FÜNF

Als Udo Reuschenbach am nächsten Morgen frisch geduscht und angezogen aus dem Bad kam, fragte er sich, mit wem Larissa redete. Unter den prasselnden Wasserstrahlen hatte er weder die Türglocke noch das Klingeln des Telefons gehört. Offenbar war Larissa nicht alleine. Schon im Flur hörte er, wie sie in der Küche herumwerkelte und dabei offenbar mit jemandem sprach. Ein verführerischer Duft nach frischem Kaffee wehte durch das Haus, das einst seinen Eltern gehört hatte. Seine Frau hantierte mit Geschirr, lachte, klapperte mit einer Schublade in der Küche, schwieg und redete weiter. Erst bei genauerem Hinhören registrierte Udo, dass Larissa offenbar telefonierte – oder einen Monolog führte. Dem Klang ihrer Stimme nach hörte es sich nicht an wie eine nette Plauderei.

„Wir müssen aufpassen, das kann gefährlich werden“, hörte er sie sagen und machte sich nun doch Sorgen. „Und ich möchte nicht, dass die Sache rauskommt. Allein schon wegen Udo, wir haben uns doch so viel aufgebaut in den letzten Jahren.“ Udo war kein eifersüchtiger Ehemann, der, von Misstrauen getrieben, seiner Frau nachspionierte, doch in diesem Augenblick machte er sich seine Gedanken. Larissa war ein Wesen mit einem großen Herzen, sie war sanft und gutmütig, und damals hatte er sich auf der Stelle in sie verliebt. Seit drei Jahren waren sie nun verheiratet, in dieser Zeit hatte er niemals bezweifelt, dass sie ihm die Treue hielt. Auch wenn sein Job als Polizist ihm so manche Entbehrung und eine knappe Freizeit bescherte, stand sie doch zu ihm und stärkte ihm stets den Rücken.

So war es ein Schock am Morgen, dass Larissa offenbar mit jemandem ein Geheimnis teilte. Womöglich, machte er sich Mut, sprach sie mit einer Kollegin aus der Kindertagesstätte „Rappelkiste“ aus Waldbreitbach, in der sie arbeitete. Vielleicht planten sie eine Überraschung für jemanden. Udo Reuschenbach erklärte sich seine Sorgen mit dem beruflich bedingten Misstrauen, das man ihm in all den Jahren bei der Polizei anerzogen hatte. Er legte eine Hand auf die Türklinke zur Küche und drückte sie energisch nieder. Die Tür öffnete sich, und er war mit einem Satz im Raum. Das kleine Küchenradio dudelte einen Sommerhit. Die Sonne drang durch die Fenster in die große Wohnküche. Staubpartikel tanzten in der Sonne, und das Mobiliar erstrahlte in einem warmen Licht. Wie er erwartet hatte, stand seine Frau in der Küche und machte die Brote. Bonnie, der alte Golden Retriever, lag auf seiner Decke am Fenster, blickte kurz auf und legte den Kopf wieder auf die Vorderpfoten. Den Frühstückstisch hatte Larissa bereits gedeckt, denn bei aller morgendlichen Hektik wusste Udo, dass sie auf ein gemeinsames Frühstück viel Wert legte. Und er machte ihr allzu gern die Freude, mit seiner Frau in den Tag zu starten. Sie sah wundervoll aus, und wenn er sie nicht schon lieben würde, dann hätte er sich wohl auf der Stelle in sie verliebt. Als er nun im Raum stand, drehte sie sich zu ihm um und lächelte glücklich.

„Da bist du ja.“ Sie kam ihm entgegen, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund.

„Mit wem redest du?“, fragte er, nachdem sich ihre Lippen voneinander gelöst hatten.

Nun lachte Larissa. „Hast wohl noch gar nichts von unserem Gast mitbekommen, was?“ Sie trat zur Seite, und Udo hatte freien Blick zur Eckbank. Dort saß ein fast zwei Meter großer Mann mit schulterlangen dunklen Haaren. Er biss gerade herzhaft in sein Brötchen, kaute und hob grüßend Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand, bevor er mit einem Schluck Kaffee nachspülte.

„Nee, oder?“ Udo schämte sich dafür, seiner Frau misstraut zu haben. Dann wandte er sich an Kaltenbach. „Sag mal, hast du kein gemütliches Zuhause, oder warum musst du uns schon am frühen Morgen auf die Eier gehen?“

Kaltenbach grinste. „Mach mal halblang. Mein Kühlschrank ist leer, und ein Bier zum Frühstück kommt in der Woche nicht so gut an. Deine Frau war so nett, mich spontan zum Frühstück einzuladen.“ Sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Sie ist ein Engel, und du solltest sie dir in Ehren halten.“

„Das musst du mir nicht sagen“, brummte Reuschenbach, der ein wenig enttäuscht war, seine Frau in der kurzen Zeit vor dem Dienstbeginn mit seinem Freund teilen zu müssen. „Rutsch rüber.“ Er schob Kaltenbach auf der Eckbank weiter und setzte sich an dessen Platz. Hier saß er immer, wenn er mit Larissa frühstückte, und daran würde sich auch an diesem Sommermorgen nichts ändern, so viel stand fest.

Seine Frau registrierte das rüde Verhalten ihres Mannes mit einem nachsichtigen Lächeln. Sie schenkte ihm Kaffee ein, reichte ihm den Korb mit den Brötchen und setzte sich zu den Männern. „Bernd steckt in Schwierigkeiten“, eröffnete sie das Gespräch, während sie sich ein Toast mit Marmelade bestrich.

Reuschenbach blickte an ihr vorbei aus dem Küchenfenster. Im kleinen Vorgarten blühte ein tiefblauer Rittersporn. Eine Hummel taumelte zwischen den Blüten umher. „Bernd steckt in Schwierigkeiten?“, wiederholte er dann und lachte. „Das ist nichts Neues.“

„Ich hatte vergessen, dass du ein Morgenmuffel bist.“ Kaltenbach buffte ihm freundschaftlich in die Seite. „Und wenn ich nicht etwas von dir wollte, wär ich auch nicht so freundlich zu dir, du Sack.“

„Dann kommen wir jetzt also zum Punkt‚ das ist gefährlich‘“, brummte Udo, warf seiner Frau einen halbherzig vorwurfsvollen Blick zu und schnitt das Brötchen mit einem scharfen Messer auf. „Was ist so gefährlich? Hast du mal wieder die Frau eines Kollegen gebumst?“

„Udo – bitte.“ Nun klang Larissa vorwurfsvoll.

Doch Kaltenbach ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lachte meckernd. Die Männer kannten sich lange genug, und so konnten sie sich so ziemlich alles an den Kopf werfen, was sie über den jeweils anderen dachten. „Noch nicht“, sagte er dann und berichtete Udo, dass er vertretungsweise in der Koblenzer Lokalredaktion des Rhein Wied Express aushalf. „Die Mellie ist eine ganz Süße, die wäre eine Sünde wert, da muss ich dir recht geben. Vielleicht ein bisschen jung, aber vielleicht steht sie auf erfahrene Männer.“

„So genau will ich es gar nicht wissen.“ Reuschenbach winkte ab, griff zum Käse und belegte beide Brötchenhälften mit jeweils einer Scheibe jungem Gouda. „Komm auf den Punkt, Bernd.“

„Bernd hat in der Nacht einen Drohanruf erhalten“, vermittelte Larissa zwischen den Männern. Als Kindergärtnerin war sie es gewohnt, einen aufkommenden Streit im Keim zu ersticken.

„Wundert mich nicht.“ Reuschenbach biss herzhaft in sein Brötchen. „Ist eine Frage der Zeit, bis er von einem gehörnten Ehemann mal eins auf die Fresse kriegt.“

„Udo – bitte.“

„Larissa, du wiederholst dich, Engel.“ Reuschenbach stöhnte entnervt auf. Den Morgen mit seiner Frau hatte er sich tatsächlich anders vorgestellt. Er legte das Brötchen auf dem Teller ab, nahm einen Schluck Kaffee und lehnte sich zurück. „Also gut. Ich bin ganz Ohr.“

„Jemand hat mir geraten, die Finger von der Hahn-Geschichte zu lassen“, murmelte Kaltenbach und klang plötzlich ein wenig kleinlaut. Er berichtete mit wenigen Sätzen von dem Anruf.

„Und jetzt willst du wissen, wer sich Sorgen um dein Leben macht.“

„So drastisch würde ich das jetzt nicht ausdrücken“, druckste Kaltenbach herum und schob mit den Fingerspitzen die Krümel seines Brötchens auf der Tischdecke zusammen.

„Ach nee“, stieß Udo hervor. „Auf mich willst du ja nicht hören. Und wie soll ich dir da jetzt weiterhelfen?“ Er konnte es sich denken, sprach es aber nicht aus.

„Ich brauche eine Anrufrückverfolgung.“

„Sonst noch etwas?“ Udo schüttelte den Kopf. „Bernd, bitte. Du weißt, dass ich nicht einfach so an die Daten komme.“ Als Kaltenbach beharrlich schwieg, seufzte er. „Also gut. Gib mir die Nummer, ich seh zu, was ich machen kann.“

„Da liegt das Problem. Der Typ hat mit unterdrückter Nummer angerufen.“

„Alles andere wäre Leichtsinn“, kommentierte Larissa nun.

„Wie stellt ihr euch das vor? Ich muss mich an den Provider wenden, der mit ganz viel Glück entschlüsseln kann, wer hinter dem Anrufer steckt. Dazu brauche ich aber einen triftigen Grund, und offiziell geht da gar nichts. Ich komme in Teufels Küche, wenn herauskommt, dass ich …“

Kaltenbach leerte seine Tasse, sprang wie von der Tarantel gestochen auf, blickte theatralisch auf seine nicht vorhandene Armbanduhr, schüttelte den Kopf, murmelte etwas davon, spät dran zu sein und blieb im Türrahmen noch einmal stehen.

„Danke – ich wusste, dass du ein echter Freund bist, Udo.“ Er grinste breit, bedankte sich bei Larissa für das wundervolle Frühstück, dann war er draußen. Erst, als die Haustür ins Schloss fiel, hatte Udo die Sprache wiedergefunden.

Enkirch/Mosel, 8.10 Uhr

Er war morgens immer der Erste im Dienst. Kein Wunder, schließlich war er der einzige Angestellte des kleinen Labors. Eine Teilzeitstelle, um genau zu sein, denn eigentlich stand er im Dienst der Verbandsgemeinde Traben-Trarbach. Die Messungen im nahen Enkirch waren nur eine Zusatzaufgabe. Und für ihn eine Mehrbelastung, da machte sich Dirk Immich nichts vor. Aber ihm konnte es egal sein, so kam er zwei Stunden am Tag aus dem Büro und war sein eigener Chef. Nur die Sache mit dem Dienstwagen, die musste er noch regeln. Bislang zierten sich die Verantwortlichen, und das, obwohl er ständig zwischen seinen Arbeitsplätzen, dem Groß- und dem Ahringsbach und zwischen dem Hahn, Enkirch und Traben-Trarbach pendelte. So kam der eine oder andere dienstliche Kilometer zusammen.

Dirk Immich lenkte den alten Geländewagen über den schmalen Weg, der hinter dem Wohnmobilparkplatz entlangführte. Hier hatte man ihm einen Bürocontainer aufgestellt, den er als Labor nutzen konnte, finanziert von der Gemeinde. Das Geld für die kleine Messstation unweit des Moselufers stammte angeblich aus Landesmitteln, und so hatte niemand Fragen gestellt, als man den Bürgern bekannt gegeben hatte, fortan eigene Wasserprüfungen vorzunehmen.

Und an diesem Morgen hatte sich die Investition gelohnt, denn bei seiner heutigen Inspektion am Ahringsbach hatte er wieder drei tote Fische aus dem Wasser gezogen. Mit Schutzhandschuhen hatte er die Fischleiber in eigens dafür vorgesehene Transportboxen gelegt, um sie im Labor zu untersuchen. Natürlich hatte er auch Gewässerproben genommen; und Immich war sicher, dass am Hahn wieder etwas schiefgelaufen war. Oben am Rauschkümpel hatte er kein Handyempfang gehabt, deshalb war er so schnell wie möglich weitergefahren. Vom Labor aus würde er den Verbandsbürgermeister über seinen traurigen Fund informieren. Wahrscheinlich würde man den Ahringsbach unverzüglich von der Trinkwasserversorgung nehmen. Dennoch waren Schwierigkeiten vorprogrammiert, denn in letzter Zeit häuften sich die Störfälle. Und die Betreibergesellschaft des Flughafens würde ihre Hände wieder in Unschuld waschen. Die zuständigen Manager wussten durchaus, dass sie am längeren Hebel saßen und die Regierungen zweier Bundesländer im Rücken hatten.

Wo Menschen sind, werden Fehler gemacht, so lapidar hatte es einer der Verantwortlichen am Hahn neulich noch ausgedrückt und sich damit in der Öffentlichkeit nicht gerade beliebt gemacht. Es war höchste Zeit, dass etwas geschah, dachte Dirk Immich verbittert, als er den Wagen neben dem Container parkte. Er stieg aus und öffnete die Heckklappe. Bevor er die Transportboxen mit den toten Fischen und den Wasserproben entlud, machte er sich an der feuerfesten Tür des Labors zu schaffen. Als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, bemerkte er, dass sich in der Nacht offenbar jemand an der Tür zu schaffen gemacht hatte. Es sah aus, als habe man versucht, die Tür mit einem großen Schraubenzieher aufzuhebeln. Nun, das war offensichtlich nicht gelungen, stellte Immich erleichtert fest, während er den Schlüssel ins Schloss schob und die Tür öffnete. Er trat wieder an den Kofferraum und nahm die Transportboxen mit, um sie in das Labor zu schaffen. Ihm schlug muffiger Geruch entgegen. Wenn die Sonne stundenlang auf das eiserne Flachdach des Containers brannte und Fenster und Türen geschlossen waren, stand die Luft in dem kleinen Raum. Die Jalousien der Fenster hatte er am Vorabend herabgelassen. Obwohl die Kriminalitätsrate in dieser Region relativ gering war, so wollte er kein Risiko eingehen und einen Einbruch verhindern. Immerhin befanden sich in dem kleinen Labor sündhaft teure Messinstrumente.

Doch Dirk Immich arbeitete stets verantwortungsbewusst und gewissenhaft. Als hinter ihm die schwere Tür ins Schloss fiel, stand er sekundenlang im Dunkeln. Mit einem Fluch auf den Lippen stellte er die beiden Kisten neben sich auf den Fußboden und streckte die Hand aus. Wie blind wischte Immich über die Wand zu seiner rechten. Als er den Feuchtraumlichtschalter fand, betätigte er ihn. Ein Zischen zerriss die Stille, er warf einen Blick an die Decke, dorthin, wo sich die Lampe befand. Der kleine Wolframfaden der Lampe glühte auf. Im nächsten Augenblick war der Diplom-Biologe von einer Stichflamme, die von der Decke zu kommen schien, geblendet. Seine Trommelfelle schienen zu platzen, als er die Druckwelle spürte, die sich in einem Sekundenbruchteil ausbreitete. Immich taumelte zurück, prallte rücklings gegen die Wand und schlug hart mit dem Hinterkopf auf. Starr vor Schreck beobachtete er das eigenartige, todbringende Schauspiel, das sich ihm bot. Es schien, als würde die Luft in Flammen stehen. Flammen schlugen von der Decke abwärts, loderten an den dünnen Trennwänden des Containers, und im gleichen Moment brannte seine Kleidung. Die Hitze, die an ihm hinaufzukriechen schien, machte ihn benommen. Immich wollte flüchten, aus dem brennenden Container stürzen, doch die Tür war noch verschlossen. Er war gefangen in diesem schrecklichen Inferno und hatte keine Chance, den Flammen noch zu entkommen. Der Geruch nach verbrannter Haut und verkohlten Haaren kroch ihm in die Nase, dann brach er ohnmächtig vor Schmerzen bewusstlos zusammen.

Koblenz-Altstadt, 9.10 Uhr

Kaltenbach erreichte die Rhein-Mosel-Metropole eine gute Stunde später. Obwohl er mit Bettinas Polo unterwegs war, trug er seine Motorradkombi, denn mit ein wenig Glück würde er die Honda heute Abend wieder mit nach Hause nehmen können.

Bevor Kaltenbach sich auf den Weg zur Redaktion machte, wollte er seine alte Freundin Sabine Wellershoff besuchen. Sie hatte vor einiger Zeit für einen Mandanten gearbeitet, der wegen der Zwischenfälle am Hahn Strafanzeige gegen die Verantwortlichen gestellt hatte und unter seltsamen Umständen gestorben war.

Viel zu lange hatte er Sabine schon nicht mehr gesehen, und so war es höchste Zeit, ihr einen Besuch abzustatten. Er erhoffte sich, dass sie etwas über das seltsame Ableben des Hahn-Gegners wusste. Ihre Adresse hatte er sich über die Auskunft auf sein Handy schicken lassen. Nachdem er den Polo am Peter-Altmeier-Ufer abgestellt hatte, legte er den Rest des Weges zum Florinsmarkt zu Fuß zurück. Schon nach wenigen Metern schwitzte er in seiner Motorrad-Kombi. Vielleicht, so dachte er, wäre es klüger gewesen, sich später umzuziehen. Dann stand er vor dem Haus, in dem sich ihr Büro befand. Der Bürresheimer Hof lag in direkter Nachbarschaft, keine schlechte Adresse für eine Privatdetektivin, fand Kaltenbach und zog beim Anblick des verchromten Schildes die Mundwinkel anerkennend hoch.

„Sabine Wellershoff, Privatdetektei“, las er und klingelte.

„Ja bitte?“ hörte er eine weibliche Stimme aus dem Lautsprecher scharren.

Ein Lächeln erhellte sein Gesicht, als er ihre Stimme erkannte. „Kaltenbach hier. Ist der Kaffee fertig?“

Anstatt einer Antwort surrte der Türöffner, und Bernd trat ein. Die Detektei befand sich im ersten Stockwerk. Er nahm stets zwei Stufen auf einen Schritt und hatte bald Sabines Büro erreicht. Entweder betrat er direkt ihr Büro, oder sie saß gerade zufällig hinter dem Empfangstresen der Sekretärin.

Als sie ihn erkannte, glättete sich die Sorgenfalte auf ihrer Stirn. Lachend sprang sie auf und umrundete die Theke. „Bernd!“, rief sie erfreut aus und flog in seine Arme. „Dass du dich hier mal blicken lässt.“

Prompt hatte Kaltenbach ein Déjà-vu. So etwas ähnliches hatte er gestern von Bettina gehört. Er hatte keine Lust, auf den unterschwelligen Vorwurf einzugehen und schwieg.

„Wie lange ist das her?“ Sie ließ einfach nicht locker. So war sie schon immer gewesen.

Kaltenbach dachte kurz nach. „Es war 1999, wir waren jung und wild“, grinste er dann. „Also war es nicht in diesem Jahrhundert, als wir was miteinander hatten.“

Sabine Wellershoff ließ ihn los, trat einen Schritt zurück und blickte an ihm hoch. „Du hast die Haare ab. Die langen Haare waren dein Markenzeichen.“

„Nicht ab, nur ein wenig kürzer.“ Er zuckte die Schultern. „Ich werde auch älter. Und in Berlin ist man als Korrespondent nicht gern gesehen, wenn man sich nicht den Umgangsformen anpasst. Also wurde ich seriös …“

„Du warst in Berlin?“ Sabine pfiff anerkennend. „Respekt, Herr Kaltenbach. So was nenn ich Karriere.“

„Nur ein paar Monate. Dann hat mir der Westerwald gefehlt. Außerdem hat mich die Hektik in der Hauptstadt angekotzt.“ Kaltenbach blickte sich in der Detektei um. Sie war modern und sachlich eingerichtet, für seinen Geschmack vielleicht etwas zu kühl. “So etwas hier nenne ich Karriere.“

Sabine Wellershoff winkte ab und bot ihm einen Kaffee an. Kaltenbach nahm gerne an und ließ sich in ihr eigentliches Büro führen. Auch hier herrschte sachliche Moderne. Weiß getünchte Wände, eine schwarze Ledercouch, ein gläserner Schreibtisch mit einem hochmodernen Computer darauf. „Ich dachte, du würdest deine Sekretärin vertreten“, grinste er, nachdem er in den weichen Ledersessel neben dem Schreibtisch gesunken war.

Sabine winkte ab. „Vergiss diese Aushilfen. Ich habe mir eine junge Mutter halbtags ins Boot geholt. Aber immer, wenn ihr Kind krank ist, muss ich alles selber machen.“ Sie stellte ihm eine Tasse hin und schenkte Kaffee ein. Chic sah sie aus in ihrem Kostüm. Zu einer modisch geschnittenen weißen Bluse trug Sabine Wellershoff einen figurbetonten, etwa knielangen Rock in einer Sandfarbe, dazu Strümpfe und hochhackige Schuhe. Fast wie eine Anwältin. Eine reizvolle Anwältin, schob Kaltenbach nach Abschluss seiner Betrachtung in Gedanken nach. Dennoch: Mit der flippigen BWL-Studentin, die ihm in Erinnerung geblieben war, hatte sie nicht mehr viel gemeinsam. „Du hast dich gemausert. Seit … seit damals.“

„Danke.“ Lächelnd ließ sie sich in den Chefsessel hinter dem gläsernen Schreibtisch sinken und betrachtete ihren Besucher. „Ich konnte mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, die Keramikfabrik meines Vaters zu übernehmen. Ich bin eher der Typ, der jeden Tag raus muss, um Neues zu entdecken.“

„Und jetzt deckst du also professionell Verbrechen auf”, bemerkte Kaltenbach und schlug die Beine übereinander.

Sabine winkte ab. „Es sind eher kleine Delikte. Ehemänner, die fremdgehen, Versicherungsbetrüger und Arbeitnehmer, die unberechtigt krank feiern.“

„Oh, es macht dir also immer noch Spaß, fremdgehende Kerle auf frischer Tat zu ertappen?“ Genauso hatte er Sabine Wellershoff in Erinnerung. Sie hatten sich irgendwann aus den Augen verloren, und nachdem sie ihre kurze, aber heftige Beziehung beendet hatten, waren sie gute Freunde geblieben. Doch mit seiner Versetzung nach Berlin war der Kontakt völlig abgebrochen.

„Fremdgehende Ehemänner sichern meinen Lebensunterhalt“, schmunzelte Sabine und schenkte ihm einen koketten Augenaufschlag. „Solltest du inzwischen verheiratet sein, dann hoffe ich für dich, dass wir uns geschäftlich niemals begegnen werden.“

„Keine Chance.“ Kaltenbach schüttelte den Kopf und hielt die rechte Hand hoch, um zu zeigen, dass er keinen Ehering trug. Er glaubte, ein abenteuerlustiges Blitzen in Sabines Augen zu sehen.

„Es sind also die kleinen Verbrecher, die ich überführe“, sagte sie schließlich und atmete tief durch.

„Immerhin“, erwiderte er. „Bösewicht ist Bösewicht. Trägt sich denn der Laden hier?“

„Mutter hat mir einen zinslosen Kredit gewährt, um mir eine eigene Existenz hier aufzubauen, nachdem sie sich mit dem Schock abgefunden hatte, dass ich nicht die Firma meines Vaters in Breitscheid übernehmen werde.“ Ihr Vater, Peter Wellershoff, hatte eine große Töpferei im Westerwald betrieben. Keramik war seit jeher das Traditionsgeschäft im Westerwald gewesen. Doch die Fabrik der Eltern hatte Sabine nie interessiert. Daran hatte auch der Tod ihres Vaters nichts geändert. Sie seufzte. „Ich bin einfach nicht die typische Unternehmerin. Und als mein Onkel starb …“

„Dein Onkel ist tot?“

Sie nickte. „Ja – Herzinfarkt.“ Sabine lächelte versonnen. „Das hier war eigentlich seine Detektei. Er war immer das schwarze Schaf in der Familie. Während meine Eltern immer auf die Aktienkurse an der Börse in Frankfurt schielten, lag Onkel Kurt auf der Lauer und spionierte untreuen Ehemännern nach. Sei‘s drum: Nachdem mein Onkel beerdigt wurde, kam mir der Gedanke, seine Detektei zu übernehmen.“ Jetzt lachte sie und breitete die Arme aus. „Und hier wären wir nun.“

„Das Geschäft läuft?“ Kaltenbach betrachtete sie. Sabine war Anfang dreißig, anderthalb Köpfe kleiner als er und schlank. Obwohl sie ein modisch-konservatives Kostüm trug, konnte er ihre atemberaubenden Formen, mit der sie Männern reihenweise den Kopf verdrehte, erkennen. Kaltenbach fragte sich, ob sie in festen Händen war. Einen Ring an ihrer Hand konnte er jedenfalls nicht entdecken. Und er versuchte sich an den Grund zu erinnern, warum sie sich damals getrennt hatten. Er fiel ihm nicht ein. Vielleicht sollte er sie bei Gelegenheit zum Essen einladen. Der alten Zeiten wegen.

„Ich kann nicht klagen.“

Jetzt beugte sie sich über die durchsichtige Schreibtischplatte. „Aber jetzt zu dir: Was treibt dich her? Du schaust auch nicht gerade fröhlich aus, mir machst du nichts vor.“

„Was kannst du mir zum Flughafen Hahn sagen?“ Kaltenbach lehnte sich in seinem Besucherstuhl zurück und schlug die Beine übereinander.

Anstatt ihm zu antworten, machte sich Sabine an ihrem Computer zu schaffen. Er beobachtete sie fasziniert. Sabine hatte ein fein geschnittenes Gesicht, hohe Wangenknochen und sinnliche Lippen, die ihn schon damals um den Verstand gebracht hatten.

„So“, sagte sie dann lächelnd. „Der Flughafen Hahn im Hunsrück interessiert dich also: Seit 2009 befinden sich knapp 83 Prozent in Besitz des Landes Rheinland-Pfalz, rund 17 Prozent gehören dem Land Hessen. Übernommen wurde der Flughafen, weil die Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, aktuell sucht man nach einem privaten Investor.“

„Das habe ich heute Nacht selber recherchiert.“ Kaltenbach runzelte die Stirn. „Was mich aber viel mehr interessiert: Was weißt du über den Tod von Rudolf Manderscheid?“

Täuschte er sich, oder zuckte ein Nerv in ihrem Gesicht, als er den Namen ihres toten Mandanten nannte?

„Was willst du hören?“, fragte sie schließlich und atmete hörbar aus.

„Die ganze Geschichte.“ Kaltenbach trank von seinem Kaffee.

„Manderscheid kam zu mir, weil er einen Umweltskandal witterte. Natürlich hat er sich auch an die Verbandsgemeinde gewandt, doch die haben ihn wohl nicht so unterstützt, wie er sich das gewünscht hatte.“

„Wegen der Arbeitsplätze und der Gewerbesteuer, die der Hahn bringt“, kommentierte Kaltenbach. „Immer die gleiche Leier.“

Sabine nickte und fuhr fort: „Also suchte er sich professionelle Hilfe. Ich ließ Gewässer- und Bodenproben entnehmen und habe Gutachten von Sachverständigen erstellen lassen, die sich nicht erpressen ließen. Das Ergebnis war niederschmetternd: Im Wasser, das der Flughafen in die umliegenden Bäche einleitet, befanden sich krebserregende Stoffe.“

„Das erklärt wohl auch die toten Fische.“

„Richtig“, bestätigte Sabine.

„Wer ist dieser Rudolf Manderscheid?“

„Er war ein Bauunternehmer und sehr umweltbewusst“, erläuterte Sabine.

Kaltenbach lachte auf. „Ist das nicht ein Widerspruch in sich?“

„Nein, finde ich nicht. Er wohnte in Enkirch und machte sich Sorgen um die Gesundheit seiner Mitbürger, deshalb war er sehr engagiert. Seine Kritiker bezeichneten ihn als streitsüchtig und als Querkopf.“

„Und so hast du dich ihm angenommen“, schmunzelte Kaltenbach und stellte die leere Kaffeetasse ab.

„Das ist mein Job“, nickte Sabine. „Und es kam Manderscheid nicht auf den Preis an – ihm war es wichtig, gegen den Hahn anzustinken.“

„Dazu kam es aber nicht mehr, nehme ich an?“

„Leider nicht. Man fand Rudolf Manderscheid tot im Ahringstal. Er lag kopfüber am Rauschkümpel im Bach und ist ertrunken.“

„Und das soll Mord gewesen sein? Könnte er nicht genauso gut gestürzt sein?“

„Ja, wäre da nicht die Kugel, die ihm die Lunge zerfetzt hat“, entgegnete Sabine.

„Aber ein Mord zieht im Normalfall doch die Ermittlungen der Polizei nach sich – oder wie war das damals?“

„Natürlich hat sich die Kripo eingeschaltet. Aber nach dem Mörder von Rudolf Manderscheid sucht man wohl heute noch. Eine tragische Sache, ein ungeklärter Mordfall, und ich blieb natürlich auf meinen Kosten sitzen.“

Kaltenbach schüttelte in gespielter Empörung den Kopf. „Dass ihr Weiber nur an die Kohle denkt“, rügte er die alte Freundin und fing sich prompt einen freundschaftlichen Knuff in die Seite ein. Er beschloss, Reuschenbach zu dem Fall zu befragen. Sollte dieser Manderscheid keine Feinde gehabt haben, dann lag es auf der Hand, dass man ihn aus dem Weg geräumt hatte, weil er unbequem geworden war. So wie Gerber.

„Mord und Totschlag im Auftrag eines Flughafens?“ Er konnte es nicht glauben. „Die müssen ihre Schotten doch eh bald dicht machen, wenn auf dem Hahn kein Wunder mehr passiert.“

Sabine schüttelte den Kopf. „In diesem Jahr verzeichnete man zwar 13 Prozent weniger Fluggäste als im letzten Jahr, dafür stieg der Frachtverkehr um 70 Prozent an. Trotzdem hat man das letzte Geschäftsjahr mit einem Minus von 11 Millionen Euro abgeschlossen.“

Kaltenbach pfiff durch die Zähne. „Die stehen mit dem Rücken an der Wand.“

„Und vergeuden Steuergelder – so werfen es ihnen die Kritiker vor.“

„Wie peinlich wäre es, wenn die Betreiber – beide Länderregierungen also – einen bankrotten Flughafen übernehmen, um ihn dann mit einem Minus in zweistelliger Millionenhöhe aufzugeben?“

„Einem Privatunternehmen hätte man wohl mit Insolvenzverschleppung gedroht“, erwiderte Sabine.

Langsam wurde Kaltenbach die Tragweite des Falles bewusst. Hier ging es nicht nur um verseuchtes Trinkwasser und um einen ermordeten Ortsbürgermeister – hier stand das Ansehen von zwei Bundesländern auf dem Spiel. Ein bankrotter Flughafen als Prestige-Objekt? Schwer vorzustellen, aber der Verdacht drängte sich Kaltenbach auf. Doch griff die Regierung auch zu mafiösen Mitteln, um sich in Schadensbegrenzung zu üben?

„Spätestens in fünf Jahren soll der Flughafen dann aber Gewinne erwirtschaften.“

„Welch frohe Botschaft für die Steuerzahler in Rheinland-Pfalz und Hessen“, brummte Kaltenbach sarkastisch. „Ich habe da aber noch etwas anderes, das mich interessiert.“ Er berichtete Sabine von den toten Fischen im Ahringsbach und von dem Mord an Gerber. Auch von der seltsamen Verfolgung und dem nächtlichen Anruf berichtete er seiner Freundin.

„Das ist eine heiße Nummer“, räumte Sabine schließlich ein. „Wenn du mich fragst – bleib am Ball!“

Mit dieser Antwort hatte Kaltenbach am wenigsten gerechnet. Alle hatten ihm empfohlen, die Finger von der Geschichte zu lassen, und nun empfahl ihm seine alte Freundin Sabine Wellershoff das genaue Gegenteil.

Als sie sein überraschtes Gesicht sah, musste sie lachen.

„Würdest du dich abhalten lassen, wenn ich dich warnen würde?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß, dass du ein Draufgänger bist, Kaltenbach. Daran hat auch Berlin nichts geändert. Du wirst dich wohl nie ändern.“

Kaltenbach musste schmunzeln. „Wahrscheinlich hast du recht.“

„Also – wie gehen wir vor?“

„Wir?“ Kaltenbach glaubte, sich verhört zu haben.

„Na klar, oder glaubst du, ich lasse dich alleine ins offene Messer laufen?“

„Das ist ja nett gemeint, aber ich kann mir eine Privatdetektivin beim besten Willen nicht leisten.“

Sabine schenkte ihm einen weiteren koketten Augenaufschlag und machte einen Kussmund. „Hallo, Herr Reporter – über den Preis werden wir uns ganz sicher einig.“

Kaltenbach erhob sich eilig. „Dank dir für das Angebot, aber es ist noch zu früh, schwere Geschütze aufzufahren. Aber ich verspreche dir, auf dein Angebot zurückzukommen, sollte es in den nächsten Tagen nötig werden.“

„Ruf mich an, wenn ich dir irgendwie helfen kann.“ Sie drückte ihm eine Karte in die Hand.

„Versprochen.“

Sabines Lächeln wirkte gequält, als sie ihn zur Tür brachte. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu hauchen, errötete Kaltenbach, dann fand er sich im kühlen Treppenhaus wieder.

Koblenz-Altstadt, 10.10 Uhr

Simon Dietz hyperventilierte, als Kaltenbach die Redaktion betrat. Hatte Kaltenbach ihn gestern als blass und unscheinbar kennengelernt, so erinnerte ihn der junge Kollege heute an eine Sparausgabe von Prangenberg. Wenn er so weitermachte, würde er sicherlich eines Tages ein würdiger Nachfolger für Scrat werden, dachte Kaltenbach grinsend. Er marschierte geradewegs auf seinen Schreibtisch zu, als er eine Hand auf seinem Unterarm spürte. Er blieb stehen und wandte sich um.

Mellie war wie ein Geist aus der Kaffeeküche erschienen und blickte besorgt zu ihm auf. „Hier ist die Kacke am Dampfen“, zischte sie leise und pustete in ihre Tasse.

„Macht euch nicht verrückt, jetzt bin ich ja hier“, entgegnete Kaltenbach grinsend, doch sein Humor kam bei der jungen Kollegin nicht an.

„Es hat einen Toten gegeben – in Enkirch. Du musst sofort los!“

„Wer sagt das?“

„Na, ich!“ Mellie wirkte empört. Über ihrer Nasenwurzel hatte sich eine steile Falte gebildet, und in diesem Augenblick wirkte sie um Jahre reifer und erwachsener als noch gestern, fand Kaltenbach. „Es ist deine Story, und wenn sich da unten was tut, musst du los!“

Kaltenbach ließ sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen. Er hob beschwichtigend die Hände. „Nun mal langsam mit den jungen Hühnern.“ Er zog sie an seinen Schreibtisch und blickte über den Monitor hinüber zu Dietz, der telefonierte. Kaltenbach zog Mellie einen Stuhl heran und sank dann selber auf seinen Bürostuhl. „Also“, sagte er gedehnt. „Dann mal los. Tu mir einen Gefallen und sprich langsam und deutlich – ich bin ein alter Mann.“

Sie ging nicht auf seinen Scherz ein. „Der Tote gehörte der Abwasserbehörde der Verbandsgemeinde an.“

„Moment“, ging Kaltenbach dazwischen. „Soll das heißen, dass dieses kleine Nest eine eigene Abwasserbehörde hat?“

„Behörde nun nicht gleich – es handelt sich dabei um einen zum Labor umgebauten Bürocontainer. Die Blechkiste hat man unweit des Moselufers aufgestellt.“ Mellie lachte auf. „Wenn du mich fragst, haben die diese Augenwischerei betrieben, um die Enkircher in Sicherheit zu wiegen.“

„Um die bedenkenlosen Messergebnisse der Landesbehörden zu bestätigen, nehme ich an?“

„Offiziell schon. Aber da ist irgendwas faul, Bernd, das spüre ich.“ Mellie stellte ihre dampfende Tasse auf seinem Tisch ab und zuckte die Schultern. „Aber was weiß ich? Wenn wir es ketzerisch betrachten, dann könnte man annehmen, dass im Enkircher Labor andere Messergebnisse herauskamen als in der Landesbehörde und niemand davon erfahren sollte.“

„Und deshalb musste der Leiter des Labors sterben?“ Kaltenbach schob die Unterlippe vor. „Eigentlich bin ich ja für alles offen, aber ich glaube, da lehnen wir uns doch etwas weit aus dem Fenster, oder nicht?“

„Es ist deine Geschichte, und ich wollte dich nur über die aktuellen Entwicklungen informieren“, schmollte Mellie.

„Wie ist der gute Mann denn ums Leben gekommen?“, fragte Kaltenbach versöhnlich.

„Der Container ist heute Morgen in die Luft geflogen, als er ihn betreten hat.“

„Explodiert? Das klingt nach einem ziemlich spektakulären Anschlag.“ Kaltenbach wurde unruhig. An der Mosel stank etwas zum Himmel, und es wurde Zeit, dass er loskam.

Kaltenbach erhob sich. „Wie alt ist die Meldung?“

„Eine gute Stunde.“ Mellie blickte ihren Kollegen verwundert an, als er sich von seinem Schreibtisch erhob. „Was hast du vor?“

„Na was wohl?“ Kaltenbach zuckte die Schultern. „Ich fahre los und mach mir ein Bild. Und sollte es tatsächlich eine Geschichte hinter der Geschichte geben, maile ich sie euch heute noch rüber – versprochen!“

„Ich dachte, ich komme mit.“ Sie erhob sich ebenfalls und strich den dünnen Stoff ihres leichten Baumwollrockes glatt.

„Falsch gedacht, sorry.“

Kaltenbach schüttelte ab und deutete auf Dietz, der immer noch telefonierte und sichtlich nervös mit der Mine seines Kugelschreibers tickerte. „Dein Ressortleiter würde mich köpfen, wenn ich dich mitschleppe, Mellie, nichts für ungut.“

Die junge Redakteurin war sichtlich gekränkt, dass er sie auch heute nicht mitnahm. Dennoch nickte sie verständnisvoll. „Na gut“, murmelte sie mit einem gequälten Lächeln. „Dann halt ich hier den Laden hoch und werde Dietz bespaßen – sicherlich auch kein Zuckerschlecken bei seiner Laune.“

„Du packst das schon“, munterte Kaltenbach sie auf, dann stand er im kühlen Treppenhaus und atmete tief durch.