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Die Ladentür wurde genau in dem Moment geöffnet, als Millicent Bridewell den silbrig schimmernden Hummer aufziehen wollte. Die neueste Kreation aus ihrer Werkstatt war exquisit, vollendet in allen Einzelheiten bis hin zu den beweglichen Scheren. Es fehlte noch die Energie, sie musste in die Augen geleitet werden. Der letzte Schritt des Herstellungsprozesses war ein zusätzliches Angebot, das nur für ganz spezielle Kunden vorgesehen war. Das erhöhte den Preis natürlich.
Sie zog den Schlüssel heraus und steckte ihn in ihre Tasche. Der Kunde, der sich Mr. Newton nannte, betrat den Laden und brachte eine Flut verstörender Energie mit sich.
»Mrs. Bridewell, ich möchte noch mehr dieser Raritäten bestellen«, sagte er mit seiner leisen, seltsam heiseren Stimme. »Sie müssen aber sehr stark sein.«
Alles an Mr. Newton, von seiner feinen Kleidung bis zu seiner Taschenuhr, verriet, dass er Geld hatte. Eigentlich sollte er vornehm wirken, dachte Mrs. Bridewell, und Respekt einflößen. Stattdessen machte er einen merkwürdig unscheinbaren Eindruck, dem eines Butlers ähnlicher als dem eines Gentlemans. Mr. Newton war nicht groß, hatte schütteres aschblondes Haar und einen nichtssagenden Gesichtsausdruck – er war ein außergewöhnlich unauffälliger Mann, den man auf der Straße keines zweiten Blickes würdigte.
Da Newton inzwischen mehrere ihrer speziellen Raritäten erworben hatte, meldete sich Millicents Unbehagen sehr stark. Im Allgemeinen setzte sich ihre Kundschaft aus verzweifelten Ehefrauen und ungeduldigen Erben zusammen, die es vorzogen, eine ihrer Kuriositäten nur zu mieten, da sie diese nur ein einziges Mal einzusetzen beabsichtigten. Waren der schwierige Ehegespons oder der langlebige reiche Verwandte aus dem Weg geräumt, hatten die Kunden es sehr eilig, das Spielzeug wieder zurückzubringen. Die den Geräten innewohnende Kraft machte die meisten Kunden nervös. So schön sie waren, waren diese »Spielzeuge« nicht von der Art, wie man sie in der Bibliothek oder im Salon zur Schau stellte, wo diensteifrige Hausmädchen, wohlmeinende Gäste oder Kinder sie vielleicht aufzuziehen versuchten.
Aber Newton war anders als ihre übrigen Kunden. Er hatte noch keines ihrer kleinen Kunstwerke zurückgebracht, trotz ihrer Versicherung, sie würde ihm in diesem Fall einen Teil des Geldes zurückerstatten. Wie Newton ihre Geschöpfe einsetzte, kümmerte sie nicht, sie stellte ihren Kunden keine Fragen. Was ihr bei Newton Sorgen machte, war die Tatsache, dass er sie viel zu oft einsetzte. Wurde er unvorsichtig, bestand die Gefahr, dass die Polizei über ihr profitables kleines Nebengeschäft stolperte. Dabei machte ihr die Polizei nicht halb so viel Kopfzerbrechen wie die neue Ermittlungsagentur von Arcane. Gerüchte besagten, dass Jones & Jones sich auf die Aufklärung von Verbrechen paranormaler Natur spezialisiert hatte. Die Agentur hatte zwar ihrer Meinung nach kein Recht, sich in die Privatangelegenheiten jener einzumischen, die zufällig über ein wenig Talent verfügten, trotzdem wollte sie keinen Ärger. Die Jones waren ein gefährliches Gespann.
»Mr. Newton, ich habe im Moment keine Raritäten vorrätig«, sagte Millicent und machte sich hinter dem Ladentisch zu schaffen. Es war ihr lieber, zwischen sich und dem Kunden etwas räumliche Distanz zu wahren. »Ich dachte, ich hätte schon gesagt, dass ich nur auf Bestellung anfertige. Es braucht seine Zeit, bis die Energie vom Glas absorbiert wird.«
»Ja, ja, ich weiß. Sie müssen sich sofort an die Arbeit machen. Ich habe es eilig.«
Sie räusperte sich diskret. »Darf ich fragen, ob es Probleme mit den anderen Kuriositäten gab, die Sie kauften?«
»Nein, nein, sie arbeiteten wie versprochen. Aber sie müssten stärker sein. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich die angestrebte Wirkung erst erzielen kann, wenn ich einige Apparate gleichzeitig einsetze.«
Millicent Bridewell zögerte. Die traurige Wahrheit war, dass ihre Kunst Geld verschlang, sehr viel Geld. Nie reichten ihre finanziellen Mittel aus. Die zur Herstellung dieser Dinge nötigen edlen Materialien waren kostspielig. Viele Kunden konnten die Miete der Automaten kaum aufbringen. Newton aber akzeptierte ihre Preise. Kunden, die nicht zu feilschen versuchten, waren selten und daher von unschätzbarem Wert.
»Ich denke, ich könnte in drei Tagen etwas für Sie haben«, sagte sie schließlich.
»Ausgezeichnet. Aber denken Sie daran, das Ding mit so viel Energie wie nur möglich auszustatten.«
»Ich will sehen, was sich machen lässt«, sagte sie geschäftsmäßig. »Aber ich brauche die ganze Summe im Voraus.«
Mr. Newton schien wenig erfreut, erhob jedoch keine Einwände. »Also gut.«
Sie zeigte auf die verschiedenen ausgestellten Raritäten. »Suchen Sie sich eines aus, das ich dann mit mehr Kraft versehen werde.«
»Fangen wir mit der Königin an«, sagte Mr. Newton. »Sie eignet sich hervorragend für meine Zwecke.«