Achtzehn
Montalbano brauchte eine gute halbe Stunde, um die triglie zu essen; erstens wollte er sie genießen, wie sie es verdienten, zweitens sollte Lohengrin Pera den Eindruck haben, daß Montalbano das, was der Colonnello ihm zu sagen hatte, einen Dreck interessierte. Er bot ihm nicht mal ein Glas Wein an und benahm sich, als wäre er allein; einmal rülpste er sogar laut. Lohengrin Pera seinerseits rührte sich nicht mehr, nachdem er sich einmal hingesetzt hatte, und beschränkte sich darauf, den Commissario mit seinen kleinenVipernaugen anzustarren. Erst als Montalbano seinen Kaffee getrunken hatte, begann der Colonnello zu reden.
»Ihnen ist natürlich klar, warum ich gekommen bin.« Der Commissario stand auf, ging in die Küche, stellte die Tasse in den Spülstein und kam wieder zurück. »Ich spiele mit offenen Karten«, fuhr der Colonnello erst dann fort. »Das ist bei Ihnen wahrscheinlich das beste. Deshalb bin ich mit dem Auto gekommen, von dem Sie - zweimal sogar - wissen wollten, wem es gehört.« Er zog zwei Blatt Papier aus der Jackettasche; Montalbano erkannte sie als die beiden Faxe wieder, die er ans Verkehrsministerium geschickt hatte.
»Allerdings wußten Sie schon, wem der Wagen gehört, Ihr Questore hat Ihnen sicher gesagt, daß es sich um ein Kennzeichen handelt, das der Geheimhaltung unterliegt. Und wenn Sie nun trotzdem diese Faxe geschickt haben, dann heißt das, daß mehr dahintersteckt als die - wenn auch unvorsichtige - simple Bitte um eine Auskunft. Daher kam ich - korrigieren Sie mich, falls ich mich irre - zu der Überzeugung, daß Sie aus einem bestimmten Grund wollten, daß wir uns zu erkennen geben. Hier bin ich, wir sind Ihrem Wunsch nachgekommen.«
»Sie entschuldigen mich doch einen Augenblick?« fragte Montalbano.
Ohne die Antwort abzuwarten, stand er auf, ging in die Küche und kam mit einem Teller zurück, auf dem ein riesiges Stück hartgefrorene cassata siciliana lag. Der Colonnello fügte sich mit Engelsgeduld, denn er mußte wohl oder übel warten, bis Montalbano das Stück Eistorte aufgegessen hatte.
»Reden Sie nur weiter«, sagte der Commissario höflich. »So kann ich das Eis nicht essen, es muß erst ein bißchen weicher werden.«
»Bevor ich zur Sache komme«, begann der Colonnello, der anscheinend ziemlich gute Nerven hatte, »möchte ich etwas klären. Sie schreiben in Ihrem zweiten Fax von dem Mord an einer Frau namens Aisha. Mit diesem Tod haben wir nichts zu tun. Es handelte sich gewiß um einen Unfall. Wenn es nötig gewesen wäre, sie auszuschalten, dann hätten wir das sofort getan.«
»Daran zweifle ich nicht. Das war mir völlig klar.«
»Und warum haben Sie in Ihrem Fax dann etwas anderes geschrieben?«
»Um noch eins draufzusetzen.«
»Aha. Haben Sie die Schriften und Reden von Mussolini gelesen?«
»Sie gehören nicht zu meiner Lieblingslektüre.«
»In einer seiner letzten Schriften stellt Mussolini fest, das Volk müsse wie ein Esel behandelt werden, mit Stock und Mohrrübe - mit Zuckerbrot und Peitsche.«
»Wie originell Mussolini ist! Wissen Sie was?«
»Was denn?«
»Das hat mein Großvater auch immer gesagt, der war Bauer. Aber anders als Mussolini bezog er sich dabei nur auf die Esel.«
»Darf ich in der Metapher fortfahren?«
»Verschonen Sie mich!«
»Ihre Faxe und der Umstand, daß Sie Ihren Kollegen Valente aus Mazàra überredet haben, den Kapitän des Fischkutters und den Stabschef des Prefetto zu vernehmen, dies und anderes mehr waren Ihre Stockhiebe, um uns aus dem Versteck zu locken.«
»Und wo bleibt die Mohrrübe?«
»Die besteht in Ihren Ausführungen während der Pressekonferenz, nachdem Sie Signora Lapecora wegen des Mordes an ihrem Mann haben festnehmen lassen. Da hätten Sie uns leicht mit reinziehen können, aber das wollten Sie nicht, sondern haben dieses Verbrechen ganz klar auf Eifersucht und Habgier beschränkt. Aber das war eine »bedrohliche« Mohrrübe, sie bedeutete…«
»Colonnello, ich rate Ihnen, die Metapher jetzt mal zu lassen, die Mohrrübe hat sprechen gelernt.«
»In Ordnung. Sie wollten uns mit der Pressekonferenz wissen lassen, daß Sie über bestimmte Vorgänge im Bilde waren, aber zu diesem Zeitpunkt die Katze noch nicht aus dem Sack lassen wollten. Ist das richtig?« Der Commissario streckte das Löffelchen zu seinem Teller hin, häufte etwas von der Torte darauf und führte es zum Mund.
»Sie ist immer noch zu hart«, teilte er Lohengrin Pera mit. »Sie sind nicht gerade ermutigend«, stellte der Colonnello fest, fuhr aber fort. »Würden Sie mir, wenn wir schon mit offenen Karten spielen, alles sagen, was Sie von dem Vorfall wissen?«
»Von welchem Vorfall?«
»Von der Ermordung Ahmed Moussas.« Er hatte ihn dazu gebracht, diesen Namen offen auszusprechen, was das Tonband der Kamera wie gewünscht aufnahm. »Nein.«
»Und warum nicht?«
»Weil es wundervoll ist, Ihrer Stimme zu lauschen.«
»Könnte ich ein Glas Wasser haben?«
Lohengrin Pera war äußerlich ganz ruhig und beherrscht, innerlich aber kochte er bestimmt schon. Die Bitte um Wasser war ein eindeutiges Signal.
»Holen Sie sich's in der Küche.«
Während der Colonnello mit einem Glas und dem Wasserhahn hantierte, bemerkte Montalbano, der ihn von hinten sah, daß sich sein Jackett auf der Höhe der rechten Gesäßbacke wölbte. War der Zwerg etwa mit einer Pistole bewaffnet, die doppelt so groß war wie er selbst? Der Commissario beschloß, auf der Hut zu sein, und legte ein sehr scharfes Messer neben sich, das er sonst zum Brotschneiden benutzte.
»Ich will mich kurzfassen«, schickte Lohengrin Pera voraus, als er sich setzte und seinen Mund mit einem briefmarkengroßen bestickten Taschentüchlein abwischte. »Vor etwas über zwei Jahren baten uns unsere Kollegen in Tunis um Zusammenarbeit bei einer schwierigen Operation, deren Ziel die Neutralisierung eines gefährlichen Terroristen war, dessen Namen ich Ihnen gerade genannt habe.«
»Verzeihen Sie«, sagte Montalbano, »mein Wortschatz ist ziemlich beschränkt. Meinen Sie mit Neutralisierung physische Ausschaltung?«
»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Wir berieten uns natürlich mit unseren Vorgesetzten, die uns die Zusammenarbeit untersagten. Doch keine vier Wochen später befanden wir uns in der äußerst unangenehmen Lage, unsererseits die Freunde in Tunis um einen Gefallen bitten zu müssen.«
»So ein Zufall!« rief Montalbano.
»In der Tat. Ohne zu zögern, gewährten sie uns die Unterstützung, um die wir sie gebeten hatten, und damit hatten wir eine moralische Schuld…«
»Nein!« brüllte Montalbano. Lohengrin Pera zuckte zusammen. »Was ist denn?«
»Sie haben »moralisch« gesagt.«
»Wie Sie wollen, dann sagen wir eben nur eine Schuld, ohne Adjektiv, geht das in Ordnung? Entschuldigen Sie, ich habe etwas vergessen. Bevor ich fortfahre, muß ich rasch telefonieren.«
»Bitte«, sagte der Commissario und zeigte auf das Telefon. »Danke. Ich habe ein Handy.«
Lohengrin Pera war also nicht bewaffnet, die Beule an seinem Hintern stammte von einem Handy. Er wählte so, daß Montalbano die Nummer nicht sehen konnte. »Pronto? Hier ist Pera. Alles in Ordnung, wir reden gerade.«
Es schaltete das Handy wieder aus und ließ es auf dem Tisch liegen.
»Unsere Kollegen in Tunis hatten herausgefunden, daß Ahmeds Lieblingsschwester Karima seit Jahren in Sizilien lebte und durch ihre Tätigkeit einen großen Bekanntenkreis hatte.«
»Groß nicht«, korrigierte Montalbano, »aber erlesen. Sie war eine ehrbare Dirne und zuverlässig.«
»Fahrid, Ahmeds rechte Hand, schlug seinem Chef vor, in Sizilien eine Operationsbasis einzurichten und sich dabei Karimas zu bedienen. Ahmed vertraute Fahrid und wußte nicht, daß seine rechte Hand vom tunesischen Geheimdienst gekauft war. Mit diskreter Unterstützung unsererseits kam Fahrid hierher und nahm Kontakt zu Karima auf, die sich nach einer sorgfältigen Sichtung ihrer Kunden für Lapecora entschied. Vielleicht drohte Karima ihm damit, seine Gattin über ihr Verhältnis aufzuklären, jedenfalls zwang sie ihn, seine frühere Import-Export-Firma wiederzubeleben, die sich als hervorragende Fassade erwies. Fahrid konnte mit Ahmed kommunizieren, indem er chiffrierte Geschäftsbriefe an eine Briefkastenfirma in Tunis schickte. Apropos - Sie sagten in der Pressekonferenz, Lapecora habe zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner Frau anonyme Briefe geschrieben und sie über seine Affäre in Kenntnis gesetzt. Warum?«
»Weil er den Braten gerochen hat.«
»Glauben Sie, er hat die Wahrheit geahnt?«
»Ach was! Er hat höchstens an Drogenhandel gedacht. Hätte er entdeckt, daß um ihn herum internationale Machenschaften im Gange waren, wäre er auf der Stelle tot umgefallen.«
»Wahrscheinlich. Eine Zeitlang mußten wir die Ungeduld der Tunesier zügeln, aber wir wollten sichergehen, daß der Fisch auch anbiß, wenn die Angel einmal ausgeworfen war.«
»Sagen Sie, wer war eigentlich dieser blonde junge Mann, der manchmal mit Fahrid zusammen gesehen wurde?« Der Colonnello sah ihn bewundernd an. »Das wissen Sie auch? Einer unserer Leute, der ab und zu den Stand der Dinge kontrollierte.«
»Und weil er schon mal da war, vögelte er Karima.«
»So was kommt vor. Schließlich brachte Fahrid Ahmed dazu, nach Italien zu kommen, indem er ihm die Möglichkeit eines großen Waffengeschäfts in Aussicht stellte. Unter unserem unsichtbaren Schutz kam Ahmed Moussa nach Mazàra und befolgte Fahrids Anweisungen. Der Kapitän des Fischkutters stimmte auf Druck des Stabschefs der Prefettura zu, Ahmed an Bord zu nehmen, denn das Treffen zwischen ihm und dem erfundenen Waffenhändler sollte auf hoher See stattfinden. Ahmed Moussa ging völlig ahnungslos ins Netz, er zündete sich sogar weisungsgemäß eine Zigarette an, damit er leichter identifiziert werden konnte. Doch Commendator Spadaccia, der Stabschef, hatte einen großen Fehler begangen.«
»Er hat den Kapitän nicht darüber aufgeklärt, daß es sich nicht um ein geheimes Treffen, sondern um eine Falle handelte«, sagte Montalbano.
»So kann man es auch nennen. Der Kapitän warf, wie ihm aufgetragen worden war, Ahmeds Papiere ins Wasser und teilte die siebzig Millionen, die er in der Tasche hatte, mit der Crew. Aber dann fuhr er nicht nach Mazàra zurück, sondern änderte den Kurs, weil er vor uns Angst hatte.«
»Wieso das?«
»Sehen Sie, wir hatten unsere Patrouillenboote vom Ort des Geschehens abgezogen, und das wußte der Kapitän. Folglich könnte es ja sein - wird er sich gedacht haben -, daß er auf der Rückfahrt auf irgendwas stoße, einen Torpedo, eine Mine oder auch ein Patrouillenboot, das ihn versenkt, um die Spuren der Operation zu verwischen. Aus diesem Grund fuhr er nach Vigàta und mischte die Karten neu.«
»Hat er recht gehabt?«
»Inwiefern?«
»Daß jemand oder etwas seinen Fischkutter erwartete?«
»Kommen Sie, Montalbano! Damit hätten wir doch nur ein unnützes Blutbad angerichtet!«
»Sie richten wohl nur nützliche Blutbäder an, was? Und wie wollen Sie es anstellen, daß die Mannschaft den Mund hält?«
»Mit Stock und Mohrrübe, um noch mal einen Autor zu zitieren, den Sie nicht sehr schätzen. Wie auch immer, was zu sagen war, habe ich gesagt.«
»O nein«, sagte Montalbano. »Was heißt hier >nein<?«
»Es heißt, daß das nicht alles ist. Sie haben mich geschickt auf hohe See gelotst, aber ich vergesse nicht die Leute, die an Land geblieben sind. Fahrid zum Beispiel. Der erfährt von irgendeinem Informanten, daß Ahmed getötet wurde, aber der Fischkutter hat in Vigàta angelegt, was er sich nicht erklären kann. Das macht ihn nervös. Aber er muß Teil zwei seines Auftrags in Angriff nehmen. Und zwar Lapecora neutralisieren, wie Sie das nennen. Als er bei ihm vor der Haustür steht, sieht er erstaunt und beunruhigt, daß ihm jemand zuvorgekommen ist. Da wird's ihm mulmig.«
»Wie meinen Sie das?«
»Er hat Angst und versteht gar nichts mehr. Wie der Kapitän des Fischkutters fürchtet auch er, daß ihr dahintersteckt. Er glaubt, daß ihr mittlerweile alle aus dem Verkehr zieht, die irgendwie in die Geschichte verwickelt sind. Vielleicht hegt er auch einen Moment lang den Verdacht, daß Karima Lapecora umgebracht haben könnte. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber Karima hatte Lapecora auf Fahrids Befehl hin gezwungen, sie in seiner Wohnung zu verstecken. Fahrid wollte nicht, daß Lapecora in diesen entscheidenden Stunden auf dumme Gedanken kommt. Doch Fahrid wußte nicht, daß Karima, nachdem sie ihren Auftrag ausgeführt hatte, nach Hause gefahren war. Jedenfalls hat Fahrid sich irgendwann an diesem Vormittag mit Karima getroffen, und die beiden müssen einen heftigen Streit gehabt haben, bei dem Fahrid ihr mitgeteilt hat, daß ihr Bruder getötet wurde. Karima versuchte zu fliehen. Es gelang ihr nicht, und sie wurde umgebracht. Allerdings wäre das früher oder später sowieso geschehen.«
»Wie ich schon geahnt habe«, sagte Lohengrin Pera, »ist Ihnen alles klar. Jetzt bitte ich Sie nachzudenken: Sie sind wie ich ein treuer und ergebener Diener unseres Staates. Also…«
»Den können Sie sich in den Arsch stecken«, sagte Montalbano leise. »Ich verstehe nicht.«
»Ich wiederhole: Unseren gemeinsamen Staat, den können Sie sich in den Arsch stecken. Ich und Sie, wir haben diametral entgegengesetzte Auffassungen darüber, was es bedeutet, Diener des Staates zu sein, wir dienen sozusagen zwei verschiedenen Staaten. Ich bitte Sie also, keine Verbindung zwischen Ihrer und meiner Arbeit herzustellen.«
»Montalbano, machen Sie jetzt einen auf Don Quichotte? Jede Gemeinschaft braucht ihre Kloputzer. Aber das heißt nicht, daß sie nicht zur Gemeinschaft gehören.« Montalbano spürte, wie die Wut in ihm hochstieg, noch ein Wort, und es wäre bestimmt das falsche gewesen. Er streckte die Hand aus, zog den Teller mit der Eistorte zu sich heran und begann zu essen. Lohengrin Pera kannte das ja mittlerweile und hielt den Mund, während Montalbano das Eis probierte.
»Karima wurde ermordet, bestätigen Sie mir das?« fragte Montalbano nach ein paar Löffeln. »Leider ja. Fahrid befürchtete…«
»Der Grund interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, daß sie im Auftrag eines treuen Staatsdieners wie Ihnen umgebracht wurde. Wie nennen Sie diesen speziellen Fall, Neutralisierung oder Mord?«
»Montalbano, man kann doch nicht mit dem Maßstab landläufiger Moralvorstellungen…«
»Colonnello, ich habe Sie gewarnt. Nehmen Sie das Wort Moral in meiner Gegenwart nicht in den Mund!«
»Ich meine damit, daß die Staatsräson manchmal…«
»Jetzt reicht's!« stieß Montalbano hervor, der wütend das Eis in sich reingelöffelt hatte. Dann schlug er sich plötzlich mit der Hand an die Stirn. »Wie spät ist es?«
Der Colonnello sah auf seine kleine kostbare Armbanduhr, die wie ein Kinderspielzeug aussah. »Schon zwei Uhr.«
»Wieso ist denn Fazio noch nicht da?« fragte Montalbano sich selbst und tat besorgt. »Ich muß telefonieren«, fügte er hinzu. Er stand auf, ging zum Telefon, das zwei Meter entfernt auf dem Schreibtisch stand, und redete laut, so daß Lohengrin Pera alles hören konnte. »Pronto, Fazio? Ich bin's, Montalbano.«
Fazio war schlaftrunken und redete nur mit Mühe. »Dottore, was ist?«
»Also hör mal, hast du die Verhaftung vergessen?«
»Welche Verhaftung denn?« fragte Fazio und begriff gar nichts.
»Die Verhaftung von Simone Fileccia.«
Fazio hatte Simone Fileccia schon tags zuvor verhaftet. Er verstand sofort.
»Was soll ich tun?«
»Du kommst her, holst mich ab, und wir verhaften ihn.«
»Soll ich mein eigenes Auto nehmen?«
»Nein, lieber eines von uns.«
»Ich komme sofort.«
»Warte.«
Der Commissario legte die Hand auf die Sprechmuschel und wandte sich an den Colonnello.
»Wie lange haben wir noch Zeit?«
»Das hängt von Ihnen ab«, sagte Lohengrin Pera.
»Komm in zwanzig Minuten«, sagte der Commissario zu Fazio, »nicht früher. Ich rede gerade noch mit einem Freund.«
Er legte auf und setzte sich wieder. Der Colonnello grinste.
»Wenn wir nur noch so wenig Zeit haben, sagen Sie mir Ihren Preis jetzt gleich. Und seien Sie wegen dieses Ausdrucks nicht beleidigt.«
»Es kostet wenig, sehr wenig«, antwortete Montalbano. »Ich höre.«
»Nur zweierlei. Ich will, daß innerhalb einer Woche Karimas Leichnam gefunden wird, und zwar so, daß er eindeutig identifiziert werden kann.«
Ein Schlag auf den Kopf hätte geringere Auswirkungen auf Lohengrin Pera gehabt. Er machte sein Mündchen auf und zu und klammerte sich mit den Händchen an der Tischkante fest, als fürchte er, vom Stuhl zu fallen. »Wozu?« brachte er mit dünner Stimme, ähnlich der einer Seidenraupe, hervor.
»Das geht Sie einen Scheißdreck an«, lautete kraftvoll und lapidar die Antwort.
Wie eine Aufziehpuppe drehte der Colonnello sein Köpfchen von rechts nach links und wieder zurück. »Das ist unmöglich.«
»Warum?«
»Wir wissen nicht, wo sie… beerdigt wurde.«
»Wer weiß es dann?«
»Fahrid.«
»Wurde Fahrid neutralisiert? Dieses Wort gefällt mir, wissen Sie.«
»Nein, aber er ist wieder in Tunesien.«
»Dann ist es ja ganz einfach. Sie nehmen Kontakt mit Ihren Freunden in Tunis auf.«
»Nein«, sagte der Zwerg entschieden. »Die Partie ist zu Ende. Nichts spricht dafür, sie mit dem Auftauchen einer Leiche wieder zu eröffnen. Nein, das ist unmöglich. Verlangen Sie, was Sie wollen, aber das können wir Ihnen nicht gewähren. Abgesehen davon kann ich keinen Sinn darin erkennen.«
»Kommt schon noch«, sagte Montalbano und erhob sich.
Automatisch stand auch Lohengrin Pera auf. Er war nicht der Typ, der sich so leicht geschlagen gab: »Aus purer Neugierde würde ich gern Ihre zweite Forderung hören.«
»Natürlich. Der Questore in Vigàta hat meine Beförderung zum Vicequestore vorgeschlagen…«
»Kein Problem, ich kümmere mich darum, daß der Vorschlag angenommen wird«, sagte der Colonnello erleichtert.
»Und daß er abgelehnt wird?«
Montalbano hörte deutlich, wie die Welt des Lohengrin Pera in Trümmer zerfiel und ihn unter sich begrub. Der Colonnello machte einen krummen Buckel, als wollte er sich vor einer plötzlichen Explosion schützen.
»Sie sind total verrückt«, flüsterte der Colonnello ehrlich erschrocken.
»Merken Sie das jetzt erst?«
»Also, Sie können machen, was Sie wollen, aber Ihrer Forderung, die Leiche ausfindig zu machen, kann ich nicht nachkommen. Auf gar keinen Fall.«
»Mal sehen, wie die Aufnahme geworden ist«, sagte Montalbano freundlich.
»Welche Aufnahme denn?« fragte Lohengrin Pera irritiert.
Montalbano ging ans Bücherregal, stellte sich auf die Zehenspitzen, holte die Kamera herunter und zeigte sie dem Colonnello.
»Cn'sro!« rief dieser und sank auf einen Stuhl. Er schwitzte.
»Montalbano, ich beschwöre Sie, in Ihrem eigenen Interesse …«
Er war eine Schlange, und wie eine Schlange benahm er sich. Während er den Commissario anzuflehen schien, keine Dummheiten zu machen, hatte sich seine Hand langsam bewegt und war jetzt in Reichweite des Handys. Er wußte, daß er es allein niemals schaffen würde, und wollte Verstärkung holen. Montalbano ließ ihn bis auf einen Zentimeter an sein Handy heran, dann sprang er auf. Mit einer Hand fegte er das Handy vom Tisch, mit der anderen schlug er dem Colonnello mit voller Wucht ins Gesicht. Lohengrin Pera flog durchs Zimmer, schlug mit dem Rücken an die gegenüberliegende Wand und rutschte zu Boden. Montalbano ging langsam auf ihn zu und zertrat mit dem Absatz, wie er es in einem Film über Nazis gesehen hatte, die Brille des Colonnello, die heruntergefallen war.