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Micky Jefferson hatte keinen besonderen Grund, ausgerechnet nach Grahamswill zu reiten. Außer vielleicht den einen, dass es dort mehr als einen Salon und ein Bordell gab. In Little Creek seinen Schnaps im Gemischtwarenladen trinken zu müssen, wo ältliche Matronen mit säuerlichen Blicken nicht sparten, war wenig erhebend. Und Grahamswill war die Stadt, die seinem derzeitigen oder eher vergangenen Aufenthaltsort am nächsten lag.
Durch die Hauptstraße der Stadt zu reiten zeigte schon, wo Micky an diesem Nachmittag auf seine Kosten kommen würde. Nur aus einem Salon drangen bereits Stimmen und ein etwas zu schrilles Lachen.
Auch wenn sein letzter Job auf der Ranch von Luke Donavan nicht sehr lange gedauert hatte, blieb ihm von diesem Zwischenspiel doch genügend Geld, um sich ein paar Drinks zu genehmigen. Und eine vergnügliche Stunde mit einer der Huren, war sicher auch drin.
Sich am Nachmittag schon in einem Salon einzufinden störte hier niemanden. Grahamswill war in dieser Beziehung ein wenig offener, als das spießige Little Creek. Aber die Meinung der Leute hätte Micky sowieso nicht gekümmert. Was gab er schon darauf, was Fremde von ihm hielten. Wer was gegen ihn hatte, sollte sich gefälligst auf die andere Straßenseite scheren.
Den ersten Whisky kippte er in einem Zug hinunter, kaum dass der Barkeeper ihm sein Glas gefüllt hatte. Den zweiten Drink hielt er nur in der Hand, während er sich mit dem Rücken an den Tresen lehnte und den Blick über den Gastraum schweifen ließ.
Zwar war an einem der wenig besetzten Tische ein Kartenspiel im Gange, aber Micky war an dieser Art der Unterhaltung im Moment nicht interessiert. Er würde sich erst ein wenig Spaß bei einer der Huren suchen, bevor er den Rest seines Geldes bei einem Spiel riskierte. Schließlich musste man ja gewisse Prioritäten setzten, wenn man mit dieser Art Unterhaltung eine Weile nichts zu tun gehabt hatte.
Seine Priorität lag bei einer üppigen Schwarzhaarigen, deren Kleid bei den örtlichen Damen nicht einmal als Unterrock durchgegangen wäre. Aber Micky kam diese spärliche Bekleidung entgegen.
Der zweite Drink war damit der Auftakt zu einer anderen Art der Entspannung. Und so folgte Micky dem Salonmädchen in das obere Stockwerk, wo sie ihrem Gewerbe nachging. Er war nicht in Eile, und bezahlte deshalb gleich noch für eine zusätzliche Stunde mit dem Mädchen.
Bis er das Schlafzimmer wieder verließ, um im Gastraum der Kneipe einen weiteren Drink zu sich zu nehmen, hatte sich dieser schon gefüllt. Der Geräuschpegel war deutlich erhöht, lauter, und der Umgangston rauer. Und die Mädchen, die mit den Gästen schäkerten, brauchten sich nicht großartig anzustrengen, damit ihnen ein Drink ausgegeben wurde.
Micky hatte eben erst sein Vergnügen gehabt, und auch sein Durst nach Whisky hielt sich in Grenzen. Darum sah er sich eher nach anderer Unterhaltung um. Irgendein sinnloses Gespräch, um die Zeit totzuschlagen, oder ein kleines Kartenspiel vielleicht.
Am Tresen der Bar konnte er sich über seine Möglichkeiten schlau machen. Denn von dort aus überblickte man nicht nur die Tische, und sah was für Spiele die Männer fesselten, sondern es war auch die erste Anlaufstelle der eintreffenden Männer, um ihren Frust zu ertränken.
Natürlich kamen auch einige, die sich an dieser Stelle einen armen Kerl suchten, mit dem sie Streit anfangen konnten. Aber es gab selbstverständlich auch ganz gesittete Unterhaltungen über den täglichen Arbeitsablauf. Und es war durchaus möglich, dass man hier von dem einen oder andern Rancher hörte, der einen Cowboy suchte. Nicht das Micky einem Job hinterher gejagt wäre, wie einer ausgebüchsten Kuh, aber wenn ihm etwas in den Schoß fiel, würde er sich darüber nicht beschweren.
In Grahamswill schienen die Farmer allerdings nur ein erschöpfendes Thema zu kennen; Regen. Micky kam es vor, als ob fast jeder in der Bar damit beschäftigt war, ihn herbeizureden. Wer nicht darüber stöhnte, dass es im Frühjahr zu wenig geregnet hatte, fiel vollkommen aus dem Rahmen.
Ganz offensichtlich waren in Grahamswill die guten alten Salongeschichten über Schlägereien und leichte Mädchen gerade Nebensache. Micky wünschte fast, er hätte sich eine andere Stadt ausgesucht, um sich ein wenig dem Vergnügen hinzugeben. Und hätte er nicht schon ein paar Stunden im Bett einer Hure verbracht, wäre ihm der Rest des Tages sicher übel aufgestoßen.
Aber zu seinem Glück hörte er dann doch noch ein Gespräch, das sich ganz offensichtlich über das weibliche Geschlecht drehte, und nicht nur über trockene Felder und ausbleibenden Regen. Und diesem Gespräch wollte er sich nur zu gerne anschließen, wenn er eine Möglichkeit fand, ein Wort einzuwerfen.
„Wie sieht‘s aus, Joe?“, fragte ein dunkelhaariger schlanker Kerl mit Oberlippenbart einen, der sich gerade zu einer Zweiergruppe gesellt hatte. „Hast du die Schlampe gefunden, die ich dir beschrieben habe?“
„Fehlanzeige, Boss. Hier in der Stadt bevorzugen die Männer ganz offensichtlich den rassigen Typ. Alle mit schwarzem Haar, kaum eine Blondine dabei.“
„Mist! Hast du gefragt, ob sie einen anderen Typ anbieten?“
Der Gefragte grinste.
„Nicht nur gefragt, Boss. Hab sogar für eine kleine Extravorführung bezahlt, bei der ich eine der Huren persönlich ausfragen konnte.“
Der Boss war wütend.
„Ich will diese Rothaarige, verdammt noch mal. Und wir werden sie kaum finden, wenn du deine und vor allem meine Zeit damit verschwendest, in sämtlichen Bordellen Stammkunde zu werden.“
Der zweite Mann schaltete sich ein.
„Vielleicht hat sie dieses Geschäft ja aufgegeben, und wir finden sie darum nicht.“
„Das ist aber unser einziger Anhaltspunkt, du Armleuchter.“
„Dann müssen wir eben in den etwas ausgefalleneren Etablissements suchen, Boss. Die Masse der Männer steht nicht auf Rothaarige mit Sommersprossen.“
Micky, der zwar aufmerksam, aber nicht wirklich interessiert der Unterhaltung zugehört hatte, lachte in sich hinein. Die Meinung der Männer war nicht wirklich von der Hand zu weisen, vor allem wenn er an seinen ehemaligen Boss dachte. Donavan gehörte ganz eindeutig nicht zu der Masse der Männer, und er hatte sich eine Rothaarige von Benson auf die Ranch bringen lassen.
Das Lachen, das Micky so unbeschwert von sich gab, lenkte die Aufmerksamkeit der Dreiergruppe auf ihn. Und es versprach kein freundschaftliches Kennenlernen zu werden. Niemand mochte es, wenn seine privaten Gespräche belauscht wurden.
„Hast du irgendetwas zu sagen?“, klang diese Frage nach einer offenen Drohung.
„Nur dass eure Einschätzung stimmt, Freunde. Nur Männer, die sich nicht zur Masse zählen, stehen auf Rothaarige. Der Mistkerl, der sich mein Boss nannte, hat sich eine Rothaarige zugelegt. Hab gerade daran denken müssen, als ich eure Unterhaltung hörte.“
Ein vernichtender Blick traf Micky.
„Mir scheiß egal, ob dein Boss zu Hause ein rothaariges Hausmütterchen hat. Wir suchen eine Hure, die in einem Bordell arbeitet.“
„Ex-Boss“, korrigierte Micky, um mit dem Mann, der ihm eine gehörige Abreibung verpasst hatte, bevor er ihn vor die Tür setzte, nicht auf eine Stufe gestellt zu wurden.
„Muss ein talentiertes kleines Luder sein, wenn ihr extra nach ihr sucht“, meinte Micky interessiert. „Hat sie ein paar verruchte Extras in ihrem Programm, oder bedient sie gleich mehrere Männer auf einmal?“ Die Vorstellung erregte ihn.
„Sehr talentiert“, behauptete der Boss der Gruppe wachsam. „Ihre Spezialität ist es, die sittsame Maid zu spielen. Da kann sich ein Mann einbilden, er hätte gerade ein unschuldiges Mädchen aus gutem Hause verführt.“
„Sagt bloß!“, kam Micky bei dieser Information ein Gedanke. „Macht die vielleicht auch Hausbesuche, wo sich jeder Mann in ihr Zimmer schleichen kann?“
Mickys Phantasie kam nicht nur bei ihm selbst gut an. Auch wenn es bei den Dreien nicht um den amourösen Aspekt dieser Möglichkeit ging. Mickys Idee zeigte, dass es für diese Überlegung einen Hintergrund geben musste.
„Du hast wohl schon mal an so etwas teilgenommen. Oder wenn ich es mir recht überlege, dann klingen deine Worte eher nach einer Vermutung“, spekulierte der, der vorher als Joe angesprochen worden war.
„Verdammt Scheiße!“, fluchte Micky, ohne auf die Frage direkt einzugehen. „Nur ein Tag länger auf der Ranch, und ich wäre bei der rothaarigen Schlampe auch dran gekommen.“
Die Drei brauchten gar keine Fragen zu stellen, um von Micky alles zu erfahren, was der zu wissen glaubte. Er berichtete nur zu gerne davon, wie gerade in dem Moment, als er auf dem Boden lag, eine junge rothaarige Frau auf die Ranch gebracht wurde. Dass er den Einsatz einer Hure so knapp verpasst hatte, ärgerte ihn unwahrscheinlich.