzte die Ohren, nahm die Klänge auf und formulierte sie im Geiste zu etwas Aussprechbaren um: „Reethel... Ruetweel... Ro th wel.” Wo lag die Bedeutung – der Sinn?
Die Tafeln begannen zu glühen. Ihre eingravierten Symbole und Hieroglyphen traten brennend hervor, spendeten Licht, wo keines mehr war. Der Priester wälzte sich demütig auf den Rücken, schlug und zappelte wild um sich. Schaum trat zwischen den Mundwinkeln hervor.
Man drückte die Sklavin zu Boden, zwang sie in eine kniende Position. Während die Gesichter ihrer Bewacher von einer zunehmenden Angst zeugten, wirkten ihre Gesichtszüge seltsam entspannt. Sie wartete, ließ die Dinge geschehen.
Die brennenden Schriftzüge plusterten sich auf, und prangerten bald in mannshohen Lettern über ihren Köpfen. Eine Erscheinung, nach der sich jeder Werbefachmann die Finger geleckt hätte. David stieß einen leisen Pfiff aus, ging in die Hocke und bedachte die Zeichen mit unverhohlener Neugierde.
Die Bewegungen des Priesters klommen langsam ab, und die Menschenmassen fanden sich zu einer gemeinschaftlichen Stilleübung ein.
Etwas kam.
Als er sie endlich bemerkte, befand sich die Wolkenformation bereits mit einigen Ausläufen nahe der Arena. Ausläufe, die sich wie die Glieder eines Tintenfisches verhielten – vor- und zurückschnellten und sich langsam in ihre Richtung vortasteten.
Ro th wel!
*
Eine dämonische Gottheit. Höher und mächtiger als jedes sterbliche Wesen. David hatte von ihnen gehört. War vor unzähligen Jahren auf ein Überbleibsel dieser Rasse gestoßen und hätte dies beinahe mit dem Leben gezahlt.
Er wusste nicht, was er hier sollte. Welchem Zweck diese Vision diente und konnte nur hoffen, dass ihm die Rückkehr gelang.
Ro th wel, wie er von dem barbarischen Volk benannt wurde, hatte sich wie der stinkende Pesthauch der Hölle, über ihren Köpfen zusammengefunden. In seiner jetzigen Erscheinung, erinnerte er an einen zum Leben erweckten Tintenfleck. Im Inneren der seltsamen Erscheinung wirbelte ein Zyklon artiger Sturm. David erkannte eine rötliche Färbung, welche rasch zunahm und sich in einem gebündelten Strahl, auf den am Boden kauernden Priester entlud. Der Mann kreischte wie unter hundert Inquisitoren. Sein Oberkörper bäumte sich auf, die Zunge zuckte wie unter Stromstößen.
Die beiden Wachen sprangen zurück. Einer von ihnen stolperte die Stufen runter, und blieb seltsam verkrümmt liegen.
Die Frau senkte ihr Haupt, begann ihren ganz eigenen Gesang und behielt ihn auch bei, als der Priester sich mit noch zitternden Knien wieder erhob und mit unsicheren Schritten auf sie zu torkelte. Seine Augen waren ins Weiße gekehrt. Der Mund stand halboffen und sonderte dabei unentwegt eine schwarze sirupartige Flüssigkeit ab. Er legte ihr die Hände auf die nackten Schultern, zog sie hoch und neigte ihr Kinn leicht nach hinten. Das debile Grinsen weitete sich, er stieß laute keuchende Laute aus, würgte eine für seinen Rachen viel zu lange Zunge hervor.
David schloss die Augen, wollte sich das Folgende ersparen und wurde durch einen heftigen Aufschrei zum Umdenken bewegt. Seine Kinnlade klappte runter. Er schüttelte ungläubig den Kopf und... fand sich plötzlich wieder am Ausgangspunkt.
*
„Was meinst du, wer es diesmal war?“
Hank nahm den Helm ab, strich sich durch das von Schweiß und Staub befangene Haar und warf Greenburg einen fragenden Blick zu. „Vielleicht wieder dieselben.“
Sein Kollege gluckste. „Hat man die nicht alle gekriegt?“
„Nicht alle.“ Er klemmte sich die Kopfbekleidung unter die Arme und stieg das Wrack eines Lasters hoch. „Alles weg“, flüsterte er über das Rattern eines Helikopters weg. Er sah der Maschine einige Sekunden nach, grübelte und versuchte die Bilder der letzten Tage zu verarbeiten. Man wusste weder, wer sich hierfür verantwortlich zeigte, noch wie sie es gemacht hatten. „Keine Flugzeuge“, murmelte er, und hörte wie man Greenburg über Funk neue Anweisungen zuteilte.
Sie hatten seit Tagen kein Auge mehr zugemacht, kamen nicht mehr nach Hause. Abgeschnitten, von der Außenwelt. Seine Frau und die Kleine machten sich Sorgen. Hörten und sahen tagtäglich die Bilder, und wussten dabei ganz genau, dass er hier tätig war. Hank wischte sich eine Rußflocke von der Wange, beobachtete, wie sie sich in den geschwärzten Boden einfügte.
„Hank! Wir müssen los“, wurde Greenburg hinter ihm laut. „Avery Street... oder was davon übrig ist“, fügte er murmelnd hinzu.
Was davon übrig ist. Sie hatten geahnt, dass etwas geschehen würde. Die Vorzeichen waren da gewesen. Aber niemand hatte ihnen sagen können, was sie zu bedeuten hatten. Er stieß einen leisen Fluch aus.
„Nun mach schon“, rief ihm Greenburg zu. Er schnalzte mit der Zunge und verfolgte wie Hank sich wieder zu ihm gesellte.
Nachdem die Beiden eingestiegen waren, rief er das GPS-System auf und fixierte den neuen Einsatzbereich. Man hatte das neue Ground Zero in mehrere Zonen aufgeteilt. Zone Blau bestand aus den äußeren Ringen. Also, den Teilen, die in andere Stadtgebiete mündeten und wo die Verwüstung nicht ganz so prekär, wie in den übrigen Zonen war. In Gelb wurden hin und wieder einige Überlebende rausgefischt, aber für Rot sah es ganz übel aus. Egal wo man hin sah, nur Kohle, und vom Feuer gegrillte Leichenberge.
„Die bekommen ihr Fett noch weg“, raunte Greenburg. Der bärtige Hüne wich einer, aus ihrer Verankerung gerissenen, Straßenbeleuchtung aus. „Mr. Präsident wird’s schon richten. Der Mann hat`s drauf. Ein richtiger Kerl, nicht so wie der Letzte.“
„Ich denke nicht, dass uns diese Scheiße, auch mit dem letzten passiert wäre“, sagte Hank. „Wenn die richtige Politik betreiben würden, müssten wir keine Leichentrucks durch die Gegend kutschieren.“
„Vielleicht bekommen unsere Kollegen in Übersee ja bald wieder was zu tun.“ Der GPS Monitor begann zu flackern. „Heh Mann.“ Er gab dem Kasten einen Schlag und verschlimmerte es noch. „Was soll die Scheiße?“
„Lass mal“, beruhigte Hank ihn und streckte bereits die Finger aus, als etwas vor den Truck sprang und frontal gegen den Stoßdämpfer prallte. Metall verbog sich. Der Wagen kam ins Trudeln. Greenburg riss das Lenkrad um, schrie etwas und versuchte die Kontrolle zurückzuerlangen.
Hank wurde nach vorne geschleudert, knallte gegen das Glas und sah aus den Augenwinkeln einen Schatten vorbei huschen.
Die Bremsen zogen endlich an und brachten den Truck mit einem lauten Quietschen zum Halten. Der Geruch des verbrannten Gummis vermischte sich mit dem Verwesungsgestank und machte das Atmen zur Tortur. Greenburg gab ein gepeinigtes Aufstöhnen von sich. Neben seinem linken Auge war die Haut aufgeplatzt. „Nicht der Rede wert“, schnauzte er kurz angebunden, und drückte die Fahrertür auf. „Ein Pflaster wäre okay.“
Hank fischte einen der Notfallkoffer zu Tage. „Hast du gesehen, was es war?“, erkundigte er sich und musste an den seltsamen Schatten denken.
„Hatte nur die Straße vor Augen und...“ Seine Augen waren starr auf den Außenspiegel gerichtet. „Wart mal kurz“, nuschelte er, drückte die Fahrertür auf und sprang nach draußen.
Hank wollte ihm gerade folgen, als das Funkgerät plötzlich zu knattern begann. Es entstand ein durchgehendes Rauschen. Die Botschaft war verstümmelt und nicht zu entschlüsseln. Während er noch an den verschiedenen Knöpfen herumdrehte, musste er sich mehr als einmal ermahnen nicht lautstark loszuschreien. Dämlich, einfach nur dämlich.
Er gab es schließlich auf und folgte Greenburg nach draußen. Das Bild, welches sich ihm hier bot, stand in keinem Verhältnis. Wenn der elfte September das Zücken des Messers bedeutete, dann war dies hier der todbringende Stich ins Herz. Bilder eines Höllentrips, deren unglückseligen Gewinner eine kostenlose Freikarte in Satans Ferienwohnung gewonnen hatten. Unter einem Geröllhaufen lugte ein zur Seite hin abgeknickter Fuß raus. Er ignorierte es und rief nach seinem Kollegen: „Phil! Die haben uns angefunkt. Ich ...“ Er hielt inne. Sah sich um, und wurde von einer eigenartigen Stille begrüßt. „Phil?“Niemand antwortete. Nachdem er einige Schritte zurückgetreten war, beäugte er misstrauisch die Umgebung.
Der Truck und die angehängte Ladung hatten sich zu einem überdimensionierten L aneinander gereiht. Ein rechter Winkel. Ein Wunder, dass es die Maschine nicht umgeworfen hatte. Sein Blick fiel auf die eingedellte Stoßstange. „Was soll das?“ Er beschrieb einen Halbkreis, näherte sich vorsichtig dem hinteren Teil und blieb dann plötzlich wie angewurzelt stehen.
Die Plane hing zum Teil in Fetzen. Das konnte unmöglich vom Unfall herrühren. Sein Herz überschlug sich. „Phil!“ Die rote Zone war ausgestorben. Das einzige Leben bestand aus den hier anwesenden Hilfskräften. Er machte einige Schritte, verharrte wieder und blickte auf einen in der Asche liegenden Arm. Nicht verkohlt wie die andern, sondern noch frisch.
Er schlug die Hände vor dem Mund zusammen, torkelte benommen zurück und wiederholte immer wieder den Namen seines Kollegen.
Aus dem Inneren des Laders drang ein widerliches Schnauben zu ihm hinaus. Etwas setzte sich plötzlich in Bewegung und schoss mit einer grazilen Anmut aus der Öffnung. Es landete einige Yards vor ihm und stieß ein triumphierendes Brüllen aus.
Hanks Blick fiel auf die vom Feuer vernichteten Überreste, die das Wesen in einer seiner Pranken hielt. Lauf weg, schrie alles in ihm laut auf. Lauf so schnell du kannst! Er konnte nicht.
Als das Wesen seiner gewahr wurde, brachte es sich mit einem Satz neben seine kümmerliche Hülle. Sein Fell erschien schwärzer, als die dunkelste Nacht.
Du bist tot, dachte der Helfer und vergaß alles, was ihn einst ausmachte.
Die Lefzen des Wesens breiteten sich schräg nach oben hin aus. „Ich werde dich nicht töten“, sprach es. Seine gelben Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Ich werde dir ein Geschenk zuteil werden lassen.“
Er sah das Aufblitzen der Zähne, spürte den warmen Hauch der Verwesung und auch den Schmerz, der sich wie ein Feuer durch seinen Hals zu bohren schien. Ein Schmerz, der solche Macht annahm, das er jegliches Bestreben nach menschlicher Existenz noch im Keim erstickte.
„Der Tod ist nur ein Gespenst“, begrüßte ihn sein neuer Meister, „nur ein Gespenst und wir sind seine Herren.“
*
Die Vorhänge hielten die einströmenden Sonnenstrahlen nur bedingt auf und tauchten das kleine Hotelzimmer in eine wärmende Glut. Sie berührten auch das Bett – legten sich auf die Haut der dort liegenden Schönheit, und brachten sie dazu ihre Augen aufzuschlagen.
Der Deckenputz zeigte zahlreiche gelbliche Verfärbungen auf. Ein Indiz für raucherfreudiges Verhalten. Auch roch sie den kalten Dunst. Ein Gemisch aus abgestandenen Zigarrenrauch und billigem After-Shave. Aus einer der Ecken drang ein tiefes Brummen zu ihr rüber. Sie setzte sich vorsichtig auf und entdeckte in einem der zwei schäbigen Sessel die Konturen eines Mannes. Sie unterdrückte den Schrei, hüpfte leise vom Bett und bewegte sich zielstrebig Richtung Tür.
Es trennten sie nur mehr wenige Yards, als diese plötzlich aufgerissen wurde und freies Blickfeld auf einen nackten Farbigen gab. Beide starrten sich an, er schien ihre Überraschung zu teilen, und wirkte unsicher wie er sich zu verhalten hatte.
Nathalie überwand die Starre als erste, holte mit der Faust aus und wuchtete sie mit Einsatz ihres Gewichtes nach vorne. Der Nackte machte einen Schritt zur Seite und ließ ihren Schlag ins Leere gehen.
„Ich wusste, sie würden Ärger machen“, sagte er und wich einem zweiten Schlag aus. „Aber wer hört schon auf einen alten Mann.“ Er fing den dritten Schlag ab, ignorierte die wüsten Beschimpfungen und machte den immer noch Dösenden, auf die herrschende Situation aufmerksam.
Dieser sprang auf, stolperte über seine eigenen Füße und fiel über einen kleinen Holztisch. Es gab ein lautes Knacksen, das von den wirren Flüchen des Gefallenen begleitet wurde.
Während der Nackte ihre beiden Handgelenke festhielt, winkelte sie ihr Knie an und ließ es brutal nach vorne preschen. Das Gesicht des Mannes verzerrte sich und machte deutlich, dass die Attacke gesessen hatte. Sie befreite sich aus dem Griff und wankte hilferufend den schmalen Flur runter.
Während sein Kumpan sich die Extremitäten hielt, fegte der andere ihr nach und holte trotz seiner Leibesfülle schnell auf. „Ein Missverständnis“, japste er.
Sie ignorierte die Worte, suchte nach einem Ausweg und prallte beinahe gegen einen aus seinem Zimmer stürmenden Rentner. Der bebrillte Glatzenträger besah sich zuerst die Frau dann den Mann, und schließlich auch den Nackten. „Amerikaner?“
„Die haben mich entführt“, kreischte Nathalie, sie warf dem Korpulenten einen wütenden Blick zu. Der gestikulierte wild mit den Armen und versuchte die vorangegangene Situation zu erklären: „...es handelt sich um ein Missverständnis. Eine Sache, die wir sicherlich aufklären können.“
Aus dem Hintergrund wurde die Stimme des Nackten laut: „Ich hab doch gesagt - wir dürfen uns nicht einmischen! Ich hab es gesagt und du musstest es ja unbedingt besser wissen.“
„Rufen Sie die Polizei“, verlangte Nathalie. Sie drängte sich an dem Rentner vorbei in dessen Zimmer und hielt wahrscheinlich schon selbst danach Ausschau. Bevor der ältere Herr zu irgend einer Reaktion fähig war, schlüpfte der Korpulente ihr hinterher und versuchte eine erneute Erklärung: „Ich kann ihre Reaktion ja verstehen, nur bitte hören Sie mir doch wenigstens nur kurz zu.“
„Sie können soviel reden wie sie wollen“, sagte sie und griff bereits nach dem auf einem Nachttisch liegenden Telefon. Sie riss es hoch, wollte gerade die erste Nummer betätigen, als ihr der Hörer aus den Händen glitt. Die weitaufgerissenen Augen auf das Fenster gerichtet, machten sie einen Schritt zurück und ließ sich verwirrt auf das Bett fallen.
Sie saß nur so da und starrte raus. Sah die ihr fremde Stadt und wusste nichts damit anzufangen.
„Wir befinden uns in Melborne“, erklärte der Korpulente, „ich denke es ist Zeit für ein Gespräch.“
*
„Ganz Manhattan ...?“ Nathalies Lippen zitterten. Sie hatte die Zeitungsberichte auf dem Boden ausgebreitet. Eines der Bilder zeigte eine Luftaufnahme der Zerstörung. Wenige Minuten nach dem Feuer.
„Es hat sich bis zu den angrenzenden Stadtgebieten ausgeweitet. Man sagt, dass der Regen eine schwarze Färbung angenommen hat. Die gesamte Stadt ist von einem dichten Rußteppich überzogen.“
Sie antwortete nicht. Glitt mit ihren nackten Füßen über einen der Ausschnitte und hob ihn etwas vor. „Die Ausschreitungen haben aufgehört?“
„Schlagartig.“ David kratzte sich etwas unbeholfen den Bart. „Alles vollkommen friedlich.“ Er gab ein entschuldigendes Husten von sich. „Einmal abgesehen von den Toten.“
„Das Hospital?“
„Den Luftaufnahmen nach war es der Ausgangspunkt, das Zentrum. Zeugen sprachen von einem Feuerwall. Hat sich ringförmig in alle Himmelsrichtungen ausgebreitet. Die meisten der Gebäude sind zwar stehen geblieben, aber für die...“ Er behielt den letzten Ausspruch für sich. Aber sie wusste auch so was er sagen wollte.
„Ich hatte dort Freunde, auch Familie.“ Ihre Stimme wurde schwer. „Was sagen die Behörden?“
David schüttelte den Kopf. „Die Behörden tappen im Dunkeln. Das Übliche halt. Ein paar Stunden nach dem ersten Schock haben sich einige Terrorgruppierungen dazu bekannt.“ Er lachte gekünstelt auf. „Trittbrettfahrer – die eigentliche Gefahr ist um einiges größer.“
„Ist das der Grund, warum Sie mich da rausgeholt haben?“
David wirkte für einen Moment leicht eingeschnappt. Er verzog die Mundwinkel und bot ihr an sich zu setzen.
Sie winkte ab. „Ich stehe lieber.“
Vielleicht hatte er recht, dachte David an die Worte des Aboriginis. Vielleicht war es ein Fehler sie dort rauszuholen. Sein Blick wurde stechend und traf sich mit Nathalies, die endlich nach Antworten verlangte.
„Ich denke, wir werden uns gegenseitig behilflich sein müssen“, erklärte er und deutete zu dem Fenster. „Schon mal in Australien gewesen?“
„Sie lenken ab.“
Das tue ich wirklich. „Die Angelegenheit ist weit aus komplizierter, als Sie es sich vorstellen können.“
„Komplizierter als ein bösartiges Buch, wild gewordene Krankenschwestern und ein zweites Ground Zero.“
„Man hat der Katastrophe noch keinen Namen gegeben.“
„Wie wäre es mit Hölle.“
„Die sieht anders aus.“ Das führt uns nicht weiter. „Sie sagten, es wollte Ihren Verlobten?“
Nathalie presste ihre Lippen aufeinander. „Es wollte ihn nicht nur, es hat ihn auch.“
„Das können Sie nicht wissen.“
In ihren Augen blitzte ein kaltes Feuer auf. „Warum sollte ihm nicht auch die Flucht gelungen sein?“
Sie hat recht. „Aber uns fehlen die Anhaltspunkte.“
„Wir wissen, dass dieser Typ, der Tätowierte, aus Spanien kam.“
„Spanien ist nicht Luxemburg.“
„Besser als nichts.“
Jemand klopfte an. Bevor David ein Herein sagen konnte, wurde die Tür aufgerissen und entließ den Aborigini ins Innere. Er würdigte Nathalie keines Blickes, gab Murphy einen vergilbten Briefumschlag in die Hand und verschwand wieder nach draußen.
Nathalie sah ihm entschuldigend nach und zuckte beim Knallen der Tür leicht zusammen. „Er nimmt mir die Sache mit dem Knie doch sehr übel.“
„In seinen Augen stehen Sie für das Ende aller Strukturen, die diesen Erdball noch zusammenhalten“, betitelte David den vorangegangenen Auftritt. Er wendete den Brief unschlüssig in Händen und besah sich den Absender.
„Er sollte sich mal in meine Lage versetzen“, lästerte sie und machte sich daran die umherliegenden Zeitungsberichte zusammenzuklauben. „Ich ...“ Sie vernahm einen dumpfen Aufschlag – „Was ... Oh Gott ...“
*
„Ihr Name.“
Der Gefangene blinzelte in den weißen Lichtschein. Seine Lippen waren rissig, an einigen Stellen Blut verkrustet. „Ich...“ Er konnte sich nicht mehr erinnern.
„Name“, wiederholte die Stimme. Der Befehlston verlangte nach einer sofortigen Antwort. Jemand schrie ihm ins Ohr. Er zuckte zusammen, und nuschelte zusammenhangloses Zeug.
„Ich weiß es nicht ... ich der Wolf.“
Einer der anwesenden Männer lachte. „Er ist ein Wolf?“
Der Gefangene nickte hastig. „...ein Monster ... groß und...“ Er spürte einen gegen das rechte Ohr geführten Schlag, schrie auf und flehte um Einhalt.
„Ihr Auftrag.“ Die Stimme wurde immer herrischer. „Nennen Sie uns Ihre Mission und wir werden aufhören.“
„...keine Mission... nur der Wolf...“
Man versetzte ihm einen zweiten und dritten Schlag. Sein Oberkörper bäumte sich auf. Blut sammelte sich in der Ohrmuschel und lief in einem dünnen Rinnsal den Hals hinab.
„Warte“, unterband der Redner die Schläge schließlich. „Lass ihm kurz Zeit.“
„Aber...“
„Wenn er tot ist, wird er uns nicht mehr viel nützen.“
Der Gefangene stöhnte auf. Seine Worte waren zu einem kläglichen Winseln verkommen. „...Nath...“
„Ist er tot?“ Die Stimme klang aufgeregt, ein leichter Anflug von Zorn schwang mit ihr.
„...nur ohnmächtig...“ stellte der andere erleichtert fest.
„Dein Glück – und jetzt komm, das Ding, dieses Buch, was er bei sich trug.“ Er verharrte kurz. „Habt ihr es mittlerweile öffnen können?“
„Es ist seltsam, wie zugeschweißt, so was ist mir noch nie untergekommen. Ich...“
Das Zuschlagen der schweren Eisentür verschluckte die letzten Worte.
Der Gefangene hob den Schädel. Blut lief ihm die Mundwinkel hinab. Als er die Lippen öffnete spürte er einen brennenden Schmerz. Die Kehle brannte wie Feuer. „...mein Name ist
York ... Ethan York...“
*
Seine neuen Kräfte erschienen wie ein Geschenk des Himmels. Er bewegte sich anmutiger, als jeder Mensch und besaß nun Kräfte, die sein altes Leben billig und unbedeutend erscheinen ließen.
Leben... Sein Maul verzog sich, zu einem in die Länge gezogenen, Halbmond. Das was er bis vor kurzem noch, als Leben bezeichnet hatte, war gleichbedeutend mit einem schmutzigen Traum. Einer Ansammlung von öden, bedrückenden Eindrücken, derer er sich endlich hatte entledigen können. Die Gesichter der alten Familie waren längst verblasst. Zeugnisse des langen Schlafes... Erica – Susan ... Seine, unter dem kürzlich gewachsenen Fell arbeitenden Muskeln erschlafften.
In einem der ausgebrannten Gebäude hingen noch einige Scherben. Die Stellen, welche nicht von Ruß bedeckt waren, warfen einen Teil seines neuen Ichs zurück.
Der Meister war gnädig. Er hatte ihn in neue Gefilde aufsteigen lassen. Ein Geschenk, dessen er überhaupt nicht würdig erschien. Hank fuhr sich unruhig über die nach vorne ragende Schnauze, befühlte die wulstigen Lippen und die versteckten Hauer. Scharf, tödlich, die perfekte Waffe – vorgesehen um seinem Herrn zu dienen.
Er schielte zu dem um seinen Hals hängenden Beutel. Ein von Staub und Feuer getränkter Rucksack, dessen Herstellersymbole nicht mehr zu entziffern waren. Alle Zutaten, die man ihm zu beschaffen aufgetragen hatte, waren nun vollzählig. Der Meister würde zufrieden sein.
Er warf einen letzten Blick auf das neue Ich, sog die Essenz der grünen Sichelaugen tief in sich ein, und setzte sich mit einem gekonnten Hechtsprung vom Untergrund ab.
Da wo kein Halt existierte, gaben ihm seine ausziehbaren Krallen die nötige Hilfestellung. Es war ihm nun sogar möglich, steil nach oben ragende Häuserwände emporzuklettern.
Nachdem ihn sein neuer Instinkt zurück zu ihrem Unterschlupf geführt hatte, begann er den Aufstieg.
Er winkelte die Hinterläufe an und katapultierte sich ohne große Kraftanstrengung hinauf in die erste Etage. Hier hangelte er das umgestürzte Gerüst hoch und schlüpfte im geduckten Galopp durch eines der in Trümmer liegenden Fenster.
Der Konzertsaal lag in einem grauen Halbdunkel. Der von draußen reinschneiende Dreck musste die althergediente Schönheit in einem Atemzug ausgelöscht haben. Die von der Decke hängenden Kronleuchter wirkten wie verfaulte Trauben.
Seine den Schatten angepassten Augen suchten die Umgebung ab. Die Nüstern der flachen Nase waren geweitet. Er hob den stromlinienförmigen Schädel, atmete die trockene Luft ein und versuchte in den vorhandenen Aromen, die Präsens seines Meisters zu erahnen.
Der Duft von Macht, drängte sich ihm der Gedanke auf. Er konnte es sehen – eine blitzförmige blaue Linie, welche hinter einem der hinteren Bereiche verschwand.
Er ließ sich lautlos fallen, schlich bis zu dem die Treppe herauf führenden Eingang und linste neugierig hinein.
„Ich musste warten“, drang es in sein linkes Ohr. Er drehte den Schädel in einer ruckartigen Bewegung zur Seite. Der Meister überragte ihn um fast zwei Köpfe. Starrte ihn aus zwei funkelnden Augen an. „Wo warst du?“, haderte er und entriss ihm mit einer schnell ausgeführten Geste den Beutel „Unsere Zeit ist knapp bemessen.“
„Ich...“ Hank nahm eine geduckte Dienerhaltung ein und folgte seinem Meister ins Innere des abgedunkelten Raumes. „...einige der Zutaten waren schwer zu beschaffen.“ Sein Brustkorb hob und senkte sich in unregelmäßigen Zügen. Der letzte Rest seiner einst menschlichen Mentalität keimte in unregelmäßigen Abständen auf. Versetzte ihn in Angst und ließ sein Tun und Wirken so arm wie erbärmlich erscheinen.
Der Meister beachtete ihn nicht weiter. Er kippte den Inhalt des Beutels auf den Boden und begann damit ihn eingehend zu untersuchen. „Hat man dich gesehen?“, fragte er nach Beendigung seiner Inspektion.
Hank hatte sich in eine der Ecken gekauert. „Nein Herr“, versicherte er, „ich war vorsichtig.“ Sein Blick war an der großen Wanne haften geblieben. „Es waren nur wenige ihrer Art unterwegs.“ Ihrer Art. „Sie wagen es nur vereinzelt.“
„Und doch ist uns nur eine begrenzte Zeit gegeben.“ Er beugte sich über die Wanne, streichelte sanft über den darin aufbewahrten Leichnam. „Ihr Verfall ist rapide vorangeschritten. Wir werden sofort beginnen.“
„Herr?“
Das Fell seines Meisters sträubte sich, er fuhr die Krallen aus. „Begrenzte Zeit“, zischte er und begann damit, ihn in das Ritual einzuweihen.
*
Man führte sie in Gruppen von jeweils drei Mann hinein. Der Saal besaß die äußere Form eines Sichelmondes. Während die äußeren Plätze den niederen Rängen zugewiesen waren, stieg das Machtverhältnis mit jedem Näherkommen des Zentrums an.
Man gebot ihnen niederzuknien. Er weigerte sich und steckte die darauffolgenden Schläge ohne einen Laut des Schmerzes ein. Das anfängliche Gelächter der anwesenden Speichellecker erstarb. Man hörte nur mehr das Knallen des Schlagstockes – sah die aufgeplatzten Wunden und verstand nicht, wie eine solche Pein zu ertragen war.
Die Stirn, wie der Rest vom Gesicht des die Bestrafung ausführenden Wachsoldaten, waren von der Anstrengung schweißgebadet. Als sein Arm schließlich erschlaffte, hörte er aus dem Hintergrund das verhöhnende Kichern einiger Huren. Er wollte die Schmach wieder gut machen, den Sklaven mit seinen bloßen Fäusten zu Boden prügeln, als aus dem Zentrum eine Stimme laut wurde: „Es reicht.“ Das Kichern wie auch das Gemurmel klangen ab. Ruhe kehrte ein. „Du hast dich bereits genug erniedrigt.“
Der Soldat sah von dem blutenden Mann, zu dem Elfenbeinthron rüber. „Herr ich...“ Seine Worte gingen in einem bluterstickenden Gurgeln unter. Der Sklave hatte sich seiner Fesseln entledigt und seinem Peiniger eine schmale Klinge durch die Kehle gerammt.
Jemand schrie etwas. Die zwei anderen Soldaten verschenkten wertvolle Sekunden. Zogen zu spät ihre Waffen und lagen innerhalb weniger Bewegungen tot zu seinen Füßen.
Während der Großteil der Anwesenden in blinde Panik verfiel, verweilte ein Einzelner auf seinem Platz und beobachtete mit wachsendem Interesse das ihm hier gebotene Schauspiel.
Es gelang dem namenlosen Krieger zwei seiner Leute zu befreien. Der eine, ein athletischer Jüngling, der andere, ein sich in seinem Alter befindlicher Krieger. Beide wohl versiert in der Kunst des Kampfes. Während der Junge sich einen zur Zierde angebrachten Speeres bediente, nutzte der Bärtige seine pfeilschnellen Reflexe und schaltete einen der herannahenden Soldaten mit einem gut gezielten Schlag seiner Rechten aus.
Der Thronende genoss das Schauspiel und lauschte gebannt den fremdländischen Flüchen des Barbaren. Von der Seite her drangen die gehaspelten Worte seines obersten Dieners auf ihn ein. „Wir werden sie töten...“, versicherte der Heuchlerische. Seine Stimme überschlug sich. „Sie werden leiden, Euch wird nichts geschehen, dass versichere ich...“
Der Thronende gebar dem Speichellecker Einhalt. Aus dem nahen Eingang strömten einige Dutzend Leibgardisten, allesamt mit Speeren und Breitschwertern ausgestattet. Ihnen folgte ein Trupp Langbogen. Sie positionierten sich, spannten ihre Waffen und lauerten auf einen Befehl der besagte, den drei Sklaven den Garaus zu machen.
Die Sklaven reihten sich Rücken an Rücken aneinander. Aus ihren Blicken entnahm der Thronende eine klare Botschaft. Sie würden ihr Leben bis auf das Letzte verteidigen. Er beugte sich zu seinem Diener hinüber. „Sage mir Wurm, woher stammen diese Drei?“
Der Wurm spuckte beim Sprechen. Seine Worte sprangen schneller über die Lippen, als eine Dirne zu einem neuen Freier ins Bett. „...Feiglinge“, stammelte er. „Sie flohen aus dem Norden und wollten sich nahe des Flusses Hehtoht ansiedeln.“
„Sie stammen aus dem Gebiet der Bestien.“ Die Züge des Thronenden nahmen eine gefasste Ruhe an. „Wie viele haben den Marsch überlebt?“
„Zu wenige, als das es lohnen würde weiterzuleben!“
Hunderte Augenpaare flackerten auf. Die Worte des Barbaren schnitten wie Schwerter durch die Luft. Der Jüngling wie auch der Bärtige versuchten ihn zurückzuhalten. Er ignorierte sie und fuhr einem Brüllen gleichkommend fort: „Wir suchten Zuflucht, baten um Platz für unser Weib und Vieh!“ Er deutete mit der ausgestreckten Breitklinge auf den Elfenbeinthron. „Ihr verhieltet euch wie die Tiere vor denen wir flohen!“ Er stieß sich vom Boden ab, überwand spielend mehrere Meter und landete vor dem Sockel des Thrones.
Seine beiden Begleiter stoben auseinander, warfen sich den Gegnermassen entgegen und versuchten, deren massive Überlegenheit mit wagemutigem Todesmut auszugleichen.
Ein Pfeilhagel ging los. Der Kopf des Jünglings wurde herumgerissen. Eines, der mit Stahlspitzen versehenden Geschosse, hatte sich durch seine Stirn gebohrt.
Während der Bärtige es noch schaffte dem scharfschneidigen Ansturm kurze Gegenwehr entgegenzubringen – stürmte der blutende Barbar, mit einem tiefen, aus der Brust grollenden Schrei vor. Die beiden Breitschwerter über dem Schädel schwingend, vollführte er eine geschmeidige Drehung, sah vor sich die stählerne Maske des Thronenden und... wachte mit einem irren Schrei auf.
*
„Freund, du hast Probleme“, begrüßte ihn die Stimme des Aboriginis. „Aber bitte sei so gut und lass meinen Arm los.“
Davids weit aufgerissene Augen schielten von anhaltendem Unverständnis getränkt, durch die Gegend und blieben schließlich an den Beinkleidern einer Frau kleben.
„Mein Arm“, drang es wiederholt an seine Ohren.
Er hustete eine rasche Entschuldigung und entließ den muskulösen Alten wieder in die Freiheit. „Was ist passiert?“, stöhnte er, und drückte sich dabei vom Boden hoch. Sein Schädel pochte, wie nach einer durchzechten Nacht im Dark Paradise. „Wo ist mein Schwert?“
„Da, wo Sie Ihren Verstand gelassen haben“, antwortete Nathalie. Sie hatte ihre Arme in die Hüfte gestemmt und bedachte ihn mit einem kopfschüttelnden Blick. „Ihr nackter Kumpan erklärte mir, Sie wären von einer Vision übermannt wurden. – Stimmt doch so?“, fragte sie weniger aus Vorsicht nach.
„So ist es“, knurrte der Alte und schaffte es den dicken Dämonenjäger auf einen der Stühle zu hieven. Über ihnen stampfte jemand mit den Füßen auf. „Du hast viel Krach gemacht, Freund.“
David schnaufte angestrengt nach Luft. „...man hat mich zusammengeschlagen. Ein Thronsaal, sah nicht gut aus...“ Er blickte vom besorgten Gesicht des Aboriginis zur säuerlichen Miene Nathalies. „In einem meiner frühen Leben“, fuhr David fort, „muss ich Angehöriger eines Barbarenstammes gewesen sein.“ Er tippte sich gegen die Brust. „Ein Krieger.“
„Das ist toll“, wälzte sie den Wortschwall, des in ihren Augen verwirrten Zauberkundigen ab. „Während Sie hier die Show abgezogen haben, ist es mir gelungen jemanden zu finden, der so freundlich war, uns diesen Wisch zu übersetzten.“
Davids Blick fiel auf den in ihrer Hand wedelnden Zettel. Die blaue Tinte war an einigen Stellen schon verwaschen und wirkte auf dem gelben Untergrund kaum leserlich. „Und?“, sagte er nur und wartete gespannt auf die Offenlegung des Inhaltes.
„Eine fast fünfzig Jahre alte Warnung. Speziell an dich adressiert“, sprang der Alte für sie ein. „Der Brief stammt von einem gewissen Dela Rosa. Einem Forscher, heimisch in den Gefilden Al Andalus.“
„Wie...?“
„Er redet von Spanien. Interessanter Zufall, nicht?“
„Das Ticket“, ging er auf ihre Worte ein. „Aber“, er wandte sich wieder dem Alten zu, „50 Jahre?“
„Eigentlich nur 48, aber du weißt, dass Zeit nichts weiter, als eine Begrenzung unserer Taten bedeutet.“
„Ich meine ja nur, dass es doch schwer vorstellbar ist. Schließlich konnte der Typ doch unmöglich wissen, dass...“, er behielt die Endung des letzten Satzes für sich. „Wovor wollte er mich warnen?“
Dieses Mal, wechselten Nathalie und der Alte Blicke aus.
„Na was jetzt?“
„Mehr ein Vers als richtige Botschaft“, gab Nathalie nervös zurück.„Hüte dich vor dem 13. Zyklus. Denn mit seinem kommen, wird der, den die Wölfe hassen, wieder auf Erden wandeln.“
David runzelte die Stirn. „Und das ist auch wirklich Wortgetreu übersetzt?“
Ihre Nervosität wich der schon bekannten Aufsässigkeit. „Ich habe es mir zur Vorsicht notiert“, giftete sie und sah dabei zu dem grübelnden Aborigini rüber. „Ist Ihnen mittlerweile eingefallen, was es bedeuten könnte?“
Der Alte schüttelt griesgrämig den Kopf. Er hatte den beiden den Rücken zugewandt und gestattete ihnen somit freies Blickfeld auf sein Hinterteil. „Die Erwähnung des Wolfbezwingers ließe zwar viele Schlüsse zu, aber ich denke, dass es sich zum Teil auf Fenrirs Part beruft.“
David lachte auf. „Willst du damit sagen, dass du dieser Wolfsbezwinger bist? Gut, du hast dem Mistvieh den Garaus gemacht, aber...“
„Er lebt.“ Er drehte sich wieder zu ihnen herum, hob eine der Augenbrauen und knetete dabei nachdenklich die Hände ineinander.
„Ich habe gesehen wie er unter Tonnen von Stein begraben wurde. Glaub mir – der ist hinüber.“ Er scharrte mit den Füßen über den fleckigen Teppich. „Götterwolf hin oder her, was platt ist, ist platt.“
„Sein Geist wandelt noch immer unter dieser Sonne. Er...“ Der Alte wollte gerade nachsetzen, als Nathalie ihm eine Hose zuwarf.
Sie legte ein schiefes Lächeln auf. „Ich denke, wir kommen hier nicht weiter und der nächste direkt Flug nach Spanien geht bereits in einer knappen Stunde. Und da ich weiß, wie hysterisch manche Flugbegleiterin auf Typen im Adamskostüm reagieren, halte ich es für das Beste, dass Sie Ihre Blöße wenigstens für eine gewisse Zeit bedecken.“
David hatte sich derweil erhoben und klopfte dem Alten beim hinausgehen mitleidig auf die Schulter. „Da dir das Verhältnis der Zeit eh nichts bedeutet, werden die Stunden sicherlich wie im Fluge vergehen.“
Bevor der Aborigini noch etwas erwidern konnte, war die Türe bereits wieder ins Schloss gefallen.
„Er ist über die Maßen arrogant“, ging Nathalie auf Davids Abgang ein.
„Womöglich“, murmelte der Alte. Er zwänge sich zuerst ins verkehrte Hosenbein und begann dann mit Mühe den Fehler zu korrigieren. „Aber er ist auch der Einzige, der uns helfen kann, Ihren Verlobten zu finden.“
*
Nachdem sie seine Fesseln gelöst hatten, packten ihn zwei der Wachhabenden unter den Armen und zerrten ihn die Kammer hinaus auf den Gang.
Es stank nach Urin und Exkrementen. Er musste würgen, versuchte trotz seines Zustandes den Brechreiz zu unterdrücken und bekam einen Tritt in die Leistengegend.
Einer der Männer zischte ihm etwas zu. Eine fremde Sprache, dem Dialekt nach arabischen Ursprungs. Ethan erbrach einen Schwall Wasser und handelte sich dafür direkt den nächsten Tritt ein. Sein Flehen blieb ungehört.
Sie schleiften ihn wie einen Sack totes Fleisch hinter sich her. Der Versuch, aus dem nicht zugeschwollenen Auge, etwas von der nahen Umgebung in sich aufzunehmen, entpuppte sich als nutzlos. Alles spielte sich hinter einem schwummrigen grauen Nebel ab. Er würgte wieder – pumpte auch noch den letzten Rest an Flüssigkeit aus sich heraus und kämpfte verzweifelt gegen die drohende Ohnmacht an.
Sie hielten an, tauschten einige Worte aus, und begannen damit eine vor ihnen liegende Tür zu öffnen. Etwas rastete mit einem knirschenden Schnappen auseinander, gab zuerst nur einen Spalt frei, dann ruckartig den Rest.
Jemand umgriff seine Füße – zog ihn ins Innere des neuen Raumes. Die von den Misshandlungen herrührenden Schrammen und Blutergüsse interessierten sie nicht. Er knallte mit dem Hinterkopf gegen eine aus dem Boden ragende Trennleiste, jaulte wie ein verwundeter Köter auf und warf seinen Folterknechten einen nicht verständlichen Fluch zu.