Die seltsamen Männer 

Schön ist es draußen. Aus den meisten Häusern scheint ein anderes Licht als sonst. Da hat der Stromausfall wohl schon angefangen. Ich gehe ein Stück die Straße runter. Die Bäume stehen noch alle, sehr beruhigend. Ich will gerade mein Bein an einem heben, da kommt mir ein Mann entgegen. Den habe ich hier bisher nie gesehen.

Auf dem Kopf trägt er eine rote Mütze, der Mann. Und er trägt einen roten Mantel. Ein dicker, langer Rauschebart verdeckt sein Gesicht. Auf dem Rücken schleppt er einen Sack. Was er da wohl drin hat? Ich finde den Mann sehr verdächtig und gehe hinter ihm her. Der seltsame Kerl will zu uns, merke ich. Das kommt nicht infrage. Schließlich bin ich hier der Wachhund.

Ich renne zu unserer Haustür und stelle mich davor. Keinen Schritt weiter, heißt das. Sonst beiße ich!

Zur Warnung knurre ich. Aber der Mann geht noch einen Schritt weiter auf mich zu. Der kann wohl nicht hören. »Ruhig«, sagt er.

Der hat mir gar nichts zu sagen. Was bildet sich der komische Kerl eigentlich ein? Der ist ja schlimmer als der mit den Paketen. Jetzt fasst er den Türgriff an. Und ich fasse zu. Kräftig zwicke ich ihn ins Hosenbein. Da jault er auf. Den Türgriff lässt er los und rennt den Gehsteig hinunter. Ein Stückchen renn ich hinter ihm her, spring an ihm hoch und belle. Den habe ich verscheucht. Das hat Spaß gemacht. Wehe, der lässt sich noch mal blicken.



Meine Familie würde sich bestimmt freuen, wenn sie wüsste, was sie für einen tüchtigen Aufpasser hat. Ohne meine Erlaubnis kommt bei uns keiner rein! Vor lauter Aufregung habe ich etwas Merkwürdiges übersehen. Durch die Luft fliegt ziemlich viel weißes Zeug. Sehr leicht ist es. Wenn ich reinbeiße, schmeckt es nach gar nichts. Leider. Außerdem bleibt es überall liegen. Immer mehr kommt von oben aus dem Dunkel. Was ist denn jetzt in der Seitenstraße los? . . . Oh ... da sehe ich ihn ja schon wieder, den Mann mit Rauschebart. Dem muss ich wohl zum zweiten Mal klarmachen, dass er hier nichts zu suchen hat.

Ich rase durch das Weiße in der Luft auf ihn zu und stoppe kurz vor ihm. Ne . . . das ist er gar nicht. Er sieht zwar genauso aus. Aber er riecht anders. Trotzdem knurre ich ihn gefährlich an. Zeige ihm mein Gebiss. »Jaja«, sagt er. »Ich gehe schon.«

Sein Glück. Ich wundere mich nur, dass es von der Sorte mehrere gibt. Wahrscheinlich ist das eine ganze Bande.

Jetzt renne ich zurück. Von Weitem sehe ich, dass die Verwandtschaft bei uns zu Hause auftaucht. Opas, Omas, Onkel und Tanten. Das Familienrudel ist also vollzählig. Und alle freuen sich über das weiße Zeug in der Luft und auf dem Boden.

Zusammen gehen wir ins Haus. Aber es fehlt wohl noch jemand, denn jeden Augenblick rennt eines der Kinder zur Haustür, reißt sie auf, guckt raus und fragt: »Wann ist er denn endlich da, der . . .?« Dann sagen sie so ein komisches Wort, das ich nicht richtig verstehe. Ich habe es vorher noch nie gehört. Es klingt nach Nacht und Mann, mit irgendwas davor. Ob das auch einer von der Verwandtschaft ist? Wann dieser Mann da sein wird, weiß ich nicht. Aber auf keinen Fall kommt einer von denen mit rotem Mantel, Bart im Gesicht und Sack auf dem Rücken. Die habe ich verscheucht. Und wenn sich die noch mal blicken lassen sollten, ist was los.

Die Mama fragt: »Wo steckt die Extrawurst für Flocki?« Ach so . . . das war meine Wurst, die ich vorhin gefressen habe. Die steckt in meinem Bauch. Da steckt sie ganz prima. »Ich finde sie nicht«, höre ich Mama aus der Küche. »Aber für alle Fälle habe ich eine zweite Wurst. Die legen wir ihm unter den Baum.« Sehr gut. Ich mag die Mama ausgesprochen gern. Jetzt tut es mir fast leid, dass ich ihr den Stollen weggenommen habe. Naja, so schlimm ist das wohl nicht. Bisher hat sie's nicht mal gemerkt. Komisch finde ich nur, dass sie meine Wurst unter den Baum legen will. Normalerweise kommt mein Futter in den Napf. Aber mir soll es egal sein. Plötzlich höre ich ein Pochen an der Terrassentür im Wohnzimmer. Nichts wie hin und vorbei am Baum!

Und wen sehe ich da? Einen von der Bande mit Rauschebart. Der Papa springt sofort auf. Ich aber auch. Er öffnet die Terrassentür und ich öffne mein Maul. Laut bellend stürze ich mich auf diesen seltsamen Kerl. »Flocki!«, rufen sie alle. »Nicht!« Warum denn nicht? Die sind gemein. Ich soll wohl gar keinen Spaß haben. Der Kerl ist doch verdächtig. Das finden sie aber nicht. Freundlich lächeln sie ihn an. »Endlich!«, sagt die Mama und der Komische mit Rauschebart sagt: »Ich wär früher gekommen und nicht durch die Terrassentür. Aber der hat mich verjagt.« 



Er zeigt auf mich und ich kläffe stolz. Sie sollen ruhig merken, wie tüchtig ich bin. »Flocki«, erklärt Susanne, »das ist der . . .« 

Wieder höre ich dieses seltsame Wort mit Nacht und Mann und irgendwas davor, das ich noch nie gehört habe.

Danach sagt der Papa: »Jetzt zünden wir den Baum an.« Ich jaule und tue sehr entsetzt. Aber eigentlich nur so, aus Spaß. Ich weiß ja, dass das mit der Baumanzünderei nicht klappen wird. Meine Familie weiß es allerdings noch nicht. »Ruhig, Flocki«, sagt Mama. Und dann meint sie: »Den Flocki verwirrt der Rummel heute sehr.«

»Kann man wohl sagen«, knurre ich. Aber mich versteht ja doch niemand. Jetzt beachtet mich auch keiner mehr. Alle drängeln ins Wohnzimmer.

Ich muss heute gut aufpassen. Sonst geht noch mehr schief. Es ist schon ein seltsamer Tag. 

Wirklich.


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E   N   D   E