10
Irgendwo war Luke ein eklatanter Fehler unterlaufen. Frauen, die ein Kind geboren hatten, konnten keine Jungfrauen mehr sein. Das war völlig ausgeschlossen, und das was er geglaubt hatte zu spüren, musste einen anderen Grund gehabt haben.
Oder, und der Gedanke beschämte ihn, seine Wunschvorstellungen hatten die Oberhand gewonnen. Der erste Mann im Leben einer Frau zu sein, nein, der erste Mann im Leben seiner Frau zu sein, war eine verdammt machohafte Wunschvorstellung.
Aber Melissa hatte so süß und unschuldig auf ihn reagiert, dass sich diese Vermutung einfach in sein Wunschdenken geschlichen hatte. Ihre Erfahrung war wirklich keiner Erwähnung wert. Was ihn zu der Annahme verleitete, dass der kleine Johnny aus einer einmaligen Sache entstanden war. Und in so einem Fall konnte es vielleicht sein, dass die Nacht mit ihm, erst Melissas zweites Liebeserlebnis war. Vielleicht war sie ja noch gar nicht vollständig entjungfert gewesen, und er hatte das in der letzten Nacht vollendet, was ein anderer nur angefangen hatte.
Aber er wollte sich nicht nur auf Vermutungen verlassen, wenn das bedeutete, dass er Melissa womöglich ein weiteres Mal wehtun könnte. Auch wenn sie sich nicht beschwert hatte, war der Verlust ihres mädchenhaften Zustandes mit Sicherheit unangenehm für sie.
Zum Glück hatte er sie nicht soweit verschreckt, dass sie seinen Küssen am Morgen entfliehen wollte. Aber ob eine andere Aktion von ihm genauso erfolgreich gewesen wäre, konnte er leider nicht sagen, da das Baby sein Recht verlangte, bevor er weitergehen konnte.
Es war ein wenig verrückt und auch beschämend, aber er war tatsächlich ein klein wenig eifersüchtig auf den Kleinen. Schließlich durfte er sich mit einem Teil von Melissa befassen, der ihm gerade verwehrt war.
Noch ein Thema, über das er mit dem Doc reden musste. War der Widerstand normal, den er gespürt hatte, und konnte er Melissas Brüste liebkosen, solange sie noch das Baby stillte? Darüber musste Flemming doch etwas wissen.
Natürlich hätte er auch direkt seine Frau fragen können, was sie dabei empfand, wenn er sich ihr widmete. Aber da sie schon zu Anfang die Befürchtung geäußert hatte, sie könnte etwas nicht richtig machen, wollte er sie mit seinen Fragen nicht in eine Richtung drängen, der sie körperlich nicht gewachsen sein könnte.
Flemming war der Schlüssel zu seinen Fragen. Der Doktor musste über diese Dinge einfach Bescheid wissen. Schließlich hatte er ihn auch darüber informiert, dass jede Frau ein Baby stillen konnte, wenn die Mutter ausfiel. Oder zumindest eine Frau, die noch nicht zu alt war, eigene Kinder zu bekommen. Wenn er über so ein ausgefallenes Wissen verfügte, dann kannte er sicher noch andere verborgene Vorgänge des weiblichen Körpers.
Von diesem Wissen wollte Luke profitieren. Und darum hatte er sich heute am späten Vormittag auf den Weg in die Stadt gemacht. Natürlich nicht, ohne vorher einen seiner Männer dazu zu verdonnern, in der Nähe des Haupthauses zu bleiben, falls Melissa etwas brauchte.
Dass er für diese Aufgabe ausgerechnet auf Hank zurückgreifen musste, war verdammtes Pech. Aber der hoffnungslose Schürzenjäger wusste ganz genau, dass er sich sein eigenes Grab schaufeln konnte, wenn er es wagte, Melissa zu nahe zu kommen.
Die Hoffnung, den Doc beim Mittagessen anzutreffen erfüllte sich nicht. Luke musste eine geschlagene Stunde auf der Veranda vor dessen Haus warten, bis Flemming endlich mit seiner Arzttasche in der Hand auftauchte.
„Donavan“, grüßte der wenig begeistert und schloss seine Haustüre auf. „Doch etwas eingefangen, was nicht in die Öffentlichkeit gehört“, fragte er, sich auf ein früheres Gespräch beziehend.
„Es schmeichelt Ihren medizinischen Kenntnissen nicht, wenn Sie gesunden Leuten eine Krankheit andichten wollen“, passte sich Luke gesprächstechnisch an den Arzt an, als er ihm folgte und die Tür hinter sich schloss.
Flemming ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er behielt seine grobe Ausdrucksweise bei.
„Noch eine andere Frau, der Sie ein Kind gemacht haben, Donavan?“
Jetzt war es an Luke, die Worte des Doktors zu ignorieren.
„Ihr Wissen als Arzt ist gefragt, Doc.“
„Auf diese Idee wäre ich sicher auch noch gekommen. Also, was fehlt Ihnen?“, stellte der Doc seine Tasche ab und ließ sich in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen. „Potenzschwierigkeiten?“, stichelte er.
Luke überging auch diesen Einwurf und formulierte die Frage, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Und das seit er sich in der vergangenen Nacht mit Melissa vereint hatte.
„Wird eine Frau, die ein Kind geboren hat, medizinisch gesehen wieder zur Jungfrau?“
Es gab wirklich nicht viel, was einem Arzt in Ausübung seines Berufes unterkam. Aber Lukes Frage hatte für ihn nichts mit Medizin zu tun. Vielmehr war die Frage in Flemmings Augen nur pervers.
„Sie sind krank, Donavan!“
Mit diesem Satz hatte er eigentlich schon alles gesagt, was es zu dem Thema zu sagen gab. Aber damit keine Unklarheiten aufkamen, machte er noch deutlicher, was er von der Frage des Ranchers hielt.
„Kein Wunder, dass Sie bisher nicht verheiratet waren, Donavan. Wenn Sie nur eine Jungfrau für Ihr Vergnügen wollen, haben Sie nicht lang Freude an den Damen. Ein Pech nur, dass dieses Mädchen gleich schwanger geworden ist. Aber was einmal genommen wurde, wird auch durch eine Geburt nicht wieder repariert.“
Flemming hätte den Rancher am liebsten hinausgeworfen. Und sein Verdacht, dass Donavan ein rücksichtsloser Mistkerl war, wenn es um Frauen ging, bestätigte sich für ihn.
„Wenn das alles ist, was Sie von einer Frau wollen, dann brauchen Sie einen Seelenklempner und keinen Allgemeinarzt. Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen. Außer mit einer Kugel in ihr krankes Hirn.“
Flemming nahm kein Blatt vor den Mund. Warum auch, wenn er es mit so einem kranken Schwein zu tun hatte. Die angeblich anständigsten Typen haben ja meist nicht alle Würfel im Becher. Und er würde diese kranken Ansichten nicht noch damit unterstützen, dass er Rede und Antwort stand.
Luke hatte so das Gefühl, dass seine Frage nicht gut angekommen war. Und vielleicht hatte er die Sache auch ganz falsch angegangen. Wenn er Melissa verletzt hatte, oder es ihr an Erfahrung mangelte, dann sollte er sie vielleicht direkt fragen. Auch wenn es ihm vielleicht nicht gefiel, was sie an ihm störte, aber bevor er sie verletzte, war es besser Melissa bestimmen zu lassen.
* * *
Melissa hatte Johnny in seinem Körbchen auf der Veranda in den Schatten gestellt. Es war so ein schöner sonniger Tag, und sie war sich sicher, dass die frische Luft dem Baby guttun würde.
Nur wenige Schritte vom Haupthaus entfernt, auf der Seite, die dem Pferdestall zugewandt war, hatte sie zwei Stangen entdeckt, zwischen denen ein Seil gespannt war. Falls diese Konstruktion keine Wäscheleine darstellen sollte, dann würde Melissa sie dafür jetzt umfunktionieren.
Sie hatte einige Sachen gewaschen, die sie in ihrer Tasche mitgeführt hatte, und auch Johnnys Windeln würden nicht unbegrenzt halten, wenn sie sich nicht um dessen Reinigung kümmerte.
Nachdem Luke am Morgen Lebensmittel hatte bringen lassen, war Melissa erst einmal damit beschäftigt, diese einzuräumen und sich mit der Ausstattung der Küche vertraut zu machen. Erst danach hatte sie sich daran gemacht, die Wäsche einzuweichen. Luke hatte inzwischen für irgendeine wichtige Besorgung in der Stadt das Haus verlassen, und sie selbst wurde bald davon in ihrer Arbeit unterbrochen, dass sich Johnny zu Wort meldete.
Sich mit dem kleinen Kerl zu beschäftigen, lenkte Melissa eine ganze Zeit lang von ihrer begonnen Aufgabe ab. Da das Baby nun schon ein klein wenig länger wach blieb, als nur für eine frische Windel und eine Mahlzeit, konnte sie erst nach geraumer Zeit mit dem Waschen fortfahren.
Es war sehr ruhig, da Johnny nach dem Stillen und ein paar kleinen Spielchen, wieder eingeschlafen war. Und auch sonst rührte sich nicht viel. Außer einem Cowboy, der im Pferdestall verschwunden war, hatte sie schon geraume Zeit niemanden mehr gesehen, was sie vermuten ließ, dass die Arbeit der anderen Cowboys sich nicht direkt auf der Ranch abspielte.
Melissa rechnete damit, dass ihre Wäsche bis zum Abend trocknen würde, auch wenn es mittlerweile früher Nachmittag war. Aber der sonnige Tag versprach in dieser Hinsicht gute Aussichten, und so fuhr sie mit der Aufgabe fort, die sie sich selbst gestellt hatte. Alles auf die Leine zu hängen würde sie auch nicht daran hindern, weiter ein Auge auf Johnny zu werfen. Der Kleine war nah genug, dort auf der Veranda, dass sie ihn hören konnte, wenn er aufwachen sollte und zu weinen begann.
Dass sie bei ihrer Arbeit vor sich hin summte, war ein Grund dafür, dass sie die drei Reiter nicht bemerkte, die sich in ihrem Rücken dem Ranchhaus näherten. Sie sah sie erst näherkommen, als sie mit dem leeren Korb, in dem sie die Wäsche transportiert hatte, zurück zum Haus gehen wollte.
„Na sieh mal einer an“, spottete einer der Reiter von seinem Pferd herunter, als er dieses nur wenige Meter von Melissa entfernt zum Stehen brachte. „Wenn das nicht das rothaarige Fohlen ist, dem wir seit Wochen hinterher jagen.“
Melissa lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Sie kannte zwar den Mann nicht, der sie gerade ansprach, dafür erkannte sie aber ein anderes Gesicht in der kleinen Gruppe der Ankömmlinge.
„Ist sie dass, Boss?“, fragte der zweite Unbekannte, der sich nicht nur auf die Haarfarbe verlassen wollte, um die richtige Person zu identifizieren.
„Darauf kannst du dein Pferd verwetten, Joe.“
Melissa hatte nichts zu verwetten, und sie brauchte auch von niemanden eine Bestätigung. Sie erkannte Richard Banks auch so. Aber bevor sie sich soweit erholt hatte, dass sie in Panik hätte ausbrechen können, kam bereits eine Stimme aus einer anderen Richtung.
„Ich denke, die Herren möchten sich hier nicht aufhalten.“
Hank war aus der Scheune gekommen und hielt demonstrativ ein Gewehr in der Hand, das zeigen sollte, dass dieser Hinweis eine ernstzunehmende Aufforderung sein sollte. Der Fehler des Cowboys bestand nur darin, besagtes Gewehr nicht schussbereit auf die drei Reiter zu richten. Und die Gelegenheit, diesen Fehler zu korrigieren bekam er nicht. Ein Schuss in den Oberkörper streckte ihn nieder und betäubte zudem auch noch seinen Arm. Dass er so keine Gefahr mehr darstellte reichte dem Schützen, um nicht weiter auf den Verletzten zu achten. Und diesen kleinen Zwischenfall lastete man zusätzlich Melissa an.
„Dummer Fehler, Mädchen, sehr dummer Fehler“, klangen Banks erste Worte an Melissa schon fast nach Güte. „Warum ziehst du denn diesen armen Cowboy mit in eine Sache, die wir so sauber zwischen uns hätten regeln können?“
Melissa schwieg, sie war geschockt, wie schnell Banks Männer ihre Waffen gezogen hatten. Und sie wollte nichts tun, um diese Waffen auf sich gerichtet zu sehen. Wie hatte Banks sie gefunden? Und warum hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht? Wusste er nicht, dass ein einfaches Hausmädchen aus einem Bordell ihm nicht gefährlich werden konnte?
„Du hättest mir eine Menge Ärger erspart, wenn du genauso wie die Huren, in dem Bordell verbrannt wärst.“
Dass Banks ihr übel nahm, dass sie noch lebte, ihr sogar die Schuld dafür gab, dass er Unannehmlichkeiten hatte, zeigte schon, wie krank der Mann war. Krank genug, um sie ohne mit der Wimper zu zucken umzubringen. Aber wenn sie schon sterben musste, dann nicht, ohne Banks seine Verbrechen vorzuwerfen.
„Verbrannt?“, fragte sie mit mehr Mut, als wirklich durch ihre Adern ran. „Die Mädchen sind nicht verbrannt. Feuer macht keine hässlichen Würgemale bevor es sich durch ein Gebäude frisst.“
Der Vorwurf kümmerte Banks nicht. Er sah sich durch ihre Worte in einer Annahme nur bestätigt.
„Wusste ich doch, dass du etwas gesehen hast, was niemand sehen sollte. Pech für dich, aber dein Verlust wird genauso wenig irgendjemanden kümmern, wie der Tod all dieser Huren.“
Sie umzubringen war also schon beschlossene Sache. War es wohl schon seit dem Augenblick, in dem Banks sie aus dem brennenden Haus kommen sah. Melissa betete, dass Johnny weiterschlief und dieses Monster nicht auf ihn aufmerksam wurde. Trotzdem wollte sie seine Beweggründe verstehen, und wenn er aussprach, was er getan hatte, würde das vielleicht die letzte vernünftige Stelle in seinem Wesen ansprechen.
„Kitty hat wirklich gedacht, Sie würden sich etwas aus ihr machen. Und Ihr Baby hätte einen Vater verdient“, sprach Melissa Banks ins Gewissen.
„Mein Baby? Hat sie das erzählt? Glaubst du wirklich ich würde eine dieser Bordellschwalben schwängern?“, er lachte ehrlich amüsiert.
„Aber Sie waren ihr Stammkunde“, widersprach Melissa.
„Und zig andere Männer auch. Und ich bin nicht so dumm, eine dieser Nutten zu besteigen, wenn ich sie damit schwängern könnte. Mein Vergnügen war es, sie mit ihrem dicken Bauch zu nehmen.“
Melissa wurde übel. Aber sie konnte dennoch nicht aufhören, alle seine Beweggründe zu erfahren.
„Das war doch noch lange kein Grund dafür, dass Kitty, Johnny und alle anderen sterben sollten. Sie haben nichts verbrochen.“
Banks spuckte auf den Boden. Das weinerliche Getue ging ihm auf die Nerven. Wozu ein solches Aufheben wegen dieser Schlampe. Sie hatte ihm nicht einmal besonders gefallen, solange sie noch rank und schlank war. Wäre sie nicht äußerst geschickt mit ihrem Mund gewesen, hätte er sich keine Minute lang in ihrer Gegenwart aufgehalten. Dass sie ihre immer üppiger werdende Figur dann mit einer Schwangerschaft erklärt hatte, hatte ihn entzückt. Er war regelrecht besessen von ihrem ständig wachsenden Bauch. Ein Pech nur, dass Schwangerschaften nicht anhielten. Das nahm er ihr wirklich übel, wo ihn ihr Zustand so erregt hatte.
„Ohne ihren Bauch war sie für mich wertlos“, gab Banks verärgert zu. „Und damit herumzuprahlen, dass sie einen einflussreichen Gönner hatte, hätte sie sich besser gespart. Meinem Dad hat es nämlich gar nicht gefallen, dass sein Name mit einer Nutte in einem Atemzug geäußert wurde. Mein ach so fürsorglicher alter Herr hat mich zur Schnecke gemacht, und dazu verdonnert, diese Sache aus der Welt zu schaffen. Du siehst also, diese dumme Pute ist ganz alleine für ihr Schicksal verantwortlich.“
„Aber die anderen haben doch nichts getan“, begehrte Melissa noch einmal auf, und meinte damit auch sich selbst.
„Wenn man ein Hornissennest ausräuchert, sollte man alle Tiere vernichten. Sonst kommt eines zurück und sticht dich in den Rücken“, gab einer der anderen Reiter bereitwillig Auskunft. Dass sich sein Revolver dabei auf Melissa richtete, zeigte eindeutig, dass diese Metapher auf sie abzielte.
Banks ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf seinen Mann, der bereit war, auf das Mädchen zu schießen, das zwischen ihm und dem Abschluss der Forderung seines Vaters stand. Darum sah er auch nicht, dass die Waffe des anderen auf ihn zeigte. Dafür nahm er für einen Sekundenbruchteil die Peitsche wahr, die wie aus dem Nichts hervorschnellte und sich um das Handgelenk des ersten Schützen wickelte. Der Schuss, der sich dabei löste schlug in den Boden ein, während Banks von einer anderen Kugel getroffen von Pferd stürzte.
„Eine falsche Bewegung, Jungs, und ihr genießt die gleiche Aussicht, wie euer Boss“, erklang Lukes eiskalte Stimme.
Er hatte sich den Reitern von der Seite genähert, und sah sich gezwungen, seine Rinderpeitsche zum Einsatz zubringen, um Melissa davor zu bewahren, erschossen zu werden. Dass einer der Kerle auf seinen eigenen Boss zielte, war die beste Gelegenheit, die er kriegen konnte, solange er nicht alle auf einmal ausschalten konnte. Und jetzt löste er seine Peitsche von dem Gelenk seines Gegners und wickelte diese in aller Seelenruhe wieder zusammen, während er sich den Männern entgegen stellte.
Dass man sie nur mit einer Peitsche um ihren Auftrag bringen wollte, brachte die Fremden zum Lachen.
„Sie hätten sich nicht einmischen sollen, Mister. Jetzt gehören Sie auch zu denen, die wir ausschalten müssen.“
„Das glaube ich nicht, Leute“, widersprach Luke unbeeindruckt. „Auf euch dürften inzwischen ein gutes Dutzend Gewehre zielen. Aber wenn ihr euer Glück versuchen wollt, bitte. Ich habe kein Problem damit, dem Sheriff anstatt lebender Gefangener, ein paar tote Mörder zu übergeben.“
„Wir haben Ihrer Kleinen doch gar nichts getan“, schwenkte einer in dieser Situation sofort von seinem Kurs ab. Er hatte aus dem Augenwinkel einige Cowboys entdeckt, die mit gezogenen Schusswaffen näherkamen.
„Seltsam, Jungs“, blieb Luke fast freundlich, auch wenn die Kälte in seiner Stimme einen Ozean hätte einfrieren können. „Wenn jemand eine Waffe auf meine Frau richtet, dann sehe ich das als Mordversuch an.“
„War nicht unsere Idee. Banks ist der Drahtzieher“, behauptete der, der seinen Auftraggeber ohne mit der Wimper zu zucken erschossen hatte.
Luke war nicht so dumm, diese Behauptung zu schlucken.
„Scheint ein seltsamer Job zu sein, wenn sich der Boss dabei gleich mit umbringen lässt.“
„Der da war nicht unser Boss, Mister. Der Kerl hat ja nicht mal alle Kerzen im Leuchter.“
„Hatte“, korrigierte Luke diese Verteidigungsrede trocken.
„Von mir aus“, stimmte der Sprecher zu. „Aber der Typ hatte wirklich nicht mehr alle beisammen. Wir wollten nur dafür sorgen, dass diese Aktion zu einem sauberen Abschluss kommt.“
„Mit sauber meint ihr wohl keine Zeugen“, vermutete Luke ganz richtig. „Pech, Jungs, eure Zeugen haben sich in den letzten Minuten verzehnfacht.“
Diese Aussicht hörte sich nicht rosig an. Aber einen Deal konnte man vielleicht doch noch einfädeln.
„Was halten Sie davon, Mister, wenn wir die ganze Sache einfach vergessen? Das erspart uns allen eine Menge Unannehmlichkeiten.“
„Ich habe keine Unannehmlichkeiten.“
„Würde ich aber so nicht sagen, Mister“, lächelte der Sprecher der beiden Ganoven boshaft. „Eine Hure als Frau zu haben, wirft kein blütenreines Licht auf den anständigen Ruf eines Mannes.“
Luke befürchtete, dass diese Beschuldigung Melissa traf. Aber er sah sich nicht nach ihr um, als er seine Entgegnung formulierte.
„Ich gebe nichts auf die Meinung anderer. Meine Frau ist niemanden Rechenschaft über ihr Leben schuldig. Weder mir, noch euch, noch einem anderen.“
Damit sah Luke das Gespräch als beendet an. Er schnippe mit den Fingern, und wenige Augenblicke später begannen seine Cowboys, die mittlerweile mit ihren Schießeisen in Hörweite warteten, schon damit, die Eindringlinge dingfest zu machen und ihren verletzten Freund zu versorgen. Lukes Priorität lag, oder besser gesagt stand, in einer anderen Richtung. Er musste sich um Melissa kümmern, die vor Schock über die Geschehnisse auf ihrem Platz regelrecht erstarrt war.
Aber bevor er sich ihr widmen konnte, fiel ihm noch etwas ein, dem er auf den Grund gehen musste. Er wandte sich erneut an die Männer, die hier absolut nichts zu suchen hatten.
„Wer bezahlt euch für eure Dienste?“
Die Frage war klar, doch die Antwort sagte ihm persönlich nichts. Er kannte keinen Senator Banks, aber es war ihm wichtig, den Drahtzieher mit Namen zu kennen. Und wenn noch einmal jemand einen Anschlag auf seine Frau verüben wollte, wusste er, wen er dafür verantwortlich zu machen hatte.
Den Schuss zu hören, als er schon in Sichtweite der Ranch war, hatte ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen. Und es hatte ihn selbst erstaunt, wie cool er damit umgegangen war, dass jemand Melissa bedrohte. Einen Teil des Gespräches mitanzuhören, hatte ihm in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet.
Er hatte seine süße Frau wirklich in der letzten Nacht entjungfert, da Johnny ganz offensichtlich nicht ihr Sohn war. Das hatte er zumindest ihren Worten entnommen. Und alles andere, was zu dieser Situation geführt hatte, würde sie ihm sicher dann erzählen, wenn sie sich von dieser Bedrohung auf ihr Leben erholt hatte. Aber er würde sie nicht drängen, da unschwer zu erkennen war, dass die vergangenen Ereignisse ein Trauma für sie waren. Und nicht nur für sie, wie er sich eingestehen musste.
Auf Melissa zuzugehen brachte ihn noch nicht so weit, sie auch in den Arm zu nehmen. Sie wollte es nicht zulassen, bevor sie sich nicht gegen die Vorwürfe der Männer verteidigt hatte.
„Es ist nicht wahr, Luke“, rang sie ihre zitternden Hände. „Glaub mir, Luke, ich bin keine Hure.“
Warum sie gerade diese Aussage kommentieren musste, wusste Luke nicht. Aber er vermutete, dass es sie davon abhielt, auf den Toten am Boden zu blicken, und daran zu denken, wie knapp sie demselben Schicksal entgangen war.
Wenn sie also jetzt mit seinen Leuten als Zeugen darüber sprechen wollte, sollte sie das mit seinem Segen ruhig tun. Vielleicht würde es sie ja aus ihrem Schockzustand befreien, wenn er sie ein wenig anstachelte.
„Nicht? Schade! Es hätte mir gefallen, wenn du diese schüchterne Jungfrauennummer jede Nacht gespielt hättest.“
Irgendein Idiot lachte unterdrückt, aber Luke überhörte es. Er blickte in Melissas verwirrte Augen und baute die Geschichte noch ein bisschen aus.
„Dann muss ich mich wohl daran gewöhnen, dass du nur das mit mir machst, was ich dir vorher beigebracht habe.“
Jetzt wurde das Lachen nicht mehr unterdrückt, und Luke rechnete damit, dass wieder einmal einer seinen Senf dazugeben würde. Eine Annahme, mit der er richtig lag.
„Hey, Boss, passen Sie bloß auf, dass Sie keinen Fehler dabei machen. Das kommt nämlich alles zu Ihnen zurück.“
„Na, das hoffe ich doch“, scherzte Luke.
„Luke?“
Melissa verstand weder seine, noch die Heiterkeit der Cowboys. Die Unsicherheit, die sie spürte, wollte einfach nicht weichen. Zumindest solange nicht, bis Luke ihren Widerstand überwand, und sie in seine Arme riss.
„Lass dich nie wieder von einer Waffe bedrohen, Melissa“, befahl er ihr grob, um seiner mühsam unterdrückte Angst um sie herzuwerden. Und dann folgte schon der nächste Befehl, um diese Wort wieder vergessen zu machen. „Und jetzt küss mich endlich, Süße.“
Luke wartete nicht darauf, dass Melissa dieser Aufforderung nachkam, sondern senkte seinen Mund selbst auf ihre Lippen. Das Johlen und die Pfiffe der Cowboys störten die beiden nicht, die nur mit sich selbst beschäftigt waren.