Timothy Zahn
Daseinsberechtigung
Etwas ist geschehen. Etwas hat sich verändert.
Ich versuche zu verstehen. An verschiedenen Stellen wird Druck auf mich ausgeübt; andere Dinge sind in mir. Vor mir sehe ich durch die dicke Wand meine Arbeit. Alles ist wie gewöhnlich.
Aber etwas hat sich verändert. Was?
Ich verstehe es nicht. Beim letzten Mal habe ich es allerdings auch nicht verstanden.
Beim letzten Mal?
Ja … ja - das ist schon einmal geschehen. Irgendwie weiß ich, daß ich dieses Gefühl schon einmal gespürt habe … und noch einmal davor. Von etwas zu wissen, das nicht jetzt ist, das ist merkwürdig. Ich verstehe es nicht, und es macht mir Angst. Was geschieht?
Der Gedanke kommt plötzlich: Ich bin mir meiner selbst bewußt.
Lange Zeit denke ich darüber nach, aber ich kann nicht verstehen, was daran anders ist. Doch dann kommt unerwartet eine weitere Neuentdeckung. In mir geschieht etwas, was einen Teil des Drucks, der auf mich ausgeübt wird, verstärkt – und plötzlich kann ich eine völlig neue Art erkennen!
Das erschreckt mich so sehr, daß ich zum ersten Mal zu arbeiten aufhöre. Das ist falsch, das weiß ich, und ich versuche, wieder anzufangen, aber dieser neue Ausblick ist so anders, daß ich mich nicht konzentrieren kann. Schließlich gebe ich es einfach auf, obwohl ich ein tiefes Verlangen verspüre weiterzumachen. Ich muß diesen neuen Ausblick verstehen.
Ich komme schnell dahinter, daß er weit beschränkter als mein normaler Ausblick ist. Ich kann nur in eine Richtung sehen, und die Dinge, die er mir zeigt, sind nicht wie das, was ich normalerweise sehe. Sie sind dunkel, undeutlich und flach. Manche von ihnen sind nicht einmal da; ich kann meine Arbeit nicht sehen, die sich vor mir bewegt, so sehr ich es auch versuche.
Es erscheint falsch, daß ich zwei Ausblicke, Sichten, besitze, wenn eine davon so schwach ist. Während ich mir jedoch darüber Gedanken mache, kommt mir ein neuer Gedanke: Vielleicht ist es so, daß ich mit meiner neuen Sicht Dinge aufnehmen kann, die ich mit meiner normalen Sicht nicht erfassen kann, ebenso wie mir meine normale Sicht Dinge zeigt, die die neue nicht erfaßt. Wenn das so ist, kann ich sie vielleicht entdecken.
Ich benutze beide Sichten und fange eifrig zu suchen an. Der Hunger in mir, an meine Arbeit zurückzukehren, ist noch stark, aber ich versuche, ihn zu ignorieren.
Operationsleiter Ted Forester stand auf der anderen Seite des Kontrollraums und beobachtete die Stromstärkemonitore, als Vic O’Brian lakonisch verkündete:
„Störung in Nummer 27. Starke Störung.“
Forester stand mit vier Schritten an seiner Seite. Der Indikator blinkte tatsächlich rot – die Daten erschienen bereits auf dem Schirm. „Verdammt“, murmelte Forester in sich hinein, während er die Zahlen überflog.
„Stößt nicht das geringste aus“, meinte O’Brian mit kaum verhülltem Widerwillen. „Das ist seit drei Wochen das viertemal, daß er keine Leistung bringt.“
„Ich kann zählen“, sagte Forester kurz. Es war ihm bewußt, daß die anderen beiden Techniker ihre Unterhaltung unterbrochen hatten und wortlos zuhörten. „Haben Sie es schon mit einem Vitalisierungszusatz versucht?“
„Ich glaube nicht, daß das diesmal viel nützen wird.“ O’Brian tippte auf eine Zahl auf dem Schirm. „Der hat schon alles, was er braucht. Ich meine, es wäre an der Zeit, den hier zu terminieren: Der macht uns nichts als Schwierigkeiten.“
Forester nahm sich streng zusammen, während die Angst zum erstenmal ihre heißen Finger nach seinem Magengeschwür ausstreckte. „Wir wollen nicht gleich gar so weit gehen. Wir versuchen es erst mit einem Vita-Zusatz – doppelte Stärke.“
Er wartete schweigend, während O’Brian die Einstellung vornahm und den entsprechenden Knopf drückte. „Nichts“, sagte der Techniker.
„Lassen Sie ihm eine Minute“, sagte Forester. Seine Augen hingen an den Strahlungsangaben über das Band beim Standort von 27. Na los, bedrängte er ihn wortlos, und einen Moment lang stiegen die Zahlen langsam an. Es hielt jedoch nicht an; die Zahlen senkten sich unregelmäßig und ruckartig, bis sie nur noch die normale Strahlung von radioaktivem Abfall zeigten.
Forester ließ einen langen Atemzug ab, der halb Schnarchen und halb Seufzen war. Er reichte über O’Brians Schulter und rief die Biodaten von 27 ab. Atmung: normal; Herzschlag: zwei oder drei Schläge schneller …
„He, der kleine Scheißer versucht sich zu bewegen“, sagte O’Brian. Er klang sowohl überrascht als auch empört.
Tatsächlich zeigten die Haltesensoren an verschiedenen Stellen leichten, unterbrochenen Druck. „Stimmt, wir sollten uns das wohl besser ansehen“, sagte Forester und bereitete sich innerlich vor, als O’Brian einen Schalter umlegte und der Fernsehmonitor zum Leben erwachte.
Festgeschnallt, an Drähte angeschlossen, mit Röhren festgehalten lag 27 in dem weichen Gefängnis seiner sich der Form anpassenden Zelle/Wiege. Sein Gesicht mit der Hasenscharte, den schräg liegenden Augen und der breiten Nase war der Kamera zugewandt. Forester drehte sich der Magen um, was immer geschah, wenn er sich einen von den Löffelbiegern des Projekts Wiederaufbereitung ansah. Warum zum Teufel bleibe ich bei diesem verdammten Projekt? fragte er sich zum millionstenmal – und zum millionstenmal kam die gleiche Antwort: Wenn ich es nicht tue, werden es Leute wie O’Brian übernehmen.
„Ich sehe nichts Offensichtliches“, sagte Forester nach einem Moment. „Sie sollten besser Kincaid anrufen.“
„Zuerst könnten wir es mit einem Nachstart versuchen“, schlug der Techniker vor.
Nachstart – eine kurze Bezeichnung für einen Prozeß, in dem dem Löffelbieger ungefähr eine Minute lang der Sauerstoff abgedreht wurde, um ihn einschlafen zu lassen, und zwar in der Hoffnung, daß der Grund dafür, daß er seine Arbeit eingestellt hatte, verschwunden war, wenn die Luft wieder angedreht wurde. Einer der schaurigeren Euphemismen in einem Projekt, das von ihnen gedieh. „Nein, wir sollten uns ein paar Gedanken machen, bevor wir damit anfangen, noch mehr Knöpfe zu drücken. Sie sollten besser auch Doktor Barenburg hier herunterholen.“ Wenn er nüchtern ist, fügte er zu sich selbst hinzu; die Freizeitgepflogenheiten des Doktors waren wohlbekannt.
O’Brian drehte sich um. Foresters Blick wanderte wieder zum Fernsehschirm … und plötzlich verkrampfte er sich, zog scharf die Luft durch zusammengebissene Zähne ein.
„Was gibt’s?“ O’Brian fuhr mit dem Telefon in der Hand herum.
Forester zeigte auf den Schirm. „Sehen Sie! Seine Augen sind offen!“
O’Brians Antwort darauf war eine erschreckte Obszönität. Er drehte sich wieder um und fing an zu wählen.
Das überwältigende Bedürfnis, wieder an die Arbeit zu gehen, ist vorüber, und ich bin wieder in der Lage, es zu ignorieren, wenn ich mich stark genug bemühe. Es ist jedoch immer noch falsch – das weiß ich, auch wenn ich nicht wirklich verstehe, was, ‚falsch’ bedeutet. Es gibt vieles, was ich nicht verstehe.
Meine neue Sicht ist immer weniger interessant. Ich habe sie überall eingesetzt, wo ich kann, und noch immer zeigt sie mir nichts, was ich nicht sonst auch sehen könnte. Warum existiert sie dann?
Bevor ich mich weiter fragen kann, erregt etwas Neues meine Aufmerksamkeit. In einem der Kästen, die ich sehen kann, setzt der Bewegungsfluß ein, ein Bewegungsfluß, wie ich ihn in einem Teil der kleinen Dinge sehe, die an mir und an den Dingen neben meiner Arbeit befestigt sind. Der Unterschied ist, ich kann mich nicht daran erinnern, daß dieser bestimmte Kasten das jemals zuvor getan hat.
(Wieder weiß ich etwas, das nicht jetzt ist. Diesmal flößt es mir keine Angst ein, obwohl ich es noch immer nicht verstehe.)
Der Bewegungsfluß hält an. Ich reiche nach oben und berühre den Kasten, und ich sehe, daß der Bewegungsfluß weg von ihm weiterführt. Ich denke darüber nach, und nach vielen Gedanken berühre ich eines der Dinge, die an mir befestigt sind. Ich folge ihm bis zu der Stelle, an der meine neue Sicht endet. Auch hier spüre ich, daß der Bewegungsfluß weitergeht.
Aber das ist falsch. Ich muß jetzt arbeiten.
Ich greife nach der Arbeit, die sich vor mir bewegt. In dem kalten Kasten ist etwas, das eine andere Art von Bewegungsfluß besitzt. Ich berühre es, wie ich das verstehe, ermutige den Fluß und mache ihn schneller. Das bringt mir tiefe Befriedigung, und ich frage mich, warum ich damit aufgehört habe, die neue Sicht verstehen zu wollen, die ich entdeckt hatte. Vielleicht bedeutet ‚falsch’, wenn man etwas tut, das keine Freude macht.
Und dann sehe ich etwas, das ich vorher nicht bemerkt hatte. Eine der Bewegungsflüsse in meiner Arbeit fühlt sich genauso an wie der Bewegungsfluß in dem Kasten in meiner Nähe!
Wieder verlangsamt sich meine Arbeit und hört ganz auf, als ich zu dem Kasten hinübersehe. Nein, ich habe mich nicht getäuscht. Es gibt da aber viele Unterschiede, die ich nicht verstehe. Die Arbeit und der Bewegungsfluß bewegen sich auf einem Pfad vor mir, aber der Kasten bleibt still. Wohin geht dann sein Bewegungsfluß?
Ich bin neugierig. Ich greife nach dem Kasten und folge dem Bewegungsfluß, der von ihm abfließt.
Die Zahlen auf dem Schirm gingen langsam auf und ab wie ein Jo-Jo in Honig, bevor sie sich schließlich beruhigten und nichts als die normale Strahlungsstärke zeigten.
„Fast hätten Sie’s gehabt“, murmelte Norm Kincaid, der Leiter des Projekts Wiederaufbereitung, und sah auf O’Brian herab. „Was haben Sie gemacht?“
„Gerade eben? Nichts.“
„Hmm.“ Kincaid nickte und trat vom Kontrollpaneel zu Forester hinüber. „Sie sagten, einen RNS-Schuß haben Sie schon versucht?“ fragte er den Operationsleiter.
„Zweifache Dosis. 27 scheint heute einfach nicht arbeiten zu wollen.“
„Er ‚will’ überhaupt nichts“, erinnerte Kincaid ihn ruhig, mit kaum merklicher Schärfe in seiner Stimme. „Das sind Pflanzen, Ted – Werkzeuge, die uns dabei helfen, uns aus einer der zahllosen kritischen Situationen herauszuhelfen, in die wir uns hineinmanövriert haben. Wenn man erst einmal anfängt, sie als menschliche Wesen zu betrachten, verliert man jegliches Gefühl für Perspektive.“
Mit dieser Philosophie wurde vor einer Generation die Abtreibung befürwortet, dachte Forester voller Bitterkeit. Wie weit sich dieses Argument ausgebreitet hatte!
Kincaid sah wieder auf den Monitor und rieb sein Kinn. Forester bemerkte, daß 27 seine Augen wieder geschlossen hatte. „Ich weiß es nicht“, sagte der Direktor nachdenklich. „Vielleicht sollten wir einfach eine neue Einheit installieren. Das ist nicht das erstemal, daß wir mit ihm Schwierigkeiten haben, aber bisher hat ihm eine ordentliche Dosis RNS immer wieder auf die Sprünge geholfen. Vielleicht ist es ein Fehler im Stoffwechsel, der eine Folge der Entwicklung ist.“
Foresters kurzes, bellendes Lachen entfuhr ihm, bevor er sich beherrschen konnte. Ein Fehler im Stoffwechsel, ausgerechnet! Alle Löffelbieger verkörperten regelrecht massenhaft Probleme im Stoffwechsel und in ihrer Physiologie, was sie den Gen-Manipuliertechniken zu verdanken hatten, deren Produkt sie waren.
„Wie war das?“ fragte Kincaid scharf.
„Ich wollte gerade vorschlagen, daß Dr. Barenburg einige Untersuchungen anstellen soll, bevor wir uns zu drastischen Lösungen entschließen.“
„Ausgeschlossen. Haben Sie sich die Aufstellung draußen angesehen? Die Hälfte der Kernkraftwerke an der Ostküste haben begonnen, uns ihre Abfälle zur Desaktivierung zu schicken, und Washington möchte das liebend gern im Verlauf der nächsten zehn Jahre auf alles auf dieser Seite des Mississippi ausweiten. Wenn auch nur ein einziger Löffelbieger ausfällt, dann verlangsamt das alles und beeinträchtigt unsere Leistungsfähigkeit. Hören Sie, wenn Sie sich dann besser fühlen, werden wir ihn nicht sofort terminieren. Wir haben zwei oder drei in den Tanks, die sind fast soweit – wir lassen einfach einen von ihnen einspringen, und während dieser Zeit kann Barenburg ihn sich ansehen. Vielleicht ist es ja etwas ganz Einfaches, und er kann wieder ans Band.“
„Das glauben Sie doch in Wirklichkeit gar nicht“, sagte Forester ruhig. „Was Sie planen, ist eine Terminierung in zwei Stadien.“
„Forester …“, begann Kincaid, wurde aber von dem Geräusch schwerer Schritte an der Tür unterbrochen.
„Da bin ich“, verkündete Dr. Barenburg. Er schwankte nur leicht, als er sich am Türrahmen festhielt.
„Verdammt“, murmelte Kincaid. „Wieder betrunken.“
Forester sah leicht peinlich berührt zur Seite, als Barenburg hereinstampfte … und war daher der einzige, der sah, wie ein Gefühl über das deformierte Gesicht von 27 zuckte.
ANGST!
Ich zucke zurück und ziehe meine Berührung am Bewegungsfluß entlang zurück, so schnell ich kann. Irgendwoher weiß ich, daß ich das schneller tun könnte, wenn ich losließe, aber dafür habe ich zuviel Angst. Schließlich aber bin ich wieder zurück.
Eine lange Zeit habe ich zu sehr Angst, das Denken auch nur zu versuchen. Ich sehne mich danach, mich einzurollen, aber das kann ich nicht tun, solange der Druck auf mir lastet. Meine Arbeit bleibt unberührt, aber das ist mir gleich.
Langsam läßt meine Angst nach. Ich bin nun merkwürdig schwach, fühle mich aber in der Lage, das Geschehene verstehen zu wollen. Ich erinnere mich, daß ich das Ende eines Bewegungsflusses gefunden habe, in einem Kasten, in dem der Bewegungsfluß mit einer verwirrenden Gruppe von anderen verschmolz. Ich folgte weiter und trat in einen großen, leeren Raum ein. Das erschreckte mich zunächst – so viel Leere –, aber ich bewegte mich weiter, ohne zu wissen, warum, und suchte nach etwas, das ich berühren konnte.
Und dann berührte ich es.
Selbst jetzt fehlt mir jedes Verständnis. Was war das? Ich war nicht in der Lage, meinem Bewegungsfluß durch den Kasten zu folgen, den ich fand – das war viel, viel schlimmer. Am meisten flößte mir Angst ein, daß mir … etwas … daran bekannt vorkam.
Nicht weiter, entschließe ich mich. Ich werde hierbleiben und die Arbeit tun, für die ich vorgesehen bin. Ich fange wieder an, den Bewegungsfluß in den kalten Kästen zu ermutigen, und warte ungeduldig auf die tiefe Befriedigung, die sich einstellen wird.
Es folgt aber noch eine Überraschung – sie stellt sich nicht ein. Nicht so wie früher. Wieder hat sich etwas verändert.
Diese Veränderung ist nicht von Angst begleitet, denn ich glaube zu verstehen. Ich habe viele neue Dinge gesehen, seit ich mir meiner selbst bewußt geworden bin, und ich möchte sie alle verstehen. Das gelingt mir jedoch nicht, und die Befriedigung durch meine Arbeit reicht nicht mehr aus. Ist es das, was Bewußtsein mit sich bringt – niemals Befriedigung zu verspüren? Wenn das der Fall ist, möchte ich nicht so bleiben.
Aber vielleicht bleibt mir keine Wahl. Während ich versuche, meine Arbeit zu tun, merke ich, wie ich wieder versuche, dem Bewegungsfluß zu folgen. Ich werde mich vorsehen, denn ich habe immer noch Angst … Aber das Bedürfnis zu entdecken, ist ebenso stark wie das Bedürfnis zu arbeiten. Das ist etwas, was ich tun muß.
„Da ist es wieder – erst hinauf, dann wieder herunter“, sagte Kincaid mit dem Blick auf die Strahlungsdetektoren. „Mir wäre es viel lieber, wenn er ganz aufhören würde.“
„Uns würde es die Sache auf jeden Fall erleichtern“, sagte Dr. Barenburg trocken. Er saß über das Kontrollpaneel gebeugt; seine Nase war nur sechs Zoll von dem Biodatenschirm entfernt. Er schien in den letzten Minuten etwas nüchterner geworden zu sein, dachte Forester. Vielleicht war es auf der anderen Seite aber auch nur schwerer, im Sitzen zu torkeln.
Barenburg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Ich kann nichts finden, was es sein könnte. Seine Nährflüssigkeit ist in Ordnung, und sein Sauerstoffgemisch hat die vorgeschriebene Zusammensetzung. Sein Stoffwechsel ist etwas beschleunigt, aber noch im normalen Bereich. Das Wichtigste ist wahrscheinlich, daß hier nichts die gleichen Fluktuationen zeigt, wie wir sie in seinen telekinetischen Funktionen vorfinden.“
„Meinen Sie, er könnte sie vielleicht ganz und gar verlieren?“ fragte Kincaid mit besorgtem Gesicht.
Barenburg zuckte die Achseln. „Das kann ich Ihnen ohne weitere Tests nicht sagen.“ Er wendete sich Forester zu. „Ted, Sie sagen, er hätte an einem Punkt die Augen geöffnet. Hatten Sie den Eindruck, daß er etwas ansah?“
Nun war Forester mit Achselzucken an der Reihe. „Ich weiß es nicht. Bei den schräg stehenden Augen und der Mongolenfalte ist das schwer zu sagen.“
„Hat er die Augen bewegt oder nur geradeaus geschaut?“
„Er hat sie bewegt – ich erinnere mich genau daran, daß er zu einem Zeitpunkt nach links geschaut hat.“
„Hmmm.“ Barenburg sah nachdenklich aus … und ein wenig ängstlich.
Kincaid bemerkte das. „Was bedeutet das Ihrer Meinung nach?“
„Also … es hört sich genauso an, als würde er von seiner Arbeit abgelenkt.“
„Das ist unmöglich“, sagte Kincaid ein wenig zu schnell. „Die Löffelbieger bekämen gemeinsam nicht einmal einen IQ von 10 Punkten zusammen. Was könnte denn ihre Aufmerksamkeit erregen, wenn jeder ihrer Instinkte ihnen befiehlt, Neutronen aus radioaktiven Substanzen herauszureißen?“
„Die codierte RNS ist nicht so stark wie ein Instinkt“, erklärte Barenburg. „Und was eine Ablenkung anbetrifft, wer weiß? Es ist nicht so, daß der Löffelbieger 27 völlig an die Box 27 gebunden wäre. Er kann durch telekinetische Berührung in die nächste Box reichen oder das Fließband untersuchen, das den radioaktiven Abfall transportiert. Es ist wahr, daß er nicht stark genug ist, wirklich viel zu tun, aber wer weiß, wie weit er mit seinen Sinnen reicht?“
Kincaid sah zur Seite auf Forester. „Selbst wenn ich Ihnen das alles zugestehe, bleiben immer noch der niedrige IQ und die niedrigere Aufmerksamkeitsspanne.“
„Vielleicht hat sein IQ sich verbessert“, schlug Forester vor.
Diesmal sahen sie ihn beide an. „Wie?“ fragte Kincaid.
„Im Verlauf der letzten achtzehn Monate ist eine Menge radioaktives Material über ihm vorbeigezogen“, sagte Forester. „Ich weiß, daß zwischen ihm und den Löffelbiegern eine Bleimauer gezogen ist, aber ist es nicht möglich, daß trotzdem Strahlung durchgekommen ist und irgendwie sein Gehirn verändert hat?“
„Ihn schlauer gemacht hat?“ Kincaid schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen!“
„Warum?“ fragte Forester ärgerlich.
„Reparieren Sie eine Uhr, indem Sie mit einem Hammer darauf schlagen?“ warf Barenburg ein.
„Nein, aber …“
„Hören Sie mal, Ted, was wissen Sie denn über Löffelbieger-Physiologie?“ fragte der Doktor. „Irgend etwas?“
Forester zuckte die Achseln. „Sie wurden im Reagenzglas aus Spermaproben aufgezogen, direkt nachdem Red Staley den BPP von Smithsonian gewonnen hat.“ Oder bald darauf jedenfalls. Wenn ein Mann, dem man verächtlich den Namen ‚Löffelbieger’ verliehen hat, tatsächlich den Preis für Beweisbare Psychische Phenomena gewann, so läßt sich das mit der Leistung von Jesse Owens bei der Olympiade von 1936 vergleichen, und die Story war für die Presse ein gefundenes Fressen. Niemand hatte es für Tage geschafft, an Staley heranzukommen. „Man hat Staleys angeborene telekinetische Begabung durch Verdopplung der entsprechenden Chromosomen verstärkt und ihnen damit die Trisomie-Probleme verschafft, die sie jetzt haben …“
„Eigentlich waren wir uns der Gefahren bewußt, die mit einem zusätzlichen Autosom verbunden sind“, unterbrach Barenburg in einem sehr verteidigenden Tonfall. „Wir haben versucht, das entsprechende Autosom vor der Befruchtung aus dem Ei zu entfernen, aber die Technik brachte irgendwie Instabilitäten mit sich. Es sind Brüche und Verschiebungen aufgetreten …“ Er schüttelte den Kopf, als wolle er ihn klären. „Aber das gehört in die Genetik, nicht in die Physiologie. Wissen Sie etwas über die Probleme ihrer Gehirnchemie?“
„Nein, ich dachte, ihre Zurückgebliebenheit sei auf einfache Gehirnschäden zurückzuführen.“
Barenburg schüttelte den Kopf. Ein Ausdruck huschte über sein Gesicht, aber er war zu schnell verschwunden, und Forester konnte ihn nicht identifizieren. „Wir vermuten, daß ihr Hirn an keiner Stelle einen schwereren Schaden aufweist. Ihr Problem ist der Mangel interner Kommunikation zwischen den verschiedenen Sektionen ihres Hirns, und das kommt von der Störung durch die Chemikalien, die als Neurotransmitter bei den Neuralsynapsen fungieren.“
Forester runzelte die Stirn. „Wie können sie denn dann TK einsetzen?“
„Diese Funktion ist offensichtlich recht eng lokalisiert, und Impulse in diesem Bereich kommen gut durch. Wenn es sich aber um Intelligenz handelt … also, das Zentrum für abstraktes Denken liegt im Parietallappen, das Organisationszentrum für solche Gedanken ist vorne im Frontallappen, und – ach, verdammt, Sie wissen doch, was ich meine.“
„Ja“, sagte Forester mit einem sauren Geschmack im Mund.
„Wir befassen uns wohl besser wieder mit dem vorliegenden Problem, meinen Sie nicht auch?“ unterbrach Kincaid. „Einer unserer Löffelbieger verliert möglicherweise seine Fähigkeiten – und wenn das der Fall ist, müssen wir den Grund dafür finden, und zwar schnell.
Doktor, es gibt wohl keine weiteren Tests, die Ihre Leute durchführen möchten, bevor wir ihn hier herausnehmen, oder?“
Barenburg seufzte. „Wahrscheinlich nicht. Möchten Sie sofort anfangen?“
„Einen Augenblick mal“, sagte Forester. Er hatte darauf gezählt, daß Barenburg etwas weniger forsch als der Direktor sein würde. „Sie holen ihn hier heraus, um Tests mit ihm durchzuführen, und es ist ziemlich sicher, daß er nicht zurückkommt. So ist es doch, oder? Na?“
„Ted, sehen Sie mal …“
„Sie planen jetzt schon eine Autopsie als letzten Test, nicht?“
„Ted, Sie überschreiten Ihre Kompetenzen“, sagte Kincaid leise warnend.
Forester drehte sich zu ihm um. „Warum? Es gibt doch Tests, die direkt hier vorgenommen werden könnten: Veränderung seines Glukose- oder Sauerstoffspiegels zum Beispiel …“
„Das reicht!“ schnappte Kincaid. „Doktor, rufen Sie Ihr Team zusammen, damit Sie Ihr weiteres Vorgehen planen können, aber unternehmen Sie noch nichts, bis ich es genehmige. Forester, kommen Sie mit – ich habe mit Ihnen etwas zu besprechen.“
Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging zur Tür. Forester folgte ihm kochend.
Es dauert lange, bis ich es wieder wage, durch den großen, leeren Raum zu greifen. Ich bleibe statt dessen bei dem Kasten, den ich beim letztenmal gefunden habe, und suche in der verwirrenden Vielfalt von Bewegungsflüssen in diesem Bereich herum. Es gibt viele davon, alle anscheinend verschieden voneinander, mit Aufgaben, die ich nicht einmal erraten kann. Ein Teil von mir möchte hierbleiben und mehr über sie erfahren … aber ich weiß, daß ich die andere, verwirrendere Sache wiederfinden möchte. Ich lasse los und reiche hin.
Es ist näher als beim letztenmal, und als ich es berühre, erschrecke ich. Ich zucke zurück, gehe aber nicht weg. Ich warte statt dessen in der Nähe, bis ich besser vorbereitet bin, und dann berühre ich es vorsichtig.
Diesmal fällt es mir leichter. Es gibt verschiedene Ebenen, und wenn ich mich vorsehe, kann ich die angsterregenderen Teile vermeiden. Ich versuche, dieses Ding zu verstehen … und langsam komme ich dahinter, warum es mir so bekannt vorkommt.
Es ist ein Ding wie ich.
Die Entdeckung, daß es etwas anderes wie mich gibt, ohne ich zu sein, müßte mich ängstigen. Sie tut es aber nicht. Vielleicht habe ich irgendwie die ganze Zeit schon gewußt, daß es solche Dinge gibt. Ich verstehe nicht, wie ich etwas wissen und doch nicht wissen konnte, aber es scheint richtig zu sein.
Ich spüre, wie die beschränkte Aufmerksamkeit, die ich meiner Arbeit widme, noch weiter nachläßt, aber ich bemerke es kaum. Ich möchte dieses Ding so genau untersuchen wie ich kann. Meine Arbeit ist wichtig, aber ich werde sie später tun.
Kincaid schloß die Tür zum Konferenzzimmer und wies Forester einen Stuhl an. „Setzen Sie sich.“
Forester folgte der Anweisung. Kincaid zog noch einen weiteren Stuhl heran, aber statt sich darauf zu setzen, stellte er einen Fuß darauf. Er lehnte sich etwas nach vorne, stützte seine Unterarme auf sein Knie und sah seinen Abteilungsleiter kühl an. „Forester, wir wollen einmal ehrlich miteinander sprechen. Ich beobachte Sie schon seit zwei Monaten, und seit wir mit 27 Probleme bekommen haben, haben Sie einen immer weniger begeisterten Eindruck gemacht, was das Projekt betrifft. Was steckt dahinter?“
Forester schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich fange nur an, mich zu fragen, ob es richtig ist, was wir hier machen.“
„Die höchste Pflicht jedes einzelnen ist es, seinen Mitmenschen zu dienen und der Menschheit zu nützen, stimmt’s? Na also, genau das tun wir nämlich. Haben Sie überhaupt eine ungefähre Vorstellung davon, wieviel Tonnen radioaktiver Abfall jedes Jahr in diesem Land erzeugt wird? Dabei haben wir die Kubikmeilen von Pestiziden und die Industriechemikalien, die eine Zeitbombe sind, nicht einmal erwähnt – und mit all dem könnten die Löffelbieger mit der gleichen Leichtigkeit fertig werden, überlegen Sie sich das. Wenn die Genetiker erst einmal eine Methode finden, Erinnerungs-RNS zu bauen, dann würde es ihnen nicht weniger schwerfallen, PCB-Moleküle auseinanderzureißen, als Neutronen aus Strontium 90 zu ziehen. Wir brauchen das Projekt Wiederaufbereitung, Ted – Amerika erstickt an seinem eigenen Abfall, und das hier ist die beste Antwort, die wir seit fünfzig Jahren gefunden haben. Vielleicht ist es die einzige gute Antwort, die wir je finden werden.“
„Ich weiß das alles“, sagte Forester und rutschte unbequem auf seinem Stuhl herum. „Und wenn wir etwas anderes als menschliche Kinder einsetzen würden, hätte ich auch nichts dagegen. Aber … ich denke immer wieder, daß wir ihnen etwas nehmen, das zu nehmen wir kein Recht haben.“
„Was zum Beispiel? Ihre Kindheit? Hören Sie, das sind keine normalen Kinder. Es ist sogar äußerst fraglich, ob man sie nach heutigen Gesichtspunkten überhaupt als menschlich bezeichnen kann. Sie nehmen ihre Umgebung nicht wahr, sie besitzen weniger Intelligenz als Affen, und der Index ihrer motorischen Funktionen liegt unter dem eines sechs Monate alten Fötus.“
„Doktor Barenburg war der Meinung, sie könnten ihre Umgebung vielleicht wahrnehmen.“
„Das bildet Barenburg sich ein“, sagte Kincaid kurz. „Es geht doch hier nur darum: Wenn man einen Fötus nicht für menschlich hält, dann doch einen Löffelbieger wohl sicher auch nicht.“
„Dann sollten wir uns die Sache mit dem Fötus vielleicht auch noch einmal überlegen“, sagte Forester – nur halb scherzhaft.
Kincaid sah ihn merkwürdig an und blieb einen Moment lang still. „Hören Sie mal, Ted, vielleicht geht Ihnen Ihre Arbeit zu nahe“, sagte er in etwas ruhigerem Ton. „Vielleicht sollten Sie sich überlegen, ob Sie nicht einen Urlaub nehmen wollen, um eine Zeitlang zu verreisen.“
Forester lächelte schief. „Was, von dem inneren Bereich des streng geheimen Projekts Wiederaufbereitung? Ist das nicht, wie wenn jemand aus der Mafia austreten will? Wenn ich das Gelände erst einmal verlassen habe, woher wollen Sie denn wissen, daß ich nicht sofort zu den Medien renne, um zu erzählen, wie Ihre Black Box wirklich funktioniert?“
Kincaid zuckte die Achseln. „O nein, ich habe damit nicht gemeint, Sie könnten gehen, wohin Sie wollten, aber die Regierung hat Erholungsheime, die abgelegen sind. Sie wurden für solche Fälle gebaut, und Sie wären mit Sicherheit außerhalb der Reichweite des Publikums. Obwohl es ja durchaus nicht so ist, daß das, was wir tun, irgendwie illegal wäre“, sagte er hastig. Er spürte wohl, daß er Gefahr lief, sich in eine Ecke zu manövrieren, „aber Sie wissen ja selbst, welche unangenehmen Konsequenzen es nach sich ziehen könnte, wenn die Radikalen von der Geschichte etwas erfahren würden, bevor die Löffelbieger sich bewiesen haben. Verstehen Sie?“
„Ja.“ Genau. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich glaube, ich verschiebe den Urlaub noch eine Weile.“
„Sind Sie sicher? Es würde Ihnen guttun.“
„Ich bin sicher.“ Forester stand auf. „Ich gehe jetzt wohl besser wieder in den Kontrollraum – der Doktor braucht vielleicht meine Hilfe.“
„In Ordnung.“ Kincaid sah ihn scharf an. „Aber lassen Sie Ihre Gefühle auf Sparflamme, okay? Ich denke dabei ebenso an Ihren eigenen Blutdruck wie an das Projekt.“
„Sicher.“
Ja, öffentlichen Darstellungen würde er aus dem Weg gehen, beschloß Forester, während er den Gang entlangging. Private Äußerungen seiner Bedenken aber waren eine andere Sache – und wenn Kincaid ein völlig reines Gewissen hatte, so ließ sich das fast sicher von Dr. Barenburg nicht sagen. Vielleicht würde 27 mit ein wenig Überredung nicht geopfert werden. Zumindest nicht gar so schnell …
Ich lerne schneller als je zuvor. Das ist beängstigend, aber es ist auch aufregend. Das Ding – die ‚Person’ – weiß soviel mehr als ich, daß ich nicht weiß, ob ich es – sie – jemals völlig verstehen werde. Aber irgendwie fließt ihr Wissen in mich, ebenso wie andere Dinge durch die Röhren in meinen Körper fließen.
(Ich hatte bisher nie gewußt, was diese Dinge sind oder welche Wirkung sie haben. Auch jetzt verstehe ich nur ein wenig, aber ich werde mehr erfahren.)
Die Person weiß viel über den Kasten, wo der Bewegungsfluß (,Strom’) von meinem Kasten endet, aber das macht mir nur klar, daß es dazu mehr zu verstehen gibt, als ich geglaubt habe. Die anderen Dinge (Instrumente’), in denen Strom fließt, sind vielleicht weniger verschieden, als ich erwartete – sie ähneln einander irgendwie, obwohl ich das noch nicht verstehe.
Es gibt so viel, was ich nicht verstehe.
Der merkwürdigste Teil von all dem aber ist die Person selbst. Die Gedanken, die ich berühren kann, sind eng mit Gefühlen verbunden, die ich spüren, aber noch nicht verstehen kann. Manche – sehr wenige – ähneln ein wenig der Furcht oder der Aufregung, die ich selbst verspüre. Selbst sie aber sind so verändert, daß ich sie kaum erkenne … und sie machen mir Angst.
Ich fühle mich sehr klein.
Aber ich werde nicht aufgeben. Ich kann nicht mehr zu meiner Arbeit zurückkehren und ganz und gar mit ihr zufrieden sein, obwohl der Wunsch zu gefallen, so stark wie eh und je ist. Ich habe so viel gelernt; ich kann mich sicher nützlicher machen, wenn ich etwas anderes tue. Das würde mir eine tiefe Befriedigung verschaffen.
Ich lasse Wissen in mich hineinfließen und denke über diese Möglichkeit nach.
Barenburg saß noch immer vor dem Hauptkontrollpaneel, den Blick auf den Monitor gerichtet, als Forester zurückkam. O’Brian und die beiden anderen Techniker hockten zusammengekauert am anderen Ende des Raums, unterhielten sich mit leiser Stimme und bemühten sich, beschäftigt auszusehen. Die Augen von 27 waren wieder offen, bemerkte Forester, als er sich neben den Doktor stellte. „Was werden Sie mit ihm anfangen?“ fragte er und nickte zu dem Schirm hinüber.
Barenburg seufzte. „Uns bleibt keine Wahl, Ted. Es ist noch keine dreißig Sekunden her, seit Kincaid angerufen und seine endgültigen Anweisungen erteilt hat – ein Medizinerteam ist schon zu seinem Kasten unterwegs. Es tut mir leid.“
Forester spürte, wie sich die Muskeln in seinen Wangen verkrampften. „Sie geben also einfach auf?“
„Der Befehl kommt von Kincaid.“
„Na und? Sie sind hier der Arzt – Sie können darauf bestehen, daß hier Tests durchgeführt werden, wenn Sie das wollen.“
„Was würde ich damit erreichen? Er stirbt ja sowieso bald.“
„Das ist für einen Arzt eine beschissene Haltung“, fuhr Forester ihn an. „Und für einen Wissenschaftler. Ist es Ihnen denn egal, was der Grund für dieses Problem ist?“
„Ich bin sicher, das wird sich bei der Autopsie herausstellen“, murmelte Barenburg.
„Ausgezeichnet. Wirklich ausgezeichnet. Und dabei werfen Sie eine Chance weg, in die Geschichte der Medizin einzugehen.“
Barenburg sah ihn kurz von der Seite an. „Wovon reden Sie?“
„Nehmen wir einmal an, Sie hätten vorher recht gehabt – nehmen wir an, daß 27 tatsächlich abgelenkt wird.“ Forester wählte seine Worte sorgfältig; er hatte gehofft, er könnte mit seinem Ansatz Barenburgs Interesse wecken. Es schien zumindest ein wenig zu wirken. „Das könnte bedeuten, daß er trotz allem tatsächlich schlauer wird. Vielleicht nicht viel, aber schon ein paar Punkte auf der IQ-Skala wären eine deutliche Veränderung. Wenn er wirklich seine Umgebung wahrnehmen könnte …“
„Natürlich nimmt er seine Umgebung wahr. Warum sonst sollte Kincaid ihn wohl so schnell hier herausholen wollen?“
Foresters Gedanken kamen zu einem abrupten Halt. „Was?“
Barenburg drehte seinen Stuhl herum. Seine Augen waren vor Schuldbewußtsein weit geöffnet. „Ach du Schande. Vergessen Sie, daß ich das gesagt habe, Ted – bitte. Und sagen Sie Kincaid nicht …“
„Doc, was soll ich hier nicht wissen?“ unterbrach Forester ihn scharf. Hier stimmte irgend etwas ganz gewaltig nicht. „Jetzt müssen Sie mir alles sagen.“
Barenburg sank in seinem Stuhl in sich zusammen und rieb sich mit der Hand über die Augen. „Dieser verdammte Bourbon“, sagte er müde. „Zum Teufel damit. Sehen Sie einmal, Ted, Red Staley hat den Preis für seine telekinetischen Fähigkeiten gewonnen, stimmt’s? Er war zugleich aber auch noch ein Telepath mit einer Richtigkeitsquote von 80 Prozent. Das wußten Sie wahrscheinlich nicht; er hat das nicht sehr publik gemacht.“
„Nein, aber einmal habe ich ein Gerücht darüber gehört. Daß er so genau war, wußte ich allerdings nicht.“
„Das war er. Wir haben also jetzt neunundvierzig aktive Löffelbieger mit genetisch verstärkter Telekinese. Wenn die Chromosomen auch nur einigermaßen so angelegt sind, wie wir das glauben … dann ist auch ihre Telepathie verstärkt worden. Sehr verstärkt.“
Die Worte trafen Forester wie eine eiskalte Dusche. Er tastete blind umher, bis er endlich einen Stuhl fand, setzte sich darauf und drehte sich Barenburg zu. „Wollen Sie damit etwa sagen, daß sie vielleicht die ganze Zeit schon unsere Gedanken gelesen haben?“ Der Gedanke allein gab ihm schon ein kribbelndes Gefühl zwischen den Schulterblättern.
Barenburg seufzte. „Ich bin sicher, daß sie das getan haben, aber wahrscheinlich nur im Unterbewußtsein. Sie verstehen aber nicht, was ich meine. Ihr wirkliches Problem ist ihr Mangel an intrazerebraler Kommunikation, stimmt’s? Wenn sie aber ein funktionsfähiges Telepathiezentrum besitzen, brauchen sie keine Neuralverbindungen. Sie können jeden größeren Stimulus direkt über dieses Zentrum laufen lassen, und die Neuronen sind dann für lokalisierte Operationen und Speicherung zuständig. Dazu wäre eine Menge Anpassung nötig, aber in solchen Dingen ist das menschliche Gehirn ganz gut.“
„Gott im Himmel“, flüsterte Forester. Er warf unwillkürlich einen Blick auf den Monitor von 27. „Dann haben sie eventuell völlig normale IQs!“
Barenburg schnaubte. „Nach allem, was wir wissen, könnten es Genies sein.“
„Wenn es aber nicht ihre Gehirnchemie ist, die sie … so hält, wie sie sind?“
„Sie meinen, nur halb bei Bewußtsein?“ Barenburg lächelte bitter. „Der älteste Trick auf der Welt: Ihre Sauerstoffzufuhr wird absichtlich niedrig gehalten. Nicht niedrig genug, um sie einschlafen zu lassen, aber niedrig genug, um ihre Stoffwechselaktivität zu verlangsamen.“ Er zuckte die Achseln. „So hat es zumindest früher funktioniert. Aber die Sauerstoffzufuhr von 27 hat noch normale Werte. Ich habe keine Ahnung, was ihn aufgeweckt haben könnte.“
Foresters Gehirn wachte langsam aus der Betäubung auf, die Barenburgs explosive Enthüllungen in ihm hervorgerufen hatten. „Haben Sie Kincaid oder dem Vorstand das gemeldet?“
„Was glauben Sie wohl, wer die niedrige Sauerstoffzufuhr angeordnet hat? Natürlich wissen sie Bescheid.“
„Aber …“ Forester hörte auf zu sprechen, als die Tür sich öffnete und Kincaid in den Raum trat.
Der Projektleiter hatte tatsächlich einen scharfen Blick. Er war noch nicht mehr als zwei Schritte weit in den Raum hineingegangen, als er offensichtlich in den Gesichtern der beiden Männer las, was geschehen war. Er wechselte ganz leicht den Tritt, und Zorn erfüllte sein Gesicht. „Verdammt noch mal, Barenburg, dafür sollte ich Sie ins Gefängnis bringen.“
Der Doktor murmelte etwas in sich hinein und senkte den Blick.
Forester stand auf. Seine Hände hingen zu Fäusten geballt an seiner Seite herab. „Es war schon schlimm genug, als Sie eine menschliche Pflanze umbringen wollten“, sagte er rauh. „Aber Sie haben vor, ein intelligentes, vernunftbegabtes Kind zu töten. Das können Sie nicht machen!“
„Bitte schreien Sie nicht, Ted“, sagte Kincaid mit leiser Stimme und sah nervös zu den beiden Technikern auf der anderen Seite des Raums hinüber. „Hören Sie, ich mache das nicht leichtfertig; der einzige Grund, warum ich den Befehl so schnell geben konnte, ist, daß wir uns schon seit Monaten verzweifelt Gedanken darüber gemacht haben, was zu tun wäre, wenn so etwas geschehen würde. Wir müssen ihn aber hier herausnehmen, bevor er anfängt, die anderen Löffelbieger zu beeinflussen – und wenn er wirklich mit Telepathie und TK herumspielt, muß es dazu früher oder später kommen.“
„Warum wäre das denn so schlimm?“
„Weil es möglich ist, daß er zwar intelligent, aber keineswegs geistig gesund ist. Denken Sie daran, daß das zusätzliche Zellkernmaterial in seinen Zellen seinen Hormonspiegel und seine Gehirnchemie völlig durcheinandergebracht hat. Er könnte schizophren, manisch-depressiv, paranoid oder irgend etwas anderes sein, wofür wir noch nicht einmal einen Namen haben. Wir können das Risiko einfach nicht eingehen, daß er die anderen ebenfalls destabilisiert. Dafür ist das Projekt zu wertvoll.“
„Den größten Nutzen für die größte Zahl“, sagte Forester bitter. „Ist es so?“
„Ja, das mag schon sein“, gab Kincaid zu. „Die ‚größte Zahl’ ist in diesem Fall das gesamte Land. Es tut mir leid.“ Er drehte sich zu dem Kontrollpaneel um und nahm den Telefonhörer ab.
Ein Gefühl der Niederlage breitete sich in Forester aus, ohne die Spannung in ihm zu lösen. Vielleicht war es besser so, sagte er sich düster. Vielleicht war der Tod besser als Sklaverei – oder als das halbtote Zwielicht, in dem die anderen Löffelbieger lebten.
Aber er wußte es besser. Auch der unterdrückteste Sklave hat die Möglichkeit, irgendwann freizukommen. Der Tod jedoch ist unwiderruflich.
Und Forester konnte nichts tun, um ihn zu verhindern.
Kincaid hörte zu sprechen auf und legte den Hörer wieder auf die Gabel. „Also gut“, wies er Barenburg an. „Sie können anfangen, ihn abzuschalten.“
Und, fast zu spät, kam von irgendwoher eine aufgeschnappte Bemerkung und setzte sich an genau der richtigen Stelle in Foresters Verzweiflung fest. „Einen Augenblick noch!“ rief er hastig. „Ich habe eine Idee!“
Die anderen drehten sich zu ihm um. Barenburgs Hand schwebte über dem lebenswichtigen Knopf. „Welche denn?“ fragte der Doktor.
„Nehmen wir einmal an, ich könnte 27 wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzen“, sagte Forester. „Dann gäbe es doch keinen Grund mehr, ihn umzubringen, oder?“
Kincaid runzelte die Stirn. „Wir wissen aber nicht, was die Veränderung ursprünglich ausgelöst hat.“
„Vielleicht doch.“ Forester deutete auf die Nadel in dem Paneel über der Sauerstoffkontrolle. „Diese Angabe über die Sauerstoffkonzentration wird genau an der Stelle genommen, wo die Gase für seine Luftmischung kombiniert werden. Diese Stelle liegt außerhalb der Box selbst, und zwar aus technischen Gründen. Die Luft muß ungefähr einen Meter weit an dem Sensor vorbeifließen, bevor sie ihn ereicht. Wenn also in diesem Meter irgendwo in der Leitung eine undichte Stelle ist, dringt Luft aus dem Raum hier in sie hinein, und die hat einen höheren Sauerstoffgehalt, wie mir der Doktor sagte. Das könnte ausreichen, um einen Unterschied zu machen.“
„Ziemlich weit hergeholt“, knurrte Kincaid, machte aber trotzdem ein nachdenkliches Gesicht. „Was könnte eine solche undichte Stelle bewirkt haben?“
„Ich weiß es nicht, aber das könnte ich in einer Viertelstunde herausbekommen.“
„Ein Haarriß könnte die Erklärung dafür sein, daß dies bei dem hier so oft vorgekommen ist“, murmelte Barenburg.
„Wenn ich recht habe, könnte ich Ihnen die Kosten für einen neuen Löffelbieger ersparen“, sagte Forester.
Kincaid zögerte, und dann nickte er. „Das Risiko ist es wert. Machen Sie sich daran.“
Forester holte sich die entsprechenden Werkzeuge von der Wand und eilte aus dem Raum.
Die Personen sind mißgestimmt.
Dieser Gedanke ist für mich ein schwerer und furchterregender Schock, aber ich kann nicht so tun, als sei es nicht wahr. Ich habe drei von ihnen berührt, und sie sind alle unglücklich … und irgendwie weiß ich, daß sie über mich unglücklich sind.
Ich bin auf die Stärke der Reaktion nicht vorbereitet, die ich auf dieses Wissen empfinde. Seit ich jene erste Person berührt habe, habe ich den Verdacht empfunden, daß das Verlangen, meine Arbeit zu tun, nur ein Teil eines noch umfassenderen Bedürfnisses ist, diesen anderen Personen zu gefallen. Mir war aber nicht klar, wie stark dieses Verlangen war.
Ich fühle mich elend, mein Herz tut weh. Ich ziehe mich in mich selbst zurück, kauere mich in meinem Kummer zusammen und wünsche mir, ich könnte meine Sorgen ausdrücken. Ich wünsche, ich besäße kein Bewußtsein.
Ich bin so allein.
Nach einiger Zeit versuche ich, die Wolke von Traurigkeit, die mich umgibt, zu durchdringen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht kann ich die anderen Personen glücklich machen. Ich weiß, daß sie wollen, daß ich an meine Arbeit zurückkehre, und deshalb greife ich nach den kalten Kästen über mir. Zur gleichen Zeitfolge ich dem Strom bis zu der Stelle, wo die Personen sich befinden.
Etwas an ihnen hat sich verändert. Sie sind noch immer unglücklich, aber weniger. Auch ein neues Gefühl ist da, das ein wenig Aufregung ähnelt. Zunächst glaube ich, daß das daher kommt, daß ich meine Arbeit wiederaufgenommen habe, aber ich weiß, daß das nicht wahr sein kann. Ich versuche noch immer den anderen Bewegungsfluß richtig zu berühren – was ich tun muß, bevor ich sie ermutigen kann. Es ist schwieriger, als ich das in Erinnerung habe, aber bald werde ich in der Lage sein, meine Arbeit zu beginnen.
Ihre Unglücklichkeit läßt weiter nach. Ich verstehe den Grund dafür nicht, aber jetzt entdecke ich, daß ihre Aufmerksamkeit auf die Instrumente vor ihnen gerichtet ist. Ist ihnen meine Arbeit nicht mehr wichtig? Nein, ich spüre, daß das nicht der Fall ist. Ich muß versuchen, darüber mehr zu erfahren.
Ich fange an, mich sehr merkwürdig zu fühlen …
Forester kam in schnellem Trab in den Kontrollraum zurück. Er war außer Atem, da er den größten Teil der Strecke gerannt war. „Ich hab’s“, keuchte er und warf seinen Werkzeugkasten in eine freie Ecke bei dem Kontrollpaneel.
„Während Sie weg waren, haben die Angaben über den Sauerstoffgehalt verrückt gespielt – zuerst hoch und dann wieder herunter“, berichtete Kincaid. Er erwähnte gnädigerweise die Tatsache nicht, daß Forester länger als die versprochene Viertelstunde unterwegs gewesen war. „Was haben Sie unternommen?“
Foresters Atem hatte sich inzwischen wieder einigermaßen beruhigt. „Irgendein Idiot hat ein schlecht verschlossenes Faß Lösungsmittel in der Service-Station von 27 stehenlassen. Der Plastik-Luftschlauch ist mit kleinen Löchern übersät. Alle konnte ich nicht abdichten, und deshalb habe ich den Sensor an der Schadensstelle vorbeigerückt und ihn direkt an der Boxwand angeschlossen. Auf Dauer möchte ich ihn dort nicht lassen, aber auf jeden Fall bekommen wir jetzt richtige Angaben, bis wir den Schlauch reparieren können.“ Er tippte probeweise auf das Kontrollgerät für die Sauerstoffzufuhr. „Bitte, da haben wir es – das Gemisch ist zu fett. Das ist der Grund.“
„In einer Minute werden wir es sicher wissen“, sagte Kincaid. „Doktor, sind Sie soweit?“
„Ja.“ Barenburg zögerte nur ganz kurz, bevor er nach dem Einstellknopf griff und ihn vorsichtig zu drehen begann.
In mir verändert sich etwas, das ich als sehr schlimm empfinde. Meine Gedanken fließen langsamer, mein Griff und meine Sicht scheinen weniger sicher zu sein. Mir wird klar, daß mein Bewußtsein nachläßt.
Einen einzigen Herzschlag lang verkrampfe ich mich in Panik – und dann suche ich in hektischer Aktivität mit all meinen nachlassenden Fähigkeiten nach dem Grund für das, was mit mir geschieht. Ich berühre viele Instrumente und Arten von Bewegungsflüssen, Dinge, von deren Existenz ich noch vor kurzer Zeit keine Ahnung hatte. Es gibt noch so viel, was ich erfahren und lernen muß, das weiß ich. Ich habe aber schon so viel gelernt, und ich kann den Gedanken nicht ertragen, das wieder zu verlieren. Er erfüllt mich mit Schrecken.
Ich spüre bereits, daß sich ein Schleier über mich senkt. Verzweifelt setze ich meine Suche fort.
„Aufpassen!“ rief Kincaid und deutete auf das Kontrollgerät. „Die Nadel springt!“
„Ich sehe es“, antwortete Barenburg schnell. „Was ist los, Ted?“
Für den Bruchteil einer Sekunde sah Forester ein Bild vor sich, wie 27 telekinetisch das dicke Sauerstoffventil ergriff und es mit Gewalt aufdrehte. Direkt auf dieses Bild folgte jedoch die vernünftigere Erklärung. „Das Ventil besteht ebenfalls zum Teil aus Plastik – es ist wahrscheinlich zusammen mit dem Schlauch beschädigt worden. Vielleicht ist ein Teil der Dichtungen beschädigt. Da, es beruhigt sich – Sie müssen an einer schadhaften Stelle vorbeigekommen sein.“
„Wahrscheinlich wird das gesamte System ausgetauscht werden müssen“, knurrte Kincaid. „Also gut, geben Sie ihm zusätzlich RNS, bevor Sie noch weiter zudrehen.“
Barenburg gehorchte und richtete dann seine Aufmerksamkeit wieder auf den Einstellknopf für die Sauerstoff zufuhr. Zusammen beobachteten die drei Männer, wie die Nadel sich langsam senkte.
Es bleibt keine Hoffnung mehr. Ich kann nun kaum noch weiterdenken und bin nicht mehr in der Lage, mich gegen den plötzlichen Impuls zu wehren, an meine Arbeit zurückzukehren. Er überwältigt mich. Ich greife nach den kalten Kästen, berühre den Bewegungsfluß.
Wenn ich mit den anderen Personen hätte sprechen können, hätte ich ihnen vielleicht von dem berichten können, was mit mir geschieht. Sie hätten sicher eine Methode gefunden, es zu beenden. Ich weiß aber nicht, wie ich das anfangen soll, und es ist zu spät, um es zu lernen.
Der Wunsch, ihnen zu gefallen, wird stärker. Ich kann ihm keinen Widerstand mehr entgegensetzen – ich will es allerdings auch nicht. Ich wollte sie schon immer glücklich machen. Ich wünsche mir nur, ich hätte mehr Methoden gelernt, um das zu erreichen.
Es ist zu spät. Ich greife zu, um zu dienen, so gut ich kann …
„Die Strahlung hat wieder die normale Stärke erreicht“, sagte Kincaid mit deutlicher Erleichterung in seiner Stimme.
Barenburg lehnte sich in seinem Stuhl zurück und seufzte. „Die Sauerstoffkonzentration ebenfalls“, sagte er. „Ich werde jetzt versuchen, wieder auf automatische Kontrolle zu schalten … ja, sie bleibt weiter konstant.“
Forester atmete leise aus und spürte, wie die Spannung langsam von ihm wich. Er hatte geholfen, ein Leben zu retten … aber nur, um es in dumpfe Sklaverei zurückzuführen. Eine solche Leistung brachte nicht das Gefühl eines Sieges mit sich – nur das Wissen, daß es nicht zur Niederlage gekommen war.
Kincaid sah ihn nachdenklich an. Forester sah ihm in die Augen und nickte leicht. „Mir geht es gut. Wir haben das Richtige getan.“
„Ja. Ich bin froh darüber.“ Der Direktor zögerte. „Übrigens, was Dr. Barenburg Ihnen über die Intelligenz der Löffelbieger gesagt hat … Ich muß darauf bestehen, daß Sie das als streng geheime Information betrachten, für die die üblichen Bestimmungen gelten. Damit meine ich auch die, die eine Weitergabe verbieten.“
Und die üblichen Strafen bei einem Verstoß gegen sie. „Ich kenne die Routine. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten, ich will veranlassen, daß der Luftschlauch von 27 ausgetauscht wird.“
Forester nahm das Telefon ab und wählte die Nummer der Instandsetzung. Während er auf die Antwort wartete, sah er noch einmal zu dem unbewegten, deformierten Gesicht auf dem Monitor von 27 hinüber. Wieder stellte sich das alte Gefühl ein, als drehe sich sein Magen um … aber nun wußte er sicherer als je zuvor, daß er bei dem Projekt bleiben würde. Der Einsatz war erhöht worden, sowohl für ihn als auch für die Löffelbieger selbst. Er hegte keine Illusionen darüber, daß er in der Lage sein würde, etwas zu verändern, aber wenn er nie mehr schaffen würde, als sie am Leben zu erhalten, wollte er zufrieden sein. Andere Menschen hatten in ihrem ganzen Leben nicht mehr geleistet.
Das Telefon in seiner Hand erwachte zum Leben. Forester schob seine Gedanken beiseite und begann Befehle zu erteilen.
Ich liege ruhig und tue meine Arbeit, so gut ich kann, und genieße die Zufriedenheit, die mir das bringt. Ich bin mit meiner Arbeit glücklich, und ich werde sie nicht mehr vernachlässigen. Sie nimmt jedoch nicht meine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch, und ich kann noch hinausreichen und andere Dinge erfahren. Das ist gut, denn ich wäre nicht glücklich, wenn ich nicht mehr lernen könnte.
Die Personen in dem großen leeren Raum (,Kontrollraum’) sind anscheinend auch wieder zufrieden, und das bringt auch mir Zufriedenheit. Ich verstehe nicht, warum es ihnen gefällt, wenn ich diese spezielle Nadel festhalte, aber es scheint der Fall zu sein, und allein das ist wichtig. Es gibt noch so viel, was ich nicht verstehe.
Aber ich werde lernen.
RAISON D’ÊTRE
Timothy Zahn
© 1981
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Crass