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Er war nicht allein.
Nun, bei diesem Cramph konnte es auch nicht anders sein.
Netze sind teuflisch; wie ich nur zu gut weiß, ist es äußerst schwierig, sich rasch aus ihnen zu befreien. Sinnlos, das Messer zu ziehen und sich freizuschneiden. Ich nahm eine Masche in jede Faust, und in dem Augenblick, da ich sie mit einem wilden Ruck zerriß, traf mich ein heftiger Schlag am Kopf und schleuderte mich nach vorn. Statt mich zu erheben – womit die Schläger gerechnet hatten –, folgte ich der Bewegung und machte eine Rolle vorwärts. Zwei der Maschen rissen, und ich ergriff die nächsten beiden. Eine harte Stiefelspitze vergrub sich in meinen Rippen, und ich konnte ein Aufstöhnen nicht unterdrücken. Bei Krun! Diese häßlichen Kerle meinten es ernst!
Die nächsten Maschen zerrissen, und ich warf meinen Angreifern einen bösartigen Blick zu. Ein großer Rapa wollte mir noch einen Tritt versetzen, und ich rollte mich zur Seite. Dort stand ein weiterer Rapa, der mit einer verdammt großen Keule zuhieb. Ich verlieh meiner Drehbewegung noch mehr Schwung, stieß gegen seine Beine und riß sie unter ihm weg. Er fiel auf mich, und noch bevor ich ihn abschütteln konnte, empfing er den Tritt, den sein Kamerad mir zugedacht hatte. Das war recht erfreulich.
Mein Kopf war frei, und ich streifte die Reste des Netzes beim Aufstehen ab. Dabei versetzte ich dem am Boden liegenden Rapa einen ordentlichen Tritt.
Sie hatten mich getreten und mit Keulen geschlagen. Das bedeutete keinesfalls, daß sie mich nicht hatten umbringen wollen. Nein, zuerst hatten sie ihren Spaß haben wollen – was sie für Spaß hielten, mochte es auch noch so pervers sein.
Mittlerweile hatte mich die ganze lausige Situation in Oxonium so wütend und verbittert gemacht, daß ich keine Hemmungen mehr hatte.
In einer Rangelei dieser Art war das Rapier die beste Waffe.
Der Jiktar wurde mit der Geschmeidigkeit eines gewerbsmäßigen Kämpfers gezogen, und sein Gefährte, der Hikdar, folgte und schmiegte sich in meine linke Hand.
Ich sprang meinen Feinden entgegen.
Ein Polsim und ein Brokelsh, die ganz hinten gestanden und darauf gewartet hatten, daß sie mit den Tritten und Schlägen an der Reihe waren, sahen mein Gesicht. Sie fuhren herum und flohen.
Die beiden Rapas waren nicht so schnell.
Im allerletzten Augenblick drehte ich die Klingen, so daß sie die beiden nicht auf der Stelle tötete, sondern da verletzte, wo es weh tat. Sie stießen ein Jaulen aus und flohen mit gesträubtem Gefieder.
Dann stand ich mit erhobenen Klingen Nath ti Fangenun gegenüber.
Der Rast war nicht geflohen; soviel mußte man ihm zugestehen. Er stand mit erhobenem Rapier und Main-Gauche da und verfolgte jede meiner Bewegungen.
»Wie ich sehe, Blintz, kennst du dich mit den Waffen aus ...«, fing er an.
Ich sprang einfach auf ihn zu, drückte seine Klingen mit dem Dolch beiseite und versetzte ihm mit der Breitseite des Rapiers einen ordentlichen Schlag auf den Schädel. Er taumelte rückwärts, und seine Augen nahmen einen gläsernen Blick an. Er ließ Schwert und Dolch fallen. Er stürzte zu Boden. Und ich, Dray Prescot, holte mit dem Fuß aus, um ihm einen Tritt in die Rippen zu versetzten, der nicht von schlechten Eltern gewesen wäre.
Und so stand ich da, auf einem Fuß balancierend, während in meinen Schläfen noch immer das Blut hämmerte. Bei den widerwärtig verfaulten Nasenlöchern und den baumelnden Augäpfeln Makki-Grodnos! War es das, was mir dieser ganze Unsinn brachte? Kleine, häßliche Prügeleien in abgeschiedenen Gärten? Einem am Boden liegenden Mann einen Tritt zu versetzen? Der Rast war es doch gar nicht wert, daß ich mir die Stiefel an ihm beschmutzte.
Ich warf dem bewußtlosen Jiktar einen letzten finsteren Blick zu, stieß die unbefleckten Klingen in ihre Scheiden und machte, daß ich wegkam.
Bei Vox, es geht doch nichts über eine kleine, lebhafte Leibesertüchtigung, um die alten Adern mal wieder ordentlich durchzuspülen, das kann ich Ihnen sagen!
Anscheinend war die Meinungsverschiedenheit niemandem aufgefallen, allerdings hatte es auch nicht viel Lärm dabei gegeben. Als unsere Dienstherren von ihrer geheimen Konklave kamen, waren Fangenun und seine Komplizen wieder auf ihren Posten. Die beiden Rapas trugen Verbände. Ranaj warf mir einen langen prüfenden Blick zu, sagte aber nichts. Es entstand ein großes Stimmengewirr, das sich erst wieder legte, als die Erhabenen bei ihrem Gefolge waren.
Mit knurrenden Werstings, die uns die Bahn freimachten, kehrten wir in Nandishas Palast zurück.
Als Dimpy erfuhr, daß es von Tiri keine Neuigkeiten gab, machte er ein mürrisches Gesicht. Er war außerordentlich unruhig. Darum machte ich den Vorschlag, dem Tempel von Cymbaro am Abend nach Dienstschluß einen Besuch abzustatten, damit wir uns erkundigten, ob es nicht doch etwas Neues von unserer tanzenden Freundin gab.
Dimpys Gesichtsausdruck hellte sich sofort auf.
Nach der Stunde des Mid entschied die junge Prinzessin Nisha, daß sie einkaufen gehen wollte. Natürlich würde das Löwenmädchen Rofi, ihre Zofe, sie dabei begleiten. Ich wurde ihrer Eskorte zugeteilt, während Fweygo bei den anderen im Palast blieb. Die kleine Prinzessin war außerordentlich aufgekratzt; sie und Rofi schnatterten wie zwei Papageien. Ich muß zugeben, daß sie mir einen Seufzer entlockten, diese beiden jungen Vertreter der Menschheit, die sich bemühten, in der feindseligen Umgebung Kregens aufzuwachsen und dabei fröhlich zu sein. Die Aufgabe, sie zu beschützen, war nicht unwillkommen, wäre da nicht ... wäre da nicht die bittere Sehnsucht nach Delia und Esser Rarioch gewesen!
Opaz hatte ein Einsehen, und so geschah während des Einkaufsbummels nichts Unbotmäßiges. Als ich an dem Marktstand den prächtigen roten Shamlak entdeckte, wurde ich schwach. Die Schleifen und Stickereien waren blaßgelb, und der Schnitt war ausgesprochen geschmackvoll. Ich konnte ihn nach Dienst tragen. Also kaufte ich ihn. Dann kehrten wir zur Teestunde zum Palast zurück.
Ich habe zwar behauptet, es wäre unterwegs nichts geschehen, aber natürlich begegneten wir auf dem Markt etlichen Meinungsverschiedenheiten, die schließlich in handfeste Schlägereien ausarteten. Wir Wächter sorgten dafür, daß unsere Schützlinge nicht darin verwickelt wurden. Das bedrückende Gefühl, daß sich Sturmwolken über Oxonium zusammenballten, die sich auf furchtbare Weise entladen würden, wurde zusehends schlimmer. Und dazu kam noch ein Bursche, der eigentlich gar nicht König werden wollte und seiner Krönung lustlos entgegenblickte.
Was sich bei der Zusammenkunft der illustren Persönlichkeiten und Würdenträgern ergeben hatte, blieb uns gemeinem Volk in diesem Stadium natürlich verborgen. Nach dem Versuch, im Tempel Cymbaros für Dimpy etwas Neues über Tiri in Erfahrung zu bringen, würde ich mich ins Zur Goldenen Zorca begeben, um Brannomar zu treffen. Er würde mir das Ergebnis sicher zukommen lassen. Obwohl mir dieses Wissen eigentlich nichts bedeutete.
Als mein Dienst endlich zu Ende war, zog ich den neuen rosenroten Shamlak an. Er saß wie angegossen. Dann legte ich meine Waffen an und begab mich mit Dimpy im Schlepptau zu San Paynor. Sollte Duven anwesend sein, würden wir vielleicht einen oder auch zwei Becher Wein leeren.
Logan empfing uns, und kurze Zeit später führte man uns in San Paynors Arbeitsgemach. Im Tempel herrschte zu dieser Zeit Ruhe, da die hämmernden, sägenden und brüllenden Handwerker gegangen waren. Es war sehr friedlich. Paynor sah von den Plänen der Architekten auf, um uns zu begrüßen.
»Einige der alten Gänge sind eingestürzt und andere von Trümmern blockiert«, erzählte er uns. »Die Möglichkeit, daß das Fundament beschädigt ist, macht uns große Sorgen.« Er führte weiter aus, daß es unter dem Tempel – wie bei den meisten Gebäuden – ein Tunnellabyrinth gab. Viele hatten seltsame Ausgänge, die seit langem in Vergessenheit geraten waren. Wir tranken einen ordentlichen Weißwein; Dimpy schloß sich uns an. Allerdings gab es nichts Neues über Tiri zu berichten. Dimpy saß still da und hielt das Glas fest umklammert.
»Duven?« wiederholte Paynor. »Ah – du hast ihn knapp verpaßt. Er ist unterwegs, um einem erkrankten Gemeindemitglied beizustehen, einem Gemüsehändler in der Momolamstraße.«
Ich sah ihn fragend an. Unerwarteterweise mischte sich Dimpy ein. »Ich weiß, wo das ist. Auf dem Hügel der Tanzenden Geister.«
»Eigentlich sagen wir Hügel der Händler dazu«, lächelte Paynor.
Es war noch früh, also machte ich den Vorschlag, zum Hügel der Tanzenden Geister überzuwechseln. Vielleicht würden wir unterwegs Duven treffen. Auf jeden Fall wären die Schenken noch geöffnet, und wir könnten einen Becher trinken können. Dimpy war einverstanden, und wir sagten unsere Remberees.
Wir nahmen die Seilbahn und schwebten über die Gräben. In der Stadt wurden gerade erst die Lichter angezündet, und es sah aus, als würden die Hügel von feenhaften Lichtern erhellt. Unter uns funkelten hier und da Lichtpunkte auf. Die jungen Adligen würden jetzt ihre besten Gewänder anlegen und sich zu ihren dunklen Vergnügungen in die Tiefe wagen. Die Räuber würden die Dolche schärfen. Die Beutelschneider würden sich vergewissern, daß ihre so geschickt gekrümmten Klingen für das blitzschnelle Abtrennen der Geldbörsen bereit waren. Gab es inmitten dieser fleißigen, erwartungsvollen Betriebsamkeit ein unschuldiges junges Mädchen, das dazu verurteilt war, auf dem Heimweg zu sterben und in dieser Nacht in Stücke gerissen zu werden?
Eine Tatsache war offensichtlich. Nicht ein einziges der Mordopfer war eine Anhängerin Dokertys gewesen.
Die Momolamstraße zweigte von einer Allee ab, die zu dem Kyro von Nath dem Feilscher führte. Dimpy sah im Laternenlicht kurz zu mir auf. Er hatte sicher den gleichen Gedanken wie ich; das war der Ort, an dem wir uns kennengelernt hatten.
Es herrschte Betriebsamkeit: Die Händler des Tages hofften, noch einen letzten Verkauf zu tätigen, während die Falken der Nacht öffneten. Wir passierten eine Patrouille der Garde, hartgesichtige Männer in einschüchternden Rüstungen. Sie konnten nicht überall sein. Man hatte die Stärke der Patrouillen verringert, um ihre Anzahl zu erhöhen. Der Gemüseladen befand sich an der Ecke der schlecht beleuchteten Gasse. Das flackernde Licht der einsamen Laterne enthüllte die danebenbefindliche Fassade des Tempels eines der unbedeutenderen Kulte. Die Angehörigen beteten den Gewaltigen Nethized an, und wie um die Bedeutungslosigkeit Nethizeds zu verspotten, erhob sich genau gegenüber die beeindruckende Vorderfront eines Dokerty-Tempels.
Die besorgte Frau, die auf unser Klopfen öffnete, sagte uns, daß ihr Mann sehr krank und der Nadelstecher bei ihm sei und daß San Duven, Cymbaro sei gepriesen, mächtige Worte im Namen des Erkrankten gesprochen habe. Was jedoch San Duven betraf, so sei der große Mann gerade eben gegangen.
»Er ist die Kohlkopfgasse entlanggegangen, an den Verkaufsständen vorbei.«
Wir bedankten uns und beschlossen, Duven zu folgen. Die Kohlkopfgasse machte ihrem Namen alle Ehre, zumindest was den Geruch anging. Es gab nur wenig Lampen, und die waren sehr verstreut angebracht. Am Ende, wo sich die Gasse mit der Hauptallee vereinigte, verbreitete eine große Laterne helles Licht. Aus dieser Richtung kamen die gedämpften Stimmen von Leuten, die ihren verschiedenen Geschäften nachgingen.
Wir schritten zügig aus. Vielleicht hatte Duven diesen Weg benutzt, um von der gegenüberliegenden Seilbahnstation zu einem anderen Ziel weiterzufahren. Es war sicher recht zeitaufwendig, die Runde zu machen, um alle Anhänger Cymbaros zu besuchen.
Ein dünner, gurgelnder Schrei zerschnitt die Luft. Der unirdisch klingende Laut verkörperte Schrecken, Verderben und Tod. Er brach wie abgeschnitten ab, und das darauffolgende Schweigen lastete wie Blei in der Luft.
Dimpy und ich sprangen vor. »Halt! Mörder!«
Vor dem Licht der Hauptallee zeichnete sich die dunkel verzerrte Silhouette eines Mannes ab, der mit wallendem Gewand geduckt floh. Wir folgten ihm – und zwar schnell.
Dimpy stolperte über die Leiche.
Die Silhouette verschwand um die Ecke auf der Allee, und ich geriet ins Taumeln, als Dimpy mich beiseite stieß. Er wich fluchtartig vor der Leiche zurück.
Ich beugte mich über sie.
Es war hell genug, um den klaffenden Schnitt in der Kehle, das dunkle Blut und das Entsetzen sehen zu können, das sich auf dem hübschen, unschuldigen Gesicht eingegraben hatte. Sie mußte in einem der Verkaufsstände gearbeitet haben. Das arme Ding; es hatte genügend Warnungen gegeben, daß junge Mädchen nach Einbruch der Dunkelheit nicht ohne Begleitung gehen sollten.
Ich richtete mich auf. »Komm. Vielleicht erwischen wir den Blintz noch in der Allee.«
Der herzzerreißende Schrei hatte außer uns noch andere alarmiert. Eine Patrouille der Stadtgarde kam in die Gasse gestürmt. Das Licht ihrer Laternen fiel auf den Ort des Verbrechens, die Tote, Dimpy und mich, der sich gerade über der Leiche aufrichtete. Die Gardisten machten ihrer Wut mit einem Knurren Luft.
Die meisten Adligen hatten Angehörige ihrer persönlichen Wache zur Unterstützung der Stadtgarde abkommandiert. Eine der gerüsteten Gestalten erkannte mich.
»Bleib stehen! Drajak, den man auch den Schnellen nennt! Gemeiner Mörder! Bleib, wo du bist!«
»Von wegen!« stieß ich hervor. Von diesen Männern war keine Gnade zu erwarten. Ich bezweifelte, daß ich ihr Hauptquartier heil und in einem Stück erreichen würde. Für sie war der Fall klar.
Die Gardisten setzten sich mit klirrender Rüstung in Bewegung.
»Komm, Sonnenschein«, rief ich Dimpy zu, »lauf!«